Gericht | LSG Berlin-Brandenburg 21. Senat | Entscheidungsdatum | 11.02.2021 | |
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Aktenzeichen | L 21 U 209/18 | ECLI | ECLI:DE:LSGBEBB:2021:0211.L21U209.18.00 | |
Dokumententyp | Urteil | Verfahrensgang | - | |
Normen |
Das Urteil des Sozialgerichts Potsdam vom 18. Oktober 2018 wird aufgehoben. Der Bescheid der Beklagten vom 22. März 2018 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 19. Juni 2018 wird insoweit aufgehoben, als dem Kläger Kfz-Hilfe in Form eines Zuschusses für die Beförderung durch einen Beförderungsdienst gewährt wurde.
Die Beklagte wird verpflichtet, den Antrag des Klägers vom 2. Dezember 2016 auf Gewährung von Kfz-Hilfe unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts erneut zu bescheiden.
Die Beklagte hat dem Kläger dessen notwendige außergerichtliche Kosten des gesamten Verfahrens zu erstatten.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Der Kläger begehrt Kraftfahrzeughilfe (KfZ-Hilfe) in Form einer Hilfe zur Beschaffung eines Kraftfahrzeuges.
Der 1956 geborene Kläger ist seit einem Sturz im Jahre 1974 querschnittsgelähmt mit einer Lähmung der Beine, der Blase und des Mastdarms. Er bezieht von der Beklagten deswegen Verletztenrente sowie von der Deutschen Rentenversicherung Bund (DRV) Rente wegen voller Erwerbsminderung. Ihm wurde ein Grad der Behinderung (GdB) nach dem Sozialgesetzbuch Neuntes Buch (SGB IX) von 100 sowie die Nachteilsausgleiche „G“, „aG“, „H“ und „RF“ zuerkannt. Der Kläger ist nicht erwerbstätig und unterhält keine Angehörigen.
Die Beklagte hatte dem Kläger mit Bescheid vom 26. Februar 2003 Kfz-Hilfe in Gestalt eines Zuschusses zur Anschaffung eines PKW VW-Passat sowie für dessen behinderungsgerechten Umbau gewährt. Die Nutzung dieses Pkw setzte regelmäßig einen Positionswechsel vom Rollstuhl in den PKW und zurück voraus. Der Kläger verkaufte diesen PKW im Jahr 2016 mit einer Laufleistung von Februar 2003 bis April 2016 von über 100.000 km. Ein Grund hierfür war ein vorangegangener längerer Krankenhausaufenthalt des Klägers in den Jahren 2015 und 2016 im Unfallkrankenhaus Berlin (UKB). U. a. wegen Dekubitusneigung bei Adipositas war dem Kläger von Dr. N (UKB) am 13. Juni 2016 ein Elektrorollstuhl (E-Rollstuhl) verordnet worden, dessen Anschaffungskosten von der Beklagten übernommen wurden. Dieser E-Rollstuhl ermöglicht auch das Führen eines entsprechend umgebauten Kfz ohne Positionswechsel.
Nach dem Verkauf seines PKW nutzte der Kläger ab Juli 2016 einen Beförderungsdienst. Diese Fahrten beschränkten sich auf einzelne Einkaufsfahrten, Apotheken- oder Arztbesuch. Der Kläger wurde dabei im Rollstuhl sitzend (ohne Lagerungswechsel) mit einem Rollstuhlbus transportiert. Die Kosten hierfür übernahm die Beklagte. Die Beklagte ermittelte hierzu aus den Abrechnungen, dass der Kläger vom 1. Juli 2016 bis Ende 2017 mit dem Beförderungsdienst insgesamt 2.265 km (Kosten: 2.484,98 €) zurücklegte.
Am 6. Dezember 2016 beantragte der Kläger bei der Beklagten die Gewährung von Kraftfahrzeughilfe in Form einer „Hilfe zur Beschaffung eines Kraftfahrzeuges“, das er in seinem E-Rollstuhl sitzend führen kann. Zur Verwaltungsakte gelangten in diesem Zusammenhang mehrere Kostenvoranschläge zum Kauf und Umbau u. a. eines Mercedes Benz Sprinter (Anschaffungskosten Neuwagen: zwischen 39.000,- € und 63.000,- €; als Gebrauchtwagen ca. 32.000 €), wobei für letzteren Umbaukosten in Höhe von 56.671,61 € angesetzt wurden (3933 ff. VA), bzw. eines VW Crafter (Anschaffungskosten ca. 57.000,- €) zzgl. Umbaukosten in Höhe von ca. 44.000,- €. In diesem Zusammenhang wurde auch ein Kostenvoranschlag für einen – nach Angaben des Klägers - dann notwendigen Neubau eines Carports mit Erweiterung der vorhandenen Gehwegsbefestigung im Umfang von ca. 27.000,- € vorgelegt.
Mit Bescheid vom 22. März 2018 bewilligte die Beklagte Kfz-Hilfe als Zuschuss für die Beförderung durch einen Beförderungsdienst mit einem persönlichen Budget i.H.v. 1.500,- € jährlich. In dem Bescheid stellte sie fest, dass die Voraussetzungen für Kfz-Hilfe in der Person des Klägers grundsätzlich vorliegen würden, weil er auf die Benutzung eines Kraftfahrzeugs angewiesen sei, um am Leben in der Gemeinschaft teilnehmen zu können. Sie verwies auf Nr. 9 der Gemeinsamen Richtlinie der Verbände der Unfallversicherungsträger über die Kraftfahrzeughilfe im Bereich der gesetzlichen Unfallversicherung (UV-KfzHRL), wonach ein Zuschuss für die Beförderung des Versicherten, insbesondere durch Beförderungsdienste, gewährt werde, wenn diese Kosten wirtschaftlicher seien als die Hilfen zur Gewährung von Kfz-Hilfe. Beim Kläger sei für den Kauf des Kfz ein Zuschuss zum Erwerb von ca. 20.000,- € zu gewähren. Zusätzlich sei der barrierefreie Umbau von ca. 56.671,61 € zu übernehmen, sodass sich der Zuschuss der Kfz-Hilfe somit auf ca. 77.000,- € belaufe. Demgegenüber würden sich die Kosten für den Beförderungsdienst aus den vergangenen zwei Jahren auf 2.484,98 € belaufen. Hochgerechnet auf die nächsten 10 Jahre würden die Kosten für einen Beförderungsdienst damit eindeutig niedriger und somit wirtschaftlicher und sparsamer sein als der Zuschuss für den Kauf und Umbau eines Kraftfahrzeugs. Neben dem Wirtschaftlichkeitsgrundsatz habe die Beklagte auch die persönlichen Verhältnisse und Bedarfe des Klägers bei der Ermessensausübung berücksichtigt. Da der Kläger nicht mehr berufstätig sei, seien tägliche Fahrten mit dem Kraftfahrzeug nicht erforderlich. In den letzten anderthalb Jahren seien Entfernungen von unter 2.000 km mit dem Beförderungsdienst zurückgelegt worden. Die Fahrten hätten sich auf einzelne Einkaufsfahrten, Apotheken- oder Arztbesuche beschränkt. Es sei daher davon auszugehen, dass der Kläger in den nächsten Jahren nur wenige Kilometer pro Jahr fahren werde. Nach Abwägung der Interessen des Klägers mit den Grundsätzen von Wirtschaftlichkeit und Sparsamkeit sei die Gewährung eines Zuschusses zum Kauf bzw. Umbau eines Kraftfahrzeugs unverhältnismäßig hoch und demzufolge kein berechtigter Wunsch.
