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Entscheidung 1 L 124/21


Metadaten

Gericht VG Frankfurt (Oder) 1. Kammer Entscheidungsdatum 11.05.2021
Aktenzeichen 1 L 124/21 ECLI ECLI:DE:VGFRANK:2021:0511.1L124.21.00
Dokumententyp Beschluss Verfahrensgang -
Normen

Tenor

1. Der Antrag auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes wird zurückgewiesen.

Die Antragstellerin trägt die Kosten des Verfahrens.

2. Der Streitwert wird auf 1.250,00 Euro festgesetzt.

Gründe

I.

Die Antragstellerin wendet sich gegen eine durch die Antragsgegnerin für sofort vollziehbar erklärte Anordnung der Wiederholung einer studienbegleitenden Hochschulprüfung.

Die Antragstellerin ist bei der Antragsgegnerin im Bachelorstudiengang „Internationale Betriebswirtschaftslehre“ immatrikuliert. Im Rahmen ihres Studiums nahm sie am 26. Februar 2021 an der Modulprüfung für das Pflichtmodul „Wirtschaftsinformatik“ teil. Diese Prüfung war aus Gründen des Infektionsschutzes als Fernprüfung in elektronischer Form angelegt, bei der die Studierenden über das Internet von einem selbst gewählten Ort an der Prüfung teilnahmen und die erarbeiteten Lösungen auf den Servern der Antragsgegnerin abspeicherten. Eine Prüfungsaufsicht unterblieb entsprechend einer schriftlichen Empfehlung der Landesbeauftragten für den Datenschutz und für das Recht auf Akteneinsicht. Aus diesem Grunde war während der Prüfung die Benutzung von Hilfsmitteln gestattet (sog. open book-Prüfung oder „Kofferklausur“), nicht aber die Kommunikation der Studierenden untereinander oder mit Dritten.

Mit Bescheid vom 15. März 2021 hob die Antragsgegnerin gegenüber der Antragstellerin die Prüfung auf, ordnete die Nichtbewertung der Prüfungsleistung an und erklärte die Wiederholung für erforderlich. Entsprechende Bescheide sind auch gegenüber den weiteren Studierenden ergangen, die an der Prüfung vom 26. Februar 2021 teilgenommen haben. Zur Begründung führte die Antragsgegnerin im Wesentlichen aus, dass konkrete Anhaltspunkte für einen unzulässigen Austausch zwischen den Studierenden während der Prüfung bestünden. So seien von diversen Studierenden teilweise identische Lösungen eingereicht worden. Wegen der Einzelheiten wird auf die Begründung des verfahrensgegenständlichen Bescheides sowie auf die hierzu ergänzenden Ausführungen in der Antragserwiderung vom 16. April 2021 verwiesen.

Hiergegen erhob die Antragstellerin mit Schreiben vom 23. März 2021 Widerspruch. Diesen begründete sie im Wesentlichen wie folgt: Sie habe die Prüfung regelkonform durchgeführt. Die aufgetretenen Unregelmäßigkeiten beträfen sie nicht. Deshalb widerspreche die Annullierung ihrer Prüfungsleistung dem Grundsatz der Einzelfallgerechtigkeit. Die Wiederholung der Prüfung sei für sie auch unzumutbar. Neben dem Aufwand der nochmaligen Prüfungsvorbereitung gehe mit der beabsichtigten Durchführung als Präsenzklausur ein hohes COVID-19-Infektionsrisiko einher. Die Antragstellerin sei derzeit für die häusliche Pflege ihrer im selben Haushalt wohnhaften Mutter verantwortlich, die krankheitsbedingt ein erhöhtes Risiko für einen schweren COVID-19-Verlauf habe.

