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Entscheidung S 26 AS 1198/18


Metadaten

Gericht SG Neuruppin 26. Kammer Entscheidungsdatum 28.04.2021
Aktenzeichen S 26 AS 1198/18 ECLI ECLI:DE:SGNEURU:2021:0428.S26AS1198.18.00
Dokumententyp Gerichtsbescheid Verfahrensgang -
Normen

Tenor

Die mit dem Bescheid vom 24. Mai 2018 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 27. Juni 2018 verlautbarte Auskunftserteilungsverpflichtungsverfügung des Beklagten wird aufgehoben.

Der Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens.

Tatbestand

Zwischen den Beteiligten besteht nach Maßgabe der Bestimmungen des Zweiten Buches Sozialgesetzbuch – Grundsicherung für Arbeitsuchende – (SGB II) Streit über die Verpflichtung des Klägers zur Auskunftserteilung.

Zur weiteren Darstellung des Tatbestandes verweist die Kammer gemäß § 105 Abs 1 S 3 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) iVm § 136 Abs 2 S 1 SGG auf die Ausführungen auf Seite 1 (dort unter „I.“) bis Seite 2 (dort bis vor „II.“) des Widerspruchsbescheides des Beklagten vom 27. Juni 2018, mit dem dieser den Widerspruch des Klägers vom 20. Juni 2018 gegen die sozialverwaltungsbehördliche Auskunftserteilungsverpflichtungsverfügung des Beklagten vom 24. Mai 2018 als unbegründet zurückwies. Wegen der Begründung des Beklagten verweist die Kammer gemäß § 105 Abs 1 S 3 SGG iVm § 136 Abs 2 S 1 SGG auf die Ausführungen auf Seite 2 (dort ab „II.“) bis Seite 4 (dort bis vor das Wort „Rechtsbehelfsbelehrung“) des Widerspruchsbescheides des Beklagten vom 27. Juni 2018.

Hiergegen hat der zunächst nicht anwaltlich vertretene Kläger bei dem erkennenden Gericht am 18. Juli 2018 Klage erhoben, mit der er sein auf Aufhebung der ihn belastenden Verfügung gerichtetes Begehren weiter verfolgt. Klagebegründend trägt er im Wesentlichen vor, Frau B.. sei aufgrund eines Mietvertrages, der im Jahre 2015 gekündigt worden sei, lediglich Untermieterin in seinem Einfamilienhaus. Es bestehe mit ihr keine Bedarfsgemeinschaft, er stehe nicht für sie ein und sei auch nicht bereit, für sie einzustehen. Deshalb sei er auch zur Offenlegung seiner Einkommens- und Vermögensverhältnisse nicht bereit.

Die nunmehr anwaltlich vertretene Kläger beantragt (nach seinem schriftsätzlichen Vorbringen sinngemäß),

die mit dem Bescheid vom 24. Mai 2018 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 27. Juni 2018 verlautbarte Auskunftserteilungsverpflichtungsverfügung des Beklagten aufzuheben.

Der Beklagte beantragt,

die Klagen abzuweisen.

Zur Begründung seines Antrages wiederholt und vertieft er im Wesentlichen seine Ausführungen in seinem – auch – angegriffenen Widerspruchsbescheid vom 27. Juni 2018. Ergänzend weist er darauf hin, dass der Kläger am 08. Mai 2018 in der Anmeldung im Hause des Beklagten erschienen sei und er in dem an diesem Tage geführten Gespräch angegeben habe, Frau B.. würde seit Mitte 2015 keine Miete mehr an ihn zahlen. Darüber hinaus habe er mitgeteilt, dass Frau B.. und er die Küche und das Bad gemeinsam nutzen würden und sie bis vor 15 Jahren ein Paar gewesen seien. Der Beklagte habe am 28. Juni 2018 erneut erfolglos versucht, einen Hausbesuch durchzuführen. Frau B.. könne angesichts der zwischenzeitlich ausgesprochenen Kündigung des Mietverhältnisses erst zum 31. Mai 2019 weiterhin im Hause des Klägers wohnen bleiben und dürfe somit sämtliche Vermögenswerte im gesamten Haus nutzen. Sie kümmere sich um den Garten, dessen Pflege im vermeintlichen Mietvertrag nicht vereinbart worden sei. Die Betriebskostenabrechnung für das Jahr 2016 habe Frau B.. erstellt, so dass sie Einblick in die persönlichen Unterlagen des Klägers haben müsse. Zur Überzeugung des Beklagten bestehe zwischen dem Kläger und Frau B.. eine Bedarfsgemeinschaft, weshalb der Kläger verpflichtet sei, die geforderten Auskünfte zu erteilen.

