Gericht | LSG Berlin-Brandenburg 18. Senat | Entscheidungsdatum | 17.03.2021 | |
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Aktenzeichen | L 18 AS 1472/18 | ECLI | ECLI:DE:LSGBEBB:2021:0317.L18AS1472.18.00 | |
Dokumententyp | Urteil | Verfahrensgang | - | |
Normen | § 11 SGB 2, § 130 Abs 1 SGG |
Auf die Berufung des Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 14. Juni 2018 aufgehoben und die Klage abgewiesen.
Außergerichtliche Kosten sind im gesamten Verfahren nicht zu erstatten.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Die Beteiligten streiten über die Anrechnung einer Wohngeldnachzahlung im Zeitraum 1. August 2016 bis 31. Januar 2017 bei Leistungen nach dem Sozialgesetzbuch - Grundsicherung für Arbeitsuchende - (SGB II).
Die 1978 geborene und seit 2011 geschiedene Klägerin zu 1) ist Mutter der 2003 geborenen Klägerin zu 2). Sie übt das Sorgerecht gemeinsam mit dem früheren Ehemann und Kindesvater aus, wobei sich die Klägerin zu 2) im Wechsel bei der Klägerin zu 1) und beim Kindesvater aufhält. Die kindergeldberechtigte Klägerin zu 2) leitet die Hälfte des für die Klägerin zu 2) bezogenen Kindergeldes an den Kindesvater weiter. Die Klägerin zu 1), die auch geringfügig als Pflegekraft beschäftigt war (vgl. Dienstvertrag vom 13. August 2015), beendete ihre selbständige Tätigkeit als Erzieherin in der Tagespflege schwangerschaftsbedingt zum 1. August 2016. Sie war jedenfalls bis Ende Juli 2016 freiwillig in der gesetzlichen Kranken- und Pflegeversicherung versichert.
Am 14. Juli 2016 stellten die Klägerinnen einen Antrag bei dem Beklagten auf Gewährung von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts ab 1. August 2016, wobei sie die Kosten der Unterkunft und für Heizung (KdU) für die 2,5-Zimmer-Wohnung der Klägerin zu 1) mit 581,- € (Grundmiete 390,- €, Betriebskosten 62,- € und Heizkosten 129,- €) bezifferten. Das Bezirksamt Steglitz-Zehlendorf von Berlin - Wohnungsamt - gewährte den Klägerinnen mit Bescheiden vom 19. Juli 2016 für die Zeit vom 1. November 2015 bis 31. Oktober 2016 Wohngeld in Höhe von (iHv) monatlich 148,- € für November und Dezember 2015 sowie iHv 273,- € ab Januar 2016. Die Nachzahlung iHv 2.207,- € für den Zeitraum bis 31. Juli 2016 sowie die Zahlung für August 2016 gingen auf dem Konto der Klägerin zu 1) am 1. August 2016 ein. Die Zahlungen des Wohngelds für September und Oktober 2016 flossen der Klägerin zu 1) am 1. September 2016 bzw. am 30. September 2016 zu.
Mit vorläufigem Bewilligungsbescheid vom 10. August 2016 in Gestalt des nach Geburt des Sohnes M D (geb. 2016) der Klägerin zu 1) ergangenen Änderungsbescheides vom 11. November 2016, auf den Bezug genommen wird, bewilligte der Beklagte den Klägerinnen Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes, wobei er als Einkommen bei der Klägerin zu 1) die Nachzahlung des Wohngeldes als einmalige Einnahme auf einen Zeitraum von sechs Monaten als Einkommen anrechnete und im August 2016 zusätzlich einmal und im September 2016 zusätzlich zweimal das monatliche Wohngeld auf den Bedarf an Kosten der Unterkunft und für Heizung (KdU) anrechnete. Von dem Einkommen wurden die Beiträge zur freiwilligen Versicherung in der gesetzlichen Kranken- und Pflegeversicherung abgesetzt.
