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Entscheidung 3 L 179/21


Metadaten

Gericht VG Potsdam 3. Kammer Entscheidungsdatum 23.06.2021
Aktenzeichen 3 L 179/21 ECLI ECLI:DE:VGPOTSD:2021:0623.3L179.21.00
Dokumententyp Beschluss Verfahrensgang -
Normen

Tenor

1. Der Antrag auf vorläufigen Rechtsschutz vom 2. März 2021 wird abgelehnt.

Der Antragsteller trägt die Kosten des Verfahrens.

2. Der Wert des Verfahrensgegenstandes wird auf 2.500,00 Euro festgesetzt.

Gründe

Der - sinngemäße - Antrag,

die aufschiebende Wirkung der Klage VG 3 K 489/21 gegen den Bescheid der Antragsgegnerin vom 13. August 2020 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 1. Februar 2021 wiederherzustellen bzw. anzuordnen,

bleibt ohne Erfolg.

1. Die Kammer legt den auf die Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung der Klage VG 3 K 489/21 gerichteten Antrag gemäß §§ 88, 122 Abs. 1 VwGO dahingehend aus, dass dieser allein gegen die Verlustfeststellung in Ziffer I. des Bescheids der Antragsgegnerin vom 13. August 2020 gerichtet ist. Dabei geht die Kammer davon aus, dass die Anordnung der sofortigen Vollziehung gemäß § 80 Abs. 2 S. 1 Nr. 4 VwGO durch Ziffer 2. des Widerspruchsbescheids allein hinsichtlich der in Ziffer I. des Bescheids vom 13. August 2020 getroffenen Verlustfeststellung gemäß § 6 Abs. 1 FreizügG/EU erfolgt ist. Die Anordnung der sofortigen Vollziehung nimmt ihrem Wortlaut nach auf den Bescheid vom 13. August 2020 Bezug, in dem die Antragsgegnerin in Ziffer II. auch eine Verlustfeststellung nach § 5 Abs. 4 FreizügG/EU getroffen hat. Der Widerspruchsbescheid lässt jedoch nicht erkennen, dass er auch die Verlustfeststellung nach § 5 Abs. 4 FreizügG/EU zu seinem Gegenstand gemacht hat. Er setzt sich mit dieser weder in seiner allgemeinen Begründung noch in der Begründung der Anordnung der sofortigen Vollziehung auseinander. Nach der Sachverhaltsdarstellung unter Ziffer I. des Widerspruchsbescheids ist allein die Verlustfeststellung nach § 6 Abs. 1 FreizügG/EU durch Bescheid vom 13. August 2020 Gegenstand des Widerspruchsverfahrens. Die rechtlichen Erwägungen unter Ziffer II. des Widerspruchsbescheids enthalten auch keine Auseinandersetzung mit den Voraussetzungen der Verlustfeststellung gemäß § 5 Abs. 4 FreizügG/EU. Entsprechendes ist für die Begründung der Anordnung der sofortigen Vollziehung festzustellen, die für die Verlustfeststellung nach § 5 Abs. 4 FreizügG/EU keine eigenständigen Erwägungen enthält.

Nach Maßgabe dessen kommt ein Antrag gemäß § 80 Abs. 5 S. 1 VwGO von vornherein nur hinsichtlich der Verlustfeststellung gemäß § 6 Abs. 1 FreizügG/EU in Betracht. Dieser ist bei sachgerechtem Verständnis des Rechtsschutzziels des Antragstellers gemäß § 80 Abs. 5 S. 1 Alt. 2 VwGO statthaft, da der Klage des Antragstellers aufgrund der in Ziffer 2. des Widerspruchsbescheids insoweit angeordneten sofortigen Vollziehung gemäß § 80 Abs. 2 S. 1 Nr. 4 VwGO keine aufschiebende Wirkung zukommt.

Der so verstandene Antrag ist auch im Übrigen zulässig, bleibt aber in der Sache ohne Erfolg.

Die Antragsgegnerin hat die sofortige Vollziehung im Widerspruchsbescheid ordnungsgemäß angeordnet. Sie ist als Widerspruchsbehörde hierfür zuständig. Die Begründung des Interesses am Sofortvollzugs genügt den Anforderungen des § 80 Abs. 3 S. 1 VwGO. Die Antragsgegnerin führt insoweit aus, dass ein Abwarten bis zu einer Entscheidung in einem möglichen Hauptsacheverfahren zu einer nicht hinnehmbaren Gefährdung der Gesellschaft führe, da der Antragsteller nach seiner Haftentlassung möglicherweise „untertauche“. Ein Vollzug der Abschiebung aus der Haft heraus sei daher notwendig.

