Gericht | VG Potsdam 9. Kammer | Entscheidungsdatum | 28.05.2021 | |
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Aktenzeichen | 9 K 2439/18 | ECLI | ECLI:DE:VGPOTSD:2021:0528.9K2439.18.00 | |
Dokumententyp | Urteil | Verfahrensgang | - | |
Normen | § 10 Abs 1 Nr 3 RuStAG |
Die Beklagte wird unter Aufhebung des Bescheides vom 29. März 2018 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 10. Juli 2018 verpflichtet, den Kläger einzubürgern.
Die Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens.
Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar.
Der Beklagten wird nachgelassen, die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des zu vollstreckenden Betrages abzuwenden, wenn nicht der Kläger vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
Der Kläger begehrt seine Einbürgerung.
Der Kläger ist – seinen Angaben nach und ausweislich der von ihm vorgelegten Unterlagen – im Jahr 1... als Sohn palästinensischer Flüchtlinge in E... im Libanon geboren und staatenloser Palästinenser. Im Libanon nahm er an einem achtmonatigen Trainingsprogramm für Industrieelektronik teil und arbeitete als Elektriker. Er reiste am 5. Juli 2000 in die Bundesrepublik Deutschland ein und beantragt zunächst Asyl. Mit Bescheid vom 6. September 2001 wurde sein Asylantrag als offensichtlich unbegründet zurückgewiesen. Bis ins Jahr 2005 war sein Aufenthalt geduldet. Am 4. November 2005 heiratete der Kläger eine deutsche Staatsangehörige. Am 24. November 2005 erhielt er erstmals eine Aufenthaltserlaubnis. Am 2... 2008 wurde seine Tochter geboren, die ebenfalls deutsche Staatsangehörige ist. Am 11. September 2015 legte er eine Sprachprüfung ab und erhielt ein Zertifikat über seine Deutschkenntnisse (B1). Am 22. September 2016 nahm er erfolgreich am Einbürgerungstest teil.
Am 1. November 2016 beantragte der Kläger seine Einbürgerung bei der Beklagten.
Im Einbürgerungsverfahren gab der Kläger am 1. November 2016 eine Loyalitäts-erklärung ab und bekannte sich zur freiheitlich demokratischen Grundordnung des Grundgesetzes für die Bundesrepublik Deutschland. Auf Anfrage der Beklagten beim Polizeipräsidium des Landes Brandenburg zu Strafermittlungen und Erkenntnissen, die für den Ausschlussgrund nach § 11 des Staatsangehörigkeitsgesetzes (StAG) Bedeutung haben könnten, erstattete das Landeskriminalamt unter dem 4. Novem-ber 2016 Fehlanzeige. Ebenso erstattet die Verfassungsschutzbehörde unter dem 10. November 2016 Fehlanzeige auf die entsprechende Anfrage der Beklagten.
Auf Anfrage der Beklagten beim Jobcenter T... zum Leistungsbezug des Klägers teilte dieses unter dem 15. Dezember 2016 mit, dass der Kläger seit dem 21. September 2006 als arbeitslos gemeldet sei und Leistungen nach dem Sozialgesetzbuch II beziehe. Eine Sperrzeit oder eine Sanktion seien bei ihm bisher nicht angeordnet worden. Er nehme die Einladungen zu den Gesprächen zwar wahr und teile mit, dass er sich aktiv um eine Beschäftigung bemühe. Nachweise hierüber habe er bisher aber nicht vorgelegt. Nach seinen Angaben sei keine Einstellung erfolgt, da er nicht ausreichend mobil sei, seine Deutschkenntnisse nicht ausreichend gewesen seien oder die Arbeitgeber sich nicht bei ihm gemeldet hätten. Zur Verbesserung der Deutschkenntnisse seien dem Kläger Maßnahmen angeboten worden, die