Gericht | VG Cottbus 3. Kammer | Entscheidungsdatum | 18.03.2021 | |
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Aktenzeichen | 3 L 95/21 | ECLI | ECLI:DE:VGCOTTB:2021:0318.3L95.21.00 | |
Dokumententyp | Beschluss | Verfahrensgang | - | |
Normen | § 58 Abs 2 BauO BB 2018 |
Der Antragsgegner wird im Wege der einstweiligen Anordnung verpflichtet, gegen das grenzständige Nebengebäude der Beigeladenen auf dem Grundstück A... bauaufsichtlich einzuschreiten und den Abriss des Ständerbauwerks und der Dacheindeckung durch sofort vollziehbare Anordnung zu verfügen.
Der Antragsgegner trägt die Kosten des Verfahrens mit Ausnahme der außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen, die diese selbst trägt.
Der Streitwert wird auf 5.000 Euro festgesetzt.
Der wörtliche Antrag des Antragstellers,
den Antragsgegner zu verpflichten, eine akute Gefahrenlage zu beseitigen und dafür die notwendigen behördlichen Entscheidungen zu treffen,
ist unter Berücksichtigung des Gesamtvorbringens des Antragstellers gemäß §§ 88, 122 Abs. 1 VwGO dahingehend auszulegen, dass er die umgehende Beseitigung des aus seiner Sicht akut einsturzgefährdeten Ständerbauwerks und der Dacheindeckung des grenzständigen Nebengebäudes der Beigeladenen erreichen möchte. Er begehrt folglich ein bauaufsichtliches Einschreiten durch den Antragsgegner und beantragt sinngemäß,
den Antragsgegner im Wege der einstweiligen Anordnung gemäß § 123 Abs. 1 VwGO zu verpflichten, gegen das grenzständige Nebengebäude der Beigeladenen auf dem Grundstück A... bauaufsichtlich einzuschreiten und den Abriss des Ständerbauwerks und der Dacheindeckung durch sofort vollziehbare Anordnung zu verfügen.
Der so verstandene Antrag hat Erfolg.
Er ist zulässig. Insbesondere ist der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung in Form der Regelungsanordnung nach § 123 Abs. 1 VwGO statthaft.
Nach § 123 Abs. 1 VwGO kann das Gericht der Hauptsache auch schon vor Klageerhebung eine einstweilige Anordnung in Bezug auf den Streitgegenstand treffen, wenn die Gefahr besteht, dass durch eine Veränderung des bestehenden Zustandes die Verwirklichung eines Rechts des Antragstellers vereitelt oder wesentlich erschwert werden könnte (Sicherungsanordnung) oder die Anordnung zur Regelung eines vorläufigen Zustandes erforderlich ist (Regelungsanordnung). Die Begründetheit des Antrages setzt nach § 123 Abs. 1, Abs. 3 VwGO in Verbindung mit §§ 920 Abs. 2, 294 ZPO voraus, dass der Antragsteller das Bestehen eines materiellen Rechts (Anordnungsanspruch), für den er einstweiligen Rechtsschutz begehrt, und die besondere Eilbedürftigkeit des gerichtlichen einstweiligen Rechtsschutzes (Anordnungsgrund) glaubhaft macht. Zielt der Antrag – wie hier – auf eine Vorwegnahme der Hauptsache, kann ihm nur dann stattgegeben werden, wenn dem Antragsteller ohne sofortige Befriedigung des Anspruchs schwere und unzumutbare, anders nicht abwendbare Nachteile entstünden, zu deren nachträglicher Beseitigung eine Entscheidung in der Hauptsache nicht mehr führen könnte und wenn zudem ein hoher Grad an Wahrscheinlichkeit für den Erfolg in der Hauptsache spricht (vgl. BVerwG, Beschluss vom 26. November 2013 – 6 VR 3/13 – juris Rn. 5 m.w.N.).
Nach diesen Maßstäben hat der Antragsteller sowohl einen Anordnungsanspruch als auch einen Anordnungsgrund glaubhaft gemacht.
