Gericht | VG Potsdam 8. Kammer | Entscheidungsdatum | 16.02.2021 | |
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Aktenzeichen | 8 K 2285/18 | ECLI | ECLI:DE:VGPOTSD:2021:0216.8K2285.18.00 | |
Dokumententyp | Urteil | Verfahrensgang | - | |
Normen | § 10 Abs 3 AufenthG, § 15 Abs 1 AsylVfG 1992, § 25 Abs 1 AsylVfG 1992, § 28 Abs 1 S 1 Nr 3 AufenthG, § 39 S 1 Nr 5 AufenthV, § 46 Nr 2 AuslG 1990, § 5 Abs 1 Nr 2 AufenthG, § 54 Abs 2 Nr 9 AufenthG, § 76 Abs 4 AuslG 1990, § 95 Abs 2 Nr 2 AuslG 1990, § 84ff AsylVfG 1992, § 15 Abs 2 AsylVfG 1992, § 5 Abs 2 AufenthG, § 39 S 1 Nr 6 AufenthV |
1. Verstöße gegen asylrechtliche Mitwirkungspflichten können ein schwer wiegendes Ausweisungsinteresse im Sinne von § 54 Abs. 2 Nr. 9 AufenthG begründen.
2. Ein Verstoß gegen Rechtsvorschriften ist auch dann zur Begründung eines Ausweisungsinteresses im Sinne von § 54 Abs. 2 Nr. 9 AufenthG geeignet, wenn er nicht straf- oder bußgeldbewehrt ist.
3. Ein generalpräventives Ausweisungsinteresse wegen Verletzung von asylrecht-lichen Mitwirkungspflichten kann gemäß § 5 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG in einem Aufent-haltserlaubnisverfahren zehn Jahre aktuell bleiben.
Die Klage wird abgewiesen.
Die Klägerin trägt die Kosten des Verfahrens.
Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar.
Der Klägerin wird nachgelassen, die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe des vollstreckbaren Betrages abzuwenden, wenn nicht zuvor der Beklagte Sicherheit in Höhe des zu vollstreckenden Betrages leistet.
Die Berufung wird zugelassen.
Die Revision an das Bundesverwaltungsgericht unter Übergehung der Berufungsinstanz wird zugelassen.
Die Klägerin, eine kamerunische Staatsangehörige, begehrt die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 28 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 AufenthG.
Die Klägerin reiste nach ihren Angaben am 12. oder 13. Mai 2016 zusammen mit ihren Kindern, der am 9. November 2005 geborenen ..., und dem am 9. August 2011 geborenen ..., ins Bundesgebiet ein und meldete sich als Asylsuchende. Am 19. Mai 2016 stellte sie für sich und die Kinder beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (i.F.: Bundesamt) einen Asylantrag. Darin gab sie an, sie sei ledig, spreche französisch und ihre Kinder ...und ...seien in Douala (Kamerun) geboren. Am gleichen Tag wurde sie schriftlich auf Französisch über ihre Mitwirkungspflichten im Asylverfahren belehrt. Hierin heißt es unter anderem, sie werde einen Termin zur Anhörung vor dem Bundesamt erhalten. Dabei werde sie zunächst nach ihren Personalien befragt werden. Wenn sie im Besitz eines Passes oder sonstiger Ausweispapiere sei, müsse sie diese vorlegen. In der Anhörung erhalte sie Gelegenheit, ihren Asylantrag zu begründen. Sie müsse vortragen, aus welchen Gründen sie Furcht vor Verfolgung oder einem ernsthaften Schaden habe und deshalb Asyl beantrage und welche sonstigen Tatsachen und Umstände einer Rückkehr in ihren Herkunftsstaat entgegenstünden. Wichtig sei, dass sie ihr persönliches Schicksal und die ihr konkret drohenden Gefahren bei einer Rückkehr vollständig und wahrheitsgemäß darlege. Sie müsse auch angeben, wie sie nach Deutschland gekommen sei. Sie sei verpflichtet, alle erforderlichen Unterlagen, die sie besitze, vorzulegen. Bei der Anhörung nicht vorgetragene Umstände könnten gegebenenfalls später beim Bundesamt und in einem gerichtlichen Verfahren keine Berücksichtigung mehr finden.
Zu Beginn ihrer auf Französisch durchgeführten Anhörung durch das Bundesamt am 12. September 2016 wurde die Klägerin auf ihre Mitwirkungspflichten nach § 15 AsylG hingewiesen. Dabei wurde ihr insbesondere erklärt, dass sie alle Unterlagen zur Person, zum Reiseweg und solche, auf die sie sich in ihrem Asylverfahren berufe, vorlegen müsse. Weiter wurde ihr erläutert, dass sie im Verlaufe der Anhörung Gelegenheit erhalte, alle Fakten und Ereignisse zu schildern, die nach ihrer Auffassung ihre Verfolgungsfurcht begründeten und einer Abschiebung in ihren Heimatstaat oder einen anderen Staat entgegenstünden. Sie wurde darauf hingewiesen, wahrheitsgemäß auszusagen, und gemäß § 25 Abs. 3 Satz 2 AsylG über die Folgen verspäteten Vorbringens informiert.
