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Entscheidung 10 K 2/18.A


Metadaten

Gericht VG Frankfurt (Oder) 10. Kammer Entscheidungsdatum 03.06.2021
Aktenzeichen 10 K 2/18.A ECLI ECLI:DE:VGFRANK:2021:0603.10K2.18.A.00
Dokumententyp Urteil Verfahrensgang -
Normen

Tenor

Die Beklagte wird unter Aufhebung der Regelungen in Ziffern 1, 3 bis 6 des Bescheides des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge vom 21. Dezember 2017 verpflichtet, dem Kläger den Flüchtlingsstatus zuzuerkennen.

Die Beklagte trägt die Kosten des gerichtskostenfreien Verfahrens.

Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar.

Der Beklagten bleibt nachgelassen, eine Vollstreckung des Klägers durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des vollstreckbaren Betrages abzuwenden, falls der Kläger nicht zuvor Sicherheit in Höhe von 110 % des zu vollstreckenden Betrages leistet.

Tatbestand

Der nach eigenen Angaben 1...in Y...geborene Kläger meldete sich am 28. Oktober 2016 in Karlsruhe als Asylsuchender. Bei der Überprüfung der Eurodac-Datenbank ergab sich, dass er am 9. Dezember 2015 sowie am 19. April 2016 in Spanien als illegal eingereister Ausländer erfasst worden war. Am 1. November 2016 stellte er bei der Außenstelle Eisenhüttenstadt des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge (Bundesamt) einen unbeschränkten Asylantrag. Anlässlich seiner Befragungen am 1. und 2. November 2016 gab er an, am 23. Mai 2014 aus Kamerun ausgereist und über Nigeria, Niger, Algerien, Marokko, wo er sich ein Jahr acht Monate lang aufgehalten habe, und Spanien sowie Frankreich nach Deutschland am 27. Oktober 2016 eingereist zu sein. In Spanien habe er keinen Asylantrag stellen wollen; Deutschland sei schon immer sein „Traumland“ gewesen.

Das Bundesamt führte zunächst ein Dublin-Verfahren durch, nachdem Spanien am 16. Januar 2017 seine Rückübernahmebereitschaft bezüglich des Klägers erklärt hatte, und lehnte den Asylantrag des Klägers mit Bescheid vom 17. Januar 2017 als unzulässig ab. Im Rahmen der hiergegen erhobenen Klage vom 25. Januar 2017 (VG 4 K 250/17.A) ließ der Kläger vortragen, dass er auf Grund einer Anpassungsstörung eine psychotherapeutische Behandlung benötige. Außerdem leide er unter einer Herzerkrankung. Sein Vater sei vor sieben Jahren verstorben; die Mutter lebe als Obsthändlerin und er habe noch drei Schwestern und vier Brüder in Kamerun. Als Kind habe er in der Schweiz eine Herzoperation erhalten. Seit dem 22. Lebensjahr sei er als Kleiderhändler tätig gewesen, später habe er einen Kiosk betrieben. Seit dem 24. Lebensjahr habe er eine eigene Wohnung gehabt und seine Homosexualität diskret ausgelebt. Er sei von Nachbarn schikaniert und zur Polizei gebracht worden. Mit Bescheid vom 5. September 2017 hob das Bundesamt jenen vom 17. Januar 2017 wieder auf; das Klageverfahren wurde eingestellt.