er anfangs angenommen und auch angetreten habe. Während des Verlaufs der Maßnahmen habe er aufgrund vermehrter Arbeitsunfähigkeit nicht mehr daran teilgenommen. Regelmäßige Teilnahme ohne Fehltage sei erst erfolgt, nachdem er auf die Notwendigkeit der Teilnahme hingewiesen worden sei. Eine weitere Maßnahme sei nicht beendet worden, weil der Kläger im Verlauf eine Teilzeitbeschäftigung aufgenommen habe. Der Leistungsbezug habe allerdings nicht beendet werden können. Der Kläger übe seit dem 1. September 2013 eine Teilzeitbeschäftigung von 2 bis 3 Stunden am Tag aus; eine Stundenerhöhung werde allerdings nicht erfolgen. Aus diesem Grund sei dem Kläger eine Vollzeitbeschäftigung außerhalb seine Wohnortes angeboten worden, die er abgelehnt habe, da er zwar eine Fahrerlaubnis, allerdings kein Auto habe. Aus seiner Sicht würden die öffentlichen Verkehrsmittel nicht regelmäßig fahren. Nach den Angaben des öffentlichen Nahverkehrs könnte der Kläger den Arbeitsort erreichen. Ihm sei auch eine finanzielle Unterstützung beim Erwerb eines Fahrzeuges angeboten worden. Weiterhin könne er die Beschäftigung aufgrund fehlender Fachkenntnisse nicht ausüben. Er habe in vorherigen Gesprächen allerdings mitgeteilt, dass er in seinem Heimatland diese Beschäftigung gelernt und einen Abschluss erworben habe. Er sei bereits aufgefordert worden, eine Überprüfung der Anerkennung des Abschlusses vorzulegen. Dies sei bisher nicht erfolgt. Ansprechpartner, die ihm bei der Anerkennung helfen könnten, seien ihm genannt worden. Bisher habe er aber aus gesundheitlichen Gründen keinen Kontakt zu ihnen aufgenommen. Ferner habe der Kläger seit April 2016 ein Attest seines behandelnden Facharztes aus B... vorgelegt, dem zu entnehmen sei, dass er aufgrund von gesundheitlichen Einschränkungen täglich nicht mehr als vier Stunden arbeiten könne. Im Dezember fänden erneut Untersuchungen statt. Daher sei mit dem Kläger vereinbart worden, dass bei der nächsten Einladung im Januar 2017 ein amtsärztliches Gutachten eingeleitet werde. Zu Leistungskürzungen kam es nicht.
Mit Schreiben vom 18. April 2017 teilte die Beklagte dem Kläger mit, dass beabsichtigt sei, den Einbürgerungsantrag abzulehnen. Zur Begründung hieß es, der Kläger erfülle nicht die Einbürgerungsvoraussetzung der selbständigen Unterhaltsfähigkeit; er habe seine fortdauernde Inanspruchnahme von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts zu vertreten. Hierzu wurde auf die Auskunft des Jobcenters Bezug genommen.
Im Folgenden teilte der Kläger mit, dass er an seinem Antrag festhalte und dass er sich nunmehr seit dem 3. Juli 2017 in einem unbefristeten Arbeitsverhältnis befinde. Hierzu legte er einen Anstellungsvertrag bei der Firma B... vom 8. Juni 2017 vor, nach dem der Kläger dort als B... Monteur beschäftigt wird. Die Arbeitszeit beträgt 40 Stunden pro Woche. Als Vergütung erhält der Kläger danach ein monatliches Brutto-Grundgehalt von 1.600 Euro; zusätzlich erhält er eine Leistungsprämie gemäß dem betrieblichen Prämiensystem. Ferner reichte er einen Bescheid des Jobcenters vom 13. Juli 2017 ein, wonach die Hilfsbedürftigkeit weggefallen sei. Zudem legte er einen Rentenbescheid vom 23. Juni 2017 vor, wonach seine Ehefrau seit dem 1. Juni 2017 eine Erwerbsunfähigkeitsrente in Höhe von 582,88 € bezieht.
