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Beschwerde; vorläufiger Rechtsschutz eines Nachbarn gegen eine Baugenehmigung für einen Dritten; modulare Unterkunft für 385 Flüchtlinge; faktisches allgemeines Wohngebiet; wohnähnliche Anlage für soziale Zwecke; Befreiungslage; Gebietserhaltungsanspruch; Milieuschutz; Rücksichtnahmegebot; abriegelnde bzw. erdrückende Wirkung; Einsichtsmöglichkeiten; "Aussichtskanzeln"; Lärmemissionen; Recht auf Privatsphäre auf eigenem Grundstück; Wertminderung; Umgehung des städtebaulichen Planungserfordernisses; kein subjektivrechtlicher Anspruch auf Bauleitplanung; kommunalpolitische Entscheidungshoheit über Standortauswahl einer Flüchtlingsunterkunft


Metadaten

Gericht OVG Berlin-Brandenburg 10. Senat Entscheidungsdatum 27.04.2021
Aktenzeichen OVG 10 S 73/20 ECLI ECLI:DE:OVGBEBB:2021:0427.OVG10S73.20.00
Dokumententyp Beschluss Verfahrensgang -
Normen § 212a Abs 1 BBauG, § 1 Abs 3 BBauG, § 1 Abs 7 BBauG, § 34 Abs 2 BBauG, § 31 Abs 2 BBauG, § 4 Abs 2 Nr 1 BauNVO, § 4 Abs 2 Nr 3 BauNVO, § 22 Abs 2 S 2 BauNVO

Tenor

Die Beschwerde der Antragstellerinnen gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts Berlin vom 8. Oktober 2020 wird zurückgewiesen.

Die Kosten der Beschwerde einschließlich der außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen tragen die Antragstellerinnen.

Der Wert des Beschwerdegegenstandes wird auf 3.750,00 EUR festgesetzt.

Gründe

I.

Die Antragstellerinnen wenden sich im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes gegen eine Baugenehmigung, die der Antragsgegner der Beigeladenen zur Errichtung einer modularen Unterkunft für 385 Flüchtlinge erteilt hat.

Die Antragstellerinnen sind Eigentümerinnen des mit einem Einfamilienhaus bebauten Hammergrundstücks Z... (Flur 3..., Flurstücke 1...und 1...) in Berlin-Karlshorst, in welchem Familienangehörige leben, die ein dinglich gesichertes Wohnrecht haben.

Die Beigeladene ist Eigentümerin des aus den Flurstücken 1..., 1..., 1..., 1... und 1... bestehenden etwa 19.000 Quadratmeter großen Grundstücks mit den Adressen Z... und R..., 9..., 9..., das direkt südlich an das Grundstück der Antragstellerinnen angrenzt. Für das Gebiet gibt es keinen Bebauungsplan. Das Vorhabengrundstück liegt zwar im Geltungsbereich des Bebauungsplanentwurfs 11-160 „Rheinpfalzallee 83“ vom 20. März 2018, der die Festsetzung einer Gemeinbedarfsfläche für soziale Infrastruktureinrichtungen wie Schule, Sportplatz, Jugendfreizeit und Kindertagesstätte vorsehen soll; die Festsetzung ist indes nicht erfolgt.

Die Beigeladene plant auf dem an die Rheinpfalzallee grenzenden südlichen, etwa 8.000 Quadratmeter großen Grundstücksteil die Errichtung von zwei parallel zur Rheinpfalzallee in West-Ost-Richtung angeordneten Gebäuden in modularer Bauweise mit je vier Geschossen und mit einer Länge von etwa 73, einer Breite von 15 und einer Höhe von 13 Metern. Die GRZ beträgt 0,11 und die GFZ 0,45. Die östliche Stirnseite des südlichen Hauses A weist acht Wohnungsfenster sowie vier Flurfenster in symmetrischer Anordnung auf, die Stirnseite des nördlichen Hauses B lediglich vier Flurfenster. An den südlichen und nördlichen Längsseiten beider Häuser befinden sich ab dem 1. Obergeschoss Balkone. Die Zufahrt zum Areal erfolgt über den westlich des Vorhabens liegenden G..., wo vier Pkw-Stellplätze geplant sind.

Die Häuser beinhalten insgesamt 77 Apartments zur Unterbringung von bis zu 385 Flüchtlingen. Im Erdgeschoss sind Räume u.a. für den Hausmeister sowie Beratungs- und Aufenthaltsräume vorgesehen. Die im 1. bis 3. Stock gelegenen Wohnungen haben ein bis vier Zimmer und sind für zwei bis acht Personen ausgelegt. Jede Wohnung verfügt über eine eigene Küche, mindestens ein eigenes Bad und einen Balkon. Die Unterkunft ist hauptsächlich für sich selbst versorgende Familien vorgesehen, für die nur ein temporärer Bedarf an Betreuung und Beratung und kein Bedarf an einem Wachschutz besteht.

Auf den Antrag der Beigeladenen vom 30. August 2019 genehmigte die Senatsverwaltung für Stadtentwicklung und Wohnen mit Baugenehmigung Nr. 2... vom 21. Februar 2021 die Errichtung einer modularen Unterkunft vom Typ einer Gemeinschaftsunterkunft GU 3 für 385 Flüchtlinge in standardisierter Bauweise.

Gegen die Baugenehmigung haben die Antragstellerinnen am 26. Juni 2020 Klage bei dem Verwaltungsgericht Berlin (Az. VG 13 K 184/20) erhoben und zugleich einen Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung ihrer Klage gestellt.

Der Antragsgegner hat zwischenzeitlich den auf Anregung des Verwaltungsgerichts erfolgten Antrag der Beigeladenen auf Verlegung der Spiel- und Freizeitfläche in die Mitte der nördlichen Freifläche hinter das nördlich geplante Gebäude und des Sandspielplatzes in die Mitte zwischen den beiden geplanten Gebäuden mit dem 1. Nachtrag zur Baugenehmigung 2... vom 25. Januar 2021 genehmigt.

Das Verwaltungsgericht hat den Eilantrag der Antragstellerinnen mit Beschluss vom 8. Oktober 2020 abgelehnt. Hiergegen wenden sich die Antragstellerinnen mit ihrer Beschwerde.

II.

Die zulässige, insbesondere fristgerecht eingelegte Beschwerde hat keinen Erfolg. Die von den Antragstellerinnen dargelegten Gründe, auf deren Prüfung das Oberverwaltungsgericht beschränkt ist (§ 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO), rechtfertigen keine Änderung des angefochtenen Beschlusses.

Erfolglos rügt die Beschwerde Verletzungen des Gebietserhaltungsanspruchs (1.), des Rücksichtnahmegebots (2.), der Grundrechte aus Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG und Art. 14 Abs. 1 GG (3.) und sonstiger politischer Teilhaberechte (4.) durch die der Beigeladenen erteilte Baugenehmigung.

1. Die Antragstellerinnen können sich im Ergebnis nicht auf eine Verletzung ihres Gebietserhaltungsanspruchs durch das geplante Vorhaben wegen unzutreffender Einordnung der näheren Umgebung des Vorhabens (a.) sowie im Hinblick auf die geplante Nutzungsart (b.) berufen.

a. Die Ausgangsüberlegung des Verwaltungsgerichts, die nähere Umgebung des Vorhabens stelle ein faktisches allgemeines Wohngebiet im unbeplanten Innenbereich gemäß § 34 Abs. 2 BauGB i.V.m. § 4 BauNVO dar, zieht die Beschwerde nicht substantiiert in Zweifel. Ein Nachbar hat im Rahmen des § 34 Abs. 2 BauGB, der grundsätzlich nachbarschützende Qualität hat, auf die Bewahrung der Gebietsart einen Schutzanspruch, der über das Rücksichtnahmegebot hinausgeht. Der Abwehranspruch des Nachbarn wird grundsätzlich bereits durch die Zulassung eines mit der Gebietsart unvereinbaren Vorhabens ausgelöst, weil hierdurch das nachbarliche Austauschverhältnis gestört und eine Verfremdung des Gebietes eingeleitet wird (BVerwG, Beschluss vom 11. April 1996 – BVerwG 4 B 51.96 – juris Rn. 10 m.w.N.).

