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Entscheidung 1 K 1376/19


Metadaten

Gericht VG Cottbus 1. Kammer Entscheidungsdatum 27.05.2021
Aktenzeichen 1 K 1376/19 ECLI ECLI:DE:VGCOTTB:2021:0527.1K1376.19.00
Dokumententyp Urteil Verfahrensgang -
Normen

Tenor

Der Bescheid der Beklagten vom 20. September 2019 (12.90.08/2019) wird aufgehoben. Es wird festgestellt, dass der Beigeladene im Rahmen der Wahl zur Stadtverordnetenversammlung der Stadt L...am 26. Mai 2019 nicht wählbar war; im Übrigen wird das Verfahren eingestellt.

Die Beklagte und der Beigeladene tragen die Kosten des Verfahrens jeweils zur Hälfte.

Das Urteil ist für den Kläger hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar. Die Vollstreckungsschuldner können dessen Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 v. H. der festzusetzenden Kosten abwenden, wenn nicht der Vollstreckungsgläubiger zuvor Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Tatbestand

Der Kläger, ein Bürger der Stadt L...(nachfolgend vereinfachend: die Stadt), wendet sich gegen die Wahl des Beigeladenen zum Stadtverordneten am 26. Mai 2019 mit der Begründung, dieser habe nicht in L...gewohnt.

Der 1978 geborene Beigeladene leitet in der Stadt einen Einkaufsmarkt; er ist verheiratet und hat ein kleines Kind. Die Familie des Beigeladenen bewohnt, wohl seit Mai 2013, im M..., ein Einfamilienhaus mit etwa 120 m² Wohnfläche auf einem annähernd 2.000 m² großen Grundstück (F...]).

Der Beigeladene ist Vorsitzender der Wählervereinigung „...., für die ihrem Internetauftritt mit Stand 27. Oktober 2020 nach (h... die Anschrift M... L...– eine Wohnung unbekannter Größe in einem Wohnblock – angegeben ist. Am 31. Januar 2018 gab sich der Verein die im Internet bekannt gegebene Satzung. Mit seiner Hauptwohnung ist der Beigeladene in G..., mit seiner Nebenwohnung seit Februar 2018 in der M...in L...gemeldet.

Der Beigeladene wurde auf seinen Antrag vom 18. Februar 2019 am 21. Februar 2019 in das Wählerverzeichnis der Stadt eingetragen. Den Antrag hatte er mit seiner beruflichen Tätigkeit in L..., einem „großen Kontakt zu örtlichen Vereinen“, seiner „hohen täglichen Anwesenheit in L...“, seinem „politischen Engagement bei der Bürgermeisterwahl 2018“ und mit der „Mitgliedschaft in 2 eingetragenen L...Vereinen“ – in einem Verein sei er seit 2018 Vorsitzender, in dem anderen Verein seit 2014 einfaches Mitglied – begründet.

Nachdem der Beigeladene auf ein Schreiben des Bürgermeisters der Stadt vom 09. April 2019 mit dem wesentlichen Inhalt, der Beigeladene habe lediglich seit mehr als 3 Monaten seinen Zweitwohnsitz „in der Wohnung seines Schwiegervaters in L...“ gehabt, zunächst durch Entscheidung der Wahlbehörde vom 10. April 2019 aus dem Wählerverzeichnis gestrichen wurde, verfügte die Kreiswahlleiterin auf die Beschwerde des Beigeladenen mit Bescheid vom 17. April 2019 seine Wiedereintragung. Zur Wohnsituation des Beigeladenen führte die Kreiswahlleiterin aus:

„Herr B...stellte seine Lebenssituation wie folgt dar: Er sei bereits vor der Aufnahme seiner Tätigkeit in L...bei der M... – hier im Weiteren „M..." - in Hannover tätig gewesen. Zu dieser Zeit sei die Unternehmensstrategie von M... noch darauf ausgerichtet gewesen, dass die Leiter der M...nach einigen Jahren in andere Einrichtungen wechseln sollen. Zu dieser Zeit hätte sich für Herrn B...daher keine Planungssicherheit im Hinblick auf eine wohnsitzmäßige Beständigkeit ergeben. Als Teil der EDEKA-Gruppe hätte die Unternehmensgruppe M...ihre Strategie geändert und darauf ausgerichtet, dass M...als Teil der Einrichtung an einem Markt verbleiben und sich an diesem vollständig integrieren sollen. Mit dieser Aufgabenstellung ist Herr B...seit dem Jahr 2010 in L...als M...tätig.

Mangels ihm zusagenden Wohnraums bezog er eine Wohnung im Ortsteil K...der Gemeinde S.... Im Jahr 2011 lernte er seine jetzige Ehefrau kennen. Seine Ehefrau stammt aus L...und ist dort in der K..." als Erzieherin tätig. Die Eltern - die Mutter der Ehefrau ist zwischenzeitlich verstorben - sowie die übrigen Verwandten der Ehefrau wohnen in L.... Aus diesen Gründen hat sich auch der Freundeskreis in L...verfestigt bzw. aufgebaut. Herr B...und seine Ehefrau hatten sich aufgrund der Verbundenheit zu der Stadt L...bemüht, in L...Eigentum zu erwerben. In dem Zeitraum ihrer Suche nach einem geeigneten Grundstück hätte sich lediglich die Möglichkeit zum Erwerb eines Grundstückes in der W... ergeben. Dieses Grundstück hätte jedoch nicht ihren Vorstellungen entsprochen. Aufgrund des weiter bestehenden Wunsches, Eigentum zu erwerben und mangels annehmbarer Angebote in der Stadt L...wäre die Entscheidung zum Erwerb des Grundstückes im Ortsteil W... gefallen.

Herr B...und seine Ehefrau sind nach wie vor in L...tätig. Vor 6 Wochen wurde das Kind der Eheleute B...geboren. Das Kind sei bereits in der K...“ angemeldet und würde später diese Einrichtung besuchen.

Herr B...sei seit seiner Zeit in L...sowohl gesellschaftlich als auch in seiner Freizeit aktiv. Seit 2012 ist er im Sportschützenverein. Herr B... hat die Wählergruppe „P...“ mitbegründet und ist deren Vertretungsberechtigter. Er sei aktiv im L.../L...tätig und beteilige sich regelmäßig an den „48-Stunden-Aktionen“. Er sei im öffentlichen Teil der Sitzung der Stadtverordnetenversammlung und ihrer Gremien zugegen und würde sich mit Vorschlägen, Anregungen und Hinweisen einbringen. Im Jahr 2018 war er als Bewerber für die Wahl zum hauptamtlichen Bürgermeister aufgestellt und hat zu dieser Wahl – wenn auch nicht als gewählter Bewerber – jedoch keine unerhebliche Stimmenzahl erreicht.

Aufgrund dessen, dass sich sowohl das berufliche und gesellschaftliche Engagement, die Freizeitaktivitäten, die freundschaftlichen und verwandtschaftlichen Beziehungen ausschließlich auf die Stadt L...beziehen, sieht sich Herr B...unzweifelhaft mit der Stadt L...verbunden. Zum Zweck der Erfüllung all dieser Verpflichtungen hielte sich B...situationsbedingt in der angemeldeten Wohnung in L...in der M... auf. Es sei richtig, dass diese Wohnung gleichwohl von seinem Schwiegervater bewohnt wird. Der Schwiegervater des Herrn B...sei meist auf Montage, teilweise bis zu 3 Wochen. Daher stünde ihm diese Wohnung zur Nutzung auch vollständig zur Verfügung. Als Postanschrift für den privaten Schriftverkehr werde die Anschrift in W...angegeben, Vereinspost bezieht Herr B...über die Anschrift in L...…“

Die Wahlbehörde bestätigte unter dem 07. März 2019 die Wählbarkeit des Beigeladenen. Der Wahlausschuss der Stadt befand am 26. März 2019 über die Zulassung der Wahlvorschläge. Zur Wahl der Stadtverordnetenversammlung am 26. Mai 2019 ließ er Vorschläge von 17 Wahlvorschlagsträgern, unter anderem unter Nr. 16 den Wahlvorschlag der Vereinigung „P... L...“ mit 11 Kandidatinnen und Kandidaten zu; der Beigeladene kandidierte danach auf dem Listenplatz 1. Die Wahlvorschläge wurden am 29. März 2019 durch Aushang bekannt gemacht.