Er hat mit der erforderlichen hohen Wahrscheinlichkeit einen Anspruch auf bauaufsichtliches Einschreiten gemäß § 58 Abs. 2 Satz 2 der Brandenburgischen Bauordnung (BbgBauO) glaubhaft gemacht. Danach haben die Bauaufsichtsbehörden in Wahrnehmung der Aufgaben, die sich aus § 58 Abs. 2 Satz 1 BbgBO ergeben, die erforderlichen Maßnahmen zu treffen. Die Generalermächtigung erlaubt es der Bauaufsichtsbehörde auch, zur Gewährleistung der sich aus § 3 Abs. 1 BbgBO ergebenden Pflichten in Bezug auf die öffentliche Sicherheit und Ordnung Sicherungsmaßnahmen zu ergreifen, um etwaige von baulichen Anlagen ausgehende Gefährdungen zu unterbinden (vgl. Urteil der Kammer vom 16. Juli 2018 – 3 K 1187/15 – juris Rn. 34; Beschluss vom 13. Mai 2019 – 3 L 566/18 – juris). § 3 Abs. 1 Satz 1 BbgBauO verdeutlicht, dass bauliche Anlagen so zu unterhalten sind, dass die öffentliche Sicherheit oder Ordnung nicht gefährdet werden. Konkretisierend hierzu bestimmt § 12 Abs. 1 BbgBauO, dass jede bauliche Anlage im Ganzen und in ihren Teilen sowie für sich allein standsicher sein muss.
Hiervon ausgehend liegen die Voraussetzungen für ein Einschreiten vor.
Die öffentliche Sicherheit ist betroffen. Soweit der Antragsgegner einwendet, es handle sich hier um zwei Privatgrundstücke, weshalb Beeinträchtigungen des Eigentums durch Regelungen zum Nachbarschaftsrecht nach den Vorschriften des Bürgerlichen Gesetzbuches zu begegnen sei, irrt er. Denn der Begriff der öffentlichen Sicherheit erfasst u.a. auch höherrangige Individualrechtsgüter wie Leben, Gesundheit und Eigentum (statt aller Hessischer VGH, Beschluss vom 8. Dezember 2020 – 6 B 2637/20 – juris Rn. 16). Auch kann der Antragsgegner den Antragsteller nicht in zulässiger Weise auf den Zivilweg verweisen, da dies keine einfachere und effektivere Möglichkeit zur Realisierung des hier in Rede stehenden Begehrens darstellt (vgl. auch OVG Mecklenburg-Vorpommern, Urteil vom 29. Januar 2020 – 3 L 49/15 – juris Rn. 30).Der Antragsteller hat eine Beeinträchtigung insoweit hinreichend glaubhaft gemacht. Er hat nachvollziehbar ausgeführt, dass aufgrund der Neigung die stark beschädigte Dacheindeckung des Nebengebäudes „der Schwerkraft folgend“ auf sein Grundstück abrutschen würde. Der betroffene Bereich erfasse etwa 30 m², wobei eine „Splitterwirkung“ noch darüber hinaus ginge. Es bestünde daher eine Lebens- bzw. Verletzungsgefahr durch herabstürzende Bauteile. Zudem würden Pflanzen in dem Bereich zerstört und der Boden möglicherweise mit aus den Wellastbestplatten stammenden Asbestfasern kontaminiert. Dem ist der Antragsgegner nicht entgegengetreten. Vielmehr bestätigt er, dass sich das Nebengebäude in einem sehr schlechten baulichen Zustand befände. Auch sonst ist nach summarischer Prüfung der Sachlage nicht ersichtlich, dass die Befürchtung und Einschätzung des Antragstellers nicht zutrifft. Wegen der in der Nähe gelegenen Wohnnutzung auf dem Grundstück des Antragstellers besteht insbesondere auch eine hinreichende Wahrscheinlichkeit von Gesundheitsschädigungen der sich dort aufhaltenden Personen.
Mit Blick auf § 12 Abs. 1 BbgBauO ist auch die Unverletzlichkeit der Rechtsordnung als Teil der öffentlichen Sicherheit betroffen.