Anlässlich seiner Anhörung gab der Kläger am 27. September 2017 an, Bamiléké christlichen Glaubens zu sein. Er habe in E.../Y... gewohnt. Seine Ausreise habe er selbst bezahlt. Er sei Verkäufer gewesen und habe Handyguthaben sowie SIM-Karten verkauft. In Kamerun befänden sich noch seine Mutter, ein jüngerer und ein älterer Bruder sowie zwei ältere Schwestern und eine jüngere Schwester. Er sei 17 Jahre lang zur Schule gegangen und dann als Verkäufer tätig gewesen. Seit Ende 2013 habe er auf Grund seiner Homosexualität Probleme gehabt. Und zwar habe er mit seinem Freund Sex gehabt und hiervon einen Film gemacht, den er auf einen USB-Stick gespeichert habe. Am 18. Mai 2014 sei bei ihm eingebrochen und der Stick mitgenommen worden. Zwei Tage später habe ihn jemand vor seinem Kiosk erwartet; die Nachbarin, eine gute Freundin, die lesbisch sei, habe ihn angerufen, und er habe sich gedacht, dass das Erscheinen dieser Person etwas mit dem Stick zu tun haben könne. Die Freundin habe ihm berichtet, dass der Mann mit einem „Haftbefehl“ auf ihn warte, auf dem „Video“ stehe. Die Freundin habe sich jenen „Haftbefehl“ geben lassen. Darin habe gestanden, dass er sich am nächsten Tag bei der Gendarmerie melden solle. Er sei allerdings nicht zur Gendarmerie gegangen, sondern habe alle wichtigen Sachen aus seinem Laden geholt, seinen Freund angerufen und mit ihm sowie der genannten Freundin alles Weitere besprochen. Am 23. Mai 2014 habe er dann das turnusmäßig an ihn auszuzahlende Geld aus einer gemeinsamen Kasse von insgesamt sechs Geschäftsleuten bekommen, so dass er auch seine privaten Dinge alle gepackt habe und ausgereist sei. Zuvor sei er am 21. Mai 2014 nachts von zwei unbekannten Leuten angegriffen und verletzt worden. Er habe später seinen jüngeren Bruder gebeten, ihm Unterlagen nach Marokko zu schicken; der Bruder habe aber keine Unterlagen gefunden.

Auf Nachfrage gab der Kläger an, sich seit dem 17. Lebensjahr seiner Homosexualität gewahr gewesen zu sein. Als er 18 geworden sei, habe er seinen Vater gefragt, ob er ein eigenes Zimmer in der Nähe der Wohnung der Familie haben könne; er habe eine solche Wohnung bekommen und sich dort mit Männern getroffen. Zu dem Freund, mit dem er den Film gemacht habe, habe er seit vier Jahren eine enge Beziehung gehabt. Dieser Freund sei seit nunmehr zwei Monaten ebenfalls in Deutschland. Sie seien noch zusammen. Es handle sich um den Asylantragsteller des Verfahrens 7... des Bundesamtes (i.F. „Steve“). Mit ihm sei er seit 2013 zusammen. Davor habe er mehrere andere Männerbeziehungen gehabt. Von seiner Homosexualität hätten lediglich die besagte Freundin und die Freunde seines Partners gewusst sowie andere, die ihn in einer Bar gesehen hätten, alles Homosexuelle.

Auf weitere Nachfrage gab er an, nicht zu wissen, ob der „Haftbefehl“ von einem Polizisten überbracht worden sei. Er habe 2014 in vier verschiedenen Wohnungen gelebt; in der zweiten und dritten Wohnung habe er Probleme mit den Nachbarn bekommen, da sie gesehen hätten, wie er Männer nach Hause mitgebracht habe. Der Eigentümer habe ihn aus der Wohnung geschmissen und zur Polizei gebracht; dort habe er unterschreiben müssen, dass er nicht homosexuell sei. Sein Freund Steve wohne hier (in Deutschland) in einem Heim; er könne ihn nur bis 22.00 Uhr abends besuchen und die Besuche gestalteten sich schwierig, da noch zwei bis drei andere Personen in dem Zimmer untergebracht seien. In Kamerun habe er seine Homosexualität versteckt gelebt und vor der Familie verheimlicht. Er habe wegen der Übergriffe nicht zur Polizei gehen können, da der „Haftbefehl“ gegen ihn gerichtet gewesen sei und weil er wegen seiner Homosexualität angegriffen worden war. Wegen des Videos könne er auch nirgendwo sonst in Kamerun Schutz finden. Politisch habe er sich nicht betätigt; er habe auch sonst keine Probleme mit Behörden gehabt.