Das Verwaltungsgericht geht davon aus, dass sich die nähere Umgebung des Vorhabens als faktisches allgemeines Wohngebiet darstelle. Dieses umfasse zumindest den Baublock Z... Straße / R... / A... bzw. R... / R...Straße. Es sei von ein- bis zweistöckigen Einfamilienhäusern und kleinen Mehrfamilienhäusern in offener Bauweise und vereinzelt das Wohnen nicht störenden gewerblichen Nutzungen und Anlagen für soziale Zwecke (Tierarztpraxis, Blumengeschäft, Versicherungsbüro, Grundschule, Kindergarten) geprägt. Offen bleiben könne, ob der Baublock darüber hinaus im Osten bis zur T... Straße bzw. K... Straße und im Westen bis zur N... Straße reiche, da der Gebietscharakter derselbe sei.

Diese Erwägungen werden von der Beschwerde nicht substantiiert erschüttert. Soweit sie es unter pauschalem Verweis auf ihre erstinstanzlichen Ausführungen auch für möglich hält, die nähere Umgebung nach § 34 Abs. 1 BauGB zu beurteilen oder die Brachfläche als Außenbereich gemäß § 35 BauGB einzuordnen, genügt dies nicht dem Darlegungserfordernis gemäß § 146 Abs. 4 Satz 3 VwGO, denn es fehlt es an einer hinreichenden Auseinandersetzung mit der Begründung des Verwaltungsgerichts.

b. Anders als die Beschwerde meint, ist das Vorhaben seiner Art nach mit dem Charakter des faktischen allgemeinen Wohngebiets vereinbar, wobei es entgegen der Auffassung des Verwaltungsgerichts keiner Befreiung bedarf. Vielmehr ist die modulare Flüchtlingsunterkunft in dem faktischen allgemeinen Wohngebiet als wohnähnliche Anlage für soziale Zwecke bereits regelmäßig gemäß § 34 Abs. 2 BauGB i.V.m. § 4 Abs. 2 Nr. 1 und Nr. 3 BauNVO zulässig.

Die Antragstellerinnen und das Verwaltungsgericht sind der Auffassung, eine modulare Flüchtlingsunterkunft stelle eine eigenständige Nutzungsart dar, die vom Gesetzgeber bislang nicht in den Kanon der BauNVO überführt worden sei. Das Verwaltungsgericht hat dazu ausgeführt, der Gesetzgeber habe durch die ab 2014 vorgenommenen Änderungen von § 246 BauGB eine neue Nutzungsart „Aufnahmeeinrichtungen, Gemeinschaftsunterkünfte oder sonstige Unterkünfte für Flüchtlinge oder Asylbegehrende“ (vgl. § 246 Abs. 10 Satz 1 BauGB) definiert. Dieser Auffassung kann mit Blick auf die sowohl vor als auch nach 2015 zu Flüchtlings- und Asylbewerberunterkünften ergangene Rechtsprechung und auf die Gesetzesbegründungen zu den in § 246 BauGB ab 2014 erfolgten Änderungen nicht gefolgt werden.

Das Phänomen von und ein hoher Bedarf an Flüchtlings- bzw. Asylbewerberunterkünften sind nicht erst ab 2014/2015 bauplanungsrechtlich relevant geworden, sondern schon seit den 1990-er Jahren Gegenstand der Rechtsprechung. Das Bundesverwaltungsgericht hat 1997 in einer Kostenentscheidung ausgeführt, es spreche ganz Überwiegendes dafür, Asylbewerberunterkünfte wenn schon nicht generell oder in einem konkreten Fall als Wohnnutzung, dann jedenfalls als Einrichtungen für soziale Zwecke im Sinne der BauNVO anzusehen, so dass sie nach der Nutzungsart grundsätzlich in einem allgemeinen Wohngebiet zulässig seien. Dies scheine nicht zuletzt deshalb naheliegend, weil bei einer Verneinung dieser Frage solche oder ähnliche Unterkünfte keiner Gebietsart der Baunutzungsverordnung zugeordnet werden könnten mit der Folge, dass für sie Sondergebiete nach § 11 BauNVO auszuweisen wären. Ein solches Ergebnis erscheine für die fragliche Nutzung nicht sachgerecht (BVerwG, Beschluss vom 4. Juni 1997 – BVerwG 4 C 2.96 – juris Os. 1 und Rn. 3). Entsprechend wurde z.B. 2005 eine Asylbewerberunterkunft als Einrichtung für soziale Zwecke angesehen (HambOVG, Beschluss vom 27. Oktober 2005 – 2 BF 320/03 – juris Os. 1 und Rn. 3-4).

Hieran hat sich ab 2014/2015 nichts geändert. So wurden Flüchtlingsunterkünfte in allgemeinen Wohngebieten weiterhin als typischerweise gebietsverträglich angesehen (vgl. z.B. SächsOVG, Beschluss vom 1. September 2015 – 1 B 214/15 – juris Os. 2 und Rn. 7; VGH BW, Beschluss vom 23. Februar 2017 – 3 S 149/17 – juris Rn. 22), bei entsprechender Gestaltung sogar ausnahmsweise in einem reinen Wohngebiet (HessVGH, Beschluss vom 18. September 2015 – 3 B 1518/15 – juris Rn. 17-19). Auch nach der Rechtsprechung des Senats stellt eine modulare Flüchtlingsunterkunft eine dem Gebietscharakter eines allgemeinen Wohngebiets nicht ohne Weiteres fremde bzw. mit einer Wohnnutzung vereinbare soziale Einrichtung mit wohnähnlichem Charakter dar (OVG Bln-Bbg, Senatsbeschlüsse vom 19. Juli 2018 – OVG 10 S 52.17 – juris Rn. 28 und vom 19. Juli 2019 – OVG 10 S 22.19 – juris Rn. 50).

Ein Wille des Gesetzgebers ab 2014, für Flüchtlings- und Asylbewerberunterkünfte eine neue Nutzungsart außerhalb des Katalogs von § 1 Abs. 2 Nr. 1-10, §§ 2-10 BauNVO einzuführen, was deren Zulassungsfähigkeit einschränken würde, kann, wie der Antragsgegner und die Beigeladene zu Recht einwenden, den Gesetzesmaterialen zu den ab 2014 in § 246 BauGB erfolgten Änderungen nicht entnommen werden.

Mit der Änderung u.a. von § 246 Abs. 6 bis 8 BauGB bezweckte der Gesetzgeber ausweislich des Entwurfs eines Gesetzes über Maßnahmen im Bauplanungsrecht zur Erleichterung der Unterbringung von Flüchtlingen vom 8. Oktober 2014 gerade keine Erschwerung der Zulassung von Flüchtlingsunterkünften. Im Gegenteil wollte er die Genehmigungsfähigkeit von Flüchtlingsunterkünften gegenüber der bisherigen Rechtslage erleichtern und insoweit die Aufstellung eines Bebauungsplans mit obligatorischer Öffentlichkeitsbeteiligung entbehrlich machen. Im Zusammenhang mit Befreiungsmöglichkeiten in Gewerbegebieten spricht der Gesetzgeber von wohnähnlichen Aufnahmeeinrichtungen und Gemeinschaftsunterkünften für Flüchtlinge, die bisher von der Rechtsprechung vielfach im Gewerbegebiet auch als Ausnahme nicht zugelassen würden (BT-Drs. 18/2752, S. 11 f.).