Der Kläger erhob am 01. April 2019 und unter Bezugnahme auf ein Kurzgutachten des P..., Inhaber des Lehrstuhls für Öffentliches Recht, insbesondere Staatsrecht, Verwaltungs- und Kommunalrecht an der U..., vom 20. März 2019 Beschwerde bei dem Wahlausschuss mit der Begründung, dem Beigeladenen fehle die Wählbarkeit. Der Wahlausschuss wies die Beschwerde unter dem 02. April 2019 nach § 37 Abs. 5 S. 2 des Brandenburgischen Kommunalwahlgesetzes (BbgKWahlG) als unzulässig zurück.

Den Einspruch des Klägers vom 07. Mai 2019 gegen die Eintragung des Beigeladenen in das Wählerverzeichnis wies der Bürgermeister unter dem 10. Mai 2019 zurück; die Beschwerde des Klägers vom 11. Mai 2019 wies der Bürgermeister unter Bezugnahme auf eine Entscheidung der Kreiswahlleiterin vom 14. Mai 2019 mit Bescheid vom 15. Mai 2019 zurück.

Einen Antrag des Klägers auf Erlass einer einstweiligen Anordnung (VG 1 L 240/19) wies die Kammer mit Beschluss vom 23. Mai 2019 zurück.

Im Rahmen der Wahl zur Stadtverordnetenversammlung der Stadt am 26. Mai 2019 entfielen auf die Wählervereinigung „P...“ 5.550 von 18.637 gültigen Stimmen, hiervon auf den Beigeladenen 2.750 Stimmen; von den 22 Sitzen in der Stadtverordnetenversammlung stellt „P...“ 7 Sitze. Das Wahlergebnis wurde entsprechend § 13 Abs. 3 der Hauptsatzung der Stadt vom 10. September 2014 durch Aushang in Aushangkästen, wohl am 28. Mai 2019, bekannt gemacht.

Der Kläger erhob am 18. Juni 2019 Einspruch gegen die Gültigkeit der Wahl zur Stadtverordnetenversammlung, mit dem er rügte, dass (1.) der Beigeladene zu Unrecht in das Wählerverzeichnis der Stadt L...für die Wahl zur Stadtverordnetenversammlung am 26. Mai 2019 aufgenommen worden sei und dass sowohl die Voraussetzungen seiner Wahlberechtigung als auch seiner Wählbarkeit fehlerhaft bejaht worden seien, dass (2.) der Wahlausschuss der Stadt L...es unterlassen habe, die fehlende Wählbarkeit des Beigeladenen zur Stadtverordnetenversammlung der Stadt L...vor der Wahl festzustellen und die Zulassungsentscheidung aufzuheben und dass deshalb der Beigeladene fehlerhaft einen Sitz in der Stadtverordnetenversammlung und der Wahlvorschlagsträger „P...“ 2.750 Stimmen erhalten habe. Zudem habe der Wahlausschuss (3.) entgegen seiner gesetzlichen Verpflichtung nach § 59 Abs. 3 S. 1 BbgKWahlG nicht unmittelbar nach der Wahl den Verlust des Sitzes des Beigeladenen wegen Fehlens einer Wählbarkeitsvoraussetzung zur Zeit der Wahl, § 59 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 BbgKWahlG, festgestellt. Es bestünden erhebliche Zweifel, dass der Beigeladene einen Hauptwohnsitz bzw. ständigen Aufenthalt in der Stadt L...habe, was sich auch aus dem vorgelegten Kurzgutachten ergebe.

In ihrer konstituierenden Sitzung vom 25. Juni 2019 übertrug die Stadtverordnetenversammlung die Vorprüfung der Wahleinsprüche auf den Hauptausschuss.

Unter den 27. Juni 2019 bat die Wahlleiterin den Beigeladenen um Darlegung zur Frage seines Wohnsitzes. Der Beigeladene ließ mit rechtsanwaltlicher Stellungnahme vom 24. Juli 2019 im Wesentlichen vortragen, er habe die Nebenwohnung in L...begründet, um die Möglichkeit zu haben, bei längeren privaten, öffentlichen oder geschäftlichen Terminen, die bis in die Abendstunden hineinreichten, in L...zu übernachten. Seine Ehefrau sei in L...geboren und sie sei, von familiären Kontakten in der Stadt abgesehen, auch beruflich mit der Stadt verbunden. Neben seiner Tätigkeit als Leiter des Einkaufsmarktes sei er als Vorstandsvorsitzender des Vereins „P...“ aktiv und nehme im Rahmen der Vereinsarbeit an verschiedenen städtischen Aktivitäten teil. Er habe durchschnittlich ca. 8 Stunden wöchentlich Vereinsarbeit zu leisten. Auch darüber hinaus nehme er am sozialen und kulturellen Leben in L...teil. Er sei Mitglied im L...und nehme in einem Sportschützenverein am Übungsschießen teil.

Die Rügen des Klägers zu 1. und 2. waren Gegenstand der Beschlussvorlage des Bürgermeisters der Stadt L...vom 26. August 2019 (Nr. 2019/003/VII – „Die Stadtverordnetenversammlung beschließt gemäß § 57 Abs. 2 Nr. 2 BbgKWahlG folgende Wahlprüfungsentscheidung: Die Wahleinsprüche von Frau (…) vom 13. Juni 2019 und Herrn V...vom 15.6.2019 sind unzulässig und werden zurückgewiesen. Die Wahl ist gültig.“); die Rüge zu 3. war Gegenstand der Beschlussvorlage des Bürgermeisters der Stadt L...vom 26. August 2019 (Nr. 2019/014/VII – „Die Einsprüche von (…) vom 13.6.2019 und Herrn V... vom 15.6.2019 nach § 59 Abs. 4 i.V.m. § 55 BbgKWahlG sind begründet. Der Tatbestand des § 59 Abs. 1 Nr. 2 BbgKWahlG – nachträgliche Feststellung des Fehlens einer Wählbarkeitsvoraussetzung zur Zeit der Wahl – ist gegeben. Die Stadtverordnetenversammlung stellt auf der Grundlage des § 59 Abs. 1 Nr. 2 BbgKWahlG den Verlust des Sitzes des Herrn M...(P...) aufgrund des Fehlens der Wählbarkeitsvoraussetzung zur Zeit der Wahl fest“).

Der Hauptausschuss stimmte der erstgenannten Beschlussvorlage in seiner Sitzung vom 11. September 2019 einstimmig zu; die zweitgenannte Beschlussvorlage lehnte er mehrheitlich ab. Entsprechend befand die Beklagte in ihrer Sitzung vom 18. September 2019.

Der Vorsitzende der Beklagten teilte dem Kläger die Wahlprüfungsentscheidungen mit Bescheiden vom 19. September 2019 (zu den Rügen Nr. 1. und 2.) und 20. September 2019 (zur Rüge Nr. 3.) mit.

Zur erstgenannte Entscheidung führte der Vorsitzende der Beklagten im Wesentlichen aus: Die Rüge des Klägers, der Beigeladene sei zu Unrecht als wahlberechtigt und wählbar angesehen worden, sei nach § 55 Abs. 1 S. 2 BbgKWahlG unzulässig.

Entsprechendes gelte für die Rüge, der Wahlausschuss der Stadt L...habe es unterlassen, die fehlende Wählbarkeit des Beigeladenen zur Stadtverordnetenversammlung festzustellen und die Zulassungsentscheidung aufzuheben. Im Übrigen sei darauf hinzuweisen, dass die Beschwerde des Klägers vom 02. April 2019, die noch am selben Tag durch die zuständige Kreiswahlleiterin zurückgewiesen worden sei, zu einem Zeitpunkt eingegangen sei, zu dem die Ladungs- und Veröffentlichungsfristen eine etwaige Änderung des Beschlusses nicht mehr zugelassen hätten.

