Gericht | OLG Brandenburg 3. Senat für Familiensachen | Entscheidungsdatum | 29.04.2021 | |
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Aktenzeichen | 15 UF 64/21 | ECLI | ECLI:DE:OLGBB:2021:0429.15UF64.21.00 | |
Dokumententyp | Beschluss | Verfahrensgang | - | |
Normen |
Die Beschwerde der Antragsgegnerin gegen den Beschluss des Amtsgerichts - Familiengerichts - Brandenburg an der Havel vom 26. März 2021 - 47a 5/21 - wird auf ihre Kosten zurückgewiesen.
Der Beschwerdewert wird auf 10.000 € festgesetzt.
Das Verfahrenskostenhilfegesuch der Antragsgegnerin wird zurückgewiesen.
Die gemäß § 40 Abs. 2 IntFamRVG statthafte und auch im Übrigen zulässige Beschwerde der Antragsgegnerin ist unbegründet.
I.
Die Beschwerde ist zulässig
1.
Die Antragsgegnerin ist zur Beschwerde berechtigt. Denn gegen eine Rückgabeanordnung darf der Antragsgegner, also in Fällen des HKÜ die Person, der vom Antragsteller vorgeworfen wird, das Kind widerrechtlich verbracht oder zurückgehalten zu haben, neben dem über 14 Jahre alte Kind und dem Jugendamt Beschwerde einlegen, vgl. § 40 Abs. 2 S. 3 IntFamRVG (s. a. MüKoFamFG/Gottwald, 3. Aufl. 2019, IntFamRVG § 40 Rn. 4).
2.
Die Beschwerde ist fristgerecht i.S.v. § 40 Abs. 2 Satz 2 IntFamRVG eingelegt und begründet worden. Dabei kommt es nicht auf die von den Antragstellern mit Schriftsatz vom 22.04.2021 aufgeworfene Frage an, ob die Antragsgegnerin die Beschwerde zu Recht beim Oberlandesgericht und nicht beim Amtsgericht eingereicht hat.
Allerdings ist die Rechtslage insoweit nicht eindeutig. In § 40 Abs. 2 Satz 1 Hs. 1 IntFamRVG ist bestimmt, dass gegen eine im ersten Rechtszug ergangene Entscheidung die Beschwerde zum Oberlandesgericht nach Unterabschnitt 1 des Abschnitts 5 des Buches 1 des Gesetzes über das Verfahren in Familiensachen und in den Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit (FamFG) stattfindet. Gemäß § 40 Abs. 2 Satz 1 Hs. 2 IntFamRVG sind dabei § 65 Abs. 2, § 68 Abs. 4 sowie § 69 Abs. 1 Satz 2 bis 4 FamFG nicht anzuwenden. Dass die Beschwerde zum Oberlandesgericht stattfindet, könnte dafür sprechen, dass das Rechtsmittel auch dort einzulegen ist. Andererseits bedeutet die Bezugnahme auf das FamFG, von der gemäß § 40 Abs. 1 Satz 1 Hs. 2 IntFamRVG die Bestimmung des § 64 FamFG nicht ausgenommen ist, dass die Beschwerde bei dem Gericht einzulegen ist, dessen Beschluss angefochten wird, § 64 Abs. 1 Satz 1 FamFG. Das wäre hier das Amtsgericht. Das kann aber auf sich beruhen. Denn im vorliegenden Fall ist die Frist von zwei Wochen gemäß § 40 Abs. 2 Satz 2 IntFamRVG unzweifelhaft gewahrt.
Der angefochtene Beschluss ist am 26.03.2021 erlassen worden. Eine Zustellung an die erstinstanzlichen Verfahrensbevollmächtigten der Antragsgegnerin lässt sich den Akten zwar nicht entnehmen. Doch selbst wenn man eine Zustellung noch am Tag des Erlasses annähme, würde die Frist von zwei Wochen zur Einlegung und Begründung der Beschwerde frühestens am 09.04.2021 ablaufen.
