Toolbar-Menü
 
Sie sind hier: Gerichtsentscheidungen Entscheidung

Entscheidung 23 Sa 1381/20


Metadaten

Gericht LArbG Berlin-Brandenburg 23. Kammer Entscheidungsdatum 31.03.2021
Aktenzeichen 23 Sa 1381/20 ECLI ECLI:DE:LAGBEBB:2021:0331.23SA1381.20.00
Dokumententyp Urteil Verfahrensgang -
Normen § 123 Abs 1 BGB, § 142 BGB

Tenor

I. Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Arbeitsgerichts Berlin vom 10. September 2020 – 44 Ca 3827/20 – teilweise abgeändert und insgesamt wie folgt gefasst:

1. Es wird festgestellt, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien weder durch den Aufhebungsvertrag der Parteien vom 23.03.2020 noch durch die außerordentlichen Kündigungen der Beklagten vom 24.03.2020 und vom 26.03.2020 aufgelöst worden ist.

2. Die Beklagte wird verurteilt, den Kläger bis zum rechtskräftigen Abschluss des Rechtsstreits zu den im Arbeitsvertrag vom 09.10.1995 in der Fassung des Änderungsarbeitsvertrages vom 20.03.2002 geregelten Arbeitsbedingungen als Produktionshelfer weiterzubeschäftigen.

3. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

II. Im Übrigen wird die Berufung zurückgewiesen.

III. Die Kosten des Rechtsstreits erster Instanz haben die Beklagte zu 72% und der Kläger zu 28 % zu tragen. Die Kosten des Berufungsverfahrens trägt die Beklagte.

IV. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

Die Parteien streiten noch um die Wirksamkeit eines angefochtenen Aufhebungsvertrages und zweier außerordentlicher Kündigungen sowie um die vorläufige Weiterbeschäftigung des Klägers.

Der am …1973 geborene Kläger war seit dem 09.10.1995 als Produktionshelfer vollzeitig bei der Beklagten gegen eine durchschnittliche Monatsvergütung von zuletzt 2.907,48 EUR brutto beschäftigt, zuletzt aufgrund Änderungsarbeitsvertrages vom 20.03.2002.

Die Beklagte ist ein privatrechtlich strukturiertes Unternehmen im Geschäftsfeld der ID-Systeme und ID-Dokumente, das mit einer Vielzahl von Arbeitnehmern unter Beachtung umfangreicher Sicherheitsvorkehrungen u. a. Ausweisdokumente und Banknoten herstellt. Im ständig videoüberwachten Hochsicherheitsbereich „Banknote“ befinden sich auf dem Betriebsgelände der Beklagten mit PIN-Codes bedienbare Schließfächer zur Aufbewahrung kleinerer Gegenstände, die von den in diesem Bereich eingesetzten Mitarbeitern der Beklagten einschließlich des Klägers für private Gegenstände genutzt werden können. Bei der Beklagten besteht ein Betriebsrat.

Gemäß § 2 des Änderungsarbeitsvertrages der Parteien vom 20.03.2002 finden die für die Beklagte geltenden Tarifverträge und Betriebsvereinbarungen in ihrer jeweiligen Fassung auf das Arbeitsverhältnis Anwendung. Gemäß § 27 des Manteltarifvertrags für die Arbeitnehmer der Beklagten vom 11.07.2012 (nachfolgend: MTV BDr) sind Arbeitnehmer ordentlich unkündbar, die vor dem 01.02.1996 eingestellt worden sind und das 45. Lebensjahr sowie eine Betriebszugehörigkeit von 20 Jahren vollendet haben. Gemäß § 26 Abs. 2 MTV BDr kann nach § 27 unkündbaren Arbeitnehmern nur aus außergewöhnlichen in ihrer Person oder in ihrem Verhalten liegenden wichtigen Gründen gekündigt werden. Ein solcher außergewöhnlicher wichtiger Grund ist danach gegeben, wenn bei der Interessenabwägung wegen der Unkündbarkeit ein besonders strenger Maßstab angelegt worden ist und gleichwohl der Beklagten die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses nicht zugemutet werden kann. Gemäß § 26 Abs. 3 MTV BDr kann die außerordentliche Kündigung nur innerhalb von zwei Wochen erfolgen, wobei die Frist mit dem Zeitpunkt beginnt, in dem der Kündigungsberechtigte von den für die Kündigung maßgebenden Tatsachen Kenntnis erlangt hat.

Ein Mitarbeiter der Beklagten fand am 19.02.2020 im Schließfach Nr. 48 vor dem Eingang zum Produktionsbereich im Hochsicherheitsbereich „Banknote“ ein kleines gelbes, mittig zu öffnendes Plastikei aus einem der - gerichtsbekannten - Kinder-Überraschungseier der Firma A aus Schokolade (nachfolgend: Überraschungsei), in dem sich eine blaue Pille befand. Bei der Beklagten entstand der Verdacht, dass es sich bei der vorgefundenen Pille um ein Betäubungsmittel i. S. d. des Betäubungsmittelgesetzes (BtMG) handeln könnte, insbesondere um die Droge Ecstasy. Bei der Beklagten besteht eine Betriebsvereinbarung über die Videoüberwachung in der Produktion, Wertvernichtung und den mitbetroffenen Hochsicherheitsbereichen vom 13.02.2017. Die Beklagte wertete in Abstimmung mit dem Betriebsrat und nach Information des betrieblichen Datenschutzbeauftragten vom 27. bis 29.02.2020 die vom Bereich der Schließfächer erstellten Videoaufzeichnungen im Zeitraum vom 13.02.2020 bis zum 19.02.2020 aus. Bei dieser Auswertung stellte sie fest, dass der Kläger und ein weiterer Arbeitnehmer im genannten Zeitraum mehrfach das Schließfach Nr. 48 öffneten und verschlossen sowie Überraschungseier einlegten und entnahmen.

Am 06.03.2020 führte die Beklagte mit dem Kläger ein Anhörungsgespräch, in dem die Mitarbeiter der Beklagten ihm vorhielten, er habe Drogen auf das Betriebsgelände gebracht und im Schließfach gelagert oder sei an diesem Vorgehen zumindest beteiligt gewesen. Sie konfrontierten den Kläger mit einem Protokoll der Videoauswertung und den darin enthaltenen Beobachtungen. Der Kläger bestritt sämtliche ihm gegenüber erhobenen Vorwürfe und erklärte, er habe weder Drogen besessen noch damit Handel getrieben. Den anderen auf den Videoaufzeichnungen erkennbaren Arbeitnehmer Herrn S. hörte die Beklagte am selben Tag an. Herr S. räumte ein, dass er von dem Kläger über in dem Schließfach deponierte Überraschungseier zweimal Ecstasy bezogen und dafür 10,- EUR/Pille gezahlt habe. Auch das am 19.02.2020 von der Beklagten im Schließfach gefundene Überraschungsei stamme vom Kläger und sei für ihn bestimmt gewesen.

Die Beklagte hörte den Betriebsrat mit Schreiben vom 16.03.2020, auf dessen Inhalt Bezug genommen wird (Anlage B 5, Bl. 168 ff. d. A.), zur beabsichtigten außerordentlichen Tat- und Verdachtskündigung des Klägers an. Auf das dem Betriebsrat am 16.03.2020 zugegangene Anhörungsschreiben äußerte sich dieser mit einer der Beklagten am 19.03.2020 per E-Mail übersandten Stellungnahme, in der er Bedenken gegen die beabsichtigte Kündigung erhob.

