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Entscheidung 1 U 74/20


Metadaten

Gericht OLG Brandenburg 1. Zivilsenat Entscheidungsdatum 06.04.2021
Aktenzeichen 1 U 74/20 ECLI ECLI:DE:OLGBB:2021:0406.1U74.20.00
Dokumententyp Urteil Verfahrensgang -
Normen

Tenor

Auf die Berufung des Verfügungsbeklagten zu 2. wird das Urteil der 3. Zivilkammer des Landgerichts Cottbus vom 7. Oktober 2020 – 3 O 167/20 – aufgehoben, soweit es den Erlass einer einstweiligen Verfügung gegen den Verfügungsbeklagten zu 2. zum Gegenstand hat.

Die Kosten der Berufung trägt der Verfügungskläger.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Der Gegenstandswert der Berufung beträgt 2.000 €.

Gründe

I.

Der Verfügungskläger ist Mitglied der Stadtverordnetenversammlung der Stadt K… . Die Verfügungsbeklagten betreiben jeweils einen Facebook-Account.

Am 27.7.2020 und am 28.7.2020 wurde auf den Facebook-Accounts der Verfügungsbeklagten eine E-Mail des Verfügungsklägers vom 12.8.2019 veröffentlicht, die der Verfügungskläger zuvor an andere Mitglieder der Stadtverordnetenversammlung versandt hatte.

Der Verfügungskläger hat am 24.8.2020 in getrennten Verfahren Anträge auf den Erlass einstweiliger Verfügungen gegen die Verfügungsbeklagten gestellt. Das Landgericht hat durch Beschluss vom 7.10.2020 die Verfahren verbunden.

Der Verfügungskläger hat beantragt,

im Wege der einstweiligen Verfügung bei Meidung eines Ordnungsgeldes von bis zu 250.000 €, ersatzweise Ordnungshaft bis zu sechs Monaten,

1.

den Verfügungsbeklagten aufzugeben, es zu unterlassen, schriftliche oder sonstige drucktechnisch erstellte sowie ausdruckbare Korrespondenzbeiträge und andere Äußerungen des Verfügungsklägers, insbesondere im E-Mail-Verkehr, die erkennbar nicht für eine unbestimmte Anzahl von Dritten bestimmt sind, in sozialen Medien zu veröffentlichen oder weiterzuverbreiten, wie geschehen am 27.7.2020 und am 28.7.2020 auf Facebook;

2.

dem Verfügungsbeklagten zu 2. weiter aufzugeben, es zu unterlassen, private personenbezogene Daten des Verfügungsklägers, insbesondere die private Handynummer, in sozialen Medien zu veröffentlichen, wie geschehen am 27.7.2020 auf Facebook.

Die Verfügungsbeklagten haben beantragt,

die Anträge zurückzuweisen.

Das Landgericht hat durch Urteil vom 7.10.2020 unter Zurückweisung des weitergehenden Antragsbegehrens eine einstweilige Verfügung erlassen, durch die dem Verfügungsbeklagten zu 2. bei Meidung eines Ordnungsgeldes bis 250.000 €, ersatzweise Ordnungshaft bis zu sechs Monaten, untersagt worden ist, die Handynummer 0151-… und die E-Mail-Adresse …3@gmx.de des Verfügungsklägers in sozialen Medien zu veröffentlichen oder weiterzuverbreiten. Zur Begründung hat es ausgeführt, für den vom Verfügungskläger gestellten Antrag zu 1. fehle es an einem Verfügungsanspruch aus §§ 1004, 823 BGB, da sich die Veröffentlichungen nach Abwägung der widerstreitenden Belange der Parteien nicht als rechtswidrig darstellten. Zum Verfügungsantrag zu 2. bestehe hingegen ein Verfügungsanspruch des Verfügungsklägers, da ein überwiegendes Interesse des Verfügungsbeklagten zu 2. an der Veröffentlichung privater personenbezogener Daten des Verfügungsklägers nicht zu erkennen sei. Ein Verfügungsgrund sei im Hinblick auf die Verhinderung weiterer unerlaubter Handlungen und das Bestehen einer Wiederholungsgefahr ebenfalls gegeben.