Zur Begründung des Bescheides vom 20. September 2019 heißt es im Wesentlichen:

Die Rüge des Klägers, der Wahlausschuss habe unmittelbar nach der Wahl feststellen müssen, dass dem Beigeladenen die Wählbarkeit gefehlt habe, sei nicht im Rahmen des § 57 BbgKWahlG, sondern des § 59 Abs. 1 Nr. 2 BbgKWahlG möglich. Insoweit sei der Wahleinspruch des Klägers zulässig, jedoch unbegründet. Die Wählbarkeit vor der Wahl sei „zweifellos gegeben“ gewesen, weil eine von der Wahlbehörde bescheinigte Wählbarkeitsbescheinigung vorgelegen habe. Zum Zeitpunkt der Beschwerde des Klägers vom 02. April 2019 sei eine Änderung des Beschlusses über die Zulassung des Beigeladenen zur Wahl nicht mehr möglich gewesen. Der Wahlausschuss habe vor der Annahme der Wahl durch den Beigeladenen am 10. Juni 2019 nicht tätig werden können. Die Richtigkeit der Angaben des Beigeladenen aus dem Schreiben vom 25. Juli 2019 sei zweifelsfrei und die sich anschließende Rechtsfrage sei dahingehend zu beantworten, dass der Beigeladene, der seit dem 19. Februar 2018 einen Nebenwohnsitz in L...besitze, dort wählbar gewesen sei. Dieser habe „seit mindestens 26. Februar 2019 den Schwerpunkt seiner Lebensverhältnisse in der Stadt L...gehabt“ und habe dies auch weiterhin.

Der Kläger hat am 18. Oktober 2019 Klage erhoben, mit der er sich gegen die Bescheide vom 19. und 20. September 2019 wandte.

Der Berichterstatter hat die Beklagte und den Beigeladenen mit Verfügung vom 19. Mai 2020 unter Hinweis auf § 87b der Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) aufgefordert, die Behauptung, der Schwerpunkt der Lebensverhältnisse des Beigeladenen befinde sich in L..., zu substantiieren und durch entsprechende Unterlagen zu belegen oder anderweitig Beweis anzutreten.

Die Beklagte hat sich auf die Ausführungen des Beigeladenen bezogen, der mit Schriftsatz seiner Prozessbevollmächtigten vom 07. September 2020 auf seine im Einzelnen benannten Termine in der Stadt L...in der Zeit vom 02. März 2019 bis zum 10. Juli 2019 verwiesen und seine Teilnahme an Bürgersprechstunden unter Beweis gestellt hat.

Der Kläger trägt zur Begründung der Klage im Wesentlichen vor:

Die Wahlberechtigung des Beigeladenen habe weder im Zeitpunkt der Wahl bestanden noch bestehe sie im Zeitpunkt der Klageerhebung. Dem Beigeladenen sei es auch im verwaltungsgerichtlichen Verfahren nicht gelungen, die Regelvermutung des § 8 S. 2 BbgKWahlG zu widerlegen. Die von ihm mit Schriftsatz seiner Prozessbevollmächtigten vom 07. September 2020 benannten Termine seien allesamt solche, die dem Kommunalwahlkampf geschuldet seien und ein nicht unerheblicher Teil dieser Termine sei in die Arbeitszeit des Beigeladenen als Marktleiter gefallen. Allein der Aufenthalt am Arbeitsort sei nicht ausreichend und der Beigeladene habe keinen einziges Mal angegeben, sich in der Wohnung aufgehalten, geschweige denn, dort übernachtet zu haben. Im Übrigen bezieht sich der Kläger auf die Begründung seines Wahleinspruchs vom 15. Juni 2019, das von ihm vorgelegte rechtswissenschaftliche Kurzgutachten und den Beschluss der Kammer vom 23. Mai 2019 (VG 1 L 240/19).

Der Kläger beantragt nunmehr,

den Wahlprüfungsbescheid vom 20. September 2019 aufzuheben und festzustellen, dass der Beigeladene im Rahmen der Wahl zur Stadtverordnetenversammlung der Stadt L...am 26. Mai 2019 nicht wählbar war.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Der Wahlausschuss habe die Rügen des Klägers zu 1. und 2. zu Recht nach § 55 Abs. 1 S. 2 BbgKWahlG als unzulässig angesehen; darüber hinaus seien die Rügen aber auch unbegründet, weil der Beigeladene nach § 11 Abs. 1 S. 1 BbgKWahlG wählbar gewesen sei.

Dieser Umstand führe auch zur Unbegründetheit der Rüge zu 3.

Die Voraussetzungen des § 59 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 i.V.m. § 11 Abs. 1 S. 1 BbgKWahlG lägen nicht vor. Der Beigeladene habe jedenfalls seit dem 26. Februar 2019 einen ständigen Wohnsitz im Gebiet der Stadt L.... Die Stadtverordnetenversammlung teile das obiter dictum der Kammer in ihrem Beschluss vom 23. Mai 2019 nicht. Die heutige Fassung des Brandenburgischen Kommunalwahlgesetzes beruhe auf der Änderung vom 30. März 1998 und die Erwägungen hierfür ergäben sich aus der Landtagsdrucksache 2/4906. Der Landesgesetzgeber habe die Rechtsfolge bisherigen Rechts, dass eine wahlberechtigte verheiratete Person, die nicht dauernd getrennt von ihrer Familie lebe, ausschließlich am Wohnsitz der Familie und nicht am Ort der Nebenwohnung wahlberechtigt sei, erkannt und er habe darauf abgestellt, dass es sich nicht lediglich um seltene Ausnahmefälle, sondern die soziale Realität handele; dem einem nachhaltigen gesellschaftlichen Wandel und der Vielfalt der Erscheinungsformen der Familie geschuldeten breiteren Phänomenen müsse im Kommunalwahlrecht Rechnung getragen werden. Verheiratete, deren Hauptwohnung nicht am Ort des Schwerpunktes ihrer Lebensverhältnisse liege, müssten „am Ort der Wohnung, in der sie sich überwiegend aufhielten“, ihr Wahlrecht ausüben können. Soweit das OVG für das Land Brandenburg in dem Urteil vom 20. September 2001 (1 A 15/00), dem ein nicht vergleichbarer Sachverhalt zu Grund gelegen habe, zu der Auffassung gelangt sei, dass die Regelungsabsicht des Landesgesetzgebers im Gesetzeswortlaut mit seiner ausschließlichen Bezugnahme auf das Bestehen ein ständiges Wohnsitzes keinen Niederschlag gefunden habe, könne dem lediglich im Rahmen einer einfachgesetzlichen Betrachtung gefolgt werden. Entsprechend dem Urteil des Thüringer Verfassungsgerichtshofes vom 12. Juni 1997 (VerfGH 13/95) sei eine „verfassungskonforme Auslegung“ der Norm mit Blick auf Art. 26 Abs. 1 S. 1 der Verfassung des Landes Brandenburg (LV) möglich und auch geboten. Eine verfassungsrechtliche Wertentscheidung könne die Begründung eines ständigen Wohnsitzes am Ort der melderechtlich Nebenwohnung nahelegen, wenn sich dort nicht lediglich ein abgegrenzter Teil der Lebensverhältnisse realisiere, sondern an diesem Ort, mit Ausnahme des Zusammenwohnens mit der Ehefrau oder dem gemeinsamen Kind, die beruflichen, freizeitlichen, gesellschaftlichen und kommunalpolitischen Lebensverhältnisse der Person lägen. Entsprechend sei die Rechtsprechung des OVG Berlin-Brandenburg zu verstehen, so etwa in dem Beschluss vom 24. Januar 2020 (OVG 12 S 48.19).

Der Beigeladene bewohne unter der Anschrift M...in L...eine Wohnung in einem festen Gebäude mit seinem Schwiegervater, der sich regelmäßig über Wochen wegen seiner beruflichen Tätigkeit auf Montage auswärts aufhalte. Die dortige Wohnung, die auch für den Verein „P...“ Verwendung finde, verfüge über einen Briefkasten mit dem Namen des Beigeladenen. Dass eine Zustellung eines gerichtlichen Schreibens an diese Anschrift fehlgeschlagen sei, sei nichts Ungewöhnliches. Auch § 2 Abs. 1 BbgKVerf müsse vorliegend Berücksichtigung finden. Übertrage man den Gedanken der politischen Teilhabe auf den Beigeladenen, werde deutlich, dass der gesellschaftliche und politische Teil seiner Lebensverhältnisse einen eindeutigen Bezug zu der Stadt aufweise. Dieser sei dort in ganz erheblichen Umfang mit persönlichem Zeitaufwand und Engagement präsent gewesen. Das verdeutliche auch das Wahlergebnis, das eine weniger bekannte Person mit lediglich beruflicher Tätigkeit in L...nicht erzielt hätte. Mit dem Hinweis des Gerichts auf eine nur geringe Wegstrecke zwischen G...und L...könne allenfalls eine „Wahrscheinlichkeitsbeurteilung“ dergestalt verbunden sein, dass bei einer großen Distanz beider Orte die Häufigkeit des Aufenthalts am melderechtlichen Hauptwohnsitz geringer sei als im Fall einer nur geringen Wegstrecke. Verbunden damit wäre die Annahme, dass die zeitliche Dauer des Aufenthalts unabhängig von der Lebensführung der zu beurteilende Person entscheidungserhebliche Bedeutung im Rahmen des Rechtsbegriffs des „ständigen Wohnsitzes“ beanspruche. Dies sei nach ihrer Auffassung nicht der Fall, denn der Beigeladener halte sich regelmäßig nur an einigen Wochenenden ohne Veranstaltungen in L...sowie in den Nachtstunden in G...auf. Die beruflichen, gesellschaftlichen, freizeitlichen und kommunalpolitischen Lebensverhältnisse des Beigeladenen seien entscheidungserheblich, nicht hingegen die Nachtstunden mit rein physischer Anwesenheit in der Familienwohnung.