Nachdem der Beklagte in Eigeninitiative mit Hilfe von durch ihn versandte und an das Gericht im zwischen Frau B.. und dem Beklagten geführten Rechtsstreit mit dem gerichtlichen Aktenzeichen S 26 AS 1189/18 übermittelte „Zeugenfragebögen“ die unmittelbaren Nachbarn schriftlich zu deren „Beziehung“ mit dem Kläger „in dem Zeitraum von Juni 2015 bis heute“ befragt hat (vgl hierzu den im vorliegenden Verfahren von dem Beklagten übersandten „Zeugenfragebogen“ des Herrn C. vom 27. Januar 2019), hat das Gericht die Beteiligten mit Verfügung vom 08. März 2021 zu der beabsichtigten Entscheidung durch Gerichtsbescheid angehört.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhaltes wird ergänzend auf den Inhalt der Prozessakte Bezug genommen. Diese haben vorgelegen und waren Gegenstand der Entscheidungsfindung.

Entscheidungsgründe

Die Klage hat Erfolg.

1. Über die Klage konnte die Kammer gemäß § 105 Abs 1 S 1 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) – entgegen der Auffassung des Beklagten – durch Gerichtsbescheid entscheiden, weil die Sache keine besonderen tatsächlichen oder rechtlichen Schwierigkeiten aufweist, der Sachverhalt geklärt ist, die Beteiligten gemäß § 105 Abs 1 S 2 SGG zuvor mit der gerichtlichen Verfügung vom 08. März 2021 zu dieser beabsichtigten Entscheidungsform ordnungsgemäß angehört worden sind, eine ausdrückliche Zustimmung der Beteiligten hierzu entgegen der Auffassung des Beklagten nicht erforderlich ist und weil das Gericht vor seiner Entscheidung – ebenso wie im Rahmen der mündlichen Verhandlung – weder zur vorherigen Darstellung seiner Rechtsansicht (vgl Bundessozialgericht, Beschluss vom 03. April 2014 – B 2 U 308/13 B, RdNr 8 mwN) noch zu einem vorherigen umfassenden Rechtsgespräch verpflichtet ist (vgl Bundessozialgericht, Urteil vom 30. Oktober 2014 – B 5 R 8/14 R, RdNr 23).

2. Streitgegenstand des sozialgerichtlichen Klageverfahrens ist die Rechtmäßigkeit der angegriffenen Auskunftserteilungsverpflichtungsverfügung des Beklagten vom 24. Mai 2018 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 27. Juni 2018. Die genannte – den Kläger belastende – sozialverwaltungsbehördliche Verfügung des Beklagten, die ein Verwaltungsakt im Sinne des § 31 S 1 des Zehnten Buches Sozialgesetzbuch – Sozialverwaltungsverfahren und Sozialdatenschutz – (SGB X) ist, ist dementsprechend ihrerseits Klagegegenstand.

3. Der Kläger verfolgt sein Begehren zu Recht mit einer (isolierten) Anfechtungsklage im Sinne des § 54 Abs 1 S 1 Regelung 1 SGG; diese ist statthaft und auch im Übrigen zulässig.

