Gericht | FG Berlin-Brandenburg 7. Senat | Entscheidungsdatum | 22.03.2021 | |
---|---|---|---|---|
Aktenzeichen | 7 K 7208/19 | ECLI | ECLI:DE:FGBEBB:2021:0322.7K7208.19.00 | |
Dokumententyp | Urteil | Verfahrensgang | - | |
Normen |
Die Klage wird abgewiesen.
Die Kosten des Verfahrens werden der Klägerin auferlegt.
Die Beteiligten streiten darum, ob der Klägerin die Umsatzsteuer und die Zinsen für die Jahre 2010, 2011 und 2012 zu erlassen sind.
Die Klägerin ist eine Gesellschaft mit beschränkter Haftung –GmbH–, vertreten durch die Geschäftsführer B… und C…. Sie wurde mit Gesellschaftsvertrag vom 22.09.2009 gegründet. Ihren Geschäftsbetrieb nahm sie im Wesentlichen durch Einbringung des im Jahr 2003 gegründeten Einzelunternehmens „D…“ zum 01.01.2010 auf. Gegenstand des Unternehmens ist u. a. die Vermittlung von Dienstleistungen von Telekommunikationsanbietern, die Vermittlung von Telekommunikationskarten und der Handel mit Telekommunikationsgeräten.
22.09.2009 bis 29.07.2010 – Geschäftsanteile insgesamt 25.000,00 €
Herr B…: 25.000,00 € (100 %)
30.07.2010 bis 20.07.2011 – Geschäftsanteile insgesamt 25.500,00 €
Herr B…: 20.500,00 € (80,4 %)
Herr C…: 5.000,00 € (19,6%)
21.07.2011 bis 24.08.2011 – Geschäftsanteile insgesamt 40.200,00 €
Herr B…: 20.500,00 € (51 %)
Herr C…: 19.700,00 € (49 %)
ab 25.08.2011
Firma E… GmbH: 20.500,00 € (51 %) – Anteilseigner zu 100 % Herr B…
Firma F… GmbH: 19.700,00 € (49 %) – Anteilseigner zu 100 % Herr C…
Gemäß der Jahresabschlüsse 2013 bis 2018 erzielte die Klägerin folgende Gewinne und tätigte folgende Gewinnausschüttungen:
Jahr | Gewinn | Ausschüttungen |
2013 | 455.634,30 € | 300.000,00 € |
2014 | 567.685,90 € | 344.635,70 € |
2015 | 823.999,93 € | 776.949,80 € |
2016 | 754.407,11 € | 47.050,13 € |
2017 | 1.271.059,44 € | 695.592,89 € |
2018 | 1.236.889,38 € | 854.533,45 € |
Gesamt | 5.109.676,06 € | 3.018.761,97 € |
Laut der Betriebswirtschaftlichen Auswertung –BWA– zum 31.10.2019 lag zu diesem Zeitpunkt ein Betriebsergebnis in Höhe von 864.434,46 € vor. Aus der BWA zum 31.12.2019 ergibt sich ein vorläufiges Betriebsergebnis in Höhe von -806.699,34 €. Das Konto 2285 (Steuernachzahlungen VJ so. St.) weist Aufwand in Höhe von 2.616.085,47 € und das Konto 2289 (Ert. Aufl. Rück. so. St). weist Erträge in Höhe von 1.000.000,00 € aus.
Der Kontostand der E… GmbH betrug zum 09.12.2019 7.152,84 € und der der F… GmbH betrug zum 09.12.2019 4.421,05 €.
Die F… GmbH erzielte in den Jahren 2013 bis 2018 folgende Gewinne und Erträge aus der Beteiligung an der Klägerin und tätigte folgende Gewinnausschüttungen:
Jahr | Gewinn | Ausschüttungen | Erträge aus der Bet. an der Klägerin |
2013 | 480.039,62 € | 490.356,02 € | |
2014 | 239.978,30 € | 245.000,00 € | |
2015 | 483.859,37 € | 490.000,00 € | |
2016 | 54.426,46 € | 23.054,56 € | |
2017 | 750.174,70 € | 50.000,00 € | 710.500,00 € |
2018 | 768.121,07 € | 700.700,00 € | |
Gesamt | 2.776.599,52 € | 50.000,00 € | 2.659.610,58 € |
Die Erträge aus der Beteiligung umfassen die Ausschüttung aus dem Gewinn des vorherigen Geschäftsjahres und eine Vorabausschüttung für das jeweilige Geschäftsjahr.
Aus dem Jahresabschluss der F… GmbH zum 31.12.2018 ergibt sich, dass ein Teil der Grundstücke in G… unbelastet ist (H…-straße, I…-straße, J…-straße, K…-straße).
Aus der BWA der F… GmbH zum 31.12.2019 ergibt sich ein vorläufiges Ergebnis in Höhe von 82.730,89 €.
Die E… GmbH erzielte in den Jahren 2013 bis 2018 folgende Gewinne und Erträge aus der Beteiligung an der Klägerin:
Jahr | Gewinn | Erträge aus der Bet. an der Klägerin |
2013 | 463.851,00 € | 510.370,55 € |
2014 | 253.07,80 € | 255.000,00 € |
2015 | 513.445,61 € | 510.000,00 € |
2016 | -454.077,71 € | 23.995,57 € |
2017 | 1.013.896,03 € | 739.500,00 € |
2018 | 640.780,54 € | 729.300,00 € |
Gesamt | 2.177.895,47 € | 2.768.166,12 € |
Ausschüttungen erfolgten nicht. Der Erträge aus der Beteiligung umfassen die Ausschüttung aus dem Gewinn des vorherigen Geschäftsjahres und eine Vorabausschüttung für das jeweilige Geschäftsjahr.
Aus dem Jahresabschluss der E… GmbH zum 31.12.2018 ergibt sich, dass ein Teil der Grundstücke in G… unbelastet ist (L…-straße, M…-straße, N…-straße, O…-straße).
Aus der BWA der E… GmbH zum 31.12.2019 ergibt sich ein vorläufiges Ergebnis in Höhe von 38.251,83 €.
Die F… GmbH und die E… GmbH halten die Anteile an der Klägerin und einer weiteren Gesellschaft, kaufen und verwalten Immobilien.
Aus der Darstellung der wirtschaftlichen Verhältnisse der Klägerin zum 11.09.2019 (Bl. 36, 37 der Rechtsbehelfsakt –Rb–) ergeben sich monatliche Einnahmen in Höhe von
11.708.373,00 € und Ausgaben in Höhe von 11.607.728,00 €. Weiterhin ergeben sich zum 31.12.2018 Vermögenswerte in Höhe von 6.076.649,00 € und Verbindlichkeiten in Höhe von 5.608.452,00 €.
Die Klägerin tätigt unterschiedliche Geschäfte im Zusammenhang mit dem Vertrieb von Telefonkarten. Im Hinblick auf den hier streitgegenständlichen Vertrieb von Prepaid-Callingkarten unterhielt die Klägerin Geschäftsbeziehungen zu mehreren Kartenanbietern. Zu den Einzelheiten der Geschäftstätigkeit wird auf den Tatbestand des Urteils des hiesigen Senats vom 19.06.2019 Bl. 4 bis 8 verwiesen (Az. 7 K 5277/16).
Im Rahmen einer Außenprüfung bei dem Einzelunternehmen D… wurde eine verbindliche Zusage gemäß § 204 Abgabenordnung –AO– zu der umsatzsteuerlichen Behandlung der Umsätze mit Callingkarten der P… Ltd. beantragt.
Mit Datum vom 15.07.2009 erteilte das seinerzeit für B… zuständige Finanzamt Q… eine verbindliche Zusage. Danach erbringt die P… Ltd. im Hinblick auf den Vertrieb der Prepaid-Callingkarten Telekommunikationsleistungen an das Einzelunternehmen D…. Dieses wiederum erbringt ebenfalls Telekommunikationsleistungen an seine Kunden. Mangels einer bundeseinheitlichen Regelung in Bezug auf die umsatzsteuerliche Behandlung von Umsätzen mit Callingkarten wurde dem Einzelunternehmen D… zugesichert, dass die bis zum 31.12.2009 erzielten Umsätze mit Callingkarten der P… Ltd. als Vermittlungsleistungen behandelt werden, wenn auf den Callingkarten nur die Firma P… Ltd. oder ein anderes drittes Unternehmen (Werbeträger) namentlich angegeben war. Eine Vermittlungsleistung auf dem Gebiet der Telekommunikation an einen unternehmerisch tätigen Leistungsempfänger werde nach § 3a Abs. 3 i. V. m. § 3a Abs. 4 Nr. 10 Umsatzsteuergesetz –UStG– an dem Ort ausgeführt, von dem aus der Leistungsempfänger sein Unternehmen betreibt (vorliegend: Irland) und sei daher im Inland nicht steuerbar und steuerpflichtig.
Ab diesem Zeitpunkt erbrachte Leistungen des B… in Bezug auf Callingkarten der P… Ltd. sollten aber explizit als Leistungen auf dem Gebiet der Telekommunikation i.S.d. § 3a Abs. 4 Nr. 12 UStG behandelt werden und damit insgesamt steuerpflichtig sein.