Für M bezog die Klägerin Kindergeld iHv zunächst monatlich 190,- €, ab Januar 2017 iHv 192 €. Das Kindergeld für November 2016 wurde im Dezember 2016 nachgezahlt. Für M wurde von dessen Vater Unterhalt iHv 300,- € monatlich gezahlt.
Der Beklagte wies den Widerspruch der Klägerin gegen den vorläufigen Bewilligungsbescheid vom 10. August 2016 in der Fassung des Änderungsbescheides vom 11. November 2016 mit Widerspruchsbescheid vom 14. November 2016 zurück und verfügte, dass die den Klägerinnen entstandenen notwendigen Aufwendungen zu 5/10 erstattet werden. Ab November 2016 bezog die Klägerin zu 1) Elterngeld iHv monatlich 637,35 € (Bescheid des Bezirksamts Steglitz-Zehlendorf von Berlin - Jugendamt - vom 13. Dezember 2016). Die Nachzahlung des Elterngeldes für November 2016 floss der Klägerin zu 1) mit der Zahlung für Dezember 2016 im Dezember 2016 zu. Die Klägerinnen sind rückwirkend zum 1. August 2016 in der gesetzlichen Krankenversicherung versichert worden.
Mit Bescheid vom 12. Mai 2017, auf den Bezug genommen wird, setzte der Beklagte die Leistungen der Klägerinnen für den Zeitraum vom 1. August 2016 bis zum 31. Januar 2017 - wie auch für M für die Zeit vom 3. November 2016 bis 31. Januar 2017 - endgültig fest, wobei er die Wohngeldnachzahlung weiterhin auf sechs Monate verteilt als Einkommen und die monatlichen Wohngeldzahlungen auf den Bedarf der KdU anrechnete. Außerdem wurde die Hälfte des für die Klägerin zu 2) bezogenen Kindergeldes bei dieser und das ab Dezember 2016 zugeflossene Elterngeld bei der Klägerin zu 1) angerechnet. Beiträge für die freiwilligen Kranken/Pflegeversicherung wurden nicht vom Einkommen abgezogen. Mit Erstattungsbescheid vom 12. Mai 2017 hat der Beklagte die von den Klägerinnen im Verhältnis zum Änderungsbescheid vom 10. November 2016 überzahlten Beträge iHv 2.345,38 € (Klägerin zu 1) und iHv 517,10 € (Klägerin zu 2) zurückgefordert. Der Widerspruch gegen den Festsetzungsbescheid vom 12. Mai 2017 wurde mit Widerspruchsbescheid vom 31. August 2017 als unzulässig zurückgewiesen.
Im bereits am 16. Dezember 2016 eingeleiteten Klageverfahren haben die Klägerinnen zuletzt eine Leistungsgewährung ohne Anrechnung der Wohngeldnachzahlung unter entsprechender Reduzierung der Erstattungsforderung begehrt und vorgetragen: Die Anrechnung der Wohngeldnachzahlung sei rechtswidrig, da die Nachzahlung im August 2016 nur der langen Bearbeitungszeit geschuldet gewesen sei und die Nachzahlung für die Ausgleichung eines Dispositionskredites, der aufgrund der fehlenden Wohngeldzahlungen aufgenommen werden musste, verbraucht worden sei.
