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Entscheidung 13 UF 186/20


Metadaten

Gericht OLG Brandenburg 4. Senat für Familiensachen Entscheidungsdatum 27.04.2021
Aktenzeichen 13 UF 186/20 ECLI ECLI:DE:OLGBB:2021:0427.13UF186.20.00
Dokumententyp Beschluss Verfahrensgang -
Normen

Tenor

1. Auf die Beschwerde der Beschwerdeführer:innen wird der Beschluss des Amtsgerichts Nauen vom 27.10.2020 - 23 F 2/20 - abgeändert:

Die Ehegatten F… W…, geboren am ...1986, und N… W…, geboren am … 1976, beide wohnhaft …-Straße 58, …S…,

nehmen aufgrund der §§ 1767 Abs. 1, 1768 Abs. 1, 1770, 1754 Abs. 1 BGB

Frau I… S…, geboren am …1998, wohnhaft …-Straße 58, … S…,

als gemeinschaftliches Kind an.

Die Annahme der Volljährigen hat nicht die Wirkung der Annahme einer Minderjährigen.

Die Anzunehmende führt fortan den Namen W… als Familiennamen.

Gerichtskosten für das Beschwerdeverfahren werden nicht erhoben. Ihre übrigen Kosten des Verfahrens tragen die Beteiligten selbst.

Der Wert des Beschwerdeverfahrens wird auf 5.000,- € festgesetzt.

Gründe

I.

Die Beschwerdeführer:innen wenden sich gegen die Abweisung ihres Antrags, die Annahme als gemeinschaftliches Kind der Annehmenden auszusprechen.

Die Anzunehmende ist das leibliche Kind der anhörungsberechtigten Frau K… S…. Ihr leiblicher Vater ist nicht bekannt.

Die Annehmenden haben am … .09.2010 die Ehe geschlossen und führen den Ehenamen W… als Familiennamen. Die Annehmenden sind Eltern des anhörungsberechtigten minderjährigen Kindes N… W…, geboren am ….09.2010. Die Annehmende ist weiter Mutter des anhörungsberechtigten minderjährigen Kindes E… We…, geboren am … .04.2007. Die Annehmenden leben mit ihren minderjährigen Kindern in einem gemeinsamen Haushalt, in dem auch die Anzunehmende seit Sommer 2018 ununterbrochen lebt.

Die Anzunehmende ist unverheiratet, nicht verpartnert und hat keine Kinder.

Alle Beteiligten sind deutsche Staatsangehörige.

Die Annehmenden und die Anzunehmende haben die Ausfertigungen der notariellen Urkunden der Notarin A… K… vom 03.02.2020 zur Urkundenrolle Nr. (a…)/2020 und vom 01.04.2020 zur Urkundenrolle Nr. (b…)/2020 vorgelegt, die den Antrag der Annehmenden und der Anzunehmenden beurkundet, die Annahme als Kind ohne die Wirkungen der Annahme einer Minderjährigen auszusprechen.

Mit dem angefochtenen Beschluss, auf den der Senat wegen der weiteren Einzelheiten des erstinstanzlichen Sach- und Streitstands verweist, hat das Amtsgericht den Antrag nach persönlicher Anhörung der Beteiligten abgewiesen. Das herzliche Vertrauensverhältnis zwischen den Annehmenden und der Anzunehmenden weise keine Züge auf, die es von dem einer engen Freundschaft zwischen Erwachsenen unterscheide. Angesichts des geringen Altersunterschieds zwischen der Annehmenden und der Anzunehmenden sei die Entstehung eines Eltern-Kind-Verhältnisses nicht zu erwarten.

Mit ihrer hiergegen gerichteten Beschwerde verfolgen die Beschwerdeführer:innen ihr Adoptionsbegehren uneingeschränkt weiter. Das Amtsgericht habe die Adoptionsvoraussetzungen fehlerhaft verneint. Die Annehmenden und die Anzunehmenden seien zueinander durch ein familiäres Näheverhältnis verbunden. Insbesondere bestehe ein Mutter-Kind-Verhältnis zwischen der Annehmenden und der Anzunehmenden trotz deren Altersunterschied von nur 12 Jahren.

