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Entscheidung 5 Sa 1572/20


Metadaten

Gericht LArbG Berlin-Brandenburg 5. Kammer Entscheidungsdatum 06.05.2021
Aktenzeichen 5 Sa 1572/20 ECLI ECLI:DE:LAGBEBB:2021:0506.5SA1572.20.00
Dokumententyp Urteil Verfahrensgang -
Normen § 14 Abs 1 Nr 1 TzBfG

Leitsatz

1. Die Sachgrundbefristung wegen vorübergehenden Beschäftigungsbedarfes in einem Forschungsprojekt setzt voraus, dass die Arbeiten nicht im Bereich der Daueraufgaben des Arbeitgebers entstehen.
Entscheidend ist, ob die Tätigkeiten im Rahmen des Betriebszwecks ihrer Art nach im Wesentlichen unverändert und kontinuierlich anfallen
(dann handelt es sich um Daueraufgaben) oder ob sie entweder nur unregelmäßig – zum Beispiel nur aus besonderem Anlass – ausgeführt werden oder mit unvorhersehbaren besonderen Anforderungen auch in Bezug auf die Qualifikation des benötigten Personals verbunden sind und deshalb keinen vorhersehbaren Personalbedarf sowohl in quantitativer Hinsicht als auch in Bezug auf die Qualifikation des benötigten Personals verursachen.
2. Wird eine Studienassistentin (Study Nurse) in Forschungsprojekten aufgrund von aneinander gereihten sachgrundbefristeten Arbeitsverträgen über einen besonders lang andauernden Zeitraum beschäftigt (hier: mehr als zwölf Jahre), so spricht ein vom Arbeitgeber zu widerlegendes Indiz für die rechtsmissbräuchliche Anwendung der Sachgrundbefristung.
Dieses Indiz ist auch unter Berücksichtigung von Artikel 5 Absatz 3 GG im Drittmittelbereich nicht widerlegt, wenn der Arbeitseinsatz in verschiedenen Projekten auch bei teilweise zusätzlich zu erwerbenden Fähigkeiten nahtlos möglich ist.

Tenor

I. Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Berlin vom 09.10.2020 – 58 Ca 3675/20 – wird auf ihre Kosten zurückgewiesen.

II. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

Die Parteien streiten um den unbefristeten Bestand des Arbeitsverhältnisses.

Die Klägerin, eine gelernte Arzthelferin, ist aufgrund mehrerer befristeter Arbeitsverhältnisse seit dem 01.01.2009, zuletzt aufgrund eines bis zum 31.03.2022 befristeten Arbeitsvertrages, bei der Beklagten, einer Einrichtung der Universitätsmedizin, in verschiedenen drittmittelfinanzierten Forschungsprojekten als Studienassistentin (Study Nurse) beschäftigt. Die Beklagte bietet Kurse für Studienassistent*innen in ihrem Koordinierungszentrum für Klinische Studien (KKS; siehe dazu die Anlage K 18, Blatt 193 ff der Akte) an. Wegen der Tätigkeitsbeschreibung wird auf Seite 3 des angefochtenen Urteils (Blatt 227 der Akte) verwiesen. Bereits vor dem 01.01.2009 bestand ein befristetes Arbeitsverhältnis der Parteien, zeitlich umschlossen von befristeten Arbeitsverträgen der Klägerin mit dem Deutschen Institut für E (DIfE), bei dem der damalige Abteilungsdirektor der Beklagten und Vorgesetzte der Klägerin eine Funktion als Abteilungsleiter innehatte. Eingesetzt wurde die Klägerin seit 2002 durchgehend im Betrieb der Beklagten. Wegen der Vertragshistorie im Einzelnen wird auf Seite 2 des angefochtenen Urteils (Blatt 226 der Akte) verwiesen.

Die Klägerin wurde zuletzt bei einer Wochenarbeitszeit von 35,10 Stunden nach Maßgabe der Entgeltgruppe 9 b TVöD-VKA vergütet.

Die Klägerin wird derzeit in einem drittmittelfinanzierten Projekt zur Förderung des Aufbaus einer Nachwuchsforschungsgruppe für kardiovaskuläre Erkrankungen unter dem Projektleiter Herrn Dr. A eingesetzt. Auf den Projektantrag vom 31.10.2017 (Anlage B 1, Blatt 94 ff der Akte), die Bewilligung mit Schreiben vom 06.12.2017 (Anlage B 2, Blatt 117 ff der Akte) sowie eine Freimeldebescheinigung (Anlage B 3, Blatt 120 ff der Akte) wird verwiesen.

