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Asylrecht - Bangladesch


Metadaten

Gericht VG Frankfurt (Oder) 10. Kammer Entscheidungsdatum 11.06.2021
Aktenzeichen 10 K 586/18.A ECLI ECLI:DE:VGFRANK:2021:0611.10K586.18.A.00
Dokumententyp Urteil Verfahrensgang -
Normen § 4 Abs 3 AsylVfG 1992, § 11 Abs 1 AufenthG, § 4 Abs 3e AsylVfG 1992

Leitsatz

Interner Schutz für alleinstehenden, gesunden jungen Mann in Bangladesch

Tenor

Die Regelung in Ziffer 6 des Bescheides des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge vom 1. September 2017 wird aufgehoben; im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

Der Kläger trägt die Kosten des gerichtskostenfreien Verfahrens.

Tatbestand

Der nach eigenen Angaben am 20. September 1998 in Bangladesch geborene Kläger verließ Bangladesch nach eigenen Angaben im August 2014, reiste über den Irak, die Türkei und schließlich von Griechenland aus mit dem Bus im November 2015 nach Deutschland ein. Hier stellte er am 7. Juni 2017 einen umfassenden Asylantrag.

In seiner Anhörung vor dem Bundesamt für Migration und Flüchtlinge am 30. August 2017 gab der Kläger an, er habe bis eine Woche vor seiner Ausreise mit seinen Eltern und seinem jüngeren Bruder im Dorf Badhughor im Bezirk Brahamanbaria gelebt. Die Schule habe er fünf Jahre lang besucht, danach habe er in einem Gemüseladen gearbeitet und sei mit dieser Tätigkeit der Hauptverdiener seiner Familie gewesen. Seine Eltern hätten Gelegenheitsarbeiten verrichtet; sie hätten deshalb in schlechten wirtschaftlichen Verhältnissen gelebt. Er habe sich eines Tages in ein Mädchen verliebt, das er häufig im Landen gesehen habe und dass aus einer sehr reichen und mächtigen Familie stamme. Auf sein Bitten habe sein Vater bei der Familie für ihn um die Hand des Mädchens angehalten; dies sei erwartungsgemäß jedoch abgelehnt worden. Obwohl seine Eltern ihn gewarnt hätten, keine „Dummheiten“ zu machen, habe er sich mit dem Mädchen getroffen und sei er gemeinsam mit ihr weggelaufen. Sie seien nach Boirob gegangen und hätten sich dort drei bis vier Tage in einem einfachen Hotel aufgehalten, bis er auf dem Rückweg vom Einkaufen einen großen Polizeiwagen mit dem Vater und Bruder des Mädchens vor dem Hotel gesehen und sich versteckt habe. Erst als sie weggefahren seien, sei er nach Kamlapur gefahren und habe Kontakt zu seinem Vater aufgenommen. Dieser habe ihm erzählt, dass die Eltern sowie der Bruder des Mädchens mit der Polizei mehrfach bei ihnen zu Hause gewesen seien und gedroht hätten, für den Fall, dass sie das Mädchen nicht fänden, die ganze Familie zu töten und ihn wegen Vergewaltigung anzuzeigen. Er habe sexuelle Kontakte mit dem Mädchen gehabt; ihnen beiden sei aber nicht bewusst gewesen, dass dies in Bangladesch illegal sei, weil sie selbst noch minderjährig gewesen seien. Sein Arbeitgeber habe ihm schließlich geholfen und habe ihm eine Telefonnummer genannt, unter der er einen Mann erreichen würde, der alles Weitere organisiere. Ein Taxifahrer habe ihn sodann zu einer Adresse gefahren, an der er sich bis zu seiner Ausreise in einem Zimmer aufgehalten habe, bis der Chef ihm einen Pass ausgehändigt habe, mit dem er habe ausreisen können. Als Gegenleistung für seine Hilfe habe der Chef ein Stück von ihrem Grundstück gefordert. Wegen der Vergewaltigungsanzeige habe er keine Chance gehabt, sich in Dhaka ein neues Leben aufzubauen. Sein Bruder habe ihm erzählt, dass er von Polizisten in Zivil per Haftbefehl gesucht werde.