Mit seinem Widerspruch hiergegen machte der Kläger geltend, es müsse berücksichtigt werden, dass er bei einem Transport auf ein Fahrzeug angewiesen sei, in dem er im Rollstuhl sitzend transportiert werden könne. Er sei gesundheitlich nicht in der Lage, sich von seinem Rollstuhl in ein Fahrzeug umzusetzen. Das Umsetzen habe in der Vergangenheit nur unter erheblichen Schmerzen erfolgen können, was ihm nicht zugemutet werden könne. Hinsichtlich des Fahrdienstes sei festzustellen, dass er einen solchen, in dem er sitzend im Rollstuhl transportiert werden könne, nicht kurzfristig bestellen könne. Fahrten könnten nur unter erheblichem Aufwand und nur mit einer langen Planungsphase ermöglicht werden. Dass unter diesen Bedingungen nur das Nötigste an Fahrten vorgenommen werde, sei offensichtlich. Er lebe abgeschieden in einer kleinen Ortschaft, wo es weder einen Supermarkt noch eine Apotheke oder einen Arzt gebe. Alle Fahrten müssten ohne Fahrzeug geplant oder durch Bekannte durchgeführt werden. Eine Teilhabe am Leben in der Gemeinschaft sei unter diesen Umständen nicht möglich.
Die daraufhin von der Beklagten eingeholten Erkundigungen bei dem Fahrdienst des Aergaben ausweislich des hierüber angefertigten Telefonvermerks vom 2. Mai 2018, dass der Kläger mit dem Rollstuhl in das mit einem Lift ausgestattete Transportfahrzeug des Fahrdienstes fahre und im Rollstuhl sitzend transportiert werde. Der Transfer mit einem Rutschbrett sei daher nicht erforderlich. Da auch andere Kunden gefahren würden, sei es nicht immer möglich, zeitnah - von einem Tag auf den anderen - einen Termin zu bekommen.
Mit Widerspruchsbescheid vom 19. Juni 2018 wies die Beklagte den Widerspruch als unbegründet zurück. Sie stellte erneut einen Wirtschaftlichkeitsvergleich an und kam auch nach nochmaliger Überprüfung unter Berücksichtigung der vorliegenden Angebote für die Beschaffung eines Kraftfahrzeugs einschließlich des notwendigen Umbaus zu dem Ergebnis, dass die gewährten Leistungen durch einen Beförderungsdienst wirtschaftlicher seien. Dabei verglich sie den Beförderungsumfang der Jahre 2016 und 2017 mit dem ursprünglichen Nutzungsverhalten des Klägers bis zum Verkauf des Pkw im Frühjahr 2016. Mit dem Beförderungsdienst habe der Kläger durchschnittlich 1.132,50 km pro Jahr zurückgelegt, mit dem eigenen Pkw 9.090 km pro Jahr. Aus den Unterlagen würde sich nicht ergeben, dass die durchgeführten Beförderungsfahrten aus den Jahren 2016 und 2017 nur die nötigsten Fahrten gewesen seien und tatsächlich mehr Fahrten anfallen würden. Es würden hinsichtlich der Beförderungsanzahl keine Vorgaben gemacht. Es sei durchaus zumutbar, Fahrten zu Ärzten, zur Apotheke, zum Einkauf oder zu gesellschaftlichen Aktivitäten vorab zu planen. Ein Umsetzen sei bei den Fahrten durch den dem Kläger zur Verfügung stehenden Beförderungsdienst (Rollstuhlbus) nicht notwendig. Aus einem Kostenvergleich ergebe sich, dass bei Benutzung eines Fahrdienstes im Zeitraum von 10 Jahren die durch Neuanschaffung und Umbau eines Kfz eintretenden Kosten unterschritten würden.
Mit der am 23. Juli 2018 vor dem Sozialgericht (SG) Potsdam erhobenen Klage hat der Kläger sein Begehren weiterverfolgt. Er sei aufgrund seiner Behinderung darauf angewiesen, regelmäßig zu Untersuchungen, Behandlungen, Therapien und zum Rehabilitationssport zu fahren und das Unfallkrankenhaus Berlin aufzusuchen. Es gebe keinen Fahrdienst, der diese Fahrten übernehme. Er werde durch den Fahrdienst erheblich in seiner Beweglichkeit eingeschränkt. Es könnten nur wenige Fahrten mit dem Fahrdienst unternommen werden. Er habe einen Anspruch auf die vollständige Förderung des Erwerbs eines Kraftfahrzeuges als Zuschuss im Rahmen der Kraftfahrzeughilfe. Es entspreche nicht der Rechtslage, wenn die Beklagte ihm die Kfz-Hilfe verwehren, weil der Einsatz mit einem Beförderungsdienst wirtschaftlicher sei. Die Beklagte habe keine Wirtschaftlichkeitsprüfung durchzuführen. Die Kfz-Hilfeverordnung sehe lediglich in § 9 Abs. 1 Satz 2 eine Prüfung der Wirtschaftlichkeit vor. Diese sei aber nur zulässig, wenn das Fahrzeug zur Aufnahme oder Fortsetzung einer beruflichen Tätigkeit unumgänglich sei. Der Kläger benötige das Fahrzeug nicht für eine berufliche Tätigkeit, sondern zur Teilhabe am Leben in der Gemeinschaft, um neben Arztterminen und Fahrten zum Einkaufen auch Familie und Bekannte zu besuchen, an Veranstaltungen teilzunehmen oder einfach nur die Umgebung zu erkunden. Dies sei ihm mit einem Fahrdienst nicht möglich. Auch stehe ihm ein Fahrdienst nicht immer zur Verfügung. Nachts oder an Feiertagen sei der Transport stark eingeschränkt. Wenn er kurzfristig ein Fahrzeug benutzen möchte, könne er dies nicht. Jede Fahrt müsse geplant werden. Dadurch werde er in seiner Selbstständigkeit erheblich eingeschränkt. Die Vergleichsberechnungen der Beklagten seien nicht nachvollziehbar. Aktuell nehme er Fahrten im Rahmen des Beförderungsdienstes wahr, die ein Auftragsvolumen von monatlich rund 750 € hätten.