Das Sozialgericht (SG) Berlin hat mit Urteil vom 14. Juni 2018 den Beklagten unter Änderung des endgültigen Festsetzungsbescheides vom 12. Mai 2017 verurteilt, den Klägerinnen für den Zeitraum vom 1. August 2016 bis 31. Januar 2017 Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes ohne Anrechnung der Wohngeldnachzahlungen iHv 2.207,- € zu gewähren und den Erstattungsbescheid vom 12. Mai 2017 insoweit aufgehoben, als die Erstattungsforderung den Betrag übersteigt, der sich aus der Differenz der mit vorläufigem Bewilligungsbescheid vom 10. August 2016 in Gestalt des vorläufigen Bewilligungsbescheides vom 11. November 2016 bewilligten Leistungen und der nach Ziffer 1 (gemeint: Absatz 1 des Tenors ) zu gewährenden Leistungen ergibt. Zur Begründung ist ausgeführt: Streitgegenstand sei der endgültige Festsetzungsbescheid vom 12. Mai 2017 und der Erstattungsbescheid vom selben Tag. Diese Bescheide seien nach § 96 Sozialgerichtsgesetz (SGG) Gegenstand der Klage geworden, die ursprünglich gegen den vorläufigen Bewilligungsbescheid vom 10. August 2016 in der Fassung des Änderungsbescheides vom 11. November 2016 und in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 14. November 2016 gerichtet gewesen sei. Der endgültige Festsetzungsbescheid vom 12. Mai 2017 habe den vorläufigen Bescheid ersetzt. Die wertungsmäßige Identität umfasse auch den Erstattungsbescheid vom 12. Mai 2017, da der Erstattungsbescheid die Entscheidung über die Höhe der Leistungen formal umsetze. Die zulässige Klage sei begründet. Der endgültige Festsetzungsbescheid vom 12. Mai 2017 sei rechtswidrig und verletze die Klägerinnen in ihren Rechten. Die Klägerinnen hätten Anspruch auf weitere Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes für den Zeitraum 1. August 2016 bis 31. Januar 2017 ohne Anrechnung der Nachzahlung von Wohngeld iHv 2.207,- €. Rechtsgrundlage der endgültigen Festsetzung von Leistungen sei § 41a Abs. 3 SGB II in der Fassung vom 26. Juli 2016 iVm §§ 7 ff und § 19 ff SGB II. Nach § 41a Abs. 3 SGB II sei abschließend über den monatlichen Leistungsanspruch zu entscheiden, sofern die vorläufig bewilligte Leistung nicht der abschließend festzustellenden entspreche. Der Beklagte habe den endgültigen Leistungsanspruch der Klägerinnen für den Zeitraum 1. August 2016 bis 31. Januar 2017 nicht zutreffend festgesetzt, da er die Wohngeldnachzahlung iHv 2.207,- € als Einkommen angerechnet habe. Der monatliche Bedarf der Klägerin zu 1) ergebe sich aus einem Regelbedarf iHv 404,- € bzw. ab Januar 2017 iHv 409,- €, Mehrbedarf für Alleinerziehende nach § 21 Abs. 3 SGB II, Mehrbedarf für werdende Mütter bis zur Geburt ihres zweiten Kindes nach § 21 Abs. 2 SGB II und Mehrbedarf für Warmwassererzeugung nach § 21 Abs. 7 SGB II. Der monatliche Bedarf der Klägerin zu 2) ergebe sich aus einem Regelbedarf iHv monatlich 270,- € bis Oktober 2016, 306,- € bis Dezember 2016 und 311,- € ab Januar 2017 sowie aus einem Mehrbedarf für Warmwassererzeugung nach § 21 Abs. 7 SGB II. Der Bedarf der Klägerin zu 2) bestehe aufgrund des zeitweisen Aufenthalts beim umgangsberechtigten Vater nur anteilig an den Tagen des Aufenthalts in der Bedarfsgemeinschaft der Klägerin zu 1). Der Umfang der Aufenthaltszeiten der Klägerin zu 2) in der Bedarfsgemeinschaft der Klägerin zu 1) sei zwischen den Beteiligten nicht streitig. Zudem hätten die Klägerinnen einen Bedarf an KdU in Höhe von monatlich 581,- €. Dem so ermittelten Bedarf sei nach § 9 SGB II das von den Klägerinnen erzielte Einkommen gegenüber zu stellen. Dabei sei zunächst bei der Klägerin zu 2) gemäß § 11 Abs. 1 Satz 5 SGB II das Kindergeld als Einkommen anzurechnen, wobei aufgrund der unstreitigen Weiterleitung der Hälfte des Kindergeldes an den Kindesvater nur die Hälfte des monatlichen