Der Beigeladene beantragt ebenfalls,

die Klage abzuweisen.

Er ist im Wesentlichen der Auffassung, der Rechtsstreit konzentriere sich auf die Auslegung des § 8 S. 1 Nr. 3 lit. a) BbgKWahlG, der das allgemeine Wahlrecht nach Art. 22 Abs. 1
VerfBbg – rechtfertigungsbedürftig – einschränke. Das bedinge die restriktive Auslegung des einfachen Gesetzes. Sachliche Einschränkung des passiven Wahlrechts sei das Näheverhältnis zur Kommune und ein Indiz hierfür sei zweifelsohne die Wohnung. Der Gesetzgeber habe mit § 8 S. 2 BbgKWahlG dem Umstand Rechnung getragen, dass der Hauptwohnsitz – anders als noch vor 50 Jahren – nicht zwingend mit dem Lebensmittelpunkt zusammenfallen müsse. Vorliegend sei die Stadt L...der Schwerpunkt seiner persönlichen, sozialen und politischen Beziehungen. Hierzu habe er umfassend vorgetragen.

Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichtsakte und den Verwaltungsvorgang der Beklagten Bezug genommen. Diese Unterlagen waren Gegenstand der mündlichen Verhandlung und der Entscheidungsfindung der Kammer.

Entscheidungsgründe

I. Das Verfahren ist nach § 92 Abs. 3 S. 1 der Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) einzustellen, nachdem der Kläger die Klage gegen den Bescheid der Beklagten vom 19. September 2019 nach Erörterung in der mündlichen Verhandlung sinngemäß zurückgenommen hat.

II. Im Übrigen ist die Klage als Wahlprüfungsklage statthaft und nach § 58 Abs. 2 S. 1 und 2 BbgKWahlG auch ansonsten zulässig.

1. Die Kammer geht für die Anfechtung der Wahl zu einer Stadtverordnetenversammlung davon aus, dass das Gericht im Wahlprüfungsverfahren nicht auf einen Verpflichtungsausspruch beschränkt ist, vielmehr das Begehren auf Feststellung der Ungültigkeit der Wahl mit der Wahlprüfungsklage als einer Gestaltungsklage eigener Art zu verfolgen ist, welche neben der Anfechtung der Wahlprüfungsentscheidung der Beklagten auf die Feststellung der Ungültigkeit der Wahl durch das Verwaltungsgericht zielt (vgl. Urt. v. 24. Juli 2018 – VG 1 K 1821/14 –, juris Rn. 31 unter Bezugnahme auf: OVG f. d. Ld. Brandenburg, Urt. v. 20. September 2001 – 1 A 15/00 –, juris Rn. 39, sowie Urt. v. 18. Oktober 2001 – 1 A 200/00 –, juris Rn. 36; vgl. auch VG Cottbus, Urteil vom 24. Juli 2018 – 1 K 1821/14 –, Rn. 31 juris [Abwahl eines hauptamtlichen Bürgermeisters] und Schumacher in: Schumacher/Benedens/Erdmann etc., Kommunalverfassungsrecht Brandenburg, BbgKWahlG, Stand: Februar 2019, § 58, Erl. 3.1).

Maßgebend hierfür ist zum einen § 59 Abs. 1 S.1 Nr. 5 BbgKWahlG – wonach ein Vertreter seinen Sitz „durch eine Entscheidung im Wahlprüfungsverfahren oder durch eine gerichtliche Entscheidung (verliert), nach der die Wahl der Vertretung oder des Vertreters ungültig ist“ –, zum anderen, dass ein an sich denkbarer, auf die Ungültigkeitsfeststellung bezogener Verpflichtungsausspruch der dem Wahlüberprüfungsverfahren zugrunde liegenden Intention zuwiderlaufen würde, so rasch wie möglich verbindlich Klarheit über den weiteren Bestand der mit der angefochtenen Wahl gewählten Gemeindevertretung zu erlangen (OVG f. d. Ld. Brandenburg, Urt. v. 18. Oktober 2001 – 1 A 200/00 –, juris Rn. 36).

Die Klage gegen den Bescheid der Beklagten vom 20. September 2019 ist ebenfalls im Rahmen einer Wahlprüfungsklage statthaft, obwohl nicht die Rechtmäßigkeit der Wahl zu einer Gemeindevertretung oder Stadtverordnetenversammlung an sich, sondern die nachträgliche Feststellung der fehlenden Wählbarkeit eines gewählten Vertreters zum Zeitpunkt der Wahl nach § 59 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 BbgKWahlG in Rede steht. Zwar hat der vom Kläger schriftsätzlich angekündigte Verpflichtungsantrag den Wortlaut des § 59 Abs. 4 S. 4 BbgKWahlG für sich, wonach die Vertretung die entsprechende Feststellung trifft, sofern der Wahlausschuss oder der Wahlleiter untätig geblieben sind. Dem steht aber zum einen entgegen, dass gegen die Feststellung des Wahlausschusses oder des Wahlleiters nach § 59 Abs. 3 BbgKWahlG wie im eigentlichen Wahlprüfungsverfahren die in den §§ 55 - 58 BbgKWahlG genannten Rechtsbehelfe gegeben sind, und zwar auch dann, wenn keine Feststellung getroffen wird, obwohl eine der in § 59 Abs. 1 Nr. 1 - 4, 6 und 7 BbgKWahlG genannten Voraussetzungen für den Sitzverlust eines Vertreters vorliegt, § 59 Abs. 4 S. 1 und 2 BbgKWahlG. Zum anderen und vor allem streitet für die Statthaftigkeit der Wahlprüfungsklage in dieser Konstellation ebenfalls im Wesentlichen der Gedanke, dass auch insoweit möglichst rasch Klarheit über die Zusammensetzung der Vertretung erlangt werden muss.

Der Kläger hat den von ihm angekündigten Verpflichtungsantrag auf Anraten des Gerichts dahingehend formuliert, dass die Feststellung begehrt wird, dass dem Beigeladenen zum Zeitpunkt der Wahl die Wählbarkeit fehlte. Im Fall der Rechtskraft des Feststellungsausspruchs ergibt sich die zwingende Rechtsfolge aus § 59 Abs. 1 Nr. 2 BbgKWahlG, ohne dass es eines dahingehenden gerichtlichen Ausspruches bedürfte.

2. Die Wahlprüfungsklage gegen die Entscheidung der Beklagten vom 20. September 2019 ist auch ansonsten zulässig.

Nach § 58 Abs. 2 S. 1 und S. 2 BbgKWahlG ist gegen die Wahlprüfungsentscheidung der Vertretung innerhalb eines Monats nach Bekanntgabe die Klage vor dem Verwaltungsgericht zulässig, wobei die allgemeinen Vorschriften über das verwaltungsgerichtliche Verfahren mit der Maßgabe Anwendung finden, dass die Klage gegen die Vertretung zu richten ist und ein Widerspruch gegen den Beschluss der Vertretung nicht stattfindet.

Die Klage vom 18. Oktober 2019 wahrte danach die Klagefrist des § 58 Abs. 2 S. 1 BbgKWahlG und sie unterliegt auch ansonsten keinen Zulässigkeitsbedenken.

III. Die Klage ist auch begründet.

Das Gericht hat festzustellen, dass der Beigeladene zur Wahl der Stadtverordnetenversammlung der Stadt L...am 26. Mai 2019 nicht wählbar war.