Im Rahmen der nach § 80 Abs. 5 VwGO vorzunehmenden Interessenabwägung überwiegt das öffentliche Interesse am Sofortvollzug das private Interesse des Antragstellers an einem Aufschub von Vollzugsmaßnahmen. Die Feststellung des Verlusts des Rechts des Antragstellers auf Einreise und Aufenthalt in der Bundesrepublik Deutschland gemäß § 6 Abs. 1 FreizügG/EU in Ziffer I. des Bescheides vom 13. August 2020 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids erweist sich bei der im Verfahren nach § 80 Abs. 5 S. 1 VwGO gebotenen und im Hinblick auf die Eilbedürftigkeit allein möglichen summarischen Prüfung als offensichtlich rechtmäßig und wird daher voraussichtlich im Hauptsacheverfahren VG 3 K 489/21 Bestand haben.

Die Feststellung des Verlusts des Freizügigkeitsrechts des Antragstellers aus § 2 Abs. 1 FreizügG/EU findet ihre Rechtsgrundlage in § 6 Abs. 1 S. 1 FreizügG/EU. Danach kann der Verlust des Rechts nach § 2 Abs. 1 FreizügG/EU unbeschadet des § 2 Abs. 7 und des § 5 Abs. 4 FreizügG/EU nur aus Gründen der öffentlichen Ordnung, Sicherheit oder Gesundheit (Art. 45 Abs. 3, Art. 52 Abs. 1 des Vertrages über die Arbeitsweise der Europäischen Union) festgestellt und die Bescheinigung über das Daueraufenthaltsrecht oder die Aufenthaltskarte oder Daueraufenthaltskarte eingezogen werden.

Zunächst kann sich der Antragsteller nicht auf einen erhöhten Schutz vor einer Verlustfeststellung im Sinne der Absätze 4 und 5 des § 6 FreizügG/EU berufen. Die Anwendung des § 6 Abs. 4 FreizügG/EU, der eine Verlustfeststellung nur bei Vorliegen von schwerwiegenden Gründen zulässt, setzt den Erwerb eines Daueraufenthaltsrechts voraus. Ein solches hat nach § 4a Abs. 1 FreizügG/EU zur Voraussetzung, dass sich der Unionsbürger seit fünf Jahren ständig rechtmäßig im Bundesgebiet aufgehalten hat. Erforderlich ist, dass der Betroffene während eines zusammenhängenden Zeitraums von fünf Jahren freizügigkeitsberechtigt im Sinne des § 2 Abs. 2 FreizügG/EU war (vgl. BVerwG, Urteil vom 31. Mai 2012 - 10 C 8/12 -, juris, Rn. 20).

Anhand der vorliegenden Verwaltungsvorgänge kann ein solches Daueraufenthaltsrecht im Falle des Antragstellers nicht festgestellt werden. Der Antragsteller hat im Rahmen seiner Anhörung am 13. August 2020 angegeben, dass er vor ca. 10 Jahren nach Deutschland eingereist sei. Er habe in Polen den Beruf des Schlossers gelernt. Er sei nach Deutschland eingereist, weil sein Stiefvater in Berlin lebe und er in Berlin arbeiten wolle bzw. ein Gewerbe habe. Er sei aber in Berlin zu keinem Zeitpunkt melderechtlich registriert gewesen. Tatsächlich ist der Antragsteller, der strafrechtlich erstmals 2010 in der Bundesrepublik Deutschland verurteilt wurde, zu keinem Zeitpunkt einer sozialversicherungspflichtigen Beschäftigung nachgegangen. Ein freizügigkeitsberechtigender Aufenthalt auf Grundlage des § 2 Abs. 2 Nr. 1 FreizügG/EU als Arbeitnehmer scheidet daher aus. Auch für die weiteren freizügigkeitsberechtigenden Tatbestände des § 2 Abs. 2 FreizügG/EU ist in der Person des Antragstellers nichts ersichtlich. Des Weiteren hält er sich nicht seit fünf Jahren in Deutschland auf. Er befand sich, wie aus den Gründen des Urteils des Amtsgerichts Frankfurt (Oder) vom 20. Oktober 2020 hervorgeht, im Zeitraum vom 22. September 2016 bis 9. Juni 2019 in Polen in Haft. Seitdem verbüßt er in Deutschland Strafhaft. Zeiten von Strafhaft im Aufnahmestaat sind nicht geeignet, ein Daueraufenthaltsrecht zu vermitteln (vgl. EuGH, Urteil vom 16. Januar 2014 - C-400/12 -, juris, Rn. 33).

