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Entscheidung OVG 1 L 16/21


Metadaten

Gericht OVG Berlin-Brandenburg 1. Senat Entscheidungsdatum 06.05.2021
Aktenzeichen OVG 1 L 16/21 ECLI ECLI:DE:OVGBEBB:2021:0506.OVG1L16.21.00
Dokumententyp Beschluss Verfahrensgang -
Normen § 56 IfSG, § 9 CoronaV2V BE, § 40 Abs 1 S 1 VwGO, § 65 IfSG, § 40 Abs 2 S 1 VwGO

Leitsatz

Für die Zahlungsklage eines Veranstaltungstechnikers (sog. Soloselbständiger) auf Entschädigung für seinen Verdienstaufall aufgrund von generellen Veranstaltungsverboten ist der Rechtsweg zu den Verwaltungsgerichten nicht eröffnet.

Tenor

Die Beschwerde des Klägers gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts Berlin vom 23. März 2021 wird zurückgewiesen.

Der Kläger trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.

Die weitere Beschwerde wird nicht zugelassen.

Gründe

Die nach § 17a Abs. 4 Satz 3 Gerichtsverfassungsgesetz (GVG) i.V.m. § 173 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) statthafte sowie gemäß § 147 Abs. 1 VwGO fristgerecht eingelegte Rechtswegbeschwerde des Klägers ist nicht begründet.

Das Verwaltungsgericht hat zutreffend entschieden, dass für den Entschädigungsanspruch wegen Verdienstausfalls des Klägers aufgrund des „coronabedingten Veranstaltungsverbots“ (vgl. zzt. § 9 Abs. 1 und 2 der 2. InfSchMV vom 13. April 2021) der Rechtsweg zu den Verwaltungsgerichten nach § 40 Abs. 1 Satz 1 VwGO nicht eröffnet ist, weil § 68 Abs. 1 Satz 1 IfSG nur die Ansprüche nach den §§ 56 bis 58 IfSG, nicht aber durch deren analoge Anwendung begründete Ansprüche erfasst. Hierzu im Einzelnen:

1. a. Für eine Entschädigungspflicht des Beklagten nach § 56 Abs. 1 Satz 1 Infektionsschutzgesetz (IfSG), über die im Streitfall die Verwaltungsgerichte zu entscheiden haben (vgl. § 68 IfSG n.F.), ist nichts ersichtlich. Der Kläger war nicht „auf Grund dieses Gesetzes als Ausscheider, Ansteckungsverdächtiger, Krankheitsverdächtiger oder als sonstiger Träger von Krankheitserregern im Sinne von § 31 Satz 2 Verboten in der Ausübung seiner bisherigen Erwerbstätigkeit“ unterlegen oder unterworfen und hat dadurch einen Verdienstausfall erlitten. § 56 IfSG ist auch nach Ansicht des Klägers (vgl. Klageschrift S. 8) „dem Wortlaut nach“ nicht anwendbar.

b. Soweit sich der geltend gemachte Zahlungsanspruch primär aus einer analogen Anwendung des § 56 IfSG ergeben soll, gilt nichts anderes. Unabhängig davon, ob eine entsprechende Anwendung von § 56 (oder § 65 IfSG) in Betracht kommt, was die zivilgerichtliche Rechtsprechung - soweit ersichtlich - einhellig verneint (vgl. LG München I, Urteil vom 28. April 2021 - 15 O 10858/20 u.a. - PM juris, zu § 65 IfSG; LG Hamburg, Urteil vom 9. April 2021 - 303 O 65/20 - juris Rn. 40 ff.; LG Potsdam, Urteil vom 26. Januar 2021 - 4 O 146/20 - [n.v.]; VG Köln, Urteil vom 12. Januar 2021 - 5 O 215/20 - juris Rn. 32 ff.; LG Berlin, Urteil vom 13. Oktober 2020 - 2 O 247/20 - https://openjur.de/u/2303332.html, Rn. 32 ff. <35>, zu § 65 IfSG; LG Hannover, Urteil vom 9. Juli 2020 - 8 O 2/20 - juris Rn. 32 ff. und 37 ff.; LG Heilbronn, Beschluss vom 29. April 2020 - 4 O 82/20 - juris Rn. 25), ist der Verwaltungsrechtsweg auch mit diesem Begründungsansatz nicht gegeben.