Die Beschwerdeschrift datiert vom 02.04.2021 und ist an das Brandenburgische Oberlandesgericht adressiert. Wie sich aus dem Übersendungsschreiben des Oberlandesgerichts vom 06.04.2021 und dem darauf angebrachten Eingangsvermerk des Amtsgericht (Bl. 424) ergibt, hat die Beschwerdeschrift sowohl dem Oberlandesgericht als auch dem Amtsgericht Brandenburg an der Havel spätestens am 06.04.2021 und damit vor dem frühestmöglichen Fristablauf am 09.04.2021 vorgelegen. Auf die Rechtsfrage der Eingangszuständigkeit kommt es somit nicht an.
II.
Die Beschwerde ist unbegründet. Zu Recht hat das Amtsgericht gemäß Art. 12 Abs. 1 HKÜ die Rückführung des Kindes nach Kanada angeordnet. Der Senat entscheidet gemäß § 68 Abs. 3 Satz 2 FamFG ohne erneute persönliche Anhörung der Beteiligten. Das Amtsgericht hat am Tag seiner Entscheidung einen Anhörungstermin durchgeführt. Von einer erneuten Anhörung wären keine neuen Erkenntnisse zu erwarten.
1.
Die Voraussetzungen dafür, die Rückführung des Kindes anzuordnen, liegen vor.
a)
Jedenfalls der Antragsteller zu 1) ist hinsichtlich der Rückführung des Kindes antragsberechtigt.
Gemäß Art. 8 Abs. 1 HKÜ genügt es für die Antragstellung, dass eine Person geltend macht, ein Kind sei unter Verletzung des Sorgerechts verbracht oder zurückgehalten worden.
Ist eine natürliche Person nur teilsorgeberechtigt, weil ihr lediglich das alleinige Aufenthaltsbestimmungsrecht über das Kind zusteht, so hindert das ihre Berechtigung zur Antragstellung nicht. Nur wenn sie lediglich ein Umgangsrecht hat oder ein fremdes, einer anderen Person zustehendes Sorgerecht geltend macht, reicht dies grundsätzlich für eine Antragsberechtigung nicht aus (BeckOGK/Markwardt, Stand 01.02.2021, HKÜ Art. 8 Rn. 4). Der Antragsteller zu 1) stützt seinen Antrag hier auf die ihm persönlich übertragenen sorgerechtlichen Befugnisse aus der Entscheidung des Court of Queen‘s Bench of Alberta vom 05.02.2020. Damit besteht für ihn eine Antragsberechtigung. Die Frage, ob tatsächlich ein Sorgerecht des Antragstellers zu 1) besteht, betrifft die Begründetheit des Antrags. Darauf ist sogleich einzugehen.
b)
Auf den Antrag des Antragstellers zu 1) ist die Rückführung des Kindes anzuordnen.
Ist ein Kind im Sinn des Artikels 3 HKÜ widerrechtlich verbracht oder zurückgehalten worden und ist bei Eingang des Antrags bei dem Gericht oder der Verwaltungsbehörde des Vertragsstaats, in dem sich das Kind befindet, eine Frist von weniger als einem Jahr seit dem Verbringen oder Zurückhalten verstrichen, so ordnet das zuständige Gericht oder die zuständige Verwaltungsbehörde die sofortige Rückgabe des Kindes an, Art. 12 HKÜ. So liegt es hier. Denn die Antragsgegnerin hat das Kind widerrechtlich nach Deutschland verbracht.
Das Verbringen oder Zurückhalten eines Kindes gilt gemäß Art. 3 S. 1 HKÜ als widerrechtlich, wenn
a) dadurch das Sorgerecht verletzt wird, das einer Person, Behörde oder sonstigen Stelle allein oder gemeinsam nach dem Recht des Staates zusteht, in dem das Kind unmittelbar vor dem Verbringen oder Zurückhalten seinen gewöhnlichen Aufenthalt hatte, und
b) dieses Recht im Zeitpunkt des Verbringens oder Zurückhaltens allein oder gemeinsam tatsächlich ausgeübt wurde oder ausgeübt worden wäre, falls das Verbringen oder Zurückhalten nicht stattgefunden hätte.
