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Entscheidung 5 O 165/19


Metadaten

Gericht LG Neuruppin 5. Zivilkammer Entscheidungsdatum 22.07.2020
Aktenzeichen 5 O 165/19 ECLI ECLI:DE:LGNEURU:2020:0722.5O165.19.00
Dokumententyp Urteil Verfahrensgang -
Normen

Tenor

1. Die Klage wird abgewiesen.

2. Der Kläger hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.

3. Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrags vorläufig vollstreckbar.

Beschluss

Der Streitwert wird auf 23.321,38 € festgesetzt.

Tatbestand

Der Kläger erwarb auf Grundlage eines Kaufvertrages vom 15.04.2011 von einem Dritten das streitgegenständliche Neufahrzeug Škoda Superb zu einem Kaufpreis von 28.300,00 EUR.

In dem erworbenen Fahrzeug ist ein von der Beklagten hergestellter Dieselmotor vom Typ EA189 EU5 verbaut, dessen Motorsoftware zur Optimierung der Stickstoff-Emissionswerte im behördlichen Prüfverfahren beigetragen hat. Der Motor verfügt über ein Abgasrückführungssystem mit zwei Betriebsmodi. Die Software erkannte, ob sich das Kfz auf einem technischen Prüfstand zur Ermittlung der Emissionswerte oder im üblichen Straßenverkehr befindet. Auf dem Rollenprüfstand spielte die eingebaute Software beim Stickoxid-Ausstoß ein anderes Motorprogramm (Abgasrückführungs-Modus 1) ab als im Normalbetrieb (Abgasrückführungs-Modus 0). Hierdurch wurden auf dem Prüfstand geringere Stickoxidwerte (NOx) erzielt. Nur so wurden die nach der Euro-5-Abgasnorm vergebenen NOx-Grenzwerte eingehalten.

Nach dem nicht angefochtenem Bescheid des Kraftfahrt-Bundesamtes (KBA) vom 15.10.2015 sind diese Motoren mit einer unzulässigen Abschalteinrichtung i. S. v. Art. 5 Abs. 2 der Verordnung (EG) Nr. 715/2007 ausgerüstet. Das KBA ordnete als nachträgliche Nebenbestimmungen für die jeweils erteilten Typengenehmigungen gem. § 25 Abs. 2 EG-FGV zur Vermeidung des Widerrufs oder der Rücknahme der Typengenehmigungen die Verpflichtung der Beklagten an, die unzulässigen Abschalteinrichtungen zu entfernen sowie geeignete Maßnahmen zur Wiederherstellung der Vorschriftsmäßigkeit zu ergreifen, was durch Beibringen geeigneter Nachweise zu belegen war. Nach der Installation des von der Beklagten nach Bekanntwerden der beschriebenen Eigenschaft der Motorsteuerung für diese Fahrzeuge vorgesehenen Software-Updates wird der Motor nur noch im Modus 1 "adaptiert" betrieben. Die für den streitgegenständlichen PKW vorgesehene Rückrufmaßnahme wurde durchgeführt.

Der Kläger behauptet, dass er das Fahrzeug nicht gekauft hätte, wenn er von der "unzulässigen Abschalteinrichtung" gewusst hätte. Insoweit sei ihm bei Vertragsschluss unbekannt gewesen, dass das Fahrzeug nicht den gesetzlichen Vorgaben entspreche.

Ihm sei infolgedessen ein Schaden entstanden. Diesen Schaden habe ihm die Beklagte vorsätzlich zugefügt. Das Verhalten der Beklagten sei sittenwidrig gewesen.

Die Kläger beantragt:

1. Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 28.300,00 € nebst Zinsen in Höhe von 9.411,32 € sowie weiteren Zinsen aus 28.300,00 € in Höhe von 4 % p.a. seit 14.08.2019 Zug um Zug gegen Übergabe und Übereignung des Škoda Superb mit der Fahrzeug-Identifizierungsnummer XXX63 gegen Zahlung einer angemessenen Nutzungsentschädigung, deren Höhe in das Ermessen des Gerichts gestellt wird, jedoch nicht mehr als 4.978,62 €, zu zahlen.

