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Gericht VG Frankfurt (Oder) 7. Kammer Entscheidungsdatum 10.06.2021
Aktenzeichen 7 L 622/20 ECLI ECLI:DE:VGFRANK:2021:0610.7L622.20.00
Dokumententyp Beschluss Verfahrensgang -
Normen § 212a BBauG, § 35 Abs 3 S 1 Nr 3 BBauG, § 3 Abs 1 BImSchG, § 80a Abs 3 S 2 VwGO, § 80a Abs 5 S 1 Alt 1 VwGO, § 80a Abs 2 S 1 Nr 3 VwGO

Tenor

1. Die Aussetzung der Vollziehung der Baugenehmigung vom 3. Juni 2020 (Az. 63.30/02979-16) wird aufgehoben.

Der Antragsgegner trägt die Kosten des Verfahrens mit Ausnahme der außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen, die diese selbst tragen.

2. Der Streitwert wird auf 65.800 Euro festgesetzt.

Gründe

Die Antragstellerin wendet sich gegen die auf Antrag der Beigeladenen erfolgte Aussetzung der Vollziehung einer ihr erteilten Baugenehmigung zum Umbau und zur Umnutzung von drei ehemaligen Rinderställen in eine Putenmastanlage auf dem Flurstück 74 der Flur 8 der Gemarkung R... .

Der sinngemäße Antrag der Antragstellerin,

die Aussetzung der Vollziehung der Baugenehmigung vom 3. Juni 2020 (Az. 63.30/02979-16) aufzuheben,

ist zulässig und begründet.

Gemäß § 80 a Abs. 3 Satz 1 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) kann das Gericht auf Antrag Maßnahmen nach den Absätzen 1 und 2 der Vorschrift ändern oder aufheben oder solche Maßnahmen treffen. In Absatz 1 Nr. 2 der Vorschrift ist geregelt, dass die Behörde auf Antrag eines Dritten, der gegen den an einen anderen gerichteten, diesen begünstigenden Verwaltungsakt einen Rechtsbehelf eingelegt hat, nach § 80 Abs. 4 VwGO die Vollziehung aussetzen kann. Die Absätze 5 bis 8 des § 80 VwGO gelten entsprechend (Abs. 3 Satz 2).

Den Widersprüchen der Beigeladenen vom 12. Juli 2020 gegen die im Antrag genannte Baugenehmigung kam kraft Gesetzes (§ 80 Abs. 2 S. 1 Nr. 3 VwGO i. V. m. § 212 a Abs. 1 Baugesetzbuch - BauGB) zunächst keine aufschiebende Wirkung zu. Auf entsprechende Anträge der Beigeladenen vom 23. September 2020 hat der Antragsgegner am 9. November 2020 die Aussetzung der Vollziehung der in Rede stehenden Baugenehmigung angeordnet und dies mit sich aus der Aktenlage ergebenden ernstlichen Zweifeln an der Rechtmäßigkeit der Baugenehmigung mit Blick auf eine nicht auszuschließende Verletzung des Immissionsschutzrechts zu Lasten der Beigeladenen begründet. Mit dem hiesigen Eilantrag begehrt die Antragstellerin die Aufhebung dieser behördlichen Entscheidung.

Entgegen der Rechtsauffassung der Beigeladenen fehlt der Antragstellerin nicht infolge des Verkaufs des Vorhabengrundstücks das Rechtsschutzinteresse für das vorliegende Verfahren. Nach dem über § 173 VwGO im Verwaltungsrechtsstreit entsprechend anwendbaren § 265 Abs. 1 Zivilprozessordnung (ZPO) schließt die Rechtshängigkeit das Recht der einen oder der anderen Partei nicht aus, die im Streit befangene Sache zu veräußern oder den geltend gemachten Anspruch abzutreten. Die Veräußerung oder Abtretung hat auf den Prozess keinen Einfluss (§ 265 Abs. 2 Satz 1 ZPO). Entsprechendes gilt für den der zivilrechtlichen Abtretung vergleichbaren Fall des Bauherrenwechsels, der möglicherweise inzwischen angezeigt wurde oder noch angezeigt werden wird. Auch insoweit handelt es sich um einen Fall der gewillkürten Rechtsnachfolge, der nichts an der Stellung der bisherigen Beteiligten ändert. Der frühere Bauherr ist berechtigt, das Verfahren kraft der durch § 173 VwGO i. V. m. § 265 Abs. 1 ZPO gesetzlich angeordneten Prozessstandschaft für den Rechtsnachfolger weiter zu betreiben (OVG NRW, Beschluss vom 18. Dezember 2015 - 8 B 253/15 -, juris Rn. 7). Ob der Rechtsnachfolger die persönlichen Voraussetzungen hat, in die Bauherreneigenschaft einzurücken, ohne dass sich die Grundlagen für die Beurteilung der Rechtmäßigkeit des Vorhabens wesentlich verändern, bedarf hier keiner Entscheidung, denn diese Frage hat im hiesigen Nachbarstreit keine Bedeutung (vgl. zum Prüfungsmaßstab die nachfolgenden Ausführungen).