Das Bundesamt lehnte den Asylantrag des Klägers mit am 22. Dezember 2017 zustellungshalber aufgegebenem Bescheid vom 21. Dezember 2017 ab; es forderte den Kläger unter Androhung der Abschiebung nach Kamerun zur Ausreise auf und verfügte ein auf 30 Monate befristetes Einreise- und Aufenthaltsverbot. Eine asylerhebliche Verfolgungshandlung auf Grund seiner Homosexualität habe der Kläger nicht glaubhaft gemacht. Die Polizei sei gegen ihn auch offenbar nicht weiter vorgegangen, so dass kein Verfolgungsinteresse anzunehmen sei. Es sei unklar, von wem der „Haftbefehl“ herumgezeigt worden sei; dies könne durchaus eine Privatperson gewesen sein. Die Homosexualität habe der Kläger auch nicht öffentlich bemerkbar gelebt; ein solches Verhalten sei für ihn nicht identitätsprägend gewesen. Im Übrigen könne er auch in der homosexuellen Subkultur in den Großstädten Kontakte finden. Der von ihm geschilderte Überfall sei krimineller Art gewesen, und schließlich seien die angeführten Erkrankungen des Klägers nicht näher glaubhaft gemacht worden.

Mit seiner am 1. Januar 2018 erhobenen Klage verfolgt der Kläger sein internationales Schutzbegehren weiter. Auf Grund des erwähnten Videos müsse er in Kamerun mit Verfolgung rechnen. In Deutschland habe er mehrere offene Beziehungen zu Männern unterhalten, wozu er vier schriftliche Äußerungen vorlegt. Er betätige sich in öffentlich bemerkbarer Weise homosexuell.

Der in der mündlichen Verhandlung informatorisch angehörte Kläger beantragt,

die Beklagte insoweit unter Aufhebung des Bescheides des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge vom 21. Dezember 2017 zu verpflichten, ihm internationalen Schutz zuzuerkennen,

hilfsweise die Beklagte unter entsprechender Aufhebung des genannten Bescheides zu verpflichten festzustellen, dass die Voraussetzungen eines nationalen Abschiebungsverbots hinsichtlich Kameruns vorliegen.

Die Beklagte beantragt unter Bezugnahme auf den angegriffenen Bundesamtsbescheid,

die Klage abzuweisen.

Die vormals zuständige Kammer hat den Rechtsstreit mit Beschluss vom 12. Dezember 2018 auf den Berichterstatter als Einzelrichter zur Entscheidung übertragen. Wegen aller weiteren Einzelheiten wird auf den Inhalt der Gerichtsakte sowie des Bundesamtsvorganges betr. den Kläger und des beigezogenen Bundesamtsvorganges bezüglich des vom Kläger angeführten Freundes („Steve“) Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

Das Gericht verhandelt und entscheidet in Ansehung der entsprechenden Belehrung in der Ladungsverfügung auch in Abwesenheit von Vertretern der Beklagten (§ 102 Abs. 2 VwGO).

Die ohne Weiteres statthafte und auch sonst zulässige Verpflichtungsklage hat in der Sache Erfolg: der angegriffene Bundesamtsbescheid erweist sich - bis auf die nicht angegriffene Entscheidung zum nationalen Asylanspruch in Ziffer 2 - in Ansehung aller im Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung zu Tage liegenden Umstände (vgl. § 77 Abs. 1 AsylG) als rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten, da der Kläger die Zuerkennung des Flüchtlingsstatus´ beanspruchen kann (§ 113 Abs. 5 Satz 1 VwGO).

Nach § 3 Abs. 1 AsylG ist ein Ausländer Flüchtling, wenn er sich aus begründeter Furcht vor Verfolgung wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, politischen Überzeugung oder Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe außerhalb des Landes befindet, dessen Staatsangehörigkeit er besitzt und dessen Schutz er nicht in Anspruch nehmen kann oder wegen dieser Furcht nicht in Anspruch nehmen will. Eine Gruppe gilt nach § 3b Abs. 1 Nr. 4 AsylG insbesondere als bestimmte soziale Gruppe, wenn die Mitglieder dieser Gruppe angeborene Merkmale oder einen gemeinsamen Hintergrund, der nicht verändert werden kann, gemein haben oder Merkmale oder eine Glaubensüberzeugung teilen, die so bedeutsam für die Identität oder das Gewissen sind, dass der Betreffende nicht gezwungen werden sollte, auf sie zu verzichten (Buchstabe a]), und die Gruppe in dem betreffenden Land eine deutlich abgegrenzte Identität hat, da sie von der sie umgebenden Gesellschaft als andersartig betrachtet wird (Buchstabe b]); als eine bestimmte soziale Gruppe kann auch eine Gruppe gelten, die sich auf das gemeinsame Merkmal der sexuellen Orientierung gründet.