Im Zuge der Entwicklung der Covid-19-Pandemie in Deutschland mit weitgehenden Einschränkungen des öffentlichen Lebens ab Mitte März 2020 reduzierte die Beklagte die Zahl der in ihrem Betrieb anwesenden Mitarbeiter in erheblichem Umfang und setzte die Mitarbeiter der Personalabteilung ab diesem Zeitpunkt überwiegend im Homeoffice ein.

Die Personalreferentin der Beklagten teilte dem Kläger am 20.03.2020 telefonisch mit, es sei beabsichtigt, sein Arbeitsverhältnis zu beenden, und bat ihn zu einem Personalgespräch am 23.03.2020, in dem eine Lösung der Angelegenheit erzielt werden sollte. Am 23.03.2020 legten die Personalreferentin und die Bereichsleiterin Personal dem Kläger zwei Dokumente im Entwurf vor, nämlich eine außerordentliche Kündigung der Beklagten und einen Aufhebungsvertrag, der u.a. die Beendigung des Arbeitsverhältnisses zum 31.10.2020 und die Freistellung des Klägers unter Urlaubsanrechnung regelte. Sie teilten dem Kläger mit, die außerordentliche Kündigung werde ihm gegenüber erklärt werden, sofern er den Aufhebungsvertrag nicht unterzeichne. Der Kläger besprach sich während des Personalgesprächs mehrfach mit dem anwesenden Mitglied des Betriebsrats, führte telefonisch Gespräche mit einem Berater, verlangte die Änderung des Aufhebungsvertrages in zwei Punkten (unwiderrufliche Freistellung und Wegfall der Formulierung „im gegenseitigen Einvernehmen“) und unterzeichnete den entsprechend geänderten Aufhebungsvertrag am Ende des Personalgesprächs am 23.03.2020. Mit Rechtsanwaltsschreiben vom 24.03.2020 erklärte der Kläger die Anfechtung des Aufhebungsvertrags wegen widerrechtlicher Drohung unter Hinweis auf § 123 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB).

Die Beklagte kündigte das Arbeitsverhältnis des Klägers mit einem von der über Prokura verfügenden Bereichsleiterin Personal sowie einer HR-Managerin unterzeichneten Schreiben vom 24.03.2020, das dem Kläger am 25.03.2020 zuging. Nach Zurückweisung dieses Kündigungsschreibens durch den Kläger mit Rechtsanwaltsschreiben vom 25.03.2020 gemäß § 174 BGB wies die Beklagte diese Beanstandung des Klägers ihrerseits mit Schreiben vom 26.03.2020 unter Hinweis darauf zurück, dass eine Originalvollmacht des Rechtsanwaltes seinem Schreiben nicht beigefügt gewesen sei. Die Beklagte kündigte das Arbeitsverhältnis des Klägers erneut außerordentlich mit einem von ihrem Geschäftsführer unterzeichneten Schreiben vom 26.03.2020, das dem Kläger am selben Tag zuging.

Gegen die Beendigung seines Arbeitsverhältnisses durch den angefochtenen Aufhebungsvertrag und durch die beiden außerordentlichen Kündigungen wandte sich der Kläger mit Klage und Klageerweiterung vom 25.03.2020 und 27.03.2020, die jeweils am selben Tag bei Gericht eingingen und der Beklagten am 22.04.2020 zugestellt wurden. Der Kläger wandte sich weiter gegen zwei hilfsweise Kündigungen zum nächstmöglichen Zeitpunkt, stellte einen allgemeinen Fortbestehensantrag und verlangte seine vorläufige Weiterbeschäftigung sowie eine der Höhe nach in das gerichtliche Ermessen gestellte Entschädigungszahlung für den Fall, dass die Weiterbeschäftigung im Falle ihrer Titulierung nicht binnen einer Woche nach Zustellung der Entscheidung erfolge.

Die Beklagte leistete trotz der Kündigungserklärungen nachfolgend Zahlungen i. H. v. insgesamt 1.814,12 EUR netto an den Kläger, die sie mit Schreiben vom 16.06.2020 zurückverlangte. Am 26.06.2020 zahlte der Kläger den genannten Nettobetrag an die Beklagte zurück. Mit Widerklage vom 06.07.2020 machte die Beklagte dennoch die Zahlung des Betrags im hiesigen Verfahren geltend und erklärte den Rechtsstreit insoweit nach Hinweis des Klägers auf die bereits geleistete Zahlung in Übereinstimmung mit diesem am 10.09.2020 für in der Hauptsache erledigt.

Der Kläger hat die Auffassung vertreten, er sei zur Anfechtung des Aufhebungsvertrages vom 23.03.2020 gemäß § 123 BGB berechtigt gewesen, weil die Beklagte ihn durch eine widerrechtliche Drohung zur Unterzeichnung des Aufhebungsvertrages veranlasst habe, indem sie ihm anderenfalls eine außerordentliche Kündigung in Aussicht gestellt habe. Die von der Beklagten ihm gegenüber erhobenen Vorwürfe seien sämtlich unzutreffend. Die Drohung mit der außerordentlichen Kündigung sei widerrechtlich gewesen, da ein außerordentlicher Kündigungsgrund für die Beklagte erkennbar nicht vorgelegen habe, ein Verwertungsverbot hinsichtlich der Videoaufnahmen bestanden habe und der Kläger selbst dann nicht mit Drogen gedealt habe, wenn er seinem Kollegen zwei blaue Pillen verschafft hätte. Soweit er sich bei der Anhörung am 06.03.2020 teilweise unzusammenhängend geäußert habe, sei dies auf seine Alkoholisierung bei diesem Gespräch zurückzuführen. Die Beklagte hätte im Übrigen am 23.03.2020 eine außerordentliche Kündigung nicht androhen dürfen, weil die Kündigungserklärungsfrist des § 626 Abs. 2 BGB von zwei Wochen zu diesem Zeitpunkt bereits abgelaufen gewesen sei. Vor diesem Hintergrund hätte ein verständiger Arbeitgeber eine außerordentliche Kündigung nicht ernsthaft in Erwägung gezogen. Der Umstand, dass der Kläger sich während des Personalgesprächs am 23.03.2020 telefonisch habe beraten lassen, sei für die Anfechtung unerheblich, weil es sich nicht um eine umfassende rechtliche Beratung gehandelt habe und der Kläger die rechtlichen Konsequenzen des Aufhebungsvertrags – auch aufgrund seiner Alkoholisierung – nicht vollständig habe erfassen können. Beide außerordentlichen Kündigungen seien ebenfalls mangels Vorliegens eines außerordentlichen Kündigungsgrundes sowie wegen Versäumung der Kündigungserklärungsfrist des § 626 Abs. 2 unwirksam.