Hinsichtlich des Wohnsitzes oder gewöhnlichen Aufenthalts bestimmt § 11 Abs. 1 S. 1 BbgKWahlG, dass alle wahlberechtigten Personen, die am Wahltag seit mindestens 3 Monaten im Wahlgebiet ihren ständigen Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt haben, wählbar sind. Nach § 11 Abs. 1 S. 2 i. V. m. § 8 S. 2 BbgKWahlG wird bei Inhabern von Hauptwohnung und Nebenwohnung der ständige Wohnsitz am Ort der melderechtlichen Hauptwohnung vermutet, nach § 11 Abs. 1 S. 2 i. V. m. § 10 Abs. 1 S. 3 BbgKWahlG wird eine wahlberechtigte Person, deren Hauptwohnung außerhalb des Wahlgebietes liegt, am Ort der Nebenwohnung auf Antrag in das Wählerverzeichnis eingetragen, wenn sie hier einen ständigen Wohnsitz im Sinne des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB) hat.

Es lässt sich nicht feststellen, dass der Beigeladene am 26. Mai 2019 im Wahlgebiet – nach § 3 Abs. 3 BbgKWahlG das Gebiet der kreisangehörigen Stadt L...– seit mindestens 3 Monaten seinen ständigen Wohnsitz besaß, § 11 Abs. 1 S. 1 BbgKWahlG. Der Beigeladene hat seine melderechtliche Hauptwohnung in G..., so dass es an ihm (bzw. der Beklagten) gewesen wäre, die gesetzliche Vermutung des § 11 Abs. 1 S. 2 i. V. m. § 8 S. 2 BbgKWahlG zu widerlegen, indem er den vollen Beweis des Gegenteils führt, § 173 S. 1 VwGO i. V. m. § 292 S. 1 der Zivilprozessordnung (ZPO), und die Überzeugung des Gerichts, § 108 Abs. 1 S. 1 VwGO, dahingehend ermöglicht (zu diesem Maßstab vgl. auch: BVerwG, Urt. v. 05. Juni 2020 – BVerwG 5 C 3.19 D –, juris Rn. 12 [zu § 198 Abs. 2 S. 1 des Gerichtsverfassungsgesetzes]), dass er seit dem 25. Februar 2019 nicht in G..., sondern in der Stadt L...seinen ständigen Wohnsitz besaß. Der Beigeladene hat weder diesen Beweis geführt noch hat er der Kammer unter Berücksichtigung Ihrer Verpflichtung zur Klärung des Sachverhalts von Amts wegen, § 86 Abs. 1 S. 1 1. Hs. VwGO, auch nur hinreichende Ansatzpunkte für eine weitere Klärung des Sachverhalts geliefert, die mit Blick auf die Privatsphäre des Beigeladenen und seiner Familie ohnehin zurückhaltend zu handhaben gewesen wäre. Im Einzelnen:

Eine Person begründet nach § 7 Abs. 1 BGB einen ständigen Wohnsitz an dem Ort, an dem sie sich ständig niederlässt. Diese ständige Niederlassung setzt einen entsprechenden Willensentschluss und die Umsetzung dieses Entschlusses durch tatsächliche Niederlassung voraus. Wohnsitz im Rechtssinne ist der Ort, zu dem eine Person den räumlichen Schwerpunkt ihrer gesamten Lebensverhältnisse bestimmt hat, wobei ein Wohnsitz zwar eine Wohnung voraussetzt (Avvento in: Gosch, Abgabenordnung/Finanzgerichtsordnung, 1. Aufl. 1995, 156. Lieferung, § 8 Wohnsitz, Rn. 15), allerdings nicht die Wohnung an sich, sondern die kleinste politische Einheit, in der Regel die Gemeinde, meint, in der die Wohnung liegt (Martinek in: Herberger/Martinek/Rüßmann/Weth/Würdinger, jurisPK-BGB, 9. Aufl., Stand: 01.05.2020, § 7 BGB Rn. 4); auf einen Domizilwillen kann aus dem gesamten Verhalten der Person und den sonstigen Umständen des Einzelfalles geschlossen werden (BGH, Beschl. v. 14. Juli 1952 – IV ZB 21/52 (KG) –, zit., nach beck.online.de; BeckOGK/Behme, 1.9.2020 Rn. 22, BGB § 7 Rn. 22).

Abzugrenzen von dem Begriff des Wohnsitzes ist derjenige des Aufenthaltes, der ein rein tatsächliche Zustandsverhältnis einer Person zu einem bestimmten Ort oder zu einer bestimmten Region beschreibt und der im Unterschied zum Wohnsitz keinen dahin gehenden Willen voraussetzt, sondern ein rein tatsächliches Verweilen von gewisser Dauer oder Regelmäßigkeit, auch in einer Region, genügen lässt (Martinek in: Herberger/Martinek/Rüßmann/Weth/Würdinger, jurisPK-BGB, 9. Aufl., Stand: 01.05.2020), § 7 BGB Rn. 5; BeckOK BGB/Bamberger, 53. Ed. 1.2.2020, BGB § 7 Rn. 21).

Da es sich bei der Niederlassung um den Ort handelt, an dem sich der Schwerpunkt des persönlichen Lebens befindet, ist es notwendig, dass der Betreffende an diesem Ort eine Wohnung besitzt und persönlich auch bezieht. In welcher rechtlichen Gestalt diese Wohnung genutzt wird, ob als Eigentum oder durch Miete bzw. Untermiete, ist allerdings gleichgültig (Staudinger/Kannowski (2018) BGB § 7, Rn. 8). Vielmehr ist eine Niederlassung jedes Obdach einer Person in überdachten Räumen, wobei es auch auf die Ausstattung der Unterkunft nicht ankommt, eine eigene Wohnung nicht erforderlich ist und das Wohnen in einem Gasthaus oder Hotel oder das Bewohnen eines Zimmers unter behelfsmäßigen Umständen zur Untermiete oder bei Verwandten und Bekannten genügt. Arbeitnehmer können in Ermangelung eines anderen Lebensschwerpunktes ihren Wohnsitz an ihrem Arbeitsort haben, unter Umständen sogar an Bord eines Schiffes (Martinek/Heine in: Herberger/Martinek/Rüßmann/Weth/ Würdinger, jurisPK-BGB, 9. Aufl., Stand: 01.05.2020, § 7 BGB Rn. 11/12; BeckOGK/Behme, Stand: 1.9.2020, BGB § 7 Rn. 20). Bei einfachsten Behausungen wird allerdings in besonderem Maße zu prüfen sein, ob sie zur dauerhaften Nutzung geeignet sind und ob der Betreffende sie tatsächlich innehat (Avvento in: Gosch, Abgabenordnung/Finanzgerichtsordnung, 1. Aufl. 1995, 156. Lieferung, § 8 Wohnsitz, Rn. 16).

Bei der Feststellung des räumlichen Schwerpunktes der Lebensverhältnisse sind alle für den Einzelfall bedeutsamen Umstände zu würdigen, wozu die persönlichen, beruflichen, wirtschaftlichen und häuslichen Verhältnisse sowie die Absichten des Betroffenen gehören; die polizeiliche Anmeldung stellt demgegenüber lediglich ein Indiz für den Willen zur Begründung eines Wohnsitzes dar (Martinek/Heine in: Herberger/Martinek/Rüßmann/Weth/ Würdinger, jurisPK-BGB, 9. Aufl., Stand: 01.05.2020, § 7 BGB, Rn. 12; vgl. auch: Nobbe in: Schumacher/Benedens/Erdmann etc., Kommunalverfassungsrecht Brandenburg, BbgKWahlG, Stand: Februar 2019, § 8, Erl. 3.1, wonach ein verheirateter Arbeitnehmer, der an einem anderen Ort als dem Ort der Familienwohnung arbeitet, „in zahlreichen Vereinen tätig ist“ und am kulturellen und sozialen Leben teilnimmt, am Arbeitsort den räumlichen Schwerpunkt seiner Lebensverhältnisse haben kann).