In den Umsatzsteuererklärungen für die Jahre 2010 bis 2012 machte die Klägerin folgende Angaben:
2010
2011
2012
Umsätze 19 %
2.081.220,00 €
3.593.535,00 €
4.405.243,00 €
nicht steuerbare Umsätze
21.416.636,00 €
steuerfreie Umsätze ohne VSt-Abzg.
31.943.415,00 €
42.614.202,00 €
Vorsteuern
377.644,62 €
581.387,95 €
720.669,68 €
Als umsatzsteuerpflichtig zum Regelsteuersatz erfasste die Klägerin nur die in den Eingangsrechnungen/Gutschriften ihrer Kartenlieferanten abgezogenen „Provisionen“. Die in ihren Ausgangsrechnungen/Gutschriften an ihre Kartenabnehmer ausgewiesenen Umsatzsteuerbeträge auf die dort genannten „Provisionen“ zog sie als Vorsteuern ab.
In der erklärten Position „nicht steuerbare Auslandsumsätze“ ist ein Teilbetrag i. H. v. 5.774.021,75 € für 2010, 4.884.660,00 € für 2011 und 3.695.508,99 € für 2012 aus dem Vertrieb von Callingkarten enthalten (entsprechend den Nennwerten der an ihre Kunden abgegebenen Callingkarten, Bl. 68 der Rechtsbehlfsakte USt 2010 –RbA 2010–; S. 11 des Berichts über die Außenprüfung der Jahre 2009 bis 2012, nicht paginierte Akte Betriebsprüfungsberichte –BpA–).
Der Umsatzsteuererklärung 2010 stimmte das seinerzeit für die Klägerin zuständige Finanzamt R… –FA R…– nicht zu und führte ab dem 06.12.2011 eine Umsatzsteuersonderprüfung für dieses Jahr durch. Der Prüfer vertrat mit dem Hinweis auf das Urteil des Gerichtshofs der Europäischen Union –EuGH– vom 03.05.2012 (C-520/10 – Lebara, Bundessteuerblatt –BStBl.– II 2012, 755) die Auffassung, dass die Klägerin im Hinblick auf den Vertrieb von Callingkarten Telekommunikationsdienstleistungen erbringe und nicht nur bloße Vermittlungsleistungen. Auf Grundlage der vorliegenden Unterlagen sei der als „Provision“ in den Ausgangsrechnungen der Klägerin abgezogene Betrag auf durchschnittlich 15% zu schätzen. Entsprechend seien die als nicht steuerbar erklärten, auf Callingkartenverkäufe entfallenden 5.774.021,75 € um 15% auf 4.907.918,49 € zu vermindern. Aus diesem Betrag seien 19% Umsatzsteuer = 783.617,24 € herauszurechnen, um die die erklärte Umsatzsteuer 2010 zu erhöhen sei. Außerdem sei der Vorsteuerabzug insoweit zu versagen, als die Klägerin in ihren Ausgangsrechnungen Gutschriften für angebliche Vermittlungsleistungen ihrer Abnehmer mit Vorsteuerausweis erteilt habe (138.285,39 €, nach Abzug darin enthaltener Beträge, bei denen der Vorsteuerabzug auch aus formalen Gründen ausscheidet noch 135.993,67 €, die Berechnung im Prüfungsbericht ist als solche unstreitig). Außerdem seien (soweit unstreitig) aus anderen Gründen die erklärten Vorsteuern um weitere (kleinere) Beträge zu vermindern.
In der Schlussbesprechung konnte keine Annährung der Rechtsauffassungen erzielt werden. Daher erfolgte die Umsetzung in dem Prüfungsbericht vom 12.07.2013.
Die Klägerin stellte im Mai 2013 einen Antrag auf abweichende Festsetzung der Umsatzsteuer 2010 aus Billigkeitsgründen. Diesen Antrag lehnte das FA R… am 05.08.2013 ab. Hiergegen wandte sich die Klägerin mit einem Einspruch.
Das FA R… folgte den Feststellungen des Prüfers und erließ am 21.08.2013 den Bescheid über die Umsatzsteuer für 2010, mit dem es diese auf 946.669,94 € festsetzte.
Hiergegen legte die Klägerin Einspruch ein. Zur Begründung verwies sie auf die verbindliche Zusage und die Tatsache, dass in den vorangegangenen Prüfungen bei dem Einzelunternehmen des Herrn B… die Geschäfte mit inländischen Kartenhändlern explizit nicht beanstandet worden seien.
Mit Einspruchsentscheidung vom 02.12.2013 wies das FA R… die Einsprüche gegen die Bescheide vom 05.08.2013 und 21.08.2013 als unbegründet zurück.
Der am 20.12.2013 erhobenen Klage gegen den Umsatzsteuerbescheid 2010 vom 21.08.2013 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 02.12.2013 gab das hiesige Gericht statt und setzte die Umsatzsteuer antragsgemäß herab (Az. 5 K 5381/13). Die Revision wurde nicht zugelassen. Daraufhin legte das FA R… Nichtzulassungsbeschwerde ein. Der Bundesfinanzhof –BFH– ließ die Revision zu und hob mit Urteil vom 10.08.2016 (Az. V R 4/16, BStBl. II 2017, 135) das Urteil auf und verwies die Sache zurück.
Im Anschluss an die Außenprüfung für die Jahre 2010 bis 2012 erließ der seit dem 01.01.2016 zuständige Beklagte am 27.08.2018 aus nicht streitigen Gründen einen geänderten Umsatzsteuerbescheid für 2010. Weiterhin setzte er die Umsatzsteuer für die Jahre 2011 und 2012 auf Grund des Schreibens des Bundesministeriums der Finanzen –BMF-Schreibens– vom 24.09.2012 (IV D 2 – S 7100/08/1004, BStBl. I 2012, 947) und der o. a. EuGH-Rechtsprechung abweichend von den bisher auf der Grundlage der übermittelten Umsatzsteuerjahreserklärungen bestehenden Festsetzungen geändert mit Bescheiden vom 27.08.2018 fest. Die Umsatzsteuer und die Nebenleistungen für die Streitjahre wurden wie folgt ermittelt:
2010 | 2011 | 2012 | |
Umsatzsteuer | 947.100,94 € | 913.660,07 € | 726.541,63 € |
Zinsen | 74.380,00 € | 259.920,00 € | 158.652,00 € |
Bereits gezahlt | 18.786,38 € | 101.383,70 € | 116.323,07 € |
Vollziehung ausgesetzt | 927.883,56 € | ||
Noch zu zahlen | 431,00 € | 812.276,37 € | 610.218,56 € |
Entsprechend des Berichts über die Umsatzsteuersonderprüfung 2010 wurden für die Jahre 2011 und 2012 die steuerpflichtigen Umsätze aufgrund der auf die Callingkarten entfallenden Umsätze wie folgt erhöht und die Vorsteuer niedriger festgesetzt. Zur Ermittlung der für die Callingkarten erhaltenen Zahlungen (Nennwert abzüglich Provision) wurde von einem durchschnittlichen, beim Verkauf der Callingkarten von der Klägerin gewährten Abschlag von 18 % ausgegangen und daraus der Nettowert ermittelt:
2011
2012
Erhöhung Umsätze 19 %
3.365.900,00 €
2.546.485,00 €
Umsatzsteuer
639.521,00 €
483.832,15 €
Kürzung Vorsteuerabzug
163.597,56 €
124.144,40 €
Gesamtdifferenz
803.118,56 €
607.976,55 €
Mit Wertstellung vom 02.10.2018 tilgte die Klägerin den im Umsatzsteuerbescheid für 2010 in Höhe von 431,00 € ausgewiesenen Steuerbetrag.
Gegen die Umsatzsteuerbescheide für 2011 und 2012 legte die Klägerin Einspruch ein. Das Einspruchsverfahren ruhte gemäß § 363 Abs. 2 Satz 1 AO bis zur rechtskräftigen Entscheidung in dem die Umsatzsteuer 2010 betreffenden Rechtsstreit.
Im Rahmen des zweiten Rechtszuges vor dem hiesigen Finanzgericht –FG– (siehe hierzu Verfahren zum Az. 7 K 5277/16) stellte die Klägerin klar, dass sie ihren noch im ersten Rechtszug gestellten Hilfsantrag auf abweichenden Steuerfestsetzung aus Billigkeitsgründen gemäß § 163 Abs. 1 AO im zweiten Rechtszug nicht mehr verfolge. Demnach beantragte die Klägerin nur noch die Herabsetzung aus umsatzsteuerrechtlichen Gründen.
Mit Urteil vom 19.06.2019 setzte der hiesige Senat die Umsatzsteuer 2010 um 57.439,02 € niedriger fest und wies die Klage im Übrigen ab (Az. 7 K 5277/16). Das Verfahren betreffend der Zinsen 2010 wurde abgetrennt und unter dem Aktenzeichen 7 K 7111/19 mit Urteil vom 14.08.2019 abgewiesen. Die Revision wurde in beiden Urteilen nicht zugelassen. Hiergegen erhob die Klägerin jeweils Nichtzulassungsbeschwerde, die mit Beschlüssen vom 15.07.2020 (Az. BFH V B 67/19 zum Verfahren mit dem Az. 7 K 5277/16) und vom 14.08.2019 (Az. BFH V B 91/19 zum Verfahren mit dem Az. 7 K 7111/19) als unbegründet zurückgewiesen wurde.