Der Kläger hat beantragt,

1. festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien durch den Aufhebungsvertrag vom 23.03.2020 nicht aufgelöst worden ist;

2. festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis zwischen den Parteien durch die Kündigung der Beklagten vom 24.03.2020, dem Kläger zugegangen am 25.03.2020, zum 25.03.2020 nicht aufgelöst worden ist;

3. festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis zwischen den Parteien durch die hilfsweise zum nächst zulässigen Zeitpunkt ausgesprochene Kündigung der Beklagten vom 24.03.2020, dem Kläger zugegangen am 25.03.2020, nicht aufgelöst wurde;

4. festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis zwischen den Parteien auch nicht durch andere Beendigungstatbestände endet, sondern zu unveränderten Bedingungen weiter fortbesteht;

5. die Beklagte zu verurteilen, den Kläger über den Ablauf des 26.03.2020 hinaus zu den im Arbeitsvertrag vom 09.10.1995 geregelten Arbeitsbedingungen als Produktionshelfer in Berlin bis zu einer rechtskräftigen Entscheidung über den Feststellungsantrag weiter zu beschäftigen;

6. die Beklagte zu verurteilen, an den Kläger eine vom Arbeitsgericht nach freiem Ermessen festzusetzende Entschädigung zu zahlen, wenn sie ihrer Verpflichtung zur Weiterbeschäftigung des Klägers nicht innerhalb einer Frist von einer Woche nach Zustellung der Entscheidung nachkommt;

7. festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis zwischen den Parteien durch die Kündigungserklärung der beklagten Partei mit Schreiben vom 26.03.2020, dem Kläger zugegangen am 26.03.2020, zum 26.03.2020 nicht aufgelöst worden ist;

8. festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis zwischen den Parteien durch die hilfsweise zum nächst zulässigen Zeitpunkt ausgesprochene Kündigung der Beklagten vom 26.03.2020, dem Kläger zugegangen am 26.06.2020, nicht aufgelöst wurde.

Die Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie hat vorgetragen, nach Auswertung der Anhörungen vom 06.03.2020 in Abstimmung zwischen Personalabteilung, Sicherheitsabteilung und der Geschäftsführung habe für sie festgestanden, dass der Kläger an den Arbeitnehmer S. auf dem Betriebsgelände der Beklagten mindestens zweimal Drogen verkauft habe. Dies habe sich aus den glaubhaften Einlassungen des Arbeitnehmers S. ergeben, während die Darstellung des Klägers in seiner Anhörung als unglaubhafte Schutzbehauptungen zu beurteilen gewesen seien. Die Beklagte gehe seit dem 06.03.2020 davon aus, dass der Kläger mit verbotenen Substanzen i. S. d. BtMG auf dem Betriebsgelände der Beklagten gedealt und damit besonders schwerwiegende Vertragspflichtverletzungen begangen habe. Zumindest habe ein entsprechender auf Tatsachen gestützter dringender Verdacht bestanden. Auf dieser Grundlage habe sich die Beklagte zur außerordentlichen Kündigung des Klägers entschlossen und habe an diesem Entschluss auch unter Berücksichtigung der vom Betriebsrat am 19.03.2020 geäußerten Bedenken festgehalten. Da die Beklagte eine einvernehmliche Lösung mit dem Kläger angestrebt habe, habe sie ihn am 20.03.2020 zu dem Personalgespräch am 23.03.2020 eingeladen und ihm im Telefonat am 20.03.2020 bereits mitgeteilt, welche verschiedenen Varianten der Beendigung des Vertragsverhältnisses in Betracht kämen. Im Personalgespräch am 23.03.2020 sei ihm ausführlich erläutert worden, aus welchen Gründen die Beklagte von einem Verkauf der Droge Ecstasy durch den Kläger im Betrieb ausgehe und aus welchen Gründen zumindest der dringende Verdacht eines Verstoßes gegen § 29 BtMG bestehe. Diesen Verdacht beurteile die Beklagte als derart schwerwiegende Belastung des Vertrauensverhältnisses, dass ihr eine Fortführung des Arbeitsverhältnisses nicht möglich sei. Der Kläger habe Gelegenheit gehabt, nach Erläuterung der ihm vorgelegten Entwürfe einer außerordentlichen Kündigung und des Aufhebungsvertrages beide Schreiben in Ruhe und nur in Anwesenheit eines Betriebsratsmitglieds zu lesen und sich mit dem Betriebsratsmitglied zu besprechen sowie zu telefonieren. Nach etwa 10 Minuten habe das Betriebsratsmitglied der Bereichsleiterin Personal und der Personalreferentin mitgeteilt, der Kläger sei nach zwischenzeitlich erfolgter telefonischer Rücksprache mit einem Rechtsberater bereit, den Aufhebungsvertrag mit zwei Änderungen zu unterzeichnen. Nach wunschgemäßer Änderung des Aufhebungsvertrages sei dieser dem Kläger weitere 10 Minuten später vorgelegt worden und habe der Kläger erneut Gelegenheit gehabt, den geänderten Aufhebungsvertrag eingehend zu lesen und zu prüfen sowie Fragen zu stellen. Daraufhin sei der Aufhebungsvertrag beidseitig unterzeichnet worden. Am selben Tag sei ebenfalls ein Aufhebungsvertrag mit dem Arbeitnehmer S. abgeschlossen worden, der auf dieser Grundlage aus dem Arbeitsverhältnis ausgeschieden sei. Auch der Kläger sei an den von ihm am 23.03.2020 nach ausreichender Überlegung und Beratung abgeschlossenen Vertrag gebunden. Die Ankündigung der Beklagten im Personalgespräch am 23.03.2020, für den Fall einer Nichteinigung über den Aufhebungsvertrag eine außerordentliche Kündigung zu erklären, sei nicht rechtswidrig gewesen und begründe deshalb kein Anfechtungsrecht gemäß § 123 BGB. Ein verständiger Arbeitgeber hätte in der Situation der Beklagten eine außerordentliche Kündigung ernsthaft in Erwägung ziehen können und unter Abwägung sämtlicher Umstände des Einzelfalles nicht davon ausgehen müssen, dass die angedrohte Kündigung ggf. einer arbeitsgerichtlichen Überprüfung mit hoher Wahrscheinlichkeit nicht standhalten würde. Die Androhung der Kündigung sei nur dann widerrechtlich, wenn der Drohende selbst nicht an deren Berechtigung glaube oder sein Rechtsstandpunkt nicht vertretbar sei. Diese Voraussetzungen hätten nicht vorgelegen. Drogenbesitz und – handel im Betrieb seien als außerordentlicher Kündigungsgrund i. S. d. § 626 Abs. 1 BGB geeignet. Auch die Ausschlussfrist des § 626 Abs. 2 BGB sei eingehalten worden. Die für die Verdachtskündigung zwingend erforderliche Anhörung des Klägers sei rechtzeitig am 06.03.2020 durchgeführt worden. Es sei zu berücksichtigen, dass bei der Beklagten wegen des Covid-19-Shutdown die Mitarbeiter der Personalabteilung wie auch des Betriebsrats nur erheblich eingeschränkt hätten handeln können. Eine Abmahnung des Klägers sei vor dem Hintergrund der Schwere seiner Verstöße entbehrlich gewesen, bei der Interessenabwägung hätten die Interessen der Beklagten an der Beendigung des Arbeitsverhältnisses deutlich die Interessen des Klägers an seiner Fortsetzung überwogen. Aus denselben Gründen seien die vorsorglich erklärten außerordentlichen Kündigungen der Beklagten vom 24.03.2020 und 26.03.2020 wirksam, wobei die Zurückweisung der Kündigung vom 24.03.2020 durch den Kläger bereits im Hinblick auf die Unterzeichnung dieses Kündigungsschreibens durch die Prokuristin und Bereichsleiterin Personal gemäß § 174 S. 2 BGB irrelevant sei.

