Gericht | OLG Brandenburg 1. Strafsenat | Entscheidungsdatum | 23.06.2021 | |
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Aktenzeichen | 1 Ws 66/21 (S) | ECLI | ECLI:DE:OLGBB:2021:0623.1WS66.21S.00 | |
Dokumententyp | Beschluss | Verfahrensgang | - | |
Normen |
Auf die sofortigen Beschwerden der Staatsanwaltschaften Potsdam und Schwerin wird der Beschluss der Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Neuruppin vom 15. April 2021 aufgehoben.
Die bedingte Aussetzung der Vollstreckung der restlichen Freiheitsstrafen aus dem Urteil des Amtsgerichts Ludwigslust vom 28. Juni 2018 (Az.: 31 Ls 204/18) und dem Urteil des Amtsgerichts Potsdam vom 24. Januar 2019 (Az.: 71 Js 33/18) nach Verbüßung von mehr als zwei Dritteln der Haftzeit wird abgelehnt.
I.
Das Amtsgericht Ludwigslust verhängte gegen den Verurteilten mit Urteil vom 28. Juni 2018, rechtskräftig seit dem 6. September 2019, wegen Herbeiführung einer Sprengstoffexplosion in Tateinheit mit versuchtem Diebstahl eine Freiheitsstrafe von zwei Jahren und neun Monaten. Dem liegt folgender Sachverhalt zugrunde:
Zusammen mit zwei Mittätern entwickelte der Angeklagte den Plan, einen Geldautomaten aufzubrechen, um so an Geld zu kommen. Dafür organisierte der Angeklagte über den Autohandel seines Vaters einen PKW …. Um eine falsche Spur zu legen, wurden an dem PKW zuvor entwendete amtliche Kennzeichen angebracht. Mit diesem PKW fuhr der Angeklagte zusammen mit den gesondert verfolgten Mittätern am 5. März 2018 zu einer Filiale der … Bank in L…. Im Fahrzeug führten sie zur Sprengung des Geldautomaten eine mit Folie zusammengebundene Gas- und Sauerstoffflasche nebst Schläuchen und Zubehörteilen mit. Gegen XX.XX Uhr hielten sie mit laufendem Motor neben der Filiale an, zogen die mitgebrachten Sturmhauben über und begaben sich in die Bankfiliale zu dem an einer Wand aufgestellten Geldautomaten. Nachdem sie diesen mit einem mitgeführten Kuhfuß aufhebeln konnten, sprengten sie den Geldautomaten mittels des mitgebrachten Gasgemisches auf und entnahmen eine Geldkassette mit 50-Euroscheinen im Wert von 13.500 Euro. Da Alarm ausgelöst wurde und Polizeibeamte erschienen, flüchteten der Angeklagte und die gesondert Verfolgten zu Fuß, wobei sie die Beute im Pkw zurückließen.
Mit Urteil vom 24. Januar 2019, rechtskräftig seit dem 24. Juni 2019, erkannte das Amtsgericht Potsdam gegen den Verurteilten wegen Diebstahls in drei Fällen in Tateinheit mit versuchtem Diebstahl und Herbeiführung einer Sprengstoffexplosion sowie wegen versuchten Diebstahls in Tateinheit mit versuchter Herbeiführung einer Sprengstoffexplosion unter Einbeziehung zweier Verurteilungen durch das Amtsgericht Potsdam vom 28. Juni 2016 (71 Ls 127/15) und vom 6. Juni 2017 (72 Ls 28/17) auf eine Einheitsjugendstrafe von zwei Jahren. Der Verurteilung lagen zwei Diebstähle hochwertiger PKW sowie eine versuchte und eine vollendete Sprengung von Geldautomaten zugrunde. Der Verurteilte hatte die hierzu verwendeten Gasflaschen zuvor aus einem Lager entwendet.
Der Verurteilte befand sich in dieser Sache vom 14. März 2017 bis zum 3. August 2017 in Untersuchungshaft. Nachdem der Haftbefehl außer Vollzug gesetzt worden war, beging der Verurteilte am 5. März 2018 eine gleichartige Straftat, nämlich die bereits oben beschriebene Sprengung eines Geldautomaten, wofür er vom Amtsgericht Ludwigslust am 28. Juni 2018 zu einer Freiheitsstrafe von zwei Jahren und neun Monaten verurteilt wurde.