Der Kläger hat in der mündlichen Verhandlung vor dem SG beantragt,
die Beklagte zu verurteilen, unter Abänderung des Bescheides vom 22. März 2018 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 19. Juni 2018 über die Art und Weise der Gewährung der Kraftfahrzeughilfe des Klägers unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts neu zu entscheiden.
Die Beklagte hat beantragt,
die Klage abzuweisen.
Mit Urteil vom 18. Oktober 2018 hat das SG die Klage abgewiesen. Die Klage sei als kombinierte Anfechtungs- und Verpflichtungsklage zulässig, aber unbegründet. Der Kläger habe keinen Anspruch auf eine Neubescheidung seines Antrags auf Kfz-Hilfe unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts und Aufhebung der streitgegenständlichen Bescheide. Die Beklagte habe das ihr hinsichtlich des „Wie" der Kraftfahrzeughilfe zustehende Auswahlermessen ermessensfehlerfrei ausgeübt.
Grundsätzlich hätten Versicherte gemäß § 26 Abs. 1 S. 1 Sozialgesetzbuch Siebtes Buch (SGB VII) nach Maßgabe der folgenden Vorschriften und unter Beachtung des Neunten Buchs unter anderem Anspruch auf Leistungen zur Teilhabe am Leben in der Gemeinschaft. Dabei habe der Unfallversicherungsträger mit allen geeigneten Mitteln möglichst frühzeitig Hilfen zur Teilhabe am Leben in der Gemeinschaft sowie zur Führung eines möglichst selbstständigen Lebens unter Berücksichtigung von Art und Schwere des Gesundheitsschadens bereitzustellen (§ 26 Abs. 2 Nr. 3 SGB VII). Leistungen zur Teilhabe am Leben in der Gemeinschaft umfassten auch die Kraftfahrzeughilfe (§ 39 Abs. 1 Nr. 1 SGB VII). Kraftfahrzeughilfe werde gemäß § 40 Abs. 1 SGB VII erbracht, wenn die Versicherten infolge Art oder Schwere des Gesundheitsschadens nicht nur vorübergehend auf die Benutzung eines Kraftfahrzeugs angewiesen seien, um die Teilhabe am Arbeitsleben oder am Leben in der Gemeinschaft zu ermöglichen. Nach Abs. 2 der Norm umfasse die Kraftfahrzeughilfe Leistungen zur Beschaffung eines Kraftfahrzeugs, für eine behinderungsbedingte Zusatzausstattung und zur Erlangung einer Fahrerlaubnis. Gemäß § 40 Abs. 3 Satz 1 SGB VII gelte für die Kraftfahrzeughilfe die Verordnung über Kraftfahrzeughilfe zur beruflichen Rehabilitation (Kraftfahrzeughilfe-Verordnung-KfzHV). Diese Verordnung sei bei der Kraftfahrzeughilfe zur Teilhabe am Leben in der Gemeinschaft entsprechend anzuwenden (§ 40 Abs. 3 Satz 2 SGB VII). Gemäß § 40 Abs. 5 SGB VII regelten das Nähere die Verbände der Unfallversicherungsträger durch gemeinsame Richtlinien. Nach § 83 Abs. 1 SGB IX umfassten Leistungen zur Mobilität 1. Leistungen zur Beförderung, insbesondere durch einen Beförderungsdienstes und 2. Leistungen für ein Kraftfahrzeug. Gemäß § 9 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 KfzHV könne dann, wenn die persönlichen Voraussetzungen für die Kraftfahrzeughilfe gemäß § 3 der Verordnung vorlägen und die Kraftfahrzeughilfe zur Aufnahme oder Fortsetzung einer beruflichen Tätigkeit unumgänglich sei, auch ein Zuschuss für die Beförderung des behinderten Menschen, insbesondere durch Beförderungsdienstes, geleistet werden, wenn die Übernahme der Beförderungskosten anstelle von Kraftfahrzeughilfe wirtschaftlicher und für den behinderten Menschen zumutbar sei. Dabei sei zu berücksichtigen, was der behinderte Mensch als Kraftfahrzeughalter bei Anwendung des § 6 der Verordnung für die Anschaffung und die berufliche Nutzung des Kraftfahrzeugs aus eigenen Mitteln aufzubringen hätte. Die Ermessensentscheidung über Art und Umfang der Leistungen treffe der zuständige Unfallversicherungsträger unter Ausrichtung an den „mit allen geeigneten Mitteln" anzustrebenden Rehabilitations- und Teilhabezielen (Nr. 3.4 Abs. 3 der UV-KfzHRL, Stand 1. November 2011). Nach Nr. 3.5 der UV-KfzHRL sei den berechtigten Wünschen der Versicherten zu entsprechen. Nicht berechtigt könne danach ein Wunsch u. a. dann sein, wenn er nicht geeignet sei, die Rehabilitations- oder Teilhabeziele zu erreichen, oder nicht mit den Grundsätzen der Wirtschaftlichkeit und Sparsamkeit zu vereinbaren sei. Nach Nr. 4.3.1 Abs. 3 der Richtlinien seien bei der Ermessensausübung die verfolgten und erreichbaren Teilhabeziele einerseits und die Grundsätze der Wirtschaftlichkeit andererseits zu beachten, insbesondere ob der Teilhabeerfolg in gleichwertiger Art und Weise auch durch andere Mobilitätshilfen erreicht werden könne. Denn das Sozialversicherungsrecht gebiete es grundsätzlich, mit den Beiträgen wirtschaftlich und sparsam umzugehen (vgl. § 69 Abs. 2 Sozialgesetzbuch Viertes Buch - SGB IV).