In Bezug auf die von der Antragstellerin im Widerspruchsschreiben ferner beantragte Aussetzung der Vollziehung teilte die Vorsitzende des Prüfungsausschusses der Wirtschaftswissenschaftlichen Fakultät mit Schreiben vom 25. März 2021 mit, dass der Antragstellerin bei Vorlage eines näher beschriebenen Attests ihrer Mutter die Teilnahme an der Prüfung als Onlineklausur ohne Präsenzpflicht am Ort der Universität eingeräumt werde, unter Aufsicht mittels Videokonferenz inklusive Bildschirmteilen. Zusätzlich zu dieser Entscheidung im Einzelfall der Antragstellerin habe der Prüfungsausschuss entschieden, alle Wiederholungsprüfungen unter Anwendung der sog. Freiversuchsregelungen entsprechend § 22 Abs. 3 BbgHG durchzuführen. Darüber hinaus sei eine Aufhebung der Entscheidung des Prüfungsausschusses, die unmittelbare Wiederholung der Prüfung anzusetzen, aus Verhältnismäßigkeitsgründen nicht geboten.

Daraufhin hat die Antragstellerin am 1. April 2021 bei Gericht einen Antrag auf Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes gestellt. Zur Begründung wiederholt sie im Wesentlichen das Vorbringen aus dem Widerspruchsschreiben und führt ergänzend aus: Die als Rechtsgrundlage angeführte Vorschrift des § 22 ASPO erlaube als Schutzvorschrift nur die Wiederholung einer Prüfung im Interesse eines Prüflings, was bei ihr nicht der Fall sei. Die Sanktionierung der ermittelten Studierenden sei als milderes Mittel vorrangig, weil sonst alle anderen Studierenden in „Sippenhaft“ genommen würden. Die nur an bestimmten Prüfungsaufgaben festgemachten Täuschungsversuche rechtfertigten ferner nicht die Wiederholung der gesamten Prüfung. Die Eilbedürftigkeit des Verfahrens ergebe sich aus dem bereits für April anberaumten ersten Termin zur erneuten Prüfung. Eine Entscheidung in einem Klageverfahren könne sie nicht abwarten, weil die erfolgreiche Prüfung notwendige Voraussetzung für die Anmeldung ihrer Bachelorarbeit sei. Bereits während des gerichtlichen Eilverfahrens entstünden ihr Nachteile für ihr Studium durch die vorsorgliche Vorbereitung auf die anstehende Wiederholungsprüfung parallel zur Erbringung weiterer Studienleistungen.

Die anwaltlich nicht vertretene Antragstellerin beantragt wörtlich, im Wege der einstweiligen Anordnung anzuordnen:

1. der Bescheid der Antragsgegnerin vom 15. März 2021 gegen die Antragstellerin ist aufzuheben.

2. Der Antragstellerin ist das Ergebnis der Prüfung in „Wirtschaftsinformatik“ vom 26. Februar 2021 mitzuteilen und im Rahmen ihres Studiums zu werten.

Die Antragsgegnerin beantragt,

die Anträge zurückzuweisen.

Zur Begründung führt sie im Einzelnen zu den Gründen aus, die den Prüfungsausschuss zur Aufhebung der Prüfung vom 26. Februar 2021 veranlasst haben. Innerhalb der Studiengangsvariante der Antragstellerin bestehe gegen 51 von 271 Studierenden ein Täuschungsverdacht. Der genaue Kreis der Studierenden, die sich durch den Austausch untereinander oder mit Dritten während der Prüfung unberechtigte Vorteile verschafft haben, könne im Nachhinein nicht mehr ermittelt werden. Daher sei die Annullierung der gesamten Prüfung erforderlich gewesen, um den Grundsatz der Chancengleichheit zu gewährleisten.

Zudem ordnete die Antragsgegnerin mit Schriftsatz vom 16. April 2021 (Antragserwiderung) die sofortige Vollziehung des Bescheides vom 15. März 2021 an. Grund hierfür sei eine Verpflichtung der Antragsgegnerin, den mit der Wiederholungsprüfung für die Studierenden einhergehenden Aufwand der erneuten Prüfungsvorbereitung möglichst gering zu halten. Schwerwiegende Nachteile entstünden der Antragsgegnerin durch die Vollziehung nicht; der pandemiebedingten persönlichen Situation der Antragstellerin werde durch die ihr gewährte Teilnahme als Online-Prüfung Rechnung getragen.

