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Entscheidung 1 U 68/20


Metadaten

Gericht OLG Brandenburg 1. Zivilsenat Entscheidungsdatum 25.02.2021
Aktenzeichen 1 U 68/20 ECLI ECLI:DE:OLGBB:2021:0225.1U68.20.00
Dokumententyp Beschluss Verfahrensgang -
Normen

Tenor

Der Senat beabsichtigt, die Berufung der Verfügungsbeklagten gegen das Urteil der 1. Zivilkammer des Landgerichts Cottbus vom 7. Oktober 2020 durch Beschluss zurückzuweisen.

Die Verfügungsbeklagte erhält Gelegenheit zur Stellungnahme binnen drei Wochen.

Gründe

I.

Der Senat hält die Berufung der Verfügungsbeklagten einstimmig für ohne Aussicht auf Erfolg. Das Rechtsmittel ist zulässig, aber unbegründet. Da der Rechtssache als Einzelfall keine grundsätzliche Bedeutung zukommt, eine Entscheidung des Berufungsgerichts weder zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung noch zur Fortbildung des Rechts erforderlich erscheint und eine mündliche Verhandlung nicht geboten ist, ist beabsichtigt, die Berufung gemäß § 522 Abs. 2 ZPO durch Beschluss zurückzuweisen.

II.

Der Antragsteller ist Nutzer der von der Antragsgegnerin betriebenen Internetplattform „…“ und begehrt die Unterlassung der Löschung eines von ihm am 31. Juli 2020 auf dieser Plattform veröffentlichten Eintrags, den die Verfügungsbeklagte am 2. August 2020 mit der Begründung, das Posting verstoße gegen ihre Gemeinschaftsstandards zu Belästigung und Bullying, löschte.

Nachdem die Verfügungsbeklagte einer Aufforderung des Verfügungsklägers zur Abgabe einer strafbewehrten Unterlassungserklärung nicht nachgekommen war, hat der Verfügungskläger beantragt, die Verfügungsbeklagte im Wege der einstweiligen Verfügung zu der Unterlassung der Löschung des streitgegenständlichen Inhalts, wegen dessen Einzelheiten auf das angefochtene Urteil Bezug genommen wird, zu verpflichten.

Das Landgericht hat dem Antrag mit Urteil vom 7. Oktober 2020 stattgegeben und zur Begründung ausgeführt, dass die streitgegenständliche Äußerung des Verfügungsklägers von der Meinungsfreiheit des Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG gedeckt sei.

Dagegen wendet sich die Berufung der Verfügungsbeklagten, mit der sie ihr Begehren auf Zurückweisung des Antrags auf Erlass der einstweiligen Verfügung weiterverfolgt.

III.

Die Berufung wird keinen Erfolg haben können.

Entgegen der Auffassung der Verfügungsbeklagten ist der Antrag auf Erlass der begehrten einstweiligen Verfügung zulässig, auch wenn er zwangsläufig mit einer Vorwegnahme der Hauptsache verbunden ist. Von dem Grundsatz, dass im einstweiligen Verfügungsverfahren nicht die Entscheidung in der Hauptsache vorweggenommen werden darf, sind die Fälle ausgenommen, in denen der Verfügungskläger dringend auf einen gerichtlichen Titel angewiesen ist und ihm ein Abwarten auf eine Entscheidung im Hauptsacheverfahren nicht zugemutet werden kann; letzteres gilt für Ansprüche auf Unterlassung insbesondere in den Fällen, in denen eine Wiederholung des streitgegenständlichen Verhaltens konkret zu befürchten steht (vgl. Senat, Urteil vom 19. Februar 2007, Az.: 1 U 17/06, juris Rn. 16; Senat, NJW-RR 2002, 1127). Dies ist hier der Fall, da die Verfügungsbeklagte die Löschung des Eintrags rechtfertigt und der Verfügungskläger die von ihm betriebene …-Seite nach wie vor nutzt. Dabei ist auch zu berücksichtigen, dass es dem Verfügungskläger in Fällen der vorliegenden Art von vornherein nur um eine eng begrenzte Art der Unterlassung geht und die Verfügungsbeklagte – im Gegensatz zum Regelfall der Leistungsverfügung – nicht zu einer umfassenden Befriedigung verpflichtet wird (LG Offenburg, Urteil vom 26. September 2018, Az.: 2 O 310/18, juris Rn. 71). Streitgegenstand eines auf ein Unterlassungsgebot gerichteten Verfügungsverfahrens ist der prozessuale Anspruch des Verfügungsklägers auf Sicherung des materiellrechtlichen Anspruchs (BGH, NJW 2004, 506, 508) und nur dieser vorläufigen Regelung eines einstweiligen Zustands dient die streitgegenständliche einstweilige Verfügung, indem sie die Unterlassung der Löschung eines von der Meinungsfreiheit geschützten Beitrags anordnet. Im Übrigen steht den Parteien eine endgültige Klärung der zwischen ihnen im Streit stehenden Fragen im Hauptsacheverfahren jederzeit offen.