Der nicht mehr im Arbeitsleben stehende Kläger erfülle in seiner Person insoweit unstreitig die Grundvoraussetzungen für die Gewährung von Kraftfahrzeughilfe zur Teilhabe am Leben in der Gemeinschaft nach den oben zitierten Vorschriften. Die Beklagte habe dies in dem angegriffenen Bescheid anerkannt. Aus den vorzitierten Vorschriften ergebe sich weiter, dass die Beklagte hinsichtlich der Art und Weise der Hilfegewährung ein richtliniengeleitetes Auswahlermessen besitze. Der Kläger habe insoweit lediglich einen Anspruch auf ermessensfehlerfreie Entscheidung. Auf pflichtgemäße Ausübung des Ermessens bestehe ein Anspruch (§ 39 Abs. 1 Satz 2 Sozialgesetzbuch Erstes Buch - SGB l -). Das Gericht dürfe lediglich prüfen, ob das Ermessen erkannt und fehlerfrei, richtlinienkonform ausgeübt worden sei. Das Gericht dürfe hingegen keine eigene Ermessensentscheidung treffen und diese an die Stelle derjenigen der Verwaltung setzen. Der Sonderfall, dass im zu entscheidenden Streitfall allein eine einzige Entscheidung die richtige sei, die so genannte Ermessensreduzierung auf Null, die es dem Gericht ermöglichen würde, eine bestimmte Leistung zuzusprechen, liege nicht vor.
Es sei zunächst festzustellen, dass die Beklagte das ihr zustehende Ermessen erkannt und ausgeübt habe. Ein Ermessensdefizit oder sachwidrige Erwägungen habe das Gericht in der Entscheidung der Beklagten nicht zu erkennen vermocht. Es sei nicht zu beanstanden, dass die Beklagte die Kosten, die ihr für die Gewährung von Kraftfahrzeughilfe über einen Beförderungsdienst mit denjenigen Kosten, die ihr für den Erwerb und Umbau eines Kraftfahrzeugs entstünden, verglichen habe. Der Verweis auf einen Beförderungsdienst sei dabei grundsätzlich - entgegen der Annahme des Klägers - sowohl im Rahmen der Kfz-Hilfe zur Teilhabe am Arbeitsleben als auch zur Teilhabe am Leben in der Gemeinschaft möglich. § 40 Abs. 3 Satz 2 SGB VII bestimme ausdrücklich, dass die Kraftfahrzeughilfeverordnung, die bereits qua ihres Namens an sich allein die Kraftfahrzeughilfe zur beruflichen Rehabilitation umfasse, bei der Kraftfahrzeughilfe zur Teilhabe am Leben in der Gemeinschaft entsprechend anzuwenden sei. Wie die vorzitierten Normen zeigten, seien die Grundsätze von Wirtschaftlichkeit und Sparsamkeit im Rahmen des Auswahlermessens zu berücksichtigen. Das bedeute, dass bei gleich geeigneten und zumutbaren Mitteln, die Teilhabeziele zu erreichen, dass Günstigere zu wählen sei. In diesem Zusammenhang bestimme Nr. 9 der UV-KfzHRL, dass ein Zuschuss für die Beförderung Versicherter, insbesondere durch Beförderungsdienste, geleistet werden könne, wenn die Beschaffung eines Kraftfahrzeuges nicht möglich sei oder Beförderungskosten wirtschaftlicher seien als Hilfen zur Beschaffung eines Kraftfahrzeuges und die Übernahme der Beförderungskosten nach anderen Vorschriften ausgeschlossen sei. Nach Satz 2 der genannten Vorschrift sei dabei zu berücksichtigen, was die Versicherten als Kraftfahrzeughalter bei Anwendung von Nr. 4.2.3 für die Anschaffung und die berufliche Nutzung des Kraftfahrzeugs aus eigenen Mitteln aufzubringen hätten. Die Wirtschaftlichkeit einer Leistung sei ein eigenständiges Kriterium, das der Träger der Unfallversicherung im Rahmen seiner pflichtgemäßen Ermessensausübung zu beachten habe, die - wie oben bereits ausgeführt - nur einer eingeschränkten gerichtlichen Kontrolle unterliege. Nicht mehr vom Wirtschaftlichkeitsgrundsatz mit seinem Abwägungserfordernis gedeckt sei ein Kfz, das im Vergleich zu einem über einen längeren Zeitraum in Anspruch genommenen Beförderungsdienst, dessen Nutzungsdauer in etwa der Nutzungsdauer eines Kfz entspreche, höhere Kosten aufwerfe. Insofern könne das Teilhabeziel in der Abwägung in der Regel kein so hohes Gewicht beanspruchen, dass ein vergleichsweise teureres Kfz in Betracht gezogen werden könne. Denn dies würde den Wirtschaftlichkeitsgrundsatz ad absurdum führen.
Nach der KfzHV ergebe sich danach ein vom Unfallversicherungsträger für Anschaffung und Umrüstung eines Kraftfahrzeugs zu leistender Zuschuss in Höhe von insgesamt 75.137,74 €. Im Verhältnis hierzu sei es sachgerecht und insoweit ebenfalls nicht zu beanstanden, die Beförderungskosten eines Beförderungsdienstes auf die gefahrenen Kilometer des alten Kraftfahrzeuges des Klägers hochzurechnen. Durch dieses Vorgehen könne dem Argument des Klägers, er habe im Zeitraum Juli 2016 bis Dezember 2017 nur die nötigsten Fahrten mit dem Beförderungsdienst absolviert, so dass ein Kostenvergleich mit diesen Fahrten hinke, weil dieser sein tatsächliches Fahrverhalten nicht abbilden würde, überzeugend begegnet werden. Die mit dem letzten Kraftfahrzeug des Klägers tatsächlich gefahrenen Kilometer entsprächen insoweit im Jahr zu übernehmenden Kosten für einen Beförderungsdienst i.H.v. 5.908,50 €, hochgerechnet auf die zu erwartende Nutzungsdauer eines Kraftfahrzeugs von 10 Jahren damit 59.085 €. Dass eine Einsparung von rund 16.053 € beachtlich sei, bedürfe keiner näheren Erörterung. Zu Recht habe die Beklagte in der mündlichen Verhandlung überdies auf die bei Gewährung von Kraftfahrzeughilfe in Form eines Neuwagens zusätzlich zu berücksichtigenden Kosten für den Bau eines nach Auffassung des Klägers dann ebenfalls notwendig werdenden Carports i.H.v. 27.037 € hingewiesen. Weiter habe die Beklagte in ihre Ermessenserwägungen Zumutbarkeitsüberlegungen eingestellt und sei - insoweit ebenfalls nicht sachwidrig - zu dem Ergebnis gekommen, dass der Kläger von ihm gewünschte Fahrten plan- und zumutbar mit dem grundsätzlich zur Verfügung stehenden Rollstuhlbus des Beförderungsdienstes durchführen könne. An die Unzumutbarkeit der Inanspruchnahme eines Beförderungsdienstes seien, vor allem, wenn dieser behindertenspezifisch sei, hohe Anforderungen zu knüpfen. Dass der Beförderungsdienstes bestimmte Fahrten von vornherein nicht anbiete - wie es der Kläger vortrage - habe weder durch die Ermittlungen der Beklagten, noch durch die eigenen Recherchen des Gerichts bestätigt werden können. Soweit der Kläger aufgrund der Notwendigkeit der Planung zunächst angab, in den Jahren 2016 und 2017 nur die nötigsten Fahrten unternommen zu haben, zeige sein aktuell in der mündlichen Verhandlung vorgetragenes Nutzungsverhalten, dass er zwischenzeitlich offenbar gut in der Lage ist, die von ihm gewünschten Fahrten selbst mit gewissem Planungsvorlauf durchzuführen. Eine Ermessensreduzierung auf Null im Sinne des Begehrens des
Klägers auf Bezuschussung von Kauf und Umrüstung eines Kraftfahrzeugs könne das Gericht nach allem nicht feststellen.