Der Gesetzesbegründung zum Entwurf des Asylverfahrensbeschleunigungsgesetzes vom 29. September 2015, mit dem u.a. die Absätze 11-18 in § 246 BauGB eingeführt wurden, ist ebenfalls zu entnehmen, dass Flüchtlingsunterkünfte nach der Vorstellung des Gesetzgebers wohnähnliche Anlagen für soziale Zwecke darstellen. Zum neuen Abs. 11 heißt es ausdrücklich, Anlagen über Flüchtlingsunterkünfte seien als Anlagen für soziale Zwecke zu charakterisieren. Im Rahmen der Zulässigkeit solcher Anlagen in Gewerbegebieten spricht der Gesetzgeber vom „wohnähnlichen Charakter“. Zu mobilen Unterkünften wird ausgeführt, diese seien im Regelfall als „Unterfall von sozialen Einrichtungen“ einzuordnen (BT-Drs. 18/6185, S. 54).

Dies alles zeigt, dass der Gesetzgeber auch bei den Änderungen in § 246 BauGB ab 2014 für Flüchtlingsunterkünfte von der Nutzungsart „Anlage für soziale Zwecke“ mit einem wohnähnlichen Charakter ausging und für diese eine unkomplizierte Kompatibilität mit möglichst vielen Gebietsarten im Sinne des Katalogs der BauNVO, ggf. übergangsweise sogar im Gewerbegebiet, bezweckte.

Ob sich der Nutzerkreis einer solchen Unterkunft hinsichtlich sozialer Merkmale von der übrigen Wohnbevölkerung im Baugebiet unterscheidet, spielt entgegen der Auffassung der Antragstellerinnen keine Rolle. Denn das allgemeine Bauplanungsrecht soll und kann keinen „Milieuschutz“ gewährleisten. Vielmehr sind Wohnimmissionen auch in solchen Wohngebieten hinzunehmen, die durch eine andere homogene Wohnbevölkerung geprägt sind (BVerwG, Urteil vom 23. August 1996 – BVerwG 4 C 13.94 – juris Rn. 72). Die Lösung sozialer Konflikte, die im Zusammenhang mit der Unterbringung von Flüchtlingen entstehen können, gehört nicht zu den Aufgaben des öffentlichen Baurechts (OVG NW, Beschluss vom 19. Juli 2019 – 10 A 1802/18 – juris Os. 2 und Rn. 22).

Vorliegend sprengt die konkrete Ausgestaltung des Vorhabens nicht den Rahmen einer im allgemeinen Wohngebiet zulässigen Flüchtlingsunterkunft als wohnähnlicher Anlage für soziale Zwecke i.S.v. § 4 Abs. 2 Nr. 1 und Nr. 3 BauNVO, wovon auch das Verwaltungsgericht jedenfalls im Ergebnis ausgeht. Relevant für die Beurteilung der Gebietsunverträglichkeit sind alle mit der Zulassung des Vorhabens nach der Art der Nutzung typischerweise verbundenen Auswirkungen auf die nähere Umgebung. Auf das individuelle Verhalten von untergebrachten Personen kommt es baurechtlich grundsätzlich nicht an. Zum Begriff des Wohnens gehören eine auf Dauer angelegte Häuslichkeit, die Eigengestaltung der Haushaltsführung und des häuslichen Wirkungskreises und die Freiwilligkeit des Aufenthalts. Die Kriterien der Wohnnutzung dienen dabei der Abgrenzung von anderen Unterbringungsformen (Stock, in: König/Roeser/Stock, BauNVO, 4. Aufl. 2019, § 3 Rn. 16; HessVGH, Beschluss vom 18. September 2015 – 3 B 1518/15 – juris Ls. 4 sowie Rn. 9 und 16).

Hier besteht nach dem Nutzungskonzept der Beigeladenen kein Zweifel daran, dass den Bewohnern eine eigenständige und auf Dauer angelegte Häuslichkeit möglich sein wird, da es sich bei den 77 Apartments um abgeschlossene Wohnungen mit eigener Küche und eigenem Bad handelt, die nach Zuschnitt und Ausstattung für einen dauerhaften Aufenthalt mit Selbstversorgung geeignet sind und sich hierbei nicht von üblicher Wohnnutzung unterscheiden. Die Beigeladene trägt vor, die Wohnungen sollten an bereits gut integrierte Familien vergeben werden, die keine intensive Betreuung mehr benötigten, mit einer gewissen Dauer dort wohnen bleiben würden und die Wohneinheiten individuell ausgestalten könnten. In beiden Gebäuden befänden sich nur ein Gemeinschaftsraum und ein Beratungsraum, in dem nur zu bestimmten Zeiten eine Ansprechperson zur Verfügung stehen werde. Dadurch unterscheide sich diese Wohnform deutlich von der Unterbringung von Asylbewerbern, die einer umfangreichen Betreuung bedürften. Auch fehlten die Merkmale, die typischerweise eine Erstaufnahmeeinrichtung charakterisieren würden. Soweit die Antragstellerinnen einwenden, es treffe nicht zu, dass in dem Vorhabengebäude euphemistisch als „gut integrierte Familien“ bezeichnete Personen untergebracht würden, sondern die Erfahrung zeige, dass derartige Unterkünfte überwiegend von alleinstehenden Männern ohne Chance auf Bleiberecht genutzt würden, während gut integrierte Familien derartige „Sozialbaracken“ in der Regel mieden, handelt es sich um eine substanzlose, nicht durch entsprechende Tatsachen belegte Spekulation. Es dürfte allgemein bekannt und nachvollziehbar sein, dass auch gut integrierte Flüchtlingsfamilien mit Kindern derzeit auf dem allgemeinen Berliner Wohnungsmarkt nur sehr geringe Chancen haben, so dass von einem entsprechenden Interesse solcher Familien auszugehen ist. Auch richtet sich das Nutzungskonzept nach Wohnungsgröße und -ausstattung erkennbar nicht an Alleinstehende, sondern an Mehrpersonenhaushalte.

Damit weicht die vorgesehene Nutzung der streitgegenständlichen Unterkunft lediglich beim Kriterium der Freiwilligkeit von der üblichen Wohnnutzung ab. Wie die Beigeladene darlegt, werden beide Gebäude an das Landesamt für Flüchtlinge (LAF) vermietet und die Räumlichkeiten den Nutzern durch das LAF zur Verfügung gestellt, so dass keine Möglichkeit der Anmietung einzelner Wohneinheiten durch die Bewohner selbst besteht. Ob dies die Freiwilligkeit im bauplanungsrechtlichen Sinn vollständig ausschließt oder ob die öffentlich-rechtliche Grundlage der Unterbringung von Flüchtlingen bauplanungsrechtlich kein entscheidendes Kriterium darstellt (vgl. hierzu Stock, in: König/Roeser/Stock, BauNVO, 4. Aufl. 2019, § 3 Rn. 20 m.w.N.), bedarf hier keiner Entscheidung. Denn die vorliegende Nutzungsart trägt im Hinblick auf Eigenständigkeit und Dauerhaftigkeit der Haushaltsführung deutlich wohnähnliche Züge. Zugleich erfüllt sie durch den vom LAF zugewiesenen Nutzerkreis aus anerkannten Flüchtlingen und Asylbewerbern einen – was die Beschwerde auch ausdrücklich einräumt – sozialen Zweck im Sinne des § 4 Abs. 2 Nr. 3 BauNVO.

Auch unter dem Kapazitätsgesichtspunkt geht das Vorhaben mit den geplanten 77 Apartments für bis zu 385 Bewohner nicht über den Rahmen einer wohnähnlichen Anlage für soziale Zwecke hinaus. Die diesbezüglichen Einwände der Antragstellerinnen, es handele sich um ein unzumutbares „Durchgangsbehelfslager“ mit möglichst vielen Nutzern auf engstem Raum, weshalb bei einem erheblichen Teil der Nutzer von einer nicht unerheblichen kriminellen Energie in Form von Beschaffungskriminalität oder Drogenhandel auszugehen sei, greifen nicht durch.