Der Verfügungskläger hat am 9.11.2020 eine einfache Abschrift des Urteils durch seine Prozessbevollmächtigte über das elektronische Anwaltspostfach an die Prozessbevollmächtigten des Verfügungsbeklagten zu 2. übermittelt. Gleichfalls am 9.11.2020 hat die Prozessbevollmächtigte des Verfügungsklägers eine beglaubigte Abschrift des Urteils an die Prozessbevollmächtigten des Verfügungsbeklagten zu 2. durch das Einlegen in einen Postbriefkasten versandt. Die Postsendung ist den Prozessbevollmächtigten des Verfügungsbeklagten zu 2. am 11.11.2020 zugegangen.

Das vollständig abgefasste Urteil des Landgerichts ist dem Verfügungskläger am 9.11.2020 und dem Verfügungsbeklagten zu 2. am 10.11.2020 zugestellt worden. Der Verfügungsbeklagte zu 2. hat am 26.11.2020 Berufung eingelegt und diese begründet.

Der Verfügungsbeklagte zu 2. trägt vor, dass das Landgericht zu Unrecht das Bestehen eines den Erlass der einstweiligen Verfügung tragenden Unterlassungsanspruchs des Verfügungsklägers angenommen habe. Daneben sei die einstweilige Verfügung nach § 927 Abs. 1 ZPO aufzuheben, da sie nicht innerhalb der Monatsfrist nach § 929 Abs. 2 ZPO wirksam vollzogen worden sei.

Der Verfügungsbeklagte zu 2. beantragt,

das Urteil des Landgerichts Cottbus vom 7.10.2020 abzuändern und die einstweilige Verfügung unter Zurückweisung des auf ihren Erlass gerichteten Antrags aufzuheben.

Der Verfügungskläger beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Von der weiteren Darstellung des Sachverhalts wird gemäß §§ 540 Abs. 2, 313a Abs. 1 ZPO abgesehen.

II.

Die zulässige Berufung ist begründet. Sie führt zur Aufhebung der gegen den Verfügungsbeklagten zu 2. erlassenen einstweiligen Verfügung, ohne dass es einer Entscheidung dazu bedarf, ob die Voraussetzungen für den Erlass der einstweiligen Verfügung nach §§ 935 ff. ZPO vorliegen. Denn der Verfügungskläger hat die einstweilige Verfügung nicht rechtzeitig nach §§ 936, 929 Abs. 2 ZPO vollzogen, weshalb sie nach §§ 936, 927 ZPO der Aufhebung unterliegt.

Der nach § 927 Abs. 1 ZPO dafür erforderliche Antrag kann auch in der Berufung gestellt werden (Zöller/Vollkommer, ZPO, 33. Aufl., § 927, Rn. 9 MünchKomm./Drescher, ZPO, 6. Aufl., § 927, Rn. 9) und ist durch den Verfügungsbeklagten zu 2. in der Berufungsschrift vom 26.11.2020 gestellt worden.

Die Vorschriften der §§ 927, 929 ZPO gelten gemäß § 936 ZPO auch für die einstweilige Verfügung (Zöller/Vollkommer, a. a. O., § 936, Rn. 2). Dabei gilt das Erfordernis der Vollziehung nach § 929 Abs. 2 ZPO sowohl für die Beschluss- als auch für die Urteilsverfügung (BGH, Urteil vom 22.10.1992, IX ZR 36/92, zitiert nach juris; Zöller/Vollkommer, a. a. O., § 929, Rn. 12, 15). Einstweilige Verfügungen, die – wie vorliegend – dem Verfügungsschuldner ein Unterlassen aufgeben, sind davon nicht ausgenommen (BGH a. a. O.; Urteil vom 10.7.2014, I ZR 249/12, zitiert nach juris; Zöller/Vollkommer, a. a. O., § 929, Rn. 18). Die Vollziehung erfolgt regelmäßig durch die Zustellung einer Ausfertigung oder einer beglaubigten Abschrift der Entscheidung über den Erlass der einstweiligen Verfügung, wohingegen die Übermittlung einer einfachen Abschrift der Entscheidung grundsätzlich nicht ausreicht (BGH, Urteil vom 21.2.2019, III ZR 115/18, zitiert nach juris; Urteil vom 10.7.2014, I ZR 249/12, zitiert nach juris; Wieczorek/Schütze/Thümmel, ZPO, 5. Aufl., § 929, Rn. 16). Die Vollziehung hat gemäß § 929 Abs. 2 ZPO innerhalb eines Monats ab dem Tag der Verkündung der Entscheidung über den Erlass der einstweiligen Verfügung stattzufinden.