Mit Bescheid vom 29. März 2018 lehnte die Beklagte den Einbürgerungsantrag des Klägers ab. Zur Begründung hieß es unter anderem, der Kläger erfülle zwar die Voraussetzung einer geklärten und sicher feststehenden Identität; von der Voraussetzung der Aufgabe oder des Verlusts der bisherigen Staatsangehörigkeit sei zwingend abzusehen, weil der Kläger nach Aktenlage allenfalls die Staatsangehörigkeit des Libanon besitzen könne, die jedoch generell faktisch nicht aufgegeben werden könne. Er erfülle jedoch (weiterhin) nicht die Einbürgerungsvoraussetzung der selbständigen Unterhaltsfähigkeit, weil er zwischen September 2006 und Juli 2017 Leistungen des Jobcenters in Anspruch genommen und die Inanspruchnahme auch zu vertreten habe. Dieser Leistungsbezug dauere zwar nicht mehr an, liege jedoch noch keine acht Jahre zurück. Mit Blick auf die bisherige durch jahrelangen Leistungsbezug geprägte Erwerbsbiographie könne bei prognostischer Einschätzung nicht davon ausgegangen werden, dass der Kläger seinen Lebensunterhalt mit einer gewissen Nachhaltigkeit ohne Inanspruchnahme von Leistungen nach dem Sozialgesetzbuch II bestreiten könne. Seine gegenwärtige Erwerbssituation sei offensichtlich verfahrensangepasst und von vergleichsweise erst kurzer Dauer. Den hiergegen gerichteten Widerspruch wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 10. Juli 2018 zurück.
Der Kläger hat daraufhin am 3. August 2018 Klage erhoben.
Er trägt vor, seine Bemühungen hätten dazu geführt, dass er eine langfristige abhängige Beschäftigung gefunden habe, die es ihm ermögliche, seinen Lebensunterhalt zu bestreiten. Die erforderliche Sicherung des Lebensunterhalts wäre nur dann nicht gegeben, wenn ihm aktuell und in einem absehbaren Zeitraum in der Zukunft keine Mittel in der Höhe zur Verfügung stünden, um den Mindestbedarf zum Lebensunterhalt zu decken. Dies sei nicht der Fall. Soweit ihm zur Last gelegt werde, dass er sich nicht ausreichend um Arbeit bemüht habe, überzeuge dies nicht. Er habe sich bereits im Jahr 2014 in orthopädischer Behandlung befunden; nach fachärztlichen Attesten vom 28. November 2014 und vom 25. Februar 2016 sei er nicht in der Lage gewesen, täglich länger als 4 Stunden zu arbeiten. Überdies sei er seit dem 25. Juni 2013 teilzeitbeschäftigt gewesen. Die Fallkonstellation, dass ein aktueller Leistungsbezug zurechenbar im Zusammenhang mit einem in der Vergangenheit liegenden Fehlverhalten in den vergangenen acht Jahren stehe, sei hier nicht einschlägig. Zudem sei er vom Jobcenter in den Jahren des Leistungsbezugs nicht sanktioniert worden; auch habe das Jobcenter von ihm nie vermehrte Bewerbungsnachweise verlangt.
Auf Nachfrage des Gerichts hat der Kläger im September 2020 hinsichtlich der Fähigkeit zur Bestreitung des Lebensunterhalts mitgeteilt, dass sein Arbeitsverhältnis fortbestehe, sein Grundgehalt 2019 auf 1.700 Euro angehoben worden sei und er seit der Einstellung Bruttogehälter zwischen 1.680 Euro und 2.600 Euro bezogen habe. Ferner hat er ein Zwischenzeugnis seines Arbeitgebers vom 27. Mai 2021 vorgelegt, in dem es heißt, er sei durch seine Art und die Arbeitseinstellung eine große Bereicherung für das Unternehmen; man freue sich auf eine weitere langjährige Zusammenarbeit. Des Weiteren hat er Schreiben der Z... GmbH B... aus L... vom 23. Oktober 2014 und des B... vom 13. Oktober 2014 und vom 13. Januar 2015 vorgelegt, aus denen hervorgeht, dass er sich dort jeweils vorgestellt bzw. beworben hatte. Er habe sich immer wieder beworben; es sei für ihn aber schwierig gewesen Arbeit zu finden. Unter anderem habe er bei einem Unternehmen in einem großen Kühllager gearbeitet und schwere Lasten getragen; in dieser Zeit habe eine Narbe an seinem rechten Oberarm sehr stark geschmerzt und er habe auch Probleme mit den Knien bekommen.