Mangels eines freizügigkeitsberechtigenden Aufenthalts scheidet auch die Anwendung des § 6 Abs. 5 FreizügG/EU aus, der die Verlustfeststellung bei einem zehnjährigen rechtmäßigen Aufenthalt im Bundesgebiet nur aus zwingenden Gründen der öffentlichen Sicherheit zulässt. Denn auch die höchste Schutzstufe des § 6 Abs. 5 FreizügG/EU für eine Verlustfeststellung setzt voraus, dass der Unionsbürger über ein Daueraufenthaltsrecht im Sinne der §§ 6 Abs. 4, 4a FreizügG/EU verfügt (vgl. EuGH, Urteil vom 17. April 2018 - C-316/16 und C-424/16 -, juris).

Nach § 6 Abs. 1 S. 1 FreizügG/EU setzt die Feststellung des Verlusts des Rechts nach § 2 Abs. 1 FreizügG/EU voraus, dass sie aus Gründen der öffentlichen Ordnung, Sicherheit oder Gesundheit erfolgt. Gemäß § 6 Abs. 2 S. 1 FreizügG/EU genügt die Tatsache einer strafrechtlichen Verurteilung für sich allein nicht für die Verlustfeststellung. Nach § 6 Abs. 2 S. 2 FreizügG/EU dürfen nur im Bundeszentralregister noch nicht getilgte strafrechtliche Verurteilungen und diese nur insoweit berücksichtigt werden, als die ihnen zu Grunde liegenden Umstände ein persönliches Verhalten erkennen lassen, das eine gegenwärtige Gefährdung der öffentlichen Ordnung darstellt. Gemäß § 6 Abs. 2 S. 3 FreizügG/EU muss eine tatsächliche und hinreichend schwere Gefährdung vorliegen, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berührt.

In Anwendung dessen ist davon auszugehen, dass von dem Antragsteller eine gegenwärtige und hinreichend schwere Gefährdung der öffentlichen Ordnung ausgeht, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berührt.

Der am 31. Dezember 1990 in Kostrzyn in Polen geborene Antragsteller befindet sich derzeit in der JVA H... in Strafhaft. Im Bundeszentralregister sind folgende Eintragungen hinsichtlich des Antragstellers enthalten: 29. März 2010 - Verurteilung durch das Amtsgericht Strausberg wegen Diebstahls zu einer Geldstrafe von 20 Tagessätzen zu je 5 Euro; 16. Dezember 2010 - Verurteilung durch das Amtsgericht Berlin-Tiergarten wegen gemeinschaftlichen Diebstahls in einem besonders schweren Fall zu einer Freiheitsstrafe von acht Monaten (Bewährungszeit: zwei Jahre); 20. Dezember 2010 - Verurteilung durch das Amtsgericht Frankfurt (Oder) wegen Diebstahls in einem besonders schweren Fall zu einer Geldstrafe von 100 Tagessätzen zu je 5 Euro; 19. November 2013 - Verurteilung durch das Amtsgericht Tiergarten wegen vorsätzlicher Körperverletzung in zwei Fällen, davon in einem Fall in Tateinheit mit Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte, zu einem Jahr Freiheitsstrafe; 15. Oktober 2019 - Verurteilung durch das Amtsgericht Tiergarten wegen Diebstahls in drei besonders schweren Fällen zu einer Freiheitsstrafe von einem Jahr und 10 Monaten.

Zudem wurde der Antragsteller mit Urteil vom 20. Oktober 2020 durch das Amtsgericht Frankfurt (Oder) wegen versuchter Hehlerei in Tateinheit mit vorsätzlichem gefährlichen Eingriff in den Straßenverkehr und unerlaubten Entfernens vom Unfallort unter Einbeziehung der Strafen aus dem Urteil des Amtsgerichts Tiergarten vom 15. Oktober 2019 zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren und neun Monaten verurteilt. Der Kammer ist es in Anwendung von § 6 Abs. 2 S. 2 FreizügG/EU nicht verwehrt, diese seit dem 28. Oktober 2020 rechtskräftige Verurteilung zu verwerten, da sie gemäß § 4 Nr. 1 BZRG in das Bundeszentralregister einzutragen ist und aus diesem jedenfalls noch nicht getilgt ist (vgl. §§ 45, 46 BZRG). Der Antragsteller wurde überdies auch in Polen mehrfach strafrechtlich verurteilt. Zuletzt hat das Amtsgericht Gorzow Wlkp. mit Urteil vom 6. Februar 2020 ihn wegen Hehlerei in vier Fällen zu einer Freiheitsstrafe von einem Jahr verurteilt.