Das Arbeitsgericht hat der Klage überwiegend stattgegeben und festgestellt, dass das Arbeitsverhältnis weder durch den Aufhebungsvertrag noch durch die beiden außerordentlichen Kündigungen beendet worden sei, hat die Beklagte zur vorläufigen Weiterbeschäftigung unter Stattgabe des Entschädigungsanspruchs verurteilt und hat die Klage lediglich insoweit abgewiesen, als der Kläger sich gegen zwei – tatsächlich von der Beklagten nicht erklärte – hilfsweise Kündigungen zu einem späteren Zeitpunkt gewandt und einen allgemeinen Fortbestehensantrag gestellt hat. Zur Begründung der in das Berufungsverfahren gelangten Klagestattgabe hat das Arbeitsgericht ausgeführt, das Arbeitsverhältnis der Parteien habe gemäß § 142 Abs. 1 BGB nicht aufgrund des Aufhebungsvertrages vom 23.03.2020 geendet, weil der Kläger diesen erfolgreich gemäß § 123 Abs. 1 Alt. 2 BGB angefochten habe. Mit der Ankündigung einer außerordentlichen Kündigung für den Fall der Nichtunterzeichnung des Aufhebungsvertrages habe die Beklagte dem Kläger widerrechtlich mit einem Übel gedroht, da ein vernünftiger Arbeitgeber in ihrer Situation nicht mit der Wirksamkeit der angedrohten Kündigung hätte rechnen dürfen. Bei verständiger Abwägung aller Umstände des Einzelfalles hätte die Beklagte davon ausgehen müssen, dass die angedrohte außerordentliche Kündigung im Falle ihres Ausspruchs einer arbeitsgerichtlichen Überprüfung mit hoher Wahrscheinlichkeit nicht standhalten würde, da die zweiwöchige Kündigungserklärungsfrist des § 626 Abs. 2 BGB am 23.03.2020 nicht mehr hätte eingehalten werden können. Die Kündigungserklärungsfrist habe am 06.03.2020 nach der Anhörung des Klägers zu laufen begonnen und sei am 20.03.2020 abgelaufen. Deshalb habe am 23.03.2020 ein vernünftiger Arbeitgeber und auch die Beklagte davon ausgehen müssen, dass die angedrohte Kündigung einer arbeitsgerichtlichen Prüfung nicht standhielte. Wegen Nichteinhaltung der Kündigungserklärungsfrist des § 626 Abs. 2 BGB seien auch beide außerordentliche Kündigungen vom 24.03.2020 und 26.03.2020 unwirksam.

Gegen dieses der Beklagten am 02.10.2020 zugestellte Urteil hat sie sich mit der am 30.10.2020 beim Landesarbeitsgericht eingegangenen Berufung gewandt, die sie – nach Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist bis zum 04.01.2021 – mit einem am 04.01.2021 beim Landesarbeitsgericht eingegangenen Schriftsatz begründet hat.

Sie führt unter Wiederholung und Vertiefung ihres erstinstanzlichen Vortrags aus, ein vernünftiger Arbeitgeber habe am 23.03.2020 nicht mit überwiegender Wahrscheinlichkeit davon ausgehen müssen, dass die dem Kläger angedrohte außerordentliche Kündigung wegen Überschreitung der zweiwöchigen Kündigungserklärungsfrist des § 626 Abs. 2 BGB nicht mehr habe in Betracht gezogen werden dürfen. Dabei sei zu berücksichtigen, dass im Hinblick auf die Covid-19-Pandemie und die daraus folgende erhebliche Mehrbelastung der Personalabteilung sowie durch die eingeschränkte Erreichbarkeit der überwiegend im Homeoffice befindlichen Mitarbeiter die Möglichkeit der Fristeinhaltung deutlich eingeschränkt gewesen sei. Die Auswertung der Videoaufzeichnungen sei nach der diesbezüglichen Betriebsvereinbarung zulässig gewesen. Die Verurteilung zur Zahlung einer Entschädigung für den Fall einer nicht unverzüglichen vorläufigen Weiterbeschäftigung des Klägers sei rechtsfehlerhaft, da der Kläger keinen Schaden dargelegt habe, die Frist von einer Woche ab Zustellung der Entscheidung bereits im Hinblick auf den Lauf der Rechtsmittelfrist zu kurz und im Übrigen eine Entschädigung zu beziffern sei.

Die Beklagte beantragt,

das Urteil des Arbeitsgerichts Berlin vom 10. September 2020 – 44 Ca 3827/20 – abzuändern und die Klage insgesamt abzuweisen.

Der Kläger beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Er verteidigt das angegriffene Urteil und führt aus, die Unwirksamkeit sowohl des angefochtenen Aufhebungsvertrages als auch der beiden außerordentlichen Kündigungen der Beklagten ergäbe sich bereits aus der Versäumung der zweiwöchigen Kündigungserklärungsfrist gemäß § 626 Abs. 2 BGB. Soweit die Beklagte sich auf die Auswirkungen der Covid-19-Pandemie stütze, könne dies nicht zu Lasten des Klägers berücksichtigt werden, sondern falle in den Risikobereich der Beklagten. Der Kläger habe nicht mit Drogen gedealt, selbst wenn er dem Arbeitnehmer S. entsprechend der Behauptung der Beklagten zwei blaue Pillen verschafft habe. Eine Abmahnung sei im Falle der Richtigkeit der Vorwürfe der Beklagten nicht entbehrlich gewesen. Schließlich sei die Interessenabwägung unter Berücksichtigung der langen Betriebszugehörigkeit des Klägers zu seinen Gunsten zu treffen gewesen.

Hinsichtlich des weiteren Vorbringens der Parteien im Berufungsverfahren wird auf die Schriftsätze der Beklagten vom 04.01.2021 (Bl. 262 ff. d. A.) und des Klägers vom 08.02.2021 (Bl. 313 ff. d.A.) Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

I.

Die gemäß §§ 8 Abs. 2, 64 Abs. 1 und 2 Arbeitsgerichtsgesetz (ArbGG) statthafte Berufung ist gemäß §§ 66 Abs. 1 S. 1 und 2 ArbGG, 519, 520 Zivilprozessordnung (ZPO) form- und fristgerecht eingelegt und begründet worden. Sie ist damit zulässig.

II.

Die Berufung der Beklagten hat jedoch in der Sache überwiegend keinen Erfolg. Das Arbeitsgericht hat zutreffend entschieden, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien weder durch den angefochtenen Aufhebungsvertrag vom 23.03.2020 noch durch die beiden außerordentlichen Kündigungen vom 24.03.2020 und 26.03.2020 aufgelöst worden ist und die Beklagte zur vorläufigen Weiterbeschäftigung des Klägers zu verurteilen war. Abzuweisen war die Klage lediglich insoweit, als der Kläger die Verurteilung der Beklagten zur Zahlung einer Entschädigung für den Fall begehrt hat, dass diese ihn binnen einer Woche ab Zustellung der Entscheidung nicht vorläufig weiterbeschäftige, denn insoweit hat der Kläger einen Schaden nicht dargelegt.

1. Das Arbeitsverhältnis der Parteien ist nicht durch den Aufhebungsvertrag vom 23.03.2020 zum 31.10.2020 aufgelöst worden, weil der Kläger diesen Aufhebungsvertrag gemäß § 123 Abs. 1 Alt. 2 BGB wegen widerrechtlicher Drohung angefochten hat und der Aufhebungsvertrag deshalb gemäß § 142 Abs. 1 BGB von Anfang an nichtig war. Grundsätzlich sind die Parteien eines Vertrages, auch eines Aufhebungsvertrages, an die vertraglich vereinbarten Bedingungen gebunden (pacta sunt servanda). Dies gilt jedoch nicht, soweit ein Vertrag berechtigterweise angefochten worden ist, da gemäß § 142 Abs. 1 BGB in diesem Fall das anfechtbare Rechtsgeschäft als von Anfang an nichtig anzusehen ist. Diese Voraussetzungen sind vorliegend gegeben, da der Kläger zu seiner Willenserklärung betreffend den Abschluss der Aufhebungsvereinbarung durch widerrechtliche Drohung der Beklagten mit einer aus Sicht eines vernünftigen Arbeitgebers ersichtlich unwirksamen außerordentlichen Kündigung bestimmt worden ist und seine Erklärung mit Schreiben vom 24.03.2020 angefochten hat.

