Gericht | VG Frankfurt (Oder) 10. Kammer | Entscheidungsdatum | 07.05.2021 | |
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Aktenzeichen | 10 K 657/19.A | ECLI | ECLI:DE:VGFRANK:2021:0507.10K657.19.A.00 | |
Dokumententyp | Urteil | Verfahrensgang | - | |
Normen |
Der Bescheid des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge vom 20. Mai 2019 wird aufgehoben, soweit darin der Asylantrag als offensichtlich unbegründet abgelehnt wird. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
Der Kläger trägt die Kosten des gerichtskostenfreien Verfahrens zu 9/10 und die Beklagte zu 1/10.
Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar.
Die Beteiligten dürfen die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht der jeweilige Vollstreckungsgläubiger vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.
Der 1979 in Vietnam geborene Kläger ist vietnamesischer Staatsangehöriger und hat bereits ein erfolgloses Asylverfahren in Deutschland durchgeführt.
Nach seiner Rückkehr nach Vietnam im Jahr 2004 reiste der Kläger mit einem in Malaysia ausgestellten Visum im Jahr 2015 über Russland und die Niederlande erneut nach Deutschland ein.
Wegen unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge (der konsumfähige Anteil der Pflanzen nach Trocknung lag bei 12.710 g, davon 336,5 g reines THC) wurde der Kläger im Oktober 2017 durch das Landgericht Duisburg (Aktenzeichen 33 KLs-122 Js 40/15-11/16) zu einer Freiheitsstrafe von zwei Jahren und drei Monaten verurteilt, wobei er u. a. wegen Anrechnung von Untersuchungshaft die Justizvollzugsanstalt Köln bereits im April 2018 verlassen konnte.
Am 18. März 2019 stellte der Kläger beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (im Folgenden: Bundesamt) einen Asylantrag.
Im Rahmen der Anhörung durch das Bundesamt im April 2019 führte der Kläger im Wesentlichen aus, dass er befürchte, in Vietnam wegen der Tat, für die er in Deutschland bereits eine Freiheitsstrafe verbüßt habe, erneut verurteilt zu werden. Er habe Cannabis-Pflanzen angebaut, wobei das gewonnene Rauschmittel zum gewinnbringenden Handel bestimmt gewesen sei. Auf solche Delikte stünden in Vietnam harte Strafen. Er habe von seinen Familienangehörigen erfahren, dass Menschen mit demselben Schicksal dort nochmals verurteilt worden seien. Zudem habe er Angst, seine Schulden in Vietnam nicht tilgen zu können. Er wolle deshalb in Deutschland bleiben und Geld verdienen.
Der Kläger gab weiter an, in Vietnam die Schule mit Abitur abgeschlossen und als Fischer gearbeitet zu haben. Bis zu seiner Ausreise habe er in der Provinz Quang Binh im Haus seiner Eltern gelebt. Dieses Haus sei verpfändet worden, um von dem Geld einen Teil der Kosten seiner Ausreise bezahlen zu können. In Vietnam habe er noch seine Mutter, eine Schwester sowie die Großfamilie. In Deutschland habe er einen Bruder und eine Schwester.
Mit Bescheid vom 20. Mai 2019, zugestellt am 24. Mai 2019, lehnte das Bundesamt den Antrag auf Zuerkennung des Flüchtlingsstatus als offensichtlich unbegründet ab (Ziffer 1 des Bescheides), ebenso den Antrag auf Asylanerkennung (Ziffer 2) und auf subsidiären Schutz (Ziffer 3). Es stellte zudem fest, dass Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und Abs. 7 Satz 1 AufenthG nicht vorliegen (Ziffer 4). Das Bundesamt forderte den Kläger zum Verlassen der Bundesrepublik Deutschland innerhalb einer Woche nach Bekanntgabe des Bescheides auf und drohte für den Fall der Nichteinhaltung der Ausreisefrist die Abschiebung in die Sozialistische Republik Vietnam an (Ziffer 5). Ferner befristete es das Einreise- und Aufenthaltsverbot gemäß § 11 Abs. 1 AufenthG auf 30 Monate ab dem Tag der Abschiebung (Ziffer 6).