Gegen das dem Kläger am 12. November 2018 zugestellte Urteil hat er am 13. November 2018 Berufung eingelegt. Der Kläger habe einen Anspruch auf Kraftfahrzeughilfe. Das Sozialgericht wende § 9 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 KfzHV falsch an. Die Ermessensausübung der Beklagten sei fehlerhaft. Sie könne den Kläger nicht auf den Fahrdienst verweisen. Die Beklagte habe die Einschränkungen des Klägers nicht berücksichtigt, wenn er kein Fahrzeug besitze. Dies werde offensichtlich, wenn man vergleiche, dass der Kläger mit seinem Kfz früher ca. 10.000 km im Jahr gefahren sei, mit dem Fahrdienst jedoch nur 2.000 km. Der Kläger könne nur etwa 1/5 der Fahrten absolvieren. Soweit die UV-KfzHRL unter Punkt 4.3.1 auf andere Mobilitätshilfen verweise, sei dies unzulässig. Die Richtlinie habe sich an die gesetzlichen Vorgaben zu halten. Ein Verweis auf andere Mobilitätshilfen sei zumindest im vorliegenden Fall nicht anwendbar. Vorliegend werde dem Kläger nach Punkt 3.5 der genannten Richtlinie sogar ein Wahl- und Wunschrecht zugestanden. Dies führe zur Ermessensreduzierung auf Null. Selbst wenn der Beklagten ein Ermessen zustehe, habe sie dieses falsch ausgeübt, da sie ihrer Wirtschaftlichkeitsberechnung falsche Tatsachen zugrunde gelegt habe. So zahle die Beklagte nicht 0,58 € für den Fahrdienst, sondern den normalen Taxitarif von 1 € pro Kilometer. Die Berechnungen der Beklagten seien im Übrigen nicht nachvollziehbar, insbesondere die Behauptung einer Einsparung durch den Behindertenfahrdienst i.H.v. 16.053 € in 10 Jahren. Aber selbst wenn eine solche Einsparung zutreffend sei, müsse dies im Verhältnis zu den Einschränkungen des Klägers gesehen werden, der nicht kurzfristig planen könne und jede Fahrt mit Anfahrt und Abfahrt genau planen müsse. Eine Ersparnis von 133,78 € im Monat sei demgegenüber nicht erheblich. Der Carport sei nicht Gegenstand des Verfahrens. Ein Bescheid hierzu sei nicht erlassen.
Der Kläger hat sinngemäß beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Potsdam vom 18. Oktober 2018 sowie den Bescheid der Beklagten vom 22. März 2018 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 19. Juni 2018 aufzuheben und die Beklagte zu verpflichten, über die Art und Weise der Gewährung der Kraftfahrzeughilfe des Klägers unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts zu entscheiden.
Die Beklagte hat beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie hat auf ihr erstinstanzliches Vorbringen sowie die angegriffene Entscheidung verwiesen, die sie für zutreffend hält.
Mit Bescheid vom 9. November 2018 hat die Beklagte den „Bescheid vom 22. März 2018 über die Gewährung von Kfz-Hilfe in Form der Übernahme der Beförderungskosten mit Wirkung für die Zukunft gemäß § 45 SGB X aufgehoben“. Zugleich hat sie festgestellt: „Bei der Übernahme der Beförderungskosten sind zukünftig pro gefahrenen Kilometer 0,20 € als Eigenanteil zu berücksichtigen und von Ihnen selbst zu tragen.“ Zur Begründung hat die Beklagte ausgeführt, dass bei Erlass des Bescheides vom 22. März 2018 das zugrunde liegende Recht unrichtig angewandt worden sei. Da dem Kläger kein Zuschuss zum Kfz-Kauf gewährt worden sei, sondern die Beförderungskosten durch die Beklagte übernommen würden, sei hier analog der Unterhaltung eines Kfz ein Eigenanteil für die Betriebskosten zu berücksichtigen. Daher werde gemäß Nr. 9 der UV-KfzHRL auch nur ein „Zuschuss“ zu den Beförderungskosten gewährt. Die Pauschale für die Betriebskosten sei mit 0,20 € pro gefahrenen Kilometer festzusetzen. „Der Bescheid vom 22. März 2018 wird daher mit Wirkung für die Zukunft teilweise zurück genommen und ein Eigenanteil für die Beförderungskosten i.H.v. 0,20 € pro gefahrenen Kilometer erhoben.“ Den Widerspruch des Klägers hat die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 24. Januar 2019 zurückgewiesen und in der Rechtsbehelfsbelehrung darauf verwiesen, dass nach Klageerhebung ein neuer Verwaltungsakt Gegenstand des Klageverfahrens nach „§ 93“ des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) werde.
Die Beteiligten haben einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung zugestimmt.
Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und der beigezogenen Verwaltungsvorgänge der Beklagten, der Gegenstand der Beratung gewesen ist, Bezug genommen.
Der Senat entscheidet mit Einverständnis der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung (§§ 153 Abs. 1, 124 Abs. 2 SGG).
