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Entscheidung 9 UF 105/21


Metadaten

Gericht OLG Brandenburg 1. Senat für Familiensachen Entscheidungsdatum 23.06.2021
Aktenzeichen 9 UF 105/21 ECLI ECLI:DE:OLGBB:2021:0623.9UF105.21.00
Dokumententyp Beschluss Verfahrensgang -
Normen

Tenor

Die Beschwerde der Mutter gegen den Beschluss des Amtsgerichts Königs Wusterhausen vom 26. April 2021 - Az. 5 F 263/21 - wird zurückgewiesen.

Die Kosten des Beschwerdeverfahrens hat die Mutter zu tragen.

Der Beschwerdewert wird auf 4.000 EUR festgesetzt.

Die Rechtsbeschwerde wird nicht zugelassen.

Gründe

1.

Eingehend am 19. April 2021 regte die Antragstellerin mit Blick auf die in brandenburgischen Schulen herrschende Testpflicht und das verpflichtende Tragen einer Mund-Nasen-Bedeckung und zur Wahrung räumlicher Distanz ein Kinderschutzverfahren für ihren am 14. März 2009 geborenen Sohn L… H… an, der die Grundschule … besucht. Die Mutter stellte mit näheren Darlegungen und unter Bezugnahme auf verschiedenste Veröffentlichungen die Schutzwirkungen der angeordneten Maßnahmen in der Sars-Cov2-Pandemie in Frage, die umgekehrt allerdings das seelische und körperliche Wohl des Kindes nachhaltig beeinträchtigten und deshalb mindestens unverhältnismäßig und deshalb (dringend) aufzuheben seien.

Mit Beschluss vom 26. April 2021 hat das Amtsgericht die Einleitung sorgerechtlicher Kinderschutzmaßnahmen abgelehnt, weil der Anwendungsbereich des § 1666 BGB nicht eröffnet sei. Die Schule sei nicht Dritter im Sinne von § 1666 Abs. 4 BGB.

Gegen diese ihr am 27. April 2021 zugestellte Entscheidung richtet sich die am 26. Mai 2021 eingereichte Beschwerde der Mutter, mit der sie an ihrem erstinstanzlichen Antragsziel festhält.

2.

Die Beschwerde der Mutter ist zwar §§ 58 Abs. 1, 59 Abs. 1 FamFG statthaft und in zulässiger Weise gemäß §§ 63 Abs. 1, 64 Abs. 1 und 2, 65 Abs. 1 FamFG eingelegt worden. In der Sache selbst bleibt das Rechtsmittel jedoch ohne Erfolg.

Das Amtsgericht hat zu Recht und mit zwar knapper, gleichwohl aber zutreffender Begründung die Einleitung eines Kinderschutzverfahrens abgelehnt.

Verpackt in einen Antrag auf Erlass kinderschutzrechtlicher Maßnahmen nach §§ 1666 Abs. 1 und Abs. 4 BGB greift die Mutter Anordnungen der Leitung der Schule, die ihr Sohn besucht, und damit die zugrunde liegenden Bestimmungen der Siebten SARS-CoV-2 Eindämmungsverordnung des Landes Brandenburg vom 6. März 2021 (GVBl. II Nr. 24), zuletzt geändert durch Verordnung vom 1. Juni 2021 (GVBl. II Nr. 57) und zwischenzeitlich seit dem 16. Juni 2021 ersetzt durch die SARS-CoV-2-Umgangsverordnung vom 15. Juni 2021 (GVBl. II Nr. 62) an. Sie sucht die Befreiung ihres Sohnes von der sog. Zwangstestung, der verpflichtenden Distanzwahrung und der Verpflichtung zum Tragen von Mund-Nasen-Bedeckungen erreichen. Damit kann sie aus grundsätzlichen rechtlichen Gesichtspunkten keinen Erfolg haben. Es kann deshalb auch dahinstehen, dass mit der zitierten jüngsten Umgangsverordnung (dort § 22 Abs. 4 Nr. 1) das verpflichtende Tragen einer medizinischen Maske im Innenbereich der Schule auf Schüler ab der Jahrgangsstufe 7 beschränkt worden ist, der Sohn der Antragstellerin von dieser als besonders nachteilig/gefährlich erachteten Maßnahme also jedenfalls derzeit nicht mehr betroffen sein dürfte.