Mit der am 23.03.2020 beim Arbeitsgericht eingegangenen Klage hat die Klägerin geltend gemacht, dass der letzten Befristungsabrede ein sachlicher Grund fehle. Allein die Querfinanzierung über Drittmittelgeber rechtfertige nicht die Befristung. Der Projektleiter und weitere Overhead-Kosten würden gerade nicht von der Corona-Stiftung, die das letzte Projekt finanziere, finanziert. Das spreche für das Vorliegen einer Daueraufgabe. Auf die Befristung eines Projektes könne sich ein Arbeitgeber nur dann berufen, wenn es sich bei den im Projekt zu bewältigenden Aufgaben um auf vorübergehende Dauer angelegte Aufgaben handele, die gegenüber Daueraufgaben abgrenzbar seien. Könne der Arbeitgeber im Rahmen seines Betriebszwecks einen im Wesentlichen unveränderten Personalbedarf prognostizieren, sei ihm eine Befristung des Arbeitsverhältnisses verwehrt. Die Kernaufgaben der Klägerin als Study-Nurse seien seit 2002 immer die gleichen gewesen, wobei sie lediglich auf Grund im Zeitraum von Dezember 2017 bis April 2018 erworbener zusätzlicher Qualifikationen zur selbständigen Durchführung der Echokardiografie zusätzliche Aufgaben übernommen habe. Bei jeder Studie der Beklagten fielen funktionsdiagnostische Tätigkeiten an, woraus ein Dauerbedarf resultiere. Die Beklagte schreibe deshalb auch regelmäßig Stellen für Study-Nurses aus, wie die zu den Akten gereichten Stellenausschreibungen bewiesen (Anlage K 19 bis K 23, Blatt 197 ff der Akte). Ferner sei die Befristung sei auf Grund institutionellen Rechtmissbrauchs unwirksam. Die einzige, einen Monat dauernde Unterbrechung ihrer Beschäftigung als Study Nurse sei unbeachtlich. Bei Beendigung des derzeit laufenden Vertrages sei sie fast 20 Jahre als Study-Nurse tätig. Die Beklagte könne sich ihr gegenüber auch nicht auf die Forschungs- und Wissenschaftsfreiheit berufen, da die Klägerin nicht selbst Forschungstätigkeit leiste, sondern insoweit nur unterstütze. Auch lägen keine branchenspezifischen Besonderheiten vor. Es hätten sich auch sonst keine wesentlichen Änderungen des Vertragsverhältnisses vollzogen.

Die Klägerin hat beantragt,

festzustellen, dass das zwischen den Parteien bestehende Arbeitsverhältnis nicht auf Grund der Befristungsabrede im Arbeitsvertrag vom 19.03.2019 mit Ablauf des 31.03.2022 enden wird.

Die Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

Die Beklagte hat vorgetragen, sie könne sich für die Befristung des letzten Arbeitsvertrages auf eine Projektbefristung berufen. Ausweislich des Antrages vom 31.10.2017 sei die Beschäftigung einer Study-Nurse für 36 Monate vorgesehen gewesen, was der Zeit der Patientenrekrutierung und Durchführung studienspezifischer Maßnahmen entspreche (Anlage B 1, Blatt 94 ff der Akte). Die Klägerin werde im Vertragszeitraum in der Klinik für Neurologie mit experimenteller Neurologie am Campus . B eingesetzt und übe überwiegend projektbezogene Aufgaben aus. Auf Grund des Projektantrages habe die Beklagte die Prognose treffen können, nach dem 31.03.2022 keinen anderweitigen Bedarf für eine Study-Nurse zu haben. Unerheblich sei, ob sie gegebenenfalls auf Grund ihrer Qualifikation nach Beendigung des Projektes in einem anderen Projekt beschäftigt werden könne.

Die Beklagte ist der Auffassung, es liege kein institutioneller Rechtsmissbrauch vor. Die Klägerin sei nicht immer am selben Arbeitsplatz beschäftigt gewesen, sondern – insoweit unstreitig – zunächst im Zentrum 10 am Campus . B in der medizinischen Klinik für Endokrinologie, seit 01.10.2012 am Campus Charité Mitte sowie ab 01.03.2014 im Zentrum 15 in der Neurologie am Campus . B. Es gebe besondere Umstände des Einzelfalles, insbesondere längere zeitliche Unterbrechungen und branchenspezifische Besonderheiten, die vorliegend gegen einen Rechtsmissbrauch sprächen. Zu berücksichtigen sei auch, dass die Beklagte auf die Drittmittel angewiesen sei. Bestimmte Stellen könnten gar nicht anders finanziert werden.