Das Bundesamt führte zur Begründung aus, dass zwar die Voraussetzungen für die Durchführung eines weiteren Asylverfahrens gegeben seien, die Zuerkennung internationalen Schutzes aber offenkundig ausscheide. Hinsichtlich der befürchteten Doppelbestrafung habe der Kläger seine eigene Schutzbedürftigkeit nicht substantiiert dargelegt, sondern lediglich vage Ausführungen über angebliche Verfolgungsmaßnahmen gegen andere Landsleute getätigt. Es dränge sich vielmehr auf, dass es dem Kläger allein um die Arbeitsaufnahme in Deutschland und die Tilgung seiner Schulden gehe.
Auf den Bescheid des Bundesamts wird mit Ausnahme der Ausführungen zur Ablehnung als offensichtlich unbegründet und zur Abschiebungsandrohung Bezug genommen.
Gegen den Bescheid vom 20. Mai 2019 hat der Kläger am 27. Mai 2019 Klage vor dem Verwaltungsgericht Frankfurt (Oder) erhoben und einen Eilantrag gestellt.
Der Kläger beantragt sinngemäß,
die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge vom 20. Mai 2019 zu verpflichten,
ihm internationalen Schutz zuzuerkennen,
hilfsweise für ihn nationale Abschiebungsverbote hinsichtlich Vietnam
festzustellen,
darüber hinaus hilfsweise die Offensichtlichkeitsentscheidung aufzuheben.
Die Beklagte beantragt unter Bezugnahme auf den Bescheid,
die Klage abzuweisen.
Die Beklagte verweist auf die Ausführungen im Bescheid.
Mit Erklärung vom 6. Juni 2019 hat die Beklagte Ziffer 5 des angegriffenen Bescheides dahin geändert, dass der Kläger aufgefordert wird, die Bundesrepublik Deutschland innerhalb einer Woche nach Bekanntgabe der Ablehnung des Antrags nach § 80 Abs. 5 VwGO zu verlassen.
Im Eilverfahren (VG 2 L 285/19.A) hat der seinerzeitige Einzelrichter mit Beschluss vom 15. August 2019 die aufschiebende Wirkung der Klage angeordnet. In einzelnen Gerichtsentscheidungen sei das Risiko der Todesstrafe in Vietnam ungeachtet einer Verurteilung in Deutschland bejaht worden.
Auf die Durchführung der mündlichen Verhandlung haben die Beklagte mit Schriftsatz vom 8. Januar 2021 und der Kläger mit Schriftsatz vom 1. März 2021 verzichtet.
Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Inhalt der Gerichtsakte, der Bundesamtsakte sowie der Gerichtsakte zum Verfahren VG 2 L 285/19.A Bezug genommen.
Das Gericht kann ohne mündliche Verhandlung entscheiden, da sich die Beteiligten hiermit einverstanden erklärt haben, vgl. § 101 Abs. 2 VwGO.
Der Klageantrag ist nach §§ 88, 86 Abs. 3 VwGO dahin auszulegen, dass der nicht ausdrücklich gestellte Antrag auf Aufhebung der Offensichtlichkeitsentscheidung mitenthalten ist.
Die Klage hat zum überwiegenden Teil keinen Erfolg.
Die nach § 42 Abs. 1 Var. 2 VwGO statthafte Verpflichtungsklage ist innerhalb der einwöchigen Klagefrist aus § 74 Abs. 1 2. Hs. AsylG erhoben worden und auch im Übrigen zulässig. Die hinsichtlich der Entscheidungen in Ziffer 5 und 6 des Bescheides gemäß § 42 Abs. 1 Var. 1 VwGO statthafte Anfechtungsklage ist ebenfalls zulässig.
I. Die Verpflichtungsklage ist im Wesentlichen unbegründet.
Die Versagung des beantragten Schutzes ist zu dem nach § 77 Abs. 1 Satz 1 2. Hs. AsylG maßgeblichen Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten, § 113 Abs. 5 Satz 1 VwGO.
1. Es besteht kein Anspruch auf Zuerkennung des Flüchtlingsstatus. Nach § 3 Abs. 1 AsylG ist ein Ausländer Flüchtling, wenn er sich aus begründeter Furcht vor Verfolgung wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, politischen Überzeugung oder Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe außerhalb des Landes befindet, dessen Staatsangehörigkeit er besitzt und dessen Schutz er nicht in Anspruch nehmen kann oder wegen dieser Furcht nicht in Anspruch nehmen will. Im vorliegenden Fall ist dafür nichts ersichtlich.