Maßgeblich ist, dass der Schwerpunkt der Lebensverhältnisse an dem betreffenden Ort liegt. Zwar kann eine Person einen ständigen Wohnsitz nach § 7 Abs. 2 BGB gleichzeitig an mehreren Orten haben, wenn die Orte gleichermaßen den Schwerpunkt der gesamten Lebensverhältnisse der Person darstellen, so etwa bei einer Person, die sich im Sommer ständig an einem Ort, im Winter ständig an einem anderen Ort aufhält, und die an beiden Orten ständige Wohnungen hat. In diesen Fällen sind stets gleichzeitig beide Orte und nicht etwa abwechselnd der eine oder der andere Wohnsitz. Ein solcher Doppelwohnsitz erfordert allerdings, dass die Lebensverhältnisse der Person von jedem der in Betracht kommenden Orte in ihrer Gesamtheit bestimmt werden; wird der Aufenthalt an einem der Orte wegen eines abgesonderten und begrenzten Teils der gesamten Lebensverhältnisse – etwa zu rein beruflichen Zwecken oder zu reinen Erholungs- und Freizeitzwecken – genommen, besteht an diesem Ort gerade kein ständiger Wohnsitz dieser Person (vgl. BVerwG Beschl. v. 19. Juni 2013 – BVerwG 5 B 87.12 –, BeckRS 2013, 53024 Rn. 7, beck-online; ausf. u. m. umfangreichen w. N. das frühere OVG für das Land Brandenburg, Urt. v. 20. September 2001 – 1 A 15/00 –, juris Rn. 51; vgl. auch: OVG Berlin-Brandenburg, Beschl. v. 24. Januar 2020 – OVG 12 S 48.19 –, BeckRS 2020, 525 im Anschluss an VG Frankfurt (Oder), Beschl. v. 18. Oktober 2019 – VG 4 L 527/19 –, BeckRS 2019, 26438). Grundsätzlich ist davon auszugehen, dass eine Person nur einen Wohnsitz hat (Saenger in: Erman, BGB, 15. Aufl. 2017, § 7 BGB, Rn. 9).

Die Kammer ist nicht davon überzeugt, dass der Beigeladene seit dem 25. Februar 2019 seinen Wohnsitz in der Stadt L...besaß. Sie hält im Ergebnis an ihrem obiter dictum des Verfahrens V...(juris Rn. 12 und BA S. 5/6) fest:

„ …Der Beigeladene hat die gesetzliche Vermutung eines ständigen Wohnsitzes an dem Ort, in dem seine Familie in einem Eigenheim wohnt – in G...–, ersichtlich weder in seinem Antrag vom 18. Februar 2019 noch – ausweislich der Begründung aus der Anordnung der Kreiswahlleiterin vom 17. April 2019 – im Rahmen der Anhörung durch diese widerlegt noch gar die tatsächlichen Umstände für eine Widerlegung glaubhaft gemacht (vgl. dazu etwa auch: VG Potsdam, Beschl. v. 20. Februar 2002 – 2 L 848/01 –, juris, insb. Rn. 21).

Die (von Seiten des Gerichts unterstellten) Umstände, dass der Beigeladene und seine Ehefrau in L...beruflich tätig sind, dass die Verwandten der Ehefrau des Beigeladenen in L...wohnen und dass sich „auch der Freundeskreis in L...verfestigt“ bzw. dass sich ein Freundeskreis „aufgebaut“ habe, sind dem Vorstehenden nach nicht geeignet, die Annahme zu widerlegen, dass sich der Schwerpunkt der Lebensverhältnisse des Beigeladenen an dem Ort befindet, an dem die dreiköpfige Familie in einem in ihrem Eigentum stehenden Haus wohnt.

Entsprechendes gilt für die dargelegten Freizeitaktivitäten – der Sitz des „L.../L...“ befindet sich, soweit ersichtlich, ohnehin nicht in L...– und die politischen Aktivitäten des Beigeladenen. Vor dem Hintergrund der – vorliegend sehr wohl bedeutsamen – nur geringen Wegstrecke zwischen G...und L..., der Familiensituation des Beigeladenen und des Wohneigentums in G...kann nach alledem schwerlich davon ausgegangen werden, dass der Beigeladene (auch) in L...einen ständigen Wohnsitz besitzt; der sich aus der Auffassung der Kreiswahlleiterin (eine „Überlegung hinsichtlich der Frage, ob ein Doppelwohnsitz vorliegend könnte, […] [komme] nicht in Betracht“, S. 4 der Anordnung vom 17. April 2019) zwingend ergebende Schluss, der Beigeladene besitze gar einen alleinigen ständigen Wohnsitz in L..., verbietet sich ohnehin…“.

Maßgeblich für diese Überzeugung des Gerichts ist zum einen der Umstand, dass der Beigeladene und seine Familie in G...ein großzügiges Anwesen bewohnen. Dieser Umstand in Verbindung mit der nur geringen Wegstrecke zwischen den Wohnungen in L...und G...von, je nach Wegstrecke, knapp über 20 bis maximal 30 km, spricht in besonderem Maße gegen den Vortrag des Beigeladenen, er habe L...zum Schwerpunkt seiner gesamten Lebensverhältnisse gemacht.

Dass dem so ist, hat der Beigeladene zudem auch auf die gerichtliche Aufforderung und nach Erörterung in der mündlichen Verhandlung nicht weiter substantiiert. Vielmehr hat er auf die Verfügung des Berichterstatters vom 19. Mai 2020 zwar umfänglich zu seinen gesellschaftlichen und politischen Verbindungen zu der Stadt L...vorgetragen, jedoch jeglichen Vortrag zu der Frage vermissen lassen, ob und in welchem Umfang er die Wohnung in der M...in L...tatsächlich nutzt. So hat der Beigeladene schon nicht zu der Größe und Ausstattung der Wohnung vorgetragen, sodass für das Gericht bereits offen ist, ob der Beigeladene mit dieser Wohnung den Schwerpunkt seiner Lebensverhältnisse in L...haben kann. Insoweit hätte es nahe gelegen, den mutmaßlichen Mieter der Wohnung – nach Aktenlage seinen Schwiegervater – als Zeugen zu benennen und entsprechende Unterlagen vorzulegen, die belegen, dass auch er die Wohnung in nennenswertem Umfang nutzt; auch das Anerbieten, Nachbarn als Zeugen zu der Frage des tatsächlichen Aufenthalts des Beigeladenen in der Wohnung seines Schwiegervaters zu vernehmen, wäre naheliegend gewesen (vgl. BeckOGK/Behme, 1.9.2020, BGB § 7 Rn. 31; MüKoBGB/Spickhoff, 8. Aufl. 2018 Rn. 46, BGB § 7 Rn. 46). Entsprechende Beweisangebote hat der Beigeladene ungeachtet des Umstandes, dass die Verhältnisse seine Sphäre betreffen, jedoch dem Gericht nicht unterbreitet. Die fehlende Einlassung des Beigeladenen hierzu erscheint auch folgerichtig, weil die in dem Schriftsatz seiner Prozessbevollmächtigten benannten Termine politischer und privater Natur, wie der Kläger zutreffend ausführt, ohne weitergehende Erläuterung darauf schließen lassen, dass der Beigeladene die Wohnung seines Schwiegervaters in L...nicht als Übernachtungsmöglichkeit und auch zu anderen Zeiten allenfalls gelegentlich für politische Zwecke genutzt hat. Hiermit ebenfalls übereinstimmend hat der Beigeladene auch in der mündlichen Verhandlung lediglich darauf verweisen lassen bzw. verwiesen, dass ihn Post unter der Anschrift der Nebenwohnung „regelmäßig erreiche“ und dass seine Ehefrau seit mehreren Jahren ehrenamtlich im Frauenhaus in L...tätig sei; der Anmerkung des Klägers, er habe das Kraftfahrzeug des Beigeladenen, einen schwarzen BMW, noch nie vor dessen Zweitwohnung in L...gesehen, ist er – ohne dass diese Anmerkung für die Kammer entscheidungstragend wäre – nicht entgegengetreten.

Die gesetzliche Vermutung, dass sich der Schwerpunkt der Lebensverhältnisse des Beigeladenen am Ort der Familienwohnung in G...befindet – eines Einfamilienhauses, das ersichtlich hierfür die Voraussetzung bietet – ist angesichts dessen weder erschüttert noch gar widerlegt und eine weitere Klärung des Sachverhalts von Amts wegen kommt nicht in Betracht. Die Beklagte und der Beigeladene haben davon abgesehen, Beweis für die maßgeblichen Fragen anzubieten und der Beweiserhebung von Amts wegen sind angesichts der Ausforschung der persönlichen Lebensverhältnisse des Beigeladenen und seiner Familie ohnehin Grenzen gesetzt (vgl. Thüringer OVG, Urt. v. 29. Mai 2008 – 2 KO 903/05 –, juris Rn. 42). Der Beigeladene verkennt mit seinem Vorbringen, dass der Gesetzgeber des Landes Brandenburg im Rahmen der Frage des aktiven und passiven Wahlrechts von Bürgern, die in der Bundesrepublik Deutschland eine Wohnung besitzen, nicht auf den tatsächlichen Aufenthalt an einem Ort, sondern auf den Rechtsbegriff des Wohnsitzes abgestellt hat. Angesichts dessen kann die Vermutung des § 8 S. 2 BbgKWahlG nicht, wie jedoch der Beigeladene meint, ausschließlich damit widerlegt werden, dass zu politischen und gesellschaftlichen Aktivitäten in der Stadt L..., die neben der Arbeitszeit einen großen Zeitanteil beanspruchen, vorgetragen wird (vgl. i. diesem Zusammenhang auch den Sachverhalt und das Sondervotum in BayVerfGH, E. v. 11. Januar 2010 – Vf. 79-VI-09 –, http://www.beck.online.de).