Mit Urteil vom 09.10. 2020 hat das Arbeitsgericht der Klage stattgegeben. Zur Begründung hat es ausgeführt, die Beklagte könne sich hinsichtlich der angegriffenen Befristungsabrede nicht auf den Sachgrund des nur vorübergehenden Bedarfs beruhen. Sie habe nicht hinreichend dargelegt, dass die Tätigkeiten der Klägerin in dem drittmittelfinanzierten Projekt zur Förderung des Aufbaus einer Nachwuchsforschungsgruppe für kardiovaskuläre Erkrankungen nur vorübergehend anfielen und gegenüber den Daueraufgaben der Beklagten eine abgrenzbare Zusatzaufgabe darstellten. Denn die Tätigkeit als Study Nurse werde in vielfältigen Studien benötigt. Als „Begleitpersonal“ würden Study Nurses gebraucht, so lange es zu den Kernaufgaben der Beklagten gehöre, klinische Forschung zu betreiben. Auf den Einwand des Rechtsmissbrauches käme es nicht an.

Gegen das ihr am 12.11.2020 zugestellte Urteil richtet sich die am Montag, dem 14.12.2020 eingegangene und nach Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist bis zum 12.02.2021 am 12.02.2021 begründete Berufung der Beklagten. Sie trägt vor, das Arbeitsgericht habe nicht berücksichtigt, dass in Fällen der hier vorliegenden Drittmittelbefristung eine Vermutung gegen eine Daueraufgabe spreche. Es sei zudem auf die Planbarkeit des Beschäftigungsbedarfes abzustellen, die aufgrund der weit gefächerten Anforderungen an die in den verschiedenen Projekten benötigten Qualifikationen der Study Nurses nicht vorliege. Dies treffe auch auf die Klägerin zu, die für den Einsatz in einem Projekt ab Februar 2017 zusätzliche Qualifikationen im Bereich der Echokardiografie habe erwerben müssen. Drittmittelfinanzierte Projekte fielen bei der Beklagten zwar dauernd an, seien aufgrund der sich hieraus auch für Study Nurses ergebenen unterschiedlichen Anforderungen aber Zusatzaufgaben der Beklagten. Auch liege kein rechtsmissbräuchliches Verhalten der Beklagten vor. Anfänglich sei Klägerin aufgrund von Arbeitsverträgen mit dem DIfE unter dessen Leitung tätig gewesen, ab 2009 seien nur drittmittelbefristete Verträge mit der Beklagten für unterschiedliche Projekte verschiedener Bereiche der Beklagten abgeschlossen worden. Während die Tätigkeiten der Klägerin bis 2011 eher verwaltungslastig gewesen seien, hätten ab 2012 andere Anforderungen im Vordergrund gestanden. Schließlich sei zugunsten der Beklagten Artikel 5 Absatz 3 Grundgesetz (GG) zu berücksichtigen.

Die Beklagte beantragt,

das Urteil des Arbeitsgerichts Berlin vom 09.10.2020 abzuändern und die Klage abzuweisen.

Die Klägerin beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Die Klägerin trägt vor, Forschungsstudien gehörten gemäß § 2 Universitätsmedizingesetz Berlin zu den Daueraufgaben er Beklagten. Ihre Kernaufgaben als Study Nurse seien seit 2002 mit Ausnahme der aufgrund ihrer Ausbildung im Bereich Echokardiografie hinzugekommenen die gleichen gewesen. Die Beklagte schreibe auch unbefristete Stellen für Study Nurses aus, was gegen mangelnde Planbarkeit deren Einsatzes spreche. Beschäftigte wie die Klägerin könnten von der Beklagten klinikübergreifend in verschiedenen Studien eingesetzt werden. Auf Artikel 5 Absatz 3 GG könne sich die Beklagte nicht berufen, weil die Klägerin nicht wissenschaftlich tätig sei, zudem seien die Befristungen mehrerer ihrer Arbeitsverträge deutlich hinter dem Zeitraum des Beschäftigungsbedarfes zurückgeblieben.