Weder hinsichtlich der befürchteten Doppelbestrafung noch in Bezug auf die Schulden ist ein verfolgungsrelevantes Merkmal im Sinne von §§ 3 Abs. 1, 3b AsylG erkennbar. Es kann daher offen bleiben, ob die Schulden bei einem nichtstaatlichen Akteur im Sinne des § 3c Nr. 3 AsylG bestehen und inwieweit die mögliche Durchsetzung der Rückzahlung eine Verfolgungshandlung nach §§ 3 Abs. 1, 3a AsylG darstellen könnte.
2. Der geltend gemachte Anspruch auf Zuerkennung subsidiären Schutzes besteht ebenfalls nicht. Gemäß § 4 Abs. 1 Satz 1 AsylG ist ein Ausländer subsidiär Schutzberechtigter, wenn er stichhaltige Gründe für die Annahme vorgebracht hat, dass ihm in seinem Herkunftsland ein ernsthafter Schaden droht. Als ernsthafter Schaden gilt nach § 4 Abs. 1 Satz 2 AsylG die Verhängung oder Vollstreckung der Todesstrafe (Nr. 1), Folter oder unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Bestrafung (Nr. 2) oder eine ernsthafte individuelle Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit einer Zivilperson infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen bewaffneten Konflikts (Nr. 3).
Dem Kläger droht in Vietnam kein ernsthafter Schaden.
Es besteht insbesondere kein Anspruch auf subsidiären Schutz gemäß § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 AsylG. Zwar wird die Todesstrafe im hier einschlägigen Bereich der Betäubungsmittelkriminalität in Vietnam sowohl verhängt als auch vollstreckt (vgl. Australisches Außenministerium, Länderinformationsbericht vom 13. Dezember 2019, S. 36). Ausweislich der in das Verfahren eingeführten Auskunft des Auswärtigen Amtes vom 13. August 2020 würde der vietnamesische Staat auch von der Straftat und der Verurteilung des Klägers in Deutschland Kenntnis erlangen, sofern er im Rahmen des deutsch-vietnamesischen Rückführungsabkommens zurückgeführt wird. Im vorliegenden Fall erscheint aber bereits zweifelhaft, ob überhaupt die für die Verhängung der Todesstrafe erforderlichen Mengen an Betäubungsmitteln erreicht sind. Anders als noch in dem Beschluss im Eilverfahren (VG 2 L 285/19.A), in dem von 35.562,8 g Marihuana die Rede war, wird hier hinsichtlich des Tatvortrags unter Bezugnahme auf das Urteil des LG Duisburg (Bl. 51 d. Gerichtsakte) von einem konsumfähigen Anteil der Cannabispflanzen nach Trocknung von 12.710 g (12, 71 kg) ausgegangen. Die im Eilverfahren zu Grunde gelegte Menge bezieht sich auf eine andere in besagtem Strafurteil abgeurteilte Tat, an welcher der Kläger ausweislich der Urteilsgründe nicht beteiligt war (vgl. Bl. 44 d. Gerichtsakte). Laut einem vom Verwaltungsgericht Meiningen (Urteil vom 20. Dezember 2011 – 2 K 20200/10 ME) zitierten Gutachten zur Strafandrohung in Vietnam vom 27. April 2011 liegt die entsprechende Mindestmenge bei 75 kg Marihuana-Blätter, -Blüten und -Frucht und damit über den hier einschlägigen Mengen sowie denen, die dem Beschluss im Eilverfahren zu Grunde gelegt worden waren. In dem Urteil des Verwaltungsgerichts Greifswald vom 12. April 2018 (6 A 2059/17 As HGW – juris), auf das in dem stattgebenden Beschluss im Eilverfahren verwiesen wurde, ging es dagegen um den Handel mit 120 kg Marihuana.