Die Klägerin gab bei der Anhörung an, sie habe in ihrem Heimatland keine Personalpapiere, wie zum Beispiel einen Pass, besessen. Sie habe Kamerun am 1. Mai 2016 verlassen und sei am 13. Mai 2016 in Deutschland eingereist. Bis zur Ausreise habe sie in Douala im Stadtteil PK 11 gelebt. Vor der Einreise nach Deutschland habe sie sich in Äquatorialguinea aufgehalten und sei von dort nach Deutschland geflogen. Kamerun habe sie verlassen, weil sie vom Vater ihres Kindes bedroht worden sei. Dieser sei vor ungefähr fünf Jahren Moslem geworden und habe gefordert, sie und ihre Tochter sollten sich beschneiden lassen. Außerdem habe er sie wegen ihres Sohnes bedroht und geäußert, dieser sei verrückt geworden. Sie sei erst 2016 ausgereist, weil sie zunächst gedacht habe, sie könne ihn überzeugen, aber er sei von der Idee der Beschneidung nicht abgewichen. Außerdem sei er im Haus immer aggressiver geworden. Ihr Mann habe auch zu ihr gesagt, Kamerun sei klein, er werde sie finden, egal wo sie hingehe.
Den Asylantrag lehnte das Bundesamt mit Bescheid vom 28. Dezember 2016 ab. Die hiergegen vor dem Verwaltungsgericht Potsdam erhobene Klage (VG 9 K 111/17.A) hat die Klägerin am 10. Februar 2021 zurückgenommen.
Am 15. August 2017 brachte die Klägerin ihre weitere Tochter ... zur Welt, für die der deutsche Staatsangehörige ...am 29. August 2017 die Vaterschaft anerkannte. Am 19. September 2017 stellte der Beklagte für das Kind einen deutschen Reisepass aus.
Am 30. November 2017 beantragte die Klägerin mit der Begründung, ihre Tochter ...sei Deutsche, die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 28 AufenthG. Diesen Antrag wiederholten ihre Bevollmächtigten mit Schreiben vom 21. März 2018. Nachdem der Beklagte den Bevollmächtigten mitgeteilt hatte, dass über den Aufenthaltserlaubnisantrag noch nicht entschieden worden sei, weil die Klägerin keinen Pass vorgelegt habe, reichte die Klägerin im Mai 2018 ihren am 4. Januar 2018 in Berlin ausgestellten kamerunischen Reisepass ein. Eine Entscheidung über den Aufenthaltserlaubnisantrag traf der Beklagte auch auf weitere Erinnerungen der Klägerin nicht.
Am 17. Juli 2018 hat die Klägerin Untätigkeitsklage auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 28 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 AufenthG erhoben.
Der Beklagte ist dem zunächst mit der Begründung entgegengetreten, der Erteilung der Aufenthaltserlaubnis stehe die Titelerteilungssperre des § 10 Abs. 1 AufenthG entgegen. Ein gesetzlicher Anspruch auf die Aufenthaltserlaubnis nach § 28 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 AufenthG stehe der Klägerin nicht zu, weil die allgemeinen Erteilungsvoraussetzungen des § 5 Abs. 1 Nr. 2 und Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 AufenthG nicht erfüllt seien.
Mit Beschluss vom 15. Februar 2019 hat die Kammer der Klägerin für das Verfahren erster Instanz Prozesskostenhilfe bewilligt. In dem Beschluss ist ausgeführt, dass ein Ausweisungsinteresse im Sinne von § 5 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG nach derzeitigem Erkenntnisstand nicht bestehe. Die Klägerin habe sich bei ihrer Einreise ins Bundesgebiet im Mai 2016 nicht strafbar gemacht, weil sie bereits wenige Tage später einen Asylantrag gestellt habe. Von dem Visumerfordernis sei sie nach § 39 Satz 1 Nr. 4 AufenthV befreit.
Der Beklagte trägt daraufhin vor, er gehe unverändert davon aus, dass der Klägerin ein strikter Rechtsanspruch auf Erteilung der beantragten Aufenthaltserlaubnis nicht zustehe. Er bestreite, dass die Klägerin bereits sechs Tage nach ihrer Einreise einen Asylantrag gestellt habe. Im Asylverfahren habe sie angegeben, ihr Heimatland am 1. Mai 2016 verlassen zu haben. Nachweise hierfür habe sie nicht erbracht.
Mit Beschluss vom 26. Mai 2019 hat die Kammer den Rechtsstreit dem Berichterstatter als Einzelrichter gemäß § 6 Abs. 1 VwGO übertragen.
Auf die Aufforderung des Einzelrichters, zu den Umständen ihrer Ausreise und der Einreise in die Bundesrepublik Deutschland vorzutragen, führt die Klägerin aus, sie sei im März 2005 mit einem in Äquatorialguinea ausgestellten Schengenvisum von Kamerun nach Spanien gereist. Dort habe sie zeitlich befristete Arbeitsaufenthaltserlaubnisse erhalten. Ihre Kinder ...und ...seien in Spanien geboren. Sie hätten in einer von ihrem Partner bezahlten Wohnung gelebt; ihr Partner habe auch den Lebensunterhalt der Familie finanziert. Mit der Geburt des an Verhaltensschwierigkeiten und einer autistischen Störung leidenden ...hätten für sie eine Vielzahl von Problemen begonnen. Des Öfteren sei es zu häuslicher Gewalt und entsprechenden Polizeieinsätzen gekommen. Angesichts zunehmender Gewaltausschreitungen ihres Partners habe sie keine weitere Möglichkeit gesehen, als nach Deutschland zu flüchten. Am 12. oder 13. Mai 2016 sei sie von Madrid nach Leipzig geflogen. Sie sei aus Not und erheblicher Krankheitsbelastung nach Deutschland geflohen.