Wegen des weiteren zweitinstanzlichen Parteivortrages wird auf die Schriftsätze und Anlagen der Beklagten vom 12.02.2021 (Blatt 267 bis 297 der Akte), der Klägerin vom 07.04.2021 (Blatt 309 bis 319 der Akte) und das Protokoll der mündlichen Verhandlung vom 16.04.2012 (Blatt 322 bis 323 der Akte) verwiesen.

Entscheidungsgründe

I. Die Berufung ist gemäß §§ 8 Absatz 2, 64 Absatz 2 Buchstabe c) und Absatz 6, 66 Abs. 1 Arbeitsgerichtsgesetz (ArbGG), 519 Zivilprozessordnung (ZPO) statthaft sowie form- und fristgerecht eingelegt worden und wurde gemäß §§ 64 Absatz 6 ArbGG, 520 Absatz 3 ZPO ausreichend begründet.

II. Die Berufung ist unbegründet. Das Arbeitsgericht hat der Klage im Ergebnis zu Recht stattgegeben.

1. Die angegriffene Befristungsabrede vom 19.03.2019 gilt nicht §§ 17 Teilzeit- und Befristungsgesetz (TzBfG), 7 Kündigungsschutzgesetz (KSchG) als rechtswirksam. Sie wurde von der Klägerin mit der am 23.03.2020 beim Arbeitsgericht eingegangenen Klage rechtzeitig angegriffen. Dass der Befristungszeitraum bei Klageeingang noch nicht abgelaufen war, ist unerheblich, die Klage kann schon vor dem Ablauf der vereinbarten Frist erhoben werden (BAG, Urteil vom 09. Dezember 2015 – 7 AZR 68/14 –, Randnummer 22, juris)

2. Es kann dahinstehen, ob der streitgegenständlichen Befristungsabrede ein sachlicher Grund im Sinne von § 14 Absatz 1 Satz 2 Nummer 1 TzBfG zugrunde liegt.

a) Ein sachlicher Grund für die Befristung eines Arbeitsvertrags liegt nach § 14 Absatz 1 Satz 2 Nummer 1 TzBfG vor, wenn der betriebliche Bedarf an der Arbeitsleistung nur vorübergehend besteht. Ein vorübergehender Beschäftigungsbedarf kann sowohl durch einen vorübergehenden Anstieg des Arbeitsvolumens im Bereich der Daueraufgaben des Arbeitgebers entstehen als auch durch die Übernahme eines Projekts oder einer Zusatzaufgabe, für deren Erledigung das vorhandene Stammpersonal nicht ausreicht (BAG, Urteil vom 21. November 2018 – 7 AZR 234/17 –, Randnummer 16, juris). Wird die Befristung des Arbeitsvertrags auf die Mitwirkung des Arbeitnehmers an einem zeitlich begrenzten Projekt gestützt, erfordert dies, dass es sich bei dem Projekt um eine auf vorübergehende Dauer angelegte und gegenüber den Daueraufgaben des Arbeitgebers abgrenzbare Zusatzaufgabe handelt. Dies ist nicht der Fall bei Tätigkeiten, die der Arbeitgeber im Rahmen des von ihm verfolgten Betriebszwecks dauerhaft wahrnimmt oder zu deren Durchführung er verpflichtet ist (BAG, Urteil vom 21. November 2018 – 7 AZR 234/17 –, Randnummer 17, juris). Daueraufgaben des Arbeitgebers sind Tätigkeiten, die im Rahmen seiner unternehmerischen Ausrichtung kontinuierlich und im Wesentlichen unverändert anfallen. Davon abzugrenzen sind Zusatzaufgaben, die nur für eine begrenzte Zeit durchzuführen sind und keinen auf längere Zeit planbaren Personalbedarf mit sich bringen. Allein aus dem Umstand, dass ein Arbeitgeber ständig in erheblichem Umfang Projekte durchführt, ergibt sich nicht zwangsläufig, dass es sich hierbei um Daueraufgaben handelt. Entscheidend ist, ob die Tätigkeiten im Rahmen des Betriebszwecks ihrer Art nach im Wesentlichen unverändert und kontinuierlich anfallen (dann handelt es sich um Daueraufgaben) oder ob sie entweder nur unregelmäßig – zum Beispiel nur aus besonderem Anlass – ausgeführt werden oder mit unvorhersehbaren besonderen Anforderungen auch in Bezug auf die Qualifikation des benötigten Personals verbunden sind und deshalb keinen vorhersehbaren Personalbedarf sowohl in quantitativer Hinsicht als auch in Bezug auf die Qualifikation des benötigten Personals verursachen (dann liegen Zusatzaufgaben vor; BAG, Urteil vom 21. November 2018 – 7 AZR 234/17 –, Randnummer 27, juris).