Diese Voraussetzungen sind gegeben. Insoweit wird zunächst auf die zutreffenden Ausführungen im angefochtenen Beschluss Bezug genommen.
aa)
Die Antragsgegnerin hat durch das Verbringen des Kindes nach Deutschland das Sorgerecht des Antragstellers zu 1) verletzt.
Sowohl für die Widerrechtlichkeit des Verbringens als auch für die des Zurückhaltens ist die Sorgerechtslage im Zeitpunkt dieser Handlungen entscheidend, und zwar sowohl hinsichtlich des anzuwendenden Rechts als auch hinsichtlich der Sorgerechtsinhaberschaft. Sie beurteilt sich grundsätzlich nach dem Recht des unmittelbar vorherigen Aufenthaltsstaates. Es muss daher bereits beim Verbringen, also beim Aufenthaltswechsel des Kindes von einem Vertragsstaat in den anderen bzw. zum Zeitpunkt der Unrechtmäßigkeit des Zurückhaltens im anderen Vertragsstaat, ein anderer Elternteil oder eine Behörde zumindest mitsorgeberechtigt sein (BeckOGK/Markwardt, a.a.O., HKÜ Art. 3 Rn. 34). So liegt es hier. Denn die Antragsgegnerin hat durch ihre Handlung das dem Antragsteller zu 1) nach dem maßgeblichen kanadischen Recht zustehende Sorgerecht verletzt.
Dem steht nicht entgegen, dass der Antragsteller zu 1) nicht der biologische Vater des Kindes ist. Denn er erhielt durch die Entscheidung des Court of Queen‘s Bench of Alberta vom 05.02.2020 (Bl. 78, 89) zusammen mit der Antragsgegnerin das gemeinsame Sorgerecht nicht nur für die beiden gemeinsamen Kinder dieser Eheleute, sondern darüber hinaus auch für die Tochter M… der Antragsgegnerin, deren Vater verstorben war. Insoweit hat das kanadische Gericht festgestellt, dass der Antragsteller zu 1) für M… die Elternstelle vertrete („in loco parentis“).
Entgegen der Auffassung der Antragsgegnerin war der Antragsteller zu 1) aufgrund der Entscheidung vom 05.02.2020 Mitinhaber der elterlichen Sorge, sodass durch das Verbringen des Kindes nach Deutschland eine Sorgerechtsverletzung zulasten des Antragstellers zu 1) vorliegt. Insoweit kommt es nicht, wie die Antragsgegnerin meint, darauf an, ob eine Entscheidung „in loco parentis“ mit der elterlichen Sorge nach deutschem Familienrecht vergleichbar ist. Entscheidend ist, ob eine solche Entscheidung sorgerechtliche Befugnisse vermittelt. Dies ist im Hinblick auf das kanadische Recht zu bejahen.
Das kanadische Recht lässt grundsätzlich erkennen, dass im Einzelfall auch Personen, von denen ein minderjähriges Kind nicht abstammt, sorgeberechtigte Befugnisse in Bezug auf das Kind erlangen können. So ist im kanadischen Recht, im Divorce Act von 1985, Sec. 16 Abs. 1, angeordnet, dass ein zuständiges Gericht auf Antrag eines oder beider Ehegatten oder einer anderen Person eine Anordnung über das Sorgerecht und/oder das Umgangsrecht mit einem oder allen Kindern aus einer Ehe treffen kann (vgl. Bergmann/Ferid, Internationales Ehe- und Kindschaftsrecht, Abschnitt Kanada, Stand 01.04.2018, S. 49). Die in dieser Regelung genannten Rechte können damit sowohl einer als auch mehreren Personen – und zwar nicht nur den Eltern – umfassend oder mit geeigneten Einschränkungen gewährt werden (Vincent Mayr, in Bergmann/Ferid, a.a.O., S. 43). Zu berücksichtigen ist ferner, dass nach dem family law act des Staates Alberta (Kanada), Sec. 20 Abs. 2 (d) Sorgerechtsbefugnisse auch erlangen kann, wer „den anderen Teil nach der Geburt geheiratet hat“ (vgl. Bergmann/Ferid, Internationales Ehe- und Kindschaftsrecht, Abschnitt Kanada – Alberta, Stand 15.04.2015, S. 66; siehe dazu auch Vincent Mayr, a.a.O., Seite 37).
