| Gericht | OVG Berlin-Brandenburg 1. Senat | Entscheidungsdatum | 16.04.2021 | |
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| Aktenzeichen | OVG 1 S 43/21 | ECLI | ECLI:DE:OVGBEBB:2021:0416.OVG1S43.21.00 | |
| Dokumententyp | Beschluss | Verfahrensgang | - | |
| Normen | § 2 Corona-ArbSchV, § 18 Abs 3 ArbSchG, § 43 Abs 2 VwGO, Art 19 Abs 4 GG, § 4 Corona-ArbSchV, § 47 VwGO, § 25 ArbSchG, § 22 Abs 3 ArbSchG | |||
1. Für die Überprüfung von Rechtsverordnungen des Bundes besteht im Regelfall die Möglichkeit nachträglichen Rechtsschutzes im Rahmen des gegen den Vollzugakt gerichteten Rechtsmittels (inzidente Normenkontrolle).
2. Kommt in Ausnahmefällen mit Blick auf Art. 19 Abs. 4 GG eine (atypische) Feststellungsklage in Betracht, eröffnet sich das Rechtsverhältnis grundsätzlich nur zwischen den Normadressaten und den jeweiligen Landesvollzugsbehörden oder - bei Ausführung in bundeseigener Verwaltung – den Bundesvollzugsbehörden (Normanwender). Selbst wenn sich aus der Norm unmittelbar Rechte und Pflichten ergeben („self-excuting"), begründet dies kein feststellungsfähiges Rechtsverhältnis nach § 43 Abs. 1 VwGO zum Normgeber, soweit noch Verwaltungsvollzug vorgesehen oder möglich ist. Das gilt auch, wenn (noch) kein Vollzugsakt ergangen ist.  
3. Eine unmittelbar gegen den Normgeber gerichtet Feststellungsklage kommt nur ausnahmsweise in Betracht, wenn etwa im Fall der zulässigen Normerlassklage das Recht auf Gleichbehandlung die Änderung einer Rechtnorm gebietet oder mangels administrativen Vollzugs ein Normanwender fehlt, die Rechtsbeeinträchtigung unmittelbar durch die Norm bewirkt wird und effektiver Rechtsschutz nur zwischen Normgeber und -adressat gewährt werden kann (im Anschluss an BVerwG, Urteil vom 28. Januar 2010 – 8 C 19.09 – juris Rn. 28).
Die Beschwerde der Antragsteller gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts Berlin vom 18. Februar 2021 wird zurückgewiesen.
Die Kosten der Beschwerde tragen die Antragsteller.
Der Wert des Beschwerdegegenstandes wird auf 60.000 Euro festgesetzt.
Die Beschwerde, mit der die Antragsteller weiter die vorläufige Feststellung begehren, dass die in der SARS-CoV-2-Arbeitsschutzverordnung (Corona-ArbSchV) vom 21. Januar 2021 [BAnz AT 22.01.2021 V1], zuletzt geändert am 11. März 2021 [BAnz AT 12.03.2021 V1], verordneten Maßnahmen zur Kontaktreduktion im Betrieb (§ 2) und zum Mund-Nase-Schutz, Atemschutz (ursprünglich § 3, nunmehr § 4) auf sie keine Anwendung finden, hat keinen Erfolg.
Das Verwaltungsgericht hat den nach seiner Ansicht statthaften Antrag auf Erlass einer einstweiligen Regelungsanordnung teilweise als unzulässig sowie teilweise unbegründet zurückgewiesen. Die Antragsteller hätten schon nicht hinsichtlich aller Streitgegenstände ein gegenwärtiges, negativ feststellungsfähiges Rechtsverhältnis dargelegt. Wo ein solches gegeben sei, sei ein die Vorwegnahme der Hauptsache rechtfertigender Anordnungsanspruch nicht glaubhaft gemacht, da bei summarischer Prüfung nicht mit der erforderlichen hohen Wahrscheinlichkeit von einer Rechtswidrigkeit der angegriffenen Regelungen auszugehen sei. Insbesondere beruhe die Corona-ArbSchV auf einer hinreichenden, verfassungsgemäßen Rechtsgrundlage. Die mit ihr verbundenen Grundrechtseingriffe seien gerechtfertigt, verhältnismäßig und nicht gleichheitswidrig.
Die hiergegen gerichtete Beschwerde führt zu keinem anderen Ergebnis, denn der im vorläufigen Rechtsschutz gestellte Feststellungsantrag ist insgesamt nicht statthaft.
