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Entscheidung VG 9 I 6/21


Metadaten

Gericht VG Cottbus 9. Kammer Entscheidungsdatum 19.04.2021
Aktenzeichen VG 9 I 6/21 ECLI ECLI:DE:VGCOTTB:2021:0419.VG9I6.21.00
Dokumententyp Urteil Verfahrensgang -
Normen

Tenor

Die Durchsuchung der im Allein- oder Mitgewahrsam der als Antragsgegner in diesem Beschluss aufgeführten Personen stehenden Räume in der Wohnung S...einschließlich sämtlicher Wohn-, Neben-, Arbeits-, Betriebs- und Geschäftsräume wird angeordnet.

Die Durchsuchung ist ausschließlich zum Zwecke der Ergreifung der in diesem Beschluss als Antragsgegner aufgeführten Personen für die Durchführung ihrer Abschiebung und nur zur Tagzeit (06:00 Uhr bis 21:00 Uhr) am 20. April 2021 zulässig. Die Durchsuchung ist nur zulässig, soweit sie zum Auffinden der Antragsgegner erforderlich ist.

Die Antragstellerin wird mit der Zustellung dieses Beschlusses im Wege der Amtshilfe beauftragt.

Das Verfahren ist gerichtskostenfrei. Außergerichtliche Kosten werden nicht erstattet.

Gründe

Über den Antrag, in Bezug auf den der Verwaltungsrechtsweg gemäß § 40 Abs. 1 Satz 1 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) eröffnet ist (vgl. OVG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 27. April 2020 – OVG 2 L 5.20 –), entscheidet die Kammer; eine alleinige Zuständigkeit des Vorsitzenden nach § 169 VwGO ist nicht gegeben, da diese Vorschrift lediglich die Vollstreckung aus Titeln nach § 168 VwGO betrifft (vgl. VG Karlsruhe, Beschluss vom 10. Dezember 2019 – 3 K 7772/19 – juris Rn. 10). Die örtliche Zuständigkeit des angerufenen Gerichts ergibt sich vorliegend aus § 52 Nr. 1 VwGO, weil die zu durchsuchende Wohnung der Antragsgegnerseite im hiesigen Gerichtsbezirk liegt. Eine Zuständigkeit nach § 52 Nr. 2 Satz 3 VwGO ergibt sich demgegenüber nicht, da insoweit keine Streitigkeit nach dem Asylgesetz vorliegt (so aber: VG Gießen, Beschluss vom 26. November 2019 – 6 N 4595/19 –, juris Rn. 3). Zwar dient die beantragte Durchsuchunganordnung der Durchsetzung der mit Bescheid des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge vom 26. August 2020 in Ziffer 3 des Bescheides ausgesprochenen Abschiebungsanordnung nach § 34a Abs. 1 Satz 1 Asylgesetz (AsylG), in dessen Rahmen die Ausländerbehörde bzw. die Zentrale Ausländerbehörde des Landes Brandenburg (ZABH) in Amtshilfe für das Bundesamt tätig wird (vgl. VGH Mannheim, Beschluss vom 13. Februar 2019 – 11 S 401/19 – juris Rn. 9). Maßgeblich ist insoweit indes, ob die angefochtene oder begehrte Maßnahme oder Entscheidung ihre rechtliche Grundlage im Asylgesetz findet (vgl. BVerwG, Urteil vom 25. September 1997 – 1 C 6/97 – juris Rn. 14; OVG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 23. Januar 2019 – OVG 3 M 41.18 – juris Rn. 2), was vorliegend nicht der Fall ist, da sich die Normen für den Erlass einer Durchsuchungsanordnung im Aufenthaltsgesetz (AufenthG) finden.