Unter dem 22.07.2019 stellte die Klägerin einen Antrag auf Erlass der Umsatzsteuer nebst Zinsen für die Veranlagungszeiträume 2010, 2011 und 2012 aus sachlichen Billigkeitsgründen gemäß § 176 Abs. 2 AO und § 227 AO. Die Klägerin legte unter anderem dar, dass Zugunsten der Klägerin zu berücksichtigen sei, dass das von ihr in concreto praktizierte Geschäftsmodell bezüglich der Callingkarten in der Vergangenheit im Rahmen von Betriebsprüfungen und im Rahmen von Umsatzsteuer-Sonderprüfungen anstandslos als Vermittlungsgeschäft anerkannt worden sei.
Der Beklagte lehnte den Antrag ab. Die Klägerin legte am 06.09.2019 Einspruch ein, den der Beklagte mit Einspruchsentscheidung vom 13.11.2019, auf deren Gründe wegen der Einzelheiten Bezug genommen wird, zurückwies.
Mit Datum vom 17.09.2019 stellte die Klägerin noch vorsorglich einen Antrag auf Erlass aus persönlichen Billigkeitsgründen.
Der Beklagte forderte die Klägerin auf mitzuteilen, in welcher Höhe Gewinnausschüttungen in den Jahren 2018 und 2019 vorgenommen worden seien und inwiefern sie sich um die Gewährung von Darlehen zur Begleichung der Steuerschulden bemüht habe.
Hierauf antwortete die Klägerin, dass aufgrund der Höhe der Forderung keine Bank zur Finanzierung bereit gewesen sei.
Der am 07.11.2019 beim hiesigen Finanzgericht gestellten Antrag auf einstweilige Anordnung gemäß § 114 Abs. 1 Satz 1 Finanzgerichtsordnung –FGO– wurde am 24.08.2020 unter dem Aktenzeichen 7 V 7202/19 als unbegründet zurückgewiesen.
Die Klägerin hat am 27.11.2019 Klage erhoben.
Die Klägerin trägt vor, dass sie einen Anspruch auf Erlass der streitgegenständlichen Umsatzsteuer und der Zinsen aus sachlichen Billigkeitsgründen habe. Der Beklagte habe mit dem BMF-Schreiben vom 03.12.2001 einen Vertrauenstatbestand geschaffen, auf dessen Einhaltung die Klägerin nach dem Grundsatz von Treu und Glauben habe vertrauen dürfen. Sie habe demnach davon ausgehen können, dass Händler wie sie nur Vermittlungsleistungen erbringen würden. Der Vertrauenstatbestand habe sich zudem in den ergangenen Übergangsregelungen im BMF-Schreiben vom 24.09.2012 und auch in einer Verfügung der Oberfinanzdirektion –OFD- Niedersachsen vom 19.02.2016 manifestiert. So heiße es dort, dass für vor dem 01.01.2013 entgeltlich abgegebene Einzweckguthabenkarten nicht beanstandet werde, wenn der Händler seine Tätigkeit entsprechend der bis zum Ergehen des BMF-Schreibens vom 24.09.2012 vertretenen Verwaltungsauffassung als Vermittlungsleistungen behandele.
Das BMF-Schreiben vom 03.12.2001 sei auch auf Einzweckguthabenkarten anzuwenden. Dies ergebe sich schon aus den Übergangsregelungen der bestehenden Nichtbeanstandungsregelungen für Einzweckguthabenkarten. Die Klägerin habe nicht damit rechnen müssen, dass die Übergangsregelungen missachtet würden.
Der Beklagte habe gegen den allgemeinen Grundsatz des Vertrauensschutzes verstoßen, da er weder die Übergangsregelungen beachtet, noch die einzig verbliebene vertrauensschützende Einzelmaßnahme des Billigkeitserlasses ausgeübt habe. Der Beklagte habe seiner Entscheidung rückwirkend die Rechtsauffassung zugrunde gelegt, die erst viel
später durch den EuGH (Urteil vom 03.05.2012 – C-520/10, BStBl. II 2012, 755) und im Folgenden vom BFH (Urteil vom 10.08.2016 – V R 4/16, BStBl. II 2017, 135) vertreten worden sei.
Weder die verbindliche Zusage vom 15.09.2009 noch die vom Beklagten nach dem ersten Rechtszug eingereichte Nichtzulassungsbeschwerde hätten dazu geführt, dass die Klägerin ihre Schutzwürdigkeit verloren habe. Im ersten Fall sei es um das Vertrauen in die Behandlung des Sachverhalts durch das örtlich zuständige Finanzamt und nicht um das weitereichende Vertrauen in das objektiv richtige Verwaltungshandeln gegangen.
Das Ermessen der Finanzverwaltung sei in einem solchen Fall auf Null reduziert. Aus diesem Grund könne das Finanzgericht seine Entscheidung an die Stelle der Ermessensentscheidung der Verwaltungsbehörde setzen und eine Verpflichtung zum Erlass aussprechen. Sie sei aufgrund der Ablehnung des Erlasses schutzlos gestellt, da dieser die letztmögliche Einzelmaßnahme sei, die dem rechtsstaatlich gebotenen Vertrauensschutz Rechnung tragen könne.
Die Klägerin habe auch nicht durch ihr Handeln vorgespiegelt, dass sie und nicht der Vertretene die Leistung erbringe. Der Beklagte trage die objektive Feststellungslast und hätte gemäß den Kriterien des BMF-Schreibens vom 03.12.2001 nachweisen müssen, dass der Händler (die Klägerin) in Wirklichkeit ein Service-Provider sei und Telekommunikationsleistungen erbringe. Das BMF-Schreiben gehe zudem davon aus, dass die Klägerin als Händlerin selbst keine Telekommunikationsleistungen erbringe.
Auch aus Sicht des Erwerbers sei die Klägerin lediglich Vermittlerin. Der Erwerber erwarte die Telekommunikationsleistung von dem Betreiber der Plattform und nicht von der Klägerin. Die Plattformbetreiber seien namentlich auf den Karten genannt und für den Kunden eindeutig identifizierbar gewesen. Aus Sicht des Kunden sei bei auftretenden technischen Problemen zudem ebenfalls der Provider der Ansprechpartner.
Hilfsweise trägt die Klägerin vor, dass auch persönliche Billigkeitsgründe vorlägen. Sie sei erlassbedürftig, da ihr die volle steuerliche Belastung nicht zugemutet werden könne, da sonst die wirtschaftliche oder persönliche Existenz gefährdet sei. Dies ergebe sich aus den vorgelegten Jahresabschlüssen.
Es liege auch Erlasswürdigkeit vor, da es keine Anhaltspunkte dafür gebe, dass die Klägerin ihre mangelnde Leistungsfähigkeit selbst herbeigeführt habe oder durch ihr Verhalten in eindeutiger Weise gegen die Interessen der Allgemeinheit verstoßen habe.
Auch der Vortrag des Beklagten, dass die Klägerin ihre Vermögenssituation durch Gewinnausschüttungen in 2017 und 2018 herbeigeführt habe, stelle keine dezidierte Betrachtung der finanziellen und wirtschaftlichen Lage der Klägerin dar. Eine nach pflichtgemäßem Ermessen getroffene Entscheidung über die Gewinnverwendung könne naturgemäß nicht die Erlasswürdigkeit entfallen lassen. Eine Vermögensvorsorge, in welcher die Gesellschafter ausgehungert würden, sei unbillig.
Es sei auch eine an der Wahrscheinlichkeit eines positiven Prozessausgangs orientierte Rückstellung für ungewisse Steuerverbindlichkeiten eingestellt worden. Hierbei sei die Klägerin davon ausgegangen, dass das Finanzgericht zu denselben Ergebnissen komme wie in der Entscheidung vom 15.01.2015.
Die Klägerin habe zudem nicht damit rechnen müssen, dass das Finanzgericht entgegen der Ladenrechtsprechung bei der Abgrenzungsfrage von Eigen- und Fremdgeschäft auf die Sicht eines alleswissenden Dritten abstellen würde. Maßgeblich für die Prognose einer gerichtlichen Entscheidung sei die Frage, welche Entscheidung sich auf die besseren Argumente stützen könne. Auf dieser Grundlage sei die zurückverweisende Entscheidung analysiert und im Ergebnis davon ausgegangen worden, dass eine Klagestattgabe sehr wahrscheinlich sei. Unter diesen Umständen sei eine Ausschüttung in Betracht gezogen worden. Es seien unter Einhaltung des Vorsichtsprinzips und der Kapitalerhaltungsgrundsätze alle Vorkehrungsmaßnahmen getroffen worden.
Auch die Aufnahme eines Darlehens in Höhe der Steuerverbindlichkeit hätte faktisch zu einer wirtschaftlichen Existenzvernichtung geführt.
In der Verhandlung hat die Klägerin vorgetragen, dass in vier Prüfungen bei dem Einzelunternehmen D… die steuerliche Erfassung der Umsätze mit Callingkarten nach dem Vermittlungsmodell anerkannt worden sei. Die verbindliche Auskunft sei nur erteilt worden, weil bei den Karten der P… Ltd. auf der Rückseite nicht der Hinweis „provided by…“ gestanden habe. Bei allen weiteren Karten sei die Vermittlungslösung nicht beanstandet worden. Außerdem sei in der Prüfung für die Streitjahre das Urteil des EuGH in der Sache Lebara extra abgewartet worden und danach erst entschieden worden, wie die Umsätze steuerlich zu behandeln seien.