II.

Die Anträge haben keinen Erfolg.

1. Der Antrag zu 1. ist als Antrag auf Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung des Widerspruchs der Antragstellerin gegen den Bescheid vom 15. März 2021 in Gestalt des Teilabhilfebescheids vom 25. März 2021 auszulegen (§ 88 der Verwaltungsgerichtsordnung – VwGO –).

Der so verstandene Antrag ist nach § 80 Abs. 5 Satz 1 Alt. 2 VwGO statthaft und auch im Übrigen zulässig. Es geht um die Vollziehung eines belastenden Verwaltungsakts, da mit dem verfahrensgegenständlichen Bescheid die Prüfungsleistung der Antragstellerin vom 26. Februar 2021 annulliert und damit die Wiederholung der Prüfung erforderlich wurde. Dem Widerspruch der Antragstellerin kommt im hier maßgeblichen Zeitpunkt gemäß § 80 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 VwGO keine aufschiebende Wirkung mehr zu, weil die Antragsgegnerin die sofortige Vollziehung des Bescheides angeordnet hat.

Der Antrag ist indes unbegründet.

Das Gericht stellt gem. § 80 Abs. 5 Satz 1 Alt. 2 VwGO auf Antrag die aufschiebende Wirkung eines Widerspruchs bzw. einer Klage wieder her, wenn das Aussetzungsinteresse des Antragstellers das öffentliche Vollziehungsinteresse überwiegt. Diese durch das Gericht eigenständig durchzuführende Interessensabwägung richtet sich vorrangig nach den Erfolgsaussichten des Widerspruchs bzw. der Klage in der Hauptsache, insbesondere danach, ob der Verwaltungsakt bei summarischer Prüfung offensichtlich rechtswidrig bzw. rechtmäßig ist. Ist nach der summarischen Beurteilung der Ausgang des Hauptsacheverfahrens offen, so hat das Gericht eine sorgsame Abwägung aller wechselseitigen Interessen vorzunehmen, um zu ermitteln, wessen Interesse für die Dauer des Hauptsacheverfahrens der Vorrang gebührt.

Vorliegend überwiegt das öffentliche Interesse an der formell ordnungsgemäß angeordneten sofortigen Vollziehung des Bescheides vom 15. März 2021 das Interesse der Antragstellerin, von der Vollziehung vorerst verschont zu bleiben.

a. Die Anordnung der sofortigen Vollziehung erfolgte formell ordnungsgemäß. Insbesondere bestehen gegen die schriftsätzliche Anordnung der sofortigen Vollziehung nebst Begründung im gerichtlichen Verfahren keine Bedenken im Hinblick auf das Schriftformerfordernis des § 80 Abs. 3 Satz 1 VwGO, weil die Antragstellerin von dem Schriftsatz der Antragsgegnerin vom 16. April 2021 eine Abschrift erhalten hat. Auch inhaltlich wird die dort gegebene Begründung den formellen Voraussetzungen gerecht. Erforderlich ist eine auf den konkreten Einzelfall abstellende Darlegung des besonderen öffentlichen Vollziehungsinteresses und die Gründe, warum das Aussetzungsinteresse des Betroffenen im Einzelfall zurücktreten muss (vgl. Kopp/Schenke, VwGO, 23. Aufl. 2017, § 80 Rn. 85). Vorliegend ist der Antragserwiderung nachvollziehbar zu entnehmen, dass die Anordnung der sofortigen Vollziehung erfolgte, weil sich die Antragsgegnerin zu einem zügigen Abschluss des Prüfungsverfahrens verpflichtet sah, um den Aufwand der (erneuten) Prüfungsvorbereitung – auch für die Antragstellerin – so gering wie möglich zu halten.

b. Nach summarischer Prüfung bestehen keine Zweifel an der Rechtmäßigkeit des Bescheides vom 15. März 2021.