Gegenstand des Berufungsverfahrens ist das Urteil des Sozialgerichts Potsdam vom 18. Oktober 2018 sowie der diesem zugrundeliegende Bescheid der Beklagten vom 22. März 2018 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 19. Juni 2018. Der weitere, nach Verkündung des erstinstanzlichen Urteils ergangene Bescheid der Beklagten vom 9. November 2018 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom24. Januar 2019 ist nicht Gegenstand des Berufungsverfahrens geworden (§§ 153 Abs. 3, 96 Abs. 1 SGG).
Nach § 96 Abs. 1 SGG, der nach § 153 Abs. 1 SGG als Vorschrift über das Verfahren im ersten Rechtszug für das Verfahren vor dem Landessozialgericht entsprechend gilt, wird ein neuer Verwaltungsakt nach Klageerhebung (nur) dann Gegenstand des Klageverfahrens, wenn er nach Erlass des Widerspruchsbescheides ergangen ist und den angefochtenen Verwaltungsakt abändert oder ersetzt. Wird ein teilbarer Verwaltungsakt nur hinsichtlich eines nicht streitbefangenen Teils durch einen späteren Verwaltungsakt abgeändert, ist für die Einbeziehung kein Raum (BSGE 4, 24, 26; 18, 84, 85; 91, 277, 279). So liegt der Fall hier. Mit dem Bescheid vom 22. März 2018 hat die Beklagte in der Sache zwei Regelungen getroffen. Einerseits hat sie dem Kläger – als Kfz-Hilfe bezeichnet – ein Budget i.H.v. 1500,- € jährlich für die Beförderung durch einen Beförderungsdienst bewilligt, andererseits hat sie die Bewilligung einer Kfz-Beihilfe, die nach § 40 Abs. 2 SGB VII eine Leistung zur Beschaffung eines Kfz, für eine behinderungsbedingten Zusatzausstattung oder zur Erlangung einer Fahrerlaubnis umfasst, in der Sache abgelehnt. (Nur) gegen diese Ablehnung hat sich der Kläger gewandt und nur diese Ablehnung ist streitbefangen. Die Regelung des Bescheides vom 9. November 2018 beinhaltet aber im Vergleich zum Bescheid vom 22. März 2018 ausschließlich eine neue Regelung, soweit die Beklagte nunmehr verfügt hat: „Der Bescheid vom 22. März 2018 wird daher mit Wirkung für die Zukunft teilweise zurück genommen und ein Eigenanteil für die Beförderungskosten i.H.v. 0,20 € pro gefahrenen Kilometer erhoben.“ Eine solche Regelung – konkret die Festsetzung/Ablehnung eines Eigenanteils für Beförderungskosten aufgrund der Inanspruchnahme eines Beförderungsdienstes – betrifft nur die mit dem Ausgangsbescheid vom 22. März 2018 getroffene Bewilligung einer Beförderungsleistung und ändert die streitbefangene Ablehnung der Kfz-Hilfe als „Hilfe zur Beschaffung eines Kraftfahrzeuges“ nicht.
An dieser Rechtstatsache ändert auch die auf § 93 SGG und das anhängige „Klageverfahren“ verweisende Rechtsbehelfsbelehrung der Beklagten im dazu ergangenen Widerspruchsbescheid vom 24. Januar 2019 nichts, die sich insoweit als unzutreffend erweist.
Streitgegenstand des Berufungsverfahrens ist damit ausschließlich der Bescheid der Beklagten vom 22. März 2018 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 19. Juni 2018 soweit er eine Kfz-Hilfe abgelehnt hat. Das Begehren des Klägers ist darauf gerichtet, die Beklagte unter Änderung dieses Bescheides zu einer ermessensfehlerfreien Neubescheidung zu verurteilen. Sowohl in der mündlichen Verhandlung vor dem SG als auch im schriftlichen Berufungsantrag hat der Kläger dieses Begehren klar und unmissverständlich benannt.
Die gemäß §§ 143, 144 SGG statthafte und form- sowie fristgerecht eingelegte Berufung des Klägers ist zulässig und begründet. Das SG hat die zulässige kombinierte Anfechtungs- und Verpflichtungsklage (§ 54 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 SGG) zu Unrecht abgewiesen. Der angegriffene Bescheid der Beklagten vom 22. März 2018 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 19. Juni 2018 ist rechtswidrig und beschwert den Kläger, da die Beklagte den geltend gemachten Anspruch des Klägers auf eine KfZ-Hilfe nicht frei von Ermessensfehlern beschieden hat (§ 54 Abs. 2 Satz 2 SGG).
Der Kläger hat einen Anspruch auf ermessensfehlerfreie Neubescheidung seines Antrags auf Kfz-Hilfe vom 2. Dezember 2016 durch die Beklagte.
Anspruchsgrundlagen sind §§ 26 Abs. 1, 40 SGB VII i.V.m. § 4 Kraftfahrzeughilfe-Verordnung (Verordnung über die Kraftfahrzeughilfe zur beruflichen Rehabilitation, Kraftfahrzeughilfe-Verordnung - KfzHV - vom 28. September 1987, BGBl. I, Seite 2251). Nach § 26 Abs. 1 SGB VII haben Versicherte nach Maßgabe der folgenden Vorschriften und unter Beachtung des SGB IX Anspruch auf Heilbehandlung einschließlich Leistungen zur medizinischen Rehabilitation, auf Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben und am Leben in der Gemeinschaft, auf ergänzende Leistungen, auf Leistungen bei Pflegebedürftigkeit sowie auf Geldleistungen. Der Unfallversicherungsträger hat mit allen geeigneten Mitteln möglichst frühzeitig den durch den Versicherungsfall verursachten Gesundheitsschaden zu beseitigen oder zu bessern, seine Verschlimmerung zu verhüten und seine Folgen zu mildern sowie Hilfen zur Bewältigung der Anforderungen des täglichen Lebens und zur Teilhabe am Leben in der Gemeinschaft sowie zur Führung eines möglichst selbstständigen Lebens unter Berücksichtigung von Art und Schwere des Gesundheitsschadens bereitzustellen. Die Unfallversicherungsträger bestimmen im Einzelfall Art, Umfang und Durchführung der Heilbehandlung und der Leistungen zur Teilhabe sowie die Einrichtungen, die diese Leistungen erbringen, nach pflichtgemäßem Ermessen (§ 26 Abs. 5 Satz 1 SGB VII).