Mit Bescheid vom 1.September 2017 versagte das Bundesamt den Flüchtlingsstatus (Ziffer 1 des Bescheides), lehnte es den Antrag auf Asylanerkennung ab (Ziffer 2), versagte es den subsidiären Schutzstatus (Ziffer 3) und stellte es fest, dass keine Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und Abs. 7 Satz 1 AufenthG vorliegen (Ziffer 4). Ferner forderte es den Kläger auf, die Bundesrepublik Deutschland innerhalb von 30 Tagen nach Bekanntgabe des Bescheides zu verlassen; im Fall einer Klageerhebung 30 Tage nach dem unanfechtbaren Abschluss des Asylverfahrens. Für den Fall der Nichteinhaltung der Ausreisefrist drohte es die Abschiebung nach Bangladesch an (Ziffer 5). Das Einreise- und Aufenthaltsverbot gemäß § 11 Abs. 1 AufenthG befristete das Bundesamt auf 30 Monate ab dem Tag der Abschiebung (Ziffer 6). Das Bundesamt begründete seine ablehnende Entscheidung im Wesentlichen damit, dass dem Kläger eine interne Schutzmöglichkeit in Bangladesch zur Verfügung stehe.

Hiergegen hat der Kläger am 11. September 2017 Klage beim Verwaltungsgericht Potsdam erhoben, die mit Beschluss vom 23. Februar 2018 an das erkennende Gericht verwiesen wurde. Zur Begründung trägt er ergänzend vor, er habe Bangladesch aus begründeter Furcht vor Verfolgung im Sinne von § 3 Abs. 1 AsylG verlassen, weil er sich bei seiner Rückkehr einer Strafverfolgung wegen der ihm vorgeworfenen Vergewaltigung stellen müsse. Dabei seien seine Chancen auf ein faires Gerichtsverfahren sehr gering, weil er mit der Familie des Mädchens einem einflussreichen Gegner gegenüberstehe, der ein persönliches Interesse an seiner Verurteilung habe. Hilfsweise müsse ihm subsidiärer Schutz gewährt sowie eine Begrenzung des Einreise- und Aufenthaltsverbots wegen des Besuchs des Bildungsgangs der Berufsfachschule zum Erwerb beruflicher Grundausbildung und von gleichgestellten Abschlüssen der Sekundarstufe (BFS-G-Plus) zuerkannt werden. Derzeit absolviere er eine Ausbildung im Restaurantfach.

Der in der mündlichen Verhandlung informatorisch angehörte Kläger beantragt,

die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge vom 1. September 2017 zu verpflichten, ihn als Asylberechtigten anzuerkennen und ihm internationalen Schutz zuzuerkennen,

hilfsweise die Beklagte unter entsprechender Aufhebung des genannten Bescheides zu verpflichten festzustellen, dass die Voraussetzungen eines nationalen Abschiebungsverbots in Bezug auf Bangladesch vorliegen.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen,

und nimmt auf den angegriffenen Bescheid des Bundesamtes Bezug.

Die Sache war von der zuvor zuständigen Kammer mit Beschluss vom 16. August 2018 der Einzelrichterin zur Entscheidung übertragen worden. Die Einzelrichterin der nunmehr für das Verfahren zuständigen Kammer hat die Sache mit Beschluss vom 1. Juni 2021 zwecks Bildung einer Kammerrechtsprechung auf die Kammer zurückübertragen.

Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Inhalt der Gerichts- sowie der Bundesamtsakte und namentlich auf die Sitzungsniederschrift Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

Die zulässige Klage ist unter Berücksichtigung aller im Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung erkennbaren Umstände (§ 77 Abs. 1 AsylG) in dem aus dem Tenor ersichtlichen Umfang teilweise begründet, soweit sie sich auf die Anordnung und Befristung des gesetzlichen Einreise- und Aufenthaltsverbots in Ziffer 6 des streitgegenständlichen Bescheides bezieht. Im Übrigen ist die Klage mit den in ihrem Haupt- und Hilfsantrag geltend gemachten Verpflichtungsbegehren unbegründet.

Der Kläger hat keinen Anspruch auf die Anerkennung als Asylberechtigter, die Gewährung internationalen Schutzes oder weiter hilfsweise auf die Feststellung von nationalen Abschiebungsverboten. Insoweit erweist sich der angefochtene Bescheid des Bundesamtes vom 1. September 2017 als rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten (§ 113 Abs. 5 Satz 1 VwGO).

Der mit dem Hauptantrag geltend gemachte Anspruch auf Anerkennung als Asylberechtigter besteht bereits deshalb nicht, weil der Kläger nach seinem Vorbringen in der Anhörung von Griechenland aus auf dem Landweg, mithin über sichere Drittstaaten im Sinne von Art. 16a Abs. 2 GG, nach Deutschland eingereist ist.

Die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft nach § 3 Abs. 1 AsylG kann der Kläger ebenfalls nicht beanspruchen. Nach dieser Vorschrift ist ein Ausländer dann Flüchtling, wenn er sich aus begründeter Furcht vor Verfolgung wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, politischen Überzeugung oder Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe außerhalb des Landes befindet, dessen Staatsangehörigkeit er besitzt und dessen Schutz er nicht in Anspruch nehmen kann oder wegen dieser Furcht nicht in Anspruch nehmen will.