b) Hier kann offenbleiben, ob trotz des Umstandes, dass die Beschäftigungsmöglichkeiten für Study Nurses von Drittmitteln abhängen, deren Bewilligung möglicherweise nicht vorhersehbar ist, dass Study Nurses innerhalb der Projektlaufzeiten nur begrenzt eingesetzt werden und dass in verschiedenen Fachbereichen für den Projekteinsatz Zusatzqualifikationen erforderlich sind gleichwohl von einem planbaren Personalbedarf ausgegangen werden kann und deshalb bereits Daueraufgaben der Beklagten vorliegen, für die der Sachgrund des § 14 Absatz 1 Satz 2 Nummer 1 TzBfG nicht eröffnet ist. Denn der Beklagten ist es unter den vorliegenden Umständen des Einzelfalls aus Gründen des institutionellen Rechtsmissbrauchs nicht gestattet, sich auf das Vorliegen eines Sachgrundes nach § 14 Absatz 1 TzBfG zu berufen.

aa) Die Gerichte dürfen sich bei der Befristungskontrolle nicht auf die Prüfung des geltend gemachten Sachgrunds beschränken. Sie sind vielmehr aus unionsrechtlichen Gründen verpflichtet, durch Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls auszuschließen, dass Arbeitgeber missbräuchlich auf befristete Arbeitsverträge zurückgreifen. Die Beachtung von § 5 Nr. 1 Buchstabe a der EGB-UNICE-CEEP-Rahmenvereinbarung über befristete Arbeitsverträge im Anhang der Richtlinie 1999/70/EG des Rates vom 28.06.1999 verlangt, dass konkret geprüft wird, ob die Verlängerung aufeinanderfolgender befristeter Arbeitsverträge oder -verhältnisse der Deckung eines zeitweiligen Bedarfs dient und ob eine nationale Vorschrift nicht in Wirklichkeit eingesetzt wird, um einen ständigen und dauerhaften Arbeitskräftebedarf des Arbeitgebers zu decken. Hierzu sind stets alle Umstände des jeweiligen Einzelfalls zu prüfen und dabei namentlich die Zahl der mit derselben Person oder zur Verrichtung der gleichen Arbeit geschlossenen aufeinanderfolgenden befristeten Verträge zu berücksichtigen, um auszuschließen, dass Arbeitgeber missbräuchlich auf befristete Arbeitsverträge oder -verhältnisse zurückgreifen, mögen diese auch angeblich zur Deckung eines Vertretungsbedarfs geschlossen worden sein (BAG, Urteil vom 26. Oktober 2016 – 7 AZR 135/15 –, BAGE 157, 125-140, Randnummer 23). Zur Bestimmung der Schwelle einer rechtsmissbräuchlichen Gestaltung von Sachgrundbefristungen hat das BAG an die gesetzlichen Wertungen in § 14 Absatz 2 Satz 1 TzBfG angeknüpft. Die Vorschrift macht eine Ausnahme von dem Erfordernis der Sachgrundbefristung und erleichtert damit den Abschluss von befristeten Verträgen bis zu der festgelegten Höchstdauer von zwei Jahren bei maximal dreimaliger Verlängerungsmöglichkeit. Sie kennzeichnet den nach Auffassung des Gesetzgebers unter allen Umständen unproblematischen Bereich. Ist ein Sachgrund nach § 14 Absatz 1 TzBfG gegeben, lässt erst das erhebliche Überschreiten dieser Grenzwerte den Schluss auf eine missbräuchliche Gestaltung zu. Bei Vorliegen eines die Befristung an sich rechtfertigenden Sachgrunds besteht kein gesteigerter Anlass zur Missbrauchskontrolle, wenn die in § 14 Absatz 2 Satz 1 TzBfG für die sachgrundlose Befristung bezeichneten Grenzen nicht um ein Mehrfaches überschritten sind. Davon ist auszugehen, wenn nicht mindestens das Vierfache eines der in § 14 Abs. 2 Satz 1 TzBfG bestimmten Werte oder das Dreifache beider Werte überschritten ist. Liegt ein Sachgrund vor, kann also von der Befristung des Arbeitsverhältnisses Gebrauch gemacht werden, solange das Arbeitsverhältnis nicht die Gesamtdauer von sechs Jahren überschreitet und zudem nicht mehr als neun Vertragsverlängerungen vereinbart wurden, es sei denn, die Gesamtdauer übersteigt bereits acht Jahre oder es wurden mehr als zwölf Vertragsverlängerungen vereinbart. Werden die Grenzen des § 14 Absatz 2 Satz 1 TzBfG alternativ oder kumulativ mehrfach überschritten, ist eine umfassende Missbrauchskontrolle geboten. Hiervon