Gegen die Gefahr der Verhängung oder Vollstreckung der Todesstrafe spricht hier aber jedenfalls der Grundsatz ne bis in idem (Verbot der Doppelbestrafung). Der Kläger hat die in Deutschland gegen ihn verhängte Freiheitsstrafe verbüßt. Dass das Verwaltungsgericht Greifswald in dem oben zitierten Urteil auf ein Gutachten vom 7. Oktober 2011 verwiesen hat, ausweislich dessen die Rechtskraft eine dem traditionellen vietnamesischen Verständnis fremde Denkkategorie sei, führt zu keinem anderen Ergebnis. Maßgeblich ist nach § 77 Abs. 1 Satz 1 2. Hs. AsylG der Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung. Seit einigen Jahren ist nämlich das Verbot der Doppelbestrafung in der Verfassung Vietnams, im Strafgesetzbuch sowie im Strafverfahrensgesetz enthalten (vgl. Auswärtiges Amt, Lagebericht Vietnam, Dezember 2019, S. 23). Personen, die im Ausland verurteilt worden sind und ihre Strafe verbüßt haben, wird in Vietnam laut dem dortigen Justizministerium nicht erneut der Prozess gemacht (vgl. Australisches Außenministerium, Länderinformationsbericht vom 13. Dezember 2019, S. 36). Ausweislich der oben zitierten Auskunft des Auswärtigen Amtes sind tatsächlich keine Fälle von Doppelbestrafungen bekannt geworden, auch nicht in anderen in Vietnam vertretenen EU-Botschaften. Selbst bei Zugrundelegung eines angesichts der Bedeutung des Rechtsguts Leben angepassten Maßstabs dahin, dass die Verhängung oder Vollstreckung der Todesstrafe mit überwiegender Wahrscheinlichkeit ausgeschlossen sein muss (für diesen Maßstab etwa VG Würzburg, Urteil vom 31. Oktober 2005 – W 6 K 05.30306 – juris, Rn. 22), droht dem Kläger ein ernsthafter Schaden durch eine Doppelbestrafung (mehr).
Dem Kläger droht ferner keine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Bestrafung im Sinne des § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 AsylG. Soweit der Kläger wegen seiner in Deutschland begangenen und abgeurteilten Straftat eine lange Haftstrafe unter menschenrechtswidrigen Bedingungen fürchtet, ist auf die Ausführungen zur Doppelbestrafung im Rahmen des § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 AsylG zu verweisen. Dass der Kläger Schulden hat, kann für sich genommen ebenfalls keinen subsidiären Schutz rechtfertigen. Er muss sich vielmehr grundsätzlich darauf verweisen lassen, dass es seinen Gläubigern frei steht, angesichts der Nichterfüllung seiner Zahlungspflichten den Zivilrechtsweg zu beschreiten und/oder Strafanzeige zu erstatten. Zwar finden sich in den eingeführten Erkenntnismitteln Hinweise auf Schwierigkeiten für Rückkehrer, die Kredite für ihre Ausreise aufgenommen haben und diese nicht zurückzahlen können (vgl. Australisches Außenministerium, Länderinformationsbericht vom 13. Dezember 2019, S. 44). Der Kläger hat seine Befürchtungen aber nicht näher substantiiert, sodass es an Anhaltspunkten für eine hinreichend wahrscheinliche Gefahr fehlt. Sollte ihm tatsächlich Gewalt durch einen nichtstaatlichen Akteur im Sinne von § 4 Abs.3 i. V. m. § 3c Nr. 3 AsylG drohen, ist der Kläger auf die Inanspruchnahme des Schutzes der entsprechenden Behörden zu verweisen.
Ein Anspruch auf subsidiären Schutz gemäß § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 AsylG vor dem Hintergrund der Coronavirus-Pandemie ist ebenfalls abzulehnen. Ein die Zuerkennung subsidiären Schutzes rechtfertigender Verstoß gegen Art. 3 EMRK liegt nur bei einer absichtlichen Verweigerung von angemessener medizinischer Versorgung im Zielstaat vor (vgl. EuGH, Urteil vom 24. April 2018 – C-353/16 – juris, Rn. 57 f.). Im vorliegenden Fall ist nicht ersichtlich, dass dem Kläger in Vietnam absichtlich eine medizinische Versorgung vorenthalten würde. Unabhängig davon, wie stark Vietnam von dem Coronavirus betroffen ist, fehlt es daher an der für Art. 3 EMRK erforderlichen Zielgerichtetheit (hierzu BVerwG, Urteil vom 17. Oktober 1995 – 9 C 15/95 – juris, Rn. 15). Bei der Pandemie handelt es sich vielmehr um eine Allgemeingefahr.