Die Antragstellerin ist auch berechtigt, vorliegend den Antrag auf Erlass einer Durchsuchungsanordnung zu stellen. Zwar wird diese – wie bereits ausgeführt – lediglich in Amtshilfe für das Bundesamt tätig (vgl. VGH Mannheim, a.a.O.; VG Cottbus, Beschluss vom 29. April 2016 – 4 L 183/16 – juris Rn. 12; VG Aachen, Beschluss vom 19. Februar 2021 – 4 L 108/21 – juris Rn. 10). Dies folgt jedoch aus § 7 Abs. 1 Verwaltungsverfahrensgesetz (VwVfG), wonach sich die Zulässigkeit der Maßnahme, die durch die Amtshilfe verwirklicht werden soll, nach dem für die ersuchende Behörde (hier: das BAMF) geltenden Recht, die Durchführung der Amtshilfe aber nach dem für die ersuchte Behörde geltenden Recht richtet. Die Durchführung der Abschiebung durch die Ausländerbehörde bzw. für Brandenburg wegen § 3 Nr. 6 i.V.m. § 4 Ausländerrechtszuständigkeitsverordnung durch die ZABH umfasst auch das Aufgreifen des abzuschiebenden Ausländers, zu dessen Zweck die hier beantragte Durchsuchungsanordnung getroffen werden soll; sie ist daher eine Maßnahme im Rahmen der Durchführung der Maßnahme (hier: Abschiebung), die sich nach dem Recht der ersuchten Behörde richtet und mithin von dieser – da sie nur vom Gericht angeordnet werden kann – auch zu beantragen ist. Zudem stellt § 58 Abs. 6 AufenthG als insoweit spezialgesetzliche Regelung darauf ab, dass die Verantwortlichkeit für die Durchsuchung und letztlich die Abschiebung des zu ergreifenden Ausländers allein bei der die Abschiebung durchführenden Behörde liegt (vgl. VG Gießen, Beschluss vom 26. November 2019 – 6 N 4595/19 – juris Rn. 5).

Das erforderliche Amtshilfeersuchen (vgl. § 4 Abs. 1 VwVfG) liegt ebenfalls vor. Jedenfalls mit dem sogenannten Modalitätenschreiben des BAMF vom 23. Dezember 2020, mit welchem die Ausländerbehörde um Überstellung der in diesem Beschluss als Antragsgegner aufgeführten Personen im Dublin-Verfahren gebeten worden ist, ist ein solches ergangen.

Der Antrag auf Erlass einer Durchsuchungsanordnung ist auch begründet. Rechtsgrundlage für die beantragte richterliche Durchsuchungsanordnung ist § 58 Abs. 6 und Abs. 8 S. 1 des Aufenthaltsgesetzes (AufenthG). § 58 Abs. 6 AufenthG bestimmt, dass die die Abschiebung durchführende Behörde eine Durchsuchung der Wohnung des abzuschiebenden Ausländers zu dem Zweck seiner Ergreifung vornehmen kann, soweit der Zweck der Durchführung der Abschiebung es erfordert (Satz 1). Bei anderen Personen sind Durchsuchungen nur zur Ergreifung des abzuschiebenden Ausländers zulässig, wenn Tatsachen vorliegen, aus denen zu schließen ist, dass der Ausländer sich in den zu durchsuchenden Räumen befindet (Satz 2). Die Wohnung umfasst die Wohn- und Nebenräume, Arbeits-, Betriebs- und Geschäftsräume sowie anderes befriedetes Besitztum (§ 58 Abs. 6 S. 3 i. V. m. Abs. 5 S. 2 AufenthG). Gemäß § 58 Abs. 8 S. 1 AufenthG dürfen Durchsuchungen nach § 58 Abs. 6 AufenthG nur durch den Richter, bei Gefahr im Verzug auch durch die die Abschiebung durchführende Behörde angeordnet werden.