Bis zum Inkrafttreten des Dritten Gesetzes zum Schutz der Bevölkerung bei einer epidemischen Lage von nationaler Tragweite vom 18. November 2020 (BGBl. I 2397) war für Entschädigungsansprüche nach § 56 IfSG und Erstattungsansprüche nach § 56 Abs. 4 Satz 2 IfSG der ordentliche Rechtsweg gegeben (vgl. § 68 Abs. 1 IfSG a.F.). Dass die Neufassung von § 68 Abs. 1 IfSG „für Streitigkeiten über Ansprüche nach den §§ 56 bis 58 und 65 gegen das nach § 66 Abs. 1 IfSG zur Zahlung verpflichtete Land“ nunmehr den Verwaltungsrechtsweg vorsieht, gilt nicht für den auf eine entsprechende Anwendung von § 56 IfSG gestützten Anspruch.

aa. Entgegen der Ansicht der Beschwerde hat der Gesetzgeber „mit dem neu in Kraft gesetzten § 68 Abs. 1 IfSG“ (gemeint ist das Dritte Gesetz zum Schutz der Bevölkerung bei einer epidemischen Lage von nationaler Tragweite vom 18. November 2020, a.a.O.) keineswegs zum Ausdruck gebracht oder bringen wollen, dass auf die entsprechende Anwendung von § 56 IfSG gestützte Klagen von den Verwaltungsgerichten zu entscheiden sind. Die Gesetzesmaterialien zum Infektionsschutzgesetz (vgl. Beschlussempfehlung und Bericht zu dem Gesetzentwurf eines Dritten Gesetzes zum Schutz der Bevölkerung bei einer epidemischen Lage von nationaler Tragweite, BT-Drs. 19/24334, S. 75 zu Nr. 21c) beziehen sich naturgemäß nur auf Streitigkeiten über die im Infektionsschutzgesetz ausdrücklich geregelten Ansprüche. Dies gilt auch hinsichtlich der Zuweisung von „Streitigkeiten über Ansprüche nach einer auf Grund des § 20i Absatz 3 Satz 2 Nummer 1 Buchstabe a, auch in Verbindung mit Nummer 2, des Fünften Buches Sozialgesetzbuch sowie § 5 Absatz 2 Satz 1 Nummer 4 Buchstabe c und f erlassenen Rechtsverordnung“ zum Verwaltungsrechtsweg nach § 68 Abs. 1a IfSG (n.F.) aufgrund des Gesetzes zur Fortgeltung der die epidemische Lage von nationaler Tragweite betreffenden Regelungen vom 29. März 2021 (BGBl. I 370). Mit dieser Ergänzung in § 68 Abs. 1a IfSG sollte lediglich die unklar gewesene Zuständigkeit zwischen den Sozial- und Verwaltungsgerichten im Rahmen von Entscheidungen über Ansprüche auf Zugang zu Schutzimpfungen im Rahmen der Corona-virus-Impfverordnung nach § 65 IfSG zugunsten der Verwaltungsgerichte geregelt (vgl. BT-Drs. 19/27291, S. 6 zu Nr. § 68), jedoch keine weitere Rechtswegzuständigkeit für im Infektionsschutzgesetz nicht enthaltene Entschädigungsansprüche geschaffen werden. Soweit der Gesetzgeber für den primär geltend gemachten Anspruch des Klägers entsprechend § 56 IfSG eine Entschädigungsregelung im Infektionsschutzgesetz hätte vorsehen wollen, wofür nichts ersichtlich ist, hätte er dies ausdrücklich regeln müssen.