Der Antragsteller hat durch die von ihm begangenen zahlreichen Eigentumsdelikte fortwährend und schwerwiegend die grundrechtlich geschützte Eigentumsordnung (Art. 14 Abs. 1 GG) missachtet und in einer das Grundinteresse der Gesellschaft berührenden Weise die öffentliche Ordnung gefährdet. Wie der Strafrahmen des § 243 Abs. 1 StGB verdeutlicht, der eine Höchststrafe von zehn Jahren Freiheitsstrafe vorsieht, sind die Delikte, die der Antragsteller fortlaufend verwirklicht hat, nicht mehr der einfachen Kriminalität zuzuordnen, sondern zumindest dem Bereich der mittelschweren Kriminalität. Das jedenfalls ist ausreichend, (vgl. hierzu auch Verwaltungsgericht des Saarlandes, Beschluss vom 18. Januar 2021 - 6 L 1361/20 -, juris, Rn. 13).

Die Gefährdung der öffentlichen Ordnung durch den Antragsteller besteht auch gegenwärtig fort. Der Annahme einer tatsächlichen und gegenwärtigen Gefahr steht nicht allein der Umstand entgegen, dass sich der Antragsteller seit September 2016 in Polen und sodann in Deutschland in Haft befindet (vgl. EuGH, Urteil vom 13. Juli 2017 - C-193/16 -, juris, Rn. 27; Bayerischer VGH, Beschluss vom 26. November 2019 - 10 C 19.2267 -, juris, Rn. 10). Ebenso wenig kann der Antragsteller dem entgegenhalten, dass die den Verurteilungen des Amtsgerichts Tiergarten vom 15. Oktober 2019 und des Amtsgerichts Frankfurt (Oder) vom 20. Oktober 2020 zugrundeliegenden Taten aus den Jahren 2014 und 2015 stammen. Zur Überzeugung der Kammer ist davon auszugehen, dass der Antragsteller künftig erneut Straftaten, insbesondere Diebstahlsdelikte, begehen wird. Seine Eintragungen im Bundeszentralregister, insbesondere aus den Jahren 2010, weisen eine hohe Rückfallgeschwindigkeit aus. Auch das Amtsgericht Tiergarten stellte in seinem Urteil vom 15. Oktober 2019 fest, dass die abgeurteilte Tat relativ kurze Zeit nach der Entlassung des Antragstellers aus der Haft begangen wurde. Diese hatte daher ersichtlich keine verhaltensändernde Wirkung auf den Antragsteller. Die Verbüßung der weiteren Haftstrafe lässt daher nicht erwarten, dass der Antragsteller künftig keine die öffentliche Ordnung gefährdende Straftaten mehr begehen wird.

Seine persönlichen Lebensumstände haben sich im für die Beurteilung der Sach- und Rechtslage maßgeblichen Beurteilungszeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung bzw. der Entscheidung des Tatsachengerichts (vgl. BVerwG, Urteil vom 3. August 2004 - 1 C 30/02 -, juris, Rn. 28) nicht verändert. Der Antragsteller verfügt in Deutschland weiterhin über keine Meldeanschrift und geht keiner sozialversicherungspflichtigen Tätigkeit nach. Soweit er im anhängigen Klageverfahren VG 3 K 489/21 Erklärungen Dritter eingereicht hat, die bestätigen, dass er bei ihnen in Berlin wohnen könne und eine Arbeit als Schweißer nach seiner Haftentlassung in Aussicht habe, bleiben diese vollkommen unsubstanziiert. Die Erklärungen sind offenkundig dem Verfahren angepasst und zielen einzig darauf ab, dem Kläger eine soziale und wirtschaftliche Integration in der Bundesrepublik zu attestieren, die er tatsächlich nicht vorweisen kann. Seine Lebensumstände lassen vielmehr befürchten, dass er weitere Eigentumsdelikte begehen wird, um sich seinen Lebensunterhalt zu sichern. Schließlich sprechen auch die zahlreichen Verurteilungen in Polen, ebenfalls wegen Eigentumsdelikten, dafür, dass der Antragsteller in erhöhtem Maße rückfallgeneigt ist.