1. Zwar kann in der Hauptsache für die Überprüfung der Rechtmäßigkeit von Rechtsverordnungen des Bundes eine (atypische) Feststellungsklage (zum Begriff: W.-R. Schenke in Kopp/Schenke, VwGO, 26. Aufl. 2020, § 43 Rn. 8b) in Betracht kommen; insofern kann insbesondere § 47 Abs. 1 VwGO kein Ausschluss entnommen werden, wie die Antragsteller zutreffend unter Verweis auf die Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts zu Flugrouten des Flughafens Köln/Bonn ausführen (Urteil vom 28. Juni 2000 - 11 C 13.99 - juris Rn. 29; vgl. auch W.-R. Schenke in Kopp/Schenke, VwGO, 26. Aufl. 2020, § 47 Rn. 5). Entgegen der Beschwerde wäre die hier in der Hauptsache zu erhebende negative Feststellungsklage im Zusammenhang mit Rechtsverordnungen auf Bundesebene aber nicht „die einzige richtige und statthafte Klageart“.
Verwaltungsrechtsschutz ist grundsätzlich nachgängiger Rechtsschutz. Denn mit Blick auf den Grundsatz der Gewaltenteilung ist den Gerichten grundsätzlich nicht gestattet, bereits im Vorhinein gebietend oder verbietend in den Bereich der Verwaltung einzugreifen. Die Verwaltungsgerichtsordnung stellt darum ein System nachgängigen - ggf. einstweiligen - Rechtsschutzes bereit und geht davon aus, dass dieses zur Gewährung effektiven Rechtsschutzes (Art. 19 Abs. 4 GG) regelmäßig ausreicht.
Auch bei Bundesrechtsverordnungen besteht in der Regel die Möglichkeit des nachträglichen Rechtsschutzes mittels einer inzidenten Normenkontrolle, so dass der Subsidiaritätsgrundsatz des § 43 Abs. 2 VwGO zu beachten ist (vgl. W.-R. Schenke in Kopp/Schenke, VwGO, 26. Aufl. 2020, § 47 Rn. 5). Einer ausnahmsweisen Klagemöglichkeit auf negative Feststellung bedarf es im Hinblick auf Art. 19 Abs. 4 GG nur, wenn andernfalls eine Rechtsschutzlücke entstünde, weil die Norm einer Umsetzung durch (angreifbaren) hoheitlichen Vollzugsakt nicht bedarf bzw. entbehrt (z.B. Festlegung von Flugrouten BVerwG, Urteil vom 28. Juni 2000 - 11 C 13.99 - juris ) oder dem Betroffenen das Abwarten eines Normvollzugsaktes z.B. wegen drohender Sanktionen nicht zugemutet werden kann (BVerfG, Nichtannahmebeschluss vom 31. März 2020 - 1 BvR 712/20 - juris Rn. 15 m.w.N.) oder nur die Feststellungsklage den effektivieren Rechtsschutz gewähren kann (Pietzcker in: Schoch/Schneider, VwGO, Stand Juli 2020, § 43 Rn. 41 m.w.N.). Soweit Vollzugsakte ergehen können, deren Abwarten zumutbar ist, ist der Betroffene hingegen grundsätzlich auf den Angriff gegen diese verwiesen (Pietzcker in: Schoch/Schneider, VwGO, Stand Juli 2020, § 43 Rn. 25 a.E.).
Letzteres ist hier der Fall. Denn den Antragstellern ist die inzidente Kontrolle der angegriffenen Normen im Rahmen eines nachträglichen Rechtsschutzes zumutbar. Die bloße Missachtung der weitgehend abstrakt-generell formulierten Pflichten aus §§ 2 und 4 Corona-ArbSchV ist nicht bußgeldbewehrt. Erst die Zuwiderhandlung gegen eine vollziehbare Anordnung nach § 22 Abs. 3 ArbSchG wäre gemäß § 25 Abs. 1 Nr. 2 ArbSchG ordnungswidrig, denn erst die Landesvollzugsbehörde ordnet im Einzelfall gemäß § 22 Abs. 3 ArbSchG konkret an, welche Maßnahmen die Arbeitgeber und die verantwortlichen Personen oder die Beschäftigten zur Erfüllung der arbeitsschutzrechtlichen Pflichten zu treffen haben, die sich aus einer Rechtsverordnung ergeben. In diese Richtung weisen auch die - letztlich offen gebliebenen - Überlegungen des Bundesverfassungsgerichts im Nichtannahmebeschluss vom 31. März 2020 (- 1 BvR 712/20 - juris Rn. 14) zur Zumutbarkeit einer Inzidentkontrolle, sofern nicht schon die bloße Missachtung von abstrakt-generellen Verboten zur Sanktionierung führt, sondern erst die Zuwiderhandlung gegen eine die Verbote konkretisierende Anordnung.