4. Die danach insgesamt zulässige Klage ist auch begründet. Die angegriffene Auskunftserteilungsverpflichtungsverfügung ist rechtswidrig und der Kläger ist durch sie im Sinne des § 54 Abs 2 S 1 SGG in seinen subjektiv-öffentlichen Rechten beschwert. Die Feststellungen des Beklagten vermögen die zugrunde zu legenden tatbestandlichen Voraussetzungen der Ermächtigungsgrundlage der Regelung des § 60 Abs 4 S 1 Nr 1 SGB II des Zweiten Buches Sozialgesetzbuch – Grundsicherung für Arbeitsuchende – (SGB II) – nicht zu tragen, wobei die Regelung in der Fassung anzuwenden ist, die zum Zeitpunkt der verfügten Minderung des Arbeitslosengeldes II galt, was auch für die weiteren zitierten Vorschriften gilt. Zwar ist eine frühere, durch eine Änderung des Gesetzes abgelöste alte Fassung des Gesetzes kein aktuell geltendes Recht mehr, aufgrund der gesetzlichen Konzeption der Übergangsvorschriften im SGB II (vgl zB dessen § 66 oder auch dessen § 80), die Ausdruck des aus dem Rechtsstaatsprinzip nach Art 20 Abs 3 des Grundgesetzes folgenden Grundsatzes des Vertrauensschutzes auch bei Rechtsänderungen sind, ist jedoch im SGB II vom sog Geltungszeitraumprinzip auszugehen, nach dem das Recht anzuwenden ist, das zu der Zeit galt, in der die maßgeblichen Rechtsfolgen eingetreten sind, wenn es – wie hier – an einer speziellen Regelung mangelt (vgl Bundessozialgericht, Urteil vom 19. Oktober 2016 – B 14 AS 53/15 R, RdNr 15 mwN).

a) Der Beklagte konnte von dem Kläger gemäß § 60 Abs 4 S 1 Nr 1SGB II keine Auskunft verlangen, weil er – der Beklagte – die Grundvoraussetzung für die Anwendung dieser Norm – das Vorliegen einer Partnerschaft gemäß § 7 Abs 3 Nr 3 Buchst c) SGB II – nicht in ausreichender Weise selbst ermittelt hat. Insoweit hat der Beklagte nämlich zu den tatbestandlichen Voraussetzungen der Regelungen des § 7 Abs 3a SGB II, die es ihm erlaubt hätten, das Bestehen einer Verantwortungs- und Einstandsgemeinschaft im Sinne des § 7 Abs 3 Buchst c) SGB II zu vermuten, oder weiterer Indizien, die unabhängig davon das Vorliegen einer Partnerschaft im Sinne des § 7 Abs 3 Nr 3 Buchst c) SGB II zwischen dem Kläger und Frau B.. begründen könnten, keine ausreichenden Ermittlungen angestellt. Insbesondere die Annahme des Beklagten, die Klägerin und Herr Kersten Voß hätten im hier interessierenden Zeitraum als Partner bereits länger als ein Jahr zusammen gelebt (§ 7 Abs 3a Nr 1 SGB II), war jedenfalls keine Feststellung aufgrund von konkreten Ermittlungen, sondern ihrerseits lediglich eine bloße Vermutung, auf die jedoch die Auskunftsverfügung nicht gestützt werden kann (vgl nur Bundessozialgericht, Urteil vom 25. Juni 2015 – B 14 AS 30/14 R, RdNr 17); das Vorliegen der weiteren Vermutungstatbestände (§ 7 Abs 3a Nr 2 bis Nr 4 SGB II) hat der Beklagte nicht einmal selbst behauptet.