Gemäß § 80 a Abs. 3 Satz 2 i. V. m. § 80 Abs. 5 Satz 1, 1. Alt., Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 VwGO kann das Gericht die behördlich angeordnete Aussetzung der Vollziehung der Baugenehmigung aufheben, wenn das Aussetzungsinteresse der Beigeladenen das (sich in der Regelung des § 212 a Abs. 1 BauGB niederschlagende) öffentliche Interesse sowie das Interesse der Antragstellerin an der sofortigen Ausnutzung der erteilten Genehmigung nicht überwiegt. Ein überwiegendes Aussetzungsinteresse (und damit ein Misserfolg des hiesigen Antrags) ist nur dann anzunehmen, wenn sich bei der im vorläufigen Rechtsschutzverfahren allein gebotenen summarischen Prüfung der Sach- und Rechtslage ergibt, dass der Rechtsbehelf, den die Beigeladenen gegen die Genehmigung eingelegt haben, voraussichtlich Erfolg haben wird, oder wenn atypische Gesichtspunkte vorliegen, die es gebieten, den Verwaltungsakt ausnahmsweise - abweichend von der gesetzlichen Regel des § 212 a Abs. 1 BauGB - vorerst nicht sofort zu vollziehen.

Gegenstand der gerichtlichen Prüfung in einem von einem Dritten angestrengten Rechtsbehelfsverfahren ist dabei nicht die Frage, ob der Bescheid objektiv rechtmäßig ist. Maßgebend ist vielmehr, ob die Genehmigung gegen Normen verstößt, die zumindest auch dem Schutz des Dritten dienen, d.h. ihn in dessen eigenen subjektiven Rechten im Sinne des § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO verletzen (OVG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 2. Juni 2015 - OVG 2 S 3.15 -, juris Rn. 8).

Hieran gemessen werden die Widersprüche der Beigeladenen gegen die der Antragstellerin erteilte Baugenehmigung vom 3. Juni 2020 voraussichtlich keinen Erfolg haben, denn ein Verstoß gegen nachbarschützende Vorschriften des Bauordnungsrechts ist weder vorgetragen noch ersichtlich und nach summarischer Prüfung liegt auch kein Verstoß gegen nachbarschützende Vorschriften des Bauplanungsrechts vor.

Da das Vorhabengrundstück unstreitig im Außenbereich liegt, vermittelt Nachbarschutz hier § 35 Abs. 3 Satz 1 Nr. 3 BauGB, wonach eine Beeinträchtigung öffentlicher Belange auch vorliegt, wenn das Vorhaben schädliche Umwelteinwirkungen hervorrufen kann oder ihnen ausgesetzt wird. Dies stellt eine besondere gesetzliche Ausformung des Rücksichtnahmegebots bei Immissionskonflikten dar (BVerwG, Urteil vom 28. Oktober 1993 - BVerwG 4 C 5.93 -, juris Rn. 15). Der Begriff der schädlichen Umwelteinwirkungen in § 35 Abs. 3 Satz 1 Nr. 3 BauGB knüpft an das Bundes-Immissionsschutzgesetz (BImSchG) an. Nach § 3 Abs. 1 BImSchG sind darunter Immissionen zu verstehen, die nach Art, Ausmaß oder Dauer geeignet sind, Gefahren, erhebliche Nachteile oder erhebliche Belästigungen für die Allgemeinheit oder die Nachbarschaft herbeizuführen. Nach summarischer Prüfung gehen von der genehmigten Putenmastanlage keine schädlichen Umwelteinwirkungen auf die Grundstücke der Beigeladenen aus, die die Schwelle der Unzumutbarkeit überschreiten.

