Gericht | VG Cottbus 5. Kammer | Entscheidungsdatum | 01.06.2021 | |
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Aktenzeichen | VG 5 L 228/19 | ECLI | ECLI:DE:VGCOTTB:2021:0601.VG5L228.19.00 | |
Dokumententyp | Beschluss | Verfahrensgang | - | |
Normen | § 68 WHG, Art 7 WRRL |
Die auf vorläufigen Rechtsschutz gerichteten – sinngemäßen nach §§ 88, 122 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) entsprechend des Rechtsschutzziels ausgelegten – Anträge der Antragstellerinnen,
die aufschiebende Wirkung ihrer Klage vom 13. Mai 2019 gegen den Planfeststellungsbeschluss des Antragsgegners vom 12. April 2019 (AZ: c...) „...“ wiederherzustellen sowie
dem Antragsgegner aufzugeben, die durch die Beigeladene begonnene Flutung mit einer für sofort vollziehbar erklärten Verfügung zu untersagen,
haben nur in dem aus dem Tenor ersichtlichen Umfang Erfolg. Im Übrigen waren die Anträge abzulehnen.
Gemäß § 80 Abs. 5 Satz 1 zweite Alternative i. V. m. § 80a Abs. 3 Satz 2 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) kann das Gericht der Hauptsache auf Antrag die aufschiebende Wirkung ganz oder teilweise wiederherstellen. Die gerichtliche Ermessensentscheidung über den Antrag auf vorläufigen Rechtsschutz ergeht auf der Grundlage einer Interessenabwägung. Gegenstand der Abwägung sind auf der einen Seite das Interesse des Antragstellers, die Aussetzung der Vollziehung zu erreichen (Aussetzungsinteresse), und auf der anderen Seite das öffentliche Interesse an der Vollziehung des Verwaltungsakts (Vollziehungsinteresse) bzw. – im Falle des § 80a VwGO – auch das entsprechende private Vollziehungsinteresse der Beigeladenen. Im Rahmen der Interessenabwägung ist der Gesichtspunkt der Rechtmäßigkeit der Verwaltungsentscheidung bzw. der Erfolgsaussichten des Rechtsbehelfs in der Hauptsache zu berücksichtigen. Lässt sich die Rechtmäßigkeit der angegriffenen Zulassung im vorläufigen Rechtsschutzverfahren wegen der besonderen Dringlichkeit einer alsbaldigen Entscheidung oder wegen der Komplexität der Sach- und Rechtsfragen nicht in diesem Sinne klären bzw. ist der Ausgang der Hauptsache offen, bedarf es einer Abwägung der wechselseitigen Interessen (vgl. BVerwG, Beschluss v. 19. Dezember 2014 – 7 VR 5.14 – Rn. 9 sowie Beschluss v. 16. Oktober 2012 – 7 VR 7.12 – Rn. 3f., beide Juris und für Fälle der gesetzlich angeordneten Vollziehbarkeit von Planfeststellungsbeschlüssen).
Der Antrag zu 1) ist teilweise begründet. Das Interesse der Antragstellerinnen, die Ausleitung aus dem C...bis zum Abschluss des Hauptverfahrens zu verhindern, überwiegt das Interesse des Antragsgegners und der Beigeladenen an der sofortigen Vollziehung des vollständigen Planfeststellungsbeschlusses.
Der Ausgang des Rechtstreits in der Hauptsache ist offen. Es stellen sich zahlreiche komplexe Rechtsfragen, die den Trinkwasserschutz nach der Richtlinie 2000/60/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 23. Oktober 2000 zur Schaffung eines Ordnungsrahmens für Maßnahmen der Gemeinschaft im Bereich der Wasserpolitik (im Folgenden: Wasserrahmenrichtlinie bzw. WRRL) betreffen und die gegebenenfalls offene komplexe Tatsachenfragen aufwerfen. Wie diese Fragen zu beantworten sind, kann im vorläufigen Rechtsschutzverfahren im Wege einer summarischen Prüfung der Sach- und Rechtslage nicht hinreichend sicher prognostiziert werden.
Vorliegend kommt es streitentscheidend darauf an, ob und bejahendenfalls welcher Schutzgehalt dem Art. 7 Abs. 3 S. 1 WRRL für die hier inmitten stehende Trinkwassergewinnung zukommt. Zur Klärung dieser Frage wird das Gericht im anhängigen Hauptsacheverfahren 5...den Europäischen Gerichtshof gemäß Art. 267 Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV) um eine Vorabentscheidung ersuchen. Von der Beantwortung dieser Frage ist die Entscheidung der Hauptsache abhängig.