b) Dass es Aufgabe des Beklagten ist, alle Tatsachen zu ermitteln, die zum Erlass eines Verwaltungsakts notwendig sind, folgt aus dem in § 20 SGB X festgeschriebenen Untersuchungsgrundsatz, dessen Reichweite sich nach dem jeweiligen Gegenstand des Verwaltungsverfahrens richtet vgl nur Bundessozialgericht, Urteil vom 25. Juni 2015 – B 14 AS 30/14 R, RdNr 18 unter Hinweis auf Siefert in von Wulffen/Schütze, SGB X, § 20, RdNr 5). Es müssen somit alle Tatsachen ermittelt werden, die für die Verwaltungsentscheidung wesentlich im Sinne von entscheidungserheblich sind. Ein Absehen von Ermittlungen ist nur zulässig, wenn es auf die ungeklärte Tatsache nicht ankommt, sie offenkundig ist oder als wahr unterstellt werden kann oder das Beweismittel unerreichbar ist vgl nur Bundessozialgericht, Urteil vom 25. Juni 2015 – B 14 AS 30/14 R, RdNr 18 unter Hinweis auf Siefert, aaO, § 20, RdNr 15 sowie Luthe in jurisPK-SGB X, 2013, § 20, RdNr 13).

Dementsprechend durfte sich der Beklagte bei seiner Prüfung, ob die Voraussetzungen der von ihm zugrunde gelegten Ermächtigungsgrundlage für eine Auskunftserteilungsverpflichtungsverfügung vorlagen, nicht allein auf Vermutungen stützen. Der Beklagte war vielmehr gehalten, die erforderlichen Ermittlungen zu dem Vorliegen der tatbestandlichen Voraussetzungen der von ihm bemühten Vermutungsregel oder weiterer Indizien, die unabhängig davon das Vorliegen einer Partnerschaft zwischen dem Kläger und Frau B.. begründen könnten, und damit auch die der Ermächtigungsgrundlage selbst anzustellen.

c) Nach den allgemeinen Regeln für die Darlegungs- und Beweislast gilt, dass derjenige die objektiven Tatsachen darlegen muss, die den von ihm geltend gemachten Anspruch begründen. Dies betrifft sowohl das Vorhandensein von positiven, als auch das Fehlen von negativen Tatbestandsvoraussetzungen (vgl nur Bundessozialgericht, Urteil vom 25. Juni 2015 – B 14 AS 30/14 R, RdNr 20 unter Hinweis auf Bundessozialgericht, Urteil vom 24. Oktober 1957 – 10 RV 945/55). Damit trägt der Beklagte nicht nur die objektive Beweislast für belastende Auskunftserteilungsverpflichtungsverfügungen (vgl nur Bundessozialgericht, Urteil vom 25. Juni 2015 – B 14 AS 30/14 R, RdNr 20 unter Hinweis auf Bundessozialgericht, Urteil vom 13. September 2006 – B 11a AL 13/06 R, RdNr 18; Bundessozialgericht, Urteil vom 20. Oktober 2005 – B 7a/7 AL 102/04 R, RdNr 13 ff sowie Bundessozialgericht, Urteil vom 02. April 2009 – B 2 U 25/07 R), sondern er ist bereits im vorherigen Verfahrensstadium verpflichtet, die Tatbestandsvoraussetzungen für eine Norm, auf die er seine Verwaltungsentscheidung stützt, zu ermitteln und entsprechend festzustellen, damit sich der Leistungsberechtigte im Verfahren mit seiner Argumentation auf die die Entscheidung tragenden Gründe einrichten kann.