Der Kläger beantragt,
die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 29. März 2018 in der Fassung des Widerspruchbescheides vom 10. Juli 2018 zu verpflichten, ihn auf seinen Antrag vom 1. November 2016 einzubürgern.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Zur Begründung führt sie aus, dass die erforderliche Sicherung des Lebensunterhalts weiterhin nicht gegeben sei. Der Kläger sei im Jahr 2000 in das Bundesgebiet eingereist. Seit 2005 sei sein Aufenthalt erlaubt. Während des fünfzehnjährigen legalen Aufenthalts habe er elf Jahre Sozialleistungen bezogen. Eine Teilzeitbeschäftigung ab dem 1. September 2013 habe den Sozialleistungsbezug nicht beendet. Den Sozialleistungsbezug habe der Kläger zu vertreten. Nach der Stellungnahme des Jobcenters sei deutlich, dass er in dieser Zeit nicht bereit gewesen sei, eine zumutbare Beschäftigung unter den Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes anzunehmen. Ferner habe das Jobcenter angegeben, dass Umstände bekannt seien, die darauf schließen ließen, dass der Kläger bei einer nur formalen Arbeitssuche durch erkennbare Gleichgültigkeit oder abschreckende Angaben gegenüber möglichen Arbeitgebern zu erkennen gegeben habe, dass er tatsächlich kein Interesse an einer Erwerbstätigkeit habe. Die nunmehr erfolgte Aufnahme der sozialversicherungspflichtigen Beschäftigung widerspreche zum einen den vorgelegten fachärztlichen Gutachten und sei zum anderen im Zusammenhang mit der Einbürgerung zu sehen. Zeiten einer sozialversicherungspflichtigen Beschäftigung, die noch nicht einmal die Hälfte der ihr unmittelbar vorausgegangenen Zeit eines zu vertretenden Leistungsbezugs erreichten, seien kein Zeitraum, der in einem Maße erheblich wäre, um eine grundlegende Änderung der wirtschaftlichen Situation des Klägers erwarten zu lassen. Die Beklagte werde dem Kläger die Fernwirkung des Sozialleistungsbezugs entsprechend der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts erst nach acht Jahren, mithin nach dem Juli 2025, nicht mehr entgegenhalten. Darüber hinaus sei die Staatsangehörigkeit im Sinne des Einbürgerungsrechts erst geklärt, wenn geklärt sei und hinreichend sicher feststehe, dass kein Staat den Ausländer als seinen Staatsangehörigen ansehe.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichtsakte und den beigezogenen Verwaltungsvorgang der Beklagten sowie die beigezogene Ausländerakte Bezug genommen.
Die zulässige Klage ist begründet. Die angegriffenen Bescheide sind rechtswidrig und verletzen den Kläger in seinen Rechten. Der Kläger hat einen Anspruch auf Einbürgerung, § 113 Abs. 5 der Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO). Maßgeblich für die Beurteilung ist insoweit die Sach- und Rechtslage zum Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung.
Der Anspruch auf Einbürgerung des Klägers folgt aus § 10 Abs. 1 Satz 1 StAG in der Fassung vom 19. Juni 2020. Hiernach ist eine ausländische Person, die seit acht Jahren rechtmäßig ihren gewöhnlichen Aufenthalt im Inland hat und handlungsfähig nach § 37 Abs. 1 Satz 1 StAG oder gesetzlich vertreten ist, auf Antrag einzubürgern, wenn ihre Identität und Staatsangehörigkeit geklärt ist, die weiteren Voraussetzungen des § 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 bis 7 StAG vorliegen und ihre Einordnung in die deutschen Lebensverhältnisse gewährleistet ist. Dies ist beim Kläger der Fall.
Der handlungsfähige Kläger hat seit mehr als 15 Jahren seinen rechtmäßigen gewöhnlichen Aufenthalt in Deutschland. Am 24. November 2005 erhielt er erstmals eine Aufenthaltserlaubnis, die fortan regelmäßig verlängert wurde. Seit dem 13. No-vember 2018 ist er im Besitz einer Niederlassungserlaubnis. Seine Einbürgerung beantragte er am 1. November 2016.