Auch vor dem Hintergrund dieser Regelungen ist die vom Amtsgericht schon im Rahmen der Prüfung der Antragsbefugnis nach Art. 8 Abs. 1 HKÜ vertretene Auffassung zutreffend, dass die Bezeichnung „in loco parentis“ nicht gegen die Inhaberschaft der elterlichen Sorge spricht. Überzeugend hat das Amtsgericht insoweit darauf hingewiesen, dass den Eheleuten die gemeinsame rechtliche Sorge für alle drei Kinder, also unter Einschluss von M…, übertragen worden ist und der Zusatz „in loco parentis“ lediglich deutlich macht, dass der Antragsteller zu 1) nicht der Vater des Kindes M… ist. Nach dem Wortlaut des Beschlusses ist jedenfalls eindeutig davon auszugehen, dass der Antragsteller zu 1) in Bezug auf M… keine geringeren Befugnisse als in Bezug auf seine beiden leiblichen Kinder erhalten sollte.
Zudem ist nach der Entscheidung vom 05.02.2020 davon auszugehen, dass der Antragsteller zu 1) auch in Bezug auf M… gleichberechtigt neben der Antragsgegnerin sorgeberechtigt ist. Daher kommt es nicht darauf an, dass eine solche Rechtsverletzung zulasten einer Person auch dann vorliegen kann, wenn ihr Personensorgerecht weniger ausgeprägt ist als dasjenige des Entführers (vgl. BVerfG - 3. Kammer des Zweiten Senats -, Beschluss vom 18.07.1997 - 2 BvR 1126/97, NJW 1997, 3301, 3302).
bb)
Ferner ist davon auszugehen, dass der Antragsteller zu 1) das Sorgerecht im Zeitpunkt des Verbringens auch tatsächlich ausgeübt hat bzw. es von ihm ausgeübt worden wäre, falls das Verbringen nicht stattgefunden hätte, Art. 3 S. 1 Buchst. b) HKÜ.
Bei der Prüfung der Frage, ob das Sorgerecht vom Antragsteller auch tatsächlich ausgeübt worden ist, muss der Zweck des Hagener Kindesentführungsübereinkommens berücksichtigt werden. Dieses Übereinkommen soll verhindern, dass ein Kind unter Verstoß gegen das Sorgerecht und somit widerrechtlich ins Ausland gebracht wird. Das regelmäßig durch einen Elternteil ohne Zustimmung des anderen Elternteils in einen anderen Vertragsstaat verbrachte Kind soll schnellstmöglich rückgeführt und die Sorgerechtsentscheidung am Ort des früheren gewöhnlichen Aufenthalts des Kindes sichergestellt werden. Auf diese Art dient das Haager Kindesentführungsübereinkommen dem Kindeswohl. Die strikte Regel, dass allein das ursprünglich international zuständige Gericht unter Berücksichtigung des Kindeswohls über die elterliche Sorge entscheidet, soll gerade einen auch für das Kind nachteiligen Wechsel des Lebensmittelpunktes vermeiden. Es soll verhindert werden, dass durch die Entführung geschaffene vollendete Tatsachen von vornherein ein Übergewicht gewinnen (BVerfG, a.a.O., S. 3301).