Kindergeldes als verfügbares Einkommen anzurechnen sei. Außerdem sei bei der Klägerin zu 1) das Elterngeld gemäß § 11 Abs. 1 Satz 1, Satz 2 SGB II anzurechnen. Schließlich seien die monatlichen Wohngeldzahlungen im August und September 2016 iHv monatlich 273,- € als Einkommen anzurechnen. Diese stellten auch das Einkommen dar, welches nach § 11 Abs. 2 Satz 1 SGB II in dem Monat, in dem es zufließe, anzurechnen sei. Nicht als Einkommen anzurechnen sei allerdings die für den Zeitraum vom 1. Januar 2016 bis 31. Juli 2016 erfolgte Nachzahlung von 2.207,- €, die am 1. August 2016 neben der für August 2016 erfolgten Wohngeldzahlung iHv 273,- € auf dem Konto der Klägerin zu 1) eingegangen sei. Grundsätzlich sei für die Einkommensanrechnung entsprechend der modifizierten Zuflusstheorie auszugehen von dem tatsächlichen Zufluss, es sei denn, rechtlich sei anderes bestimmt. Für einmalige Einnahmen regle § 11 Abs. 3 SGB II eine solche rechtlich abweichende Bestimmung. Nach § 11 Abs. 3 Satz 2 SGB II fielen hierunter auch einmalige Einnahmen, die als Nachzahlung und nicht für den Monat des Zuflusses erbracht würden. § 11 Abs. 3 Satz 4 SGB II regele für diese Fälle, dass die einmalige Einnahme auf einen Zeitraum von sechs Monaten gleichmäßig aufzuteilen und monatlich mit einem entsprechenden Teilbetrag zu berücksichtigen sei, wenn der Leistungsanspruch durch die Berücksichtigung in einem Monat entfiele. Allerdings sei hiervon abweichend das Wohngeld in den Monaten an Einkommen zuzurechnen, für die es zur Vermeidung von Hilfebedürftigkeit nach dem SGB II erbracht worden sei, mithin Januar 2016 bis Juli 2016. Denn bei der Würdigung der einmaligen Einnahmen sei deren Rechtsgrund nicht außer Acht zu lassen. Bei dem Wohngeld, welches für den Zeitraum 1. Januar 2016 bis 31. Juli 2016, mithin für einen Zeitraum, in dem keine Leistungen nach dem SGB II bezogen worden seien und auch die Voraussetzung für einen Bezug von Leistungen nach dem SGB II nicht vorgelegen hätten, nachgezahlt worden sei, handele es sich um Leistungen, die gerade zur Vermeidung von Hilfebedürftigkeit gemäß § 9 SGB II erbracht worden seien. In einem solchen Falle bestehe ein von § 11 Abs. 2 und Abs. 3 SGB II normativ abweichender Zufluss. Entsprechendes habe das Bundessozialgericht (BSG) für die Bestimmung des normativen Zuflusses des Kinderzuschlags nach § 6a Bundeskindergeldgesetz (BKKG) in seinem Urteil vom 25. Oktober 2017 - B 14 AS 35/16 R - ausgeführt. Das Wohngeld folge der gleichen Zweckbestimmung wie der Kinderzuschlag, da hierdurch die Hilfebedürftigkeit (ggfs. mit Kinderzuschlag) nach § 9 SGB II vermieden werde (vgl. § 7 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 und Satz 2 Wohngeldgesetz - WoGG -). Auch hier schlössen sich die Leistungssysteme des SGB II einerseits und des WoGG andererseits wechselseitig aus. Dies stehe der Annahme entgegen, dass ein nachträglich gezahltes Wohngeld während des Bezuges von existenzsichernden Leistungen nach dem SGB II für diesen Zeitraum bedarfsdeckend einzusetzen sei. Grundsicherungsrechtlich seien deshalb die Leistungen nach dem WoGG nur in den Monaten als Einkommen zuzurechnen, für die sie zur Vermeidung des Leistungsbezuges nach dem SGB II bestimmt seien. Dies seien bei der hier im Streit stehenden Nachzahlung von 2.207,- € die Monate Januar 2016 bis Juli 2016 und gerade nicht die Monate August 2016 bis Januar 2017. Der endgültige Bewilligungsbescheid sei insoweit rechtswidrig und die Klägerinnen hätten für den Zeitraum vom 1. August 2016 bis 31. Januar 2017 einen Anspruch auf Gewährung weiterer Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes ohne Anrechnung der Wohngeldnachzahlung iHv 2.207,- €. Dementsprechend sei auch der Erstattungsbescheid vom 12. Mai 2017 rechtswidrig.