Rechtsgrundlage für den verfahrensgegenständlichen Bescheid ist § 22 Abs. 1 Satz 1 der Allgemeinen Studien- und Prüfungsordnung für Bachelor- und Masterstudiengänge der Antragsgegnerinvom 27. Januar 2016 in der Fassung der Ersten Änderungssatzung vom 2. November 2016 (nachfolgend: ASPO). Danach ist auf Antrag eines oder einer betroffenen Studierenden oder von Amts wegen anzuordnen, dass von einem oder einer bestimmten oder von allen betroffenen Studierenden die Prüfung oder einzelne Teile derselben wiederholt werden, wenn es sich erweist, dass das Prüfungsverfahren mit Mängeln behaftet war, die das Prüfungsergebnis beeinflusst haben. Diese Regelung ist gedeckt von der gesetzlichen Verordnungsermächtigung in § 23 Abs. 1 Satz 1 Nr. 17 des Brandenburgischen Hochschulgesetzes vom 28. April 2014 in der zuletzt durch Gesetz vom 23. September 2020 geänderten Fassung (BbgHG).

Die Voraussetzungen von § 22 Abs. 1 Satz 1 ASPO sind hier offensichtlich gegeben.

aa. Die Prüfung vom 26. Februar 2021 war bereits deshalb mit einem Verfahrensmangel behaftet, weil es an einer Rechtsgrundlage für die häusliche Anfertigung der Prüfungsleistung fehlt und zudem die hier erforderliche Prüfungsaufsicht vollständig unterblieben ist. Im Einzelnen:

(1) Die hier abgenommene elektronische Fernprüfung stellt keine eigene Prüfungsform dar, sondern ist für sich „prüfungsrechtlich neutral“; alle Prüfungsformen können grundsätzlich als Präsenz- oder Fernprüfung erfolgen (Birnbaum, Bildungsrecht in Zeiten von Corona, § 4 Rn. 39, beck-online; Dieterich, Von Risiken und Nebenwirkungen – ein Jahr [Online-]Prüfungen in der Corona-Pandemie, NVwZ 2021, 511, 512).

Vorliegend war die Prüfung in Form einer Klausur zu erbringen.

Hochschulprüfungen werden nach § 22 Abs. 1 Satz 1 BbgHG aufgrund von Prüfungsordnungen der Fachbereiche und der Rahmenordnung nach § 23 BbgHG abgelegt. Maßgeblich ist danach hier die ASPO in Verbindung mit der auf die Antragstellerin anwendbaren studiengangsspezifischen Ordnung für Studium und Prüfungen für den Studiengang Internationale Betriebswirtschaftslehre (Bachelor) vom 5. Juli 2017 in der Fassung vom 16. Januar 2019 (nachfolgend: SPO). Nach § 13 Abs. 1 Satz ASPO finden Prüfungen gemäß der in der Beschreibung der Lehrveranstaltung festgelegten Form statt. Gemäß § 7 Abs. 1 Satz 2 SPO werden Prüfungsleistungen nach der jeweiligen Modulbeschreibung erbracht (vgl. auch die gleichlautende Regelung in § 6 Abs. 3 Satz 2 der auf Grundlage von § 22 Abs. 4 BbgHG erlassenen Verordnung über die Gestaltung von Prüfungsordnungen zur Gewährleistung der Gleichwertigkeit von Studium, Prüfungen und Abschlüssen vom 4. März 2015, zuletzt geändert durch Verordnung vom 7. Juli 2020 [Hochschulprüfungsverordnung – HSPV –]). Ausweislich des in der SPO in Bezug genommenen und auf der Homepage der Antragsgegnerin veröffentlichten Modulkatalogs für den Bachelorstudiengang Internationale Betriebswirtschaftslehre (abrufbar unter: https://www.wiwi.europa-uni.de/de/studium/neue-studienangebote/ibwl-bachelor/grundlagenausbildung/wirtschaftsinformatik/index.html) ist die Prüfungsform für das Modul Wirtschaftsinformatik auf eine Klausur festgelegt.