Die Klägerin beantragt,
den Beklagten zu verpflichten, die Umsatzsteuer 2010 in Höhe von 870.444,54 € nebst steuerlichen Nebenleistungen, die Umsatzsteuer 2011 in Höhe von 812.276,56 € nebst steuerlichen Nebenleistungen und die Umsatzsteuer 2012 in Höhe von 610.218,56 € nebst steuerlichen Nebenleistungen zu erlassen,
hilfsweise den Beklagten unter Aufhebung des Bescheids vom 21.08.2019 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 13.11.2019 zu verpflichten, über den Erlassantrag ermessensfehlerfrei neu zu bescheiden.
Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Er ist der Auffassung, dass das BMF-Schreiben vom 24.09.2012 lediglich eine Nichtbeanstandung einer zeitlich gestreckten Umsatzbesteuerung enthalte, da bei Einzweckguthabenkarten lediglich nicht beanstandet werde, wenn der Unternehmer den vereinnahmten Betrag unter Berufung auf das BMF-Schreiben vom 03.12.2001 erst bei Aktivierung des Kartenguthabens als Anzahlung versteuere und nachfolgend das Telefonieren des Endnutzers als umsatzsteuerliche Leistung behandele. Eine weitergehende Übergangsregelung, wie sie die Verfügung der OFD Niedersachsen enthalte (Tz. 4.4 zweiter Spiegelstrich), sei nicht enthalten. Diese Verfügung der OFD Niedersachsen sei in G… nicht anwendbar. In G… seien daher Tätigkeiten im Zusammenhang mit Callingkarten nicht generell als Vermittlungsleitungen zu qualifizieren.
Dies stehe auch nicht im Widerspruch zu dem BMF-Schreiben vom 03.12.2001. Denn die umsatzsteuerliche Behandlung des hier streitgegenständlichen Kartentyps (Einzweckgutachtenkarte oder Monofunktionskarte oder Calling-Card) sei erst durch das BMF-Schreiben vom 24.12.2012 bundeseinheitlich geregelt worden.
Vor der Veröffentlichung des EuGH-Urteils vom 03.05.2012 und des BMF-Schreibens vom 24.09.2012 habe es daher keine bundeseinheitliche Verwaltungsauffassung gegeben.
Das durch Billigkeitsmaßnahmen im Sinne des § 227 AO zu gewährende Vertrauen des Steuerpflichtigen in eine bestehende Verwaltungsanweisung könne nicht so weit gehen, dass es auf ähnliche, aber von der Verwaltungsanweisung nicht erfasste Sachverhalte ausgedehnt werde. In diesen Fällen sei das Ermessen der Finanzbehörde, eine ermessenslenkende Übergangsregelung nach § 227 AO zu erlassen, eben gerade nicht auf Null reduziert.
Auch aus den Umständen des Einzelfalls ergebe sich keine andere Beurteilung. Es liege vielmehr der Schluss nahe, dass die Klägerin nicht davon ausgehen habe können, dass die Finanzämter R… und S… die streitgegenständlichen Leistungen als Vermittlungsleistungen behandeln würden. Im Zuge der Erteilung der verbindlichen Zusage vom 15.07.2009 durch das Finanzamt Q… an das Einzelunternehmen des Herrn B… habe das Finanzamt die Auffassung vertreten, dass Herr B… durch die Weiterveräußerung der Callingkarten Telekommunikationsleistungen erbringe. Es sei lediglich zugesagt worden, dass aus Billigkeitsgründen die ausgeführten Leistungen bis zum 31.12.2009 als Vermittlungsleistungen behandelt werden würden.
Darüber hinaus hätten die beteiligten Finanzämter im Lauf des Verfahrens mehrfach zu erkennen gegeben, dass sie die Tätigkeit der Klägerin im Zusammenhang mit den Callingkarten als Telekommunikationsleistung ansehen würden, z. B. durch die Einlegung der Nichtzulassungsbeschwerde am 06.05.2015 und insbesondere durch die Ablehnung einer abweichenden Steuerfestsetzung vom 05.08.2013.
Auch persönliche Billigkeitsgründe seien nicht gegeben, so dass es insbesondere an der Erlasswürdigkeit fehle, denn die Klägerin habe ihre Zahlungsschwierigkeiten durch mangelnde Vermögensvorsorge selbst verursacht. Die Klägerin habe Gewinnausschüttungen vorgenommen ohne Rücklagen für sich bereits abzeichnende Steuernachzahlungen zu bilden. Spätestens seit dem zurückverweisenden Urteil des BFH im Verfahren V R 4/16 vom 10.08.2016 habe sich die Klägerin auf die Umsatzsteuernachzahlungen einstellen müssen. Im Erlassverfahren seien erhöhte Anforderungen an den Steuerpflichtigen die Sachverhaltsaufklärung betreffend zu stellen, weil die entscheidungserheblichen Tatsachen regelmäßig nur in seinem Wissen- und Einflussbereich liegen würden. Die Klägerin habe nicht ausreichend dargelegt, welche konkreten Überlegungen der Vornahme von Ausschüttungen in der entsprechenden Höhe zugrunde gelegen hätten.
Die Klägerin habe zudem nicht substantiiert vorgetragen, woraus sich die Erlassbedürftigkeit ergebe. Eine persönliche Härte sei weder aus den vorgelegten Unterlagen, noch aus dem sonstigen Akteninhalt erkennbar. Aus der betriebswirtschaftlichen Auswertung für den Zeitraum 01.01.2019 bis 31.10.2019 ergebe sich ein positives Betriebsergebnis in Höhe von über 800.000,00 €. Zudem existiere eine Sicherheitsleistung für die gewährte Aussetzung der Vollziehung der Umsatzsteuernachzahlungen für 2011 und 2012 von über 700.000,00 €.
Dem Gericht haben neben der Streitakte des hiesigen Verfahrens die Streitakten der Verfahren 7 V 7202/19, 7 K 7111/19 und 7 K 5277/16 und jeweils ein Band Körperschaftsteuer., Umsatzsteuer-, Betriebsprüfungsberichte, Berichte über die Umsatzsteuersonderprüfung, zwei Bände Rechtsbehelfsakten und ein Bank Akten Gesellschaftsverträge mit Ergänzungen und Handelsregisterauszüge, die der Beklagte für die Klägerin unter der Steuer-Nr. … führt, und ein Aktenordner Materialsammlung A …, vorgelegen.
A. Die Klage ist unbegründet. Die Ablehnung des Antrags auf Erlass der Umsatzsteuer für die Jahre 2010 bis 2012 nebst steuerlichen Nebenleistungen mit Bescheid vom 21.08.2019 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 13.11.2019 ist rechtmäßig und verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten, § 101 FGO.
Die Klägerin hat keinen Anspruch auf Erlass der streitgegenständlichen Umsatzsteuer und Zinsen gemäß § 227 AO.
Nach § 227 AO können die Finanzbehörden Ansprüche aus dem Steuerschuldverhältnis ganz oder zum Teil erlassen, wenn deren Einziehung nach der Lage des einzelnen Falles unbillig wäre. Zu diesen Ansprüchen gehören auch Ansprüche auf steuerliche Nebenleistungen (BFH, Urteil vom 18.09.2018 – XI R 36/16, BStBl. II 2019, 87, II. A. 1. der Gründe; Beschluss vom 02.03.2017 – II B 33/16, BStBl. II 2017, 646, II. 1. b) der Gründe m. w. N.). Die Unbilligkeit kann in der Sache selbst (sachliche Unbilligkeit) oder in der Person des Steuerpflichtigen begründet sein (persönliche Unbilligkeit).
Da es sich bei der Entscheidung über einen Erlass nach § 227 AO um eine Ermessensentscheidung handelt, hat das FG gemäß § 102 FGO lediglich zu prüfen, ob mit der Ablehnung der begehrten Billigkeitsmaßnahme die gesetzlichen Grenzen des Ermessens überschritten worden sind oder ob von dem Ermessen in zweckwidriger Weise Gebrauch gemacht worden ist. Maßgebender Zeitpunkt dafür sind die tatsächlichen Verhältnisse bei Erlass der letzten Verwaltungsentscheidung (BFH, Beschluss vom 15.10.1992 - X B 152/92, BFH/NV 1993, 80, 2. der Gründe).
I. Es liegt keine sachliche Unbilligkeit vor, da vor dem Veranlagungszeitraum keine einheitliche Verwaltungsauffassung oder Rechtsprechung bestanden hat, auf die die Klägerin hätte vertrauen können.
Sachliche Billigkeitsgründe sind nach ständiger Rechtsprechung dann gegeben, wenn nach dem erklärten oder mutmaßlichen Willen des Gesetzgebers angenommen werden kann, dass er die im Billigkeitswege zu entscheidende Frage – hätte er sie geregelt – i. S. der beabsichtigten Billigkeitsmaßnahme entschieden hätte (BFH, Urteil vom 04.02.2010 – II R 25/08, BStBl. II 2010, 663 m. w. N.), oder wenn die Einziehung den Geboten der Gleichheit, des Vertrauensschutzes, den Grundsätzen von Treu und Glauben, dem Erfordernis der Zumutbarkeit oder den der gesetzlichen Regelung zugrunde liegenden Zwecken widersprechen würde (u. a. BFH, Urteil vom 26.10.1994 – X R 104/92, BStBl. II 1995, 297; Loose in Tipke/Kruse, AO/FGO, 163. Lieferung 10.2020, § 227 AO Rn. 42, m. w. N.)
