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Entscheidung S 26 AS 1630/18


Metadaten

Gericht SG Neuruppin 26. Kammer Entscheidungsdatum 16.04.2021
Aktenzeichen S 26 AS 1630/18 ECLI
Dokumententyp Gerichtsbescheid Verfahrensgang -
Normen

Tenor

Die Klage wird abgewiesen.

Die Beteiligten haben einander keine Kosten zu erstatten.

Gerichtskosten werden in Verfahren der vorliegenden Art nicht erhoben.

Tatbestand

Die Beteiligten streiten um die (vermeintliche) Untätigkeit des Beklagten im Rahmen der Gewährung von (passiven) Grundsicherungsleistungen für Arbeitsuchende nach den Bestimmungen des Zweiten Buches Sozialgesetzbuch – Grundsicherung für Arbeitssuchende – (SGB II).

Mit sozialverwaltungsbehördlicher Verfügung des Beklagten vom 27. Juni 2018 lehnte der Beklagte die teilweise Rücknahme seiner bewilligenden Verfügungen vom 03. Mai 2018 sowie die Gewährung höherer passiver Grundsicherungsleistungen für Arbeitsuchende nach den Bestimmungen des SGB II hinsichtlich des Zeitraumes vom 01. Mai 2018 bis zum 31. Oktober 2018 ab. Hiergegen erhob die „B. Rechtsanwalts GmbH“ mit Schreiben vom 25. Juli 2018 namens und in Vollmacht der Klägerin mittels Telefaxes Widerspruch und fügte ua ein mit „Vollmacht“ überschriebenes Dokument vom 25. Juli 2018 bei, das als Vollmachtgeberin die Klägerin ausweist, im Unterschriftsfeld ist eine verpixelte Unterschrift aufgedruckt.

Mit bei dem Sozialgericht Neuruppin am 29. Oktober 2018 eingegangenem Schriftsatz vom gleichen Tage hat die „B. Rechtsanwalts GmbH“ namens und in Vollmacht der Klägerin unter erneuter Beifügung der identischen Kopie der Vollmachtsurkunde vom 25. Juli 2018 Untätigkeitsklage erhoben: Der Beklagte habe über den Widerspruch vom 25. Juli 2018 ohne zureichenden Grund nicht innerhalb von drei Monaten entschieden. Eine Pflicht zur Vorlage einer Originalvollmacht bestehe nicht. Gemäß § 13 Abs 1 S 3 SGB X habe der Bevollmächtigte auf Verlangen seine Vollmacht schriftlich nachzuweisen. Die mit Telefax übersandte Vollmacht genüge diesen Anforderungen. Eine Verpflichtung zur Vorlage der Originalvollmachtsurkunde bestehe jedenfalls nicht. Es verwundere, dass der Beklagte den Bescheid vom 27. Juni 2018 an die Bevollmächtigte übersandt habe, obgleich er die Bevollmächtigung in Zweifel ziehe.

Die (vermeintlich) Prozessbevollmächtigte der Klägerin beantragt (nach ihrem schriftsätzlichen Vorbringen sinngemäß),

den Beklagten zu verpflichten, den Widerspruch der Klägerin vom 25. Juli 2018 gegen die mit dem Bescheid des Beklagten vom 27. Juni 2018 verlautbarte ablehnende Verfügung zu bescheiden.

