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Entscheidung 31 O 316/17


Metadaten

Gericht LG Neuruppin 31. Zivilkammer Entscheidungsdatum 20.11.2018
Aktenzeichen 31 O 316/17 ECLI ECLI:DE:LGNEURU:2018:1120.31O316.17.00
Dokumententyp Urteil Verfahrensgang -
Normen

Tenor

1. Die Klage wird abgewiesen.

2. Die Klägerin hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.

3. Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrags vorläufig vollstreckbar.

Beschluss

Der Streitwert wird auf 38.606,40 € festgesetzt.

Tatbestand

Die Klägerin begehrt von dem Beklagten Schadensersatz für 30 verstorbene Hirsche.

Die Klägerin betreibt in Spanien einen Nationalpark. Die Beklagte war für die amtsärztliche Kontrolle der tierschutzrechtlichen Bestimmungen während des Transports zuständig.

Die Klägerin kaufte im Jahr 2014 ein Gros Hirsche von einem in XXX liegenden Gut. Diese Hirsche sollten in mehreren Transporten zu der Klägerin nach Spanien verbracht werden. Für die Durchführung eines Transports wurde eine spezialisierte Transportfirma, der Streithelfer, beauftragt. Die Verladung fand am 30.09.2014 in Gegenwart des Amtstierarztes bei dem Verkäufer statt. Bei der Verladung nahmen auch Mitarbeiter des Verkäufers und der Käuferin Teil, sowie mehrere Fahrer. Insgesamt wurden 98 Hirsche auf das Transportfahrzeug geladen, was in der Bescheinigung für innergemeinschaftlichen Handel, Anlage K3, Bl. 31 der Akte, durch den Amtstierarzt vermerkt wurde. Die Fahrt begann am 30.09.2014, führte über Frankreich, wo ein Stopp am 01.10.2014 stattfand, und endete bei der Klägerin am 02.10.2014 mittags.

Die Klägerin behauptet, auf der Fahrt nach Frankreich seien bis zum 01.10.2014 bereits 20 Tiere verendet. Nach Ankunft am 02.10.2014 seien vier weitere Hirsche tot im Transportfahrzeug aufgefunden worden. Bis zum 03.10.2014 seien drei, bis zum 24.10.2014 wiederum drei Hirsche verstorben, somit insgesamt 30 Tiere. Sie seien aufgrund von Stress wegen des Platzmangels, Schwäche und Dehydration gestorben. Dies sei auf eine nicht artgerechte und insbesondere europarechtlichen Vorgaben nicht entsprechende Beladung des Transporters zurückzuführen. Die Transportfläche für die 98 Tiere, die jeweils etwa 200 kg wögen, habe lediglich 53,99 m² betragen, es seien jedoch 0,7-0,95 m² pro Tier erforderlich. Dies ergebe sich jedenfalls aus einem Vergleich der erfassten Tierarten gemäß der Verordnung (EG) 1/2005. Sie meint, die Ordnungsgemäßheit der Beladung zu kontrollieren, wäre Aufgabe des Amtstierarztes gewesen. Stattdessen habe der Amtstierarzt eigenmächtig die Zahl der zu verladenden Tier von 80 auf 98 Tiere erhöht.

Die Klägerin beantragt,

1. den Beklagten zu verurteilen, an sie 38.606,40 EUR nebst Zinsen i.H.v. 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 30.05.2015 zu zahlen;

2. den Beklagten zu verurteilen, ihr die außergerichtlichen Rechtsanwaltskosten durch Zahlung von 2.552,50 EUR direkt an sie zu ersetzen.

Der Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Er bestreitet den Anspruch dem Grunde und der Höhe nach. Der Amtstierarzt habe nicht eigenmächtig die Zahl der zu transportierenden Tiere erhöht. Vielmehr habe die eingegebene Zahl in den Begleitscheinen lediglich Platzhalterfunktion, die endgültige Zahl werde erst unmittelbar bei Transport eingetragen. Er trägt weiter vor, die Beladung sei artgerecht erfolgt. Die Tiere hätten nach ihrem Gewicht und ohne Geweih ausreichend Platz gehabt. Jedenfalls habe die von der Klägerin in Bezug genommene EU-Verordnung keinen drittschützenden Charakter. Er meint, es mangele auch an der Kausalität des Schadens. So hätte der Fahrer des Streithelfers mehr Pausen machen und den Zustand der Tiere kontrollieren müssen. Auch sei der Tod weiterer Tiere nach dem Transport nicht auf eine nicht ordnungsgemäße Beladung zurückzuführen.