Der Kläger hat begründete Furcht, in Anknüpfung an seine geschlechtliche Identität in Kamerun verfolgt zu werden.

Homosexuelle bilden in Kamerun eine soziale Gruppe (dafür bereits VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 7. März 2013 – A 9 S 1872/12 – juris, Rn. 34). Der Kläger gehört dieser Gruppe auch an. Aufgrund der aktenkundigen Umstände sowie der informatorischen Anhörung anlässlich der mündlichen Verhandlung ist das Gericht davon überzeugt, dass der Kläger homosexuell ist und es zum unverzichtbaren Teil seiner Identität gehört, dies durch Kontakte zu anderen Männern nach außen erkennbar zu leben.

Homosexuelle unterliegen in Kamerun nach derzeitiger Erkenntnislage zwar keiner Gruppenverfolgung (so bereits VGH Baden-Württemberg, a. a. O. Rn. 56), da es insoweit an belastbaren Erkenntnissen zur Anzahl der Betroffenen sowie zu entsprechenden Vorkommnissen fehlt. Im Fall des Klägers liegt aber die Gefahr einer Individualverfolgung vor.

Die eine Verfolgungsgefahr begründenden Umstände müssen zur Überzeugung des Gerichts feststehen (vgl. § 108 Abs. 1 Satz 1 VwGO). Aufgrund der ihm obliegenden prozessualen Mitwirkungspflichten (vgl. § 25 Abs. 1 und 2 AsylG) ist der Asylbewerber gehalten, von sich aus die in seine Sphäre fallenden tatsächlichen Umstände substanziiert und in sich stimmig zu schildern sowie eventuelle Widersprüche zu seinem Vorbringen in früheren Verfahrensstadien nachvollziehbar aufzulösen. Sein Vortrag muss danach insgesamt geeignet sein, den Asylanspruch lückenlos zu tragen (vgl. BVerwG, Urteil vom 29. Juni 1999 - 9 C 36.98 - BVerwGE 109, 174-182). Dies ist vorliegend der Fall.

Bei der Frage, ob ein Eingriff in die identitätsstiftenden Merkmale der Gruppenzugehörigkeit eine hinreichend schwere Verfolgungshandlung im Sinne von § 3a Abs. 1 Nr. 1 AsylG darstellt, ist zunächst festzustellen, wie gravierend die Maßnahmen und Sanktionen sind, die gegenüber dem Betroffenen ergriffen werden oder ergriffen werden können (vgl. BVerwG, Urteil vom 20. Februar 2013 - 10 C 23/12 - juris Rn. 25 zur Verfolgung aufgrund der Religion).

Im Rahmen der individuellen Verfolgung ist weiter zu prüfen, wie sich der Schutzsuchende bei seiner Rückkehr im Hinblick auf seine sexuelle Ausrichtung verhalten wird und wie wichtig diese Verhaltensweise für seine Identität ist. Bei der auf einer Gesamtwürdigung der Person des Schutzsuchenden beruhenden Prognose des Verhaltens in seinem Herkunftsland ist es nicht beachtlich, ob er mit Rücksicht auf drohende Verfolgungshandlungen - etwa eine zu erwartende Strafverfolgung - auf das behauptete Verhalten verzichten würde. Denn hierbei handelt es sich um ein Vermeidungsverhalten, das vom Schutzsuchenden nicht verlangt werden kann, weil es auf der drohenden Verfolgung beruht. Daher darf erst recht nicht angenommen werden, dass ein Schutzsuchender nur dann tatsächlich von einer Verfolgung bedroht ist, wenn er sich trotz der drohenden Verfolgungshandlung in dieser Weise verhalten würde und praktisch bereit wäre, für seine sexuelle Orientierung Verfolgung auf sich zu nehmen (vgl. VGH Baden-Württemberg a. a. O. Rn. 49).

Bei Zugrundelegung der genannten Maßstäbe liegt im Fall des Klägers die Gefahr einer Verfolgung zum einen durch staatliche Akteure gemäß § 3c Nr. 1 AsylG sowie - mangels Schutzbereitschaft des kamerunischen Staates - durch nichtstaatliche Akteure i.S.v. § 3c Nr. 3 AsylG vor. Bei Rückkehr nach Kamerun drohen dem Kläger sowohl eine strafrechtliche Verfolgung als auch eine Gefahr für Leib und Leben durch die Bevölkerung Kameruns.