Zugleich legte die Klägerin Kopien ihres damaligen Passes mit dem Schengenvisum vom 25. März 2005, der ihr und ihren Kindern in Spanien erteilten Aufenthaltstitel (Permiso de Residencia), der von den spanischen Behörden ausgestellten Geburtsurkunden für die Kinder ...und ...sowie einen ...betreffenden Arztbericht der Klinik für Kinder- und Jugendmedizin der Klinikum West-Brandenburg GmbH und einen Bericht der AWO/Kinder- und Jugendhilfe Potsdam vor.
Sie beantragt,
den Beklagten zu verpflichten, ihr eine Aufenthaltserlaubnis nach § 28 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 AufenthG zu erteilen.
Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Er führt ergänzend aus, die Stellung des Asylantrags durch die Klägerin erscheine als rechtsmissbräuchlich. Gleiches gelte für das nachfolgende Asylklageverfahren. Bei Beantragung der Aufenthaltserlaubnis sei sie nach dem Aufenthaltsgesetz verpflichtet gewesen, wahrheitsgemäße Angaben zu ihrer Herkunft und Einreise zu machen. Das erforderliche Visum könne sie nicht vorweisen.
Mit Beschluss vom 10. Februar 2021 hat der Einzelrichter den Rechtsstreit nach Anhörung der Beteiligten gemäß § 6 Abs. 3 Satz 1 VwGO auf die Kammer zurückübertragen.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird auf die von den Beteiligten gewechselten Schriftsätze verwiesen. Der Verwaltungsvorgang des Beklagten (3 Hefter, Bl. 1 bis 304) und die Gerichtsakte zum Verfahren VG 9 K 111/17.A nebst der dort beigezogenen Asylakte (1 Hefter, Bl. 1 bis 122) haben vorgelegen und sind zum Gegenstand der mündlichen Verhandlung gemacht worden.
Die Klage bleibt ohne Erfolg.
Sie ist zwar als Untätigkeitsklage zulässig (I.), aber nicht begründet (II.).
I. Die Klage ist als Untätigkeitsklage ohne vorherige Durchführung eines Widerspruchsverfahrens zulässig. Grundsätzlich darf ein Kläger, wie die Wertung des § 75 Satz 2 VwGO zeigt, nach Ablauf von drei Monaten mit einer Entscheidung über den von ihm gestellten Antrag auf Vornahme eines Verwaltungsakts rechnen (vgl. Neumann/Schaks in Sodan/Ziekow, VwGO, 5. Aufl. 2018, Rz. 225 zu § 161); eine nach Ablauf dieser Frist erhobene Untätigkeitsklage ist grundsätzlich zulässig (BVerwG, Urteil vom 11. Juli 2018 - 1 C 18.17 -, juris, Rz. 14). Die „Sperrfrist“ von drei Monaten hat die Klägerin gewahrt. Bei Erhebung der Untätigkeitsklage am 17. Juli 2018 waren sowohl ihr Antrag vom 30. November 2017 als auch der von ihren Bevollmächtigten wiederholend gestellte Antrag vom 21. März 2018 länger als drei Monate unbeschieden; eine Entscheidung hat der Beklagte im Übrigen auch während des laufenden Verfahrens nicht getroffen.
II. Die Klage ist jedoch nicht begründet.
Der Klägerin steht ein Anspruch auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 28 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 AufenthG nicht zu.
1. Allerdings geht die Kammer davon aus, dass die in § 28 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 AufenthG normierten Voraussetzungen erfüllt sind. Danach ist die Aufenthaltserlaubnis dem ausländischen Elternteil eines minderjährigen ledigen Deutschen zur Ausübung der Personensorge zu erteilen, wenn der Deutsche seinen gewöhnlichen Aufenthalt im Bundesgebiet hat.
Die am 15. August 2017 geborene minderjährige Tochter ...der Klägerin hat ihren gewöhnlichen Aufenthalt im Bundesgebiet und ist deutsche Staatsangehörige. Die deutsche Staatsangehörigkeit hat sie gemäß § 4 Abs. 1 Satz 2 StAG durch Geburt aufgrund der von dem deutschen Staatsangehörigen ...vor dem Fachbereich Kinder, Jugend und Familie des Beklagten am 29. August 2017 unter Zustimmung der Klägerin erklärten Vaterschaftsanerkennung erworben. Zweifel an der Wirksamkeit der Anerkennungserklärung sind nicht ersichtlich. Insbesondere fehlt es an tragfähigen Anhaltspunkten dafür, dass sie wegen der Vaterschaft eines anderen Mannes gemäß § 1594 Abs. 2 BGB unwirksam wäre. Es spricht nichts dafür, dass die Klägerin im Zeitpunkt der Geburt ihrer Tochter ...verheiratet gewesen ist, so dass der Ehemann gemäß § 1592 Nr. 1 BGB Vater des Kindes wäre. Die Klägerin hat im Verlaufe des Asylverfahrens wiederholt angegeben, ledig zu sein. Bei ihrer Anhörung durch das Bundesamt hat sie nur vom „Vater meines Kindes“ gesprochen, eine Heirat jedoch nicht erwähnt. Soweit sie ausweislich des Anhörungsprotokolls einmal die Bezeichnung „mein Mann“ gewählt hat, beruht dies ersichtlich darauf, dass die Anhörerin durchgängig diese Bezeichnung verwendet hat. Allein der Umstand, dass die Klägerin sich hinsichtlich der im Asylverfahren geltend gemachten Fluchtgründe offenkundig nicht der Wahrheit entsprechend geäußert hat, rechtfertigt nicht die Annahme, dass auch die ihre persönlichen Lebensumstände betreffende Angabe, ledig zu sein, unrichtig ist. Schließlich hat die Klägerin in der mündlichen Verhandlung am 16. Februar 2021 bestätigt, nie verheiratet gewesen zu sein.