Entscheidungsgründe

Die zulässige Klage ist unbegründet. Der Klägerin stehen keine Ansprüche auf Schadensersatz wegen einer Amtspflichtverletzung gemäß § 839 BGB i.V.m. Art. 34 GG gegen den Beklagten zu.

Der Beklagte, handelnd durch den Amtstierarzt für das Gesundheits- und Veterinäramt, hat nicht gegen eine drittschützende Norm verstoßen. Die Verordnung (EG) Nr. 1/2005 des Rates vom 22. Dezember 2004 über den Schutz von Tieren beim Transport und damit zusammenhängenden Vorgängen sowie zur Änderung der Richtlinien 64/432/EWG und 93/119/EG und der Verordnung (EG) Nr. 1255/97 - im Folgenden: Verordnung (EG) Nr. 1/2005 - entfaltet keine drittschützende Wirkung.

Ob im Einzelfall der Geschädigte zu dem Kreis der "Dritten" in diesem Sinne gehört, muss  danach beantwortet werden, ob die Amtspflicht - wenn auch nicht notwendig allein, so doch auch - den Zweck hat, das Interesse gerade dieses Geschädigten wahrzunehmen. Nur wenn sich aus den amtspflichtbegründenden und sie umreißenden Bestimmungen sowie aus der besonderen Natur des Amtsgeschäftes ergibt, dass der Geschädigte zu dem Personenkreis zählt, dessen Belange nach dem Gesetz und der rechtlichen Bestimmung des Amtsgeschäfts geschützt oder gefördert werden sollten, besteht ihm gegenüber bei schuldhafter Pflichtverletzung eine Schadensersatzpflicht. Hingegen tritt anderen Personen gegenüber, selbst wenn sich die Amtspflicht auf sie mehr oder weniger nachteilig auswirkt, eine Ersatzpflicht nicht ein. Es muss mithin eine besondere Beziehung zwischen der verletzten Amtspflicht und dem geschädigten „Dritten“ bestehen (BGH, Urteil vom 09.06.1994 - III ZR 126/93 (Amtshaftungsklage wegen unzureichend untersuchten Saatguts) = NVwZ 1994, 1237; Urteil vom 29. 3. 1971 - III ZR 110/68 = NJW 1971, 1172, beck-online; Rohlfing, MDR 2002, 254, juris, m.w.N.). Auch ist zu prüfen, ob gerade das im Einzelfall berührte Interesse nach dem Zweck der rechtlichen Bestimmung des Amtsgeschäfts geschützt werden soll. Es kommt demnach auf den Schutzzweck der Amtspflicht an. In solchen Fällen richtet sich die inhaltliche Bestimmung und die sachliche Begrenzung der Haftung unter dem Gesichtspunkt des Schutzzwecks nach dem Vertrauen, welches die Maßnahme begründen solle (BGHZ 144, 394 (396) = MDR 2000, 1375; BGHZ 123, 191 (198) = MDR 1993, 954; BGHZ 129, 17f. = MDR 1995, 696; BGHZ 121, 65 (67) = MDR 1993, 214, juris). Es kommt daher vor allem darauf an, ob bei der betreffenden Amtshandlung in qualifizierter und zugleich individualisierbarer Weise auf schutzwürdige Interessen eines erkennbar abgegrenzten Kreises Dritter Rücksicht zu nehmen ist (BGH BB 2001, 590 = MDR 2001, 631; BGHZ 108, 224 (227) = MDR 1989, 1084, juris).

Nach diesem Maßstab handelt es sich bei den im vorliegenden Fall als einzig in Betracht kommenden verletzten Amtspflichten aus der Verordnung (EG) Nr. 1/2005 nicht um drittschützende Normen. Sie obliegen nicht „einem Dritten gegenüber“. Die Normen der Verordnung (EG) 1/2005 dienen allein den Interessen der Allgemeinheit und nicht (auch) den Interessen einzelner. Sie sollen nicht die Klägerin vor möglichen Rechtsverletzungen schützen und Schäden durch verendete Tiere ersetzen.