In der Rechtsprechung wurden sogar Einrichtungen mit bis zu 700 Plätzen als wohnähnlich und mit dem Gebietscharakter des allgemeinen Wohngebiets verträglich angesehen (Flüchtlingsunterbringung mit 700 Plätzen als Folgeunterbringung in einem allgemeinen Wohngebiet: HambOVG, Beschluss vom 9. Mai 2016 – 2 Bs 38/16 – juris Rn. 2 und Rn. 28; Unterkunft für 492 Flüchtlinge angrenzend an ein festgesetztes allgemeines Wohngebiet: OVG Bln-Bbg, Senatsbeschluss vom 19. Juli 2019 – OVG 10 S 22.19 – juris Rn. 1; Unterkunft für ca. 250 Flüchtlinge im Außenbereich direkt angrenzend an Doppelhaus-Wohnbebauung: OVG Bln-Bbg, Senatsbeschluss vom 19. Juli 2018 – OVG 10 S 52.17 – juris Rn. 1 ff.; Belegung mit 100 Personen: VGH BW, Beschluss vom 23. Februar 2017 – 3 S 149/17 – juris Rn. 22). Hier ist die geplante maximale Bewohnerzahl zwar vergleichsweise hoch, liegt aber dennoch nicht am oberen Rand dessen, was in Großstädten wie Hamburg oder Berlin bereits als im allgemeinen Wohngebiet verträglich angesehen wurde. Dabei ist zu berücksichtigen, dass gerade in Großstädten sowohl Wohnanlagen als auch Anlagen zu sozialen Zwecken typischerweise erhebliche Kapazitäten aufweisen können. Das vorliegende Nutzungskonzept sieht für den einzelnen Bewohner im Apartment ausreichenden Freiraum und Möglichkeiten zur privaten Lebensgestaltung vor, so dass von lagerartigen Zuständen keine Rede sein kann.

Etwaigen Straftaten und sonstigen Störungen und Belästigungen durch Bewohner einer Flüchtlingsunterkunft oder Dritte ist ggf. mit polizei- und ordnungsrechtlichen Mitteln oder im Wege des zivilrechtlichen Nachbarschutzes zu begegnen. Die allgemeine Gefahr von Eigentumsstraftaten, die jeden Nutzer von Grundstücken in jedem Baugebiet treffen kann, ist nicht geeignet, einen städtebaulichen Belang von Gewicht und die Unzumutbarkeit einer Grundstücksnutzung zu begründen (vgl. HambOVG, Beschluss vom 9. Mai 2016 – 2 Bs 38/16 – juris Rn. 30). Für konkrete, gerade aus der im Streit stehenden Unterkunft resultierende Gefahren geben die vagen, durchweg allgemein gehaltenen Erwägungen der Beschwerde nichts her. Der Hinweis auf etwaige Überlastungen von Polizei und Justiz im Land Berlin führt ebenfalls nicht weiter; Baubehörden kommt keine Auffangzuständigkeit bei Überlastung von Sicherheits- oder Justizbehörden zu. Ebenso unerheblich ist, ob die Betreuung der Flüchtlinge in sozialer und psychologischer Hinsicht ausreichend gewährleistet ist, weil es sich dabei nicht um einen baurechtlichen, sondern um einen sozialrechtlichen Belang handelt.

Soweit die Antragstellerinnen rügen, das Vorhaben werde eine negative Vorbildwirkung erzeugen, weil es zu einer Bebauung von 45 Prozent der ca. 19.000 Quadratmeter großen Freifläche führe, zielt dies nicht auf die Art, sondern das Maß der baulichen Nutzung, nämlich auf die überbaute Grundfläche. Das Verwaltungsgericht hat insoweit in dem angefochtenen Beschluss festgestellt, dass die Grundstücksausnutzung durch das Vorhaben in der näheren Umgebung ohne Vorbild sei und dass dies für eine Versagung der Baugenehmigung herangezogen werden könnte. Dies verhilft den Antragstellerinnen als Nachbarn jedoch nicht zu einem Abwehrrecht aus ihrem Gebietserhaltungsanspruch. Denn das Maß der baulichen Nutzung ist, wie das Verwaltungsgericht zutreffend ausführt, für sich genommen nicht nachbarschützend. Daher kommt es auf die von der Beschwerde vorgetragenen Nutzungsmaße in dem 1934 zwischen dem damaligen Eigentümer und der Stadt Berlin geschlossenen Vertrag ebenfalls nicht an.

Angesichts der bereits regelmäßig gemäß § 4 Abs. 2 Nr. 1 und Nr. 3 BauNVO bestehenden Zulässigkeit des Vorhabens kann offen bleiben, ob, wie das Verwaltungsgericht annimmt, eine bloße Befreiungslage bereits ausreicht, um die Vereinbarkeit mit dem nachbarlichen Gebietserhaltungsanspruch zu bejahen (diese Ansicht ablehnend: OVG RP, Beschluss vom 9. Dezember 2020 – 8 B 11336/20 – juris Ls. 2 und Rn. 26 f.), oder ob die Befreiung zuvor bereits ermessensfehlerfrei – z.B. auch im Hinblick auf die Auswahl des Standorts – erteilt sein muss. Denn es bedarf hier keiner Befreiung.

2. Die Beschwerde legt nicht hinreichend dar, dass eine Rücksichtslosigkeit des Vorhabens gegenüber den Antragstellerinnen im Hinblick auf eine abriegelnde bzw. erdrückende Wirkung (a.), unzumutbare Einsichtsmöglichkeiten (b.), unzumutbaren Lärm (c.), drohende Anschläge auf die geplante Unterkunft (d.) oder die Baustelleneinrichtung (e.) gegeben wäre.

Für eine Verletzung des Rücksichtnahmegebots genügt es nicht, wenn ein Vorhaben die Situation für den Nachbarn nachteilig verändert. Eine Rechtsverletzung ist vielmehr erst dann anzunehmen, wenn der Nachbar in städtebaulich relevanten Belangen unzumutbar beeinträchtigt ist. Dies lässt sich nicht anhand von verallgemeinerungsfähigen Maßstäben feststellen, sondern hängt von den jeweiligen konkreten Umständen des Einzelfalls ab. Bei der gebotenen Gesamtschau sind die schutzwürdigen Belange des Nachbarn einerseits und die mit dem Vorhaben verfolgten Interessen andererseits in den Blick zu nehmen und abzuwägen. Von Bedeutung sind dabei neben messbaren Kriterien wie Höhe und Länge des Gebäudes und Entfernung zum Nachbarn auch z.B. das Verhältnis der Baukörper auf den benachbarten Grundstücken und ihre Lage zueinander. Eine unzumutbare Beeinträchtigung im Sinne einer erdrückenden Wirkung wird etwa angenommen, wenn ein Vorhaben durch sein Ausmaß, seine Baumasse oder seine massive Gestaltung das Nachbargrundstück in besonderer Weise unangemessen benachteiligt (vgl. zum Ganzen OVG Bln-Bbg, Senatsbeschlüsse vom 19. Juli 2018 – OVG 10 S 52.17 – juris Rn. 20-21 m.w.N. und vom 27. November 2018 – OVG 10 S 57.17 – juris Rn. 18).

a. Eine erdrückende oder abriegelnde Wirkung des Vorhabens im Hinblick auf die Ausmaße der Vorhabengebäude und das Verhältnis ihrer Baukörper zur Nachbarbebauung ist mit der Beschwerde nicht hinreichend dargelegt.