Mit ihrer Berufung wendet sich der Beklagte gegen das Urteil und trägt vor: Für die Berücksichtigung einer Einnahme als Einkommen komme es darauf an, ob zugeflossenes Einkommen als „bereites Mittel“ geeignet sei, den konkreten Bedarf im jeweiligen Monat zu decken. Soweit das SG der Auffassung sei, dass das Wohngeld in den Monaten als Einkommen zu berücksichtigen sei, für welches es zur Vermeidung von Hilfebedürftigkeit nach dem SGB II erbracht worden sei, fehle es in Bezug auf die Wohngeldnachzahlung für die Monate Januar 2016 bis Juli 2016 bereits am Zufluss bei den Klägerinnen in diesem Zeitraum. Entscheidend sei der tatsächliche Zufluss der Nachzahlung als bereites Mittel zur Bedarfsdeckung. Weshalb es bei der Hilfe von Dritten im Sinne von § 9 Abs. 1 Satz 1 SGB II nicht auf den tatsächlichen Zufluss ankommen solle, wie dies das SG annehme, erschließe sich im Hinblick auf die Notwendigkeit, eine aktuelle Bedarfslage zu decken, nicht.
Der Beklagte beantragt sinngemäß,
das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 14. Juni 2018 aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Die Klägerinnen beantragen,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie tragen vor: Die Nachzahlung des Wohngeldes sei nicht als Einkommen anzurechnen, da dieses wie der Kinderzuschlag zur Verhinderung der Hilfebedürftigkeit gezahlt worden sei. Ferner habe die Gutschrift den Klägerinnen nicht zur Verfügung gestanden, weil sie zuvor einen Dispositionskredit iHv 1.038,17 € in Anspruch hätten nehmen müssen. Ferner seien im Hinblick auf § 41a Abs. 1 Satz 2 SGB II die anteiligen Reduzierungen der Leistungen der Klägerinnen wegen der endgültigen Festsetzung ab dem Zeitpunkt der Geburt Maximilians unverständlich, denn diesem gegenüber sei nach Aktenlage keinerlei vorläufige Bewilligung ergangen. Bestehe eine Bedarfsgemeinschaft aus mehreren Personen, sei gemäß § 41a Abs. 1 Satz 2 SGB II unter den Voraussetzungen des Satzes 1 über den Leistungsanspruch aller Mitglieder der Bedarfsgemeinschaft vorläufig zu entscheiden. Ferner sei die Anrechnung der laufenden Wohngeldzahlungen sowie des Elterngeldes fehlerhaft erfolgt. Die Rechtswidrigkeit der angefochtenen Bescheide ergebe sich schließlich aus der fehlenden Anhörung der Klägerinnen.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhaltes und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen sowie die Gerichtsakten und die Leistungsakten (Behelfsakte) Bezug genommen, welche vorgelegen haben und Gegenstand der mündlichen Verhandlung waren.
Die zulässige Berufung des Beklagten ist begründet.
Die Klägerinnen haben für den streitbefangenen Zeitraum vom 1. August 2016 bis 31. Januar 2017 keinen Anspruch auf Leistungen nach dem SGB II unter Außerachtlassung der am 1. August 2016 zugeflossenen Wohngeldnachzahlung iHv 2.207,- €. Die sich aufgrund der endgültigen Leistungsfestsetzung ergebende Erstattungsforderung des Beklagten ist nicht zu beanstanden.