3. Der Asylantrag ist jedoch nicht offensichtlich unbegründet, so dass die angegriffenen Regelungen in Ziffern 2 und 3 des Bescheides insoweit aufzuheben sind (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).
Nach § 30 Abs. 1 AsylG ist ein Asylantrag als offensichtlich unbegründet abzulehnen, wenn die Voraussetzungen für die Zuerkennung des internationalen Schutzes und die Voraussetzungen für die Anerkennung als Asylberechtigter offensichtlich nicht vorliegen. Dies setzt voraus, dass an der Richtigkeit der tatsächlichen Feststellungen vernünftigerweise kein Zweifel bestehen kann und sich unter Zugrundelegung dieses Sachverhalts nach allgemein anerkannter Rechtsauffassung die Ablehnung des Asylantrags geradezu aufdrängt (vgl. BVerwG, Beschluss vom 1. März 1979 – 1 B 24/79 – juris, Rn. 16). Diese Anforderungen sind hier nicht erfüllt. Wie bereits im stattgebenden Eilbeschluss ausgeführt worden ist, sind in den vergangenen Jahren noch verschiedene Gerichte von einer Gefahr der Todesstrafe in Vietnam ungeachtet der Verurteilung in Deutschland ausgegangen, insbesondere bei Delikten im Bereich der Betäubungsmittelkriminalität. Geltung und Reichweite des Verbots der Doppelbestrafung in Vietnam haben Gerichte früher mehrfach zu Anfragen an die Deutsche Botschaft in Hanoi sowie zur Einholung von Gutachten veranlasst (siehe oben), sodass sich die Versagung internationalen Schutzes hier zumindest nicht aufdrängt. Dass der Kläger lediglich auf angebliche Verfolgungsmaßnahmen gegen andere Personen in vergleichbarer Situation verwiesen hat, anstatt individuelle Umstände vorzutragen, führt jedenfalls angesichts der Bedeutung des Rechtsguts Leben zu keiner anderen Bewertung.
4. Die Ablehnung der Feststellung von nationalen Abschiebungsverboten ist im nach § 77 Abs. 1 Satz 1 2. Hs. AsylG maßgeblichen Zeitpunkt rechtmäßig.
Gemäß § 60 Abs. 5 AufenthG darf ein Ausländer nicht abgeschoben werden, soweit sich aus der Anwendung der Konvention vom 4. November 1950 zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten ergibt, dass die Abschiebung unzulässig ist. Prüfungsmaßstab sind alle zielstaatsbezogenen Verbürgungen dieser Konvention (BVerwG, Urteil vom 31. Januar 2013 – 10 C 15.12 – juris, Rn. 35).
Wie bereits im Zusammenhang mit § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 AsylG erörtert, bestehen keine Anhaltspunkte dafür, dass dem Kläger in Vietnam die Verhängung oder Vollstreckung der Todesstrafe droht. Soweit eine Abschiebung im Einzelfall wegen schlechter humanitärer Bedingungen im Aufnahmestaat eine Verletzung von Art. 3 EMRK darstellen kann, führt dies im vorliegenden Fall zu keinem anderen Ergebnis.
Vietnam belegte im Human Development Index 2018 Platz 116 (Auswärtiges Amt, Lagebericht Vietnam, Dezember 2019, S. 21). Zwar ist der Lebensstandard insbesondere in den ländlichen Regionen Vietnams weiterhin niedrig; bei der Armutsbekämpfung konnten in den vergangenen Jahren aber beträchtliche Fortschritte erzielt werden (BFA Österreich, Vietnam, Januar 2019, S. 39). Das Angebot an Grundnahrungsmitteln ist gesichert (Auswärtiges Amt, Lagebericht Vietnam, Dezember 2019, S. 21). Es gibt einen regional variierenden Mindestlohn (vgl. Australisches Außenministerium, Länderinformationsbericht vom 13. Dezember 2019, S. 10), allerdings arbeiten viele Vietnamesen im informellen Sektor (Bertelsmann-Stiftung, Länderbericht vom 1. Januar 2020, S. 19).