Zudem besteht eine konkrete Gefahr. Eine Gefahr ist gegeben, wenn erkennbar die objektive Möglichkeit eines Schadens für die öffentliche Sicherheit und Ordnung besteht. Eine konkrete Gefahr ist eine Sachlage, die im Einzelfall tatsächlich oder jedenfalls aus der ex ante Sicht der handelnden Bauaufsichtsbehörde bei verständiger Würdigung in absehbarer Zeit die hinreichende Wahrscheinlichkeit eines Schadenseintritts in sich birgt (vgl. OVG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 15. September 2015 – OVG 10 S 19.15 – juris m.w.N.). Dass das vorhandene Dach des Nebengebäudes infolge des eingetretenen Verfalls erhebliche statische, zur Einsturzgefahr führende und damit in Widerspruch zu § 12 Abs. 1 BbgBauO stehende Mängel aufweist, steht nach summarischer Prüfung fest. Die hergereichten Lichtbilder über den Zustand der betroffenen Baulichkeiten bestätigen den – vom Antragsgegner und der Beigeladenen – unbestrittenen Vortrag des Antragstellers, das Ständerbauwerk und Dach auf der Ostseite habe sich „unter knackenden Geräuschen“ gehoben und das Dach auf der Westseite weiter gesenkt.
Zwar steht dem Betroffenen gemäß § 58 Abs. 2 Satz 2 BbgBO grundsätzlich nur ein Anspruch auf ermessensfehlerfreie Entscheidung zu. Das der Behörde eingeräumte Ermessen kann aber im Einzelfall so eingeschränkt sein, dass nur ein Eingreifen ermessensfehlerfrei ist („Ermessensreduzierung auf Null“). Da die Befugnis zum Einschreiten der Wahrnehmung der Aufgaben nach § 58 Abs. 2 Satz 1 BbgBauO dient, besteht eine Pflicht zum Eingreifen, wenn nur so die Aufgabe der Überwachung der Einhaltung der öffentlich-rechtlichen Vorschriften ordnungsgemäß erfüllt werden kann. Zu berücksichtigen sind insoweit insbesondere der Grad der Intensität der Störung oder Gefährdung (vgl. BVerwG, Urteil vom 18. August 1960 – I C 42.59 – juris Rn. 10). So liegt der Fall in Anbetracht der bestehenden Einsturzgefahr (vgl. OVG Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 3. Februar 1994 – 10 A 1149/91 – NVwZ-RR 1995, 247, 248 im Fall der fehlenden Standsicherheit) und der damit einhergehenden unmittelbaren Gefährdung von Leben, Gesundheit und Eigentum des Antragstellers hier. Das Ermessen hat sich auf Null verdichtet. Die Einsturzgefahr ist nach summarischer Prüfung der Sach- und Rechtslage ausweislich des unwidersprochenen Vortrags des Antragstellers und der eingereichten Lichtbilder auch als akut anzusehen, sodass der Gefahr auch nicht auf andere Weise begegnet werden kann (vgl. OVG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 7. Mai 1990 – 10 B 1091/90 –, siehe auch Boeddinghaus/Hahn/Schulte, Bauordnung für das Land Nordrhein-Westfalen, 58. Update Oktober 2020, Rn. 139-140).
Der Anordnungsgrund ist in der Eilbedürftigkeit der Entscheidung begründet. Wie aufgezeigt, hat der Antragsteller eine akute Einsturzgefahr der Dacheindeckung des Nebengebäudes der Beigeladenen glaubhaft gemacht.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 i.V.m. § 162 Abs. 3 VwGO. Von einer Überbürdung der außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen auf den Antragsgegner ist abzusehen, weil die Beigeladene keinen Antrag gestellt und sich damit keinem Kostenrisiko ausgesetzt hat.
Der Streitwert ist gemäß § 52 Abs. 2 i.V.m. § 53 Abs. 2 Nr. 1 GKG in der im Tenor benannten Höhe festzusetzen. Der Auffangwert ist heranzuziehen, da der bisherige Sach- und Streitstand keine genügenden Punkte für eine anderweitige Bestimmung des Interesses des Antragstellers auf bauaufsichtliches Einschreiten bietet. Aufgrund der angestrebten Vorwegnahme der Hauptsache kommt eine Minderung dieses Betrages nicht in Betracht.