2. Es wird festgestellt, dass sich die Beklagte mit der Annahme des Škoda Superb mit der Fahrzeug-Identifizierungsnummer XXX63 seit spätestens 03.05.2019 in Annahmeverzug befindet.

3. Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger vorgerichtliche Rechtsanwaltsgebühren in Höhe von 2.077,74 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit 03.05.2019 zu zahlen.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Die Beklagte ist der Ansicht, dass es auf die Emissionswerte des Fahrzeugs im normalen Straßenbetrieb nicht ankomme, weil der Gesetzgeber sich dafür entschieden habe, die Emissionsgrenzwerte allein unter Laborbedingungen festzulegen. Im Übrigen sei die Klageforderung verjährt.

Die Klage ist am 13.08.2019 bei Gericht eingegangen.

Entscheidungsgründe

Die zulässige Klage ist unbegründet.
Dabei kann dahinstehen, ob dem Kläger ein Anspruch auf Ersatz des geltend gemachten Schadens zusteht, da sämtliche Leistungsansprüche jedenfalls nicht durchsetzbar sind. Insofern beruft sich die Beklagte erfolgreich auf die Einrede der Verjährung.

Der Beginn der dreijährigen Verjährungsfrist richtet sich nach § 199 Abs. 1 BGB, beginnt also mit dem Schluss des Jahres, in dem der Anspruch entstanden ist (Nr. 1) und der Kläger von den den Anspruch begründenden Umständen und der Person des Schuldners Kenntnis erlangt oder ohne grobe Fahrlässigkeit erlangen müsste (Nr. 2).

Die hiernach erforderliche Kenntnis von den den Anspruch begründenden Umständen liegt im Allgemeinen vor, wenn dem Geschädigten die Erhebung einer Schadensersatzklage, sei es auch nur in Form der Feststellungsklage, Erfolg versprechend, wenn auch nicht risikolos, möglich ist; weder ist notwendig, dass der Geschädigte alle Einzelumstände kennt, die für die Beurteilung möglicherweise Bedeutung haben, noch muss er bereits hinreichend sichere Beweismittel in der Hand haben, um einen Rechtsstreit im Wesentlichen risikolos führen zu können; ferner kommt es grundsätzlich nicht auf eine zutreffende rechtliche Würdigung an, es genügt vielmehr aus Gründen der Rechtssicherheit und Billigkeit im Grundsatz die Kenntnis der den Ersatzanspruch begründenden tatsächlichen Umstände. Ohne Belang ist auch, ob der Geschädigte die Rechtswidrigkeit des Geschehens, das Verschulden des Schädigers und den in Betracht kommenden Kausalverlauf richtig einschätzt.

Grob fahrlässige Unkenntnis von den den Anspruch begründenden Umständen liegt dann vor, wenn dem Gläubiger die Kenntnis fehlt, weil er die im Verkehr erforderliche Sorgfalt in ungewöhnlich grobem Maße verletzt und auch ganz naheliegende Überlegungen nicht angestellt oder das nicht beachtet hat, was jedem hätte einleuchten müssen; ihm muss persönlich ein schwerer Obliegenheitsverstoß in seiner eigenen Angelegenheit der Anspruchsverfolgung vorgeworfen werden können; ausreichend ist allerdings, wenn dem Gläubiger aufgrund der ihm grob fahrlässig unbekannt gebliebenen Tatsachen zugemutet werden kann, zur Durchsetzung seiner Ansprüche gegen eine bestimmte Person aussichtsreich, wenn auch nicht risikolos Klage - sei es auch nur in Form einer Feststellungsklage - zu erheben. Für die Frage, unter welchen Voraussetzungen der Gläubiger zur Vermeidung der groben Fahrlässigkeit zu einer aktiven Ermittlung gehalten ist, kommt es auf die Umstände des Einzelfalls an; für den Gläubiger müssen konkrete Anhaltspunkte für das Bestehen eines Anspruchs ersichtlich sein und sich ihm der Verdacht einer möglichen Schädigung aufdrängen (zusammenfassend: OLG Köln, Beschluss vom 04.03.2020 - 26 U 73/19, juris Rn. 8 f.).