Vor diesen Verurteilungen war der Verurteilte bereit mehrfach strafrechtlich in Erscheinung getreten:
1. Am 1. September 2011 stellte das Amtsgericht Potsdam (71 Ds 126/11) das Verfahren wegen Beleidigung und Bedrohung nach Erbringung von Arbeitsleistungen nach § 47 JGG ein.
2. Wegen Betruges in zwei Fällen stellte das Amtsgericht Potsdam am 17. April 2012 (71 Ds 14/12) ein weiteres Verfahren gemäß § 47 JGG ein.
3. Am 19. März 2013 (71 Ds 157/12), rechtskräftig seit dem 27. März 2013, erlegte ihm das Amtsgericht Potsdam durch Urteil Arbeitsleistungen wegen eines am 13. Juni 2013 begangenen versuchten Diebstahls auf.
4. Am 29. April 2014 (71 Ds 177/13), rechtskräftig seit dem 7. Mai 2014, verurteilte das Amtsgericht Potsdam ihn wegen gemeinschaftlichen Diebstahls in fünf Fällen zu Arbeitsleistungen. Später wurde ein Jugendarrest von vier Wochen verhängt, da der Verurteilte seine Auflagen nicht erfüllte.
5. Am 28. Juni 2016 (71 Ls 12/15), rechtskräftig seit dem 6. Juli 2016, verhängte das Amtsgericht Potsdam wegen einer am 14. Februar 2015 begangenen räuberischen Erpressung in Tateinheit mit Körperverletzung sowie Diebstahls oder Hehlerei einen Schuldspruch im Sinne von § 27 JGG.
6. Am 6. Juni 2017 (72 Ls 28/17), rechtskräftig seit dem 6. Dezember 2017, verurteilte das Amtsgericht Potsdam ihn wegen Diebstahls, besonders schweren Diebstahls und Fahrens ohne Fahrerlaubnis unter Einbeziehung der Entscheidung vom 28. Juni 2016 zu einer Jugendstrafe von einem Jahr, wobei deren Vollstreckung für zwei Jahre zur Bewährung ausgesetzt wurde.
Der Verurteilte verbüßt die Freiheitsstrafen aus den Urteilen des Amtsgerichts Ludwigslust vom 28. Juni 2018 und des Amtsgerichts Potsdam vom 24. Januar 2019 seit dem 6. September 2018, nachdem seit dem 5. März 2018 zunächst Untersuchungshaft vollstreckt wurde, in der JVA …, Teilanstalt W… . Zwei Drittel der Haftzeit waren am 6. Oktober 2020 erreicht, das Haftende ist auf den 9. Mai 2022 notiert. Mit Beschluss des Amtsgerichts Bad Freienwalde vom 13. Dezember 2019, rechtskräftig seit dem 28. Dezember 2019, wurde der Verurteilte hinsichtlich der Jugendstrafe aus dem Urteil des Amtsgerichts Potsdam vom 24. Januar 2019 vom Jugendstrafvollzug ausgenommen.
Im Zuge der Vorbereitung der Entscheidung über die bedingte Haftentlassung nach Verbüßung von zwei Dritteln der Haftzeit hat der Verurteilte am 1. März 2021 in eine vorzeitige Entlassung eingewilligt. Der Leiter der Justizvollzugsanstalt … Teilanstalt W… hat in seiner Stellungnahme vom 26. Februar 2021 die Aussetzung der Strafvollstreckung für den Fall befürwortet, dass die offenen Verfahren gegen den Verurteilten eingestellt werden, bzw. seitens der Staatsanwaltschaft nicht als Hindernis für eine Bewährungsentlassung gesehen werden.
Die Staatsanwaltschaft Schwerin ist mit Verfügung vom 11. März 2021 der bedingten Entlassung aus dem Strafvollzug entgegengetreten. Die Staatsanwaltschaft Potsdam hat erklärt, der Abschluss der noch anhängigen Verfahren solle abgewartet werden.