2. Der Erteilung der Aufenthaltserlaubnis steht jedoch die Sperrwirkung des § 10 Abs. 3 Satz 1 AufenthG entgegen. Danach darf einem Ausländer, dessen Asylantrag unanfechtbar abgelehnt worden ist, vor der Ausreise ein Aufenthaltstitel nur nach Maßgabe des Abschnitts 5 des Aufenthaltsgesetzes, also nach §§ 22 bis 26 AufenthG, erteilt werden. Diese Regelung gilt auch für die Klägerin, weil die Ablehnung ihres Asylantrags durch die Rücknahme der dagegen erhobenen Klage (VG 9 K 111/17.A) unanfechtbar geworden ist. Dass die Unanfechtbarkeit der Asylablehnung erst wenige Tage vor der mündlichen Verhandlung im vorliegenden Verfahren eingetreten ist, ist nicht von Bedeutung; bei Verpflichtungsklagen auf Erteilung eines Aufenthaltstitels ist grundsätzlich auf die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung oder Entscheidung in der Tatsacheninstanz abzustellen (BVerwG, st. Rspr., u.a. Urteil vom 17. Dezember 2015 - 1 C 31.14 -, BVerwGE 142, 179, Rz. 9; Urteil vom 26. Mai 2020 - 1 C 12.19 -, juris, Rz. 20). Ein humanitärer Aufenthaltstitel nach §§ 22 ff. AufenthG ist jedoch nicht Gegenstand des vorliegenden Verfahrens.
Allerdings findet § 10 Abs. 3 Satz 1 AufenthG im Falle eines Anspruchs auf Erteilung eines Aufenthaltstitels keine Anwendung (§ 10 Abs. 3 Satz 3 AufenthG).
Ein Anspruch auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis im Sinne von § 10 Abs. 3 Satz 3 AufenthG steht der Klägerin nicht zu. Ein solcher Anspruch setzt einen strikten Rechtsanspruch voraus, der sich unmittelbar aus dem Gesetz ergeben muss. Dies setzt voraus, dass alle zwingenden und regelhaften Tatbestandsvoraussetzungen erfüllt sind und die Behörde kein Ermessen auszuüben hat; eine aus den Besonderheiten des Einzelfalls resultierende Reduzierung eines tatbestandlich eingeräumten Ermessens genügt insoweit nicht (BVerwG, Urteil vom 26. Mai 2020, a.a.O., Rz. 52; Urteil vom 12. Juli 2018 - 1 C 16.17 -, juris, Rz. 27; Urteil vom 12. Juli 2016 - 1 C 23.15 -, juris, Rz. 21).
Ein strikter Rechtsanspruch auf Erteilung der Aufenthaltserlaubnis nach § 28 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 AufenthG steht der Klägerin nicht zur Seite. Sie erfüllt weder die Regelerteilungsvoraussetzung des § 5 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG (a) noch die des § 5 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 AufenthG (b).
a) Nach § 5 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG setzt die Erteilung eines Aufenthaltstitels in der Regel voraus, dass kein Ausweisungsinteresse besteht. Das ist hier nicht der Fall.
Die Klägerin hat in dem von ihr betriebenen Asylverfahren sowohl gegenüber dem Bundesamt als auch im gerichtlichen Verfahren (VG 9 K 111/17.A), indem sie dort auf ihr Vorbringen im behördlichen Verfahren verweist, wahrheitswidrige Angaben gemacht. Sie hat angegeben, Kamerun am 1. Mai 2016 wegen der Forderung ihres Lebensgefährten, sie und ihre Tochter ...sollten beschnitten werden, und wegen seiner zunehmenden Aggressivität auch gegenüber ihrem Sohn ...verlassen zu haben; einen Pass habe sie nicht besessen. Tatsächlich ist sie indes, wie sie im vorliegenden Verfahren eingeräumt hat, bereits im Jahr 2005 mit einem Schengenvisum, das in den ihr in Kamerun im Jahre 2002 oder 2003 ausgestellten Pass eingetragen war, nach Spanien gereist und hat sich dort bis Anfang Mai 2016 legal aufgehalten; erst in Spanien sind im Gegensatz zu ihren Angaben im Asylverfahren ihre Kinder ...und ...geboren worden.