Die bundesgerichtliche Rechtsprechung, auf die die Beschwerde mit Schriftsatz vom 14. April 2021 hinweist, steht dem nicht entgegen. Aus der Flugroutenentscheidung (Urteil vom 28. Juni 2000 - 11 C 13.99 - juris) folgt nichts anderes, weil die dort streitige Bundesnorm eines Vollzugsaktes, der hätte abgewartet werden können, nicht bedurfte (BVerwG, Urteil vom 23. August 2007 - 7 C 2.07 - juris Rn. 25). Die weiter in Bezug genommenen Beschlüsse des Bundesverfassungsgerichts (vom 7. März 2017 - 1 BvR 1314/12 - juris Rn. 85 f. und 18. Mai 2004 - 2 BvR 2374/99 - juris Rn. 66) betreffen den anders gelagerten Subsidiaritätsgrundsatz der Verfassungsbeschwerde, der auf das Verhältnis zum notwendig vorgelagerten fachgerichtlichen Rechtsschutz abstellt (§ 90 Abs. 2 BVerfGG). Dass im hiesigen Verfahren eine fachgerichtliche Klärung der zum Teil auslegungsfähigen und -bedürftigen unbestimmten Rechtsbegriffe der §§ 2 und 4 Corona-ArbSchV zu erfolgen hat, steht außer Frage, hat aber im Wege der sachnäheren inzidenten Normenkontrolle zu erfolgen. Im Übrigen würde es sich bei der Anordnung nach § 22 Abs. 3 ArbSchG nicht um eine unzumutbare „Provokation“ eines nicht vorgesehenen oder „unnötigen Vollzugsaktes“ handeln, sondern um eine (notwendige) Konkretisierung und Individualisierung der von den Antragstellern zu ergreifenden arbeitsschutzrechtlichen Maßnahmen. Art und Umfang sind in weiten Teilen von den individuellen betrieblichen Gegebenheiten vor Ort abhängig. Die verschiedenen Maßnahmen zur Kontaktreduktion nach § 2 Abs. 2 bis 6 Corona-ArbSchV bestimmen sich aus dem jeweils „betriebsnotwendigen Minimum“ bzw. hängen von „zwingenden betriebsnotwendigen“ Gegebenheiten ab, wobei dem Arbeitgeber im Rahmen von § 2 Abs. 3 Satz 2 Corona-ArbSchV zusätzlich eine Ersetzungsbefugnis durch „andere geeignete Schutzmaßnahmen“ zusteht. Entsprechendes gilt für die Pflicht zur Bereitstellung von medizinischen Gesichtsmasken (Mund-Nase-Schutz) nach § 4 Abs. 1 und 1a Corona-ArbSchV, die ebenfalls gemäß § 4 Abs. 3 Corona-ArbSchV vom Arbeitgeber durch „andere ebenso wirksame Maßnahmen“ (z.B. die vom Hamburger Umweltinstitut entwickelte und offenbar von den Antragstellern favorisierte Maske) ersetzt werden kann. Vor diesem Hintergrund ließe sich mit der bloßen Missachtung (noch) nicht individualisierter Pflichten aus der Corona-ArbSchV noch keine gewerberechtliche Unzuverlässigkeit begründen. Dies wäre erst bei Verstößen gegen Anordnungen nach § 22 Abs. 3 ArbSchG der Fall. Die „Herausforderung“ und das Abwarten eines gesetzlich vorgesehenen Normvollzugsaktes ist den Antragstellern daher zumutbar und die Feststellungsklage subsidiär.
2. Der einstweilige Rechtsschutzantrag wäre aber selbst dann insgesamt unstatthaft, wenn man die Feststellungsklage nicht hinsichtlich aller zu befolgenden Gebote als subsidiär ansehen wollte, denn ein feststellungsfähiges Rechtsverhältnis wäre allein zum Normanwender, der zuständigen Vollzugsbehörde im Sinne des § 22 ArbSchG gegeben, und nicht zum Antragsgegner, der nur der Normgeber ist.