Die sfi – Sachverständige für Immissionsschutz GmbH (im Folgenden: SFI) teilte mit Schreiben vom 7. Dezember 2017 mit, dass das Bauvorhaben keine schädlichen Umwelteinwirkungen durch Gerüche, Geräusche, Ammoniak oder Staub hervorrufe (BA III, Bl. 206 ff.).

Dies ist zunächst hinsichtlich der von der geplanten Putenmastanlage ausgehenden Schallimmissionen durch die vorgelegten Bauunterlagen nachvollziehbar belegt. Im Bericht der SFI über Schallimmissionen im Umfeld der geplanten Geflügelhaltungsanlage zur Putenmast am Standort R... vom 6. Dezember 2017 (BA III, Bl. 210 ff.) wurde ein Vergleich der Beurteilungspegel nach der Technischen Anleitung zum Schutz gegen Lärm (TA Lärm) vom 26. August 1998 an den relevanten Immissionsorten mit den entsprechenden Immissionsrichtwerten der TA Lärm vorgenommen. Zwar findet die TA Lärm nach ihrer Ziffer 1 Abs. 2 lit. c) keine unmittelbare Anwendung auf nicht (immissionsschutzrechtlich) genehmigungsbedürftige landwirtschaftliche Anlagen, jedoch kann bei diesen Anlagen die Zumutbarkeit von Lärmimmissionen anhand einer entsprechenden Anwendung der wesentlichen Grundsätze der TA Lärm beurteilt werden, wobei zu prüfen ist, ob die Besonderheiten der Landwirtschaft eine modifizierte Betrachtung erfordern (vgl. BayVGH, Beschluss vom 23. März 2021 - 15 CD 21.403 -, juris Rn. 83 f.). Nach den plausiblen Feststellungen der SFI werden die entsprechenden Richtwerte der TA Lärm eingehalten (BA III, Bl. 243). Die Richtigkeit dieser Feststellung wurde von den Beigeladenen oder dem Antragsgegner auch nicht substantiiert angegriffen.

Die zu erwartenden Staubimmissionen lassen ebenfalls nicht auf eine Rücksichtslosigkeit des Bauvorhabens schließen. Ausweislich des Berichts der SFI über Staubimmissionen im Umfeld der geplanten Geflügelhaltungsanlage zur Mast von Puten am Standort R... vom 19. Mai 2017 wird der Immissionswert der auf der Grundlage von § 48 BImSchG erlassenen Technischen Anleitung zur Reinhaltung der Luft (TA Luft) für die Gesamtstaubdeposition eingehalten (BA IV, Bl. 331). Gleiches gilt mit Blick auf Feinstaub. Die durch den geplanten Anlagenbetrieb hervorgerufenen zusätzlichen PM-10-Staub-Immissionskonzentrationen, also die Konzentrationen von Staubpartikeln mit einem aerodynamischen Durchmesser kleiner/gleich 10µm (BA IV, Bl. 303) halten an den Wohnhäusern der Beigeladenen den entsprechenden Irrelevanzwert ein (BA III, Bl. 330). Zweifel an dieser plausiblen Prognose sind weder vorgetragen noch ersichtlich.

Auch mit Blick auf die zu erwartenden Geruchsimmissionen ergeben sich keine durchgreifenden Anhaltspunkte für eine Rechtsverletzung der Beigeladenen. Bei der Beurteilung, ob Geruchsbelastungen erheblich sind, kann bis zum Erlass bundeseinheitlicher Vorschriften auf die Geruchsimmissions-Richtlinie – GIRL – in der Fassung vom 29. Februar 2008 und einer Ergänzung vom 10. September 2008 (anwendbar nach Maßgabe des Erlasses des Ministeriums für Ländliche Entwicklung, Umwelt und Verbraucherschutz des Landes Brandenburg (MLUV) vom 28. August 2009 sowie des Erlasses des Ministerium für Ländliche Entwicklung, Umwelt, und Landwirtschaft (MLUL) vom 15. Juni 2015) zurückgegriffen werden.