Die Normen der Verordnung (EG) 1/2005, hier insbesondere die als verletzt in Betracht zu ziehenden Artt. 21 Abs. 1 i.V.m. 3 g), schützen das Wohl der Tiere, nicht jedoch das monetäre Interesse einzelner Händler oder Transporteure. Diese können zwar grundsätzlich ein Interesse daran haben, dass Tiere unversehrt ans Ziel gelangen. Begründet ist dies jedoch mit wirtschaftlichem Interesse, da anderenfalls Vermögenseinbußen zu erwarten sind, etwa durch schlechtere Absatzbedingungen oder - wie hier - eine geringere „Rückvergütung“ durch weniger Tiere, die zur Jagd freigegeben werden können. Wesentlich für Händler und Transporteure ist somit die Gewinnerzielung durch (ordnungsgemäße) Tiertransporte.

Die Verordnung (EG) 1/2005 regelt in Artikel 21, dass amtliche Tierärzte der Mitgliedstaaten kontrollieren, ob die Tiere in Einklang mit den Vorschriften der Verordnung transportiert werden. Hierbei ist insbesondere auch zu kontrollieren, ob die Tiere entsprechend ihrer Größe und der geplanten Beförderung über ausreichende Bodenfläche verfügen, Art. 3 g). Niemand darf nach Art. 3 eine Tierbeförderung durchführen oder veranlassen, wenn den Tieren dabei Verletzungen oder unnötige Leiden zugefügt werden könnten.

Die in Art. 21 Verordnung (EG) 1/2005 niedergelegten Prüfungs- und Überwachungspflichten für Amtstierärzte dienen damit der Sicherstellung von Transportbedingungen, unter denen die Tiere nicht leiden, die also möglichst artgerecht sind. Das Tierwohl und der Tierschutz sind öffentliche Interessen, vgl. Art. 20a GG. Sie bezwecken nicht auch den Schutz individueller Vermögensinteressen Dritter, die auf den Transport zum Zwecke der Gewinnerzielung gerichtet sind. Das Vertrauen der landwirtschaftlichen Betriebe, Transporteure und Händler bzw. Käufer von Tieren ist - im Sinne eines durch das Amtshaftungsrecht gewährten Vermögensschutzes - nicht geschützt.

Dies ergibt sich bereits aus den einleitenden Erwägungen der Verordnung. Hier wird durch den Rat klargestellt, dass durch die Verordnung dem Wohlergehen der Tiere insbesondere im Rahmen von Transporten, in vollem Umfang Rechnung getragen werden soll. Aus Tierschutzgründen sollten insbesondere lange Beförderungen begrenzt werden und im Übrigen allgemein ein möglichst schonender Transport gewährleistet werden. Nach Abs. 6 der Gründe sollte neben einer artgerechten Behandlung von Tieren auch der Ausbruch und die Ausbreitung von Tierseuchen ins Auge gefasst werden. Auch in den weiteren Erwägungsgründen steht allein die Tiergesundheit und ein möglichst stressfreier Transport der Tiere im Fokus. Gemäß Art. 1 Abs. 3 Verordnung (EG) 1/2005 strengere einzelstaatliche Maßnahmen getroffen werden, die den “besseren Schutz von Tieren bezwecken“. Damit wird deutlich, dass der Gesetzeszweck, von dem auch Inhalt und Schutzrichtung der Überprüfungs- und Kontrollpflichten der Behörden geprägt werden, dahin geht, das Wohlbefinden der Tiere sicherzustellen. Das bedeutet nicht mehr, als dass das Gesetz insoweit den Belangen der Allgemeinheit, insbesondere dem Tierschutz, dient. Anhaltspunkte dafür, dass es auch unmittelbar das Vermögensrechtliche Interesse der einzelnen Betriebe oder Händler schützt, gibt es dagegen nicht.