Gemessen hieran ist zunächst zu konstatieren, dass die Besonderheit besteht, dass der individuelle Verjährungsbeginn, d.h. der Zeitpunkt der Kenntnis oder grob fahrlässigen Unkenntnis des Gläubigers von den den Anspruch begründenden Umständen und der Person des Schuldners, § 199 Abs. 1 BGB, regelmäßig mit dem unstreitigen Zeitpunkt des allgemeinen Bekanntwerdens des "Dieselskandals" übereinstimmt. Denn über die der Beklagten vorgeworfene Täuschung wurde gerichts- und allgemein bekannt ab Herbst 2015 umfassend in sämtlichen Medien berichtet; dass ein in Deutschland lebender Kunde des Konzerns hiervon keine Kenntnis gehabt haben sollte, ihm jedenfalls nicht grob fahrlässige Unkenntnis im Sinne von § 199 Abs. 1 Nr. 2 Alt. 2 BGB vorzuwerfen wäre, ist nicht vorstellbar (vgl. OLG München, Beschluss vom 03.12.2019 - 20 U 5741/19, juris Rn. 3; dass., Beschluss vom 09.06.2020 - 3 U 2049/20, juris Rn. 8; OLG Stuttgart, Urteil vom 07.04.2020 - 10 U 455/19, juris Rn. 47 ff.; OLG Köln, a.a.O., Rn. 11 ff.; a.A. Brandenburgisches OLG, Urteil vom 17.03.2020 - 3 U 85/19, juris Rn.77; OLG Oldenburg, Urteil vom 21.02.2020 - 6 U 286/19, juris Rn. 71). Dies gilt umso mehr, als die Beklagte bereits Anfang Oktober 2015 eine Website freigeschaltet hatte, auf der durch Eingabe der Fahrzeugidentifizierungsnummer (FIN) überprüft werden konnte, ob ein konkretes Fahrzeug mit der Abschalteinrichtung versehen, also von dem sogenannten Dieselskandal betroffen war.

Mangels Vorbringens entgegenstehender, auf den konkreten Sachverhalt bezogener Gesichtspunkte ist davon auszugehen, dass sich dem Kläger das Betroffensein seines Fahrzeuges sowie ein hieraus resultierender deliktischer Schadensersatzanspruch gegenüber der Beklagten förmlich hätte aufdrängen müssen. Im Jahr 2015 stand der klageweisen Geltendmachung eines deliktischen Anspruchs von Erwerbern solcher Kraftfahrzeuge auch keine obergerichtliche oder höchstrichterliche Entscheidung entgegen. Es gab 2015 auch keinen „ernsthaften“ Meinungsstreit in Rechtsprechung und Schrifttum bezüglich der Frage einer Haftung der Beklagten wegen des Motors EA189. Von daher war der Klägerin bereits im Jahre 2015 die Erhebung einer Klage zumutbar.

Die Einreichung der Klageschrift am 13.08.2019 und deren anschließende Zustellung vermochten die Verjährung nicht mehr rechtzeitig zu hemmen.
Soweit der Kläger persönlich in der mündlichen Verhandlung verlauten ließ, dass er sich rechtzeitig der Musterfeststellungsklage vor dem OLG Braunschweig angeschlossen habe, ist dies widersprüchlich in Bezug auf die ausdrücklichen gegenteiligen Ausführungen seiner Prozessbevollmächtigten in den Schriftsätzen vom 03.02.2020 und 20.07.2020. Die Behauptungen des Klägers konnten mithin keine Berücksichtigung finden.

Mangels Leistungsanspruch besteht auch kein Anspruch auf Feststellung des Annahmeverzuges oder die Nebenforderungen.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 91 ZPO, die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit beruht auf § 709 ZPO.