1. Die Übergangsregelung in dem BMF-Schreiben vom 24.09.2012 führt nicht zu einer Vertrauensgrundlage, da insofern der Auslegung des Beklagten, dass die Übergangsregelung vorliegend nicht anwendbar sei, zuzustimmen ist.
a) Das BMF-Schreiben vom 24.09.2012 behandelt die Auswirkungen des EuGH-Urteils vom 03.05.2012 (– C-520/10 – Lebara Ltd., BStBl. II 2012, 755) auf die umsatzsteuerrechtliche Behandlung von Einzweckguthabenkarten in der Telekommunikation und regelte, dass bei der entgeltlichen Abgabe von Telefonkarten, mit denen es dem Abnehmer ermöglicht werde, Anrufe über die zur Verfügung gestellte Infrastruktur zu tätigen, bei denen die Verwendung des Guthabens für andere Leistungen ausgeschlossen seien und die alle zur Tätigung der Anrufe notwendigen Informationen enthalten seien, um die Erbringung einer Telekommunikationsdienstleistung handele. Diese Leistung sei bereits mit der Abgabe der Telefonkarte ausgeführt. Sofern der Händler im eigenen Namen auftrete, erbringe er an seinen Abnehmer eine Telekommunikationsdienstleistung. Wenn er dabei für fremde Rechnung tätig werde, gelte die Telekommunikationsdienstleistung nach § 3 Abs. 11 UStG als an ihn und von ihm erbracht. Agiere der Händler im fremden Namen und für fremde Rechnung, erbringe er eine Vermittlungsleistung.
Unter 3. ordnet das BMF an, dass die Grundsätze dieses Schreibens in allen offenen Fällen anzuwenden seien. Für vor dem 01.01.2013 entgeltlich abgegebene Einzweckguthabenkarten werde es jedoch nicht beanstandet, wenn Unternehmer den vereinnahmten Betrag unter Berufung auf das BMF-Schreiben vom 03.12.2001 erst bei Aktivierung des Guthabens als Anzahlung nach § 13 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. a Satz 4 UStG versteuere und nachfolgend das Telefonieren des Endnutzers als umsatzsteuerrechtliche Leistung behandele.
b) Zur Vereinheitlichung der Anwendung von Billigkeitsregeln – wie dem Erlass gemäß
§ 227 AO – kann das BMF Verwaltungsvorschriften erlassen, die die entscheidenden Ermessenserwägungen der Finanzbehörden festschreiben und damit deren Ermessen auf Null reduzieren (BFH, Urteile vom 26.09.2019 – V R 36/17, BFH/NV 2020, 86; vom 21.07.2016 – X R 11/14, BStBl. II 2017, 22, unter II. 1.). Bei dem BMF-Schreiben vom 24.09.2012 (BStBl. I 2012, 947) handelt es sich um eine solche ermessenslenkende Verwaltungsvorschrift.
c) Es entspricht allgemeiner Übung, dass bei einer Verschärfung der bisherigen Rechtsprechung oder Verwaltungspraxis aufgrund der §§ 163, 227 AO gegebenenfalls allgemeine Übergangs- oder Anpassungsregelungen ergehen, um den Steuerpflichtigen im Interesse der Gleichmäßigkeit der Besteuerung einen Steuervorteil zu erhalten oder im Vertrauen auf die bisherige Verwaltungspraxis getätigte Dispositionen nicht zu enttäuschen (vgl. BFH, Urteil vom 12.01.1989 – IV R 87/87, BStBl. II 1990, 261, m. w. N.). Für den Fall einer rückwirkenden verschärfenden Änderung der Rechtsprechung oder Verwaltungspraxis ist es Sache der obersten Verwaltungsbehörden, auf der Grundlage der §§ 163, 227 AO unbillige Auswirkungen unter dem Gesichtspunkt des Vertrauensschutzes durch Übergangsregelungen zu vermeiden, die auch von den Steuergerichten grundsätzlich zu beachten sind (BFH, Urteil vom 31.10.1990 – I R 3/86, BStBl. II 1991, 610).
Ermessenslenkende Verwaltungsvorschriften, die unter Beachtung des Gleichbehandlungsgrundsatzes (Art. 3 Abs. 1 des Grundgesetzes –GG–) zur Selbstbindung der Verwaltung führen, sind bei der gerichtlichen Prüfung, ob die Finanzverwaltung ihre Ermessensentscheidung fehlerfrei, insbesondere willkürfrei getroffen hat, von den Finanzgerichten zu beachten (BFH, Urteile vom 10.06.1992 – I R 142/90, BStBl. II 1992, 784, und vom 19.03.2009 – V R 48/07, BStBl. II 2010, 92). Hat die Verwaltung in Ausfüllung des ihr zustehenden Ermessensspielraums Richtlinien erlassen, so haben die Gerichte grundsätzlich nur zu prüfen, ob sich die Behörden an die Richtlinien gehalten haben und ob die Richtlinien selbst einer sachgerechten Ermessensausübung entsprechen (vgl. z.B. BFH, Urteil vom 21.10.1999 – I R 1/98, BFH/NV 2000, 691, m. w. N.). Dabei ist für die Auslegung einer Verwaltungsvorschrift nicht maßgeblich, wie das FG eine solche Verwaltungsanweisung versteht, sondern wie die Verwaltung sie verstanden hat und verstanden wissen wollte. Das FG darf daher Verwaltungsanweisungen nicht selbst auslegen, sondern nur darauf prüfen, ob die Auslegung durch die Behörde möglich ist (vgl. BFH, Urteile vom 13.01.2005 – V R 35/03, BStBl. II 2005, 460, und vom 13.01.2011 – V R 43/09, BStBl. II 2011, 610).
d) Dem Beklagten ist insofern zuzustimmen, dass die Übergangsregelung in dem BMF-Schreiben vom 24.09.2012 dahingehend verstanden werden kann, dass lediglich die zeitlich gestreckte Umsatzbesteuerung zunächst als Anzahlung gemäß § 13 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. a Satz 4 UStG bei Aktivierung des Kartenguthabens und nachfolgend als umsatzsteuerrechtliche Leistung beim Telefonieren des Endnutzers ermöglicht werden soll. Aus der Übergangsregelung ergibt sich nicht ohne Weiteres, dass eine Besteuerung der Abgabe der Karten auf Ebene der Händler für vor dem 01.01.2013 ausgeführte Umsätze nach dem Vermittlungsmodellerfolgen kann. Die Auslegung der Finanzverwaltung ist also möglich. Insofern besteht keine Ermessensreduzierung auf Null für den Erlass aufgrund einer ermessenslenkenden Übergangsregelung.
2. Es wäre auch nicht im Wege einer allgemeinen Übergangsregelung ein Erlass der Steuer vorzusehen gewesen. Die Klägerin hätte nicht so gestellt werden müssen, als wäre eine Übergangsregelung ergangen, da ihr Zweifel hätten kommen müssen, denn die Rechtslage war zumindest unklar.
Sachliche Unbilligkeit ist u. a. dann gegeben, wenn der Steuerpflichtige im Vertrauen auf die Weitergeltung einer für ihn günstigen Rechtsprechung oder Verwaltungsanweisungen Dispositionen getroffen hat, die er nicht mehr rückgängig machen kann. Dies folgt unmittelbar aus dem Gebot der Gerechtigkeitsidee als besondere Ausformung des Rechtsstaatsprinzips. Danach sind Rechtssicherheit und Gerechtigkeit zu gewähren (Loose in Tipke/Kruse, AO/FGO, 163. Lieferung 10.2020, § 227 AO Rn. 53; Koenig/Fritsch, AO, 3. Auflage 2014, § 227, Rn. 22, 24; Klein/Rüsken, AO, 15. Auflage 2020, § 163 Rn. 95). Vertrauensschutz ist insbesondere dann zu gewähren, wenn die Rechtsprechung einer vorherigen, in einer norminterpretierenden Verwaltungsvorschrift festgelegten Rechtsauffassung der Verwaltung nicht folgt (Klein/Rüsken, AO, 15. Auflage 2020, § 163 Rn. 96).
Die Verdrängung gesetzten Rechts durch den Grundsatz von Treu und Glauben kann nur in besonders liegenden Fällen in Betracht kommen, in denen das Vertrauen des Steuerpflichtigen in ein bestimmtes Verhalten der Verwaltung nach allgemeinem Rechtsgefühl in einem so hohen Maß schutzwürdig ist, dass demgegenüber die Grundsätze der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung zurücktreten (BFH, Urteil vom 05.02.1980 – VII R 101/77, Höchstrichterliche Finanzrechtsprechung –HFR– 1980, 222, zu 2.; Urteil vom 31.10.1990 – I R 3/86, BStBl. II 1991, 610).