Den Antragstellerinnen als Verantwortlichen der Wasserversorgung könnte ein besonderer Schutz nach der Wasserrahmenrichtlinie zukommen, der nach § 68 Abs. 3 Nr. 1 Alt. 1 WHG auch die Grundlage für die Rechtmäßigkeit des Planfeststellungsbeschlusses bilden könnte. Nach Art. 7 Abs. 3 S. 1 WRRL sorgen die Mitgliedstaaten für den erforderlichen Schutz der ermittelten Wasserkörper, um eine Verschlechterung ihrer Qualität zu verhindern und so den für die Gewinnung von Trinkwasser erforderlichen Umfang der Aufbereitung zu verringern. Die Mitgliedstaaten können Schutzgebiete für diese Wasserkörper festlegen, Art. 7 Abs. 3 S. 2 WRRL. Nach Art. 7 Abs. 1 erster Gedankenstrich ermitteln die Mitgliedstaaten in jeder Flussgebietseinheit alle Wasserkörper, die für die Entnahme von Wasser für den menschlichen Verbrauch genutzt werden und die durchschnittlich mehr als 10 m3 täglich liefern oder mehr als 50 Personen bedienen.
Der hier inmitten stehende Abschnitt der S...unterfällt dem Anwendungsbereich dieser Vorschrift. Die Antragstellerin zu 2) nutzt das S..., um das am Wasserwerk B...mengenmäßig nicht ausreichende Grundwasser zu vermehren und gewinnt dadurch indirekt ihr Trinkwasser aus der S.... Auf der Grundlage der wasserrechtlichen Erlaubnis vom 03. Juni 2002 darf die Antragstellerin zu 2) zum einen aus der S...4.500 m3/d und im Jahresmittel 2.000 m3/d Grundwasser fördern sowie zum anderen 29.500 m3/d und im Jahresmittel 21.500 m3/d Rohwasser aus der sogenannten Zentralfassung entnehmen, im Jahresmittel sind darin 6.700 m3/d Grundwasser enthalten. Zur Gewinnung dieses Rohwassers wird das aus der S...entnommene Wasser über ein Versickerungsbecken in ca. 50 Tage in den Grundwasserleiter infiltriert. Das mit S...angereicherte Grundwasser wird dann über einen Filterbrunnen (die Zentralerfassung) als Rohwasser in das Wasserwerk gefördert.
Zwar wurde für das Oberflächengewässer kein Wasserschutzgebiet i.S.d. Art. 7 Abs. 3 Satz 2 festgesetzt, vorliegend kommt aber eine Schutzgewährung nach Art. 7 Abs. 3 Satz 1 WRRL für die Wassergewinnung der Antragstellerinnen entsprechend der zu Art. 4 WRRL in der Rechtsprechung des EuGH entwickelten Grundsätzen in Betracht, weil die systematische Konzeption der WRRL einen Gleichlauf des Schutzes von Oberflächengewässern und den Gewässern zur Trinkwassergewinnung nahelegt (vgl. EuGH, Urteil v. 28. Mai 2020 – C-535/18 – Rn. 70, Juris) und der Schutz der Trinkwassergewinnung, wie er hier in Art. 7 Abs. 3 S. 1 WRRL normiert ist, integraler Bestandteil des in Art. 1 WRRL intendierten allgemeinen Gewässerschutzes ist, dem gleichermaßen auch Art. 4 WRRL dient (so ausdrücklich EuGH, Urteil v. 28. Mai 2020 a.a.O. Rn. 128, Juris).
Der Wortlaut des Art. 7 WRRL ist – ebenso wie Art. 4 WRRL – als Zielvorgabe an die Mitgliedstaaten formuliert. Für Art. 4 WRRL hat der Europäische Gerichtshof ausdrücklich bestätigt, dass es sich um ein subjektives Abwehrrecht handelt, dessen Verletzung zur Versagung eines konkreten Vorhabens führen kann (vgl. EuGH, Urteil v. 28. Mai 2020 a.a.O. sowie im Anschluss BVerwG, Urteil v. 30. November 2020 – 9 A 5.20 – beides zitiert nach Juris). Dieses subjektive Abwehrrecht hat nicht nur einen materiell-rechtlichen Gehalt, sondern erzeugt auch verfahrensrechtliche Obliegenheiten. Diese verfahrensrechtliche Komponente besteht unter anderem in einer Pflicht zur Untersuchung, die bereits dann ausgelöst wird, wenn das zuzulassende Vorhaben geeignet ist, den Zustand des fraglichen Wasserkörpers zu verschlechtern oder die Erreichung eines guten Zustands zu gefährden (vgl. EuGH, Urteil v. 28. Mai 2020 a.a.O. Rn. 50). Eine solche Untersuchung darf nicht nachgeholt werden, sondern muss vor der Zulassung des Vorhabens durchgeführt worden sein (vgl. EuGH, Urteil v. 28. Mai 2020 a.a.O. Rn. 76, Juris).