Die Voraussetzungen für eine Anordnung der Durchsuchung durch das Gericht sind vorliegend gegeben. Die Antragsgegner sind vollziehbar ausreisepflichtig und daher abzuschieben. Mit Bescheid des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge vom 26. August 2020 wurden die Asylanträge der Antragsgegner als unzulässig abgelehnt und die Abschiebung nach Polen gemäß § 34a Abs. 1 Satz 1 AsylG angeordnet. Die gegen diese Bescheide erhobenen Anträge auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes wurden ausweislich der Mitteilung des BAMF vom 23. Dezember 2020 – an deren Richtigkeit keine Zweifel bestehen – mit Beschluss des Verwaltungsgerichts Potsdam vom 18. Dezember 2020 abgelehnt mit der Folge, dass es bei der sofortigen Vollziehbarkeit der Abschiebungsanordnung verbleibt. Die Antragsgegner sind ausweislich des Inhalts der vom Antragsteller übersandten Akten und der von der Ausländerbehörde der Stadt C...übergebenen Ausländerakten auch nicht mehr im Besitz einer Duldung, einer Aufenthaltserlaubnis oder eines sonstigen Aufenthaltstitels, welcher der vollziehbaren Ausreisepflicht entgegen stehen würde; die letzte, den Antragsgegnern gewährte Duldung hatte eine Gültigkeit bis 16. April 2021.

Es liegen auch Tatsachen vor, aus denen zu schließen ist, dass sich die abzuschiebenden Ausländer in den im Zusammenhang mit der für den 20. April 2021 geplanten Abschiebung zu durchsuchenden Wohn- bzw. Nebenräumen aufhalten; es handelt sich hierbei um ihre Wohnanschrift, unter der sie sich für gewöhnlich aufhalten.

Die begehrte Durchsuchungsanordnung stellt sich im maßgeblichen Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung auch als verhältnismäßig dar. Dem Gewicht des Eingriffs und der verfassungsrechtlichen Bedeutung des Schutzes der räumlichen Privatsphäre entspricht es, dass Art. 13 Abs. 2 des Grundgesetzes (GG) die Anordnung einer Durchsuchung grundsätzlich dem Richter vorbehält und damit eine vorbeugende Kontrolle der Maßnahme durch eine unabhängige und neutrale Instanz vorsieht; der Richter darf die Wohnungsdurchsuchung nur anordnen, wenn er sich aufgrund einer eigenverantwortlichen Prüfung der Ermittlungen davon überzeugt hat, dass die Maßnahme verhältnismäßig ist (vgl. BVerfG, B. v. 14. Juli 2016 – 2 BvR 2474/14 – juris Rn. 18 m. w. N.). Dem Rechnung tragend erlaubt § 58 Abs. 6 AufenthG eine Durchsuchung auch nur, soweit der Zweck der Durchführung der Abschiebung es erfordert.

Im konkreten Einzelfall sind die Grenzen des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes gewahrt. Insbesondere ist die Erforderlichkeit der beantragten Durchsuchung hinreichend dargetan. Erforderlich ist eine Maßnahme, wenn sie das relativ mildeste, jedoch gleich effektive Mittel zur Erreichung des verfolgten Zwecks ist. Ein anderes, gleichermaßen geeignetes und weniger belastendes Mittel, um die abzuschiebenden Ausländer zwecks Durchführung der Abschiebung zu ergreifen, ist nicht ersichtlich. Insbesondere haben die Antragsgegner keinerlei Anstalten gemacht, freiwillig auszureisen bzw. wegen Art. 7 Abs. 1 Buchst. a) Verordnung (EG) Nr. 1560/2003 (Dublin-Durchführungsverordnung) eine Initiative zu ihrer Überstellung ergriffen. Im Übrigen sieht weder die Dublin-DVO noch die Dublin-III-Verordnung (vgl. dort Art. 26 Abs. 2 Verordnung (EU) Nr. 604/2013) einen Vorrang der Überstellung auf Initiative des Asylbewerbers vor (vgl. BVerwG, Urteil vom 17. September 2015 – 1 C 26.14 – BVerwGE 153, 24-36, Rn. 15 ff.).