Die Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Neuruppin hat – nach der am 7. April 2021 erfolgten mündlichen Anhörung des Verurteilten – mit Entscheidung vom 15. April 2021 (17 StVK 90/21) die weitere Vollstreckung der Restfreiheitsstrafen aus den Urteilen des Amtsgerichts Ludwigslust vom 28. Juni 2018 und des Amtsgerichts Potsdam vom 24. Januar 2019 zur Bewährung ausgesetzt, die Bewährungszeit auf 4 Jahre festgesetzt, den Verurteilten der Aufsicht und Leitung eines Bewährungshelfers unterstellt und Auflagen erteilt. Zur Begründung führt die Strafvollstreckungskammer aus, dass sich der Verurteilte die nunmehr verbüßte Haftzeit „nachhaltig als Lehre angenommen und die richtigen Schlussfolgerungen für sein künftiges Verhalten daraus abgeleitet hat.“ Hinzu komme der Umstand, dass dem Verurteilten ein stabiles soziales Umfeld zur Verfügung stehe mit eigenem Wohnraum und einen „als sicher erscheinenden Arbeitsplatz“. Eine Gefahr für die Sicherheit der Allgemeinheit sei nach dem in der mündlichen Anhörung gewonnenen Eindruck nicht mehr zu erkennen.
Gegen diese der Staatsanwaltschaft Potsdam gem. § 41 StPO am 20. April 2021 zugestellte Entscheidung richtet sich die bei Gericht am 23. April 2021 eingegangene sofortige Beschwerde der Staatsanwaltschaft. Die Staatsanwaltschaft Schwerin legte gegen die ihr am 26. April zugestellte Entscheidung am 29. April 2021 sofortige Beschwerde ein. Die Generalstaatsanwaltschaft des Landes Brandenburg ist mit Stellungnahme vom 1. Juni 2021 den sofortigen Beschwerden beigetreten. Der Verurteilte hat über seinen Verteidiger Stellung genommen.
II.
Die sofortigen Beschwerden der Staatsanwaltschaften Potsdam und Schwerin sind gem. § 454 Abs. 3 Satz 1 StPO statthaft und im Übrigen form- und fristgerecht (§§ 306 Abs. 1, 311 Abs. 2 StPO) eingelegt worden. Die Rechtsmittel haben in der Sache Erfolg; sie sind begründet.
Der Beschluss der Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Neuruppin vom 15. April 2021 kann von Rechts wegen keinen Bestand haben. Der Beschluss ist entsprechend aufzuheben und die Bewährungsaussetzung des noch nicht vollstreckten Restes der Gesamtfreiheitsstrafen nach Vollstreckung von mehr als zwei Dritteln der Haftzeit gegenwärtig abzulehnen.
Sachliche Voraussetzung für die bedingte Haftentlassung nach Verbüßung von zwei Dritteln der Haftzeit ist u. a. gemäß § 57 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 StGB, dass die Strafaussetzung unter Berücksichtigung des Sicherheitsinteresses der Allgemeinheit verantwortet werden kann. Eine solche Entscheidung verlangt die positive Prognose dahin, dass der Verurteilte außerhalb des Strafvollzugs keine Straftaten mehr begehen werde. Nach ständiger Spruchpraxis des Senats bedeutet dies, dass eine realistische Chance für ein straffreies Verhalten des Verurteilten außerhalb des Strafvollzuges gegeben sein muss, wobei Zweifel an der Verantwortbarkeit der Aussetzung zu Lasten des Verurteilten gehen (statt vieler vgl. Senatsbeschluss vom 14. Dezember 2015, 1 Ws 174/15; Senatsbeschluss vom 20. Februar 2012, 1 Ws 10/12; Senatsbeschluss vom 5. März 2008, 1 Ws 50/08; Senatsbeschluss vom 18. November 2008, 1 Ws 221/08; Senatsbeschluss vom 1. November 2011, 1 Ws 166/11).
Unter Berücksichtigung dieser Maßstäbe kann die Aussetzung der Restfreiheitsstrafe vorliegend nicht verantwortet werden.
Zutreffend weisen Staatsanwaltschaft und Generalstaatsanwaltschaft darauf hin, dass die Strafvollstreckungskammer ihre Erwartung, der Verurteilte werde außerhalb des Vollzugs keine Straftaten mehr begehen, lediglich auf den im Anhörungstermin gewonnenen positiven Eindruck und auf isoliert hervorgehobene – für sich genommen durchaus positiv zu würdigende – Gesichtspunkte der Stellungnahme der JVA (wie die Teilnahme an sozialen Schulungskursen, eine Lebensgefährtin, zu der er nach Entlassung ziehen kann, sowie die Aussicht auf eine Anstellung bei einer Garten- und Landschaftsbaufirma in P…) gestützt habe.