Zunächst verweist die Beigeladene mit Recht darauf, dass das Vorhaben zu den Nachbargrundstücken einen Abstand von mindestens 12,64 Metern einhält, was exakt der Höhe der Vorhabengebäude entspricht und die Anforderungen nach § 6 Abs. 5 BauO Bln um mehr als das Doppelte übersteigt. Ebenfalls zutreffend hat das Verwaltungsgericht festgestellt, dass der Abstand des näher gelegenen Gebäudes B zur Grundstücksgrenze der Antragstellerinnen etwa 21 Meter und zu ihrem Wohnhaus etwa 26 Meter beträgt. Der Abstand des Gebäudes A beträgt zur Grundstücksgrenze sogar etwa 62 Meter und zum Wohnhaus etwa 66 Meter. Die deutlich eingehaltenen Abstandsflächen stellen bereits ein wichtiges Indiz dafür dar, dass das Vorhaben dem Rücksichtnahmegebot genügt. Die Wahrung der bauordnungsrechtlich geforderten Abstandsflächen schließt eine Verletzung des bauplanungsrechtlichen Rücksichtnahmegebots zwar nicht gänzlich aus (vgl. BVerwG, Urteil vom 23. Mai 1986 – BVerwG 4 C 34.85 – juris Rn. 17 f.). Sie ist aber in der Regel ein zuverlässiger Indikator dafür, dass der Nachbar nicht in seinen Rechten verletzt wird, soweit es um die Beeinträchtigung von Belangen geht, die durch das Abstandsflächengebot geschützt werden. Denn das Abstandsflächenrecht stellt in Bezug auf diese Belange seinerseits eine Konkretisierung des Gebots nachbarlicher Rücksichtnahme dar (vgl. BVerwG, Urteil vom 28. Oktober 1993 – BVerwG 4 C 5.93 – juris Rn. 22).

Nur das Gebäude B, das das Gebäude A fast vollständig verdeckt, wirkt zudem direkt auf das Grundstück der Antragstellerinnen ein. Dabei erfasst es jedoch nur etwa neun der insgesamt 22 Meter Grundstückstiefe und spart den sensibleren Bereich des Wohnhauses aus. Bereits dies spricht gegen eine abriegelnde Wirkung. Auch haben die Antragstellerinnen nicht dargelegt, dass das Vorhaben hinsichtlich Belichtung, Besonnung oder Belüftung negative Auswirkungen auf ihr Grundstück hätte.

Zwar besteht ein Missverhältnis zwischen den beiden Vorhabengebäuden einerseits und dem Wohnhaus der Antragstellerinnen und den Nachbarhäusern andererseits im Hinblick auf Höhe und Länge. Bereits der Höhenunterschied zwischen den viergeschossigen Vorhabengebäuden und dem zweigeschossigen Wohnhaus der Antragstellerinnen ist beträchtlich und führt dazu, dass das Gebäude B den Ausblick der Antragstellerinnen, wie das Verwaltungsgericht formuliert, in südwestlicher Richtung dominiert und in südlicher Hinsicht zur Hälfte verdeckt. Dies wird aber durch die großzügigen Abstandsflächen, die immer mindestens der Höhe der Vorhabengebäude entsprechen, deutlich gemildert. Die Länge der Vorhabengebäude mit jeweils ca. 73 Metern überschreitet zwar sowohl die Ausmaße der Nachbarbebauung als auch das gemäß § 22 Abs. 2 Satz 2 BauNVO zulässige Maß von 50 Metern bei offener Bauweise sehr deutlich. Jedoch entfaltet § 22 Abs. 2 Satz 2 BauNVO weder direkt noch analog drittschützende Wirkung (BVerwG, Urteil vom 5. Dezember 2013 – BVerwG 4 C 5.12 – juris Rn. 19). Bei Gesamtbetrachtung dieser Aspekte führt das Missverhältnis im Hinblick auf die unterschiedlichen Gebäudeausmaße nicht zur Unzumutbarkeit.

b. Die Beschwerde zeigt nicht auf, inwiefern die Einschätzung des Verwaltungsgerichts, das Rücksichtnahmegebot sei aufgrund des ausreichenden Sozialabstands auch bezüglich der Einsichtsmöglichkeiten gewahrt, unzutreffend wäre.

Auch in Bezug auf diese Belange gilt, dass ein Grundeigentümer, der sich gegen die Verwirklichung eines Bauvorhabens auf dem Nachbargrundstück zur Wehr setzt, unter dem Blickwinkel etwaiger Einsichtsmöglichkeiten grundsätzlich keine Rücksichtnahme erwarten kann, die über den Schutz hinausgeht, der diesen Interessen bereits durch die Grenzabstandsvorschriften zuteil wird (vgl. BVerwG, Urteil vom 28. Oktober 1993 – BVerwG 4 C 5.93 – juris Rn. 22). Auch neu geschaffene Einsichtsmöglichkeiten begründen nicht aus sich heraus eine Verletzung des Rücksichtnahmegebots (BayVGH, Beschluss vom 22. Mai 2019 – 9 ZB 17.54 – juris Rn. 5). Über die Indizwirkung der Einhaltung der Abstandsflächen hinaus kann eine Verletzung des Rücksichtnahmegebots durch die Stellung des Baukörpers und die dadurch bewirkten erhöhten Einsichtsmöglichkeiten nur in absoluten Ausnahmefällen zum Tragen kommen. Dies gilt vor allem in innerstädtischen Lagen (OVG Bln-Bbg, Senatsbeschlüsse vom 29. September 2010 – OVG 10 S 21.10 – juris Rn. 13 und vom 5. Juni 2015 – OVG 10 S 11.15 – juris Rn. 10), in denen grundsätzlich z.B. mit dem Verlust freier Aussicht und dem Hinzukommen von Baulichkeiten mit Einsichtsmöglichkeiten auf das Grundstück gerechnet werden muss (OVG Bln-Bbg, Senatsbeschluss vom 19. Juli 2018 – OVG 10 S 52.17 – juris Rn. 26).

Die Antragstellerinnen scheinen der Fehlvorstellung zu unterliegen, bereits eine neu geschaffene Einsichtsmöglichkeit als solche führe zu einer Unzumutbarkeit, wie ihre Auffassung zeigt, dass es keine Rolle spiele, ob neue Einsichtsmöglichkeiten nur für einen oder für 385 Nutzer entstehen würden. Demnach wäre jedes Bauvorhaben, das zu einer neuen Einsichtsmöglichkeit auf ein Nachbargebäude führt, unzumutbar; dass dies nicht sein kann, liegt auf der Hand.

Mit ihrem Einwand, es handele sich bei den Vorhabengebäuden um 14 Meter hohe Aussichtsplattformen, die ungehinderte Einsichtsmöglichkeiten auf die Wohnräume und in die Gärten der Nachbarhäuser ermöglichen würden, da auch aus einer Entfernung von mehr als 30 Metern Beobachtungen mit bloßem Auge möglich seien,zeigen die Antragstellerinnen nicht auf, warum diese Einsichtsmöglichkeiten unzumutbar und rücksichtslos wären.

