Gericht | VG Frankfurt (Oder) 3. Kammer | Entscheidungsdatum | 06.05.2021 | |
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Aktenzeichen | 3 L 85/21 | ECLI | ECLI:DE:VGFRANK:2021:0506.3L85.21.00 | |
Dokumententyp | Beschluss | Verfahrensgang | - | |
Normen | § 14 AsylVfG 1992, § 47 AsylVfG 1992, § 55 AsylVfG 1992, § 63 AsylVfG 1992 |
Bescheinigungen über eine Aufenthaltsgestattung betreffend Ausländer, für die im Zeitpunkt der Asylantragstellung eine Fiktion gemäß § 81 Abs. 4 S. 1 AufenthG galt, stellt nicht das Bundesamt, sondern die örtlich zuständige Ausländerbehörde aus.
1. Der Antragsgegner wird verpflichtet, der Antragstellerin unverzüglich eine mit den Angaben zu ihrer Person und einem Lichtbild versehene Bescheinigung über die Aufenthaltsgestattung zur Durchführung des Asylverfahrens auszustellen.
Die Kosten des Verfahrens trägt der Antragsgegner.
2. Der Streitwert wird auf 5.000,00 Euro festgesetzt.
A. Der Antrag der Antragstellerin,
den Antragsgegner im Wege der einstweiligen Anordnung zu verpflichten, ihr eine mit den Angaben zur Person und einem Lichtbild versehene Bescheinigung über die Aufenthaltsgestattung zur Durchführung des Asylverfahrens auszustellen,
hat Erfolg.
I. Nach § 123 Abs. 1 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) kann das Gericht eine einstweilige Anordnung treffen, wenn die Gefahr besteht, dass durch eine Veränderung des bestehenden Zustandes die Verwirklichung eines Rechts des Antragstellers vereitelt oder wesentlich erschwert werden könnte; einstweilige Anordnungen sind auch zur Regelung eines vorläufigen Zustandes in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn diese Regelung, vor allem bei dauernden Rechtsverhältnissen nötig erscheint, um wesentliche Nachteile abzuwenden oder drohende Gewalt zu verhindern, oder wenn sie aus anderen Gründen nötig erscheint. Der Antragsteller muss einen materiellen Anspruch auf die begehrte Leistung (Anordnungsanspruch) und die Eilbedürftigkeit der Sache (Anordnungsgrund) glaubhaft machen (§ 123 Abs. 3 VwGO, § 920 Abs. 2 Zivilprozessordnung).
II. Diese Voraussetzungen sind erfüllt.
1. Die Antragstellerin, die nach den übereinstimmenden Angaben der Beteiligten am 18. November 2020 einen Asylantrag gestellt hat, über den bislang noch nicht entschieden worden ist, hat einen Anspruch auf Ausstellung einer Bescheinigung über die Aufenthaltsgestattung (§ 63 Abs. 1 S. 1 i. V. m. § 55 Abs. 1 S. 1 des Asylgesetzes – AsylG). Dies ist in der Sache auch nicht umstritten.
Der Antragsgegner hat sich aber gleichwohl auf einen entsprechenden Antrag der Antragstellerin geweigert, ihr eine solche Bescheinigung auszustellen, da er sich nicht für zuständig hält.
Diese Auffassung des Antragsgegners steht nicht im Einklang mit dem geltenden Recht. Er ist für die Ausstellung der begehrten Bescheinigung über die Aufenthaltsgestattung zuständig und deshalb gemäß § 63 Abs. 1 S. 1 AsylG auch verpflichtet, diese Bescheinigung auszustellen. Seine Weigerung verletzt die Antragstellerin in ihren Rechten.
a. Die Zuständigkeit für die Ausstellung der Bescheinigung über die Aufenthaltsgestattung ist in § 63 Abs. 3 AsylG geregelt. Nach Satz 1 dieser Vorschrift ist zwar regelmäßig das Bundesamt für die Ausstellung zuständig, solange der Ausländer verpflichtet ist, in einer Aufnahmeeinrichtung zu wohnen. Soweit dies nicht der Fall ist („im Übrigen“), ist aber gemäß Satz 2 von § 63 Abs. 3 AsylG die Ausländerbehörde zuständig, auf deren Bezirk die Aufenthaltsgestattung beschränkt ist oder in deren Bezirk der Ausländer Wohnung zu nehmen hat.