(b) In den einschlägigen Regelungen der Antragsgegnerin ist die Prüfungsart der Klausur ausschließlich als Präsenzprüfung vorgesehen. Nach § 13 Abs. 1 Satz 2 ASPO können Prüfungen in schriftlicher, elektronischer, mündlicher, praktischer oder sonstiger Form und in einer Kombination dieser Formen abgehalten werden. Dabei sind schriftliche Prüfungen in § 13 Abs. 1 Satz 3 ASPO als Klausuren oder sonstige schriftliche Leistungen in Form der häuslichen Anfertigung der Prüfungsleistung definiert (vgl. auch § 6 Abs. 3 Satz 1 HSPV). Die Einzelheiten dieser Prüfungsarten sind sodann in § 14 und § 16 ASPO näher geregelt. Danach kann eine Klausur zwar – wie hier geschehen – gemäß § 14 Abs. 2 ASPO auch in elektronischer Form abgenommen werden. Dieser Vorschrift ist aber nicht gleichsam zu entnehmen, dass auch das Erscheinen der Studierenden in Person an dem nach § 13 Abs. 2 ASPO vorab bekanntzugebenden Ort der Prüfung entbehrlich ist. Für die hier vorgenommene Durchführung als sog. Fernklausur bedurfte es vielmehr angesichts der in der ASPO klar angelegten Differenzierung zwischen Klausuren und der häuslichen Anfertigung von Prüfungsleistungen einer gesonderten Regelung (vgl. zur Regelungsnotwendigkeit: Birnbaum, a. a. O. Rn. 39 f.; Fischer/Dieterich, Prüfungsrecht in Zeiten der Coronavirus-Pandemie, NVwZ 2020, 657, 661; Heckmann/Rachut, Vertrauen ist gut, Kontrolle ist besser, COVuR 2021, 194, 195). Hierfür spricht auch, dass die ASPO im Bereich der Lehre eine gesonderte Regelung für die Lehrform des sog. E-Learnings vorsieht (vgl. § 7 Abs. 11 ASPO). Insoweit wäre eine Fernprüfung wohl nur im Einverständnis mit den Prüflingen zulässig gewesen, wenn gleichzeitig eine alternative Präsenzprüfung angeboten wird (vgl. Fischer/Dieterich, a. a. O., 661 f.). Letzteres war hier indes nicht gegeben.

(2) Selbst bei unterstellter Rechtsgrundlage für die Durchführung der Prüfung vom 26. Februar 2021 als Fernklausur in elektronischer Form begründet die hier fehlende Prüfungsaufsicht einen eigenständigen Verfahrensfehler.

Eine Klausur ist – hier in Abgrenzung zu der häuslichen Anfertigung einer Prüfungsleistung – auch als Fernprüfung eine grundsätzlich unter Aufsicht zu erbringende Prüfungsleistung (vgl. Dieterich, a. a. O., 516; Heckmann/Rachut, a. a. O, 196 m. w. N.; zur Zulässigkeit von Videoüberwachung in online-Fernklausuren: Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 4. März 2021 – 14 B 278/21.NE –, juris; Oberverwaltungsgericht für das Land Schleswig-Holstein, Beschluss vom 3. März 2021 – 3 MR 7/21 –, juris). Der aus Art. 3 Abs. 1 des Grundgesetzes herzuleitende prüfungsrechtliche Grundsatz der Chancengleichheit gebietet eine zuverlässige und lückenlose Aufsicht von Klausuren, insbesondere zur Vermeidung von Täuschungen und Manipulation (vgl. Niehues/Fischer/Jeremias, Prüfungsrecht, 7. Auflage 2018, Rn. 435 ff., 439; Heckmann/Rachut, a. a. O., 199). Im Sinne der Gewährleistung der Chancengleichheit der Studierenden und der Aussagefähigkeit der Leistungskontrollen müssen die Hochschulen alle Möglichkeiten zur Täuschungsprävention und -aufdeckung im Rahmen ihres pflichtgemäßen Ermessens sowie des technisch, finanziell und zeitlich Machbaren und Zumutbaren nutzen (vgl. Fischer/Dieterich, a. a. O., 661).