Die Identität des Klägers ist geklärt (§ 10 Abs. 1 Satz 1 StAG). Der Kläger ist als Palästinenser im Libanon geboren. Dem Gericht liegen beglaubigte Übersetzungen der Geburtsurkunde des Klägers, eines Zivilregisterauszugs (als Dokument zur Eheschließung) und einer Erklärung, dass er nicht verheiratet ist, vor, die jeweils von Behörden der Republik Libanon ausgestellt sind. Ferner liegt das von der Republik Libanon ausgestellte Reisedokument des Klägers für palästinensische Flüchtlinge sowie eine Bestätigung der palästinensischen Generaldelegation vom 25. Februar 2004 vor, mit der bescheinigt wird, dass der Kläger Palästinenser ist. Hierfür spricht auch eine u. a. vom UNRWA-Libanon (Hilfswerk der Vereinten Nationen für Palästina-Flüchtlinge im Nahen Osten) ausgestellte Bescheinigung vom 20. August 1994, nach der der Kläger an einem Trainingsprogramm teilgenommen hat.
Anlass, an der Richtigkeit dieser Angaben begründet zu zweifeln, besteht nicht; im Übrigen wurde die entsprechende Identität auch von der Beklagten nicht in Zweifel gezogen. Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts bestehen begründete Zweifel an der Identität einer Person, wenn geeignete Dokumente zum Nachweis der Identität fehlen oder wenn gefälschte Urkunden vorgelegt werden (BVerwG, Urteil vom 1. September 2011 – 5 C 27.10 –, juris Rn. 22 m. w. N.; vgl. auch BeckOK AuslR/Weber, 29. Ed. 1.4.2021, StAG § 10 Rn. 142). Dies ist nicht der Fall. Zwar weist der Vortrag des Klägers zu seiner seinerzeitigen Reise vom Libanon nach Deutschland verschiedene Ungereimtheiten auf; noch in der mündlichen Verhandlung hat er insoweit unterschiedliche Angaben gemacht. Dass es ihm hierbei darum gegangen ist, über seine Identität zu täuschen, vermag das Gericht jedoch nicht zu erkennen.
Auch die Staatsangehörigkeit des Klägers ist angesichts der angeführten Dokumente geklärt (§ 10 Abs. 1 Satz 1 StAG). Der Kläger hat keine Staatsangehörigkeit; er ist staatenloser Palästinenser. Soweit in dem genannten Zivilregisterauszug unter der Rubrik Staatsangehörigkeit „Palästinenser“ angegeben ist, folgt hieraus nicht, dass der Kläger eine entsprechende Staatsangehörigkeit im Sinne von § 10 Abs. 1 StAG besäße. Es ist geklärt, dass Palästinenser, die keine andere Staatsangehörigkeit besitzen, Staatenlose im Sinne des Art. 1 Abs. 1 des Übereinkommens über die Rechtsstellung der Staatenlosen vom 28. September 1954 (Staatenlosenübereinkommen) sind (so BVerwG, Beschluss vom 25. Mai 1993 – 1 B 21.93 –, juris Rn. 6 m. w. N.; vgl. auch ausführlich OVG Berlin, Urteil vom 3. Juni 2004 – OVG 5 B 17.02 –, S. 10 ff. EA). Dass der Kläger neben dem Status als staatenloser Palästinenser eine Staatsangehörigkeit besitzt, wird weder von der Beklagten vorgebracht; noch sieht die Kammer – auch in Anbetracht der Ungereimtheiten in seinem Vortrag – durchgreifende Anhaltspunkte hierfür. Der Kläger hat auf Nachfrage in der mündlichen Verhandlung versichert, dass er keine (weitere) Staatsangehörigkeit habe. Die Kammer hat hieran letztlich keine Zweifel. Nach dem von der Beklagten angeführten Urteil des Oberverwaltungsgerichts Berlin vom 3. Juni 2004 – OVG 5 B 17.02 – ist die Annahme einer palästinensischen Staatsangehörigkeit durch libanesische Behörden für die deutschen Behörden und Gerichte insoweit verbindlich, als sie im Ergebnis dazu führt, dass die libanesischen Behörden die palästinensischen Flüchtlinge nicht als libanesische Staatsangehörige ansehen (S. 12 EA). Von einer geklärten Staatsangehörigkeit im Sinne des § 10 Abs. 1 Satz 1 StAG ist auch im Fall einer geklärten Staatenlosigkeit auszugehen. Dies entspricht Art. 32 Satz 1 des Staatenlosenübereinkommens, wonach die vertragsschließenden Staaten gehalten sind, soweit wie möglich die Eingliederung und Einbürgerung von Staatenlosen zu erleichtern.