Wenn ein gemeinsames Sorgerecht besteht, ist in der Regel davon auszugehen, dass es auch tatsächlich gemeinsam ausgeübt wird. Für dieses Merkmal gilt eine niedrige Schwelle. So wird eine gemeinsame Sorgerechtsausübung schon dann angenommen, wenn ein Elternteil sich zwar nicht an der täglichen Sorge für das Kind beteiligt, aber zumindest mit dem Kind ab und zu Kontakt hat und sich an wesentlichen Entscheidungen für das Kind beteiligt, insbesondere dann, wenn er einen Umzug des Kindes ins Ausland erkennbar ablehnt. Da bei Getrenntleben der Eltern dem mit dem Kind nicht zusammenlebenden Elternteil eine aktive Ausübung der Mitsorge kaum möglich ist, muss auch eine eher passive, beobachtende und nachträglich genehmigende Handlungsweise für eine tatsächliche gemeinsame Ausübung genügen, insbesondere wenn dies auf einer länger praktizierten Rollenverteilung der Elternteile oder einer stillschweigenden Hinnahme der aktiven Rolle des anderen beruht (BeckOGK/Markwardt, a.a.O., Rn. 41).
Unter Berücksichtigung dieser Grundsätze ist hier von einer tatsächlichen Ausübung des Sorgerechts durch den Antragsteller zu 1) auszugehen. Dem steht nicht entgegen, dass die Antragsgegnerin dies auf den Seiten 3, 4 der Beschwerdeschrift pauschal in Abrede stellt. Insoweit ist der Entscheidung der Verfahrensablauf, wie ihn die Antragsteller in der Beschwerdeerwiderung vom 22.04.2021 dargestellt haben, zugrunde zu legen. Daran ändert der Umstand nichts, dass die Antragsgegnerin in ihrem Schriftsatz vom 23.04.2021 noch einmal behauptet hat, der Antragsteller zu 1) habe sich nicht einmal um die Ausübung des Sorgerechts bemüht. Gemäß Art. 13 Abs. 1a HKÜ ist es die Antragsgegnerin, die, weil sie sich der Rückgabe des Kindes widersetzt, nachweisen muss, dass die antragstellende Person das Sorgerecht tatsächlich nicht ausgeübt hat (vgl. BeckOGK/Markwardt, a.a.O., HKÜ Art. 13 Rn. 5). Dieser Nachweis ist der Antragsgegnerin nicht gelungen.
Daran ändert der Hinweis der Antragsgegnerin im Schriftsatz vom 23.04.2021 auf den Nachrichtenverlauf nichts. Schon der Umstand, dass die Antragsgegnerin den Antragsteller zu 1) von sich aus über die Kinder, auch über M…, informiert hat, etwa in der Nachricht vom 23.03.2020 („Message 2 of 190“, Bl. 485), lässt erkennen, dass sie dem Antragsteller zu 1) auch in Bezug auf M… zumindest eine passive, beobachtende Rolle, die – wie bereits ausgeführt – für die tatsächliche Ausübung der ehelichen Sorge ausreicht, zugebilligt hat.
Auch der weitere Nachrichtenverlauf lässt ein Interesse des Antragstellers zu 1) für alle drei Kinder, auch für M…, erkennen. Beispielhaft soll folgendes aufgeführt werden:
In der „Message 9 of 190“ vom 31.03.2020 (Bl. 493) geht der Antragsteller zu 1) auf das Befinden der Kinder ein.
In der „Message 10 of 190“ vom 31.03.2020 (Bl. 494) spricht der Antragsteller zu 1) die Möglichkeit einer Videokonferenz mit den Kindern an.
In der „Message 28 of 190“ vom 07.04.2020 (Bl. 503) bringt der Antragsteller zu 1) zum Ausdruck, dass er die Kinder vermisst.
In der „Message 34 of 190“ vom 07.04.2020 (Bl. 506) informiert die Antragsgegnerin den Antragsteller über das „Homeschooling“ von M….
In der „Message 37 of 190“ vom 11.04.2020 (Bl. 507) geht die Antragsgegnerin auf einen möglichen Skype-Kontakt des Antragstellers zu 1) mit M… ein (Bl. 507).
In der „Message 64 of 190“ vom 30.04.2020 (Bl. 524) berichtet der Antragsteller zu 1) von einer Kontaktaufnahme mit der Schule von M….
In der „Message 75 of 190“ vom 09.05.2020 (Bl. 534) äußert der Antragsteller zu 1) den Wunsch, am 09.5.2020 mit den Kindern zu sprechen.