Die Gesetzgebungsgeschichte der Verordnung bestätigt diese Beurteilung. Bereits bei ihrer 1. Vorlage (Mitteilung der Kommission an den Rat und das Europäische Parlament über den Schutz von Tieren beim Transport, KOM/2003/0425 / Document COM:2003:425:FIN, abzurufen unter https://eur-lex.europa.eu/legal-content/EN-DE/TXT/?uri=COM:2003:425:FIN&from=EN, abgerufen am 10.07.2018) hat die EU-Kommission angeführt, dass es ein dringendes Bedürfnis gebe, den Tierschutz besser zu regeln. Zudem sollten Lebensmittelsicherheit und Tiergesundheit, die in einem untrennbaren Zusammenhang stehen, Berücksichtigung finden. Dies war auch Hintergrund der Richtlinie zum Schutz von Tieren beim Transport von 1977 und der Richtlinie 91/628/EWG des Rates in der durch die Richtlinie 95/29/EG geänderten Fassung. Es handelte sich im wesentlichen um eine Neufassung, um dem Tierschutz umfassend besser Rechnung zu tragen, nachdem sich hierfür ein gesteigertes Bewusstsein und Bedürfnis in der Bevölkerung entwickelt hatte. Dafür, dass nach der Vorstellung des Rats oder der Kommission die vorgeschriebenen Überprüfungen durch Amtstierärzte zugleich unmittelbar den Vermögensinteressen einzelner dienen sollen, ergibt die Entstehungsgeschichte des Gesetzes nichts.

Zwar ist es so, dass Kontrollen der ordnungsgemäßen Beladung, insbesondere ausreichendem Platz, durch Amtstierärzte auch einzelnen Betrieben, Händlern usw. zugute kommen, während Verletzungen der Kontrollpflichten ihre Vermögensinteressen nachteilig berühren können. Hierauf stützt sich auch die Klägerin, wenn sie darauf verweist, dass sie als Käuferin der Hirsche ein Interesse an der Einhaltung der Vorschriften habe. Das ist jedoch lediglich eine Reflexwirkung des eigentlichen Zwecks der Kontrolle, die es nicht rechtfertigt, die Betriebe in Bezug auf Absatznachteile und Gewinneinbußen, die ihnen infolge unzureichender Prüfung und Überwachung durch die Behörden der Länder, handelnd durch ihre Amtstierärzte, entstanden sind, als „Dritte“ im Sinne des § 839 Abs. 1 BGB zu behandeln (vgl. BGH, Urteil vom 12. Juni 1986 – III ZR 192/85 = VersR 1986, 1100 (1102), juris). Denn nach dem für die Beurteilung des Schutzumfangs kommt es auf Inhalt und Zweck des verletzten Gesetzes sowie darauf an, ob der Gesetzgeber bei Erlass des Gesetzes gerade einen Rechtsschutz, wie er wegen der behaupteten Verletzung in Anspruch genommen wird, zu Gunsten von Einzelpersonen oder bestimmten Personenkreisen gewollt oder doch mitgewollt hat. Es genügt damit zwar grundsätzlich, dass die Norm auch das in Frage stehende Interesse des Einzelnen schützen soll, mag sie auch „in erster Linie das Interesse der Allgemeinheit im Auge haben“ (zuletzt BGHZ 197, 225 = NJW 2014, 64 Rn. 7; s. zuvor etwa BGHZ 192, 90 = NJW 2012, 1800 Rn. 21; BGHZ 188, 326 = EuZW 2011, 440 Rn. 18; BGHZ 186, 58 = NJW 2010, 3651 Rn. 26). Dieser gesetzgeberische Wille zum bewussten Schutz spezifischer individueller Rechtsgüter lässt sich der Verordnung (EG) 1/2005 indes, wie geschildert, nicht entnehmen. Es genügt daher nicht, wenn sich die einschlägige Vorschrift darin erschöpft, dass der Individualschutz sich nur objektiv als Reflex einstellt, wenn sie von den Normadressaten - hier also den Veterinärämtern - befolgt wird.

Vorsorglich weist das Gericht darauf hin, dass es entgegen der - dem Streitverkündeten zu 2) nicht zugestellten Verfügung - vom 28.06.2018 dessen Schriftsatz vom 15.05.2018 aufgrund des darin ausdrücklich erklärten Vorbehaltens des Beitritts nicht als Erklärung des Beitritts auslegt.

Die Entscheidung über die Kosten beruht auf §§ 91, 101 Abs. 1 ZPO; die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit folgt aus § 709 ZPO.