Der Kläger hat sich des Weiteren gemäß § 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 StAG zur freiheitlich demokratischen Grundordnung bekannt und erklärt, dass er keine unter § 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 lit. a - c StAG aufgeführten Bestrebungen verfolgt oder unterstützt oder verfolgt oder unterstützt hat. Er verfügt zudem seit November 2005 über eine Aufenthaltserlaubnis und seit November 2018 über eine Niederlassungserlaubnis nach § 9 des Aufenthaltsgesetzes (AufenthG) und damit über ein Aufenthaltsrecht im Sinne des § 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 StAG.
Entgegen der Auffassung der Beklagten kann der Kläger – zum maßgeblichen Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung – auch gemäß § 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 StAG den Lebensunterhalt für sich und seine unterhaltsberechtigten Familienangehörigen ohne Inanspruchnahme von Leistungen nach dem Zweiten oder Zwölften Sozialgesetzbuch (SGB II bzw. SGB XII) bestreiten. Er ist bei einem Unternehmen als B... -Monteur beschäftigt und bestreitet den Lebensunterhalt für sich und seine unterhaltsberechtigten Familienangehörigen seit August 2017 ohne Inanspruchnahme von entsprechenden Leistungen.
Allerdings kommt es für die Frage, ob die Voraussetzungen des § 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 StAG erfüllt sind, nicht lediglich auf den Zeitpunkt der Entscheidung an. Vielmehr ist die positive Prognose zu verlangen, dass der Eintritt einer nach den Vorschriften des SGB II oder des SGB XII relevanten Hilfebedürftigkeit für einen überschaubaren Zeitraum in der Zukunft nicht zu erwarten ist. Denn das Erfordernis der eigenständigen wirtschaftlichen Sicherung des Lebensunterhalts als Beleg auch wirtschaftlicher Integration richtet sich in die Zukunft (OVG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 5. März 2010 – OVG 5 M 40.09 –, juris Rn. 2, 8; vgl. auch OVG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 29. Dezember 2020 – 19 E 781/20 –, juris Rn. 4 f.; VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 6. März 2009 – 13 S 2080/07 –, juris Rn. 30 m. w. N.). Hierbei sind insbesondere sowohl die bisherige Erwerbsbiografie als auch die gegenwärtige berufliche Situation des Einbürgerungsbewerbers in den Blick zu nehmen. Zu berücksichtigen ist ferner die Qualifikation des Einbürgerungsbewerbers, insbesondere seine Ausbildung und seine Sprachkenntnisse, sowie die Frage, ob er sich in der Vergangenheit um eine Beschäftigung bemüht hat. Eine positive Prognose kann zweifelhaft sein, wenn der Einbürgerungsbewerber in der Vergangenheit in der Regel vor allem deshalb auf Leistungen nach dem SGB II angewiesen war, weil er seine Arbeitskraft nicht oder nicht voll eingesetzt hat (vgl. VG Stuttgart, Urteil vom 14. Januar 2021 – 4 K 2284/20 –, juris Rn. 41).
Die insoweit gebotene Gesamtbetrachtung aller Umstände spricht im Ergebnis für den Kläger. Zwar bezog er über einen längeren Zeitraum entsprechende Leistungen. Soweit die Beklagte unter Bezugnahme auf die Auskunft des Jobcenters meint, dass der Kläger bei einer nur formalen Arbeitssuche durch erkennbare Gleichgültigkeit oder abschreckende Angaben gegenüber möglichen Arbeitgebern zu erkennen gegeben habe, dass er tatsächlich kein Interesse an einer Erwerbstätigkeit habe, steht dies allerdings nicht fest. Immerhin hat der Kläger zumindest im gerichtlichen Verfahren Nachweise dafür beigebracht, dass er sich bei zumindest zwei Arbeitgebern beworben hat. Die Beklagte bezieht sich insoweit ersichtlich auf einen vorgefertigten Fragebogen, in dem das Jobcenter die entsprechende Formulierung schlicht angekreuzt hat; die konkreteren Angaben des Jobcenters in dessen Schreiben hierzu vom 15. Dezember 2016 dürften diese Aussage in ihrer Pauschalität indes nicht hinreichend belegen. Die Kammer sieht nach der mündlichen Verhandlung auch die von dem Kläger vorgelegten ärztlichen Atteste nicht durchgreifend in Zweifel gezogen. Angesichts der von dem Kläger geschilderten Arbeit in einem großen Kühllager erscheint es durchaus denkbar, dass die in den Attesten vom 28. November 2014 und vom 15. Februar 2016 geschilderte Diagnosen zutrafen und für die ausgeübte Arbeit Tätigkeiten, die mit Heben und Tragen von Lasten, Bücken, gebeugter und körperlicher Zwangshaltung verbunden sind, nicht mehr zumutbar waren, weshalb aus orthopädischer Sicht festgestellt wurde, dass der Kläger nicht in der Lage war, täglich länger als vier Stunden zu arbeiten. Ebenso erscheint es denkbar, dass sich diese Situation änderte, nachdem der Kläger seine nunmehrige, gesundheitlich wohl weniger belastende Arbeit als B... Monteur aufnahm.