In der „Message 83 of 190“ vom 11.05.2020 reagiert der Antragsteller zu 1) auf einen Wunsch M…, den ihm die Antragsgegnerin zwei Tage zuvor übermittelt hat.
In der „Message 95 of 190“ vom 09.06.2020 (Bl. 548) geht der Antragsteller zu 1) wiederum auf einen von M… geäußerten Wunsch ein.
Nach alledem sind die - ohnehin geringen - Anforderungen, die an eine tatsächliche Ausübung des Sorgerechts zu stellen sind, erfüllt. Auf den von der Antragsgegnerin im Schriftsatz vom 27.04.2021 erhobenen Vorwurf, der Antragsteller zu 1) sei seinen finanziellen Verpflichtungen gegenüber M… nicht ausreichend nachgekommen, kommt es in diesem Zusammenhang nicht an.
2.
Ein Grund für eine Verweigerung der Rückgabe des Kindes gemäß Art 13 HKÜ liegt nicht vor.
a)
Einen Verweigerungsgrund nach Art. 13 Abs. 1 Buchst. a HKÜ, ein tatsächlich nicht ausgeübtes Sorgerecht, hat die Antragsgegnerin – wie dargelegt – nicht nachgewiesen.
b)
Dass die Rückgabe mit der schwerwiegenden Gefahr eines körperlichen oder seelischen Schadens für das Kind verbunden wäre oder das Kind auf andere Weise in eine unzumutbare Lage brächte, Art. 13 Abs. 1 Buchst. b HKÜ, hat die Antragsgegnerin ebenfalls nicht nachgewiesen (vgl. zur Nachweispflicht auch insoweit BeckOGK/Markwardt, a.a.O., HKÜ Art. 13 Rn. 17).
aa)
Der Vorwurf der Antragsgegnerin, der Antragsteller zu 1) habe sich des sexuellen Missbrauchs der Kinder, insbesondere M…, schuldig gemacht, ist von den zuständigen Behörden und Gerichten in Kanada ernsthaft geprüft worden. Anzeichen dafür, dass die zuständigen Stellen in Kanada zukünftig diesem Vorwurf weniger Beachtung schenken, sind nicht gegeben. Das Amtsgericht hat im Übrigen zutreffend festgestellt, dass die Antragsgegnerin den erforderlichen Nachweis nicht erbracht hat. Denn die kanadische Kinderschutzeinrichtung sei nach umfassender Prüfung zum Ergebnis gelangt, dass sich die von der Mutter geäußerten Verdachtsmomente nicht bestätigt hätten.
bb)
Auch dass das Kind deshalb körperlich geschädigt würde, weil seine Bindung an die Mutter, die Antragsgegnerin, verloren ginge, ist nicht nachgewiesen.
Der Antragsgegnerin ist zuzugestehen, dass M… eine enge Bindung (auch und insbesondere) an sie hat. Die am Ende der Beschwerdeschrift wiedergegebenen Briefe der Tochter lassen aber nicht den Schluss zu, dass eine ausschließliche Bindung zur Mutter besteht, die unbedingt erhalten werden muss. Dass die Tochter schreibt, sie vermisse die Mutter, ist angesichts des Umstands, dass sich das Mädchen in einer völlig fremden Umgebung ohne bisher bekannte Bezugspersonen, nämlich in einer Einrichtung befindet, nicht verwunderlich. Dessen ungeachtet bringt M… in diesen Briefen nicht nur ihre starke Bindung zur Mutter zum Ausdruck. Vielmehr schreibt sie weiter, sie wolle aber ein normales Leben, nicht nur mit der Mutter, sondern auch mit „den Babys“ führen. Die Antragsgegnerin selbst schreibt auch von den Bindungen M… an ihre jüngeren Halbgeschwister. Diese aber halten sich in Kanada auf.