bb. Gegen eine planwidrige Regelungslücke im Infektionsschutzgesetz spricht nicht nur, dass die analoge Anwendung des § 56 IfSG bereits vor Erlass des Dritten Gesetzes zum Schutz der Bevölkerung bei einer epidemischen Lage von nationaler Tragweite vom 18. November 2020 in der Literatur diskutiert wurde (vgl. die Zitate im angegriffenen Beschluss, S. 5), sondern auch, dass der Gesetzgeber nach Ansicht der Beschwerde mit dem Erlass des neuen § 68 IfSG gewusst habe, dass massenhaft Entschädigungsanträge auf Basis des § 56 IfSG in analoger Anwendung eingereicht werden würden. Denn gerade dieser Umstand belegt, dass eine Entschädigungsregelung auch für sog. Nichtstörer, wie den Kläger, im Infektionsschutzgesetz absichtlich (planvoll) unterblieben ist. Es erschließt sich nicht, dass § 68 IfSG gerade wegen dieser Entschädigungsanträge neu gefasst worden sei. Wenn es dem Gesetzgeber darum gegangen sei, Rechtsfrieden und Rechtssicherheit herzustellen, wie die Beschwerde meint, wäre eine ausdrückliche Entschädigungsregelung im Infektionsschutzgesetz auch für den vorliegenden Fall zu erwarten gewesen. Der Bundesgesetzgeber hat jedoch im Rahmen der seit Beginn der Corona-Pandemie vorgenommenen Änderungen des Infektionsschutzgesetzes offenbar keinen Anlass gesehen, den geltend gemachten Entschädigungsanspruch in das Infektionsschutzgesetz aufzunehmen. Gegen eine analoge Anwendbarkeit des Infektionsschutzgesetzes sprechen nicht zuletzt die außerhalb dieses Gesetzes aufgelegten Soforthilfeprogramme, Neustart-, Überbrückungs- und sonstige Wirtschaftshilfen und Rettungspakete für Selbständige auf Bundes- und Landesebene, unabhängig davon, dass der Kläger diese Hilfen für nicht ausreichend hält.

Mit der in der Literatur vertretenen Ansicht, dass den von einer Corona-Bekämpfungsmaßnahme betroffenen Nichtstörern erst recht ein Ausgleich ihrer Vermögensnachteile zu gewähren sei (vgl. Antweiler, NVwZ 2020, 584 <589>; Rommelfanger, COVuR 2020,178 <180>; Dörrenbächer, JuWissBlog Nr. 55/2020, https://www.juwiss.de/55-2020/ sowie Papier, DRiZ 2020, 180 <183>), kann ebenfalls keine planwidrige Regelungslücke belegt werden; denn diese Stimmen fordern de lege ferenda eine gesetzliche Verankerung von Ausgleichsregelungen, ggf. im Infektionsschutzgesetz, (vgl. Papier, a.a.O.). Von einem unbeabsichtigten Abweichen des Gesetzgebers von seinem dem Infektionsschutzgesetz zugrunde liegenden Regelungsplan, kann auch danach keine Rede sein (vgl. ausführlich LG Hannover, Urteil vom 9. Juli 2020, a.a.O., juris Rn. 40 - 53, wonach sowohl die historische Betrachtung des Gesetzgeberwillens als auch die Analyse der aktuellen gesetzgeberischen Tätigkeit der Annahme einer planwidrigen Regelungslücke entgegenstehen).

cc. Auch die weitere Argumentation der Beschwerde, die sich auf die neue Rechtslage durch das Dritte Gesetz zum Schutz der Bevölkerung bei einer epidemischen Lage von nationaler Tragweite vom 18. November 2020 stützen will, geht fehl.

Die Befürchtung des Klägers, „durch die Raster zu fallen", hat das Verwaltungsgericht im Nichtabhilfebeschluss vom 13. April 2021 damit zutreffend entkräftet, dass der angegriffene Verweisungsbeschluss - im Falle seiner Unanfechtbarkeit - für das Landgericht Berlin hinsichtlich des Rechtswegs bindend wäre (§ 17a Abs. 2 Satz 3 GVG). Dass der Kläger seinen Anspruch im Zivilrechtsweg geltend machen kann, belegen auch die obigen Zitate.