Jedenfalls arbeitet der Kläger nunmehr seit beinahe vier Jahren in einem unbefristeten Arbeitsverhältnis als B... -Monteur und erzielt hierbei ein Einkommen, das dazu führte, dass die Hilfsbedürftigkeit nach dem SGB II seither entfallen ist. Insoweit ist bei dem Kläger durchaus eine – wie von der Beklagten unter Hinweis auf Ausführungen der 8. Kammer des Gerichts gefordert – grundlegende Änderung seiner wirtschaftlichen Situation und ein gesichertes Erwerbseinkommen über einen erheblichen Zeitraum festzustellen. Der Zeitraum der Beschäftigung, die unbefristete Festanstellung sowie der Umstand, dass der Kläger in einem Beruf arbeitet, bei dem er offensichtlich auch auf seine im Libanon gemachte Berufserfahrung zurückgreifen kann, sprechen für eine positive Prognose (vgl. insoweit OVG Berlin-Brandenburg, a. a. O, Rn. 8: Prognosesicherheit lässt sich nicht erzielen, wenn der erstmaligen Aufnahme einer Erwerbstätigkeit ein langjähriger, zu vertretender Leistungsbezug vorangegangen ist und das im maßgeblichen Entscheidungszeitpunkt unter zumutbarem Arbeitseinsatz erst seit wenigen Monaten erzielte Erwerbseinkommen aus keinem festen, d. h. ungekündigten und vor allem unbefristeten Arbeitsverhältnis herrührt.). Hinzu kommt, dass sich die Unterhaltspflichten des Klägers gegenüber Familienangehörigen in der Zukunft voraussichtlich verringern werden. Der ehemals noch zur Bedarfsgemeinschaft zählende am 2... geborene Sohn der Ehefrau des Klägers hat nach deren Auskunft in der mündlichen Verhandlung das Abitur absolviert und arbeitet mittlerweile, dürfte mithin finanziell selbständig sein. Dass die am 2... 2008 geborene Tochter des Klägers in der Zukunft ebenso finanziell selbständig werden wird, dürfte auch anzunehmen sein. Auf die Erwerbsunfähigkeitsrente, die die Ehefrau des Klägers darüber hinaus seit dem 1. Juni 2017 bezieht, ist die klägerische Bedarfsgemeinschaft im Hinblick auf das Gehalt des Klägers nach eigenen, von dem Beklagten nicht widersprochenen Angaben, nicht angewiesen.
Durchgreifende Anhaltspunkte dafür, dass der Kläger seine Berufstätigkeit wieder aufgeben wird, sind – auch vor dem Hintergrund des vorangegangenen längeren Leistungsbezugs – nicht ersichtlich. Nach dem Eindruck, den die Kammer in der mündlichen Verhandlung von dem Kläger gewonnen hat, ist er im Berufsleben angekommen, und zwar auch dann, wenn er die Vollzeitbeschäftigung bei dem Unternehmen nur unter dem Druck seines Einbürgerungsverfahren aufgenommen hat. Nach dem Zwischenzeugnis seines Arbeitgebers vom 27. Mai 2021 ist davon auszugehen, dass er in dem Unternehmen gut integriert ist und geschätzt wird; sein Arbeitgeber freut sich auf eine weitere langjährige Zusammenarbeit.