Hieran gemessen ist an den Wohnhäusern der Beigeladenen nicht mit dem Entstehen schädlicher Umwelteinwirkungen durch das Bauvorhaben der Beigeladenen zu rechnen. Denn die Immissionswerte nach Nr. 3.1 Tabelle 1 der GIRL, die die relative Geruchsstundenhäufigkeit angeben, werden eingehalten. So wird in der vorgenannten Tabelle für Wohn-/Mischgebiete ein Immissionswert von 0,10 (10 % Jahresgeruchsstunden) und für Dorfgebiete von 0,15 (15 % Jahresgeruchsstunden) für durch Tierhaltungsanlagen verursachte Geruchsimmissionen angenommen. Ob hierbei für die Wohnhäuser der Beigeladenen von einem Wohn-/Mischgebiet oder einem Dorfgebiet auszugehen ist, bedarf keiner Entscheidung, denn die zu erwartende Geruchsstundenhäufigkeit liegt ausweislich des Berichts der SFI über die Geruchsimmissionen im Umfeld der geplanten Geflügelhaltungsanlage zur Mast von Puten am Standort R... vom 14. August 2017 im Bereich der Wohnhäuser der Beigeladenen bei 0,10 (BA IV, Bl. 378) und hält mithin den strengeren Wert für Wohn-/Mischgebiete ein. Diese Werte wurden in hinreichend nachvollziehbarer Weise unter Berücksichtigung der Größe der emittierenden Fläche und Verwendung einer Ausbreitungsklassenstatistik ermittelt. Zweifel an ihrer Richtigkeit sind weder vorgetragen noch ersichtlich.

Es bedurfte bei dieser Beurteilung – anders als vom Antragsgegner in seiner Aussetzungsentscheidung angeführt – auch keiner Berücksichtigung etwaigen zwischengelagerten Hähnchenmists aus der Hähnchenmastanlage G... Denn nach der erteilten Baugenehmigung (Nebenbestimmung Nr. II.i.4) ist eine Lagerung von Festmist auf dem Vorhabengrundstück ausgeschlossen. Eine nach der Baugenehmigung unzulässige Mistlagerung war daher nicht in die Geruchsprognose einzubeziehen. Wenn die Zwischenlagerung von Hähnchenmist aus der Hähnchenmastanlage in G... auf dem Vorhabengrundstück in R... Gegenstand der immissionsschutzrechtlichen Genehmigung der Hähnchenmastanlage am Standort G... mit Bescheid vom 27. August 2019 gewesen sein sollte, vermag dies mit Blick auf das in Nebenbestimmung Nr. II.i.4 des enthaltene Verbot der Festmistlagerung am Vorhabenstandort in R... eher die Rechtmäßigkeit der immissionsschutzrechtlichen Genehmigung für die Anlage in G... als die Baugenehmigung für die Anlage in R... in Zweifel zu ziehen. Die Einhaltung des Verbots der Festmistlagerung am Standort R... kann bauordnungsrechtlich überwacht werden, Verstöße können entsprechend sanktioniert werden.

Darüber hinaus ist die immissionsschutzrechtliche Genehmigung der Hähnchenmastanlage in G... derzeit nicht vollziehbar, denn die 5. Kammer des Verwaltungsgerichts Frankfurt (Oder) hat mit Beschluss vom 6. Januar 2020 (Az. 5 L 571/19) die aufschiebende Wirkung eines Nachbarwiderspruchs wiederhergestellt (vgl. auch OVG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 15. Juli 2020 - OVG 11 S 2/20 -, juris).