Der Senat hat die Annehmenden, die Anzunehmende und die anhörungsberechtigten minderjährigen Kinder der Annehmenden persönlich angehört. Auf den Vermerk vom 23.04.2021 wird verwiesen.

Die anhörungsberechtigte Mutter der Anzunehmenden hatte Gelegenheit zur Stellungnahme.

II.

Die nach den §§ 58 ff. FamFG statthafte und auch im Übrigen zulässige Beschwerde hat Erfolg.

Der Antrag der Annehmenden und der Anzunehmenden, die Annahme der volljährigen Anzunehmenden auszusprechen (§ 1768 Abs. 1 BGB), ist begründet.

Die Annahme ist sittlich gerechtfertigt (§ 1767 Abs. 1 BGB), da zwischen der Anzunehmenden und den Annehmenden ein Eltern-Kind-Verhältnis bereits entstanden ist.

Ein Eltern-Kind-Verhältnis ist entstanden, wenn zwischen Annehmendem und Anzunehmendem eine dauerhafte seelisch-geistige Bindung im Sinne einer natürlichen Eltern-Kind-Beziehung besteht. Dabei sind alle für und gegen die Annahme einer Eltern-Kind-Beziehung sprechenden Umstände in eine Einzelfallbetrachtung einzubeziehen und gegeneinander abzuwägen (OLG Stuttgart, NJW 2019, 1385). Die für die Entstehung einer Eltern-Kind-Beziehung sprechenden Umstände müssen die dagegen sprechenden Umstände deutlich überwiegen. Begründete Zweifel gehen zulasten der Betroffenen und führen zur Abweisung des Adoptionsantrags (OLG Nürnberg, FamRZ 2015, 517; Pöcker in BeckOK BGB, Hau/Poseck, 57. Ed. Stand 01.02.2021, § 1767 Rn. 9).

Bei einer Volljährigenadoption kann von einem Eltern-Kind-Verhältnis ausgegangen werden, wenn die Beziehung ein derartiges Maß an innerer Verbundenheit aufweist, dass sie sich klar von einer engen Freundschaft abhebt und in die Nähe einer echten, gelebten Beziehung zwischen Eltern und erwachsenem Kind rückt. Anhaltspunkte dafür sind die Integration in das familiäre Beziehungsgeflecht, ein gewachsenes, gegenseitiges Grundvertrauen, in dem sich die Beteiligten wechselseitig aussprechen oder in die Entscheidungsfindung in wichtigen Angelegenheiten in angemessener Weise einbeziehen (OLG Stuttgart, a. a. O.).

Gemessen an den vorstehenden Kriterien besteht kein Zweifel, dass zwischen der Anzunehmenden und den Annehmenden ein Eltern-Kind-Verhältnis bereits entstanden ist.

Dies ergibt sich aus den schriftlichen und bei ihrer persönlichen Anhörung geäußerten Angaben der Annehmenden und der Anzunehmenden sowie der beiden minderjährigen Söhne der Annehmenden. Zweifel an der Richtigkeit deren Angaben hat der Senat nicht.

Die Annehmenden und die Anzunehmende haben sich im Jahr 2017 kennengelernt, als die Anzunehmende noch in der allgemeinen Schulausbildung war. Die Anzunehmende lebte seit ihrem vierten Lebensjahr von ihrer leiblichen Mutter getrennt in verschiedenen Pflegefamilien und Wohngruppen. Zu ihren leiblichen Schwestern und ihrer Mutter hat sie eine familiäre Bindung nicht aufnehmen können. Ihr Vater ist nicht bekannt. Die Annehmenden traten als erste feste Bezugspunkte in das Leben der Anzunehmenden. Sie unterstützten sie bei der erfolgreichen Beendigung der Schule und der Entscheidung für die Aufnahme einer Berufsausbildung und nahmen sie im Juni 2018 dauerhaft in ihren Haushalt auf. Sie verbringen seitdem alle Urlaube, Familienfeste der Annehmenden und Feier- und Geburtstage gemeinsam. Die Anzunehmende begleitet die minderjährigen Kinder der Annehmenden geschwisterlich zu sportlichen und anderen Ereignissen.