Soweit die Beklagte dem Kläger dennoch den in der Vergangenheit liegenden mehrjährigen Leistungsbezug entgegenhalten will und hiervon erst nach acht Jahren, nach dem Juli 2025, absehen will, ist dem nicht zu folgen. Zu Unrecht bezieht sich die Beklagte insoweit auf das Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 19. Februar 2009 – 5 C 22.08 –, in dem es heißt, dass ein Einbürgerungsbewerber für ein ihm zurechenbares und für aktuelle Sozialhilfeleistungen – dabei ging es um den Bezug von Leistungen der Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung – mitursächliches Verhalten nach Ablauf einer Frist von acht Jahren nicht mehr einzustehen habe (juris Rn. 28). Der Kläger ist nämlich voll erwerbstätig und bezieht aktuell keine Sozialhilfeleistungen, für die sein früheres Verhalten mitursächlich sein könnte. Die Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts betrifft insoweit eine andere Fallkon-stellation. Zudem weist das Bundesverwaltungsgericht in dem Urteil im Hinblick auf die Zielsetzung des Gesetzes, einer Zuwanderung in die Sozialsysteme entgegenzuwirken, darauf hin, dass bei einem für den Einbürgerungsanspruch hinreichenden, verfestigten Aufenthaltsstatus der Bezug der Sozial(hilfe)leistung ohnehin unabhängig von der Staatsangehörigkeit sei (BVerwG, a. a. O., Rn. 24). Auch sonst wird eine pauschale Heranziehung einer Mindestdauer von acht Jahren den Anforderungen an die erforderliche Prognose nicht gerecht, weil insoweit die maßgeblichen Umstände des Einzelfalls aus dem Blick geraten und nicht ausreichend gewürdigt werden.
Die Voraussetzung des § 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 StAG hat für den Kläger als Staatenloser keine Bedeutung. Es dürfte sich von selbst verstehen, dass von ihm als Staatenlosem nicht verlangt werden kann, dass er eine Staatsangehörigkeit aufgibt oder verliert.
Auch die Tatbestandsvoraussetzung des § 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 5 StAG liegt vor. Entsprechend der Auskünfte aus dem Zentralregister vom 4. November 2016 und 12. Mai 2021 ist er weder wegen einer rechtswidrigen Tat zu einer Strafe verurteilt worden noch wurde gegen ihn aufgrund von Schuldunfähigkeit eine Maßregel im Sinne des § 61 Strafgesetzbuch (StGB) angeordnet.
Durch das Zertifikat zu seinen Deutschkenntnissen vom 24. September 2015 weist er nach § 10 Abs. 4 StAG die nach § 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 6 StAG erforderlichen Sprachkenntnisse nach. Durch den am 22. September 2016 erfolgreich absolvierten Einbürgerungstest gemäß § 10 Abs. 5 Satz 1 StAG hat er die Voraussetzungen des § 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 7 StAG erfüllt. Darüber hinaus ist die Einordnung des Klägers, der mit einer deutschen Frau verheiratet ist und ein deutsches Kind hat, in die deutschen Lebensverhältnisse auch nach Ansicht der Beklagten gewährleistet.
Die Einbürgerung des Klägers ist schließlich auch nicht nach § 11 StAG ausgeschlossen. Nach der Begründung des angegriffenen Bescheids liegen tatsächliche Anhaltspunkte, die die Annahme eines danach bestimmten Ausschlussgrundes rechtfertigen könnten nicht vor; auch die Kammer sieht dahingehende Anhaltspunkte nicht. Die Beklagte wendet auch nicht ein, dass gegen den Kläger gemäß § 12a Abs. 3 StAG wegen des Verdachts einer Straftat ermittelt wird; zudem hat der Kläger in der mündlichen Verhandlung auf entsprechende Nachfrage erklärt, dass dies nach seinem Wissen nicht der Fall sei.
Nach alledem ist der Kläger einzubürgern.
Die Kostenfolge beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO.
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 167 VwGO i. V. m. §§ 708 Nr. 11, 711 der Zivilprozessordnung (ZPO).
Die Berufung ist nicht gemäß § 124 a Abs. 1 Satz 1 VwGO zuzulassen. Ein Berufungszulassungsgrund nach § 124 Abs. 2 Nr. 3 oder Nr. 4 VwGO liegt nicht vor.
Beschluss:
Der Streitwert wird auf 10.000, - € festgesetzt.