Dieses prüfungsrechtliche Gebot findet in den Regelungen der Antragsgegnerin über studienbegleitende Klausuren (§ 14 ASPO) an mehreren Stellen Anklang. Für nach dem Antwort-Wahl-Verfahren (engl.: Multiple-Choice) gestaltete Prüfungen sieht § 14 Abs. 3 Satz 2 ASPO ausdrücklich vor, dass Studierende die schriftlich oder elektronisch gestellten Fragen in Aufsichtsarbeiten zu beantworten haben. Die verfahrensgegenständliche Prüfung war ausweislich den von der Antragsgegnerin zur Akte gereichten Prüfungsaufgaben überwiegend als Antwort-Wahl-Prüfung gestaltet.

Auch konnte auf eine Aufsicht nicht deshalb verzichtet werden, weil die Prüfung als sog. open book-Klausur (auch „Kofferklausur“ genannt) angelegt war, Hilfsmittel also gemäß § 13 Abs. 6 Satz 1 ASPO uneingeschränkt zugelassen wurden (vgl. Heckmann/Rachut, a. a. O., 198; differenzierend OVG SH, a. a. O., juris Rn. 45 und 50). Durch das Fehlen einer Identitätsprüfung der Studierenden (vgl. § 13 Abs. 5 ASPO) und einer Versicherung, dass die Prüfungsleistung selbst und ohne Nutzung unzulässiger Hilfsmittel erbracht wurde (vgl. hierzu für die häusliche Anfertigung einer Prüfungsleistung § 16 Abs. 4 Satz 4 ASPO), war mangels Aufsicht nicht gewährleistet, dass die Fernklausur überhaupt durch die hierfür angemeldeten Studierenden in Person abgeleistet wurde, geschweige denn, dass den jeweiligen Prüfungsleistungen keine verdeckte Gruppenarbeit zugrunde liegt (vgl. § 16 Abs. 3 ASPO). Sofern in der Prüfungsordnung – wie hier – eine Klausur als Leistungsnachweis vorgeschrieben ist, muss der Charakter als Aufsichtsarbeit gewährleistet sein (bei einer elektronischen Fernprüfung durch eine Videoüberwachung oder ähnliches). Will man hierauf verzichten, so handelt es sich prüfungsrechtlich um die Prüfungsart einer Hausarbeit (Dieterich, a. a. O., S. 517).

(3) Angesichts des Vorstehenden bedarf es im Hinblick auf die Mangelhaftigkeit des Prüfungsverfahrens keines näheren Eingehens auf die von der Antragsgegnerin zur Begründung der Annullierung der Prüfungsleistung der Antragstellerin vorgebrachten Unregelmäßigkeiten. Die mutmaßlichen Täuschungen dürften aber wohl keinen eigenständigen Verfahrensfehler begründen, sondern sich vielmehr als Folge der vorgenannten Verfahrensmängel darstellen.

bb. Die Verfahrensmängel haben im Sinne von § 22 Abs. 1 Satz 1 ASPO das Prüfungsergebnis beeinflusst. Diese Erheblichkeit eines Verfahrensfehlers ist nur dann nicht gegeben, wenn die Prüfungsentscheidung darauf von vornherein nicht beruht (zum Beispiel bei einer Begünstigung anderer Prüflinge, wenn das eigene Prüfungsverfahren ordnungsgemäß verlaufen ist) oder feststeht, dass das Prüfungsergebnis auch ohne den Verfahrensfehler nicht anders ausgefallen wäre (vgl. Niehues/Fischer/Jeremias, a. a. O., Rn. 488 ff.).