Die Antragsgegnerin hat das ihr bei Erlass der Verlustfeststellung eingeräumte Ermessen fehlerfrei ausgeübt. Gemäß § 6 Abs. 3 FreizügG/EU sind bei der Entscheidung über die Verlustfeststellung insbesondere die Dauer des Aufenthalts des Betroffenen in Deutschland, sein Alter, sein Gesundheitszustand, seine familiäre und wirtschaftliche Lage, seine soziale und kulturelle Integration in Deutschland und das Ausmaß seiner Bindungen zum Herkunftsstaat zu berücksichtigen.

In Anwendung dessen hat die Antragsgegnerin die aufgeführten Belange in ihre Entscheidung einbezogen und ermessensfehlerfrei gewichtet. Insbesondere ist die Antragsgegnerin zutreffend davon ausgegangen, dass der Antragsteller sich weder wirtschaftlich noch sozial in der Bundesrepublik integrieren konnte. Er war zu keinem Zeitpunkt seines Aufenthalts melderechtlich erfasst und ging keiner sozialversicherungspflichtigen Beschäftigung nach. Soweit der Antragsteller im Widerspruchsverfahren auf seine familiäre Beziehung zu seinem Stiefvater und zu seiner Lebenspartnerin in Deutschland verweist, die ein Kind habe und die er heiraten möchte, bleiben seine Angaben vollkommen vage und ohne Substanz. Er hat auch im hiesigen Eilverfahren keine näheren Angaben hierzu gemacht. Die Verlustfeststellung erweist sich daher insgesamt als verhältnismäßig.

Angesichts der wiederholten Straffälligkeit des Antragstellers hat die Antragsgegnerin auch zu Recht die sofortige Vollziehung ihrer Verlustfeststellung angeordnet. Die vom Antragsteller ausgehende Gefahr für die öffentliche Ordnung wiegt so schwer, dass seine privaten Interessen am Aufenthalt in der Bundesrepublik zurückzustehen haben.

2. Der Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung gegen die Abschiebungsandrohung in Ziffer III. des Bescheids vom 13. August 2020 in Gestalt des Widerspruchsbescheids bleibt erfolglos. Bei summarischer Prüfung erweist sich diese Maßnahme als offensichtlich rechtmäßig. Daher überwiegt das in § 80 Abs. 2 S. 2 VwGO i.V.m. § 16 VwVGBbg begründete öffentliche Interesse an ihrer sofortigen Vollziehung gegenüber dem privaten Interesse des Antragstellers an einem vorläufigen weiteren Verbleib im Bundesgebiet.

Die Androhung der Abschiebung des Antragstellers aus der Haft heraus findet ihre Rechtsgrundlage in § 7 Abs. 1 S. 2 FreizügG/EU. Danach soll in dem Bescheid über die Verlustfeststellung die Abschiebung angedroht und eine Ausreisefrist gesetzt werden. Die Antragsgegnerin konnte ausnahmsweise davon absehen, eine Ausreisefrist zu setzen. Denn der Umstand, dass sich der Antragsteller aufgrund richterlicher Anordnung in Haft befindet, stellt eine atypische Fallkonstellation dar, die es rechtfertigt, ausnahmsweise von der Anwendung der Soll-Regelung des § 7 Abs. 1 S. 2 FreizügG/EU abzusehen. Die Ausreisefrist dient u.a. dazu, es dem Unionsbürger zu ermöglichen, seinen Aufenthalt bzw. seine Lebensverhältnisse im Bundesgebiet abzuwickeln (vgl. Dienelt, in: Bergmann/Dienelt (Hrsg.), Ausländerrecht, 13. Aufl. 2020, § 7 FreizügG/EU Rn. 36). Dies ist aufgrund des Strafvollzugs von vornherein nur beschränkt möglich. Hat die Ausländerbehörde das Nichtbestehen oder den Verlust des Rechts nach § 2 Absatz 1 festgestellt, ist gemäß § 11 Abs. 14 S. 2 FreizügG/EU das Aufenthaltsgesetz anwendbar, soweit das FreizügG/EU keine eigenen Regelungen zur Durchsetzung der Ausreise enthält. Die Antragsgegnerin konnte daher gemäß § 58 Abs. 1, Abs. 3 Nr. 1 i.V.m. § 59 Abs. 5 AufenthG von einer Fristsetzung zur Ausreise absehen. Etwaige Duldungsgründe stehen der Abschiebungsandrohung nicht entgegen (§ 59 Abs. 3 S. 1 AufenthG).