Gegenstand des Revisionsverfahrens sind neben der vorinstanzlichen Entscheidung allein die während des Klageverfahrens ergangenen Bescheide vom 12. Mai 2017, durch die der Beklagte auf der Grundlage von § 41a Abs. 3 Satz 1 SGB II endgültig über die Höhe des SGB II-Leistungen in dem streitigen Zeitraum vom 1. August 2016 bis 31. Januar 2017 entschieden und die Erstattung überzahlter Beträge gemäß § 41a Abs. 6 SGB II gefordert hat. Nicht mehr Gegenstand des Verfahrens sind die vorläufigen Bewilligungen, weil sich diese bezogen auf den streitigen Zeitraum durch den endgültigen Bewilligungsbescheid vom 12. Mai 2017 erledigt haben (§ 39 Abs. 2 SGB X). Dieser ist nach § 96 Abs. 1 SGG zum Gegenstand des Klageverfahrens geworden (vgl. BSG; Urteil vom 26. Juli 2016 - B 4 AS 54/15 R = SozR 4-4225 § 1 Nr. 3 Rn. 14). Mit der Klage gegen den Bescheid vom 12. Mai 2017 und dem Vorbringen, ihnen stünden höhere SGB II-Leistungen ohne Anrechnung der Wohngeldnachzahlung zu, haben die Klägerinnen eine Korrektur der Entscheidung des Beklagten über die ihnen endgültig zustehenden Leistungen zutreffend im Wege einer Anfechtungs- und Leistungsklage (§ 54 Abs. 4 SGG) begehrt.
Prozessrechtliche Hindernisse stehen einer Sachentscheidung des Senats nicht entgegen. Der sorgeberechtigte Vater der Klägerin zu 2) hat der Klageerhebung zugestimmt. Das SG ist ferner zutreffend davon ausgegangen, dass ein Grundurteil nach § 130 Abs. 1 SGG zulässig ist, weil die Klägerinnen keinen bezifferten Betrag, sondern (nur) höhere Leistungen ohne Anrechnung der Wohngeldnachzahlung begehren. Von der grundsätzlichen Zulässigkeit eines solchen Grundurteils in einem Höhenstreit gehen - anknüpfend an die Rechtsprechung zur Arbeitslosenhilfe (BSG, Urteil vom 9. Dezember 2004 - B 7 AL 24/04 R = BSGE 94, 109 = SozR 4-4220 § 3 Nr. 1, Rn. 5 mwN) - die für Streitigkeiten nach dem SGB II zuständigen Senate des BSG übereinstimmend in ständiger Rechtsprechung aus (BSG, Urteile vom 7. November 2006 - B 7b AS 10/06 R = BSGE 97, 231 = SozR 4-4200 § 22 Nr. 2, Rn. 16; vom 16. Mai 2007 - B 11b AS 37/06 R = BSGE 98, 243 = SozR 4-4200 § 12 Nr. 4, Rn. 15; vom 27. Januar 2009 - B 14/7b AS 8/07 R = SozR 4-4200 § 21 Nr. 4 Rn. 11; vom 12. Juli 2012 - B 14 AS 35/12 R = BSGE 111, 234 = SozR 4-1500 § 54 Nr. 28, Rn. 19; vom 23. August 2012 - B 4 AS 167/11 R -, juris Rn. 12, vom 16. April 2013 – B 14 AS 81/12 R = SozR 4-4225 § 1 Nr. 2 Rn. 10 und vom 17. September 2020 – B 4 AS 3/20 R -, juris). Voraussetzung für die Zulässigkeit eines solchen Grundurteils im Höhenstreit ist nach dieser Rechtsprechung, damit es sich nicht um eine unzulässige Elementfeststellungsklage handelt, eine so umfassende Aufklärung zu Grund und Höhe des Anspruchs, dass mit Wahrscheinlichkeit von einer höheren Leistung ausgegangen werden kann, wenn der Begründung der Klage gefolgt wird.