Die aus der Rechtsprechung ersichtlichen Fallgestaltungen, in denen eine durch Einsichtsmöglichkeiten begründete Verletzung des Rücksichtnahmegebots bejaht worden ist, zeichnen sich etwa dadurch aus, dass die bauliche Anlage allein Aussichtszwecken dient (z.B. im Fall einer 30 Meter neben einem Einfamilienhausgrundstück gelegenen, 27 Meter hoher Aussichtsplattform für eine Vielzahl wechselnder Besucher: OVG Bln-Bbg, Beschluss vom 10. März 2006 – OVG 10 S 5.05 – juris Rn. 1, 10), die Verhältnisse derart beengt sind, dass kein Mindestmaß an Privatsphäre verbleibt (z.B. im Fall eines reihenhausbreiten Balkonanbaus bis 11 cm an die Grundstücksgrenze mit Blick auf die zuvor sichtgeschützte Terrasse und das einen Meter entfernte Schlafzimmer des rückwärtigen Nachbarn: OVG NRW, Urteil vom 22. August 2005 – 10 A 3611/03 – juris Rn. 26, 57, 60) oder Unzumutbarkeit aus dem Zusammenspiel von räumlicher Enge und einem vorhersehbar erheblichen Umfang der Nutzung zur Einsicht resultiert (so im Fall vollverglaster, aus der Gebäudewand hervortretender „Aussichtskanzeln“ mit bodentiefem Blick auf ein zwei Meter entferntes Nachbargrundstück, die zur Anlage von Sitzgelegenheiten einladen: HambOVG, Urteil vom 17. Januar 2002 – 2 Bf 359/98 – juris Rn. 9 und 74).

Diese Fälle sind mit dem vorliegenden vor allem deshalb nicht vergleichbar, weil selbst das näher gelegene Vorhabengebäude B einen großzügigen Abstand von ca. 21 Metern zur Grundstücksgrenze und ca. 26 Metern zum Wohnhaus der Antragstellerinnen wahrt. Aufgrund der geplanten bzw. bestehenden Bepflanzung an der Grundstücksgrenze, die das Grundstück der Antragstellerinnen zumindest während der Vegetationsperiode weitgehend gegen Einsicht abschirmt, dürften sich Einsichtsmöglichkeiten zudem lediglich aus den oberen Stockwerken ergeben. Diese befinden sich in Höhen von etwa drei, sechs und neun Metern, nicht jedoch in einer Höhe von 14 Metern, denn auf den Dächern der 12,64 Meter hohen Vorhabengebäude sind ausweislich der Planungsunterlagen lediglich verschlossene Dachlichtkuppeln vorgesehen.

Auch die sieben Balkonreihen auf der Nordseite des Gebäudes B weisen, selbst unter Berücksichtigung des Umstandes, dass die Aufenthaltsdauer auf Balkonen typischerweise länger als an Fenstern ist, nicht den Charakter einer „Aussichtskanzel“ auf. Anders als eine innenliegende Sitzgelegenheit müssen sie zum Zweck des Ausblicks erst gezielt aufgesucht werden. Da die Balkone jeweils an eine (Ess-)Küche angrenzen, drängt es sich auch nicht auf, unmittelbar hinter den Austritten Sitzgelegenheiten für längerdauernde Ausblicke einzurichten. Schließlich ist bereits der Abstand zwischen der nächstgelegenen Balkonreihe und dem Grundstück bzw. Wohnhaus der Antragstellerinnen mit ca. 20 bzw. ca. 25 Metern ein deutlich anderer als in den vorgenannten Fällen,was erst recht für die übrigen Balkonreihen gilt. Nichts anderes folgt aus der Mutmaßung der Antragstellerinnen, die nördlichen Balkone würden verstärkt genutzt, um Kinder zu beaufsichtigen, die auf der an die Nordseite des Gebäudes verlegten Spiel- und Freizeitfläche spielen, denn in der Blickrichtung ihres Grundstücks befindet sich diese Fläche lediglich von den beiden hinteren Balkonreihen aus gesehen, die ca. 46 und ca. 54 Meter entfernt von diesem liegen.

Dass fünf der fünfzehn Fensterreihen auf der Nordseite des Gebäudes B bodentief sind, qualifiziert diese ebenfalls nicht als für längerfristige Ausblicke angelegte „Aussichtskanzeln“, weil sie nicht aus dem Gebäude hervortreten, und es sich deshalb nicht aufdrängt, an dieser Stelle eine Sitzgelegenheit einzurichten. Dies gilt umso mehr, weil die Größe der dahinter gelegenen Zimmer (14 bis 17 qm) es kaum zulassen dürfte, zusätzlich zu einem Bett oder Sofa eine Sitzmöglichkeit am Fenster zu schaffen.

Von den nächstgelegenen zwei Fenstern und dem ersten Balkon auf der Nordseite des Gebäudes B besteht zwar ein gerader Blick auf etwa das jedenfalls 20 Meter entfernte Grundstück, der sensiblere Bereich des jedenfalls 25 Meter entfernten Wohnhauses kann jedoch nur schräg eingesehen werden. Dies gilt umso mehr für die anderen Fenster- und Balkonreihen, die noch weiter und schräger zum Grundstück und Wohnhaus der Antragstellerinnen liegen. Zutreffend geht das Verwaltungsgericht davon aus, dass ein solcher, von der geraden Ausrichtung abweichender Blick typischerweise nur flüchtig erfolgt. Dafür spricht zudem, dass der sich den Bewohnern bietende Ausblick nur geringen Veränderungen unterliegt und deshalb ein Gewöhnungseffekt eintritt, anders als es bei Besuchern einer Aussichtsplattform der Fall wäre (vgl. dazu OVG Bln-Bbg, Beschluss vom 10. März 2006 – OVG 10 S 5.05 – juris Rn. 10).

Schließlich eröffnet sich aus den beiden normalgroßen Wohnfensterreihen an der Stirnseite des Gebäudes A, die mehr als 60 Meter entfernt sowie fast im rechten Winkel zum Grundstück der Antragstellerinnen liegen und üblicherweise nur zu vorübergehenden Ausblicken genutzt werden, keine unzumutbare Einsichtsmöglichkeit. Gleiches gilt für die bodentiefen Flurfensterreihen an der Stirnseite beider Gebäude, die ca. 28 Meter bzw. mehr als 60 Meter entfernt liegen und noch flüchtiger genutzt werden.

Geradezu lebensfremd erscheint in dem Zusammenhang, dass die Antragstellerinnen jederzeit damit rechnen müssen, dass die Bewohner Hilfsmittel „missbrauchten“, um Vorgänge auf ihrem Grundstück zu beobachten, was zu einer permanenten psychischen Belastung führe. Es gibt keinen Erfahrungssatz dahingehend, dass in einer Flüchtlingsunterkunft z.B. mit einem Einsatz von Drohnen, Ferngläsern o.ä. durch Bewohner gerechnet werden müsste.

c. Der Einwand der Beschwerde, das Vorhaben sei auch wegen unzumutbarer Lärmbelästigungen rücksichtslos, greift nicht durch. Typischerweise von Wohngrundstücken ausgehende Geräusche wie Gespräche, Musik usw., die das Zusammenleben von Menschen regelmäßig prägen, sind bei baurechtlicher Betrachtung sogar in einem reinen Wohngebiet von den Nachbarn hinzunehmen. Auch von Bewohnern einer Flüchtlingsunterkunft ist unabhängig von ihrer Herkunft und Sozialisation und trotz der eingeschränkten Bedingungen ihrer Wohn- und Lebenssituation zu erwarten, dass sie die Grundregeln des Zusammenlebens, z.B. die Nachtruhe, beachten. Die auf Vermutungen gestützte gegenteilige Erwartung eines Nachbarn kann nicht Anlass für die Bauaufsichtsbehörde sein, quasi präventiv tätig zu werden, indem sie die Baugenehmigung für eine entsprechende Einrichtung versagt (OVG NW, Beschluss vom 19. Juli 2019 – 10 A 1802/18 – juris Rn. 18-20; VGH BW, Beschluss vom 23. Februar 2017 – 3 S 149/17 – juris Rn. 22). Für eine Flüchtlingsunterkunft mit 700 Plätzen wurden die erwartbaren Geräuschemissionen spielender Kinder auf einem vorgesehenen Spielplatz sowie die allgemeinen Lebensäußerungen der Bewohner bei Wahrung der gesetzlich vorgeschriebenen Abstände als nicht unzumutbar betrachtet, weshalb sie sogar in einem festgesetzten reinen Wohngebiet hinzunehmen seien (vgl. HambOVG, Beschluss vom 9. Mai 2016 – 2 Bs 38/16 – juris Rn. 2 und Rn. 28).