Verfassungsrechtliche Bedenken sind hiergegen nicht veranlasst und insbesondere bedarf es der von Seiten der Beklagten für geboten gehaltenen verfassungskonformen Auslegung der §§ 11 Abs. 1 S. 1 und 2, 8 S. 2 BbgKWahlG mit Blick auf den Schutz von Ehe und Familie nach Art. 26 Abs. 1 S. 1 LV nicht (zur i. W. vglb. Regelung in Bayern: BayVerfGH, E. v. 11. Januar 2010 – Vf. 79-VI-09 –, zit. nach http://beck.online.de).

Der Gesetzgeber des Landes Brandenburg hat entsprechenden Bedenken zur alten Rechtslage, die sich daraus ergaben, dass nach § 22 Abs. 1 des Bundesmeldegesetzes (BMG) die Hauptwohnung eines verheirateten oder eine Lebenspartnerschaft führenden Einwohners, der nicht dauernd getrennt von seiner Familie oder seinem Lebenspartner lebt, stets die vorwiegend benutzte Wohnung der Familie oder des Lebenspartners ist, bereits Rechnung getragen: Nach § 11 Abs. 1 des Brandenburgischen Kommunalwahlgesetzes in der Fassung des Gesetzes über die Neuordnung des Kommunalwahlrechts im Land Brandenburg, die Änderung der Kommunalverfassung sowie die Änderung der Amtsordnung vom 22. April 1993 (GVBl. I S. 110) waren wählbar alle Bürger, die am Wahltag das 18. Lebensjahr vollendet haben und seit mindestens 3 Monaten im Wahlgebiet die Wohnung, bei mehreren Wohnungen die Hauptwohnung haben. Nach § 16 Abs. 2 S. 2 des brandenburgischen Meldegesetzes (BbgMeldeG) in der Bekanntmachung der Neufassung vom 17. Januar 2006 (GVBl. I S. 6) war Hauptwohnung eines verheirateten oder eine Lebenspartnerschaft führenden Einwohners, der nicht dauernd getrennt von seiner Familie oder seinem Lebenspartner lebt, die vorwiegend benutzte Wohnung der Familie oder des Lebenspartners.

Das brandenburgische Kommunalwahlrecht knüpfte damit an den sogenannten objektivierten Hauptwohnungsbegriff nach § 16 Abs. 2 BbgMeldeG an (vgl. Gesetzentwurf der Landesregierung, LT-Drs. 1/1652, S. 92) und diese Regelung bedingte bei nicht dauernd getrennt lebenden Eheleuten, dass das passive Wahlrecht ausschließlich an dem Ort der melderechtlichen Hauptwohnung, nämlich der Familienwohnung, ausgeübt werden konnte.

Diese Rechtslage hat der Gesetzgeber mit dem Gesetz zur Änderung des brandenburgischen Kommunalwahlgesetzes vom 30. März 1998 (GVBl. I S. 54) unter ausdrücklicher Inbezugnahme des Urteils des Thüringer Verfassungsgerichtshofs vom 12. Juni 1997 (VerfGH 13/95 –, juris [wonach die uneingeschränkte Berücksichtigung des melderechtlichen Begriffs der Hauptwohnung nicht mit dem Grundsatz der Allgemeinheit der Wahl und dem Schutz von Ehe und Familie vereinbar sei]; vgl. auch: Hessischer VGH, Urt. v. 18. Dezember 2008 – 8 A 1330/08 –, juris Rn. 38) geändert, um verheirateten Bürgern, die den Schwerpunkt ihrer Lebensverhältnisse am Ort der Nebenwohnung haben, das Kommunalwahlrecht zu ermöglichen. In der Gesetzesbegründung zu dem Gesetzentwurf der Landesregierung (LT-Drs. 2/4906, S. 17/18) heißt es insoweit:

„Die bisherige Regelung des § 8 Nr. 3 bindet das aktive Wahlrecht bei den Kommunalwahlen an das Innehaben der alleinigen Wohnung oder Hauptwohnung im Wahlgebiet. Die einfachgesetzliche Konkretisierung des Verfassungsbegriffes des "ständigen Wohnsitzes" (Artikel 3 Abs. 1 Satz 1 der Landesverfassung) knüpft damit ausschließlich an das Melderecht an (§ 16 Abs. 1 und 2 des Brandenburgischen Meldegesetzes). Dies hat zur Folge, daß eine wahlberechtigte verheiratete Person, die nicht dauernd getrennt von ihrer Familie lebt, ausschließlich dort wahlberechtigt ist, wo sich die Familie vorwiegend aufhält. Im Regelfall sind damit verheiratete Personen, die den Schwerpunkt ihrer Lebensverhältnisse am Ort der Nebenwohnung haben, dort vom Kommunalwahlrecht ausgeschlossen. Handelt es sich hierbei nur um seltene Ausnahmefälle, so darf der Gesetzgeber solche Fälle aus Gründen der notwendigen Bestimmtheit und Praktikabilität der Norm generalisierend außer Betracht lassen (vgl. OVG NW, Urteil vom 4. Juli 1986 - 15 A 1274/85). Mit Blick auf die soziale Realität, den nachhaltigen gesellschaftlichen Wandel und die Vielfalt der Erscheinungsformen der Familie, ist jedoch davon auszugehen, daß es sich bei dem hiervon betroffenen Personenkreis nicht mehr um einige wenige Einzelfälle handelt. Es erscheint daher auch aus verfassungsrechtlichen Gründen angezeigt, daß das Kommunalwahlrecht aus dieser Entwicklung Konsequenzen zieht (vgl. VerfGH Thür, Urteil vom 12. Juni 1997 - VerfGH 13/95). Die in Artikel 1 Nr. 2 und 4 vorgeschlagenen Neuregelungen sehen daher vor, das geltende Kommunalwahlrecht dergestalt zu ändern, daß künftig auch verheiratete Personen, deren Hauptwohnung nicht am Ort des Schwerpunktes ihrer Lebensverhältnisse liegt, am Ort der Wohnung, in der sie sich überwiegend aufhalten, ihr Wahlrecht ausüben können. Auch die vorgeschlagenen Neuregelungen beinhalten bei der Konkretisierung des Verfassungsbegriffes des "ständigen Wohnsitzes" eine Anknüpfung an das Melderecht. Dies ist zwingend erforderlich, weil die von Amts wegen erstellten Wählerverzeichnisse, die dem Nachweis des aktiven Wahlrechts dienen, nur auf der Grundlage der Eintragungen im Melderegister erstellt werden können. Die Neuregelung des § 8 Satz 2 sieht daher vor, daß bei Inhabern von Hauptwohnungen und Nebenwohnungen im Sinne des § 16 Abs. 1 und 2 des Brandenburgischen Meldegesetzes vom 25. Juni 1992 (GVBl. I S. 236) der ständige Wohnsitz am Ort der Hauptwohnung vermutet wird. Die Vermutung ist jedoch in jedem Einzelfall im Rahmen eines Antragsverfahrens widerlegbar (§ 10 Abs. 1 Satz 2 und 3). Der neue § 8 Satz 2 knüpft deshalb zunächst zwar an das geltende Melderecht an, macht dies jedoch nicht zum alleinigen Maßstab. § 8 Satz 2 enthält aus verfassungsrechtlichen Gründen eine statische Verweisung auf die Regelungen des § 16 Abs. 1 und 2 des Brandenburgischen Meldegesetzes. Denn eine gleitende Verweisung auf die melderechtlichen Vorschriften könnte bewirken, daß allein durch die Änderung des Melderechts die Wählbarkeit von Mandatsträgern entfiele. Die hiervon betroffenen Personen würden dadurch ihre Rechtsstellung als Vertreter verlieren, da gemäß § 59 Abs. 1 Nr. 2 die Wählbarkeitsvoraussetzungen während der gesamten Wahlperiode bestehen müssen. Die Neuregelung des § 10 Abs. 1 Satz 3 ist zur wirksamen Verhinderung von doppelten oder mehrfachen Stimmabgaben bei den Wahlen zu den Kreistagen der Landkreise unerläßlich. Die in Artikel 1 Nr. 2 und 4 vorgeschlagenen Änderungen entsprechen den Regelungen, die der Landesgesetzgeber bereits in den §§ 5 Satz 2, 6 Abs. 1 Satz 2 des Brandenburgischen Landeswahlgesetzes für die Wahlen zum Landtag Brandenburg getroffen hat…“ (Hervorhebungen durch das Gericht).