Nach § 40 SGB VII wird Kraftfahrzeughilfe erbracht, wenn die Versicherten infolge Art und Schwere des Gesundheitsschadens nicht nur vorübergehend auf die Benutzung eines Kraftfahrzeugs angewiesen sind, um die Teilhabe am Arbeitsleben oder am Leben in der Gemeinschaft zu ermöglichen (§ 40 Abs. 1 SGB VII). Die Kraftfahrzeughilfe umfasst u.a. Leistungen zur Beschaffung eines Kraftfahrzeugs (§ 40 Abs. 2 SGB VII); näheres bestimmt sich insoweit nach Maßgabe der KfzHV, die auf Kraftfahrzeughilfe zur Teilhabe am Leben in der Gemeinschaft entsprechend anwendbar ist (§ 40 Abs. 3 SGB VII). Nach § 40 Abs. 5 SGB VII regeln die Verbände der Unfallversicherungsträger das Nähere durch gemeinsame Richtlinien. Die Hilfe zur Beschaffung eines Fahrzeugs setzt voraus, dass der behinderte Mensch nicht über ein Fahrzeug verfügt, das die Voraussetzungen des Absatzes 2 erfüllt und dessen weitere Benutzung ihm zumutbar ist (§ 4 Abs. 1 KfzHV).
Dieser Tatbestand ist erfüllt. Die Beklagte hat den Anspruch des Klägers auf Kfz-Hilfe dem Grunde nach bereits in ihrem Bescheid vom 22. März 2018 anerkannt, indem sie ausgeführt hat: „Die Voraussetzungen zur Zahlung des Zuschusses liegen bei Ihnen vor, weil sie auf die Benutzung eines Kraftfahrzeugs angewiesen sind, um am Leben in der Gemeinschaft teilnehmen zu können“. Dies hatte auch das SG zutreffend erkannt.
Dem Kläger steht damit dem Grunde nach ein Anspruch auf Kfz-Hilfe zu. Die darauf beruhende Entscheidung der Beklagten im angegriffenen Bescheid „aufgrund ihres Antrags vom 2. Dezember 2016 erhalten Sie Kfz-Hilfe als Zuschuss für die Beförderung durch einen Beförderungsdienst“ beinhaltet die Ablehnung des ausdrücklich auf „Hilfe zur Beschaffung eines Kraftfahrzeuges“ gerichteten Antrags des Klägers vom 2. Dezember 2016 und ist Streitgegenstand.
Die Beklagte hat mit dieser Entscheidung das ihr insoweit nach § 26 Abs. 1 Satz 5 SGB VII zustehende Ermessen bei der Bestimmung von Art, Umfang und Durchführung der Kfz-Hilfe jedoch fehlerhaft ausgeübt, soweit sie dem Kläger die Kfz-Hilfe in Form eines Zuschusses „für die Beförderung durch einen Beförderungsdienst“ gewährt und sich hierbei maßgeblich auf die nach § 40 Abs. 5 SGB VII erlassenen UV-KfzHRL, konkret Nr. 9 UV-KfzHRL bezieht. Danach kann anstelle von Kraftfahrzeughilfen ein Zuschuss für die Beförderung Versicherter, insbesondere durch Beförderungsdienste, geleistet werden, wenn die Beschaffung eines Kraftfahrzeuges nicht möglich ist oder Beförderungskosten wirtschaftlicher sind als Hilfen zur Beschaffung eines Kraftfahrzeuges und die Übernahme der Beförderungskosten nach anderen Vorschriften ausgeschlossen ist (Satz 1).
Soweit ein Leistungsträger ermächtigt ist, nach seinem Ermessen zu handeln, ist sein Handeln rechtswidrig, wenn die gesetzlichen Grundlagen dieses Ermessens überschritten sind oder von dem Ermessen in einer dem Zweck des Ermessens nicht entsprechenden Weise Gebrauch gemacht wird (§ 54 Abs. 2 Satz 2 SGG sowie § 39 Abs. 1 Satz 1 SGB I -). Umgekehrt hat der Versicherte Anspruch auf eine pflichtgemäße Ausübung des Ermessens (§ 39 Abs. 1 Satz 2 SGB I), nicht aber einen Rechtsanspruch auf einen bestimmten Betrag - bei einem Leistungsbegehren - oder den Verzicht auf jegliche Leistungsbegrenzung - bei einem Streit wie dem vorliegenden -, sofern nicht eine "Ermessensreduzierung auf Null" eingetreten ist (BSG, Urteil vom 18. März 2008 – B 2 U 1/07 R –, juris Rn. 13; Urteil vom 30. März 2017 – B 2 U 10/15 R –, juris Rn. 17). Eine Ermessensreduzierung auf Null – d. h. auf Gewährung der Kfz-Hilfe in einer bestimmten Höhe - hat der Kläger weder im Klage- noch im Berufungsverfahren behauptet und ist insbesondere auch nicht seinem Sachantrag zu entnehmen. Vielmehr wendet er sich gegen die Ermessensausübung der Beklagten und macht geltend, dass die Beklagte ihm im Rahmen ihrer Ermessensausübung etwas gewähre, was er nicht beantragt habe und was auch weder durch den Gesetzgeber noch den Verordnungsgeber als KfZ-Hilfe vorgesehen sei. Diese Rechtansicht des Klägers ist zutreffend und führt im Ergebnis zur Aufhebung der angegriffenen Bescheide im tenorierten Umfang.
Abgesehen von dem hier nicht gegebenen Fall der Ermessensreduzierung auf Null, in dem es nur ein ermessensgerechtes Ergebnis gibt, hat der Gesetzgeber dem Leistungsträger mit Einräumung von Ermessen eine Auswahlbefugnis hinsichtlich mehrerer gleichermaßen rechtmäßiger Entscheidungsmöglichkeiten auf der Rechtsfolgenseite eröffnet, einschließlich der Möglichkeit, von einer Leistungsversagung oder -entziehung abzusehen. Zur Absicherung dieser Entscheidungsfreiheit des Leistungsträgers ist die Überprüfung seiner Ermessensentscheidung durch die Gerichte nur eingeschränkt dahingehend zulässig, ob die gesetzlichen Grundlagen des Ermessens überschritten wurden oder von dem Ermessen in einer dem Zweck der Ermächtigung nicht entsprechenden Weise Gebrauch gemacht wurde (Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt, SGG, 13. Aufl. 2020, § 54 Rn. 25 ff.). Durch die Gerichte findet daher nur eine Rechtmäßigkeits-, aber keine Zweckmäßigkeitskontrolle statt.