Ob es sich bei der vormaligen Rinderhaltung in den Ställen, die nach der Baugenehmigung vom 3. Juni 2020 zur Putenhaltung genutzt werden dürfen, um einen Scheinbetrieb gehandelt hat, ist für die hiesige Entscheidung ohne Belang. Es ist keine Genehmigungsvoraussetzung für das geplante Vorhaben, dass der Rinderhaltungsbetrieb bis zur Nutzungsänderung andauert. Anders als in der Entscheidung des OVG Berlin-Brandenburg zur Hähnchenmastanlage in G... (Beschluss vom 15. Juli 2020 - OVG 11 S 2/20 -, juris), spielen für die hiesige Genehmigung Fragen des Bestandsschutzes keine entscheidende Rolle. Im Zusammenhang mit der Hähnchenmastanlage in G... stand eine immissionsschutzrechtliche Genehmigung unter Anwendung der Verbesserungsregelung des § 6 Abs. 3 des BImSchG im Streit, der die Einschätzung zugrunde lag, dass durch die Umnutzung der dortigen Rinderanlage eine Reduzierung der Stickstoffeinträge um ca. 25 % und damit eine Verbesserung der Immissionssituation am Standort erreicht werde. Eine solche Einschätzung kann nur dann Geltung beanspruchen, wenn der vorherige Betrieb tatsächlich im Rahmen der Altgenehmigung unterhalten wird. Wird er hingegen mit geringem Tierbestand nur als Scheinbetrieb fortgeführt, um das Erlöschen der Genehmigung zu verhindern, lässt sich nicht ohne weiteres sagen, dass die Inbetriebnahme eine Verbesserung der Immissionssituation mit sich bringt (OVG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 15. Juli 2020 - OVG 11 S 2/20 -, juris Rn. 15 ff.).

Im Rahmen der hiesigen Prüfung immissionsschutzrechtlicher Belange wird kein Bezug zur früheren Nutzung als Rindermastanlage hergestellt. In den immissionsschutzrechtlichen Berichten wurden zwar auch die entsprechenden Belastungen durch die Rindermastanlage bewertet, zudem wurden aber die zu erwartenden Immissionswerte der geplanten Anlage festgestellt und mit den entsprechenden Richtwerten verglichen. Für diese letztere, hier maßgebliche Vorgehensweise ist nicht entscheidend, in welchem Umfang in der Vergangenheit Rindermast betrieben wurde.

Auch die Frage der Privilegierung des Vorhabens im Außenbereich gemäß § 35 Abs. 1 BauGB war für die geplante Putenmastanlage unabhängig von der zuvor praktizierten Nutzung der Hallen zu prüfen. Im Übrigen vermittelt § 35 BauGB jenseits der Wahrung des Rücksichtnahmegebots keinen Drittschutz, soweit die Frage der Privilegierung für sich genommen im Streit steht. Die Privilegierungsvoraussetzungen in § 35 Abs. 1 BauGB und die Nichtbeeinträchtigung der öffentlichen Belange in § 35 Abs. 2 BauGB sollen in erster Linie die innere Zweckbestimmung des Außenbereichs verwirklichen helfen, die darin liegt, für die land- und forstwirtschaftliche sowie die gärtnerische Nutzung und für die in § 35 Abs. 1 BauGB bezeichneten Vorhaben bereitzustehen und daneben der gesamten Bevölkerung als Erholungsgebiet zur Verfügung zu stehen. Sie dienen damit lediglich Interessen der Allgemeinheit und nicht des Einzelnen (Schleswig-Holsteinisches Verwaltungsgericht, Beschluss vom 14. Dezember 2020 - 2 B 57/20 -, juris Rn. 10 unter Berufung auf BVerwG, Urteil vom 6. Dezember 1967 - IV C 94.66 -, juris Rn. 28; auch BVerwG, Urteil vom 29. Oktober 1993 - 4 C 5/93 -, juris Rn. 19).

Soweit die Beigeladenen im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes weiter rügen, dass die Antragstellerin im Zeitpunkt der Antragstellung gar nicht vorgehabt habe, eine Putenmastanlage zu betreiben, ist damit kein nachbarschützender Belang dargetan. Gleiches gilt mit Blick auf die nach Ansicht der Beigeladenen „vollkommen ungeklärte Entsorgungssituation“. Abgesehen davon, dass die Antragstellerin für die Entsorgung des Festmists einen Abnahmevertrag vorgelegt hat, dessen Seriosität nicht ohne Weiteres in Zweifel zu ziehen ist, ist eine Verletzung der Beigeladenen in eigenen subjektiven Rechten durch die Baugenehmigung nicht zu befürchten, weil der anfallende Festmist nach der Nebenbestimmung Nr. II.i.4 zur Baugenehmigung vom 3. Juni 2020 nicht auf dem Vorhabengrundstück gelagert werden darf. Etwaige spätere Verstöße gegen diese Nebenbestimmung betreffen nicht die Rechtmäßigkeit der Baugenehmigung, sondern sind gegebenenfalls – wie oben ausgeführt – bauordnungsrechtlich zu ahnden.