Mit Blick darauf, dass sich die Beklagte weiterhin auf das Urteil des Thüringer Verfassungsgerichtshofs vom 12. Juni 1997 (VerfGH 13/95 –, juris; vgl. krit. dazu: Schreiber: „Die Wohnsitznahme im Wahlgebiet als Wählbarkeitsvoraussetzung“ in NJW 1998, S. 492 ff.) bezieht, sei ergänzend angemerkt, dass der Entscheidung im Übrigen auch eine mit dem vorliegenden Sachverhalt nicht vergleichbare Konstellation zugrunde lag:

Der seinerzeitige Abgeordnete und damalige Innenminister des Freistaates hatte seine Nebenwohnung in Erfurt gegenüber der Meldebehörde als Hauptwohnung angegeben, seine nicht dauernd von ihm getrennt lebende Ehefrau und die 3 minderjährigen Kinder des Ehepaares waren weiterhin ausschließlich in Nordrhein-Westfalen gemeldet. Der Abgeordnete hatte zudem erklärt, an 6 von 7 Wochentagen dienstlich in Erfurt oder jedenfalls in Thüringen tätig zu sein und sich lediglich an Sonntagen bei der Familie, die jedoch häufiger am Wochenende zu ihm komme, aufzuhalten. Vor diesem Hintergrund wird die Entscheidung des Verfassungsgerichtshofs und sein Verweis auf das geänderte Familienbild (juris Rn. 65) verständlich:

„…Das "Familienbild" ist in den letzten Jahrzehnten nicht zuletzt durch Berufstätigkeiten der Ehegatten bedingt "auf Distanz gegangen", ohne daß der räumlichen Entfernung eine emotionale Entfernung der Ehegatten entspräche. Das Bild des sich in einer Wohnung und von dort aus entfaltenden Familienlebens prägt zwar weithin die Vorstellung dessen, was im Alltag wie im Recht zu einer Familie gehört. Es trifft jedoch dann nicht mehr zu, wenn beide Ehegatten oder nur einer von ihnen seinen Beruf an einem Ort ausübt, von dem aus er nicht täglich zur "Stammwohnung" zurückkehren kann, eine Erscheinung, die mit den sich wandelnden Lebens- und Gesellschaftsverhältnissen ebenso in Verbindung steht, wie mit den Gegebenheiten des Arbeitsmarktes. Einem solchen Ehepartner ist nicht verwehrt, am Ort seines beruflichen Wirkens aus dem Beruf heraus Aktivitäten zu entfalten, die über die eigentliche Berufsausübung hinausgehend ein Engagement für die allgemeinen Belange einschließen. Dies führt dazu, den Ort dieses Engagements als echtes Lebenszentrum zu gestalten. Besteht der berufliche Inhalt eines solchen weiteren Lebenszentrums darin, daß ein Bürger sich mit seinem Beruf in einer sehr entscheidenden und herausgehobenen politischen Funktion befindet, daß also sein Engagement für die allgemeinen Belange sich gewissermaßen professionalisiert hat, liegt die Unangemessenheit einer Betrachtung auf der Hand, die das Lebenszentrum allenfalls als Nebenwohnung anerkennt. Das hier fragliche Familienbild verdient nicht lediglich als soziale Tatsache Respekt, es ist auch vom Recht zur Kenntnis zu nehmen und im Falle eines rechtlichen Gestaltungsbedarfs zu befriedigen. Ein solcher Bedarf ist stets dort anzuerkennen, wo ohne eine Rechtsregel eine Diskriminierung stattfände. Diese Voraussetzung tritt ein, wenn das Wahlrecht sich weigert, aus der Tatsache des weiteren Lebenszentrums Konsequenzen zu ziehen. Ist demnach der von der Stammwohnung entfernte Aufenthaltsort als weiterer, gewissermaßen öffentlicher Lebensmittelpunkt gestaltbar und im konkreten Fall gestaltet worden, kann er nicht als Wohnung im wahlrechtlichen Sinn ignoriert werden…“ (Hervorhebungen durch die Kammer).

Diese Ausführungen des Verfassungsgerichts beanspruchen vorliegend angesichts des abweichenden Sachverhalts ersichtlich keine Geltung.

Verfassungsrechtliche Bedenken ergeben sich auch nicht mit Blick auf das passive Wahlrecht nach Art. 22 Abs. 1 S. 1 2. Hs. VerfBbg, wonach jeder Bürger nach Vollendung des achtzehnten Lebensjahres das Recht hat, u. a. in kommunale Vertretungskörperschaften gewählt zu werden. Nach Art. 22 Abs. 5 S. 1 und 2 VerfBbg regelt das Nähere ein Gesetz, das insbesondere vorsehen kann, dass die Rechte der Absätze 1 – 4 nur innehat, wer bereits für eine bestimmte Dauer Bürger oder Einwohner im Wahl- oder Abstimmungsgebiet ist. Von dieser Möglichkeit hat der Gesetzgeber mit den §§ 8, 10 und 11 BbgKWahlG in nicht zu beanstandender Weise Gebrauch gemacht.

Der Verweis des Beklagten auf den Beschluss des OVG Berlin-Brandenburg vom 24. Januar 2020 (OVG 12 S 48.19 –, juris und beck.online) führt ebenfalls schon deshalb nicht weiter, weil der Entscheidung ebenfalls eine abweichende Konstellation zugrunde lag: Der Senat hatte in einem Eilverfahren zu beurteilen, ob eine Feststellung nach § 59 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 BbgKWahlG allein deshalb gerechtfertigt ist, weil „mit einiger Wahrscheinlichkeit eine Wohnnutzung unter der Anschrift, unter der der Antragsteller mit alleiniger Wohnung gemeldet ist, tatsächlich nicht stattfindet“. Es sei „nicht zweifelhaft“, dass sich der Antragsteller an dem betreffenden Ort mit dem Willen zur ständigen Niederlassung niedergelassen habe, denn er sei „im Jahre 2015 in die Wohnung in der L... eingezogen und (…) (habe) dort nachweislich gewohnt“. Diese Entscheidung ist vorliegend nicht einschlägig, denn zum einen war die Vermutung nach § 11 Abs. 1 Satz 2 i.V.m. § 8 Satz 2 BbgKWahlG ohne Bedeutung, und zum anderen stand fest, dass der Antragsteller an dem betreffenden Ort jedenfalls gewohnt hatte und entscheidend war lediglich, ob er den einmal begründeten Wohnsitz nach § 7 Abs. 3 BGB aufgegeben hatte.

IV. Die Kostenentscheidung beruht auf § 155 Abs. 1 S. 3, § 159 S. 1 VwGO i. V. m. § 100 Abs. 1 ZPO, § 162 Abs. 3, § 154 Abs. 3 1. Hs. VwGO. Die sinngemäße Klagerücknahme berücksichtigt die Kammer im Rahmen der Kostenverteilung nach § 155 Abs. 2 VwGO nicht, weil sie sich in Bezug auf die Kosten des Verfahrens nicht auswirkt und der Kläger mit seinem Begehren im Ergebnis Erfolg gehabt hat.

Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit des Urteils hinsichtlich der Kosten ergibt sich aus § 167 VwGO i.V.m. § 708 Nr. 11, § 709 S. 2 und § 711 S. 1 und 2 ZPO.

Die Berufung gegen das Urteil war nicht nach § 124a Abs. 1 S. 1 VwGO zuzulassen, weil die Voraussetzungen des § 124 Abs. 2 Nr. 3 oder 4 VwGO nicht vorliegen, insbesondere ist weder dargelegt noch ersichtlich, dass der Rechtssache grundsätzliche Bedeutung im Sinne von § 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO zukäme.