Ausgangspunkte bei der Prüfung der Ermessensausübung des Leistungsträgers sind neben dieser allgemeinen Grundregel einerseits die jeweilige Norm, die zur Ermessensausübung ermächtigt, hier also §§ 26, 40 SGB VII i.V.m der KfzHV sowie der UV-KfzHRL sowie andererseits der Bescheid des Leistungsträgers in der Gestalt des Widerspruchsbescheides, weil dieser die Gesichtspunkte erkennen lassen muss, von denen die Behörde bei der Ausübung ihres Ermessens ausgegangen ist.
Nach der nicht ganz einheitlichen Begriffswahl und Systematik möglicher Fehler bei der Ermessensausübung (vgl. Keller, a.a.O., Rn. 27) in Form einer Ermessensüberschreitung, eines Ermessensnichtgebrauchs sowie einer Ermessensunterschreitung, eines Ermessensmangels, eines Ermessensfehlgebrauchs oder eines Ermessensmissbrauchs kommt hier vorliegend eine Ermessensüberschreitung in Betracht. Diese liegt vor, wenn eine Rechtsfolge gesetzt wird, die in der gesetzlichen Regelung nicht vorgesehen ist.
So liegt der Fall hier, in dem sich die Beklagte auf Nr. 9 der UV-KfzHRL beruft. Ungeachtet der Frage, ob diese von den Verbänden der Unfallversicherungsträger gemäß § 40 Abs. 5 SGB VII beschlossene Richtlinie über die Kraftfahrzeughilfe im Bereich der gesetzlichen Unfallversicherung als untergesetzliches Recht ggf. in Form einer normkonkretisierenden Verwaltungsvorschrift überhaupt Bindungswirkung für die Gerichte entfaltet (vgl. zur TA-Lärm: Bundesverwaltungsgericht, Urteil vom 29. August 2007 – 4 C 2/07 –, juris, Rn. 12 ff.), verstößt sie jedenfalls gegen höheres Recht, konkret gegen § 40 Abs. 2, 3 SGB VII und § 4 KfzHV, da sie zu einer Reduzierung des aus den zitierten Normen herzuleitenden Anspruches des Klägers auf Hilfe zur Beschaffung eines Kraftfahrzeuges führt.
Der Gesetzgeber selbst bestimmt mit § 40 Abs. 2 SGB VII den Umfang der Kfz-Hilfe, indem er regelt, dass die Kraftfahrzeughilfe
- Leistungen zur Beschaffung eines Kraftfahrzeugs,
- für eine behinderungsbedingte Zusatzausstattung und
- zur Erlangung einer Fahrerlaubnis umfasst.
Lediglich zur weiteren Anwendung bzw. Umsetzung dieser drei Leistungsarten der Kraftfahrzeughilfe verweist der Gesetzgeber mit § 40 Abs. 3 SGB VII auf die KfzHV und erklärt diese auch im Rahmen der Teilhabe am Leben in der Gemeinschaft für anwendbar. In diesem gesetzlichen Rahmen obliegt es im Weiteren dem Verordnungsgeber, über § 4 Abs. 2 KfzHV u. a. Kriterien für die Ermessensausübung festzulegen, indem er bestimmt: „Das Kraftfahrzeug muss nach Größe und Ausstattung den Anforderungen erst entsprechen, die sich im Einzelfall aus der Behinderung ergeben und, soweit erforderlich, eine behinderungsbedingte Zusatzausstattung ohne unverhältnismäßigen Mehraufwand ermöglichen.“
Soweit der Gesetzgeber mit § 40 Abs. 5 SGB VII bestimmt, dass das Nähere die Verbände der Unfallversicherungsträger durch gemeinsame Richtlinien regeln, ist damit die Ausgestaltung der Einzelheiten einer Kfz-Hilfe im Bereich der gesetzlichen Unfallversicherung gemeint, mithin nicht die Begrenzung des sich aus § 40 Abs. 2, 3 SGB VII und § 4 KfzHV der KfzHV ergebenden Anspruchs des Klägers.
Eine solche unzulässige Begrenzung des gesetzlichen Anspruches nimmt die Beklagte hier jedoch mit dem streitgegenständlichen Bescheid vor, in dem sie unter Verweis auf Nr. 9 der UV-KfzHRL eine Wirtschaftlichkeitsprüfung der Gestalt einsetzt, dass sie bei – von ihr ermittelter - „höherer Wirtschaftlichkeit“ der Beförderungskosten durch einen Beförderungsdient im Vergleich zu den Kosten für Anschaffung und Umbau eines Kfz den in § 40 Abs. 2 SGB VII vorgesehenen Anspruch auf Leistungen zur Beschaffung eines Kraftfahrzeugs ausschließt. Auf dieser Wirtschaftlichkeitsberechnung basiert hier jedoch die Ablehnung des klägerischen Anspruches durch die Beklagte.
Eine solche Wirtschaftlichkeitsprüfung, die generell zum Ausschluss einer Hilfe zur „Beschaffung eines Kraftfahrzeuges“ führt, sieht der Gesetzgeber im Bereich der gesetzlichen Unfallversicherung jedoch nicht vor. Die KfzHV sieht ihrerseits die Übernahme der Beförderungskosten „anstelle von Kraftfahrzeughilfe“ im Ergebnis einer Wirtschaftlichkeitserwägung nur dann vor, wenn dies zur Aufnahme oder Fortsetzung einer beruflichen Tätigkeit unumgänglich und für den behinderten Menschen zumutbar ist (§ 9 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 i.V.m. Satz 1 Nr. 2 KfZHV). Ein solcher Sachverhalt oder eine vergleichbare Konstellation ist hier jedoch – unstreitig - nicht gegeben.
Wirtschaftlichkeitsgesichtspunkte sind auch dem Unfallversicherungsrecht nicht fern und werden ausreichend über § 4 Abs. 2 der KfzHV, Nr. 3.5, Nr. 4.1 UV-KfzHRL berücksichtigt, wonach das Fahrzeug nach Größe und Ausstattung den Anforderungen entsprechen muss, die sich im Einzelfall aus der Behinderung ergeben und, soweit erforderlich, eine behinderungsbedingte Zusatzausstattung ohne unverhältnismäßigen Mehraufwand möglich sein muss.
Erwägungen zur einer Erforderlichkeit von Wohnungshilfe (§ 41 SGB VII) in Form von Leistungen für einen neuen Carport nebst sicherer Zuwegung waren hier schon deshalb nicht zu berücksichtigen.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.
Die Revision war nicht zuzulassen, weil Gründe nach § 160 Abs. 2 SGG nicht vorliegen.