Der Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Er hält die Klage für unbegründet. Der Beklagte sei nicht untätig; der von der anwaltlich vertretenen Klägerin behauptete Widerspruch liege nicht vor. Zwar lägen Schreiben der B. Rechtsanwalts GmbH vor, mit denen behauptet werde, im Namen der Klägerin zur Erhebung des Widerspruchs bevollmächtigt zu sein. Eine entsprechende Bevollmächtigung sei – trotz ausdrücklicher Aufforderung – nicht nachgewiesen worden. Das mit „Vollmacht“ überschriebene Dokument vom 25. Juli 2018 könne die Bevollmächtigung nicht nachweisen, da aufgrund der Gesamtumstände Zweifel an der Urheberschaft bestünden. Der Grund hierfür liege in einem weiteren Verwaltungsverfahren, in dem sich die B. Rechtsanwaltsgesellschaft mbH ebenfalls als Bevollmächtigte anzeigte, obgleich der Beklagte nach Rücksprache mit der betreffenden Leistungsberechtigten die Auskunft erhalten habe, eine Vollmacht nicht erteilt zu haben. Dass der Beklagte den Bescheid vom 27. Juni 2018 an die vermeintlich Bevollmächtigte übersandt habe, sei lediglich versehentlich erfolgt, habe jedoch keine Auswirkungen darauf, wie die Bevollmächtigung im Rahmen des Widerspruchsverfahrens bewertet werde.

Nachdem das Gericht die (vermeintlich) Prozessbevollmächtigte der Klägerin mit Verfügungen vom 27. Februar 2019, 04. April 2019, 01. Juli 2019 sowie vom 17. Februar 2021 angesichts der lediglich verpixelten Unterschrift unter der vorgelegten Kopie der Vollmachtsurkunde – erfolglos – um die Übersendung der Originalvollmachtsurkunde und um Vorlage einer Erklärung der Klägerin gebeten hatte, ob, wann und in welchem Umfang die Vollmachtserteilung erfolgt ist, hat es die Beteiligten mit Verfügung vom 03. März 2021 zur beabsichtigten Entscheidung durch Gerichtsbescheid angehört.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die zwischen den Beteiligten gewechselten Schriftsätze, die Prozessakte sowie auf die die Klägerin betreffenden Verwaltungsakten des Beklagten Bezug genommen, die vorgelegen haben und Gegenstand der Entscheidungsfindung waren.

Entscheidungsgründe

Die Klage hat keinen Erfolg.

Über die Klage konnte das Gericht gemäß § 105 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) durch Gerichtsbescheid entscheiden, weil die Sache keine besonderen tatsächlichen oder rechtlichen Schwierigkeiten aufweist, der Sachverhalt geklärt ist, die Beteiligten zuvor mit gerichtlicher Verfügung vom 03. März 2021 zu dieser beabsichtigten Entscheidungsform ordnungsgemäß angehört worden sind und zu der eine ausdrückliche Zustimmung der Beteiligten nicht erforderlich ist. Das Gericht ist vor seiner Entscheidung – wie auch im Rahmen der mündlichen Verhandlung – weder zur Darstellung seiner Rechtsansicht (vgl Bundessozialgericht, Beschluss vom 03. April 2014 – B 2 U 308/13 B, RdNr 8 mwN) noch zu einem umfassenden Rechtsgespräch verpflichtet (vgl Bundessozialgericht, Urteil vom 30. Oktober 2014 – B 5 R 8/14 R, RdNr 23).

1. Die Untätigkeitsklage ist bereits unzulässig. Eine Untätigkeitsklage ist gemäß § 88 Abs 1 S 1 SGG zulässig, wenn (1) ein Antrag auf Vornahme eines Verwaltungsaktes vorliegt, (2) hierüber noch nicht entschieden worden ist und (3) seit Stellung dieses Antrages sechs Monate verstrichen sind (sog Sperrfrist). Gemäß § 88 Abs 2 SGG gilt das gleiche, wenn über einen Widerspruch nicht entschieden worden ist, mit der Maßgabe, dass als angemessene Frist eine solche von drei Monaten gilt.

