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Entscheidung S 20 KR 291/19


Metadaten

Gericht SG Neuruppin 20. Kammer Entscheidungsdatum 12.05.2021
Aktenzeichen S 20 KR 291/19 ECLI ECLI:DE:SGNEURU:2021:0512.S20KR291.19.00
Dokumententyp Gerichtsbescheid Verfahrensgang -
Normen

Tenor

Die Klagen werden abgewiesen.

Die Beteiligten haben einander keine Kosten zu erstatten.

Gerichtskosten werden in Verfahren der vorliegenden Art nicht erhoben.

Tatbestand

Die Beteiligten streiten über einen Anspruch der Klägerin auf Versorgung mit einer stationär durchgeführten chirurgischen abdominellen Fettschürzenresektion.

Die im September 1981 geborene Klägerin beantragte unter dem 14. Juli 2019 befundgestützt die Kostenübernahme für eine Krankenhausbehandlung zur chirurgischen abdominellen Fettschürzenresektion nach einer massiven Gewichtsreduktion ua aufgrund einer bariatrischen Operation. Nach Einholung eines sozialmedizinischen Gutachtens des Medizinischen Dienstes der Krankenversicherung Berlin-Brandenburg e. V. vom 19. Juli 2019 lehnte die Beklagte den Antrag der Klägerin mit Verfügung vom 24. Juli 2019 ab. Den hiergegen mit Schreiben vom 20. August 2019 erhobenen befundgestützten Widerspruch der anwaltlich vertretenen Klägerin wies die Beklagte nach Einholung eines weiteren sozialmedizinischen Gutachtens des Medizinischen Dienstes der Krankenversicherung Berlin-Brandenburg e. V. vom 01. Oktober 2019 mit Widerspruchsbescheid vom 07. November 2019 als unbegründet zurück. Zur Begründung führte die Beklagte im Wesentlichen aus, nach körperlicher Untersuchung durch den MDK habe eine medizinische Notwendigkeit für die beantragte Leistung nicht bestätigt werden können. Aus dem Befund resultierten weder Funktions- noch Bewegungseinschränkungen. Hinweise auf chronische Dermatosen in den Hautfalten hätten sich nicht finden lassen, entsprechende Befunde oder ein dermatologischer Therapieverlauf seien nicht dokumentiert. Die kleine Nabelhernie könne im Rahmen einer ambulanten Operation versorgt werden. Der bestehende Haut- und Fettgewebsüberschuss am Bauch habe unter der maßgeblichen Betrachtung in Alltagskleidung bei flüchtiger Begegnung im Vorübergehen keinen entstellenden Charakter. Psychische Leiden oder ein Schamgefühl hinsichtlich des unästhetisch empfundenen Selbstbildes seien mit den Mitteln der Psychiatrie/Psychotherapie zu behandeln. Im Übrigen bestehe auch kein kausaler Zusammenhang zwischen den Oberbauchbeschwerden nach Nahrungsaufnahme und der Bauchfettschürze.

Mit Schriftsatz vom 05. Dezember 2019 – bei dem Sozialgericht Neuruppin am gleichen Tage eingegangen – hat die anwaltlich vertretene Klägerin bei dem erkennenden Gericht Klage erhoben, mit der sie ihr Begehren auf Versorgung mit einer abdominellen Fettschürzenresektion weiter verfolgt. Sie bringt im Wesentlichen vor, die sie behandelnden Ärzte sähen eine medizinische Indikation zur Durchführung eines plastisch-chirurgischen Eingriffes zur Entfernung der nach der erheblichen Gewichtsreduzierung verbliebenen überschüssigen Hautareale. Die Bauchfettschürze bedecke nicht nur die Leistenregion, sondern auch den Schambereich vollständig. Da die Klägerin mit Kaiserschnitt entbunden habe, zeige sich in dieser Hautfalte derbes Narbengewebe mit Rötungen und Schmerzen, die wiederkehrende Hautentzündungen und Pilzerkrankungen hervorriefen. Darüber hinaus habe die Klägerin eine Narbenhernie, die sinnvoll nur mit einer stationär durchzuführenden Wiederherstellung der Bauchwand mit Netzversorgung zu beseitigen sei. Es könnten auch bei isolierter Hernienoperation Folgekrankheiten auftreten, da die Fettschürze immer noch nicht beseitigt sei und die Heilung permanent behindere. Die Klägerin fühle sich durch die Fettschürze auch entstellt. Sie könne nicht mit Kleidung bedeckt werden. Sie arbeite im Service mit ständigem Kundenkontakt, so dass sie auch gepflegte Kleidung anziehen müsse, was einer Verdeckung der Fettschürze mit Kleidung entgegenstehe.