1.1. Gemäß § 123 Abs. 1 BGB kann derjenige seine Willenserklärung anfechten, der zu ihrer Abgabe widerrechtlich durch Drohung bestimmt worden ist. Eine Drohung iSd. § 123 Abs. 1 BGB setzt objektiv die Ankündigung eines zukünftigen Übels voraus, dessen Zufügung in irgendeiner Weise als von der Macht des Ankündigenden abhängig hingestellt wird. Die Androhung des Arbeitgebers, das Arbeitsverhältnis durch eine außerordentliche Kündigung beenden zu wollen, falls der Arbeitnehmer nicht selbst kündige oder einvernehmlich ausscheide, stellt die Ankündigung eines zukünftigen empfindlichen Übels dar, dessen Verwirklichung in der Macht des ankündigenden Arbeitgebers liegt (st. Rspr., vgl. BAG 05. Dezember 2002 – 2 AZR 478/01 – Rn. 28 mwN). Die Drohung mit einer außerordentlichen Kündigung ist widerrechtlich, wenn ein verständiger Arbeitgeber eine solche Kündigung nicht ernsthaft in Erwägung ziehen durfte. Die Widerrechtlichkeit der Kündigungsandrohung kann sich regelmäßig nur aus der Inadäquanz von Mittel und Zweck ergeben. Hat der Drohende an der Erreichung des verfolgten Zwecks kein berechtigtes Interesse oder ist die Drohung nach Treu und Glauben (§ 242 BGB) nicht mehr als angemessenes Mittel zur Erreichung dieses Zwecks anzusehen, ist die Drohung widerrechtlich. Nicht erforderlich ist, dass sich die angedrohte Kündigung, wenn sie ausgesprochen worden wäre, in einem Kündigungsschutzprozess als rechtsbeständig erwiesen hätte. Von dem Arbeitgeber kann nicht verlangt werden, dass er bei seiner Abwägung generell die Beurteilung des Tatsachengerichts “trifft”. Nur wenn der Arbeitgeber unter Abwägung aller Umstände des Einzelfalls davon ausgehen muss, die angedrohte Kündigung werde im Falle ihres Ausspruchs einer arbeitsgerichtlichen Überprüfung mit hoher Wahrscheinlichkeit nicht standhalten, darf er die außerordentliche Kündigungserklärung nicht in Aussicht stellen, um damit den Arbeitnehmer zum Abschluss einer Beendigungsvereinbarung zu veranlassen (BAG 15. Dezember 2005 - 6 AZR 197/05 - Rn. 23 mwN). Widerrechtlich ist die Androhung einer außerordentlichen Kündigung auch dann, wenn der Arbeitgeber wegen des Fristablaufs nach § 626 Abs. 2 BGB gar keine Kündigung mehr wirksam hätte erklären können (vgl. BAG 05. Dezember 2002 – 2 AZR 478/01 – Rn. 33). Dem entspricht im Ergebnis die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs, wonach die Drohung mit einer Kündigung widerrechtlich ist, wenn der Drohende selbst nicht an seine Berechtigung glaubt oder sein Rechtsstandpunkt nicht mehr vertretbar ist (BGH 19. April 2005 - X ZR 15/04 – Rn. 23).

1.2. Nach Maßgabe dieser Grundsätze hat die Beklagte dem Kläger am 23.03.2020 widerrechtlich die außerordentliche Kündigung angedroht, um ihn zum Abschluss der Aufhebungsvereinbarung zu bewegen. Zwar durfte sie einen außerordentlichen Kündigungsgrund iSd. § 626 Abs. 1 BGB berechtigterweise annehmen. Sie konnte jedoch angesichts des Ablaufs der 2-Wochen-Frist des § 626 Abs. 2 BGB am 20.03.2020 nachfolgend am 23.03.2020 nicht mehr damit rechnen, dass eine erst zu diesem Zeitpunkt erklärte außerordentliche Kündigung einer arbeitsgerichtlichen Überprüfung wahrscheinlich standhalten würde.

1.2.1. Die Kammer teilt die Einschätzung der Beklagten, dass ein vernünftiger Arbeitgeber in der Situation der Beklagten grundsätzlich eine außerordentliche Tat- und Verdachtskündigung gemäß § 626 Abs. 1 BGB sowie nach der entsprechenden Regelung in § 26 Abs. 2 MTV BDr ernsthaft in Erwägung ziehen durfte und mit einer überwiegend wahrscheinlichen Bestätigung ihrer Wirksamkeit bei arbeitsgerichtlicher Überprüfung rechnen konnte. Vor dem Hintergrund der mittels Videoaufzeichnung festgestellten und durch die Anhörung des Arbeitnehmers S. in vollem Umfang bestätigten Tatsachen, die von dem Kläger in seiner Anhörung nicht nachvollziehbar widerlegt wurden, konnte sie davon ausgehen, dass der Kläger in mindestens zwei Fällen dem Arbeitnehmer S. in den Betriebsräumen der Beklagten widerrechtlich und unter Verstoß gegen das Betäubungsmittelgesetz die Droge Ecstasy verkauft hat. Zumindest bestand ein entsprechender schwerwiegender, auf Tatsachen gestützter Verdacht. Dabei dürfte die Verwertung der Videoaufzeichnungen in Abstimmung mit dem Betriebsrat und dem Datenschutzbeauftragten nach Maßgabe der diesbezüglichen Betriebsvereinbarung zulässigerweise erfolgt sein. Zumindest fehlen Anhaltspunkte dafür, dass die Verwertung einer arbeitsgerichtlichen Überprüfung mit hoher Wahrscheinlichkeit nicht standhielte. Die Kammer geht weiter mit der Beklagten davon aus, dass ein Verstoß gegen Verbotsvorschriften des Betäubungsmittelgesetzes durch den Verkauf von Drogen während des Arbeitsverhältnisses im Betrieb des Arbeitgebers insbesondere dann eine schwerwiegende Verletzung des für das Arbeitsverhältnis erforderlichen Vertrauensverhältnisses beinhaltet, wenn der Arbeitgeber – wie die Beklagte – in einem besonders sicherheitsrelevanten Bereich tätig ist. Der Verkauf von Drogen an Kollegen, die wie der Kläger selbst in einem besonderen Sicherheitsbereich tätig sind, ist als außerordentlicher Kündigungsgrund nach Einschätzung der Kammer grundsätzlich geeignet. Unter Berücksichtigung der besonderen Umstände des Einzelfalles, insbesondere des Erfordernisses zuverlässiger und nicht von Drogenkonsum beeinträchtigter Arbeitsleistung ihrer Arbeitnehmer, ist der Verkauf von Drogen an Kollegen ein das Vertrauensverhältnis der Vertragsparteien derart beeinträchtigender Umstand, dass ein Festhalten am Arbeitsverhältnis für den Arbeitgeber nicht zumutbar ist. Eine Abmahnung ist in dieser Konstellation aus der Sicht eines vernünftigen Arbeitgebers entbehrlich. Dem Arbeitnehmer, der gegen die Vorschriften des Betäubungsmittelgesetzes verstößt und zugleich die Beeinträchtigung zuverlässiger Arbeitsleistung durch den konsumierenden Kollegen in Kauf nimmt, muss bewusst sein, dass ein solches Verhalten arbeitgeberseitig nicht hingenommen werden kann. Auch bei der Interessenabwägung ist für einen vernünftigen Arbeitgeber nicht absehbar, dass diese zu seinen Lasten ausginge. Dies gilt wegen der Schwere der Verfehlung und der besonderen Bedeutung der Zuverlässigkeit der Arbeitnehmer wegen ihres Einsatzes in sicherheitsrelevanten Bereichen auch unter Berücksichtigung der langen Betriebszugehörigkeit des Klägers.