aa) Mit ihren wahrheitswidrigen Angaben im Asylverfahren hat die Klägerin ihre Mitwirkungspflichten nach § 15 Abs. 1, Abs. 2 Nr. 1, § 25 Abs. 1 AsylG verletzt. Nach diesen Vorschriften ist ein asylsuchender Ausländer insbesondere verpflichtet, die erforderlichen Angaben zu machen und die Tatsachen vorzutragen, die seine Furcht vor Verfolgung oder die Gefahr eines ihm drohenden ernsthaften Schadens begründen. Allerdings enthalten die genannten Vorschriften nicht explizit die Verpflichtung, dass die geforderten Angaben der Wahrheit entsprechen müssen. Dies ist jedoch eine bloße Selbstverständlichkeit, die keiner ausdrücklichen gesetzlichen Regelung bedarf. Dem Kreis der Normadressaten, also den Ausländern, die im Bundesgebiet einen Asylantrag stellen, dürfte ohne weiteres einsichtig und offenkundig sein, dass ihre Angaben wahrheitsgemäß sein müssen. Die Erwartung, im Aufnahmeland Schutz zu finden, kann berechtigterweise nur auf Geschehnisse begründet werden, die einen realen Hintergrund haben. Nichts spricht dafür, dass das in den genannten asylrechtlichen Vorschriften fehlende ausdrückliche Erfordernis wahrheitsgemäßer Angaben bei den Betreffenden die Fehlvorstellung erwecken könnte, auch aus der Luft gegriffene, reinweg erfundene Tatsachendarstellungen seien zulässig. Im Übrigen ist die Klägerin am 19. Mai 2016 schriftlich und zu Beginn der Anhörung am 12. September 2016 mündlich in der ihr geläufigen Sprache ausdrücklich darauf hingewiesen worden, dass sie sich wahrheitsgemäß zu äußern habe.
bb) Bei den Falschangaben der Klägerin im Asylverfahren handelt es sich nicht um bloße Abweichungen in den Nuancen der Sachverhaltsdarstellung, um ein widersprüchliches oder gesteigertes Vorbringen oder vergleichbare Diskrepanzen. Deren Bewertung im Hinblick auf die Glaubhaftigkeit der Tatsachenangaben des schutzsuchenden Ausländers bleibt dem für die Entscheidung über den Asylantrag zuständigen Bundesamt sowie dem für eine gegebenenfalls nachfolgende Asylklage zuständigen Gericht vorbehalten. Im Rahmen des § 5 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG verbietet sich insbesondere eine inzidente Vorwegnahme der Prüfung der für das Schutzersuchen vorgebrachten Gründe. Anders liegt es jedoch, wenn - wie hier - die Vorfluchtgeschichte komplett ausgetauscht bzw. eingeräumt wird, dass sich das bisher behauptete Geschehen in seiner Gesamtheit oder in den tragenden Sachverhaltsdarstellungen tatsächlich nicht ereignet hat.
cc) Des Weiteren hat die Klägerin ihren Pass, mit dem sie Kamerun verlassen hat, und den im November 2012 in Madrid ausgestellten Pass entgegen § 15 Abs. 2 Nr. 4 AsylG nicht den mit der Ausführung des Asylgesetzes betrauten Behörden vorgelegt, ausgehändigt oder überlassen; ihren im Januar 2018 in Berlin ausgestellten Pass hat sie erst im Mai 2018 und nur im aufenthaltsrechtlichen Verfahren eingereicht. Auch über die Verpflichtung nach § 15 Abs. 2 Nr. 4 AsylG ist sie am 19. Mai 2016 schriftlich belehrt worden.
dd) Das Verhalten der Klägerin im Asylverfahren begründet ein schwerwiegendes Ausweisungsinteresse. Dies ergibt sich aus § 54 Abs. 2 Nr. 9 AufenthG.
(1) Auf § 54 Abs. 2 Nr. 8 AufenthG kann insoweit nicht abgestellt werden. Dabei mag offenbleiben, ob die falschen Angaben im Asylverfahren im Hinblick auf § 25 Abs. 1 bis Abs. 3 AufenthG zumindest mittelbar als Angaben zur Erlangung eines deutschen Aufenthaltstitels im Sinne von § 54 Abs. 2 Nr. 8 Buchst. a AufenthG gewertet werden können. Jedenfalls ist die Klägerin nicht, wie auch für § 54 Abs. 2 Nr. 8 Buchst. a AufenthG erforderlich (vgl. OVG Magdeburg, Beschluss vom 10. Oktober 2016 - 2 O 26/16 -, juris, Rz. 13; Fleuß in BeckOK Ausländerrecht, Kluth/Heusch, Stand: 1. Oktober 2020, Rz. 301 zu § 54 AufenthG), auf die Rechtsfolgen solchen Fehlverhaltens hingewiesen worden. Hinzuweisen ist in diesem Zusammenhang auf die Möglichkeit von Ausweisung und Abschiebung (so OVG Magdeburg, a.a.O.; Bauer in Bergmann/Dienelt, Ausländerrecht, 13. Aufl. 2020, Rz. 90 zu § 54 AufenthG), zumindest auf negative Folgen für einen Antrag auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis bzw. eines Visums (so OVG Hamburg, Beschluss vom 19. September 2013 - 3 Bs 226/13 -, juris, Rzn. 9 ff.). Demgegenüber ist die Klägerin am 19. Mai 2016 und am 12. September 2016 lediglich auf die möglichen Auswirkungen verspäteten Vorbringens für das Asylverfahren hingewiesen worden.