Die Klägerin beantragt (nach ihrem schriftsätzlichen Vorbringen sinngemäß),

die Beklagte unter Aufhebung der mit dem Bescheid der Beklagten vom 24. Juli 2019 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 07. November 2019 verlautbarten ablehnenden Verfügung zu verurteilen, sie mit einer stationär durchgeführten chirurgischen abdominellen Fettschürzenresektion zu versorgen.

Die Beklagte beantragt,

die Klagen abzuweisen.

Zur Begründung ihres Antrages verweist sie im Wesentlichen auf ihre Erwägungen in den angegriffenen Entscheidungen.

Das Gericht hat ein sozialmedizinisches Sachverständigengutachten bei der Fachärztin für Orthopädie und Unfallchirurgie sowie Chirurgie Frau Dr. med. B. eingeholt, das diese nach am 15. Juni 2020 erfolgter ambulanter Untersuchung der Klägerin am 21. September 2020 erstattet hat. Wegen der Ergebnisse wird auf die Ausführungen der Sachverständigen Bezug genommen.

Zudem hat das Gericht die Beteiligten zuletzt mit Verfügung vom 19. April 2021 zu der beabsichtigten Entscheidung durch Gerichtsbescheid angehört.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die zwischen den Beteiligten gewechselten Schriftsätze, die Prozessakte sowie auf die die Klägerin betreffenden Verwaltungsvorgänge der Beklagten Bezug genommen, die vorgelegen haben und Gegenstand der Entscheidungsfindung waren.

Entscheidungsgründe

Die Klagen haben keinen Erfolg.

1. Über die Klagen konnte die Kammer gemäß § 105 Abs 1 S 1 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) durch Gerichtsbescheid entscheiden, weil die Sache keine besonderen tatsächlichen oder rechtlichen Schwierigkeiten aufweist, der Sachverhalt geklärt ist, die Beteiligten gemäß § 105 Abs 1 S 2 SGG zuvor mit gerichtlicher Verfügung vom 19. April 2021 zu dieser beabsichtigten Entscheidungsform ordnungsgemäß angehört worden sind, eine ausdrückliche Zustimmung der Beteiligten hierzu nicht erforderlich ist und weil das Gericht vor seiner Entscheidung – ebenso wie im Rahmen der mündlichen Verhandlung – weder zur Darstellung seiner Rechtsansicht (vgl Bundessozialgericht, Beschluss vom 03. April 2014 – B 2 U 308/13 B, RdNr 8 mwN) noch zu einem umfassenden Rechtsgespräch verpflichtet ist (vgl Bundessozialgericht, Urteil vom 30. Oktober 2014 – B 5 R 8/14 R, RdNr 23).

2. Die – auf Aufhebung der mit dem Bescheid der Beklagten vom 24. Juli 2019 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 07. November 2019 verlautbarten ablehnenden Verfügung und auf Verurteilung der Beklagten zur Versorgung der Klägerin mit einer stationär durchzuführenden chirurgischen abdominellen Fettschürzenresektion gerichteten – Begehren sind als kombinierte Anfechtungs- und Leistungsklage statthaft (vgl § 54 Abs 1 S 1 Regelung 1 SGG, § 54 Abs 4 SGG sowie § 56 SGG) und auch im Übrigen zulässig.