Gegen den Normgeber kommt eine Feststellungsklage nur in Betracht, wenn die Rechtsverordnung unmittelbar Rechte und Pflichten begründet, ohne dass eine Konkretisierung oder Individualisierung durch Verwaltungsvollzug vorgesehen oder möglich ist (BVerwG, Urteil vom 28. Januar 2010 - 8 C 19.09 - juris Rn. 30 m.w.N.). Da nach Art. 30 GG die Ausübung der staatlichen Befugnisse und die Erfüllung der staatlichen Aufgaben grundsätzlich Sache der Länder ist und Art. 83 GG ebenso grundsätzlich bestimmt, dass die Länder Bundesgesetze als eigene Angelegenheiten ausführen, d.h. sie verwaltungsmäßig umsetzen, eröffnet sich im Regelfall nur das Rechtsverhältnis zwischen Normadressaten und Normanwender, nicht hingegen zwischen Normadressaten und Normgeber, denn Letzterer ist an der Umsetzung der Norm gegenüber dem Adressaten nicht beteiligt (BVerwG, Urteil vom 23. August 2007 - 7 C 2.07 - juris Rn. 21 f.; Urteil vom 28. Januar 2010 - 8 C 19.09 - juris Rn. 28). Eine unmittelbar gegen den Normgeber gerichtete Feststellungsklage kommt nur ausnahmsweise in Betracht, wenn etwa im Fall der zulässigen Normerlassklage das Recht des Betroffenen auf Gleichbehandlung den Erlass oder die Änderung einer Rechtsnorm gebietet oder wenn mangels administrativen Vollzugs kein konkretes Rechtsverhältnis zwischen Normanwender und Normadressat begründet wird, die Rechtsbeeinträchtigung bereits unmittelbar durch die Norm bewirkt wird und effektiver Rechtsschutz nur im Rechtsverhältnis zwischen Normgeber und Normadressat gewährt werden kann (BVerwG, Urteil vom 28. Januar 2010 - 8 C 19.09 - juris Rn. 28).
Diese Voraussetzungen sind nicht erfüllt. Zwar statuieren die §§ 2 und 4 Corona-ArbSchV unmittelbar (abstrakt-generelle) arbeitsschutzrechtliche Pflichten für die Antragsteller. Dass eine Norm „self-excuting" ist, d.h. dass sich aus ihr unmittelbar Rechte und Pflichten ergeben, begründet jedoch kein feststellungsfähiges Rechtsverhältnis zum Normgeber, soweit dort noch Verwaltungsvollzug möglich ist (für die insofern vergleichbare Verpackungsverordnung: BVerwG, Urteil vom 23. August 2007 - 7 C 2.07 - juris Rn. 22; Urteil vom 28. Januar 2010 - 8 C 19.09 - juris Rn. 29). Auch in diesem Fall stehen sich als alleinige Zuordnungssubjekte der Normadressat und der Normanwender gegenüber. Denn der normbetroffenen Person auf der einen Seite steht das Bundesland bzw. dessen vollziehende Behörde gegenüber, die die Regelungen durchzusetzen oder ihre Befolgung - wie hier gemäß § 22 ArbSchG - aufgrund gesetzlicher Befugnisse zu überwachen hat (BVerwG, Urteil vom 23. August 2007 - 7 C 2.07 - juris Rn. 22). Auch wenn von dieser Befugnis (noch) kein Gebrauch gemacht wurde, kann ein „Rechtsverhältnis“ im Sinne von § 43 Abs. 1 VwGO daher nur zwischen den Antragstellern und dieser Vollzugsbehörde bestehen. Damit muss die Feststellung eines konkreten streitigen Rechtsverhältnisses zwischen Normadressat und Normanwender geklärt werden, nicht aber eine Rechtsbeziehung zum Normgeber (BVerwG, Urteil vom 28. Januar 2010 - 8 C 19.09 - juris Rn. 29). Die Annahme der Beschwerde in ihrem Schriftsatz vom heutigen Tag, man könne aus einer (unterstellt) zulässigen Klage gegen das Land Baden-Württemberg nicht „allein … schlussfolgern, dass die hiesige Klage unzulässig wäre“, verkennt die vorstehenden Grundsätze.
Aus der Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts zu den Flugrouten (Urteil vom 28. Juni 2000 - 11 C 13.99 - juris) ergibt sich auch insoweit nichts anderes. Das dortige Rechtsmittel konnte sich nur gegen die (zugleich normgebende) Bundesrepublik richten konnten, da die Luftverkehrsverwaltung in bundeseigener Verwaltung ausgeführt und vollzogen wird (so ausdrücklich BVerwG, Urteil vom 23. August 2007 - 7 C 2.07 - juris Rn. 25).
Die übrigen Beschwerdeausführungen, die der Senat zur Kenntnis genommen und in seine Erwägungen einbezogen hat, bedürfen damit keiner näheren Auseinandersetzung mehr.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO. Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 47 Abs. 1, § 53 Abs. 2 Nr. 1, § 52 Abs. 2 GKG.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO, § 68 Abs. 1 Satz 5 i.V.m. § 66 Abs. 3 Satz 3 GKG).