In dem Beschwerdeverfahren 15 UF 67/21, in dem es um eine einstweilige Anordnung des Amtsgerichts vom 26.03.2021 zur Sicherung der Rückführung des Kindes geht - 47a 7/21 -, hat das Jugendamt des Landkreises … unter dem 22.04.2021 einen Bericht abgegeben. Danach spricht M… fließend Englisch, während eine Kommunikation in deutscher Sprache nicht möglich sei. Auch dies ist ein Umstand, der dagegen spricht, dass das Kind durch die Rückführung nach Kanada in eine unzumutbare Lage gebracht würde. Vielmehr würde sie sich dann wieder in einem Land befinden, in dem ihre Muttersprache gesprochen wird.
Das Jugendamt berichtet ferner, dass M… seit der stationären Unterbringung, die am 26.03.2021 erfolgt ist, deutliche Verhaltensänderungen an den Tag gelegt habe. Sie erscheine fröhlicher, lache herzlich und berichte allen Beteiligten, wie gut es ihr in der Wohngruppe gefalle und dass sie schon Freunde gefunden habe.
Soweit es die Bindungen des Kindes betrifft, steht nach dem Bericht des Jugendamts M… Sehnsucht nach ihren Geschwistern im Vordergrund. Die Umgänge mit der Stiefgroßmutter und der Stieftante väterlicherseits würden aber zunehmend positiver verlaufen.
Hinsichtlich des begleiteten Umgangs mit der Mutter hat das Jugendamt festgestellt, dass M… mit der zur Verfügung stehenden begrenzten Zeit offenbar keine Probleme gehabt und auch bei der Verabschiedung und im Anschluss keine Trennungsängste gezeigt habe.
Aus dem Bericht des Jugendamts ergibt sich somit in der Gesamtschau, dass M… die besonderen Umstände, mit denen sie den letzten Wochen konfrontiert war und die auf die Entführung durch die Mutter zurückzuführen sind, offensichtlich relativ gut verarbeitet hat. Dass das Mädchen durch eine Rückführung nach Kanada in eine unzumutbare Lage gebracht würde, kann nicht angenommen werden. Dies gilt selbst dann, wenn dies mit einer Trennung von ihrer Mutter, der Antragsgegnerin, verbunden sein sollte.
Nach wie vor ist zwar nicht zwingend davon auszugehen, dass M… im Fall einer Rückführung nach Kanada den unmittelbaren Kontakt zu ihrer Mutter verlieren würde. Zu Recht hat der Antragsteller zu 1) darauf hingewiesen, dass die Antragsgegnerin im Anhörungstermin vom 26.03.2021 vor dem Amtsgericht durch ihre Verfahrensbevollmächtigten hat erklären lassen, grundsätzlich bereit zu sein, nach Kanada zurückzukehren, um dort wieder in Kontakt zu ihren Kindern zukommen. Sie verpflichte sich auch insoweit, mit der Antragstellerseite zusammenzuarbeiten, um eine möglichst konfliktfreie Überführung des Kindes nach Kanada zu ermöglichen. Auch zu einer Aushändigung der Reisedokumente M… hat sich die Antragsgegnerin in jenem Termin verpflichtet. Nach den Angaben der Antragsteller im Schriftsatz vom 22.04.2021 hat sich die Antragsgegnerin allerdings an diese Zusagen nicht gehalten.
Die aktuellen Äußerungen der Antragsgegnerin im Verfahren sind indes anders gehalten. So hat sie im Schriftsatz vom 27.04.2021 erklärt, nun gerichtlich auch darum kämpfen zu wollen, die beiden anderen Kinder zu sich nach Deutschland zu holen. Angesichts der Unstetigkeit, welche die Antragsgegnerin an den Tag legt, lässt sich gegenwärtig nicht beurteilen, ob sie im Interesse M… nicht doch bereit wäre, mit dem Kind nach Kanada zurückzukehren.
c)
Der Rückführung steht schließlich nicht die etwaige Feststellung entgegen, dass sich das Kind der Rückgabe widersetzt und dass es ein Alter und eine Reife erreicht hat, angesichts deren es angebracht erscheint, seine Meinung zu berücksichtigen, Art. 13 Abs. 2 HKÜ.