b. Im vorliegenden Fall bestimmt sich die Zuständigkeit nach Satz 2 von § 63 Abs. 3 AsylG.
aa. Denn die Antragstellerin ist nicht verpflichtet, in einer Aufnahmeeinrichtung zu wohnen. Eine solche Verpflichtung trifft gemäß § 47 Abs. 1 S. 1 AsylG nur solche Ausländer, die den Asylantrag bei einer Außenstelle des Bundesamtes zu stellen haben.
bb. Die Antragstellerin musste ihren Asylantrag aber nicht gemäß § 14 Abs. 1 S. 1 AsylG bei einer Außenstelle stellen, da in ihrem Fall im Zeitpunkt der Antragstellung die Voraussetzungen einer Ausnahme nach § 14 Abs. 2 S. 1 Nr. 1 AsylG erfüllt waren.
Nach dieser Vorschrift ist der Asylantrag (nicht bei einer Außenstelle, sondern) beim Bundesamt (selbst) zu stellen, wenn der Ausländer einen Aufenthaltstitel mit einer Gesamtgeltungsdauer von mehr als 6 Monaten besitzt.
Die Antragstellerin war zwar im Zeitpunkt der Asylantragstellung am 18. November 2020 nicht mehr im Besitz eines gültigen Aufenthaltstitels. Sie hatte aber zuvor über eine Aufenthaltserlaubnis gemäß § 16b des Aufenthaltsgesetzes (AufenthG) verfügt und zwar für insgesamt ein Jahr, nämlich vom 25. Juli 2019 bis zum 24. Juli 2020. Da sie – wiederum unstreitig und bestätigt durch die diesbezügliche Fiktionsbescheinigung – am 21. Juli 2020 und damit rechtzeitig vor Ablauf der Geltungsdauer einen Antrag auf Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis gestellt hatte, galt diese Aufenthaltserlaubnis gemäß § 81 Abs. 4 S. 1 AufenthG vom Zeitpunkt ihres Ablaufs bis zur Entscheidung der Ausländerbehörde (hier am 7. Dezember 2020 und damit auch im Zeitpunkt der Asylantragstellung) als fortbestehend.
Damit sind auch die Voraussetzungen von § 14 Abs. 2 S. 1 Nr. 1 AsylG erfüllt.
Die Kammer folgt insoweit der in der Kommentarliteratur vertretenen Auffassung, wonach es für die Anwendung dieser Vorschrift genügt, dass der Aufenthaltstitel zum Zeitpunkt der Stellung des Asylantrags noch einen rechtmäßigen Aufenthalt des Asylantragstellers bewirkt. Dafür ist es ausreichend, wenn der Aufenthaltstitel nach Ablauf der vorgesehenen Geltungsdauer nach § 81 Abs. 4 S. 1 AufenthG fortwirkt (Beck OK Ausländerrecht, § 14 Rn. 11b am Ende m.w.N.).
Dieses Ergebnis steht auch im Einklang mit dem Zweck von § 14 Abs. 2 S. 1 Nr. 1 AsylG. Grund der privilegierten Antragstellung ist nämlich, dass der längerfristig zum Aufenthalt berechtigte Ausländer nicht zur Aufgabe seiner Unterkunft und zum Wohnen in einer Aufnahmeeinrichtung gezwungen werden soll (vgl. VG Köln, Gerichtsbescheid vom 27. Mai 2016 – 13 K 5585/15.A –, juris Rn. 17 m. w. N.). Dieser Grund gilt aber nicht nur für Ausländer, die im Zeitpunkt der Asylantragstellung noch einen gültigen Aufenthaltstitel haben, sondern auch für solche, deren Aufenthaltstitel zwar ausgelaufen ist, aber bis zur Entscheidung über einen Verlängerungsanspruch als fortbestehend gilt.
cc. Aufgrund all dessen ergibt sich zunächst das folgende Zwischenergebnis:
Da die Antragstellerin ihren Asylantrag nicht bei einer Außenstelle des Bundesamtes, sondern beim Bundesamt selbst zu stellen hatte (§ 14 Abs. 2 S. 1 Nr. 1 AsylG) und weil sie folglich nicht gemäß § 47 Abs. 1 S. 1 AsylG verpflichtet war, für die Dauer des Asylverfahrens in einer Aufnahmeeinrichtung zu wohnen, ergibt sich aus § 63 Abs. 3 S. 2 AsylG, dass für die Ausstellung der Bescheinigung über die Aufenthaltsgestattung die Ausländerbehörde zuständig ist, auf deren Bezirk die Aufenthaltsgestattung beschränkt ist oder in deren Bezirk der Ausländer Wohnung zu nehmen hat.
c. Zuständige Ausländerbehörde in diesem Sinne ist der Antragsgegner.