Nach diesen Grundsätzen kann im vorliegenden Fall eine rechtzeitige Vollziehung der durch das angefochtene Urteil ergangenen einstweiligen Verfügung nicht festgestellt werden. Die einmonatige Vollziehungsfrist hat mit der Verkündung des Urteils am 7.10.2020 begonnen und mithin gemäß § 222 ZPO, der auch für die Vollziehungsfrist nach § 929 Abs. 2 ZPO gilt (Zöller/Vollkommer, a. a. O., § 129, Rn. 9), bis Montag, dem 9.11.2020, angedauert. Bis dahin ist dem Verfügungsbeklagten zu 2. eine Ausfertigung oder beglaubigte Abschrift der Entscheidung des Landgerichts im Wege der Parteizustellung nicht übermittelt worden. Die am Abend des 9.11.2020 durch Einlegen in den Postbriefkasten versandte beglaubigte Abschrift hat den Verfügungsbeklagten zu 2. nicht mehr fristgerecht erreichen können und ist tatsächlich und unstreitig seinen Prozessbevollmächtigten erst am 11.11.2020 zugegangen. Die Übermittlung durch das elektronische Anwaltspostfach am 9.11.2020 hat die Vollziehungsfrist nicht gewahrt, da nicht eine beglaubigte Abschrift, sondern lediglich eine einfache Abschrift des erstinstanzlichen Urteils übersandt worden ist; dies ist unstreitig, nachdem der Verfügungskläger dieser Sachverhaltsdarstellung des Verfügungsbeklagten zu 2. weder in der Berufungserwiderung vom 21.12.2020 noch in der mündlichen Verhandlung entgegengetreten ist.

Ein anderes Ergebnis folgt nicht daraus, dass es nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (Beschluss vom 15.12.2005, I ZB 63/05, zitiert nach juris) für die Wahrung der Frist nach § 929 Abs. 2 ZPO ausreicht, dass innerhalb der Frist die Vollstreckung bei der zuständigen Stelle beantragt wird. Denn der Verfügungskläger hat weder eine Vollstreckung beantragt noch – wenigstens – eine Durchführung der Parteizustellung durch den Gerichtsvollzieher in die Wege geleitet, sondern den Weg des einfachen Postversands gewählt. Demgemäß kann die hinter der dargestellten Rechtsprechung stehende Erwägung, dass der Gläubiger mit der Antragstellung bei der zuständigen Stelle alles getan hat, was ihm möglich ist, und er keinen Nachteil aus der Dauer des damit eingeleiteten Verfahrens erleiden soll (BGH a. a O.), nicht auf den vorliegenden Fall übertragen werden. Dass bereits die Aufgabe des zuzustellenden Schriftstücks zur Post ausreicht, kann auch nicht aus § 167 ZPO hergeleitet werden, da auch diese Vorschrift daran anknüpft, dass das Schriftstück fristgerecht in die Verfügungsgewalt des Gerichts gelangt und allein wegen dortiger Gegebenheiten erst nach dem eigentlichen Fristablauf den Zustellungsempfänger erreicht (vgl. Zöller/Greger, a. a. O., § 167, Rn. 5; Stein/Jonas/Roth, ZPO, 23. Aufl., § 167, Rn. 8; Wieczorek/Schütze/Rohe, a. a. O., § 167, Rn. 60). Demgemäß kann dem Verfügungskläger nicht für eine Zustellung durch den Gerichtsvollzieher und erst recht nicht für die Zustellung von Anwalt zu Anwalt darin gefolgt werden, dass bereits die Aufgabe des zuzustellenden Schriftstücks zur Post für die Wahrung der Vollziehungsfrist nach § 929 Abs. 2 ZPO ausreiche.