3. Die zulässigen Klagen sind jedoch unbegründet.

a) Die Anfechtungsklage im Sinne des § 54 Abs 1 S 1 Regelung 1 SGG ist unbegründet, weil die angegriffene Verfügung rechtmäßig ist und die Klägerin durch sie nicht in ihren subjektiv-öffentlichen Rechten beschwert ist (vgl § 54 Abs 2 S 1 SGG).

aa) Rechtsgrundlage für die von der Klägerin beanspruchte Sachleistung ist § 11 Abs 1 Nr 4 SGB V iVm § 27 Abs 1 S 1 SGB V. Danach haben Versicherte Anspruch auf Krankenbehandlung, wenn diese notwendig ist, um eine Krankheit zu erkennen, zu heilen, ihre Verschlimmerung zu verhüten oder Krankheitsbeschwerden zu lindern. Die Krankenbehandlung umfasst ua die Krankenhausbehandlung (§ 27 Abs 1 S 2 Nr 5 SGB V). Nach § 39 Abs 1 SGB V wird die Krankenhausbehandlung vollstationär, teilstationär, vor- und nachstationär (§ 115a SGB V) sowie ambulant (§ 115b SGB V) erbracht.

bb) Die tatbestandlichen Voraussetzungen des § 11 Abs 1 Nr 4 SGB V iVm § 27 Abs 1 S 1 SGB V liegen nicht vor. Die Kammer sieht gemäß § 105 Abs 1 S 3 SGG iVm § 136 Abs 3 SGG von einer weiteren Darstellung der Entscheidungsgründe ab und folgt der zutreffenden Begründung auf Seite 2 (dort unter „Begründung“) bis Seite 3 (dort bis zum siebenten Absatz) des – auch – angegriffenen Widerspruchsbescheides der Beklagten vom 07. November 2019, der die Klägerin auch im Klageverfahren nach Auffassung der Kammer nichts Entscheidungserhebliches entgegen gesetzt hat. Insoweit hat die Beklagte zu Recht hervorgehoben, dass im Rahmen der sozialmedizinischen Sachverhaltsaufklärung keine Funktions- oder Bewegungseinschränkungen festzustellen waren, dass sich Hinweise auf chronische Dermatosen in den Hautfalten nicht finden ließen, dass die kleine Nabelhernie im Rahmen einer ambulanten Operation versorgt werden kann, dass der bestehende Haut- und Fettgewebsüberschuss am Bauch unter der maßgeblichen Betrachtung in Alltagskleidung bei flüchtiger Begegnung im Vorübergehen keinen entstellenden Charakter hat, dass psychische Leiden oder ein Schamgefühl hinsichtlich des unästhetisch empfundenen Selbstbildes mit den Mitteln der Psychiatrie/Psychotherapie zu behandeln sind und dass schließlich auch kein kausaler Zusammenhang zwischen den Oberbauchbeschwerden nach Nahrungsaufnahme und der Bauchfettschürze besteht.

cc) Dies hat auch die weitere medizinische Sachverhaltsaufklärung durch das Gericht ergeben. So hat insbesondere die gerichtliche Sachverständige Frau Dr. med. B. in ihrem Sachverständigengutachten vom 21. September 2020 ausführlich dargelegt, an welchen gesundheitlichen Einschränkungen die Klägerin im Einzelnen leidet und inwieweit dies für die Beantwortung der Beweisfragen maßgeblich ist. Die Sachverständige hat die Klägerin in Kenntnis aller erreichbaren Vorbefunde eingehend untersucht und die von ihr erhobenen Befunde sowie die erreichbaren Vorbefunde gründlich und vollständig gewürdigt und für die Kammer schlüssig und nachvollziehbar dargelegt, dass bei der Klägerin weder eine behandlungsbedürftige Krankheit der Haut vorliegt, noch dass der Hautüberschuss entstellend wirkt, weil er ausreichend mit Alltagskleidung kaschiert werden kann. Die Kammer erachtet das Sachverständigengutachten für überzeugend, weil es anerkannten Bewertungsgrundsätzen entspricht und in sich schlüssig und nachvollziehbar begründet ist und im Übrigen auch in den wesentlichen Punkten im Einklang mit den erhobenen Vorbefunden steht.