Zwar mag sich eine solche Erheblichkeit nicht bereits allein aus der Durchführung der Prüfung als Fernklausur ergeben, obwohl die im Vergleich zu Präsenzprüfungen eine erhöhte Täuschungsanfälligkeit mit sich bringt (vgl. Fischer/Dieterich, a. a. O., 661 m. w. N.; Birnbaum, a. a. O., Rn. 95). Jedenfalls in Kombination dieser Prüfungsmodalität mit der fehlenden Prüfungsaufsicht war die Chancengleichheit zwischen den Studierenden aber nicht mehr gewahrt. Es ist zu befürchten, dass eine nicht mehr aufklärbare Anzahl von Studierenden eine ungerechtfertigte (zu gute) Bewertung erhalten würde (vgl. zu der Wiederholung einer Abschlussprüfung wegen im Vorfeld bekannt gewordener Prüfungsaufgaben: VG Berlin, Beschlüsse vom 19. Juni 2008 – 3 A 220.08 – juris Rn. 8 [nachgehend OVG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 20. Juni 2008 – OVG 3 S 51.08] und vom 20. Juni 2008 – 3 A 226.08 –, juris Rn. 9). Ferner würde dadurch das durchschnittliche Leistungsbild verfälscht, sodass die Grundlage für die korrekte Leistungsbewertung auch für die Antragstellerin fehlt. Die konkreten Leistungen der Mitprüflinge lassen Rückschlüsse auf den im Rahmen der prüfungsspezifischen Wertungen zu berücksichtigenden Schwierigkeitsgrad der Prüfungsaufgabe zu. Zudem bestand die vorliegende Prüfung überwiegend aus Aufgaben nach dem Antwort-Wahl-Verfahren, bei dem die Prüfungsleistungen relativ nach dem Ergebnis der Arbeiten bewertet werden können (vgl. zu alledem: Niehues/Fischer/Jeremias, a. a. O., Rn. 440, 535, 758 f.).

cc. Die von § 22 Abs. 1 Satz 1 ASPO vorgegebene Rechtsfolge lässt ein Vorgehen von Amts wegen zu und sieht kein Ermessen für die Anordnung der Wiederholung der Prüfung vor. Die mit dem verfahrensgegenständlichen Bescheid ausgesprochene Annullierung der durch die Antragstellerin abgelegten Prüfung vom 26. Februar 2021 ist von dieser Rechtsfolge denknotwendig mitumfasst. Die Anordnung der Wiederholung hat schon aus der Natur der Sache heraus die weitere Rechtsfolge, dass nur die im Rahmen der Wiederholungsprüfung erbrachten Leistungen Gültigkeit beanspruchen können (OVG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 20. Juni 2008 – OVG 3 S 51.08 –, S. 3 des Entscheidungsabdrucks, Unterabsatz 3).

Die Adressierung der Wiederholungsanordnung (auch) an die Antragstellerin erscheint nicht ermessensfehlerhaft, wenn auch gegen sie nicht der Vorwurf der Täuschung erhoben wurde. Von den hier festgestellten Verfahrensfehlern sind alle teilnehmenden Studierenden in gleicher Weise betroffen im Sinne von § 22 Abs. 1 Satz 1 ASPO. Bei erheblichen und offensichtlichen Mängeln, welche die Grundlagen und den Aussagewert der Prüfung in Frage stellen, hat die Prüfungsbehörde das Prüfungsverfahren von Amts wegen durch eine erneute Prüfung aller Studierenden unter einheitlichen (verfahrensfehlerfreien) Prüfungsbedingungen zu einem ordnungsgemäßen Abschluss zu bringen, selbst wenn der Prüfling durch den Fehler begünstigt worden ist. Es ist dabei unerheblich, wenn ein Verfahrensmangel – wie hier – im Verantwortungsbereich der Prüfungsbehörde liegt, wenn es um die Wahrung der Chancengleichheit der Prüflinge insgesamt geht (vgl. Niehues/Fischer/Jeremias, a. a. O., 487, 501). Der Mangel der fehlenden Aufsicht betrifft die Prüfung insgesamt, sodass eine nur teilweise Wiederholung einzelner Prüfungsaufgaben als gebotene „schonende Fehlerbeseitigung“ nicht in Betracht kommt.