Es fehlt jedoch an einer Auseinandersetzung mit den oben aufgeführten erheblichen und teilweise einschlägigen Vorstrafen des Verurteilten. Ebenfalls nicht berücksichtigt wurde, dass den streitgegenständlichen Verurteilungen schwerwiegende Straftaten zugrunde lagen, nämlich zwei Diebstähle jeweils eines hochwertigen PKW sowie die einer versuchten und einer vollendeten Geldautomatensprengung. Zudem befand sich der Verurteilte wegen der durch das Amtsgericht Potsdam abgeurteilten Taten vom 14. März 2017 bis zum 3. August 2017, mithin fast fünf Monate in Untersuchungshaft und beging - dessen unbeeindruckt - am 5. März 2018 eine gleichartige Straftat, nämlich die Sprengung eines Geldautomaten, für die er mit Urteil des Amtsgerichts Luckenwalde zu einer Freiheitsstrafe von zwei Jahren und neun Monaten verurteilt wurde. Es ist daher nicht davon auszugehen, dass allein der Strafvollzug bei dem Verurteilten seine Wirkung erreicht hat.
Unerwähnt bleibt in dem angefochtenen Beschluss auch, dass das vollzugliche Verhalten des Verurteilten nach Mitteilung der JVA W… nicht beanstandungsfrei war. So soll am ... Juni 2019 bei dem Verurteilten ein Mobiltelefon aufgefunden worden sein. Der Verurteilte unterstellte daraufhin dem Zeugen N…, den Verurteilten bei den Justizbediensteten „verraten“ zu haben. Für den angeblichen Verrat soll der Verurteilte gemeinsam mit zwei Mitinsassen von dem Zeugen unter Androhung eines Totschlages 500,00 Euro in Form von Tabak gefordert haben. Die Staatsanwaltschaft Frankfurt (Oder), Zweigstelle Eberswalde, hat wegen dieses Tatvorwurfs gegen den Verurteilten Anklage zum Amtsgericht Bad Freienwalde (Oder) – Jugendschöffengericht - erhoben. Das Amtsgericht hat die Anklage zur Hauptverhandlung zugelassen und das Verfahren gegen den Verurteilten vor dem Schöffengericht des Amtsgerichts Bad Freienwalde (Oder) (32 Ls 60/20) eröffnet. Die Sache ist noch nicht terminiert.
Des Weiteren soll der Verurteilte nach Mitteilung der JVA – trotz Kenntnis des gegen ihn wegen des Erpressungsversuches geführten Ermittlungsverfahrens – am ... Dezember 2020 einen Mitgefangenen mit einer Glaskanne tätlich angegriffen und an der Oberseite der linken Hand so schwer verletzt haben, dass diese chirurgisch versorgt werden musste. Die staatsanwaltschaftlichen Ermittlungen dauern noch an.
Obgleich der Verurteilte die ihm vorgeworfenen Straftaten weder eingeräumt noch aufgrund derer rechtskräftig verurteilt wurde, ist die Berücksichtigung dieses Verhaltens im Rahmen der Prognoseentscheidung des § 57 StPO zu seinem Nachteil möglich und zulässig. Dem steht nicht die Unschuldsvermutung des Art. 6 Abs. 2 MRK entgegen. Zwar hat der EGMR (vgl. StV 2003, 82 ff., zitiert nach juris) ausgeführt, dass eine Verletzung der Unschuldsvermutung vorliege, wenn der Bewährungswiderruf auf die in einem Verfahren ohne die Förmlichkeit einer Hauptverhandlung gewonnene Überzeugung, dass der Verurteilte eine neue Straftat begangen habe, gestützt werde, obwohl gleichzeitig bei einem anderen Gericht das Hauptverfahren wegen dieses Geschehens noch anhängig ist (so im Anschluss an den EGMR auch OLG Jena StV 2003, 574, 575; OLG Celle StV 2003, 575 OLG HammStV 2004, 83 = VRS 106, 48, jeweils zitiert nach juris).