Dies ist auch deshalb nicht ausnahmsweise unbeachtlich, weil von Ermittlungen abgesehen werden konnte, da die ungeklärten tatbestandlichen Voraussetzungen der Vermutungsregel nicht oder nur unter unzumutbar erschwerten Bedingungen zu erreichen war. Vielmehr stand dem Beklagten gerade für Sachverhalte wie dem vorliegenden, die Möglichkeit zur Verfügung, sich zur Ermittlung des Vorliegens der tatsächlichen Voraussetzungen der Vermutungsregel und damit zugleich auch der tatbestandlichen Voraussetzungen der Ermächtigungsgrundlage für die Auskunftserteilungsverpflichtungsverfügung jedenfalls auch und gerade unmittelbar an die vermeintliche Partnerin oder andere Personen, die zu der Sachverhaltsaufklärung hätten beitragen können, zu wenden. Er hätte insoweit jedenfalls die vermeintliche Partnerin des Klägers – Frau B.. – mit entsprechender Belehrung als Zeugin vernehmen oder sie zu einer schriftlichen Äußerung auffordern (vgl § 20 Abs 1 S 1 SGB X, § 20 Abs 1 S 2 SGB X, § 20 Abs 1 S 3 SGB X, § 20 Abs 2 SGB X sowie § 21 Abs 1 S 2 Nr 2 SGB X) und so die tatsächlichen Verhältnisse selbst feststellen müssen, wobei er verpflichtet ist, alle für den Einzelfall bedeutsamen, auch die für die Beteiligten günstigen Umstände zu berücksichtigen (vgl § 20 Abs 2 SGB X).

d) Die Kammer war aufgrund ihrer Amtsermittlungspflicht nach § 103 SGG auch nicht verpflichtet, die vom Beklagten unterlassene Ermittlung der tatbestandlichen Voraussetzungen der Vermutungsregel oder weiterer Indizien, die unabhängig davon das Vorliegen einer Partnerschaft zwischen dem Kläger und Frau B.. begründen könnten, als Voraussetzung für seine Auskunftserteilungsverpflichtungsverfügung selbst nachzuholen.

aa) Die Gerichte sind grundsätzlich verpflichtet, den angefochtenen Verwaltungsakt in rechtlicher und tatsächlicher Hinsicht umfassend nachzuprüfen (vgl § 54 Abs 2 S 1 SGG und § 103 SGG); die beklagte Behörde kann deshalb im Laufe des Gerichtsverfahrens neue Tatsachen und Rechtsgründe „nachschieben“ (vgl nur Bundessozialgericht, Urteil vom 25. Juni 2015 – B 14 AS 30/14 R, RdNr 23 ua unter Hinweis auf Bundessozialgericht, Urteil vom 24. Februar 2011 – B 14 AS 87/09 R sowie Bundessozialgericht, Urteil vom 21. September 2000 – B 11 AL 7/00 R, BSGE 87, 132, 139 = SozR 3-4100 § 128 Nr 10 S 87 f: nicht nur „Kassation“, sondern auch „Reformation“). Hinsichtlich eines solchen Nachschiebens von Gründen gibt es jedoch bei belastenden Verwaltungsakten, die im Wege der reinen Anfechtungsklage angefochten werden, Einschränkungen, wenn die Verwaltungsakte dadurch in ihrem Wesen verändert werden und der Betroffene infolgedessen in seiner Rechtsverteidigung beeinträchtigt werden kann (vgl nur Bundessozialgericht, Urteil vom 25. Juni 2015 – B 14 AS 30/14 R, RdNr 23 ua unter Hinweis auf BSGE 3, 209, 216; BSGE 9, 277, 279 f; BSGE 29, 129, 132; BSGE 38, 157, 159; BSGE 87, 8, 12; Kischel, Folgen von Begründungsfehlern, 2004, 189 ff).