Ein Verstoß gegen das Rücksichtnahmegebot ergibt sich bei summarischer Prüfung auch nicht mit Blick auf schädliche Umwelteinwirkungen im Zusammenhang mit der Emission von Bioaerosolen durch den Betrieb der genehmigten Ställe. Zwar gelten von Tierhaltungsanlagen ausgehende luftgetragene Schadstoffe wie Stäube und Mikroorganismen als potentiell gesundheitsschädlich. Es entspricht aber nach wie vor einhelliger Ansicht in der Rechtsprechung, dass die Bewertung von Bioaerosolen weder ein Anwendungsfall der GIRL ist, noch anhand von sonstigen Normen oder technischen Regelwerken einzuhaltende Grenzwerte bestimmt werden können; auch medizinisch begründete Immissionsgrenzwerte für Bioaerosole existieren nicht. Da der aktuelle Kenntnisstand von Umwelthygiene und Umweltmedizin keine hinreichend sicheren Aussagen über die Gefährlichkeit für Menschen zulässt, sind die Risiken derartiger Immissionen noch nicht abschließend quantifizierbar. Ausbreitung und kausale Verursachungszusammenhänge sind nicht hinreichend bekannt und es kann keine Wirkschwelle angegeben werden, oberhalb derer mit Gesundheitsschäden beim Menschen zu rechnen ist (vgl. BVerwG, Urteil vom 19. April 2012 - 4 CN 3.11 -, juris Rn. 21; OVG NRW, Beschluss vom 8. Februar 2012 - 8 B 1322/11 -, juris Rn. 33 ff., und Urteil vom 30. Januar 2014 - 7 A 2555/11 -, juris Rn. 87 ff.; HessVGH, Urteil vom 1. April 2014 - 9 A 2030/12 -, juris Rn. 81; OVG S.-A., Urteil vom 6. Juli 2016 - 2 L 84/14 -, juris Rn. 267; VGH B.-W., Urteil vom 12. Oktober 2017 – 3 S 1457/17 -, juris Rn. 46). Auch die derzeit dem Bundesrat zur Zustimmung vorliegende Neufassung der TA Luft (BR-Drs. 767/20) wird entsprechende Grenz- oder Richtwerte nicht enthalten.

Dem Besorgnispotential von Bioaerosolen kann daher (bei immissionsschutzrechtlich genehmigungspflichtigen Anlagen) gegenwärtig nur über das Vorsorgegebot des § 5 Abs. 1 Nr. 2 BImSchG begegnet werden, das allerdings keinen Nachbarschutz vermittelt (vgl. BayVGH, Beschluss vom 2. März 2020 - 22 ZB 18.893 -, juris Rn. 39 m. w. N.; VGH B.-W., Urteil vom 12. Oktober 2017 - 3 S 1457/17 -, juris Rn. 47). Weitergehenden Schutz können auch § 35 Abs. 3 S. 1 Nr. 3 BauGB und das planungsrechtliche Rücksichtnahmegebot nicht bieten, denn das Schutzniveau des öffentlichen Baurechts geht nicht über dasjenige des Immissionsschutzrechts hinaus (vgl. OVG NRW, Urteil vom 30. Januar 2014 - 7 A 2555/11 -, juris Rn. 97, und Beschluss vom 23. Juni 2014 - 2 A 104/12 -, juris Rn. 99; BayVGH, Beschluss vom 23. Dezember 2016 - 9 CS 16.1746 -, juris Rn. 32; VG Hannover, Urteil vom 23. November 2020 - 12 A 2899/17 -, juris Rn. 120; VG Gelsenkirchen, Beschluss vom 20. Januar 2021 - 6 L 1434/20 -, juris Rn. 73).