Aus dieser Rechtsprechung zum Widerruf einer Strafaussetzung lassen sich jedoch keine Rückschlüsse für Fälle der Strafaussetzung zur Bewährung ziehen.
Die Nachtragsentscheidung im Rahmen des §56 f StGB ist nämlich an andere Voraussetzungen geknüpft als die Entscheidung über eine bedingte Reststrafenaussetzung im Rahmen des §57 Abs.1 StGB (so schon OLG Düsseldorf StV 1992, 287 siehe auch OLG Hamm NStZ 1992, 350, NStZ 2004, 685, jeweils zitiert nach juris). Mangels Vergleichbarkeit der Rechtslage sind die von der angeführten Rechtsprechung zur Reichweite der Unschuldsvermutung entwickelten Grundsätze nicht übertragbar (OLG Düsseldorf, a. a. O.).
Für einen Bewährungswiderruf nach §56 f StGB ist nämlich grundsätzlich die Feststellung einer neuen Straftat erforderlich. Im Gegensatz dazu ist eine bedingte Reststrafenaussetzung (nur) an das Vorliegen einer günstigen Sozialprognose geknüpft. Zwar ist die positive Erwartung künftigen straffreien Verhaltens insbesondere dann nicht gerechtfertigt, wenn der Verurteilte aus dem Vollzug heraus weitere erhebliche Straftaten begangen hat. Insoweit wirkt sich also das Vollzugsverhalten zumindest mittelbar auf die vom Gericht vorzunehmende Beurteilung aus, indessen hat die StVK daneben aber auch Tat und Persönlichkeit des Verurteilten unter Berücksichtigung sonstiger bekannter Umstände und Gesichtspunkte zu würdigen. Im Rahmen der vorzunehmenden Gesamtbetrachtung gehen Zweifel über das Prognoseurteil zu Lasten des Verurteilten (vgl. Fischer, StGB, 68. Aufl., § 57 Rn. 17c m. w. N.) Dies bedeutet, dass bei verbleibenden Unsicherheiten bei der Beantwortung der Frage, ob eine begründete und reale Chance auf Resozialisierung und eine gewisse Wahrscheinlichkeit straffreien Verhaltens besteht, eine bedingte Entlassung abzulehnen ist. Insofern besteht ein gravierender Unterschied zu § 56 f StGB, da im Rahmen der nach dieser Vorschrift zu treffenden Entscheidung verbleibende Zweifel an der Begehung neuer Straftaten einen Widerruf zwingend verbieten.
Die Unschuldsvermutung des Art. 6 Abs. 2 MRK ist im Übrigen auch deshalb nicht berührt, weil es im Verfahren nach § 57 StGB nicht um die Rechtsfolgen aus den neuerlichen Straftaten geht, sondern allein um die Frage der Fortsetzung der Vollstreckung einer bereits rechtskräftig erkannten Strafe wegen ungünstiger Prognosebeurteilung (OLG Düsseldorf a. a. O.).
Diese Umstände hat die Strafvollstreckungskammer bei ihrer Entscheidung nicht bzw. nicht erkennbar berücksichtigt. Hinzu kommt, dass die Sucht- und Aggressionsproblematik des Verurteilten nicht vollständig aufgearbeitet worden ist, da diverse Termine aufgrund der Corona-Einschränkungen ausfallen mussten. Auch der vorhandene soziale Empfangsraum erscheint nicht ausreichend, um den Verurteilten vor einem Rückfall in alte Verhaltensmuster und der Begehung einschlägiger Straftaten zu bewahren. Zwar steht dem Verurteilten nach der Haftentlassung Wohnraum bei seiner Lebensgefährtin zur Verfügung. Allerdings hat diese seit vielen Jahren bestehende Beziehung sowie das vor vier Jahren geschlossene Verlöbnis den Verurteilten bisher nicht von der Begehung von Straftaten abhalten können.
Nach alldem kann dem Verurteilten derzeit (noch) keine günstige Legalprognose gestellt werden. Der Versagung der Aussetzung der Vollstreckung der restlichen Freiheitsstrafen zur Bewährung stehen auch Aspekte der Verhältnismäßigkeit nicht entgegen.
III.
Eine Kostenentscheidung ist nicht veranlasst; es verbleibt bei der gesetzlichen Regelung, dass der Verurteilte seine notwendigen Auslagen selbst zu tragen hat.