Da die Aufrechterhaltung eines Verwaltungsakts mit einer völlig neuen tatsächlichen Begründung dem Erlass eines neuen Verwaltungsakts gleichkommt, würde das Gericht anderenfalls entgegen dem Grundsatz der Gewaltentrennung (Art 20 Abs 2 S 2 des Grundgesetzes) selbst aktiv in das Verwaltungsgeschehen eingreifen (vgl nur Bundessozialgericht, Urteil vom 25. Juni 2015 – B 14 AS 30/14 R, RdNr 23 unter Hinweis auf BSGE 9, 277, 280). Eine solche Änderung des „Wesens“ eines Verwaltungsakts, das in Anlehnung an den Streitgegenstand eines Gerichtsverfahrens bestimmt werden kann (vgl nur Bundessozialgericht, Urteil vom 25. Juni 2015 – B 14 AS 30/14 R, RdNr 23 unter Hinweis auf BSGE 9, 277, 280 sowie Kopp/Schenke, VwGO, 21. Aufl 2015, § 113 RdNr 69), ist ua angenommen worden, wenn die Regelung auf einen anderen Lebenssachverhalt gestützt wird, zB bei einem Streit um die Höhe einer Rente aus der gesetzlichen Rentenversicherung im Laufe des Gerichtsverfahrens ein weiteres Element der Rentenberechnung vom Rentenversicherungsträger in Abrede gestellt wird (vgl nur Bundessozialgericht, Urteil vom 25. Juni 2015 – B 14 AS 30/14 R, RdNr 23 unter Hinweis auf BSGE 38, 157, 159; BSG SozR 1500 § 77 Nr 56), oder wenn auf eine andere Rechtsgrundlage zurückgegriffen werden soll, die einem anderen Zweck dient (vgl nur Bundessozialgericht, Urteil vom 25. Juni 2015 – B 14 AS 30/14 R, RdNr 23 unter Hinweis auf Bundessozialgericht, Urteil vom 24. Februar 2011 – B 14 AS 87/09 R, RdNr 16).

bb) Neben dieser Entwicklung der Rechtsprechung hat der Gesetzgeber einerseits in § 41 Abs 2 SGB X die Heilungsmöglichkeiten für Verfahrens- und Formfehler der Behörde bei Erlass eines Verwaltungsakts bis zum Abschluss der letzten Tatsacheninstanz eines gerichtlichen Verfahrens erleichtert (vgl nur Bundessozialgericht, Urteil vom 25. Juni 2015 – B 14 AS 30/14 R, RdNr 24 unter Hinweis auf Dolderer, DÖV 1999, 104 ff) und andererseits die Möglichkeit der Zurückverweisung vom Gericht an die Behörde eingeführt, wenn diese Ermittlungen unterlässt (§ 131 Abs 5 SGG), sowie dem Gericht das Recht eingeräumt, der Behörde die Kosten einer von ihr unterlassenen und vom Gericht nachgeholten Ermittlung aufzuerlegen (§ 192 Abs 4 SGG). Hierdurch sind die Heilungs- und Nachbesserungsmöglichkeiten der Behörde in formeller Hinsicht erweitert worden, während sie auf der anderen Seite ihre Ermittlungsarbeit nicht auf die Gerichte verlagern soll, weil diese für die materielle Entscheidung von zentraler Bedeutung ist und deren Kern und damit das Wesen des erlassenden Verwaltungsakts bestimmt. Ausgehend von diesen Konkretisierungen des Gesetzgebers und der zuvor dargestellten Rechtsprechung ist in reinen Anfechtungssachen das Nachschieben eines Grundes durch die Behörde regelmäßig unzulässig (vgl nur Bundessozialgericht, Urteil vom 25. Juni 2015 – B 14 AS 30/14 R, RdNr 24 unter Hinweis auf Bundesverwaltungsgericht, Urteil vom 29. Juni 2015 – 1 C 2/15, RdNr 14 f zur gesetzlich ausdrücklich angeordneten Pflicht der Gerichte zur Nachermittlung neuer Sachverhalte im Asylrecht), wenn dieser umfassende Ermittlungen seitens des Gerichts erfordert, die Behörde ihrerseits insofern keine Ermittlungen angestellt hat und der Verwaltungsakt hierdurch einen anderen Wesenskern erhält, weil dann der angefochtene Verwaltungsakt – bei einem entsprechenden Ergebnis der Ermittlungen – mit einer wesentlich anderen Begründung Bestand hätte (vgl nur Bundessozialgericht, Urteil vom 25. Juni 2015 – B 14 AS 30/14 R, RdNr 24 unter Hinweis auf Kischel, Folgen von Begründungsfehlern, 2004, 190 f).