Ein schützenswertes nachhaltiges Vertrauen in den Fortbestand der früheren Rechtsauffassung ist nur dann und solange gegeben, als die Steuerpflichtigen nicht mit einer Änderung rechnen oder ihnen zumindest Zweifel hätten kommen müssen (BFH, Urteil vom 23.02.1979 – III R 16/78, BStBl. II 1979, 455, 457). Ein Anlass, auf einen Rechtszustand zu vertrauen, ist zu verneinen, wenn die Rechtslage unklar oder verworren war (vgl. BFH, Urteil vom 18.02.1982 – IV R 85/79, BStBl. II 1982, 397, 399). Ein schützenswertes Vertrauen, das die Pflicht zum Erlass einer Übergangsregelung auslöst, ist nur dann gegeben, wenn als Vertrauensgrundlage eine gesicherte, für die Meinung des Steuerpflichtigen sprechende Rechtsauffassung bestand und die Rechtslage nicht als zweifelhaft erschien (BFH, Urteile vom 15.01.1986 – II R 141/83, BStBl. II 1986, 418; vom 31.10.1990 – I R 3/86, BStBl. II 1991, 610, Beschluss vom 01.10.2003 – X B 75/02, BFH/NV 2004, 44; Koenig/Fritsch, AO, 3. Auflage 2014, § 227 Rn. 25) und der Steuerpflichtige nicht mit einer Änderung rechnen oder ihm zumindest Zweifel hätten kommen müssen (BFH, Urteil vom 23.02.1979 – III R 16/78, BStBl. II 1979, 455).
a) Nach Auffassung des Gerichts bestand vor dem Urteil des EuGHs vom 03.05.2012 (– C-520/10 – Lebara Ltd., BStBl. II 2012, 755) keine einheitliche Verwaltungsanweisung oder Rechtsprechung in Bezug auf die steuerliche Behandlung von Umsätzen mit Callingkarten ausländischer Anbieter. Es bestand demnach keine Vertrauensgrundlage.
aa) Entgegen der Auffassung der Klägerin ist das BMF-Schreiben vom 03.12.2001 nur auf die Umsätze inländischer Mobilfunkanbieter anwendbar.
Der Klägerin ist insofern zuzustimmen, dass das BMF-Schreiben auch Einzweckguthabenkarten umfasst. Eine Guthabenkarte hat keine eigenständige technische Funktion. Die aufgedruckte Geheimnummer dient dazu, einen eingezahlten Geldbetrag dem Konto des Kunden bei seinem Netzbetreiber gutzuschreiben. Im Zeitpunkt der Abgabe der Karte steht nur der Netzbetreiber fest. Die Telekommunikationsleistung kann gegenüber dem Kunden aber auch von einem Serviceprovider ausgeführt werden. Auch die Einzweckguthabenkarte verfügt über keine eigenständige technische Funktion, sondern lediglich über aufgedruckte Informationen (PIN, Geheimnummer). Der Kunde kann sich mit einer auf der Einzweckguthabenkarte aufgedruckten Nummer über das System des Telefonanbieters in das Netz eines Netzbetreibers einwählen. Auf diese Weise kann der Kunde das Gesprächsguthaben in Höhe des Nennwerts der Einzweckguthabenkarte verbrauchen. Da der Kunde nicht selbst ein Guthaben auf die Karte laden kann, hat die Karte nur den Zweck, das vorhandene Guthaben abzutelefonieren (siehe auch BMF-Schreiben vom 03.12.2001, BStBl. I 2001, 2010). Im Ergebnis soll die Karte die Nutzung von Dienstleistungen durch ein zuvor bezahltes Guthaben ermöglichen. Es geht also in beiden Fällen darum, ein Guthaben für Telekommunikationsdienstleistungen eines bestimmten Anbieters zu erwerben, der Sache nach also um diese Telekommunikationsdienstleistung.
Auch der Verweis des BMF-Schreibens vom 24.09.2012 macht nur Sinn, wenn von einer Anwendbarkeit auch auf Einzweckguthabenkarten ausgegangen wurde. Warum sonst sollten die Steuerpflichtigen darauf verwiesen werden, dass die Umsätze weiterhin so behandelt werden können wie in dem BMF-Schreiben vom 03.12.2001. Demnach ist die Finanzverwaltung offenbar auch von der Anwendbarkeit des BMF-Schreibens vom 03.12.2001 auch für Einzweckguthabenkarten ausgegangen.
Seinem Wortlaut nach bezieht sich das BMF-Schreiben allerdings nur auf inländische Mobilfunknetze und Guthabenkarten. Unter Ziffer 1 des BMF-Schreibens zu den Starterpaketen wird im zweiten Absatz dargelegt, dass folgende Netzanbieter im BMF-Schreiben gemeint sind: T…, U…, V…. Bei den Callingkarten der vorliegenden Art geht es aber darum, das Guthaben eines ausländischen Telekommunikationsanbieters abzutelefonieren.
Die Unterscheidung zwischen inländischen Mobilfunkanbietern und dem Verkauf von Callingkarten ausländischer Anbieter macht vor dem Hintergrund Sinn, dass die Besteuerung der Telekommunikationsdienstleistung bei grenzüberschreitenden Sachverhalten, an denen zwei Unternehmer beteiligt sind, gemäß § 13b UStG beim Leistungsempfänger erfolgt. Gemäß § 13b Abs. 2 Nr. 1 UStG in der für die Jahre 2010 bis 2012 relevanten Fassung –UStG 2010-2012– erfolgt die Besteuerung der Telekommunikationsdienstleistung beim Leistungsempfänger (§ 13b Abs. 2 Nr. 12 UStG aktuelle Fassung), soweit es sich gemäß § 13b Abs. 5 UStG um einen Unternehmer handelt. Wäre das BMF-Schreiben vom 03.12.2001 auch auf Callingkarten der vorliegenden Art anwendbar, würde dies dazu führen, dass sich die Anbieter aus dem Drittland in Deutschland registrieren müssten, da sie die Telekommunikationsdienstleistung an den privaten Endverbraucher ausführen würden. Soweit es sich bei dem Endverbraucher nicht um einen Unternehmer handelt, wäre der Ort der Telekommunikationsleistung gemäß § 3a Abs. 6 Nr. 3 i. V. m. § 3a Abs. 4 Nr. 11 UStG 2010-2012 (§ 3a Abs. 5 S. 1 Nr. 1 i. V. m. S. 2 Nr. 1 UStG aktuelle Fassung) im Inland. Die Steuerschuldnerschaft würde sich aber nicht auf den Leistungsempfänger verlagern. Dies würde zu einem unüberschaubaren und erheblichen Aufwand und zu Unsicherheiten in der rechtlichen Beurteilung führen. Dass sich die Drittlands-Anbieter im Inland registrieren wollen bzw. überhaupt davon ausgehen, dass sie in Deutschland der Umsatzsteuerpflicht unterliegen, ist eher unwahrscheinlich. Vielmehr werden sie davon ausgehen, dass die Klägerin gemäß § 13b UStG für die Abführung der Umsatzsteuer zuständig ist. Bei Anbietern aus Staaten der Europäischen Union müsste der Anbieter gemäß § 3a Abs. 2 UStG die Leistungen an Leistungsempfänger die Nichtunternehmer sind, in seinem Sitzland versteuern, wozu er nur Anlass sehen wird, wenn ihm bekannt ist, dass er an Nichtunternehmer leistet. Vertretungsketten, wie sie dem BMF-Schreiben zugrundeliegen, sind vor diesem Hintergrund für ausländischen Anbieter nicht erstrebenswert.
bb) Soweit sich die Finanzverwaltung vor Ergehen des EuGH-Urteils vom 03.05.2012 (– C-520/10 – Lebara Ltd., BStBl. II 2012, 755) mit dem Verkauf von Callingkarten beschäftigt hat, geschah dies auch nicht einheitlich unter Bezugnahme auf das BMF-Schreiben vom 03.12.2001. Die Finanzverwaltung vertrat vielmehr eine unterschiedliche Auffassung dazu, wie diese Umsätze zu behandeln sind. Auch insofern lag keine einheitliche Rechtsauffassung vor.
(1) Die OFD Hannover lehnte zunächst mit Verfügung vom 10.9.2002 das Vermittlungsmodell ab (S 7100 - 1076 - StH 446/S 7100 - 407 - StO 351, Umsatzsteuerrundschau
-UR- 2003, 359; zuvor, mit Verfügung vom 21.09.2000 – S 7100 - 867 - StH 532 juris, wurde noch das Vermittlungsmodell vertreten). Die OFD wendete die Grundsätze des BMF-Schreibens vom 03.12.2001 nicht an, sondern ging von Leistungsketten aus. Sie legte dar, dass im Gegensatz zu den Guthabenkarten beim Mobilfunk (D 1, D 2 usw. siehe BMF-Schreiben IV B 7 - S 7100 - 292/01 vom 3.12.2001, BStBl. 2001 I S. 1010) bei diesen Karten der Telekommunikations-Dienstleister beim Kauf der Karte bereits feststehe und ging insofern davon aus, dass das BMF-Schreiben vom 03.12.2001 auf Callingkarten keine Anwendung finde.