ist in der Regel auszugehen, wenn einer der Werte des § 14 Absatz 2 Satz 1 TzBfG mehr als das Vierfache beträgt oder beide Werte das Dreifache übersteigen. Überschreitet also die Gesamtdauer des befristeten Arbeitsverhältnisses acht Jahre oder wurden mehr als zwölf Verlängerungen des befristeten Arbeitsvertrags vereinbart, hängt es von den weiteren, zunächst vom Kläger vorzutragenden Umständen ab, ob ein Rechtsmissbrauch anzunehmen ist. Gleiches gilt, wenn die Gesamtdauer des befristeten Arbeitsverhältnisses sechs Jahre überschreitet und mehr als neun Vertragsverlängerungen vereinbart wurden. Werden die in § 14 Absatz 2 Satz 1 TzBfG genannten Grenzen alternativ oder kumulativ in besonders gravierendem Ausmaß überschritten, kann eine missbräuchliche Ausnutzung der an sich eröffneten Möglichkeit zur Sachgrundbefristung indiziert sein. Von einem indizierten Rechtsmissbrauch ist in der Regel auszugehen, wenn durch die befristeten Verträge einer der Werte des § 14 Absatz 2 Satz 1 TzBfG um mehr als das Fünffache überschritten wird oder beide Werte mehr als das jeweils Vierfache betragen. Das bedeutet, dass ein Rechtsmissbrauch indiziert ist, wenn die Gesamtdauer des Arbeitsverhältnisses zehn Jahre überschreitet oder mehr als 15 Vertragsverlängerungen vereinbart wurden oder wenn mehr als zwölf Vertragsverlängerungen bei einer Gesamtdauer von mehr als acht Jahren vorliegen. In einem solchen Fall hat allerdings der Arbeitgeber die Möglichkeit, die Annahme des indizierten Gestaltungsmissbrauchs durch den Vortrag besonderer Umstände zu entkräften (BAG, Urteil vom 26. Oktober 2016 – 7 AZR 135/15 –, BAGE 157, 125-140, Randnummern 26 bis 28). Von Bedeutung kann dabei sein, ob der Arbeitnehmer stets auf demselben Arbeitsplatz mit denselben Aufgaben beschäftigt wird oder ob es sich um wechselnde, ganz unterschiedliche Aufgaben handelt. Auch wenn zum Beispiel ein ständiger Vertretungsbedarf der Annahme des Sachgrunds der Vertretung nicht entgegensteht und daher geeignet ist, die Befristung des Arbeitsverhältnisses mit dem Vertreter zu rechtfertigen, ist er dennoch ein Umstand, der im Rahmen einer umfassenden Missbrauchskontrolle in die Gesamtwürdigung einbezogen werden kann. Bei zunehmender Anzahl und Dauer der jeweils befristeten Beschäftigung eines Arbeitnehmers kann es eine missbräuchliche Ausnutzung der dem Arbeitgeber an sich rechtlich eröffneten Befristungsmöglichkeit darstellen, wenn er gegenüber einem bereits langjährig beschäftigten Arbeitnehmer trotz der tatsächlich vorhandenen Möglichkeit einer dauerhaften Einstellung immer wieder auf befristete Verträge zurückgreift. Zu berücksichtigen ist ferner die Laufzeit der einzelnen befristeten Verträge sowie die Frage, ob und in welchem Maße die vereinbarte Befristungsdauer zeitlich hinter dem zu erwartenden Vertretungsbedarf zurückbleibt. Wird trotz eines tatsächlich zu erwartenden langen Vertretungsbedarfs in rascher Folge mit demselben Arbeitnehmer eine Vielzahl kurzfristiger Arbeitsverhältnisse vereinbart, liegt die Gefahr des Gestaltungsmissbrauchs näher, als wenn die vereinbarte Befristungsdauer zeitlich nicht hinter dem prognostizierten Vertretungsbedarf zurückbleibt. Bei der Gesamtwürdigung können daneben zahlreiche weitere Gesichtspunkte eine Rolle spielen. Zu denken ist dabei insbesondere an branchenspezifische Besonderheiten etwa bei Saisonbetrieben. Auch können bei der Gesamtbeurteilung grundrechtlich gewährleistete Freiheiten von beträchtlicher Bedeutung sein. Dies gilt insbesondere für die in Artikel 5 Absatz 1 GG gewährleistete Pressefreiheit und die Freiheit der Berichterstattung durch Rundfunk und Film, aber auch für die in Artikel 5 Absatz 3 GG garantierte Freiheit von Kunst und Wissenschaft, Forschung und Lehre (BAG, Urteil vom 18. Juli 2012 – 7 AZR 443/09 –, BAGE 142, 308-330, Randnummern 45 bis 47).