Aus den gleichen Gründen kann ein Ausweisungsinteresse nicht aus § 54 Abs. 2 Nr. 8 Buchst. b AufenthG hergeleitet werden.
(2) Die Falschangaben im Asylverfahren und die Nichtvorlage des Passes begründen jedoch ein besonders schwerwiegendes Ausweisungsinteresse im Sinne von § 54 Abs. 2 Nr. 9 AufenthG, da die Klägerin damit einen nicht nur vereinzelten oder geringfügigen Verstoß gegen Rechtsvorschriften begangen hat.
(a) Die der Klägerin vorzuhaltenden Verstöße gegen die die asylrechtliche Mitwirkungspflicht regelnden Vorschriften des § 15 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 Nr. 1, Nr. 4, § 25 Abs. 1 AsylG scheiden nicht bereits deswegen als zur Begründung eines Ausweisungsinteresses tauglich aus, weil sie nicht nach §§ 84 ff. AsylG oder anderen Vorschriften straf- oder bußgeldbedroht sind. Insbesondere findet § 95 Abs. 2 Nr. 2 AufenthG auf Falschangaben im Asylverfahren keine Anwendung (LG Aachen, Beschluss vom 2. April 2019 - 66 Qs 18/19 -, juris, Rz. 7; Hailbronner, AuslR, Stand: Februar 2016, Rz. 116 zu § 95 AufenthG; Mosbacher in GK-AufenthG, Stand: Juli 2008, Rz. 252; Winkelmann/Stephan in Bergmann/Dienelt, a.a.O., Rz. 100 zu § 95 AufenthG). § 54 Abs. 2 Nr. 9 AufenthG setzt zutreffender Ansicht nach nicht voraus, dass der Verstoß gegen Rechtsvorschriften straf- oder bußgeldbewehrt ist (Bauer in Bergmann/Dienelt, a.a.O., Rz. 96 zu § 54 AufenthG; Cziersky-Reis in Hoffmann, Ausländerrecht, 2. Aufl. 2016, Rzn. 67, 73 zu § 54 AufenthG; Fleuß, a.a.O., Rz. 315; Neidhardt in HTK-AuslR, Stand 18. November 2016, Rz. 25 zu § 54 Abs. 2 Nr. 9 AufenthG; ebenso offenbar Hailbronner, a.a.O., Stand: Januar 2020, Rz. 172 zu § 54 AufenthG; Welte, AufenthG, Stand: August 2019, Rzn. 193 f. zu § 54).
Der gegenteiligen Auffassung (Marx, Aufenthalts-, Asyl- und Flüchtlingsrecht, 7. Aufl. 2020, § 7 Rz. 131) folgt die Kammer nicht. Diese auf nicht entscheidungserhebliche Erwägungen des Oberverwaltungsgerichts Hamburg (Urteil vom 24. August 1999 - 3 Bf 400/98 -, juris, Rzn. 43 bis 45) zu der mit § 54 Abs. 2 Nr. 9 AufenthG insoweit übereinstimmenden Vorgängervorschrift des § 46 Nr. 2 AuslG 1990 gestützte Auffassung entspricht einer seinerzeit verbreiteten Meinung zu § 46 Nr. 2 AuslG 1990 (vgl. Fraenkel, Einführende Hinweise zum neuen Ausländerrecht, 1991, S. 252; GK-AuslR, Stand: Oktober 1995, Rz. 57 zu § 46; Huber, NVwZ 1990, 1113, 1118; Wegener in Huber, Handbuch des Ausländer- und Asylrechts, Stand: Juli 1998, Rz. 20 zu § 46 AuslG; ders., DÖV 1993, 1031, 1034). Begründet wurde diese Auffassung damit, dass für nicht straf- oder bußgeldbewehrte Rechtsverstöße keine Mitteilungspflicht nach § 76 Abs. 4 AuslG (nunmehr § 87 Abs. 4 AufenthG) bestehe. Dies war jedoch auch nach damaliger Rechtslage nicht überzeugend und hat sich zu Recht, soweit ersichtlich, nicht weiter durchgesetzt. § 76 Abs. 2 Nr. 3 AuslG (nunmehr § 87 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 AufenthG) sah bereits eine uneingeschränkte Mitteilungspflicht öffentlicher Stellen vor, wenn sie von einem sonstigen (nicht in § 76 Abs. 2 Nrn. 1 und 2 AuslG genannten) Ausweisungsgrund Kenntnis erlangten. Das auf § 76 Abs. 4 AuslG gestützte Argument betrifft im Übrigen, im rechten Lichte betrachtet, ohnehin nicht die Frage, ob ein Rechtsverstoß auch gegen nicht straf- oder bußgeldbewehrte Rechtsvorschriften ein Ausweisungsinteresse begründen kann bzw. - seinerzeit - einen Ausweisungsgrund darstellen konnte, sondern die Frage der Geringfügigkeit des Verstoßes.