Mit Verfügung vom 23.06.2009 (S 7100 - 407 - StO 171, UR 2010, 319) änderte die OFD Hannover ihre Rechtsauffassung und ging dann davon aus, dass, soweit in den Vertrieb von Callingkarten ein Wiederverkäufer einbezogen sei, dieser die Telekommunikationsdienstleistungen des Plattform-Betreibers vermittele. Der Ort der Vermittlungsleistung bestimme sich nach § 3a Abs. 4 Nr. 10 UStG (§ 3a Abs. 2 UStG 2010) und liege dort, wo der Plattformbetreiber sein Unternehmen betreibe. Entsprechendes gelte, wenn mehrere Wiederverkäufer eingeschaltet seien. Die Vermittlungsleistung sei steuerpflichtig. § 4 Nr. 8 Buchst. d UStG sei nicht anwendbar, weil der Wiederverkäufer auch für die Callingkarten werbe und den Kunden berate. Auf das BMF-Schreiben vom 03.12.2001 nahm die OFD Hannover dabei jedoch nicht Bezug.
(2) Die OFD Frankfurt vertrat mit Verfügung vom 25.02.2010 (S 7100 A - 172 – St 110, Der Betrieb –DB– 2010, 1969) die Auffassung, dass bei dem Verkauf von Callingkarten auf jeder Handelsstufe eine sonstige Leistung auf dem Gebiet der Telekommunikation gemäß § 3a Abs. 4 Nr. 11 UStG vorliege und lehnte daher das Vermittlungsmodell ab. Der Wiederverkäufer sei daher beim Ankauf Leistungsempfänger und beim Verkauf Leistender. Soweit eine umsatzsteuerliche Behandlung der Abgabe und Nutzung von Prepaid Callingkarten bis 31.12.2003 entsprechend der Teilziffern 3.3.1 und 3.3.2 des BMF-Schreibens vom 03.12.2001 erfolgt sei, sei dies nicht zu beanstanden.
b) Spätestens seit der verbindlichen Zusage des Finanzamts Q… vom 15.07.2009 gegenüber dem Einzelunternehmen D…, war für den Gesellschafter-Geschäftsführer B… erkennbar, dass keine einheitliche Verwaltungsauffassung bestand. Darin ist das Finanzamt Q… ausdrücklich davon ausgegangen, dass es keine bundeseinheitliche Regelung gebe. Denn das Finanzamt Q… hat mangels einer bundeseinheitlichen Regelung in Bezug auf die umsatzsteuerliche Behandlung von Umsätzen mit Callingkarten der P… Ltd. zugesichert, dass die bis zum 31.12.2009 erzielten Umsätze als Vermittlungsleistungen behandelt werden, wenn auf den Callingkarten nur die Firma P… Ltd. oder ein anderes drittes Unternehmen (Werbeträger) namentlich angegeben war. Dieses Wissen muss sich der Gesellschafter-Geschäftsführer zurechnen lassen, unabhängig davon, dass die verbindliche Zusage gegenüber dem Einzelunternehmen D… erfolgt ist. Anhaltspunkte dafür, dass die verbindliche Zusage aufgrund von Besonderheiten des Einzelunternehmens oder der P… Ltd. ergangen sind, sind nicht ersichtlich. Auch der Vortrag der Klägerin in der mündlichen Verhandlung, dass die verbindliche Zusage erfolgt ist, weil nur auf den Karten der P… Ltd. auf der Rückseite nicht der Vermerk „provided by P… Ltd.“ vorhanden gewesen sei, führt nicht zu einer anderen Beurteilung. Daraus lässt sich schließen, dass eine Differenzierung der Anwendung des Vermittlungsmodells nach der Frage erfolgt ist, ob erkennbar war, dass die Klägerin im fremden Namen aufgetreten ist. Demnach ist das Finanzamt eben gerade nicht davon ausgegangen, dass das Vermittlungsmodell generell auf den Verkauf von Callingkarten anzuwenden ist.
Soweit die Klägerin darauf verweist, dass der Beklagte im Rahmen der Prüfung die Entscheidung des EuGHs in der Rechtssache Lebara abgewartet habe, scheint dies aufgrund der unklaren Rechtslage zweckmäßig gewesen zu sein und spricht zudem auch für eine unklare Rechtslage.
c) In der Rechtsprechung ist vor dem Streitzeitraum am 19.10.2009 (9 K 447/06, EFG 2010, 519) ein Urteil des FG Baden-Württemberg zu Callingkarten ergangen. Darin geht das FG Baden-Württemberg von der Anwendbarkeit des Vermittlungsmodells aus und nimmt an, dass lediglich die Provision der Umsatzsteuer unterliege und die vom Kartenerwerber vereinnahmten Entgelte einen durchlaufenden Posten i. S. d. § 10 Abs. 1 Satz 5 UStG darstellen würden. Eine einheitliche höchstrichterliche Rechtsprechung hat es hingegen nicht gegeben. Der zumindest konkludente Vorbehalt einer späteren anderen Auslegung durch die Rechtsprechung gilt vor allem dann, wenn –wie hier– die behandelte Frage zuvor höchstrichterlich noch nicht entschieden war (vgl. BFH, Beschluss vom 11.07.1989 – VII B 93/89, BFH/NV 1990, 195).
d) Beim Erlass von Übergangsregelungen darf die Finanzverwaltung zudem auch berücksichtigen, ob und inwieweit diese zu praktischen Problemen bei der Umsetzung (auch im Verhältnis zu Dritten) führt (vgl. z.B. BFH, Urteil vom 12.01.1989 – IV R 87/87, BStBl. II 1990, 261). Beim Verkauf von Callingkarten ausländischer Anbieter drohen endgültige Steuerausfälle, weil jedenfalls die Anbieter aus Drittstaaten sich wohl kaum in Deutschland haben umsatzsteuerlich registrieren lassen, um Telekommunikationsleistungen an private Endkunden zu versteuern (vgl. § 3a Abs. 6 Satz 1 Nr. 3, Abs. 4 Satz 2 Nr. 11 UStG 2010). Angesichts der auf inländische Mobilfunkanbieter beschränkten Regelung des BMF-Schreibens dürfte unklar sein, ob sich ausländische Telekommunikationsanbieter daran orientiert haben. Naheliegender ist, dass sie sich auf den Standpunkt gestellt haben, dass die Klägerin nach § 13b Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 UStG 2010 die Eingangsumsätze zu versteuern hatte (vgl. das Senatsurteil vom 19.06.2019 – 7 K 5277/16, juris, II. 2. c)), insbesondere, soweit sie in ihren AGBs Vertretungsverbote ausgesprochen hatten.
4. Wenn für die Verwaltung auch keine Notwendigkeit für eine allgemeine Übergangsregelung im Billigkeitswege bestand, war das FA dennoch im Einzelfall verpflichtet, zu prüfen, ob ein Erlass gemäß § 227 AO in Betracht kam (vgl. BFH, Urteil vom 31.10.1990 – I R 3/86, BStBl. II 1991, 610, m. w. N.). Auch insofern stellt die Ablehnung des Erlasses keinen Ermessensfehler dar.
a) Entgegen der Auffassung der Klägerin ist die in dem Bundesland Niedersachsen durch die dortige OFD gewährte Übergangsregelung (Verfügung vom 19.02.2016 unter Ziff. 4.4) nicht entsprechend im Streitfall zu Gunsten der Klägerin anzuwenden.
Übergangsregelungen stehen nicht im Belieben der Finanzverwaltung, sondern müssen jeweils durch § 163 oder § 227 AO gedeckt sein, andernfalls würde das Verordnungsrecht der Verwaltungsbehörden unkontrollierbar erweitert, damit in die Legislative eingegriffen und außerdem das aus Art. 20 des GG abgeleitete Recht der Rechtsprechung auf Kontrolle der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung beeinträchtigt.
Wie oben dargelegt, hat der Beklagte zutreffend geprüft, ob die Umsatzsteuer aus sachlichen Billigkeitsgründen zu erlassen ist. In fehlerfreier Ausübung seines Ermessens hat er eine derartige Maßnahme abgelehnt. Da es nach den vorstehenden Überlegungen keine einheitliche Verwaltungsauffassung oder Rechtsprechung gab, ist eine Ablehnung einer allgemeinen bundeseinheitlich geltenden Übergangsregelung nicht zu beanstanden (siehe hierzu auch FG Münster, Urteil vom 14.12.2005 – 5 K 3532/05, juris).
Die Klägerin kann sich auch nicht auf eine möglicherweise rechtswidrige Behandlung der Umsätze aus dem Verkauf von Callingkarten gemäß dem Gleichheitsgrundsatz aus Art. 3 Abs. 1 GG berufen, insoweit gibt es keine „Gleichheit im Unrecht“ (vgl. BFH, Urteil vom 05.09.1990 – X R 107-108/89, BStBl. II 1990, 1060).
b) Der Beklagte hat auch durch die steuerliche Behandlung der Umsätze mit den Callingkarten in der Vergangenheit keinen Vertrauenstatbestand gesetzt.