Im Übrigen wird der in der von den Beigeladenen in Bezug genommenen Stellungnahme des Gesundheitsamts vom 18. April 2018 (BA V, Bl. 728 ff.) aufgeführte Irrelevanzwert der TA Luft (1,2 µg/m³) für partikuläre Luftschadstoffe PM 10 (Ammoniak und Feinstaub) ausweislich des Berichts der SFI über Staubimmissionen vom 19. Mai 2017 an den Wohnhäusern der Beigeladenen bei weitem nicht erreicht (BA IV, Bl. 324, 328 ff.; zu dieser Vorgehensweise NdsOVG, Beschluss vom 15. September 2020 - 12 ME 29/20 -, Rn. 124, juris).

Soweit die Beigeladenen im gerichtlichen Verfahren schließlich unter Berufung auf die o.g. Stellungnahme des Gesundheitsamts rügen, den Gefahren, die die geplante Sprühkühlung wegen in die Luft emittierender Bakterien, Legionellen und anderer Keime berge, sei nicht ausreichend Rechnung getragen worden, zieht dies nicht die Rechtmäßigkeit der Baugenehmigung in Zweifel, sondern betrifft Fragen der Bauausführung und des Betriebs. Sollte die Installation einer Sprühkühlung trotz der mittlerweile in die Planung aufgenommenen Notlüfter weiterhin beabsichtigt sein, wird die Bauherrin – schon mit Blick auf die Gesundheit der in den Ställen Beschäftigten – dafür Sorge zu tragen haben, dass diese hygienisch einwandfrei funktioniert; die Überwachung der Einhaltung hygienischer Standards obliegt dem Gesundheitsamt des Antragsgegners.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 und § 162 Abs. 3 VwGO. Soweit die Antragstellerin gerichtlich festgestellt haben möchte, dass die Zuziehung eines Bevollmächtigten im Vorverfahren notwendig war, hat sie hierauf keinen Anspruch. Eine derartige gerichtliche Entscheidung über den Umfang der Kostentragungspflicht ist nur dann möglich, wenn das Gericht auch über die Kostentragungspflicht selbst entscheidet. Die im Aussetzungsverfahren nach § 80 Abs. 5 VwGO getroffene Kostenentscheidung enthält jedoch keine Entscheidung über die Kostentragungspflicht in Bezug auf das Widerspruchsverfahren. Zwar sind gemäß § 162 Abs. 1 VwGO Kosten des Verfahrens nicht nur die Gerichtskosten, sondern auch die zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung notwendigen Aufwendungen einschließlich der Kosten des Vorverfahrens. Dies gilt jedoch nur dann, wenn das gerichtliche Verfahren ein Vorverfahren erfordert. Der Begriff des Vorverfahrens i. S. d. § 162 VwGO wird durch die Vorschriften der §§ 68 ff. VwGO bestimmt. Nach § 68 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 2 VwGO bedürfen lediglich die Anfechtungsklage und die Verpflichtungsklage des Vorverfahrens. Der Antrag auf Aufhebung einer behördlichen Aussetzungsentscheidung nach § 80 a Abs. 3 Satz 1 VwGO bedarf eines solchen Vorverfahrens indessen nicht (vgl. VG Neustadt a. d. Weinstraße, Beschluss vom 28. Dezember 2020 - 5 L 1143/20.NW -, juris Rn. 30 unter Verweis auf Thüringer OVG, Beschluss vom 15. September 2000 - 4 ZEO 167/98 -, juris Rn. 3; OVG RP, Beschluss vom 2. Mai 1989 - 13 B 27/89 -, DÖV 1990, 159; Külpmann, in: Finkelnburg/Dombert/Külpmann, Vorläufiger Rechtsschutz im Verwaltungsstreitverfahren, 7. Auflage 2017, Rn. 1105).

Die Streitwertfestsetzung beruht auf §§ 52 Abs. 1, 53 Abs. 2 Nr. 2 GKG und entspricht der Hälfte des für die Hauptsache maßgeblichen Streitwerts. Diesen setzt die Kammer in Anlehnung an den Streitwertkatalog für die Verwaltungsgerichtsbarkeit 2013 mit 10 vom Hundert der Herstellungskosten, die der Gebührenrechnung der Genehmigungsbehörde zugrunde lagen (BA VI, Bl. 840 ff.), mithin 131.600 Euro an (vgl. www.bverwg.de/rechtsprechung/streitwertkatalog.php; dort Nr. 9.1.2.6), der für das vorliegende Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes zu halbieren war (vgl. Nr. 1.5 Satz 1).