Staatliche Verfolgungsgefahren muss der Kläger wegen der dortigen Strafbestimmungen gewärtigen, die unter den Voraussetzungen mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit zu erwarten ist, die sich aus der für das Gericht glaubhaften sexuellen Identität des Klägers ergeben; nichtstaatliche Verfolgungsgefahren erwachsen ihm darum angesichts der besonderen Stigmatisierung Homosexueller in Kamerun.

Ausweislich der in das Verfahren eingeführten Erkenntnismittel werden homosexuelle Handlungen in Kamerun mit einer Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu fünf Jahren sowie einer Geldstrafe in Höhe von umgerechnet etwa 30 bis 300 Euro bestraft (BFA Österreich, Länderinformationsblatt vom 17. Mai 2019, S. 33 f.). Festnahmen aufgrund homosexueller Handlungen kommen vor, zumeist infolge von Denunziationen (Auswärtiges Amt, Lagebericht vom 17. August 2020, S. 18). Laut dem Auswärtigen Amt sind Verurteilungen allein aus dem Tatbestandsmerkmal der Homosexualität äußerst selten. I. d. R. werde dieser Personenkreis in Verbindung mit anderen Straftaten wie etwa Bestechung oder - aus dem Bereich der „offenses sexuelles“ - die Verletzung des Schamgefühls Dritter im privaten Bereich, was den Tatbestand der Nötigung mit einschließt, verurteilt (Auswärtiges Amt, Lagebericht vom 17. August 2020, S. 18). Andere Quellen sehen in Kamerun eine im afrikaweiten und auch internationalen Vergleich aggressive Strafverfolgung Homosexueller (UK Home Office vom 11. Februar 2020, S. 13). Über den eingangs genannten Straftatbestand hinaus bedroht ein Gesetz über Cyberkriminalität sexualisierte Aufforderungen im Netz mit einer Freiheitsstrafe von einem bis zwei Jahren sowie einer Geldstrafe von umgerechnet bis zu 1500 Euro. Dies wird verdoppelt, sofern es aufgrund der Aufforderung zu Geschlechtsverkehr gekommen ist (UK Home Office vom 11. Februar 2020, S. 7, 11).

Homophobie ist darüber hinaus in der kamerunischen Gesellschaft weit verbreitet. Fast alle gesellschaftlichen Gruppen, darunter zahlreiche Kirchen, an prominenter Stelle auch Vertreter der katholischen Kirche, setzen sich für ein strikteres staatliches Vorgehen gegen Homosexuelle ein (Auswärtiges Amt, Lagebericht vom 17. August 2020, S. 18; siehe auch UK Home Office vom 11. Februar 2020, S. 25). Menschen, denen Homosexualität unterstellt wird, müssen damit rechnen, im öffentlichen Raum von Mitmenschen angegriffen zu werden (Auswärtiges Amt, Lagebericht vom 17. August 2020, S. 18). Dabei wird neben anderen Formen der Gewalt auch über sogenannte „korrektive Vergewaltigungen“ berichtet (vgl. USDOS, Menschenrechtsbericht vom 11. März 2020, S. 35). Die kamerunische Regierung geht gegen die Homophobie in der Gesellschaft nicht vor (Auswärtiges Amt, Lagebericht vom 17. August 2020, S. 17). Auch die Polizei bietet kaum Schutz, da sexuelle Minderheiten im Fall einer Anzeige riskieren, selbst strafrechtlich verfolgt zu werden (vgl. UK Home Office vom 11. Februar 2020, S. 17). Zudem existieren Berichte über Erpressungen sowie Misshandlungen durch Polizisten, letztere etwa in Form von erzwungenen Analuntersuchungen (vgl. UK Home Office vom 11. Februar 2020, S. 14).

Zwar wird auch über Treffpunkte von Homosexuellen in Y... und D... berichtet; doch geschieht dies häufig im Zusammenhang mit Festnahmen der anwesenden Personen (UK Home Office vom 11. Februar 2020, S. 16, 25), sodass nicht anzunehmen ist, dass Homosexuelle sich dort sicher bewegen können.