1.2.2. Die Parteien sind zutreffend übereinstimmend davon ausgegangen, dass der Kläger aufgrund der für ihn maßgeblichen tariflichen Regelungen ordentlich unkündbar war und die Beklagte das Arbeitsverhältnis einseitig nur bei Erfüllung aller Voraussetzungen einer außerordentlichen Kündigung wirksam beenden konnte. Der Kläger verfügt über den in § 27
MTV BDr vereinbarten besonderen Kündigungsschutz, demzufolge er ordentlich unkündbar ist. Er hat sein Arbeitsverhältnis am 09.10.1995 und damit vor dem 01.02.1996 aufgenommen. Der am ….1973 geborene Kläger hatte am 02.04.2018 und damit vor dem 23.03.2020 sein 45. Lebensjahr vollendet. Schließlich verfügte der Kläger bereits am 09.10.2015 und damit vor dem 23.03.2020 über eine Betriebszugehörigkeit von 20 Jahren. Davon sind beide Parteien übereinstimmend ausgegangen. Auf die etwaige Wirksamkeit einer ordentlichen Kündigung, die von der Beklagten konsequenterweise nicht erklärt worden ist, kam es entscheidungserheblich deshalb nicht an.

1.2.3. Ein vernünftiger Arbeitgeber konnte am 23.03.2020 nicht mehr davon ausgehen, dass eine außerordentliche Kündigung einer arbeitsgerichtlichen Überprüfung standhielte, da zu diesem Zeitpunkt die zweiwöchige Kündigungserklärungsfrist des § 626 Abs. 2 BGB bereits abgelaufen war. Gemäß § 626 Abs. 2 BGB hat die Kündigung innerhalb von zwei Wochen zu erfolgen und beginnt diese Frist mit dem Zeitpunkt, in dem der Kündigungsberechtigte von den für die Kündigung maßgebenden Tatsachen Kenntnis erlangt. Dieselbe Regelung haben die Tarifvertragsparteien in § 26 Abs. 3 MTV BDr getroffen. Vorliegend verfügte die Beklagte durch die für sie Kündigungsberechtigten am 06.03.2020 nach Abschluss der Anhörungen des Klägers und des Arbeitnehmers S. über die Kenntnis derjenigen Tatsachen, die für die außerordentliche Kündigung des Klägers maßgebend waren. Zu diesem Zeitpunkt stand nach ihrem eigenen Vorbringen nachvollziehbar zu ihrer Überzeugung aufgrund der Erklärungen des Arbeitnehmers S. und aufgrund der aus ihrer Sicht unglaubhaften Einwände des Klägers in seiner Anhörung fest, dass der Kläger dem Arbeitnehmer S. mindestens zweimal Drogen in Form von Ecstasy-Pillen in ihren Betriebsräumen verschafft hatte. Zumindest bestand aus Sicht der Beklagten am 06.03.2020 nachvollziehbar ein entsprechender schwerwiegender Verdacht. Durch den Fund der blauen Pille im Überraschungsei am 19.02.2020 und durch die daraufhin veranlasste Auswertung der Videoüberwachung entstand ein Verdacht gegen den Kläger, den die Beklagte aufzuklären verpflichtet war. Mit der Anhörung des Klägers und des Arbeitnehmers S. war die Aufklärung am 06.03.2020 abgeschlossen. Dabei ist unerheblich, ob der Kläger entsprechend seiner Behauptung bei dem Anhörungsgespräch alkoholisiert war, da er nicht vorgetragen hat, welche Angaben er in nüchternem Zustand gemacht hätte und wie diese ggf. die gewonnene Überzeugung der Beklagten hätten erschüttern können. Nach Auswertung der Ergebnisse der Anhörungsgespräche war die Beklagte nachvollziehbar davon überzeugt, dass der Kläger Drogen in ihren Betriebsräumen verkauft hatte oder zumindest ein entsprechender schwerwiegender Verdacht bestand. Zu diesem Zeitpunkt, am 06.03.2020, ist die zweiwöchige Kündigungserklärungsfrist in Lauf gesetzt worden und hat am 20.03.2020 geendet. Innerhalb dieser Frist hat die Beklagte den Betriebsrat am 16.03.2020 zutreffend angehört, der am 19.03.2020 seine Stellungnahme abgegeben hat. Daher hätte die Beklagte am 20.03.2020 eine außerordentliche Kündigung unter Wahrung der Kündigungserklärungsfrist des § 626 Abs. 2 BGB aussprechen können und müssen. Am 23.03.2020 war diese Frist dagegen bereits abgelaufen und konnte eine außerordentliche Kündigung nicht mehr wirksam erklärt werden.

1.2.4. Es wirkt sich nicht zugunsten der Beklagten aus, dass aufgrund der Covid-19-Pandemie und der damit verbundenen Einschränkungen nicht nur das öffentliche Leben, sondern auch die Verfügbarkeit der Mitarbeiter ihrer Personalabteilung erheblich erschwert war, wovon die Kammer ausgeht. Diese Erschwernis ist nicht dem Kläger zuzurechnen und hat nicht dazu geführt, dass ein Fall höherer Gewalt vorlag, der es für die Beklagte unmöglich gemacht hätte, noch am 20.03.2020 eine außerordentliche Kündigung gegenüber dem Kläger zu erklären und den Zugang der Kündigungserklärung zu bewirken. Vielmehr hat an diesem Tag die Personalreferentin mit dem Kläger telefoniert und ist nicht ersichtlich, aus welchen objektiven Gründen es unmöglich gewesen sein sollte, ein Kündigungsschreiben zu erstellen, ordnungsgemäß zu unterzeichnen und dem Kläger zuzustellen. Dass dies besonderen Aufwand bedeutet hätte, führt weder zur Unmöglichkeit der Einhaltung noch zu einer Hemmung der 2-Wochen-Frist wegen der Verhinderung ihrer Einhaltung durch höhere Gewalt. Eine solche Hemmung könnte – vergleichbar mit dem Fall der Verjährungshemmung gemäß § 206 BGB - nur dann greifen, wenn dem rechtzeitigen Zugang der Kündigung ein Hindernis entgegenstand, das von dem Kündigenden auch durch größte vernünftigerweise zu erwartende Vorsicht nicht abzuwenden war. Angesichts des offensichtlichen Laufs der Kündigungserklärungsfrist seit dem 06.03.2020 sind Anhaltspunkte für eine solche Konstellation nicht ersichtlich.