Sind die für den Art. 4 WRRL entwickelten Grundsätze mutatis mutandis auf Art. 7 Abs. 3 Satz 1 WRRL anwendbar und beurteilt sich die Wasserqualität i.S.d. Art. 7 Abs. 3 Satz 1 WRRL auch nach den technischen Erfordernissen der Wassergewinnung, was auch die Sulfatkonzentration einschlösse, besteht die Pflicht zur Untersuchung im vorliegenden Fall bereits dann, wenn das Vorhaben geeignet ist, die Qualität des Wasserkörpers zu verschlechtern und so den für die Trinkwassergewinnung erforderlichen Umfang der Aufbereitung nicht zu verringern. Von einer solchen Eignung geht der Antragsgegner selbst aus, wenn er im Planfeststellungsbeschluss (S. 174) feststellt, dass eine geringe vorhabenbedingte Erhöhung der Sulfatkonzentration erwartet werde. Dennoch unterblieb im Rahmen des Planfeststellungsverfahren eine Untersuchung, ob sich die Ausleitung aus dem C...mit den Vorgaben der Wasserrahmenrichtlinie in Bezug auf Art. 7 WRRL vereinbaren lässt. Die angestellten Untersuchungen beziehen sich ausschließlich auf das Verschlechterungsverbot bzw. Verbesserungsgebot des Art. 4 WRRL bzw. § 27 WHG (vgl. Bewertung der Ausleitvarianten aus dem C... auf Verträglichkeit mit den Vorhaben der EG-Wasserrahmenrichtlinie, Planungsbüro K..., November 2017, A11b; Bewertung des Vorhabens „Gewässerausbau C..., Teilvorhaben 2 – Herstellung des C...“ gemäß der EG-WRRL, Planungsbüro K..., Mai 2016, A16a; Bewertung der Vorzugsvariante zur Ausleitung aus dem C...auf Verträglichkeit mit den Vorhaben der EG-Wasserrahmenrichtlinie, Planungsbüro K..., November 2017, A16b) und lassen schon räumlich den hier inmitten stehenden S...außer Betracht. Dass die tatsächliche Belastung mit Sulfat noch nicht untersucht wurde, räumt der Antragsgegner im Übrigen selbst ein, indem er feststellt, dass das „tatsächliche Maß an Verdünnung bzw. Reduktion bis zum Wasserwerk B...…konkret ermittelt werden“ müsse (Planfeststellungsbeschluss, S. 175). Soweit er einschätzt, dass „das Vorhaben der Sicherung der Trinkwassergewinnung nicht“ entgegenstehe (Planfeststellungsbeschluss, S. 175), fehlt es schon an einer fachlichen Untersetzung (vgl. zu diesem Erfordernis BVerwGE 156, 20ff., Rn. 162).
Nationale Vorschriften des Wasserhaushaltsgesetzes (WHG) verhelfen dem Antrag der Antragstellerinnen nicht zum Erfolg, weil ein Anspruch auf Aufhebung des Planfeststellungsbeschlusses nach summarischer Prüfung voraussichtlich nicht besteht, was bei einem Planfeststellungsbeschluss für die Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung grundsätzlich erforderlich ist (st. Rspr. BVerwG, Beschluss v. 19. Mai 2005 – 4 VR 2000.02 – Rn. 35, Juris m.w.N.). Für eine nahe Wahrscheinlichkeit, wie sie etwa in § 68 Abs. 3 Nr. 1 Alt. 1 WHG vorausgesetzt wird (vgl. Czychowski/Reinhardt, WHG, § 68, Rn. 29), fehlen die Erkenntnisse. Gleiches gilt im Ergebnis dafür, dass die Ausnutzung der wasserrechtlichen Erlaubnis vom 03. Juni 2002 nach dem Gebot der Rücksichtnahme gefährdet ist (vgl. OVG Magdeburg, Beschluss v. 12. Mai 2020 – 2 R 24/20 – Rn. 21 f., Juris m.w.N.). Der Anspruch auf eine abwägungsfehlerfreie Entscheidung (vgl. insbesondere BVerwGE 90, 42 – 53, Rn. 19 ff. m.w.N.; BVerwGE 48, 57 – 70, 65) führt schon regelmäßig nicht zu einer Aufhebung und damit nicht zu einer Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung.