Für das Jahr 2018 waren 376 Übergriffe gegen LGBTI-Personen berichtet worden (USDOS, Menschenrechtsbericht vom 11. März 2020, S. 35), wobei es Hinweise auf einen Anstieg der Homophobie in den letzten Jahren gibt (vgl. UK Home Office vom 11. Februar 2020, S. 27).

Hiernach müssen Personen, die sich wahrnehmbar homosexuell betätigen, in Kamerun sowohl mit Strafverfolgung als auch mit Erpressung und schweren körperlichen Übergriffen rechnen. Das Gericht ist überzeugt, dass auch der Kläger bei einer Rückkehr nach Kamerun insoweit konkret bedroht wäre, da es zu seiner Identität gehört, sich auch öffentlich wahrnehmbar entsprechend seiner sexuellen Prägung zu verhalten.

Zwar vermag das Gericht dem Kläger die angeblich seine Ausreise aus Kamerun begründenden Vorfälle im Zusammenhang mit dem Diebstahl des besagten USB-Sticks nicht abzunehmen, zumal sich der Kläger insoweit auf bloße Vermutungen (dazu, dass der Diebstahl überhaupt stattgefunden habe) und nicht näher zuzuordnende Verfolger (den oder die Diebe des USB-Sticks hat er nie gesehen; wer mit dem einmal als „Haftbefehl“ und ein anderes Mal als „Anzeige“ bezeichneten Papier vor seiner Wohnung aufgetaucht gewesen sei, blieb völlig im Dunkeln) beruft und da der Kläger weder das angebliche Papier vorlegen oder wenigstens präzise beschreiben konnte noch seine Identität nachgewiesen hat - obgleich er über Personaldokumente in Kamerun verfügt und seine Wohnung vor der Ausreise auf die mitzunehmenden privaten Dinge durchsucht habe -. Damit kann das Gericht dem Kläger auch keine konkrete Vorverfolgung glauben, von welcher er beim Bundesamt sowie in der mündlichen Verhandlung berichtet hat; seine Angaben hinsichtlich der angeblich erlittenen Übergriffe sind stereotyp und unpräzise geblieben, obgleich ihm sein Prozessbevollmächtigter bei der Befragung Anhaltspunkte für Übergriffe durch Nachbarn oder andere geradezu in den Mund gelegt hatte. So mag es sein, dass ihm andere vorhielten, dass er nur Männer- aber keine Frauenbesuche in der Wohnung empfangen habe; auch mag es sein, dass er - entgegen der ihm angeblich selbst bewussten Gefahr des Entdecktwerdens sowie anschließender Nachstellungen - einen Videodreh über Sex mit dem damaligen Partner („Steve“) auf einem USB-Stick abgespeichert hatte; es liegt aber - im Sinne des Bundesamtsbescheides - bis heute nicht nachvollziehbar zu Tage, dass dem Kläger wegen seiner Homosexualität - an welcher auch das Bundesamt keine Zweifel geäußert hat - in asylerheblicher Weise nachgestellt worden war, bevor er Kamerun verließ. Auch die Angaben von „Steve“ - der inzwischen für die deutschen Behörden unbekannt verzogen ist und sich um sein in Deutschland angestrengtes Asylverfahren nicht weiter gekümmert hat - gegenüber dem Bundesamt erschließen nicht ansatzweise, dass sich die vom Kläger vorgegebene Verfolgungsgeschichte tatsächlich zugetragen hat. Wäre es aber so gewesen, dass der Kläger und „Steve“ eine feste Partnerschaft eingegangen waren und hätte sich wegen der Homosexualität des Klägers eine zugespitzte Verfolgungssituation im Sinne der klägerischen Legende ergeben, so hätte es nahegelegen, dass „Steve“ diese Vorkommnisse zumindest erwähnt oder doch wenigstens auf den Kläger als seinen Partner verwiesen hätte.