Diese Voraussetzung ist hier gegeben. Die Klägerinnen erfüllen die Grundvoraussetzungen für Leistungen nach dem SGB II nach § 7 Abs. 1 Satz 1, 19 Abs. Abs.1 SGB II (bestimmtes Alter, Erwerbsfähigkeit bzw. mit erwerbsfähiger Person in Bedarfsgemeinschaft lebend, Hilfebedürftigkeit, gewöhnlicher Aufenthalt in Deutschland), während ein Ausschlusstatbestand (vgl. § 7 Abs. 1 Satz 2, §§ 4, 5 SGB II) nicht vorliegt. Der Beklagte hat den Klägerinnen auch grundsätzlich einen Anspruch auf Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts in der strittigen Zeit bewilligt; Anhaltspunkte, die einer Leistungsgewährung entgegenstehen, sind nicht zu erkennen. Umstritten ist nach der zutreffenden verständigen Würdigung des klägerischen Begehrens durch das SG lediglich, ob die Klägerinnen einen Anspruch auf höhere Leistungen haben, weil die am 1. August 2016 zugeflossene Wohngeldnachzahlung nicht als Einkommen berücksichtigt werden darf.
Rechtsgrundlage für den von den Klägerinnen geltend gemachten und vom SG zugesprochenen Anspruch auf höhere - da ohne Anrechnung der Wohngeldnachzahlung zu erbringende - Leistungen nach dem SGB II sind § 19 Abs. 1 iVm § 7 Abs. 1 Satz 1 SGB II. Dass die Klägerinnen die Voraussetzungen für einen Anspruch auf diese Leistungen in der strittigen Zeit dem Grunde nach erfüllen, wurde schon festgestellt.
Da nur die Höhe der Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts umstritten ist, kann dahingestellt bleiben, wie hoch der Gesamtbedarf der Klägerinnen in der strittigen Zeit war, weil nur der Beklagte Rechtsmittel eingelegt hat und die Klägerinnen nicht mehr als die vom SG zugesprochene Erhöhung ihrer Leistungen aufgrund einer Nichtberücksichtigung der Wohngeldnachzahlung als Einkommen erhalten können.
Dem Bedarf der Klägerinnen sind die Bedarfsdeckungsmöglichkeiten nach § 9 SGB II, darunter Einkommen (§ 11 SGB II), gegenüberzustellen. Entgegen der Ansicht der Klägerinnen ist die für den Zeitraum vom 1. November 2015 bis 31. Juli 2016 gewährte Wohngeldnachzahlung iHv 2.207,- € als Einkommen auf den Bedarf der Klägerinnen im streitbefangenen Zeitraum anzurechnen. Der Beklagte hat diese am 1. August 2016 zugeflossene Zahlung zu Recht als einmalige Einnahme gemäß § 11 Abs. 3 Satz 1 SGB II qualifiziert und nach Satz 3 gleichmäßig auf den hier streitigen sechsmonatigen Bewilligungszeitraum aufgeteilt sowie - ohne dass insoweit ein Ermessen bestand - gemäß § 41a Abs. 6 SGB II die überzahlten Leistungen zurückgefordert.
Als Einkommen zu berücksichtigende Einnahmen in Geld sind im SGB II grundsätzlich für den Monat zu berücksichtigen, in dem sie (tatsächlich) zufließen (§ 11 Abs. 2, 3 SGB II idF des Gesetzes vom 24. März 2011, BGBl I 453, vgl. hierzu zuvor bereits BSG, Urteil vom 30. Juli 2008 - B 14 AS 26/07 R = SozR 4-4200 § 11 Nr. 17 Rn. 23). Dies gilt grundsätzlich auch für als Nachzahlung zufließende Einnahmen, wie der Gesetzgeber mit dem durch Gesetz vom 26. Juli 2016 (BGBl I 1824) eingefügten und ab 1. August 2016 anwendbaren § 11 Abs. 3 Satz 2 SGB II noch einmal bestätigt hat (vgl. die vorherige Rspr. zu Nachzahlungen zusammenfassend BSG, Urteil vom 25. Oktober 2017 - B 14 AS 35/16 R = BSGE 124, 243 = SozR 4-4200 § 11 Nr. 82, Rn. 27 mwN). Solange eine von § 11 Abs. 2, 3 SGB II abweichende gesetzliche Vorgabe nicht besteht, ist danach - der Zwecksetzung existenzsichernder Leistungen gemäß - allein entscheidend, ob mit den eingehenden geldwerten Mitteln in dem betreffenden Monat ein notwendiger Bedarf gedeckt werden kann (stRspr; vgl. nur BSG, Urteil vom 25. Oktober 2017 - B 14 AS 35/16 R -, ebd.).