Dies zugrunde gelegt, vermag die Darlegung der Beschwerde, aus der Nutzung der umliegenden Freiflächen durch die Flüchtlinge würde sich eine unzumutbare Lärmbelastung der Antragstellerinnen ergeben, weil sich auf den Freiflächen bis zur Grenze des Grundstücks der Antragstellerinnen „ständig und im Übermaß Personen aufhalten würden“, täglich von morgens bis abends mindestens ein Drittel der Nutzer und Besucher, d.h. ca. 120 bis 150 Personen, und in den Sommermonaten sogar bis zu 400 Personen und mehr, nicht zu überzeugen. Das von den Antragstellerinnen heraufbeschworene Szenario ist äußerst unwahrscheinlich.

Zwar führt die Verlegung der ursprünglich an der Stirnseite der Vorhabengebäude vorgesehenen Spiel- und Freizeitfläche an die Nordseite des Gebäudes B dazu, dass diese etwas näher an das Grundstück der Antragstellerinnen heranrückt als ursprünglich geplant. Diese wahrt jedoch einen Abstand von etwa 26 Metern zur Grundstücksgrenze und etwa 35 Metern zum Wohnhaus. Ferner wird durch Bestandsbäume und Neupflanzungen Sicht- und Lärmschutz geboten. Zudem existiert zwischen den Häusern eine weitere Freizeitfläche mit Sandspielplatz, die den Bewohnern alternative Aufenthaltsmöglichkeit bietet und die vorgenannte Spiel- und Freizeitfläche entlastet. Auf den übrigen, näher zum Grundstück der Antragstellerinnen gelegenen Freiflächen des Vorhabens wurde die ursprüngliche Planung im Rahmen der Nachtragsgenehmigung hingegen durch entsprechende Begrünung und den Verzicht auf Bänke so verändert, dass der dauerhafte Aufenthalt von Personen dort unmöglich wird. Unter diesen Umständen sind die Geräuschemissionen der Bewohner auch bei Nutzung der Freiflächen nicht unzumutbar.

Ebenso wenig haben die Antragstellerinnen dargelegt, dass sich aus der Nutzung der an ihre Grundstückszuwegung (Flurstück 164) angrenzenden Vorhabenzuwegung (Flurstück 167) eine unzumutbare Lärmbelastung ergeben würde. Da die nächstgelegenen Haltestellen, Einkaufsmöglichkeiten und Bildungseinrichtungen von den vier Eingängen der Gebäude A und B zumindest gleich gut, zumeist sogar besser über den Haupteingang am G... zu erreichen sind, ist nicht zu erwarten, dass der Besucher- und Bewohnerverkehr „365 Tage im Jahr über 24 Stunden am Tag“ oder auch nur im Schwerpunkt über die Zuwegung zur Z...Straße verlaufen wird. Auch ist kein Grund ersichtlich, der den Bewohnern und Besuchern Veranlassung geben könnte, sich auf der nur 28 Meter langen und zwei Meter breiten Zuwegung längere Zeit aufzuhalten. Schließlich ist zu erwarten, dass diese, nachdem sie die Zuwegung durchschritten haben, sich zumeist zeitnah einem der vier zwischen den Gebäuden gelegenen Hauseingänge zuwenden und sich damit weiter vom Grundstück der Antragstellerinnen entfernen werden. Unter diesen Umständen ist die mit der Zuwegungsnutzung verbundene Lärmbelästigung zumutbar.

Soweit die Antragstellerinnen rügen, das Verwaltungsgericht habe keine Untersuchungen dazu angestellt, dass die beiden Baukörper wie Schalltrichter wirken würden und der dadurch erzeugte Schall ungehindert auf das Grundstück der Antragstellerinnen einwirke, woran auch die Verlegung des Sport- und Spielplatzes nichts ändere, ist damit nicht substantiiert dargetan, dass die auf Grundlage von § 48 BImSchG erlassenen Grenzwerte der TA-Lärm, die die Grenze von Umwelteinwirkungen für Nachbarn und damit das Maß der gebotenen Rücksichtnahme mit Wirkung auch für das Baurecht festlegen (vgl. OVG Bln-Bbg, Senatsbeschlüsse vom 27. November 2018 – OVG 10 S 57.17 – juris Rn. 28 sowie vom 25. Juli 2017 – OVG 10 S 47.16 – juris Rn. 21), überschritten sein könnten. Weitere Ermittlungen waren somit entbehrlich.

d. Nicht auf einen Abwehranspruch führt die von der Beschwerde geltend gemachte Gefahr, dass es zu Anschlägen auf die Flüchtlingsunterkunft kommen könnte. Die Geltendmachung einer Gefahr von Anschlägen begründet keinen Verstoß gegen das Gebot der Rücksichtnahme (SächsOVG, Beschluss vom 1. September 2015 – 1 B 214/15 – juris Os. 3 und Rn. 8).

e. Der außerhalb der Beschwerdebegründungsfrist erfolgte Vortrag der Antragstellerinnen aus dem Schriftsatz vom 30. März 2021, dass auf der Baustelle drei Wachtürme aufgestellt worden seien, ist bereits wegen der Beschränkung der Prüfung des Beschwerdegerichts auf die innerhalb der Darlegungsfrist vorgetragenen Gründe (§ 146 Abs. 4 Sätze 1 und 6 VwGO) im Beschwerdeverfahren nicht berücksichtigungsfähig (vgl. OVG Bln-Bbg, Senatsbeschluss vom 10. Juni 2020 – OVG 10 S 64.19 – juris Rn. 17 m.w.N.). Aber auch der Sache nach sind in diesem Verfahren die Umstände der Errichtung des geplanten Vorhabens unbeachtlich.

Da sich aus keinem der von der Beschwerde vorgebrachten und unter a. bis e. erörterten Aspekte Anhaltspunkte für eine Unzumutbarkeit des Vorhabens ergeben, spricht auch bei einer Gesamtschau nichts für eine Verletzung des Rücksichtnahmegebots.

3. Entgegen der Auffassung der Antragstellerinnen besteht für diese kein unmittelbar aus dem Allgemeinen Persönlichkeitsrecht in Form des Rechts auf Privatsphäre auf dem eigenen Grundstück gemäß Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG oder der Eigentumsgarantie aus Art. 14 Abs. 1 GG folgender grundrechtlicher Abwehranspruch.

Das drittschützende Rücksichtnahmegebot stellt eine den Inhalt des Eigentums bestimmende gesetzliche Regelung dar (BVerwG, Urteil vom 23. August 1996 – BVerwG 4 C 13.94 – juris Rn. 73; vgl. auch OVG NW, Beschluss vom 19. Juli 2019 – 10 A 1802/18 – juris Rn. 25-27). Angesichts der Vereinbarkeit des Vorhabens mit dem einfachgesetzlichen nachbarschützenden Baurecht scheidet ein Rückgriff auf das Allgemeine Persönlichkeitsrecht aus. Weiter gibt es keinen allgemeinen Rechtssatz des Inhalts, dass ein Nachbar im Baurecht einen Anspruch darauf hat, vor jeglicher Wertminderung seines Grundstücks als Folge der Ausnutzung der einem Dritten erteilten Baugenehmigung bewahrt zu werden (vgl. OVG Bln-Bbg, Senatsbeschluss vom 7. Juli 2016 – OVG 10 S 15.16 – juris Rn. 21). Da sich jede – auch eine legale – Nachbarbebauung auf den Wert der umliegenden Grundstücke auswirken kann, ist ein Abwehranspruch nur gegeben, wenn die Wertminderung die Folge einer dem Betroffenen unzumutbaren Beeinträchtigung der Nutzungsmöglichkeiten des Grundstücks ist, wofür die Beschwerde – siehe oben – nichts dargelegt hat.