Davon ausgehend ist es im Hinblick auf den Grundsatz des effektiven Rechtsschutzes (Art. 19 Abs. 4 Grundgesetz) vorliegend geboten, die Schaffung vollendeter Tatsachen durch die Ausleitung aus dem C...über die Vorfluter in die H...zu verhindern; denn diese könnte zur Folge haben, dass gewichtige, auch unionsrechtlich geschützte Gemeinwohlbelange des Trinkwasserschutzes beeinträchtigt werden (vgl. hinsichtlich Gemeinwohlbelange des Gewässerschutzes der WRRL: BVerwG, Beschluss v. 16. Oktober 2012 – 7 VR 7.12 – Rn. 4, Juris).
Gleichwohl ist eine Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung erst ab einem Pegel von 61,8 m NHN geboten, weil nach dem Vortrag des Antragsgegners und der Beigeladenen eine Ausleitung von Seewasser über das Auslaufbauwerk in die Vorfluter erst ab diesem Wasserstand technisch überhaupt möglich ist.
Damit werden auch die Interessen der Beigeladenen an einem vollständigen Vollzug des Planfeststellungsbeschlusses nicht unverhältnismäßig belastet, weil nach ihren Angaben dieser Wasserstand sicherstellt, dass die mit der Flutung durch S...beabsichtigte – und benötigte – Verdünnung des aufsteigenden Kippengrundwasser planmäßig erfolgen kann und sie keine weiteren – ggfs. mit hohem finanziellen Aufwand verbundenen – Maßnahmen zur Stabilisierung und Sicherung der Böschungen des Tagebaurestlochs vornehmen muss.
Die teilweise Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung ist auch nicht nach dem Vorrang der Planerhaltung nach § 70 Abs. 1 WHG i.V.m. § 75 Abs. 1a Satz 2 Verwaltungsverfahrensgesetz (VwVfG), die einer Aufhebung des Planfeststellungsbeschlusses entgegensteht und damit die Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung im Rahmen des § 80 Abs. 5 VwGO ausschließt (st. Rspr. BVerwG, Beschluss v. 19. Mai 2005 – 4 VR 2000.02 – Rn. 35, Juris m.w.N.), verwehrt. Aufgrund der Grundsätzlichkeit der streitentscheidenden offenen Rechtsfrage kann derzeit nicht abschließend beurteilt werden, ob eine Planerhaltung nach § 70 Abs. 1 WHG i.V.m. § 75 Abs. 1a Satz 2 Verwaltungsverfahrensgesetz (VwVfG) in Betracht kommt.
Für den Antrag zu 2), der als Antrag nach § 80a Abs. 3, Abs. 1 Nr. 2 VwGO verstanden wird, fehlt den Antragstellerinnen das Rechtschutzbedürfnis, weil weder behauptet, geschweige denn erkennbar ist, dass die Beigeladene die gerichtliche Entscheidung missachten wird.
Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 155 Abs. 1, 162 Abs. 3, 159 VwGO i.V.m. § 100 Zivilprozessordnung. Die Kosten des Verfahrens sind im Ergebnis gegeneinander aufzuheben, weil die Erfolgsaussichten des Rechtsbehelfs vorliegend als offen zu bewerten sind (so auch in vergleichbaren Fällen das BVerwG mit Beschlüssen vom 28. Oktober 2011 – 1 C 9.10 – NVwZ 2012, 61-62, Rn. 3, Juris und vom 02. Februar 2006 – 1 C 4.05 – Rn. 3, Juris).
Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 52 Abs. 1, § 53 Abs. 2 Nr. 2 GKG. Das Gericht folgt der Empfehlung des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit 2013 (NVwZ-Beilage 2013, 57), wonach Nr. 34.3 für Klagen einer in ihrem Selbstverwaltungsrecht betroffenen Gemeinde 60.000 Euro vorsieht. Zudem sind für die Antragstellerin zu 2) nach Ziffer 34.2 i.V.m. Nr. 2.2 15.000 Euro zu veranschlagen. Dieser für das Hauptsacheverfahren anzunehmende Streitwert war hier gem. Nr. 1.5 des Streitwertkatalogs im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes zu halbieren.