Denn im Fall der Antragstellerin gibt es nach dem übereinstimmenden Vortrag der Beteiligten bislang weder eine Zuweisung (§ 50 Abs. 4 AsylG) noch ist die Aufenthaltsgestattung (§ 55 Abs. 1 S. 1 AsylG) auf den Bezirk einer bestimmten Ausländerbehörde beschränkt.
Eine solche Beschränkung würde sich aus § 56 Abs. 1 AsylG ergeben und zwar auf den Bezirk der Ausländerbehörde, in dem die für die Aufnahme des Ausländers zuständige Aufnahmeeinrichtung liegt. Da die Antragstellerin nicht verpflichtet ist, in einer Aufnahmeeinrichtung zu wohnen, gibt es für sie auch keine zuständige Aufnahmeeinrichtung im Sinne von § 56 Abs. 1 AsylG.
Fehlt vor diesem Hintergrund eine räumliche Beschränkung der Aufenthaltsgestattung, so richtet sich die örtliche Zuständigkeit der gemäß § 63 Abs. 3 S. 2 AsylG zuständigen Ausländerbehörde nach den allgemeinen, in § 2 der Verordnung über die Zuständigkeiten im Ausländerrecht (Ausländerrechtszuständigkeitsverordnung – AuslRZV) niedergelegten Grundsätzen (vgl. VG Augsburg, Beschluss vom 21. Januar 2016 – Au 1 K 15.1486 –, juris Rn. 13). Danach ist die Ausländerbehörde örtlich zuständig, in deren Bezirk sich die ausländische Person gewöhnlich aufhält.
Dies ist vorliegend angesichts des Wohnsitzes der Antragstellerin in Eberswalde der Antragsgegner.
2. Da es der Antragstellerin nicht zuzumuten ist, die Entscheidung in der Hauptsache abzuwarten, steht ihr auch der für den Erlass einer einstweiligen Anordnung erforderliche Anordnungsgrund zur Seite. Sie hat insoweit zu Recht darauf hingewiesen, dass sie dringend auf die Bescheinigung angewiesen ist, da sie ihrer Ausweispflicht nachkommen muss und auch für die Beantragung von Sozialleistungen auf eine gültige Bescheinigung über die Aufenthaltsgestattung angewiesen ist. Der besondere Eilbedarf wird auch durch das Gesetz bestätigt, das in § 63 Abs. 1 S. 1 AsylG eine verbindliche Frist von drei Arbeitstagen für die Ausstellung der Aufenthaltsgestattung vorschreibt. Diese ist im vorliegenden Fall bereits bei weitem überschritten.
Vor diesem Hintergrund ist auch die mit dem Charakter eines einstweiligen Rechtsschutzverfahrens regelmäßig nicht zu vereinbarende Vorwegnahme der Hauptsache ausnahmsweise zulässig. Denn es spricht ein hoher Grad an Wahrscheinlichkeit für ein Obsiegen in einem Hauptsacheverfahren, und der Antragstellerin würden schwerwiegende und unzumutbare Nachteile drohen, wenn man sie auf ein solches – regelmäßig mehrere Jahre dauernde – Verfahren verweisen würde (vgl. zu den Voraussetzungen der Zulässigkeit einer Vorwegnahme der Hauptsache: OVG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 7. März 2014 – OVG 6 S 48.13 –, juris Rn. 13).
B. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO.
Die Streitwertfestsetzung findet ihre Grundlage in § 52 Abs. 1 u. Abs. 2, § 53 Abs. 2 Nr. 1 des Gerichtskostengesetzes und entspricht dem Auffangstreitwert. Im Hinblick auf die begehrte Vorwegnahme der Hauptsache sieht die Kammer von einer Halbierung des Streitwertes für das vorliegende Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes ab.