bb) Wendet man die vorgenannten Grundsätze auf die vorliegenden Einzelfallumstände an, ergibt sich, dass es der Beklagten selbst bei Vorliegen eines Sachgrundes nach § 14 Absatz 1 Satz 2 Nummer 1 TzBfG aus Gründen des Rechtsmissbrauchs verwehrt ist, sich auf diesen zu berufen. Denn auch bei Außerachtlassung der mit dem DIfE geschlossenen Arbeitsverträge und dem vor dem letzten Vertrag mit dem DIfE mit der Beklagten geschlossenen Arbeitsvertrag ist hier die in § 14 Absatz 2 Satz 1 TzBfG als Grenzwert vorgesehene Gesamtdauer befristeter Verträge in besonders gravierendem Ausmaß überschritten. Denn zwischen den Parteien bestehen mit Ausnahme einer einmonatigen Unterbrechung seit dem 01.08.2009 aneinander gereihte Arbeitsverhältnisse, die sich einschließlich des am 19.03.2019 für die Zeit vom 01.04.2019 bis 31.03.2022 vereinbarten Arbeitsverhältnisses auf einen Zeitraum von über zwölf Jahren erstrecken. Institutioneller Rechtsmissbrauch ist daher indiziert.

c) Es gibt keine Umstände, die das sich hieraus ergebende, für Rechtsmissbrauch sprechende Indiz entkräften.

aa) Die Klägerin ist durchweg in Forschungsprojekten als Study Nurse eingesetzt worden worden. Zwar erfolgten die Einsätze in verschieden Projekten innerhalb verschiedener Fachbereiche der Beklagten, jedoch erfolgte die ihr Einsatz durchgehend mit im Wesentlichen gleichartigen Tätigkeiten (Screening, Verwaltung, Funktionsdiagnostik), wobei sie für die Funktionsdiagnostik im Zeitraum Dezember 2017 bis April 2018 Zusatzqualifikationen im Bereich der Echokardiografie erwarb, die sie in den letzten beiden Projekten benötigte. Soweit die Beklagte behauptet, in anderen Fachbereichen würden andere Qualifikationen und Aufgabenumfänge verlangt, hat sie nicht dargelegt, dass dies auf die Projekteinsätze der Klägerin im Zeitraum seit dem 01.08.2009 zutrifft. Daher liegt zwar nicht ein durchgehender Einsatz innerhalb eines Fachbereiches der Beklagten in einem Projekt vor, jedoch eine durchgehende Tätigkeit, die mit Ausnahme einer von der Klägerin aufgrund einer in einem Zeitraum unwesentlichen Ausmaßes zu erwerbenden Zusatzqualifikation anfallenden Zusatztätigkeit im Wesentlichen gleichartig war. Zudem zeigt der Wechsel der Klägerin aus dem vorletzten Projekt in das letzte, dass sie auch während eines laufenden und nicht abgeschlossenen Projektes nahtlos in ein neues Projekt wechseln kann. Dass die im wesentlichen gleichartige Tätigkeit als Study Nurse in verschiedenen Projekten erbracht wurde ist für sich nicht geeignet, das Indiz dafür zu entkräften, dass der Beklagten die unbefristete Beschäftigung der Klägerin möglich ist. Dass bei Projekten in anderen Fachbereichen möglicherweise wiederum andere, von der Klägerin bislang nicht erworbene Qualifikationen erforderlich sind, steht dem nicht entgegen. Die Klägerin hat nach dem Beginn ihres Einsatzes im vorletzten Projekt des Berlin Institute of Health (BIH) während ihrer Tätigkeit als Study Nurse die erforderliche Zusatzqualifikation erwerben können. Dies deutet darauf hin, dass es ihr auch in einem unbefristeten Arbeitsverhältnis möglich ist, benötigte Zusatzqualifikationen zu erwerben und gleichwohl im Zeitraum bis zu deren Erwerb als Study Nurse in Projekten eingesetzt zu werden, in denen auch die anfänglich noch nicht vorliegenden Zusatzqualifikationen erheblich sind. Demgegenüber liegen keine Anhaltspunkte dafür vor, dass die von der Beklagten angeführten Qualifikationsanforderungen und Aufgabenstellungen in anderen Projektbereichen als dem Bereich Kardiovaskuläre Forschung und Metabolismus (Infektion/Inflammation/Immunität; Seltene Erkrankungen und Genetik; Onkologie; Regenerative Therapien; Neurowissenschaften) so gelagert sind, dass sie eine Beschäftigung als Study Nurse vor Erwerb der dafür benötigten Kenntnisse und Fähigkeiten ausschließen.