a) Diese Voraussetzungen liegen nicht vor. Es fehlt bereits an einem mit Wissen und Wollen der Klägerin erhobenen Widerspruch der Klägerin gegen die mit dem Bescheid des Beklagten vom 27. Juni 2018 verlautbarte ablehnende Verfügung. Die Kammer konnte sich nicht die Überzeugung bilden (vgl § 105 Abs 1 S 3 SGG iVm § 128 Abs 1 S 1 SGG und § 128 Abs 1 S 2 SGG), dass der durch die (vermeintlich) Prozessbevollmächtigte an den Beklagten gerichtete Widerspruch mit Wissen und Wollen der Klägerin erhoben worden ist. Dafür, dass die (vermeintlich) Prozessbevollmächtigte auch namens und in Vollmacht der Klägerin Widerspruch erhoben hat, trägt die Klägerin die materielle Beweislast. Hierbei ist der volle Beweis für eine Tatsache – hier also die mit Wissen und Wollen der Klägerin erfolgte Erhebung des Widerspruches – erst dann erbracht, wenn sie für das erkennende Gericht mit Gewissheit feststeht, wobei Gewissheit in diesem Sinn bedeutet, dass ein vernünftiger, die Lebensverhältnisse klar überschauender Mensch keinen Zweifel hat (vgl G. Becker in: Eicher/Luik, SGB II, § 7, RdNr 117 mwN). Hierbei kann sich das Gericht jedoch mit einem für das praktische Leben brauchbaren Grad an Gewissheit, der den Zweifeln Schweigen gebietet, ohne sie völlig auszuschließen (vgl zu diesem Aspekt des Vollbeweises erneut G. Becker in: Eicher/Luik, SGB II, § 7, RdNr 117 mwN) begnügen.

Da die (vermeintliche) Prozessbevollmächtigte der Klägerin die gerichtliche Verfügung vom 17. Februar 2021 in den entscheidenden Punkten unbeantwortet gelassen und insbesondere nicht dargelegt hat, ob, wann und in welchem Umfang die Vollmachtserteilung erfolgt ist, und sie darüber hinaus die von dem Beklagten aufgrund seiner Erkenntnisse aus einem anderen sozialverwaltungsbehördlichen Verfahren geäußerten Zweifel an der tatsächlichen Bevollmächtigung durch die Klägerin – mit auch für das Gericht nachvollziehbarer Argumentation – trotz mehrfacher Aufforderung durch das Gericht nicht ausgeräumt hat, obwohl ihr dies unproblematisch möglich gewesen wäre, sind die Zweifel an einer ordnungsgemäßen Bevollmächtigung durch die Klägerin derart erheblich, dass sie nicht zum Schweigen gebracht werden können, so dass die Kammer nicht von der Bevollmächtigung für die Erhebung des Widerspruches mit Wissen und Wollen der Klägerin überzeugt ist (vgl erneut § 105 Abs 1 S 3 SGG iVm § 128 Abs 1 S 1 SGG und § 128 Abs 1 S 2 SGG), was – wie aufgezeigt – zu ihren Lasten geht.