Der Einwand des Verfügungsklägers, dass ihm das Urteil des Landgerichts erst am 9.11.2020 zugestellt worden ist, ändert ebenfalls nichts an der Versäumung der Vollziehungsfrist. Denn der Verfügungskläger hätte, da die Vollziehungsfrist erst mit dem Ablauf des 9.11.2020 beendet gewesen ist, noch an diesem Tag einen Zustellauftrag in die Verfügungsgewalt des zuständigen Amtsgerichts bringen und die Vollziehungsfrist dadurch wahren können. Der Fall, dass dem Gläubiger die Entscheidung des Gerichts innerhalb der Vollziehungsfrist nicht zugestellt wird (vgl. Zöller/Vollkommer, a. a. O., § 929, Rn. 4; MünchKomm./Drescher, a. a. O., § 929, Rn. 6), liegt hier nicht vor und bedarf demzufolge keiner Entscheidung.

Dem Verfügungskläger kann gleichfalls nicht zugute gehalten werden, dass die Vollziehung einer durch Urteil ergangenen Unterlassungsverfügung auch anders als durch eine Zustellung im Parteibetrieb denkbar ist (BGH, Urteil vom 22.10.1992, IX ZR, 36/19, zitiert nach juris). Im Blick darauf mag erwogen werden können, dass die Übersendung einer einfachen Abschrift des Urteils ausreichen kann, wenn den Verfügungsschuldner zuvor die Zustellung der Entscheidung durch das Gericht erreicht hat und er damit die Authentizität und Richtigkeit des im Wege der Parteizustellung erhaltenen Titels prüfen und feststellen kann (so: OLG München, Urteil vom 6.2.2013, 15 U 2848/12, zitiert nach juris; a. A.: OLG Koblenz, Beschluss vom 4.5.2017, 9 W 650/16, zitiert nach juris). Auch dies bedarf indes keiner abschließenden Entscheidung durch den Senat, da im vorliegenden Fall die Zustellung des Urteils durch das Landgericht den Verfügungsbeklagten zu 2. nicht vor der Übersendung der Urteilsabschrift über das elektronische Anwaltspostfach am 9.11.2020, sondern erst danach am 10.11.2020 erreicht hat. Dabei vermag es dem Verfügungskläger nicht zur Seite zu stehen, dass die gerichtliche Zustellung den Verfügungsbeklagten zu 2. nur eine kurze Zeit nach der Übersendung im Parteibetrieb am 9.11.2020 erreicht hat; denn ein Abstellen auf die Urteilszustellung am 10.11.2020 würde zu einer unzulässigen Verlängerung der Vollziehungsfrist nach § 929 Abs. 2 ZPO führen (vgl. OLG Koblenz a. a. O.; Zöller/Vollkommer, a. a. O., § 929, Rn. 2) und kommt daher nicht in Betracht.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 91 ZPO. Eine Abänderung der Kostenentscheidung für die erste Instanz ist nicht veranlasst, da der Erfolg der Berufung allein auf der Nichteinhaltung der Vollziehungsfrist nach § 929 Abs. 2 ZPO beruht. Hätte der Senat eine Entscheidung in der Sache zu treffen, so würde die Berufung der Zurückweisung unterliegen, da die Entscheidung des Landgerichts nicht über die Antragstellung des Verfügungsklägers vom 24.8.2020 hinaus geht und im Rahmen der erforderlichen Abwägung der widerstreitenden Interessen dem Begehren des Verfügungsklägers, soweit es der Berufung angefallen ist, der Vorrang einzuräumen wäre, weil die Nennung seiner Handynummer und seiner E-Mail-Adresse der Veröffentlichung des Verfügungsbeklagten zu 2. nicht eine inhaltliche Werthaltigkeit verleiht, hinter der die berechtigten Interessen des Verfügungsklägers an einer vertraulichen Behandlung seiner Kontaktdaten zurückzustehen haben könnten.

Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit ergeht gemäß § 708 Nr. 6 ZPO.

Eine Zulassung der Revision kommt gemäß § 542 Abs. 2 Satz 1 ZPO nicht in Betracht.

Bei der Festsetzung des Gegenstandswertes orientiert sich der Senat an der Streitwertangabe in der Antragsschrift vom 24.8.2020 und folgt der aus der Kostenentscheidung des Landgerichts ersichtlichen Bewertung des Umfangs der erlassenen einstweiligen Verfügung mit einem Drittel davon.