Der Antrag ist zudem begründet.

Zwischen den Parteien besteht ein Vertragsverhältnis, das den Verfügungskläger berechtigt, aus Meinungen und Behauptungen bestehende Nachrichten und Kommentare sowie Geschichten, Fotos und Videos über die von der Verfügungsbeklagten betriebene Plattform zu verbreiten. Dabei geht der Senat im Einklang mit der ganz herrschenden Auffassung in Rechtsprechung und Literatur grundsätzlich davon aus, dass die Verfügungsbeklagte auf der Grundlage ihrer nach den §§ 305 ff. BGB nicht zu beanstandenden Gemeinschaftsstandards bzw. Nutzungsbedingungen (Senat, Beschluss vom 7. Januar 2020, Az.: 1 U 44/19; OLG München, Beschluss vom 17. September 2018, Az. 18 W 1383/18, juris Rn. 17) berechtigt ist, bestimmte Beiträge zu löschen, sofern sichergestellt ist, dass diese Sanktionen nicht willkürlich festgesetzt werden. Der Verfügungsbeklagten steht als Betreiberin der Plattform „…“ ein virtuelles Hausrecht zu (vgl. BSG, MMR 2013, 675 Rn. 14; OLG Köln, VersR 2001, 862), das sie grundsätzlich berechtigt, rechtswidrige und den Gemeinschaftsstandards widersprechende Beiträge zu löschen. Dieses Hausrecht besteht aufgrund der vertraglichen Beziehung der Parteien jedoch nicht uneingeschränkt. Die mit dem Verfügungskläger eingegangene vertragliche Bindung beschränkt die hausrechtlichen Befugnisse der Verfügungsbeklagten mit Blick auf ihre marktbeherrschende Stellung im Bereich der sozialen Netzwerke, die eine erhebliche mittelbare Grundrechtsbindung zur Folge hat, dahingehend, dass die Löschung unter Berücksichtigung der grundrechtlich geschützten Positionen des Verfügungsklägers sachlich gerechtfertigt sein muss (vgl. OLG Stuttgart, MDR 2018, 1485, 1486; OLG Dresden, NJW 2018, 3111 Rn. 18 f., jeweils mwN). Der Verfügungskläger hat aus dem zwischen den Parteien bestehenden Vertrag einen Anspruch darauf, ohne Furcht vor einer Löschung seiner Beiträge wahre Tatsachen behaupten und zulässige Meinungsäußerungen kundtun zu dürfen. Ob eine Veröffentlichung gegen die Gemeinschaftsstandards der Verfügungsbeklagten verstößt, obliegt demnach immer einer Prüfung des Einzelfalls.

Im vorliegenden Fall hat das Landgericht zutreffend festgestellt, dass die streitgegenständliche Äußerung nicht gegen die Gemeinschaftsstandards der Beklagten verstößt und dem Verfügungsbeklagten daher gemäß §§ 241 Abs. 2, 1004 Abs. 1 Satz 1 BGB der geltend gemachte Unterlassungsanspruch zusteht. Bei der Äußerung unter der Überschrift „Nicht verwechseln!“, die ein durch Bilder unterlegtes Wortspiel durch Gegenüberstellung der Begriffe „Land der Lappen“ und „Lappland“ enthält, handelt es sich um eine zulässige Meinungsäußerung.

Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG gewährleistet jedermann das Recht, seine Meinung frei zu äußern und zu verbreiten. Dabei genießen Meinungen den Schutz des Grundrechts, ohne dass es darauf ankäme, ob die Äußerung wertvoll oder wertlos, richtig oder falsch, begründet oder grundlos, emotional oder rational ist. Auch scharfe und übersteigerte Äußerungen fallen grundsätzlich in den Schutzbereich des Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG. Erst wenn bei einer Äußerung nicht mehr die Auseinandersetzung in der Sache, sondern die Herabsetzung der Person im Vordergrund steht, hat eine solche Äußerung als Schmähung regelmäßig hinter dem Persönlichkeitsrecht des Betroffenen zurückzutreten. Gleiches gilt für Formalbeleidigungen und Anprangerungen. Wegen seines die Meinungsfreiheit verdrängenden Effekts ist der Begriff der Schmähkritik allerdings eng auszulegen. Danach macht auch eine überzogene oder gar ausfällige Kritik eine Äußerung für sich genommen noch nicht zur Schmähung. Hinzutreten muss vielmehr, dass bei der Äußerung nicht mehr die Auseinandersetzung in der Sache, sondern die Diffamierung im Vordergrund steht, die jenseits polemischer und überspitzter Kritik in erster Linie herabsetzen bzw. gleichsam an den Pranger stellen soll (BGH, NJW 2009, 1872 Rn. 18).

Wie das Landgericht bereits zutreffend ausgeführt hat, handelt es sich vorliegend um eine satirische Überspitzung, die weder die deutsche noch die finnische Bevölkerung in unzulässiger Weise diskriminiert. Die Äußerung beinhaltet auch weder eine Hassrede noch ein Drangsalieren bestimmter Personen im Sinne der Gemeinschaftsstandards der Verfügungsbeklagten. Sie steht vielmehr ersichtlich im Zusammenhang mit einer satirischen Auseinandersetzung über Infektionsschutzmaßnahmen und beinhaltet daher keine von einem sachlichen Bezug losgelöste Schmähung.

Konkrete Anhaltspunkte für die Unzulässigkeit der Äußerung wegen eines ungerechtfertigten Eingriffs in das Persönlichkeitsrecht der abgebildeten Kinder oder einer Beeinträchtigung der Urheberrechte Dritter hat die Verfügungsbeklagte nicht dargetan.

Die für einen Unterlassungsanspruch erforderliche Wiederholungsgefahr ist aufgrund des rechtswidrigen Eingriffs zu vermuten (BGH, NJOZ 2018, 194 Rn. 17 mwN; Palandt/Herrler, BGB, 80. Auflage, § 1004 Rn. 32); eine strafbewehrte Unterlassungserklärung, die dieser Vermutung entgegenstehen könnte (vgl. BGH, NJW 2012, 3781 Rn. 12), hat die Verfügungsbeklagte nicht abgegeben.

Da die Verfügungsbeklagte die Löschung des Eintrags für gerechtfertigt hält, besteht darüber hinaus eine konkrete und unmittelbar bevorstehende Gefahr, dass sie eine entsprechende Äußerung des Verfügungsklägers erneut löschen würde. Den hierdurch begründeten Verfügungsgrund hat der Verfügungskläger auch nicht selbst durch ein zu langes Zuwarten widerlegt (vgl. OLG München, Beschluss vom 17. Juli 2018, Az.: 18 W 858/18, juris Rn. 51; Zöller/Vollkommer, ZPO, 33. Auflage, § 940 Rn. 4), da er die Löschung gegenüber der Verfügungsbeklagten bereits mit Schreiben seines Prozessbevollmächtigten vom 4. August 2020 beanstandet und unmittelbar nach Ablauf der ihr zur Abgabe einer strafbewehrten Unterlassungserklärung gesetzten Frist den Antrag auf Erlass der einstweiligen Verfügung gestellt hat.

IV.

Aus den vorstehenden Gründen wird die Berufung der Verfügungsbeklagten zurückzuweisen sein, weshalb der Senat zur Vermeidung weiterer Kosten deren Zurücknahme zu erwägen gibt.