Vor diesem Hintergrund ist zu erwarten, dass der Kläger in Vietnam in der Lage sein wird, seine Existenz zu sichern. Als gesunder Mann Anfang 40 ist er arbeitsfähig; zudem hat er die Schule mit Abitur abgeschlossen und in der Vergangenheit als Fischer gearbeitet. Zu den zumutbaren Arbeiten gehören dabei auch Tätigkeiten, für die es keine Nachfrage auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt gibt und die nicht überkommenen Berufsbildern entsprechen, etwa weil sie keinerlei besondere Fähigkeiten erfordern, und die nur zeitweise, etwa zur Deckung eines kurzfristigen Bedarfs, ausgeübt werden (vgl. BVerwG, Urteil vom 1. Februar 2007 – 1 C 24.06 – juris, Rn. 11; BVerwG, Beschluss vom 13. Juli 2017 – 1 VR 3.17 – juris, Rn. 119). Der Kläger kann demnach auch auf eine Tätigkeit im informellen Sektor verwiesen werden. Schließlich hat der Kläger noch seine Mutter, eine Schwester sowie Großfamilie in Vietnam, auf deren Unterstützung er gegebenenfalls zurückgreifen kann.
Auch im Übrigen liegen keine Abschiebungsverbote vor.
Gemäß § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG soll von der Abschiebung eines Ausländers in einen anderen Staat abgesehen werden, wenn dort für den Ausländer eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit besteht. Dies ist der Fall, wenn dieser in seinem Herkunftsstaat mit hoher Wahrscheinlichkeit einer extremen Gefahrenlage ausgesetzt wäre (BVerwG, Urteil vom 31. Januar 2013 – 10 C 15.12 – juris, Rn. 38). Eine solche wäre etwa anzunehmen, wenn der Ausländer mangels jeglicher Lebensgrundlage dem baldigen sicheren Hungertod ausgeliefert werden würde (BVerwG, Urteil vom 29. Juni 2010 – 10 C 10.09 – juris, Rn. 15). Eine derartige Extremgefahr ist für Vietnam derzeit nicht ersichtlich.
Eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit im Sinne von § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG ergibt sich auch nicht vor dem Hintergrund der Coronavirus-Pandemie. Unabhängig davon, dass diese die Bevölkerung insgesamt trifft, ist Vietnam hiervon nicht besonders stark betroffen (vgl. BAMF, Länderinformation Vietnam, Gesundheitssystem und Covid-19-Pandemie, November 2020, S. 3 ff.; siehe auch die aktuellen Zahlen der WHO, Coronavirus Disease Dashboard, https://covid19.who.int/table, letzter Abruf 3. Mai 2021). Zum nach § 77 Abs. 1 Satz 1 2. Hs. AsylG maßgeblichen Zeitpunkt ist aufgrund der eingeführten Erkenntnismittel sowie der tagesaktuellen Informationen daher nichts für eine stark erhöhte Wahrscheinlichkeit einer Coronavirus-Infektion in Vietnam ersichtlich.
II. Die im Übrigen erhobene Anfechtungsklage ist unbegründet. Die angegriffenen Regelungen des Bescheides sind zum Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung (vgl. § 77 Abs. 1 Satz 1 2. Hs. AsylG) rechtmäßig und verletzen den Kläger nicht in seinen Rechten, § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO.
1. Rechtsgrundlage der Abschiebungsandrohung ist § 34 AsylG i. V. m. § 59 AufenthG. Zwar ist die Ablehnung als offensichtlich unbegründet hier rechtswidrig (siehe oben). Zudem dürfte der ursprüngliche Wortlaut von Ziffer 5 des Bescheides gegen die „Gnandi“-Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes (vgl. EuGH, Urteil vom 19. Juni 2018 – C-181/16 – juris; im Anschluss hieran BVerwG, Urteil vom 20. Februar 2020 – 1 C 1/19 – juris) verstoßen haben. Die Beklagte hat allerdings die in Ziffer 5 des Bescheides enthaltene Aufforderung, die Bundesrepublik Deutschland innerhalb einer Woche nach Bekanntgabe des Bescheides zu verlassen, dahin abgeändert hat, dass der Kläger aufgefordert wird, die Bundesrepublik Deutschland innerhalb einer Woche nach Bekanntgabe der Ablehnung des Antrags nach § 80 Abs. 5 VwGO zu verlassen, wobei hier zusätzlich dem Eilantrag aus den oben genannten Gründen stattgegeben worden ist. Die Ausreisefrist beträgt aufgrund des stattgebenden Beschlusses im Eilverfahren gemäß § 37 Abs. 2 AsylG 30 Tage nach dem unanfechtbaren Abschluss des Asylverfahrens. Dies wiederum steht mit der Rechtsprechung des EuGH im Einklang. Gegen die für den Fall der Nichteinhaltung der Ausreisefrist angedrohte Abschiebung in die Sozialistische Republik Vietnam bestehen ebenfalls keine Bedenken.