Vor diesem Hintergrund kann die Antragstellerin auch nicht darauf verwiesen werden, zunächst erfolglos eine Abschiebung gestützt auf die Betretenserlaubnis nach § 58 Abs. 5 AufenthG, für die der Richtervorbehalt nicht gilt, durchzuführen (so aber wohl VG Frankfurt (Oder), B. v. 03. Juni 2020 – VG 4 I 5/20 – n. v.). Der Auffassung, wonach sogenannte "prophylaktische" Anordnungen der Durchsuchung nicht zulässig wären, steht § 58 Abs. 8 S. 2 AufenthG entgegen. Mit dieser Norm hat der Gesetzgeber den Richtervorbehalt gestärkt, indem er Fälle, in denen der betreffende Ausländer nach Betreten der Wohnung nicht angetroffen wird, ausdrücklich aus dem Anwendungsbereich des § 58 Abs. 8 S. 1, 2. Alt. AufenthG, wonach eine Durchsuchung ausnahmsweise auch ohne richterliche Anordnung erfolgen darf, herausgenommen hat. Damit wird zugleich die Frage der (voraussichtlichen) Erforderlichkeit der Durchsuchung, weil der betreffende Ausländer nach dem Betreten der Wohnung nicht angetroffen wird, dem Richter im Rahmen der präventiven Kontrolle des Grundrechtseingriffs zugeschrieben (vgl. VG Düsseldorf, Beschluss vom 06. Oktober 2020 – 22 I 28/20 – juris Rn. 33 ff.). Im vorliegenden Fall erscheint es - auch angesichts der Zahl der Bewohner - nicht unwahrscheinlich, dass die Antragsgegner beim Betreten der Wohnung nicht angetroffen werden. Zudem spricht alles dafür, dass eine Ergreifung der Antragsgegner ohne Durchsuchung der Wohnräume in diesem Fall vereitelt würde, wenn die Antragsgegner beim Betreten der Wohnung nicht angetroffen werden.

Es kommt daher auch nicht entscheidungserheblich darauf an, ob es unter dem Gesichtspunkt der Erforderlichkeit genügt, dem Betroffenen vor einer Durchsuchung die Möglichkeit einzuräumen, die Durchsuchung abzuwenden (vgl. OVG Bremen, B. v. 05. August 2019 – 2 F 211/19 – juris Rn. 14). Insoweit wahrt eine Regelung in einem gerichtlichen Durchsuchungsbeschluss die Verhältnismäßigkeit, wie sie im zweiten Absatz 2 Satz 2 des Tenors dieses Beschlusses vorgesehen ist, weil dadurch sichergestellt wird, dass eine Durchsuchung nur dann erfolgt, sofern ansonsten die Abschiebung mangels Mitwirkung der betroffenen Personen zu scheitern droht; dies ist dann der Fall, wenn die Antragsgegner sich der Abschiebung an dem maßgeblichen Tag nicht freiwillig stellen, die Eingangstür zur Wohnung nicht öffnen oder sie sich dieser sogar aktiv entziehen, indem sie sich z. B. in den Räumlichkeiten der Wohnung verstecken.

In diesem Zusammenhang wird auch ausdrücklich darauf hingewiesen, dass die Durchsuchung der Wohnung ausschließlich zum Zwecke der Ergreifung der Antragsgegner zulässig ist.

Die Durchsuchungsanordnung ergeht ohne vorherige Anhörung der Antragsgegner, weil anderenfalls der Durchsuchungszweck aller Voraussicht nach vereitelt würde. Sie ist zu ihrer Wirksamkeit vor Durchführung der Durchsuchung den Antragsgegnern zuzustellen; die Zustellung ist hier in Amtshilfe durch die Antragstellerin vorzunehmen, da eine vorzeitige Bekanntgabe an die Antragsgegner ebenfalls zu einer Vereitelung der Maßnahme führen würde.

Einer Kostenentscheidung und Festsetzung eines Verfahrenswertes bedarf es nicht, da nach dem Gerichtskostengesetz vorliegend keine Gebühren anfallen (vgl. VG Karlsruhe, B. v. 10. Dezember 2019 – 3 K 7772/19 – juris Rn. 31). Außergerichtliche Kosten sind angesichts der fehlenden Beteiligung der Antragsgegner an dem Verfahren und dem demgemäß fehlenden kontradiktorischen Charakter des Verfahrens nicht zu erstatten (vgl. OVG Bremen, B. v. 30. September 2019 – 2 S 262/19 – juris Rn. 24).