Die Anzunehmende und die Annehmenden stehen sich wie eine volljährige Tochter und ihre Eltern gegenüber, auch wenn der Altersunterschied zwischen der Annehmenden und der Anzunehmenden nur 12 Jahre beträgt. Die Annehmende befindet sich bereits durch ihre Position als Mutter der im Familienverband lebenden minderjährigen Söhne und Ehefrau des Annehmenden in einer Vorbild- und Elternrolle gegenüber der Anzunehmenden; dies wird durch den Umstand, dass sie die Anzunehmende während deren Schulzeit als Lehrerin unterrichtet hatte, verstärkt. Dem Bestehen eines nur freundschaftlichen oder etwa schwesterlichen Bandes zwischen der Annehmenden und der Anzunehmenden steht weiter die in der Anhörung eindrucksvoll zum Ausdruck gekommene besondere emotionale Reife der Annehmenden als Mutter entgegen, die sich in dem töchterlichen Respekt der Anzunehmenden, die auf ihre leibliche Mutter als Bezugsperson in ihrer Kindheit nicht hat zurückgreifen können, wiederspiegelt.

Ein geringer Altersunterschied kann zwar gegen die Annahme eines Eltern-Kind-Verhältnisses sprechen (vgl. KG, FamRZ 2014, 225; Pöcker a. a. O. Rn. 6). Jedoch kommt es auch hier stets auf die konkreten Umstände des Einzelfalls an (Palandt/Götz, BGB, 80. Aufl. 2021, § 1767 Rn. 7). Ein geringer Altersunterschied kann der für das Eltern-Kind-Verhältnis typischen emotionalen Verbundenheit, die ihrem Inhalt nach der durch die natürliche Abstammung geschaffenen familiären Bindung ähnelt, entgegenstehen, insbesondere in Ansehung des Anlasses für die beabsichtigte Adoption, die stets auf einem familienbezogenen Motiv beruhen muss. Spielen mehrere Motive eine Rolle, dann muss das familienbezogene Motiv das Hauptmotiv sein (OLG Nürnberg, FamRZ 2015, 517; Pöcker a. a. O. Rn. 6.1). Vorliegend besteht neben der familiären Einbindung der Anzunehmenden in die Familie der Annehmenden kein weiteres Motiv für die Adoption. Der Annahme einer nur freundschaftlichen Verbundenheit zwischen der Annehmenden und der Anzunehmenden stehen somit das familiäre Gefüge, die minderjährigen Söhne, zu denen die Anzunehmende eine schwesterliche Beziehung pflegt und die Ehe der Annehmenden mit dem deutlich älteren Annehmenden entgegen.

Die Einwilligung der leiblichen Mutter der Anzunehmenden ist nicht erforderlich, §§ 1768 Abs. 1 Satz 2, 1747 BGB. Die leibliche Mutter hat auch keine der Annahme entgegenstehenden Umstände geltend gemacht.

Ein Annahmeverbot wegen entgegenstehender Interessen der Kinder der Annehmenden besteht nicht, § 1769 BGB. Da die Annahme als Kind das tatsächlich bestehende Eltern-Kind-Verhältnis zwischen den Annehmenden und der Anzunehmenden nachvollzieht, liegen ideelle Gegeninteressen fern. Aus der Anhörung der Annehmenden, der Anzunehmenden und der minderjährigen Kinder der Annehmenden ist auch kein Anhaltspunkt ersichtlich geworden, der die wirtschaftlichen Interessen der Kinder der Annehmenden in adoptionserheblicher Weise berühren könnte.

Die Änderung des Familiennamens der Anzunehmenden beruht auf §§ 1767 Abs. 2 Satz 1, 1757 Abs. 1 BGB.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 81 Abs. 1 Satz 1 FamFG.

Die Festsetzung des Beschwerdewerts beruht auf §§ 55 Abs. 2, 42 Abs. 2, 3 FamGKG.

Diese Entscheidung ist unanfechtbar, § 197 Abs. 3 Satz 1 FamFG.