Daher kann das Gericht dem Kläger in Bezug auf die Umstände in Kamerun allenfalls abnehmen, dass er seit Eintritt der Volljährigkeit seine Homosexualität insoweit - wie von ihm selbst angegeben: - diskret gelebt hat, indem er von zuhause auszog und in eigenen Wohnungen lebte, wo er seine Freunde und Bekannten sowie Sexualpartner treffen konnte; weiter nimmt das Gericht dem Kläger ab, dass er in jenen „Steve“ in der Weise verliebt war, dass er ihn als seinen festen Partner ansah und sogar auf ihn wartete, bis er - offensichtlich: absprachegemäß - ebenfalls nach Deutschland gekommen war, um mit ihm hier zusammenleben zu können. Insoweit sind die Angaben des Klägers bei der Bundesamtsanhörung sowie anlässlich der informatorischen Befragung in der mündlichen Verhandlung konsistent und nachvollziehbar. Es trifft insbesondere zu, dass der Kläger und „Steve“ nach dessen Einreise ins Bundesgebiet zeitweilig unter derselben Anschrift wohnten, nachdem „Steve“ zunächst anderweitig untergebracht war, weshalb es glaubhaft ist, dass sich der Kläger mit seinem Partner dort im Wohnheim nicht wie gewünscht frei aufhalten konnte. Auch die sonstigen Begleitangaben des Klägers fügen sich in das Bild ein, dass sich der Kläger in Erwartung der Fortführung einer bereits in Kamerun bestehenden Partnerschaft mit „Steve“ zunächst mit diesem zusammen wohl- und später enttäuscht gefühlt hat, nachdem „Steve“ andere (Sexual-) Kontakte suchte und schließlich fortging. Unter diesen Umständen erschließt es sich für das Gericht, dass der Kläger seitdem „offene Beziehungen“, d.h. gelegentliche Sexualkontakte, zu anderen Männern sucht und hierin ein wesentlicher Teil seiner Identitätsprägung liegt, obgleich der Kläger trotz seiner ansonsten eloquenten Art kaum in der Lage ist, seine inneren Beweggründe präziser zu beschreiben. Das Gericht hat in Zusammenschau der Angaben des Klägers mit den klägerseits vorgelegten Leumundsbekundungen und dem vom Kläger während der mündlichen Verhandlung gewonnenen Eindruck die Überzeugung, dass die Trennung seines früheren Partners „Steve“ sowie die vergleichsweise freien Verhältnisse in Europa, namentlich in Berlin, das latent vorhandene Bedürfnis, die eigene geschlechtliche Prägung - nicht nur, aber auch in sexueller Hinsicht - zu leben, verstärkt hat. Gehört es für den Kläger freilich zur eigenen Identität, gezielt Kontakte zu Homosexuellen zu suchen und sich bei einem sich einstellenden Bedürfnis ggf. auch spontan Geschlechtsverkehr zu suchen, müsste er seine Identität in Kamerun unterdrücken, um sich nicht den vorbeschriebenen Gefahren auszusetzen. Da ein solches Unterdrücken wesentlicher identitätsbestimmender Verhaltensweisen flüchtlingsschutzrechtlich schlechterdings nicht verlangt werden kann, liegt bei ihm die beachtlich wahrscheinliche Gefahr einer Verfolgung vor.

Auch im Übrigen entsprechen die Ausführungen des Klägers der eingangs dargestellten Situation in Kamerun, in der gleichgeschlechtliche Beziehungen zumeist heimlich stattfinden und Homosexuelle im Fall eines Bekanntwerdens ihrer sexuellen Orientierung schweren Übergriffen ausgesetzt sind. Vor diesem Hintergrund erscheint es durchaus plausibel, dass der Kläger seinen Familienangehörigen nichts von „der ganzen Geschichte“ berichtet und ihnen gesagt haben will, er suche in Europa ein besseres Leben.

Da homosexuelle Handlungen bzw. Aufforderungen dazu in ganz Kamerun strafbar und auch homophobe Übergriffe nicht auf bestimmte Regionen beschränkt sind, kann der Kläger letztlich auch nicht auf internen Schutz im Sinne von § 3e AsylG verwiesen werden.

Nachdem die Beklagte zur Zuerkennung des Flüchtlingsstatus´ verpflichtet wird, erweisen sich sämtliche Folgeregelungen des angegriffenen Bescheides (Ziffern 3 bis 6) als rechtswidrig, so dass sie der Aufhebung unterliegen.

Die Kostenfolge beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO; § 83b AsylG.

Die Vollstreckbarkeitsentscheidung folgt aus § 167 VwGO; §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.