cc) Unter Zugrundelegung dieser Maßstäbe hätte erst das Gericht durch die weitere Sachverhaltsaufklärung mit Hilfe der Einvernahme der vermeintlichen Partnerin des Klägers als Zeugin die Grundlagen für die Rechtmäßigkeit des Verwaltungsaktes legen können und hätte damit das Wesen des angegriffenen Verwaltungsaktes verändert. Es handelt sich dabei auch nicht nur um eine Ergänzung des Sachverhalts, auf den der Beklagte seine Entscheidung gestützt hat, sondern um die umfassende Prüfung einer maßgeblichen Voraussetzung für die angefochtene Verfügung, die der Beklagte bisher nicht ausreichend ermittelt hatte und deren Prüfung und Aufklärung in tatsächlicher Hinsicht in erster Linie von ihm durchzuführen war. Im Rahmen einer Anfechtungsklage der vorliegenden Art ist es Aufgabe des Gerichts, die Entscheidung der Sozialverwaltungsbehörde zu überprüfen, nicht aber die Voraussetzungen für die Rechtmäßigkeit des angefochtenen Verwaltungsakts erst zu schaffen (vgl nur Bundessozialgericht, Urteil vom 25. Juni 2015 – B 14 AS 30/14 R, RdNr 25).

dd) Abgesehen davon, dass die von dem Beklagten von anderen Dritten erst während des weiterem sozialgerichtlichen Klageverfahrens mit dem gerichtlichen Aktenzeichen S 26 AS 1189/18 eingeholten schriftlichen Äußerungen angesichts deren Substanzlosigkeit die Voraussetzungen für die Vermutungsregelungen oder das Vorhandensein anderer Indizien für das Bestehen einer Partnerschaft und damit die Auskunftserteilungsverpflichtungsvoraussetzungen schon von vornherein nicht zu tragen vermögen, weshalb auch insoweit eine gerichtliche Einvernahme dieser Personen als Zeugen ebenfalls keine neuen Erkenntnisse erwarten lässt, ist – wie bereits dargelegt – in reinen Anfechtungssachen das Nachschieben von Gründen – hier in Form von vermeintlich die Vermutung stützenden Umständen durch Angaben von Dritten – durch die Behörde regelmäßig unzulässig, wenn diese umfassende Ermittlungen – hier nämlich die Einvernahme der Zeugen im Rahmen einer mündlichen Verhandlung – seitens des Gerichts erfordert, die Behörde – wie hier – ihrerseits insofern keine ausreichenden Ermittlungen angestellt hat und der Verwaltungsakt hierdurch einen anderen Wesenskern erhält, weil dann der angefochtene Verwaltungsakt – bei einem entsprechenden Ergebnis der Ermittlungen – mit einer wesentlich anderen Begründung Bestand hätten.

5. Die Kostenentscheidung beruht auf § 105 Abs 1 S 3 SGG iVm § 197a Abs 1 S 1 Halbs 3 SGG iVm § 154 Abs 1 der Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO). Weder der Kläger noch der Beklagte gehören zu den in § 183 SGG genannten Personen, für die Kostenfreiheit hinsichtlich der Gerichtskosten besteht.

6. Die endgültige Streitwertfestsetzung gemäß § 105 Abs 1 S 3 SGG iVm § 197a Abs 1 S 1 SGG iVm § 1 Abs 2 Nr 3 des Gerichtskostengesetzes (GKG) iVm § 63 Abs 2 S 1 GKG erfolgt durch gesonderten Beschluss (vgl zu diesem Erfordernis: Landessozialgericht Berlin-Brandenburg, Urteil vom 12. November 2008 – L 9 KR 119/08, RdNr 1 ff).