2. Rechtmäßig ist schließlich auch das auf 30 Monate ab dem Tag der Abschiebung befristete Einreise- und Aufenthaltsverbot gemäß § 11 Abs. 1 AufenthG in Ziffer 6 des Bescheides.
Gemäß § 75 Nr. 12 AufenthG hat das Bundesamt die Aufgabe der Anordnung eines Einreise- und Aufenthaltsverbots im Fall der Abschiebungsandrohung nach § 34 AsylG. Nach § 11 Abs. 1 AufenthG ist gegen einen Ausländer, der ausgewiesen, zurückgeschoben oder abgeschoben worden ist, ein Einreise- und Aufenthaltsverbot zu erlassen. Gemäß § 11 Abs. 2 Satz 3 AufenthG ist dieses von Amts wegen zu befristen, wobei die Frist nach Satz 4 mit der Ausreise beginnt. Nach § 11 Abs. 3 Satz 1 AufenthG wird über die Länge der Frist nach Ermessen entschieden, gemäß Satz 2 darf sie allerdings fünf Jahre grundsätzlich nicht überschreiten.
Die behördliche Ermessensentscheidung erfordert nach § 11 Abs. 3 Satz 1 AufenthG im Fall eines abschiebungsbedingten Einreise- und Aufenthaltsverbots eine sachgerechte Abwägung zwischen dem öffentlichen Interesse, den Ausländer eine gewisse Zeit vom Bundesgebiet fernzuhalten, und dem privaten Interesse des Ausländers an einer baldigen Wiedereinreise und einem erneuten Aufenthalt in Deutschland (vgl. VGH München, Beschluss vom 6. April 2017 – 11 ZB 17.30317 – juris, Rn. 12). In diese Abwägung sind die persönlichen Belange des Ausländers umfassend einzustellen, soweit sie der zur Entscheidung berufenen Behörde bekannt geworden sind und Einfluss darauf haben können, wie schwer den Ausländer das Einreise- und Aufenthaltsverbot im konkreten Einzelfall trifft.
Ermessensfehler im Sinne von § 114 Abs. 1 Satz 1 VwGO sind hier nicht erkennbar. Es ist insbesondere nicht zu beanstanden, wenn das Bundesamt sich in Fällen, in denen – wie hier – keine nach § 11 Abs. 1 AufenthG zu berücksichtigenden individuellen Gründe vorgebracht werden oder ersichtlich sind, generell aus Gründen der Gleichbehandlung für eine Frist von 30 Monaten entscheidet und damit das in § 11 Abs. 3 Satz 2 AufenthG festgelegte Höchstmaß zur Hälfte ausschöpft (BayVGH, Urteil vom 14. November 2019 – 13a B 19.31153 – juris, Rn. 64). Wie das Bundesamt zutreffend feststellt, verfügt der Kläger über keine wesentlichen Bindungen im Bundesgebiet, da die beiden Geschwister nicht zur Kernfamilie zählen. Es bestehen ferner keine Anhaltspunkte für andere schutzwürdige persönliche Belange, wie etwa eine im Inland begonnene oder abgeschlossene Ausbildung (vgl. hierzu OVG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 6. Juli 2020 – OVG 3 B 2/20 – juris, Rn. 37), sodass dem privaten Interesse des Klägers an einer baldigen Wiedereinreise und einem erneuten Aufenthalt in Deutschland weniger Gewicht beizumessen ist.
III. Die Kostenentscheidung beruht auf § 155 Abs. 1 Satz 1 VwGO. Da dem Bleibeinteresse des Klägers nicht entsprochen wird, ist ihm der weit überwiegende Teil der Kosten aufzuerlegen. Die Aufhebung der Offensichtlichkeitsentscheidung ist mit 1/10 in Ansatz zu bringen. Gerichtskosten werden gemäß § 83b AsylG nicht erhoben.
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 167 VwGO i. V. m. §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.