Insoweit kann auf die zutreffenden Ausführungen im angefochtenen Beschluss Bezug genommen werden. Das Mädchen befindet sich offensichtlich in einem Loyalitätskonflikt. Dem bereits angeführten Bericht des Jugendamtes lässt sich eine aktuelle Willensäußerung des Kindes dahin, unbedingt in Deutschland bleiben zu wollen, nicht entnehmen.
Im Übrigen bietet der Kindeswille regelmäßig erst ab einem Alter des Kindes von etwa 12 Jahren eine einigermaßen zuverlässige Entscheidungsgrundlage (vgl. OLG Brandenburg - 1. Familiensenat -, FamRZ 2008, 1472, 1474; OLG Brandenburg - 2. Familiensenat -, FamRZ 2003, 1951, 1954; Beschluss vom 25.11.2010 – 10 UF 135/10, BeckRS 2010, 30458; OLG Brandenburg - 5. Familiensenat -, Beschluss vom 29.7.2013 – 3 UF 47/13, BeckRS 2013, 19107).
M… ist erst neun Jahre alt. Dass hier dennoch hinreichende Anzeichen für eine autonome Entscheidung zugunsten eines Verbleibs in Deutschland und vor allem – was entscheidend ist – gegen eine Rückführung nach Kanada gegeben wären, ist nicht ersichtlich. Vielmehr fehlt es gerade an einer solchen eindeutigen und auch nachvollziehbaren Willensäußerung.
Dies gilt auch unter Berücksichtigung der von der Antragsgegnerin mit Schriftsatz vom 27.04.2021 dargelegten Eintragungen des Mädchens im „Lifebook“. Zwar sind dort auch kritische Äußerungen gegenüber der „Canada family“ enthalten. Welche Personen damit konkret gemeint sind, bleibt unklar, zumal natürlich auch die beiden Halbgeschwister, an denen M… offensichtlich sehr hängt, zur Familie in Kanada gehören.
Auf die weiteren Ausführungen der Antragsgegnerin im Schriftsatz vom 27.04.2021 hinsichtlich der aktuellen Situation des Mädchens in der Einrichtung kommt es nicht entscheidend an. Die Frage von Umgangskontakten mit Bezugspersonen ist nicht Gegenstand des vorliegenden Verfahrens. Äußerungen des Kindes gegenüber der Antragsgegnerin, es werde in der Einrichtung „gemobbt“, lassen sich auch auf den Loyalitätskonflikt zurückführen, in dem es sich befindet. Der Aufenthalt M… in der Einrichtung soll im Übrigen nach dem Willen aller Beteiligten nur vorübergehend sein.
3.
Nach den vorstehenden Ausführungen kommt es für die zu treffende Entscheidung auf die Äußerungen des Verfahrensbeistandes nicht an. Es bedarf deshalb keiner Auseinandersetzung mit den Angriffen der Antragsgegnerin gegen den Verfahrensbeistand.
III.
1.
Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 14 Nr. 2 IntFamRVG, 84 FamFG.
Nur der Vollständigkeit halber sei erwähnt, dass auch die vom Amtsgericht für die erste Instanz getroffene Kostenentscheidung auf der Grundlage von Art. 26 Abs. 4 HKÜ nicht zu beanstanden ist (vgl. auch BeckOGK/Markwardt, a.a.O., HKÜ Art. 26 Rn. 9, 12; MüKoBGB/Heiderhoff, 8. Aufl. 2020, HKÜ Art. 26 Rn. 3).
2.
Das Verfahrenskostenhilfegesuch der Antragsgegnerin ist zurückzuweisen. Denn nach den vorstehenden Ausführungen bietet die Rechtsverfolgung keine hinreichende Aussicht auf Erfolg, §§ 43 IntFamRVG, 114 Abs. 1 Satz 1 ZPO (vgl. auch BeckOGK/Markwardt, a.a.O., HKÜ Art. 26 Rn. 9).
3.
Gegen diesen Beschluss ist ein Rechtsmittel nicht gegeben, vgl. § 40 Abs. 2 Satz 4 IntFamRVG.