Es fehlt nämlich bereits an der Zuständigkeit des Familiengerichts für den Erlass der begehrten Maßnahmen. Richtig ist allein, dass in die Zuständigkeit der Familiengerichte als Kindschaftssachen im Sinne von § 151 FamFG Verfahren nach § 1666 BGB fallen, die zum Erlass gerichtlicher Maßnahmen bei Gefährdung des Kindeswohls im konkreten Einzelfall nach Maßgabe des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes verpflichten. Dabei erlaubt § 1666 Abs. 4 BGB den Familiengerichten, in Angelegenheiten der Personensorge auch Anordnungen gegenüber Dritten zu treffen, um „dem Familiengericht die Möglichkeit zu eröffnen, gegen kindeswohlgefährdende Dritte vorgehen zu können, ohne dass ein Umweg über das Zivilrecht gegangen werden muss (BT-Drs. 8/2788, 59)“. Konkrete tatsächliche Anhaltspunkte für eine solche individuelle Kindeswohlgefährdung, der durch familiengerichtliche Maßnahmen zu begegnen wäre, sind im Streitfall weder vorgetragen noch sonst ersichtlich. Der vorliegend erstrebte Erlass von gegen die Schulleitung bzw. die Lehrkräfte gerichteten Anordnungen zur Aufhebung infektionsschutzrechtlicher Maßnahmen (Maskenpflicht, Distanzwahrung, Verpflichtung zu Schnelltests) fällt nicht in den Kreis der nach § 1666 BGB eröffneten Maßnahmen. Insoweit fehlt es bereits an einer Weisungsbefugnis des Familiengerichts gegenüber Hoheitsträgern. Ebenso wenig wie Familiengerichte die Jugendämter gegen deren Willen verpflichten können, Leistungen der Kinder- und Jugendhilfe zu bewilligen, sind sie befugt, andere staatliche Behörden, wie etwa Schulämter, einzelne Schulen bzw. deren Funktionsträger (Schulleitung, einzelne Lehrkräfte) in ihrem Tun oder Unterlassen anzuweisen. Die gerichtliche Kontrolle derartigen Behördenhandelns – auch unter dem Aspekt einer möglichen Verletzung des Kindeswohls im Rahmen des schulrechtlichen Sonderstatusverhältnisses - obliegt allein der Verwaltungsgerichtsbarkeit (ganz herrschende Auffassung, vgl. dazu OLG Jena, Beschluss vom 14. Mai 2021 – Az. 1 UF 136/21, mit dem der mutmaßlich auch hier den Anlass für die Anrufung des Familiengerichts gebende Beschluss des Amtsgerichts Weimar vom 9. April 2021, Az. 9 F 148/21, aufgehoben worden ist; Verwaltungsgericht Weimar, Beschluss vom 20. April 2021, Az. 8 E 416/21, zitiert in NZFam 2021, S. VI; OLG Nürnberg, Beschluss vom 28. April 2021, Az. 9 WF 343/21; OLG Frankfurt, Beschluss vom 25. Mai 2021, Az. 9 UF 90/21 – sämtlich zitiert nach juris; Dr. Gudrun Lies-Benachib, Familiengericht und Pandemieschutz, NZFam 2021, 448).

Eine Verweisung an das Verwaltungsgericht war nicht veranlasst, da (schon) das Amtsgericht zu Recht die Einleitung eines Kinderschutzverfahrens abgelehnt hat und § 17a GVG für Verfahren, die – wie hier – nur von Amts eingeleitet werden können, nicht in Betracht kommt (BT-Drucks. 16/6308, S. 318; Bumiller/Harders/Schwamb, FamFG, 12. Aufl., § 122 Rdnr. 10; Kissel/Mayer, GVG, 10. Aufl., § 17 GVG Rdnr 62; Zöller, ZPO, 33. Aufl., § 17a GVG Rdnr. 21; OLG Nürnberg a.a.O., OLG Jena a.a.O., OLG Frankfurt a.a.O.).

3.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 84 FamFG.

Die Festsetzung des Beschwerdewertes folgt aus §§ 40 Abs. 1 Satz 1, 45 Abs. 1 Nr. 1 FamGKG.

Gründe für die Zulassung der Rechtsbeschwerde (§ 70 Abs. 2 FamFG) bestehen nicht. Die Sache hat insbesondere auch keine grundsätzliche Bedeutung im Sinne der Klärungsbedürftigkeit einer Rechtsfrage. Die obergerichtliche Rechtsprechung zu der hier aufgeworfenen Frage ist im Übrigen einhellig; dies gilt auch für die in der Beschwerde zitierte Entscheidung des OLG Karlsruhe vom 28. April 2021, Az. 20 WF 70/21, das – im Wege einer sofortigen Beschwerde nach § 17a Abs. 4 Satz 3 GVG nur dazu angerufen - die Möglichkeit der Rechtswegverweisung ausdrücklich verneint und keinerlei Ausführungen zur Eröffnung des Anwendungsbereichs von § 1666 (Abs. 4 ) BGB gemacht hat.