1.2.5. Entgegen der Einschätzung der Beklagten kommt es auch nicht darauf an, ob die Beklagte in Person der Bereichsleiterin Personal selbst nicht an die Widerrechtlichkeit ihrer Drohung mit einer außerordentlichen Kündigung glaubte, sondern allein darauf, ob ein vernünftiger Arbeitgeber in der Position der Beklagten diese Widerrechtlichkeit und die Wahrscheinlichkeit erkennen konnte, dass eine außerordentliche Kündigung einer arbeitsgerichtlichen Überprüfung nicht standhalten werde. Soweit die Bereichsleiterin Personal im Kammertermin im Berufungsverfahren noch einmal erklärt hat, sie sei aufgrund der Vorgespräche mit dem Betriebsrat, der den Wunsch des Klägers nach einem Aufhebungsvertrag mitgeteilt habe, und aufgrund der Überlegung, dass für den Kläger persönlich ein Aufhebungsvertrag deutlich günstiger sei als eine außerordentliche Kündigung, davon ausgegangen, dass der Aufhebungsvertrag im Interesse des Klägers abgeschlossen werden solle, führt dies nicht zu einer abweichenden Beurteilung. Die Kammer teilt die Einschätzung, dass vor dem Hintergrund der erhobenen Vorwürfe und der Dauer der unbeanstandeten Dauer der Betriebszugehörigkeit des Klägers grundsätzlich eine einvernehmliche Beendigung des Arbeitsverhältnisses auch für den Kläger attraktiv gewesen wäre. Maßgeblich ist jedoch, ob ein vernünftiger Arbeitgeber die Wirksamkeit der angedrohten Kündigung unter allen Aspekten als realistisches Ergebnis einer arbeitsgerichtlichen Überprüfung einschätzen durfte. Dies ist vorliegend im Hinblick auf § 626 Abs. 2 BGB nicht der Fall gewesen.

1.2.6. Es liegt auch weder ein Rechtsmissbrauch des Klägers vor noch eine Unzulässigkeit seiner Berufung auf die Widerrechtlichkeit der Drohung mit der außerordentlichen Kündigung am 23.03.2020. Eine solche unzulässige Rechtsausübung betreffend die Geltendmachung der 2-Woche-Frist kommt dann in Betracht, wenn die Arbeitsvertragsparteien in einem fest abgesteckten zeitlichen Rahmen über die Lösungsmöglichkeit des Arbeitsverhältnisses durch Aufhebungsvertrag verhandeln und insbesondere der Arbeitnehmer initiativ in der Weise tätig wird, dass er den Abschluss eines Aufhebungsvertrages noch nach Ablauf der 2-Wochen-Frist sicher in Aussicht stellt (vgl. KR-Fischermeier, 12. Aufl. 2019, § 626 BGB Rn. 377 f.). Diese Voraussetzungen sind vorliegend nicht gegeben. Der Kläger hat keinen Beitrag dazu geleistet, dass der Aufhebungsvertrag erst am 23.03.2020 geschlossen worden ist. Er ist vielmehr nach dem 06.03.2020 erstmalig am 20.03.2020 von der Beklagten kontaktiert und zu dem Personalgespräch am 23.03.2020 eingeladen worden. Eine außerordentliche Kündigung ist ihm am 20.03.2020 für denselben Tag nicht in Aussicht gestellt worden, so dass er auch keinen Einfluss auf eine etwaige Verschiebung oder Verzögerung nehmen konnte. Dies behauptet auch die Beklagte nicht.

1.2.7. Schließlich ist die am 24.03.2020 erklärte Anfechtung des Aufhebungsvertrags nicht rechtsmissbräuchlich im Hinblick darauf erfolgt, dass der Kläger nach der Vertragsunterzeichnung auf ein Anfechtungsrecht verzichtet hätte und ist die vom Kläger erklärte Anfechtung nicht durch Bestätigung gemäß § 144 Abs. 1 BGB ausgeschlossen. Nach § 144 Abs. 1 BGB ist die Anfechtung ausgeschlossen, wenn das anfechtbare Rechtsgeschäft von dem Anfechtungsberechtigten bestätigt wird. Bestätigung ist jede Erklärung des Anfechtungsberechtigten, in der sein Wille zum Ausdruck kommt, ein ihm bekanntes Anfechtungsrecht nicht auszuüben (BGH 28. April 1971 - VIII ZR 258/69 – Rn. 38). Zwar kann eine solche Bestätigung auch durch schlüssige Handlung erfolgen, jedoch muss das Verhalten den eindeutigen Willen offenbaren, trotz der Anfechtbarkeit an dem Rechtsgeschäft festhalten zu wollen; jede andere den Umständen nach einigermaßen verständliche Deutung muss ausgeschlossen sein (BAG 28. November 2007 – 6 AZR 1108/06 - Rn. 36 mwN).

Diese Voraussetzungen sind vorliegend nicht feststellbar. Die Bereichsleiterin Personal der Beklagten hat im Kammertermin im Berufungsverfahren anschaulich geschildert, dass sie den Kläger nach der Unterzeichnung des Vertrags ausdrücklich gefragt habe, ob er mit der gefundenen Lösung zufrieden und einverstanden sei, die nach ihrer persönlichen Einschätzung für ihn vorteilhaft war. Dies habe der Kläger bestätigt. Die Kammer geht von der Richtigkeit dieses Vortrags aus und auch davon, dass der Kläger tatsächlich nach der Unterzeichnung des Vertrags mit der gefundenen Lösung zufrieden war. Es sind jedoch keine Anhaltspunkte dafür ersichtlich, dass der Kläger dies in Kenntnis der Versäumung der Kündigungserklärungsfrist durch die Beklagte und in Kenntnis des Umstands erklärt hätte, dass die ihm angedrohte außerordentliche Kündigung am 23.03.2020 gar nicht mehr wirksam hätte erklärt werden können. Insbesondere hat die Beklagte, deren Repräsentanten sich selbst die Folgen der Versäumung der Frist bei Abschluss des Aufhebungsvertrages nicht bewusst gemacht hatten, den Kläger nicht auf diesen Umstand hingewiesen. Dass der Kläger auf andere Weise, etwa durch Beratung des Betriebsratsmitglieds oder des telefonisch kontaktierten Beraters bei Unterzeichnung des Aufhebungsvertrags Kenntnis von der Unwirksamkeit einer potentiellen außerordentlichen Kündigung erlangt hätte, ist nicht ersichtlich. Eine Erklärung des Inhalts, er wolle am Aufhebungsvertrag festhalten, obwohl er von der Unwirksamkeit der angedrohten Kündigung ausgehe, hat der Kläger unstreitig nicht abgegeben. Mangels entgegenstehender Anhaltspunkte nimmt die Kammer an, dass er vielmehr bei Abschluss des Vertrags und nachfolgend bei der Nachfrage der Bereichsleiterin Personal davon ausgegangen ist, dass er sich im Hinblick auf eine sonst drohende wirksame außerordentliche Kündigung zutreffend entschieden habe. Darin liegt jedoch kein Verzicht auf eine Anfechtung nach Kenntniserlangung vom Anfechtungsgrund und keine Bestätigung des anfechtbaren Rechtsgeschäfts.

2. Das Arbeitsverhältnis der Parteien ist nicht durch die außerordentlichen Kündigungen der Beklagten vom 24.03.2020 und vom 26.03.2020 aufgelöst worden, da beide Kündigungen außerhalb der Kündigungserklärungsfrist gemäß § 626 Abs. 2 BGB erklärt worden sind. Die Beklagte hat für beide Kündigungen dieselben Kündigungsgründe herangezogen, die bereits Auslöser des Aufhebungsvertrags waren, und hat zu diesen Kündigungsgründen auch den Betriebsrat angehört. Mit Kenntnis der maßgebenden Kündigungsgründe am 06.03.2020 hat daher die Frist zu laufen begonnen und hat am 20.03.2020 geendet. Nach ihrem Ablauf konnte eine wirksame Kündigung gegenüber dem ordentlich unkündbaren Kläger nicht mehr erklärt werden. Auf die Ausführungen unter Ziffer 1.2.3. des Urteils wird Bezug genommen.