Die für den Fall der Haftentlassung vor einer Abschiebung verfügte Abschiebungsandrohung mit Ausreisefrist von 30 Tagen nach Haftentlassung findet ihre rechtliche Grundlage in § 7 Abs. 1 S. 2 und 3 FreizügG/EU. Auch wenn die Länge der Ausreisefrist mit einem Monat - abweichend von der allgemeinen aufenthaltsrechtlichen Regelung in § 59 Abs. 1 AufenthG - im Grundsatz gesetzlich vorgegeben ist, konnte die Antragsgegnerin vorliegend ausnahmsweise eine potentiell kürzere Frist von 30 Tagen festsetzen, da ein dringender Fall im Sinne des § 7 Abs. 1 S. 3 FreizügG/EU vorliegt. Ein solcher ist in Fällen denkbar, in denen das öffentliche Interesse an der Ausreise des Unionsbürgers aus Gründen der öffentlichen Sicherheit, Ordnung und Gesundheit derart schwer wiegt, dass es das Interesse des Ausreisepflichtigen an der geordneten Abwicklung seines Aufenthalts erheblich überwiegt (vgl. VG München, Urteil vom 13. Februar 2020 - M 10 K 18.6271 -, juris, Rn. 32). Von einem solchen Fall ist die Antragsgegnerin unter Berücksichtigung der Dauer des Aufenthalts des Antragstellers, seines strafrechtlichen Verhaltens sowie der angenommenen Wiederholungsgefahr zu Recht ausgegangen. Das Rückfallverhalten des Antragstellers lässt aus Sicht der Kammer den Schluss zu, dass die Gefahr besteht, dass dieser erneut straffällig wird, bevor die gesetzliche Ausreisefrist abläuft. Zudem ist aufgrund der offenen Strafvollstreckung in Polen die Annahme nicht fernliegend, dass der Antragsteller nach seiner Haftentlassung untertaucht.

3. Soweit sich der Antragsteller mit seinem auf die Wiederherstellung bzw. Anordnung der aufschiebenden Wirkung seiner Klage VG 3 K 489/21 gerichteten Antrag auch gegen Ziffer IV. des Bescheids vom 13. August 2020 wendet, mit der die Antragsgegnerin die Sperrwirkung des Einreise- und Aufenthaltsverbots gemäß § 7 Abs. 2 S. 1 FreizügG/EU auf fünf Jahre befristet hat, ist ein solcher Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO bereits unstatthaft. Die Befristungsentscheidung nach § 7 Abs. 2 S. 5 FreizügG/EU stellt gegenüber der Verlustfeststellung einen eigenständigen Verwaltungsakt dar (vgl. BVerwG, Urteil vom 25. März 2015 - 1 C 18/14 -, juris, Rn. 22). Gegen die Befristung der Sperrwirkung ist jedoch in der Hauptsache eine Verpflichtungsklage gemäß § 42 Abs. 1 Alt. 2 VwGO statthaft und Eilrechtsschutz folglich gemäß § 123 VwGO zu beantragen (vgl. Geyer, in: Hofmann (Hrsg.), Ausländerrecht, 2. Aufl. 2016, § 7 FreizügG/EU Rn. 13; Kurzidem, in: Kluth/Heusch (Hrsg.), Ausländerrecht, Stand: 1. Januar 2021; § 7 FreizügG/EU Rn. 12). Die Kammer ist weder gehalten, den durch einen Rechtsanwalt nach § 80 Abs. 5 VwGO gestellten Antrag als einen solchen gemäß § 123 VwGO auszulegen noch in einen solchen umzudeuten (vgl. OVG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 12. Mai 2003 - OVG 3 S 22/02 -, n.V.).

4. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO.

Die Entscheidung über den Wert des Verfahrensgegenstandes beruht auf § 52 Abs. 2 i. V. m. § 53 Abs. 2 Nr. 1 GKG. Den danach zugrunde zu legenden Auffangwert von 5.000,00 Euro hat die Kammer nach Maßgabe von Ziffer 1.5 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit 2013 für das Eilrechtsschutzverfahren halbiert. Die Kammer hält es im Hinblick auf Nr. 1.7.2. des Streitwertkatalogs nicht für angemessen, für den Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage gegen die Abschiebungsandrohung einen gesonderten Streitwert in Ansatz zu bringen.