Es fehlt auch an einer hinreichenden Darlegung, warum die Erschließung des Vorhabengrundstücks mangelhaft sein und wie daraus eine unzumutbare Beeinträchtigung der Antragstellerinnen in ihrem Grundeigentum resultieren sollte. Denn ihr Grundstück wird durch die Z... Straße erschlossen, während der Haupteingang des Vorhabens auf der entgegensetzten Seite am G... Weg liegt. Angesichts der vier geplanten Pkw-Stellplätze ist mit einem erhöhten Verkehrsaufkommen durch Kraftfahrzeuge der Bewohner, Mitarbeiter und Besucher der Unterkunft nicht zu rechnen. Auch der Liefer-, Ver- und Entsorgungsverkehr dürfte sich in den Grenzen einer privaten Wohnanlage halten, weil sich die Bewohner der Unterkunft selbst versorgen und keine zentralen Einrichtungen wie Mensen o.ä. geplant sind.

4. Die Beschwerde hat auch einen Abwehranspruch wegen Verletzung etwaiger politischer oder sonstiger Teilhaberechte nicht substantiiert dargelegt.

Der Einwand der Antragstellerinnen, das Vorhabengrundstück werde dringend zur Behebung städtebaulicher Missstände benötigt, weshalb das Vorhaben faktisch zu einer Verletzung der baulichen Ziele führe, die nach dem BauGB von dem Antragsgegner mit den dort vorgesehenen Regularien zu verfolgen seien, zielt auf die Umgehung eines Planungserfordernisses und eine entsprechende Verletzung der durch § 1 Abs. 7 BauGB vermittelten Teilhaberechte (vgl. hierzu etwa BayVGH, Beschluss vom 1. Februar 2007 – 15 CS 06.2933 – juris Rn. 2 und Rn. 17). Dabei ist zunächst unbeachtlich, ob der Antragsgegner und die Beigeladene, wie die Antragstellerinnen mit einem ebenfalls außerhalb der Beschwerdebegründungsfrist entstandenen und vorgelegten Screenshot der Homepage der Beigeladenen nachweisen möchten, unter einem „Deckmantel“ sozialen Wohnungsbau betreiben und/oder sogar beabsichtigen, die Wohnungen von vornherein frei auf dem regulären Wohnungsmarkt zu vermieten. Denn die erteilte Baugenehmigung beschränkt sich allein auf die Nutzung als Flüchtlingsunterkunft und erstreckt sich nicht auf etwaige (Folge-)Nutzungen etwa als Sozialwohnungen, Studentenheim o.ä. Jede spätere Nutzungsänderung bedarf einer erneuten Genehmigung und beurteilt sich nach den dann geltenden baurechtlichen Bestimmungen (vgl. OVG Bln-Bbg, Senatsbeschluss vom 19. Juli 2018 – OVG 10 S 52.17 – juris Rn. 14).

Ob auf dem Vorhabengrundstück das Vorhaben städtebaulich erforderlich ist oder ob andere Vorhaben wie Wohnungen oder Schulen, Kitas, Sporthallen usw. vordringlicher sind, ist eine Frage der Bauleitplanung gemäß § 1 Abs. 3 BauGB. Für das Vorhabengebiet existiert kein Bebauungsplan, der das Stadium der Planreife gemäß § 33 BauGB erreicht hätte, sondern lediglich der Planaufstellungsbeschluss für den Bebauungsplan 11-160. Zur Sicherung des gefassten Planaufstellungsbeschlusses wurde auch keine Veränderungssperre erlassen. Dies alles verletzt jedoch die Antragstellerinnen als Nachbarinnen, die sich gegen eine Baugenehmigung wenden, nicht in eigenen Rechten, weshalb sich daraus kein Abwehranspruch ergibt. Zu einer solchen Konstellation führt das Bundesverwaltungsgericht aus:

„Zwar mag eine Baugenehmigung für ein Vorhaben, das einer verbindlichen Bauleitplanung bedarf, objektiv rechtswidrig sein, wenn sie ohne vorausgehende Planung erteilt wird. Nach § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO hängt der Erfolg der von dem Nachbarn gegen die Genehmigung gerichteten Anfechtungsklage aber davon ab, dass der Kläger durch die Genehmigung in subjektiven Rechten verletzt wird. Da es ein subjektives Recht des Einzelnen auf eine gemeindliche Bauleitplanung nicht gibt, gibt es auch, wenn die Gemeinde ein solches begonnenes Planaufstellungsverfahren – aus welchen Gründen auch immer – aufgibt, keinen Anspruch des Einzelnen auf Fortführung des Planaufstellungsverfahrens. Durch das Unterbleiben der Planaufstellung, selbst wenn diese objektivrechtlich geboten sein sollte, kann deshalb der Einzelne nicht im Sinne des § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO in subjektiven Rechten verletzt sein, und zwar auch nicht dadurch, dass er nicht die Gelegenheit zu Einwendungen erhält, die er in einem Planaufstellungsverfahren hätte und die nur in einem solchen Verfahren sinnvoll ist.“ (BVerwG, Beschluss vom 3. August 1982 – BVerwG 4 B 145.82 – juris Rn. 5).

Soweit die Antragstellerinnen darlegen, das Demokratieverständnis des Antragsgegners sei angesichts des Vorgehens der an dem „Runden Tisch“ beteiligten Akteure aus Sicht der Anwohner eine reine Farce, weil die konstruktiven Vorschläge der Antragstellerinnen für besser geeignete Standorte und eine offene und gebietstypische bauliche Variante übergangen worden seien, zeigen sie damit nicht auf, in welchem kommunalpolitischen oder sonstigen Verfahrensrecht sie dadurch verletzt sein könnten. Ein Nachbar kann, wenn die Bebauung z.B. mit einer Flüchtlingsunterkunft auf diesem Grundstück zulässig ist, nicht mit Erfolg die vorgelagerte kommunalpolitische Entscheidung angreifen, ob und in welcher Form Flüchtlinge und die für ihre Unterkunft erforderlichen baulichen Anlagen auf das Gemeindegebiet verteilt werden (OVG NW, Beschluss vom 19. Juli 2019 – 10 A 1802/18 – juris Rn. 11).

Bei summarischer Prüfung ist somit nicht ersichtlich, dass die erteilte Baugenehmigung die Antragstellerinnen in ihren Rechten verletzen und ihnen deshalb ein Abwehranspruch zustehen könnte, so dass ihr Interesse, von der Ausführung der Baugenehmigung vorerst verschont zu bleiben, die Interessen des Antragsgegners und der Beigeladenen am Vollzug der Baugenehmigung nicht überwiegt. Es bleibt daher bei der gesetzlich vorgeschriebenen Folge, dass die Klage der Antragstellerinnen gegen die Baugenehmigung keine aufschiebende Wirkung hat (§ 212a Abs. 1 BauGB), weshalb ihr Rechtsschutzantrag keinen Erfolg hat.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 und Abs. 3, § 162 Abs. 3, § 159 Satz 1 und 2 VwGO, § 100 ZPO. Es entspricht der Billigkeit, den Antragstellerinnen auch die außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen aufzuerlegen, da diese im Beschwerdeverfahren einen Zurückweisungsantrag gestellt und sich damit einem Kostenrisiko ausgesetzt hat (§ 154 Abs. 3 VwGO). Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 47 Abs. 1, § 53 Abs. 2 Nr. 2, § 52 Abs. 1 GKG i.V.m. Ziffern 1.5 und 9.7.1 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit 2013, wobei der Senat der erstinstanzlichen Festsetzung folgt.

Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO, § 68 Abs. 1 Satz 5 i.V.m. § 66 Abs. 3 Satz 3 GKG).