b) Wenn danach die mit Wissen und Wollen der Klägerin erfolgte Erhebung des Widerspruches nicht mit Gewissheit feststeht, kann offen bleiben, ob die Untätigkeitsklage auch deshalb unzulässig wäre, weil es an einer Prozessvollmacht der als anwaltliche Vertreterin auftretenden Rechtsanwaltsgesellschaft und damit an einer Prozessvoraussetzung für eine ordnungsgemäße Erhebung der Klage fehlt. Nach § 73 Abs 2 S 1 SGG können sich die Beteiligten durch einen Rechtsanwalt als Bevollmächtigten vertreten lassen. Die Vollmacht ist gemäß § 73 Abs 6 S 1 SGG schriftlich zu den Gerichtsakten einzureichen; gemäß § 73 Abs 6 S 2 SGG genügt auch eine nachgereichte Vollmacht. Nach § 73 Abs 6 S 5 SGG hat das Gericht den Mangel der Vollmacht von Amts wegen zu berücksichtigen, wenn nicht als Bevollmächtigter ein Rechtsanwalt auftritt. Daraus folgt aber nicht, dass bei einem Rechtsanwalt eine Vollmachtsvorlage vom Gericht nicht verlangt werden darf, sondern nur, dass das Gericht bei einem anwaltlich vertretenen Beteiligten grundsätzlich nicht verpflichtet ist, die Frage der Vollmacht von Amts wegen zu überprüfen. Gleichwohl darf das Gericht bei Vorliegen begründeter Zweifel eine Überprüfung der Bevollmächtigung vornehmen und nach Ausübung pflichtgemäßen Ermessens eine schriftliche Vollmacht anfordern (so zu Recht Bayerisches Landessozialgericht, Beschluss vom 23. Februar 2017 – L 15 AS 44/17 B ER, RdNr 19f mwN). Die Frage, ob das Gericht zu Recht begründete Zweifel (auch) für die Bevollmächtigung zur Erhebung der Untätigkeitsklage hegen durfte, kann im Ergebnis aber offen bleiben. Denn die Klage ist – wie soeben dargelegt – schon aus anderen Gründen unzulässig, weshalb es auch auf die von der (vermeintlich) Prozessbevollmächtigten der Klägerin dargelegten Anforderungen an die Übermittlung einer Vollmachtsurkunde und die Frage der (fehlenden) Verpflichtung zur Vorlage auch im sozialgerichtlichen Verfahren nicht entscheidungserheblich ankommt.

2. Ob die Untätigkeitsklage begründet wäre, darf das Gericht bei dieser Sachlage dagegen nicht prüfen, weil die Befugnisse des gesetzlichen Richters nur so weit reichen wie die Sachurteilsvoraussetzungen gegeben sind.

3. a) Die Kostenentscheidung folgt aus § 105 Abs 1 S 3 SGG iVm § 193 Abs 1 S 1 SGG. Es entsprach dabei der Billigkeit, dass die Beteiligten insgesamt einander keine Kosten zu erstatten haben, weil die Klägerin mit ihrem Begehren im Klageverfahren vollumfänglich unterlegen ist.

b) Die Aufwendungen des Beklagten sind schon von Gesetzes wegen nicht erstattungsfähig (vgl (§ 105 Abs 1 S 3 SGG iVm § 193 Abs 4 SGG iVm § 184 Abs 1 SGG).

c) Da das Gericht die Frage, ob die Untätigkeitsklage auch aufgrund des Fehlens einer ordnungsgemäßen Bevollmächtigung für das Klageverfahren unzulässig wäre, im Ergebnis offen gelassen hat, war eine auf den Regelungen des § 105 Abs 1 S 3 SGG iVm § 197a Abs 1 S 1 SGG iVm § 154 Abs 1 S 1 der Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) sowie § 202 S 1 SGG iVm § 89 Abs 1 der Zivilprozessordnung (ZPO) fußende Kostenentscheidung zu Lasten des vollmachtlosen Vertreters nicht veranlasst (vgl hierzu Bayerisches Landessozialgericht, Beschluss vom 23. Februar 2017 – L 15 AS 44/17 B ER, RdNr 24 mwN).

5. a) Gerichtskosten werden in Verfahren der vorliegenden Art nicht erhoben (§ 105 Abs 1 S 3 SGG iVm § 183 S 1 SGG).

b) Da das Gericht – wie soeben bereits dargelegt – die Frage, ob die Untätigkeitsklage auch aufgrund des Fehlens einer ordnungsgemäßen Bevollmächtigung für das Klageverfahren unzulässig wäre, im Ergebnis offen gelassen hat, war auch eine auf den Regelungen des § 105 Abs 1 S 3 SGG iVm § 197a Abs 1 S 1 SGG iVm § 52 des Gerichtskostengesetzes (GKG) beruhende Festsetzung eines Streitwertes ebenfalls nicht veranlasst (vgl hierzu Bayerisches Landessozialgericht, Beschluss vom 23. Februar 2017 – L 15 AS 44/17 B ER, RdNr 25).