Die Forderung, einen Verstoß gegen Rechtsvorschriften nur dann als ein Ausweisungsinteresse begründend anzuerkennen, wenn er straf- oder bußgeldbewehrt ist, führt darüber hinaus zu einem Wertungswiderspruch zu den weiter in § 54 Abs. 2 Nr. 9 AufenthG genannten Verstößen gegen gerichtliche oder behördliche Entscheidungen oder Verfügungen. Diese sind ebenfalls geeignet, ein Ausweisungsinteresse zu begründen, dürften aber in aller Regel keine straf- oder ordnungswidrigkeitenrechtlichen Sanktionen nach sich ziehen.
Im Hinblick darauf, dass ein Verstoß gegen Rechtsvorschriften nur dann ein Ausweisungsinteresse begründen kann, wenn er entweder nicht nur vereinzelt oder nicht geringfügig ist, besteht schließlich ein ausreichendes Auslegungsinstrumentarium, um reine Bagatellverstöße als nicht ein Ausweisungsinteresse begründend zu qualifizieren. Dies gilt auch im Rahmen von § 5 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG. Bei Anwendung dieser Vorschrift kommt hinzu, dass ein Ausweisungsinteresse noch hinreichend aktuell sein muss (vgl. BVerwG, Urteil vom 9. Mai 2019 - 1 C 21.18 -, juris, Rz. 18; Urteil vom 12. Juli 2018 - 1 C 16.17 -, juris, Rzn. 22 ff.; OVG Magdeburg, Beschluss vom 24. November 2020 - 2 L 104/18 -, juris, Rz. 35; Hailbronner, a.a.O., Stand: Oktober 2019, Rz. 31b zu § 5 AufenthG). Bei einer am Verhältnismäßigkeitsgrundsatz orientierten Betrachtungsweise bietet das Aktualitätserfordernis ausreichend Möglichkeit, die insbesondere vom OVG Hamburg im Urteil vom 24. August 1999 (a.a.O., Rz. 43) befürchtete uferlose Anwendung der Vorschrift zu verhindern.
(b) Die Klägerin hat durch die Verletzung ihrer Mitwirkungspflichten im Asylverfahren nicht nur vereinzelt oder geringfügig gegen die Vorschriften der §§ 15 Abs. 1, Abs. 2 Nr. 1, Nr. 4, 25 Abs. 1 AsylG verstoßen. Es handelt sich nicht um einen nur vereinzelten Verstoß, weil die Klägerin durch verschiedene Handlungen im Asylverfahren zum einen eine offenkundig nicht der Wahrheit entsprechende Schilderung von Fluchtgründen unterbreitet und zum anderen keinen ihrer Pässe bzw. den im Januar 2018 ausgestellten Pass erst im Mai 2018 und nur im aufenthaltsrechtlichen Verfahren vorgelegt hat. Abgesehen davon stellt ihr Verhalten auch einen nicht nur geringfügigen Verstoß dar. Es zielt darauf ab, ihr einen ihr nicht zustehenden Status, nämlich die Zuerkennung internationalen Schutzes oder die Anerkennung als asylberechtigt, zu verschaffen. Bei der Prüfung, ob einem Ausländer internationaler Schutz oder die Asylberechtigung zusteht, ist das dafür zuständige Bundesamt ebenso wie das Gericht in einem nachfolgenden Klageverfahren wegen des sachtypischen Beweisnotstandes, in dem sich ein Asylbewerber regelmäßig befindet (vgl. dazu BVerwG, Urteil vom 29. November 1977 - I C 33.71 -, BVerwGE 55, 82 = juris, Rz. 15; Urteil vom 16. April 1985 - 9 C 109.84 -, juris, Rz. 16; Beschluss vom 29. November 1996 - 9 B 293.96 -, juris, Rz. 2) in besonderem Maße auf dessen Tatsachenangaben und deren Verlässlichkeit angewiesen. Der Verpflichtung zu wahrheitsgemäßen Tatsachenangaben und zur Vorlage relevanter Unterlagen, insbesondere einem Nationalpass, kommt daher zum Schutz der Integrität des Asylverfahrens erhebliches Gewicht zu. Das schließt es aus, einen bewussten Verstoß gegen die entsprechenden Mitwirkungspflichten, wie er hier vorliegt, als nur geringfügig einzustufen.
(c) Das gegen die Klägerin bestehende Ausweisungsinteresse kann ihr im Verfahren auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis bzw. dem darauf gerichteten Klageverfahren unter dem Gesichtspunkt der Nichterfüllung der Regelerteilungsvoraussetzung des § 5 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG entgegengehalten werden. Dabei kommt es nicht darauf an, ob sie tatsächlich wegen der von ihr begangenen Rechtsverstöße ausgewiesen werden könnte (vgl. BVerwG, Urteil vom 12. Juli 2018, a.a.O., Rz. 15). Es fehlt auch nicht an der erforderlichen Aktualität des Ausweisungsinteresses.
Freilich dürfte sich aus dem Fehlverhalten der Klägerin im Asylverfahren ein spezialpräventives Ausweisungsinteresse nicht herleiten lassen. Tragfähige Anhaltspunkte für die Annahme, sie werde mit einiger Wahrscheinlichkeit zukünftig erneut in einem Asylverfahren gegen ihre Mitwirkungspflichten aus §§ 15 Abs. 1, Abs. 2, 25 Abs. 1 AsylG verstoßen, liegen schlechterdings nicht vor. Ein nach § 5 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG beachtliches Ausweisungsinteresse kann jedoch auch rein generalpräventiv begründet sein (vgl. BVerwG, Urteil vom 9. Mai 2019, a.a.O., Rz. 17). Das ist hier der Fall. Es besteht ein hohes öffentliches Interesse daran, andere Ausländer in einer vergleichbaren Lage davon abzuhalten, ihre asylrechtlichen Mitwirkungspflichten zu verletzen.