Eine solche abweichende gesetzliche Vorgabe im Hinblick auf die zeitliche Berücksichtigung von Wohngeld besteht nicht. Sie lässt sich - in Ermangelung einer Regelung im SGB II selbst - entgegen der Ansicht des SG nicht dem Kinderzuschlagsrecht und auch nicht dem Wohngeldrecht entnehmen. Dies hat das BSG mit Urteil vom 30. Oktober 2019 (B 4 KG 1/19 R = SozR 4-5870 § 6a Nr. 8 Rn. 25 ff.) nunmehr entschieden. Der Senat schließt sich dieser höchstrichterlichen Rechtsprechung nach eigener Prüfung vollumfänglich an. Die Anrechnung der Wohngeldnachzahlung scheitert entgegen der Auffassung der Klägerinnen auch nicht daran, dass diese Einnahme aufgrund des mit der Bank der Klägerin zu 1) vereinbarten Dispositionskredits teilweise dazu gedient hat, das Kontosoll zurückzuführen. Hierbei handelt es sich lediglich um eine Einkommensverwendung, durch die der Zufluss der 2.207,- € nicht teilweise den Charakter als Einkommen verliert (vgl. BSG; Urteil vom 29. April 2014 - B 14 AS 10/14 R = SozR 4-4200 § 11 Nr. 70 Rn. 31ff., ferner BSG, Urteil vom 30. Juli 2008 - B 14 AS 26/07 R = SozR 4-4200 § 11 Nr. 17 Rn. 25; BSG, Urteil vom 30. Juli 2008 - B 14 AS 43/07 R - juris Rn. 28). Vielmehr erweist sich deren Einkommenscharakter eben darin, dass hieraus das Kontosoll zurückgeführt werden konnte (zum in Geld ausdrückbaren wirtschaftlichen Wert einer Befreiung von Schulden bzw. Verringerung von Verbindlichkeiten vgl. BSG Urteil vom 16. Mai 2012 - B 4 AS 132/11 R = SozR 4-4200 § 22 Nr. 60 Rn. 21).
Soweit die Klägerinnen im Berufungsverfahren unter Hinweis auf § 41a Abs. 1 Satz 2 SGB II die anteilige Reduzierung der Leistungen für KdU nach der Geburt von Maximilian am 3. November 2016, den Anrechnungsmodus der für die Monate August bis Oktober 2016 geleisteten Wohngeldzahlungen bzw. die Anrechnung des Elterngeldes bemängeln, betreffen diese Rügen nicht den Streitgegenstand des vorliegenden Verfahrens. Denn die Klägerinnen haben - wie bereits ausgeführt - ausschließlich höhere Leistungen unter Nichtanrechnung der Wohngeldnachzahlung erstrebt und das SG hat mit dem im Übrigen nur vom Beklagten angegriffenen Urteil die angefochtenen Bescheide lediglich in diesem Umfang korrigiert.
Es liegt schließlich auch kein Anhörungsmangel vor, denn von den tatsächlichen Angaben der Klägerinnen ist nicht zu ihren Ungunsten abgewichen worden (§ 24 Abs. 2 Nr. 3 Sozialgesetzbuch - Sozialverwaltungsverfahren und Sozialdatenschutz -). Vor Erlass der endgültigen Bewilligung war zudem keine Anhörung erforderlich, weil durch die vorläufige Entscheidung keine gesicherte Rechtsposition entstanden sein konnte.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Gründe für eine Zulassung der Revision gemäß § 160 Abs. 2 SGG liegen nicht vor.