3. Der Kläger hat wegen der gerichtlichen Feststellung, dass sein Arbeitsverhältnis nicht aufgrund des Aufhebungsvertrags oder der außerordentlichen Kündigungen geendet hat, Anspruch auf seine vorläufige Weiterbeschäftigung bis zur Rechtskraft der Entscheidung zu den bisher maßgeblichen Arbeitsbedingungen. Insoweit ist lediglich zur Klarstellung der letzte Änderungsvertrag der Parteien vom 20.03.2002, der unstreitig den Arbeitsvertragsinhalt zutreffend wiedergibt, in den Tenor aufgenommen worden.

Der Große Senat des Bundesarbeitsgerichts hat mit Beschluss vom 27. Februar 1985 ( - GS 1/84 - BAGE 48, 122 = AP Nr. 14 zu § 611 BGB Beschäftigungspflicht) entschieden, dass der gekündigte Arbeitnehmer auch außerhalb der Regelungen der §§ 102 Abs. 5 BetrVG, 79 Abs. 2 BPersVG einen arbeitsvertraglichen Anspruch auf vertragsgemäße Beschäftigung über den Entlassungszeitpunkt hinaus bis zum rechtskräftigen Abschluss des Kündigungsschutzprozesses hat, wenn die Kündigung unwirksam ist und überwiegende schutzwerte Interessen des Arbeitgebers einer solchen Beschäftigung nicht entgegenstehen. Dieser Weiterbeschäftigungsanspruch besteht, wenn im Kündigungsschutzprozess ein die Instanz abschließendes Urteil ergeht, welches die Unwirksamkeit der Kündigung und damit den Fortbestand des Arbeitsverhältnisses wie vorliegend feststellt. Das vorliegende Urteil wirkt sich daher, solange es besteht, dahingehend aus, dass die Ungewissheit des endgültigen Prozessausgangs für sich allein ein überwiegendes Gegeninteresse des Arbeitgebers an der Weiterbeschäftigung des Arbeitnehmers nicht mehr begründen kann (vgl. BAG 5. September 1986 - 7 AZR 175/85 - AP Nr. 26 zu § 15 KSchG 1969).

Diese Voraussetzungen sind vorliegend erfüllt. Soweit die Bereichsleiterin Personal im Kammertermin angesprochen hat, dass ein Einsatz des Klägers an seinem bisherigen Arbeitsplatz im Falle des Unterliegens der Beklagten im Rechtsstreit problematisch sein könnte, wird die Beklagte im Hinblick auf die rechtmäßige Anfechtung des Aufhebungsvertrags durch den Kläger und die Unwirksamkeit der außerordentlichen Kündigungen eine angemessene und vertragsgerechte Lösung solcher Probleme zu finden haben.

4. Der Kläger hat keinen Anspruch auf Festsetzung einer Entschädigung für den Fall der Nichterfüllung der Pflicht zur vorläufigen Weiterbeschäftigung nach Maßgabe des § 61 Abs. 2 Satz 1 ArbGG. Voraussetzung eines solchen Anspruchs, den weder der Kläger noch das Arbeitsgericht näher begründet haben, ist zunächst die Geltendmachung eines im Falle der Nichtbeschäftigung drohenden Schadens. Zwar muss der Antrag nicht zwingend hinsichtlich des schadensverursachenden Ereignisses begründet werden, eine Begründung ist jedoch insoweit erforderlich, als der Kläger darlegen muss, dass ihm durch die Nichtvornahme der Handlung tatsächlich ein Schaden entstanden ist und wie hoch dieser sich darstellt. Insoweit gelten die gleichen Grundsätze wie bei sonstigen Schadenersatzansprüchen (vgl. LAG Hessen 16. Februar 2011 – 18 Sa 523/10 – Rn. 78; GMP/Schleusener, 9. Aufl. 2017, ArbGG § 61 Rn. 31 mwN).

Bereits daran scheitert der Anspruch vorliegend, da der Kläger nicht dargelegt hat, welcher Schaden ihm im Falle seiner nicht vorläufigen Weiterbeschäftigung ggf. droht. Allein der Umstand, dass die Verweigerung der Umsetzung einer vorläufig vollstreckbaren Verurteilung rechtswidrig wäre, führt nicht zu einem Schaden des Arbeitnehmers. Auf die Fragen der Angemessenheit der Fristsetzung und der Höhe einer Entschädigung kommt es deshalb entscheidungserheblich nicht mehr an.

III.

Die Kostenentscheidung des Arbeitsgerichts für die I. Instanz war trotz der überwiegenden Zurückweisung der Berufung der Beklagten abzuändern. Das Rechtsmittelgericht hat gemäß § 308 Abs. 2 ZPO von Amts wegen zu prüfen, ob der Kostenausspruch der Vorinstanzen richtig ist (BAG 22. April 2010 - 6 AZR 948/08 - Rn. 24; 23. März 2011 – 4 AZR 268/09 – Rn. 73). Selbst bei einem erfolglosen Rechtsmittel hat das Rechtsmittelgericht eine unzutreffende Kostenentscheidung der Vorinstanz zu korrigieren (Zöller-Herget ZPO, 33. Aufl. 2020, § 97 Rn. 6). Vorliegend waren

die Kosten des Rechtsstreits erster Instanz den Parteien gemäß § 92 Abs. 1 ZPO nach Maßgabe ihres jeweiligen Obsiegens und Unterliegens aufzuerlegen und hatte die Beklagte die auf die in der Hauptsache für erledigt erklärte Widerklage entfallenden Kosten gemäß § 91a Abs. 1 ZPO zu tragen. Dabei waren für den Kostenstreitwert neben den vom Arbeitsgericht berücksichtigten insgesamt sieben Bruttomonatsvergütungen des Klägers (jeweils drei für den Aufhebungsvertrag einerseits und die beiden Kündigungen andererseits sowie eine weitere für den Weiterbeschäftigungsantrag) weitere drei Bruttomonatsvergütungen für die beiden erfolglos angegriffenen hilfsweise zu einem späteren Zeitpunkt erklärten Kündigungen anzusetzen, die die Beklagte tatsächlich gar nicht erklärt hatte. Der allgemeine Fortbestehensantrag bleibt wertmäßig unberücksichtigt. Weiter war jedoch der Wert der erledigten Widerklage mit 1.814,12 EUR zu berücksichtigen sowie der Umstand, dass die Beklagte die darauf entfallenden Kosten zu tragen hatte, weil sie trotz der bereits am 26.06.2020 geleisteten Rückzahlung des Betrags durch den Kläger (§ 362 Abs. 1 BGB, Erfüllung) diesbezüglich am 06.07.2020 Widerklage erhoben hat. Unter Berücksichtigung dieser Aspekte ergibt sich eine erstinstanzliche Kostenquote von 72 % für die Beklagte und von 28 % für den Kläger.

Die Kosten des im Wesentlichen erfolglosen Berufungsverfahrens hat die Beklagte gemäß § 97 Abs. 1 ZPO zu tragen, wobei auf den zurückgewiesenen Antrag des Klägers gemäß § 61 Abs. 2 ArbGG kein gesonderter Wert entfällt.

IV.

Die Revision gegen das Urteil war nicht zuzulassen, weil keiner der Zulassungsgründe des § 72 Abs. 2 ArbGG vorlag. Insbesondere wies der am Einzelfall orientierte Rechtsstreit keine grundsätzliche Bedeutung auf und ist eine Divergenz zu obergerichtlichen Entscheidungen nicht erkennbar.