Aufgrund eines zuvor im Einzelfall gesetzten Vertrauenstatbestandes kann es auch dazu kommen, dass Bundesrecht – hier: das UStG – von der Finanzverwaltung unterschiedlich gehandhabt und angewendet wird. Hierin liegt nach Auffassung des BFH auch keine Verletzung von Verfassungsrecht. Das Gebot des Vertrauensschutzes folgt aus dem Rechtsstaatsprinzip. Die Grundsätze von Treu und Glauben und das Vertrauensschutzprinzip sind ungesetztes Recht, die das gesetzte Recht verdrängen, wenn das Vertrauen eines Beteiligten in ein bestimmtes Verhalten des anderen Beteiligten nach allgemeinem Rechtsgefühl in einem so hohen Maß schutzwürdig ist, dass demgegenüber der Grundsatz der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung zurücktreten muss (vgl. z.B. BFH, Urteil vom 05.09.2000 – IX R 33/97, BStBl. II 2000, 676; BFH, Urteil vom 13.04.1967 – V 235/64, BStBl. III 1967, 442). Dies kommt nach ständiger Rechtsprechung dann in Betracht, wenn dem Steuerpflichtigen eine bestimmte steuerrechtliche Behandlung zugesagt worden sei oder wenn die Finanzbehörde durch ihr früheres Verhalten außerhalb einer Zusage einen Vertrauenstatbestand geschaffen habe.
Diese Voraussetzungen liegen im Streitfall jedoch nicht vor. Soweit die Klägerin in der Verhandlung vorgetragen hat, dass in vier Prüfungen des Einzelunternehmens D… das Vermittlungsmodell anerkannt und dazu geraten worden sei, so handelt es sich um einen neuen Vortrag, der nicht Teil der Ermessenerwägungen des Beklagten sein konnte. Im Rahmen des Erlassverfahrens vor dem Beklagten hat die Klägerin nur pauschal darauf verwiesen, dass in der Vergangenheit im Rahmen von Betriebsprüfungen und im Rahmen von Umsatzsteuer-Sonderprüfungen anstandslos als Vermittlungsgeschäft anerkannt wurde (Antrag auf Erlass vom 22.07.2019, Bl. GA). Sie hat den Vortrag jedoch nicht glaubhaft gemacht. Gegenstand gerichtlicher Überprüfung i. S. d. § 102 ist die Ermessensentscheidung der Verwaltung so, wie sie in der Regel nach Abschluss des außergerichtlichen Rechtsbehelfsverfahrens getroffen wurde. Daher überprüft das Gericht die Sach- und Rechtslage zum Zeitpunkt der letzten Verwaltungsentscheidung (u. a. BFH, Urteil vom 28.06.2000 – X R 24/95, BStBl. II 2000, 514 unter II.2.c). Aus einem in den Akten befindlichen Prüfungsbericht für das Einzelunternehmen D… vom 10.08.2007 für die Jahre 2004 bis 2006 (Bl. 85 der Rechtsbehelfsakte zur Umsatzsteuer 2010 –Rb 2010–) ergibt sich zudem auch nicht, dass das FA R… generell zu dem Vermittlungsmodell geraten hat. Vielmehr hat das FA R… ausgeführt, dass das Vermittlungsmodell grundsätzlich nicht zu beanstanden sei, da die vertraglichen Vereinbarungen bzw. die Allgemeinen Geschäftsbedingungen darauf hindeuten würden, dass das Einzelunternehmen als Vertreter agiere, also im fremden Namen und fremde Rechnung tätig sei. Daraus folgt aber gerade nicht, dass das Finanzamt pauschal von der Anwendbarkeit des Vermittlungsmodells ausgegangen ist, sondern sich an den vorgefertigten vertraglichen Vereinbarungen orientiert hat und somit nach der Frage, inwiefern ein Auftreten im fremden Namen vorgesehen war, differenziert hat.
Der Grundsatz der Abschnittsbesteuerung gebietet nach ständiger Rechtsprechung des BFH zudem, dass das Finanzamt in jedem Veranlagungszeitraum die einschlägigen Besteuerungsgrundlagen erneut prüft und rechtlich würdigt. Eine als falsch erkannte Rechtsauffassung muss es zum frühest möglichen Zeitpunkt aufgeben, auch wenn der Steuerpflichtige auf diese Rechtsauffassung vertraut haben sollte (BFH, Urteil vom 05.09.1990 – X R 100/89, BFH/NV 1991, 217, mit Nachweisen der BFH-Rechtsprechung). Dies gilt selbst dann, wenn die – fehlerhafte – Auffassung im Prüfungsbericht niedergelegt worden ist (BFH-Urteil vom 16.07.1964 – V 92/61 S, BStBl. III 1964, 634), die Finanzbehörde über eine längere Zeitspanne eine rechtsirrige, für den Steuerpflichtigen günstige Auffassung vertreten hat (BFH, Urteil vom 22.06.1971 – VIII 23/65, BStBl. II 1971, 749) oder der Steuerpflichtige im Vertrauen darauf disponiert hat (BFH, Urteile vom 23.05.1989 –
X R 17/85, BStBl. II 1989, 879; vom 25.05.1993 – IX R 17/90, BStBl. II 1993, 834).
II. Auch ein Erlass aus persönlichen Billigkeitsgründen gemäß § 227 AO kommt nicht in Betracht, da die Klägerin nicht erlasswürdig ist.
1. Der Erlass aus persönlichen Billigkeitsgründen setzt nach der Rechtsprechung Erlassbedürftigkeit und Erlasswürdigkeit voraus. Nur die Erfüllung beider Voraussetzungen
lässt die Einziehung der Steuer als unbillig erscheinen (vgl. BFH, Urteil vom 26.10.2011 – VII R 50/10, BFH/NV 2012, 552, m. w. N.).
2. Der Beklagte hat rechtsfehlerfrei festgestellt, dass die Klägerin nicht erlasswürdig ist, da sie ihre finanzielle Lage selbst herbeigeführt hat. Einen Erlass kann nicht verlangen, wer sich selbst in vorwerfbarer Weise in eine Lage gebracht hat, aus der ihm auf Kosten des Fiskus herauszuhelfen er billigerweise nicht erwarten kann. Hierzu ist eine Gesamtwürdigung der Umstände erforderlich (Klein/Rüsken, AO, 15. Auflage 2020, § 227 Rn. 45).
In den Jahren 2013 bis 2018 erzielte die Klägerin insgesamt Gewinne in Höhe von 5.109.676,06 €. Die Klägerin nahm Ausschüttungen in Höhe von 3.018.761,97 € an ihre Anteilseigner vor. Die Klägerin hätte die Ausschüttungen in Höhe von 3.018.761,97 € (2013 bis 2018) an die Anteilseigner der Klägerin nicht vornehmen dürfen, da ihr bereits seit der Umsatzsteuersonderprüfung, die im Zeitraum 06.12.2011 bis 12.07.2013 stattfand, bekannt war, dass Streit über die Umsatzsteuer der Streitjahre besteht. Aufgrund der Einspruchsentscheidung vom 02.12.2013 hätte der Klägerin klar sein müssen, dass erhebliche Differenzen in Bezug auf die streitgegenständliche Umsatzsteuer bestehen. Wie die nachfolgenden Entscheidungen des BFH und des erkennenden Senats zeigen, hätte bei Berücksichtigung des Vorsichtsprinzips Anlass bestanden, in Höhe der nachgeforderten Beträge Rückstellungen zu bilden. Insofern wäre sie schon zum 31.12.2013 verpflichtet gewesen, eine Rückstellung für ungewisse Steuerverbindlichkeiten in entsprechender Höhe einzustellen. Eine Rückstellung wurde jedoch erst zum 31.12.2016 und lediglich in Höhe von 1.000.000,00 € gebildet. Jedenfalls die Gewinnverwendungsbeschlüsse der Jahre 2013 bis 2015 wären daher wegen Unterdeckung nichtig und könnten keinen fälligen Auszahlungsanspruch begründen (Altmeppen in Roth/Altmeppen, Gesetz betreffend die Gesellschaften mit beschränkter Haftung –GmbHG–, 10. Auflage 2021, § 29 Rn. 13). Gemäß § 29 GmbHG haben die Gesellschafter nur Anspruch auf den Jahresüberschuss zuzüglich eines Gewinnvortrags abzüglich eines Verlustvortrags. Die Gewinnausschüttungen müssten folglich zurückgezahlt werden. Aus den Jahresabschlüssen der Jahre 2013 bis 2018 der F… GmbH ergibt sich, dass insgesamt 2.659.610,58 € ausgeschüttet wurden. An die E… GmbH wurden in den Jahren 2013 bis 2018 Ausschüttungen in Höhe von 2.768.166,12 € vorgenommen. Die Erträge aus den Ausschüttungen beinhalten immer die Ausschüttung aus dem Gewinn des Vorjahres und eine Vorabausschüttung für das jeweilige Geschäftsjahr. Der Gewinn der Gesellschaften entsprach in den Jahren 2013 bis 2018 ungefähr den Ausschüttungen durch die Klägerin an sie. Die Gewinne wurden durch die Beteiligungsgesellschaft nicht wieder ausgeschüttet, sondern zum Ankauf neuer Immobilien eingesetzt. Demzufolge bestand für die Beteiligungsgesellschaften oder deren Gesellschafter keine Gefahr, dass sie, wie die Klägerin meint, ohne die Ausschüttungen „ausgehungert“ werden würden. Aufgrund der Treuepflicht der Gesellschafterinnen wäre es diesen jedenfalls zumutbar gewesen, die finanziellen Mittel zur Begleichung der ausstehenden Steuerschuld beizubringen. Die Beteiligungsgesellschaften hätten zu diesem Zweck die noch unbelasteten Grundstücke belasten oder beispielsweise im Vermögen vorhandene Eigentumswohnungen verkaufen können, um die Steuerschulden der Klägerin zu begleichen.
B. Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 FGO.