Mit dem Hinweis auf divergierende Rechtsbehelfsbelehrungen von Behörden, die ein verwaltungsrechtliches Vorverfahren vorschrieben oder direkt ein Verwaltungsgericht als zuständiges Gericht bestimmten, wohingegen andere Ablehnungsbescheide - wie im vorliegenden Fall - auf den ordentlichen Rechtsweg verwiesen, kann eine planwidrige Regelungslücke mit der Folge des Rechtswegs zu den Verwaltungsgerichten ebenfalls nicht begründet werden. Rechtsbehelfsbelehrungen können richtig oder falsch, aber nicht Rechtsweg begründend sein (vgl. bereits den angegriffenen Verweisungsbeschluss, S. 5). Angesichts der verfassungsrechtlichen Garantie des gesetzlichen Richters (Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG) gilt dasselbe für das angeblich widersprüchliche bzw. treuwidrige Verhalten des Beklagten und des Verwaltungsgerichts. Aus diesem Grund reicht es auch nicht, dass § 56 IfSG in analoger Anwendung nach Ansicht des Klägers zumindest vertretbar sei.

2. Für die alternativ bzw. hilfsweise geltend gemachten vermögensrechtlichen Ansprüche aus Aufopferung für das gemeine Wohl sowie für Schadensersatzansprüche aus der Verletzung öffentlich-rechtlicher Pflichten, die nicht auf einem öffentlich-rechtlichen Vertrag beruhen, ist der ordentliche Rechtsweg gegeben (§ 40 Abs. 2 Satz 1 Halbs. 1 VwGO). Der Kläger irrt, wenn er unter Hinweis auf den Wortlaut des Art. 34 Satz 3 GG meint, es stehe einem Betroffenen grundsätzlich frei, „auch den Verwaltungsrechtsweg zu beschreiten, weil damit der ordentliche Rechtsweg nicht ausgeschlossen wird.“ Zu den Ansprüchen aus Aufopferung für das gemeine Wohl zählt auch der Anspruch aufgrund enteignenden Eingriffs (vgl. VGH Mannheim, Beschluss vom 7. Mai 2020 – 1 S 1244/20 – juris Rn. 31 unter Hinweis auf BGH, Urteil vom 26. Januar 1984 – III ZR 216/82 – BGHZ 90,17). Für Ansprüche auf Schadensausgleich nach §§ 59 ff. des Allgemeinen Sicherheits- und Ordnungsgesetzes (ASOG) wäre ebenfalls der Rechtsweg zu den ordentlichen Gerichten gegeben (§ 65 Satz 1 ASOG).

Da eine Rechtswegzuständigkeit der Verwaltungsgerichte unter keinem Gesichtspunkt erkennbar ist, gehen die Ausführungen der Beschwerde zu § 17 Abs. 2 Satz 1 GVG sowie zu einer denkbaren Trennung des Verfahrens zwischen Haupt- und Hilfsansprüchen ins Leere.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO. Einer Streitwertfestsetzung für das Beschwerdeverfahren bedarf es wegen der gesetzlich bestimmten Festgebühr (Kostenverzeichnis Nr. 5502 der Anlage 1 zu § 3 Abs. 2 GKG) nicht.

Die weitere Beschwerde an das Bundesverwaltungsgericht gemäß § 17a Abs. 4 Satz 4 GVG ist nicht zuzulassen, da keiner der in § 17a Abs. 4 Satz 5 GVG genannten Gründe vorliegt. Für die seitens des Klägers geforderte Vorlage an das Bundesverfassungsgericht besteht schon angesichts der eindeutigen Rechtslage kein Anlass (zu den Erfolgsaussichten vgl. den Verweisungsbeschluss, S. 5).

Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 173 Abs. 1 VwGO i.V.m. § 17a Abs. 4 Satz 4 GVG).