bb) Seit dem 01.08.2009 ist es zu keiner wesentlichen zeitlichen Unterbrechung der Beschäftigung der Klägerin gekommen. Die den Monat Januar 2017 andauernde Unterbrechung beruhte unstreitig nicht auf fehlendem Bedarf, sondern auf fehlenden Absprachen zwischen der Fach- und der Personalabteilung. Im Übrigen handelt es sich in Anbetracht einer Beschäftigungsdauer von mindestens zwölf Jahren um eine zeitlich unwesentliche Unterbrechung.

cc) Dass sich die Beklagte vorliegend überhaupt auf Artikel 5 Absatz 3 GG berufen darf, was die Klägerin in Abrede stellt, kann zu Gunsten der Beklagten angenommen werden, weil die Klägerin zwar nicht dem eigentlichen Forschungspersonal zugehört, gleichwohl aber unter anderem durch Ausführung des „Screenings“ von Studienpatienten oder das selbständige Aufbereiten von Datenmaterial die Forschungsergebnisse unmittelbar beeinflussende Tätigkeiten ausübt. Gleichwohl spricht nichts dafür, dass ihre Tätigkeit im Hinblick auf in bestimmten Bereichen hinzukommende besondere Aufgaben trotz Anfallens in allen Projekten mehr oder minder relevanter verwaltungsgeneigter und funktionsdiagnostischer Aufgaben nicht im Wesentlichen so gleich gelagert ist, dass sie nicht von einem Projekt auch bereichsübergreifend zum nächsten nahtlos wechseln und so der Beklagten zumutbar auch trotz noch fehlender Qualifikationen eingesetzt werden kann. Kann das auch nach dem Vortrag der Beklagten aber nicht angenommen werden, stellt es keine nicht hinnehmbare Beeinträchtigung der Forschungsfreiheit dar, die Beklagte an ein unbefristetes Arbeitsverhältnis mit der Klägerin zu binden. Dass die Beklagte aufgrund der Anzahl der bei ihr jährlich anfallenden Forschungsprojekte dauernd forscht, hat sie selbst vorgetragen. Zeiten, in denen gar keine für Study Nurses mit oder ohne Zusatzqualifikationen geeignete Forschungsprojekte anfallen, sind nach dem Vortrag der Beklagten nicht zu erwarten. Auch ist nicht dargelegt, dass und in welchem Umfang der Abschluss unbefristeter Arbeitsverträge mit Study Nurses, welche die Beklagte an anderer Stelle unstreitig anbietet, zu die Forschungsfreiheit beeinträchtigenden Personalüberkapazitäten führt.

dd) Soweit sich die Beklagte auf das Urteil des LAG Berlin-Brandenburg vom 22.08.2017 beruft (16 Sa 400/17), folgt daraus nichts Anderes. Nach dieser Entscheidung ist bei der Rechtsmissbrauchskontrolle zugunsten der Forschungseinrichtung zu berücksichtigen, dass es im Verlaufe der langjährigen Beschäftigung aufgrund der weniger als drei Jahre vor Befristungsende erfolgten Qualifizierung zur Study Nurse zu einer Tätigkeitsänderung kommt. Mit diesem Sachverhalt ist der vorliegende Fall nicht vergleichbar.

III. Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 Absatz 1 ZPO.

IV. Gründe für eine Revisionszulassung gemäß § 72 Absatz 2 ArbGG liegen nicht vor.