Dieses generalpräventiv begründete Ausweisungsinteresse ist noch hinreichend aktuell, um es im Rahmen von § 5 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG zu berücksichtigen. Allerdings kommt, da das Ausweisungsinteresse nicht an ein strafbares Verhalten anknüpft, eine Orientierung der Aktualität des Ausweisungsinteresses an den strafrechtlichen Verjährungsfristen nach §§ 78 ff. StGB oder an den Fristen für ein Verwertungsverbot nach § 51 BZRG (vgl. dazu BVerwG, Urteil vom 12. Juli 2018, a.a.O., Rz. 23; Urteil vom 9. Mai 2019, a.a.O., Rz. 19) naturgemäß nicht in Betracht.
Im Hinblick auf den generalpräventiv begründeten Charakter des Ausweisungsinteresses und das Gewicht der Rechtsverstöße unter dem Gesichtspunkt des Schutzes der Integrität des Asylverfahrens hält die Kammer es für angemessen, von einer zehnjährigen Frist auszugehen. Diese Frist ist geeignet, anderen Ausländern in einer vergleichbaren Situation nachdrücklich vor Augen zu führen, dass eine Verletzung der asylrechtlichen Mitwirkungspflichten zu erheblichen, weil langwierigen, nachteiligen Folgen aufenthaltsrechtlicher Art führt. Die Frist beginnt mit Nachholung der nach §§ 15 Abs. 1, Abs. 2, 25 Abs. 1 AsylG gebotenen Handlungen und Angaben, spätestens mit Abschluss des Asylverfahrens einschließlich eines etwaigen anschließenden Klageverfahrens. Im Falle der Klägerin mag offenbleiben, ob bereits die Vorlage des im Januar 2018 ausgestellten Reisepasses und die Einräumung des tatsächlichen „Vorfluchtgeschehens“ gegenüber der Ausländerbehörde im vorliegenden Verfahren ausreicht, oder ob eine ausdrückliche Nachholung und Richtigstellung im Asylklageverfahren erforderlich ist. In keinem Fall ist die hier angemessene zehnjährige Frist, während derer das generalpräventiv begründete Ausweisungsinteresse noch aktuell ist, verstrichen.
b) Schließlich ist die Klägerin auch nicht, wie nach § 5 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 AufenthG im Regelfall erforderlich, mit dem für den nunmehr beabsichtigten längerfristigen Aufenthalt im Bundesgebiet erforderlichen nationalen Visum eingereist. Diesem Erfordernis unterliegt die Klägerin ungeachtet dessen, dass sie nach der Einreise ins Bundesgebiet ein Asylverfahren betrieben hat (vgl. BVerwG, Urteil vom 3. Juni 1997 - 1 C 18.95 -, juris, Rzn. 25 ff.; OVG Bautzen, Beschluss vom 19. Juli 2019 - 3 B 138/19 -, juris, Rz. 8; OVG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 17. Januar 2011 - OVG 11 S 51.10 -, juris, Rz. 8; Funke-Kaiser in GK AufenthG, Stand: September 2018, Rz. 117 zu § 5; Hailbronner, a.a.O., Stand: Oktober 2019, Rz. 53 zu § 5 AufenthG). Von der Einhaltung des Visumerfordernisses ist die Klägerin jedenfalls deswegen nicht nach § 39 Satz 1 Nr. 5 oder Nr. 6 AufenthV befreit, weil es mangels Erfüllung der Regelerteilungsvoraussetzung des § 5 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG an dem jeweils erforderlichen Anspruch auf Erteilung eines Aufenthaltstitels fehlt. Das in § 5 Abs. 2 Satz 2 AufenthG der Behörde eingeräumte Ermessen, von der Einhaltung des Visumerfordernisses abzusehen, verhilft der Klägerin nicht zu dem gemäß § 10 Abs. 3 Satz 3 AufenthG erforderlichen strikten Rechtsanspruch auf Erteilung der begehrten Aufenthaltserlaubnis.
III. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO. Die Nebenentscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit beruhen auf § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.
Die Berufung wird gemäß § 124a Abs. 1 Satz 1 VwGO zugelassen, weil der Rechtssache im Hinblick auf die Auslegung von § 54 Abs. 2 Nr. 9 AufenthG und im Hinblick auf die Bestimmung der Aktualität eines generalpräventiv begründeten Ausweisungsinteresses bei Verstoß gegen eine nicht straf- oder bußgeldbewehrte Rechtsvorschrift grundsätzliche Bedeutung im Sinne von § 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO zukommt.
Aus dem gleichen Grunde wird die Revision unter Übergehung der Berufungsinstanz gemäß §§ 134 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 Satz 1, 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO zugelassen.
Beschluss:
Der Wert des Streitgegenstandes wird gemäß § 52 Abs. 2 GKG auf 5 000 € festgesetzt.