dd) Soweit in dem Vortrag der Klägerin angeklungen ist, sie leide zunehmend auch an psychischen Problemen, kann ihr auch dies nicht zum Erfolg verhelfen, worauf auch die Beklagte – wie dargelegt – bereits zu Recht hingewiesen hat. Operationen am – krankenversicherungsrechtlich gesehen – gesunden Körper, die psychische Leiden beeinflussen sollen, sind nicht als „Krankenbehandlung“ iSv § 27 Abs 1 S 1 SGB V zu werten, sondern sind vielmehr der Eigenverantwortung der Versicherten zugewiesen (Bundessozialgericht, Urteil vom 28. Februar 2008 – B 1 KR 19/07 R, RdNr 18). Von daher rechtfertigt die von der Klägerin dargestellte psychische Belastung keinen Eingriff am krankenversicherungsrechtlich gesehen gesunden Körper (vgl Bundessozialgericht, Urteil vom 08. März 2016 – B 1 KR 35/15 R, RdNr 16, Urteil vom 11. September  2012 – B 1 KR 3/12 R, RdNr 16 sowie Urteil vom 28. Februar 2008 – B 1 KR 19/07 R, RdNr 16ff). Das psychische Leiden kann nur mit Mitteln der Psychiatrie und Psychotherapie behandelt werden, nicht aber mittelbar mit der von der Klägerin begehrten Brust- und Bauchdeckenstraffungsoperation.

ee) Soweit die Klägerin zur Stützung ihres Begehrens schließlich darauf hinweist, dass eine Narbenhernie „sinnvoll“ nur mit einer stationär durchzuführenden Wiederherstellung der Bauchwand mit Netzversorgung zu beseitigen sei und die weiterhin bestehende Fettschürze bei isolierter Hernienoperation Folgekrankheiten wegen der permanenten Behinderung der Heilung auslöse, kann sie auch hiermit nicht durchdringen. Abgesehen davon, dass sich aus den medizinischen Feststellungen der Beklagten und des Gerichts keinerlei diese Auffassungen stützenden Anhaltspunkte entnehmen lassen, kann die Klägerin einen Klageerfolg daraus schon deshalb nicht ableiten, weil es allein auf den – hier jedoch fehlenden – Krankheitswert des Haut- und Gewebeüberschusses selbst ankommt.

b) Wenn danach die Anfechtungsklage unbegründet ist, gilt Gleiches auch für die mit ihr kombinierte Leistungsklage im Sinne des § 54 Abs 4 SGG iVm § 56 SGG. Die Leistungsklage ist unbegründet, weil deren Erfolg aufgrund des der Kombination immanenten Stufenverhältnisses eine zulässige und begründete Anfechtungsklage voraussetzt und weil die Klägerin – wie aufgezeigt – keinen Anspruch auf Versorgung mit einer stationär durchzuführenden chirurgischen abdominellen Fettschürzenresektion hat.

4. a) Die Kostenentscheidung folgt aus § 105 Abs 1 S 3 SGG iVm § 193 Abs 1 S 1 SGG und berücksichtigt den Ausgang des Verfahrens, in dem die Klägerin vollumfänglich unterlag.

b) Die Aufwendungen der Beklagten sind schon von Gesetzes wegen nicht erstattungsfähig (vgl § 105 Abs 1 S 3 SGG iVm § 193 Abs 4 SGG iVm § 184 Abs 1 SGG).

5. Gerichtskosten werden in Verfahren der vorliegenden Art nicht erhoben (§ 105 Abs 1 S 3 SGG iVm § 183 S 1 SGG).