c. Vor dem Hintergrund der Rechtmäßigkeit des Bescheides hat das Aussetzungsinteresse der Antragstellerin hinter das öffentliche Vollziehungsinteresse zurückzutreten. Das durch die Anmeldung der Antragstellerin zu der Prüfung vom 26. Februar 2021 entstandene Prüfungsrechtsverhältnis verpflichtet die Antragsgegnerin dazu, das Prüfungsverfahren ohne vermeidbare Verzögerungen durchzuführen und in angemessener Zeit zum Abschluss zu bringen (Niehues/Fischer/Jeremias, Prüfungsrecht, 7. Auflage 2018, Rn. 123, 166 m. w. N. aus der Rechtsprechung). Die Antragstellerin hat nicht dargetan, dass die sofortige Vollziehung für sie eine unbillige, nicht durch überwiegende öffentliche Interessen gebotene Härte zur Folge hätte (vgl. § 80 Abs. 4 Satz 3 VwGO). Es ist insbesondere nicht anzunehmen, dass die Wiederholungsarbeit einen gesteigerten Schwierigkeitsgrad haben wird oder die Rahmenbedingungen ungünstiger sein werden, zumal der Antragstellerin in ihrem Einzelfall nachgelassen wurde, die Prüfung wieder in Form einer elektronischen Fernklausur abzulegen.

Auch eine Folgenabwägung würde zu Lasten der Antragstellerin ausfallen. Wenn trotz der Zurückweisung des Antrags auf Gewährleistung einstweiligen Rechtsschutzes später dem Widerspruch der Antragstellerin abgeholfen werden würde, bleibt der Antragstellerin zwar der vergebliche Mehraufwand für die Teilnahme an der zeitnahen Wiederholungsprüfung, mit den von ihr beschriebenen Beeinträchtigungen für andere Studienleistungen und ihre nebenberufliche Tätigkeit. Wenn hingegen das Gericht die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs zunächst wiederherstellt, das Widerspruchsverfahren später aber erfolglos verläuft, ist zu befürchten, dass der Aufwand der erneuten Prüfungsvorbereitung durch den unvermeidbaren Verlust des gegenwärtigen Prüfungswissens zu einer erheblichen Mehrbelastung für die Antragstellerin anwächst.

2. Der Antrag zu 2. ist – ungeachtet der Frage, ob sich die Statthaftigkeit nach § 80 oder § 123 VwGO richtet – bereits mangels des erforderlichen Rechtsschutzbedürfnisses unzulässig. Die Antragsgegnerin hat in der Antragserwiderung zu erkennen gegeben, dass sie sich ihrer unmittelbar aus dem prüfungsrechtlichen Verhältnis ergebenden Verpflichtung zur Bekanntgabe des Prüfungsergebnisses der Klausur (vgl. auch § 23 Abs. 5 Satz 6 ASPO) nicht entziehen würde, wenn das Gericht die aufschiebende Wirkung des Widerspruches gegen den Bescheid vom 15. März 2021 anordnen würde.

3. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO.

4. Die Streitwertfestsetzung entspricht der Bedeutung der Sache für die Antragstellerin (§ 52 Abs. 1 in Verbindung mit § 53 Abs. 2 des Gerichtskostengesetzes). Das Gericht hat sich insofern an den Streitwertkatalog für die Verwaltungsgerichtsbarkeit 2013 angelehnt (vgl. www.bverwg.de/informationen/streitwertkatalog.php; dort Nr. 18.6). Für das vorläufige Rechtsschutzverfahren ist der Wert auf die Hälfte ermäßigt worden (vgl. Nr. 1.5 des vorgenannten Streitwertkataloges).