Dafür ist im vorliegenden Fall nichts ersichtlich. Der Kläger hat sowohl in der Anhörung vor dem Bundesamt als auch in der mündlichen Verhandlung geschildert, Bangladesch aus Angst vor den Eltern seiner Freundin wegen der zu dieser aufgenommenen Beziehung verlassen zu haben.

Das geschilderte Vorbringen des Klägers ist zwar glaubhaft, aber rechtlich für die Frage der Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft ohne Bedeutung. Denn auch bei Wahrunterstellung dieses Vorbringens befürchtet der Kläger zum einen bereits keine Verfolgung durch einen Akteur im Sinne von § 3c AsylG, zum anderen ist auch kein Verfolgungsgrund im Sinne von §§ 3 Abs. 1 Nr. 1, 3b AsylG vorgetragen. Die Bedrohung des Klägers durch die Eltern seiner Freundin stellt eine private Drangsalierung dar, die auch nicht an asylrelevante Persönlichkeitsmerkmale anknüpft, sondern allenfalls an bloße Mordvorstellungen bezüglich der „Ehre“ aus Sicht der Eltern nicht akzeptables Verhalten des Klägers ihrer Tochter gegenüber. Eine asylrelevante Verfolgung drohte dem Kläger auch nicht in Gestalt der „angedrohten“ Vergewaltigungsanzeige, da diese zu einer Strafverfolgung, nicht aber zu einer asylrelevanten Verfolgung im vorgenannten Sinne geführt hätte.

Das gesamte erkennbare Vorbringen des Klägers ist darüber hinaus nicht dazu geeignet, einen subsidiären Schutzbedarf i.S.v. § 4 Abs. 1 AsylG zu begründen.

Nach § 4 Abs. 1 Satz 1 AsylG ist ein Ausländer subsidiär Schutzberechtigter, wenn er stichhaltige Gründe für die Annahme vorgebracht hat, dass ihm in seinem Herkunftsland ein ernsthafter Schaden droht. Als ernsthafter Schaden gelten dabei gemäß § 4 Abs. 1 Satz 2 AsylG die Verhängung oder Vollstreckung der Todesstrafe (§ 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 AsylG), Folter oder unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Bestrafung (§ 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 AsylG) oder eine ernsthafte individuelle Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit einer Zivilperson infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen bewaffneten Konflikts (§ 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AsylG).

Die Kammer konnte weder nach Lage der Akten noch nach ihrem Eindruck in der mündlichen Verhandlung die Überzeugung gewinnen, dass dem Kläger in Bangladesch ein ernsthafter Schaden im vorgenannten Sinne droht.

Insbesondere hat er nicht plausibel gemacht, dass ihm die Verhängung oder Vollstreckung der Todesstrafe i. S. d. § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 AsylG droht. Diese ist in Bangladesch zwar für den Straftatbestand der Vergewaltigung vorgesehen (vgl. Auswärtiges Amt, Lagebericht Bangladesch, 21. Juni 2021, Seite 18). Im entscheidungserheblichen Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung ist aber nicht konkret vorgetragen oder sonst erkennbar, dass der Kläger wegen Vergewaltigung verurteilt worden ist oder dass ihm eine solche Verurteilung etwa wegen einer entsprechenden Anzeige oder eines bereits eingeleiteten Strafverfahrens droht. Abgesehen davon, dass der Kläger sich nach seinem Vorbringen nicht der Vergewaltigung schuldig gemacht hat, weil der sexuelle Kontakt zwischen ihm und seiner Freundin einvernehmlich erfolgt sei, hat er auch eine strafrechtliche Verurteilung wegen einer durch die Familie aus Rache erstatteten Anzeige nach Überzeugung der Kammer nicht zu befürchten. Sein diesbezügliches Vorbringen in der Anhörung war so detailarm und vage, dass daraus nicht geschlossen werden kann, dass überhaupt eine Anzeige erstattet worden ist. Jedenfalls hatte sein Vater ihm nach seinen Schilderungen (nur) berichtet, dass die Familie eine Vergewaltigungsanzeige angekündigt habe. Dafür, dass diese auch tatsächlich erstattet worden ist, könnte allein die angebliche Äußerung des seinerzeit höchstens 14 Jahre alten jüngeren Bruders des Klägers sprechen, der ihm gesagt habe, dass Polizisten in Zivil nach ihm gesucht und gesagt hätten, sie hätten einen Haftbefehl. Abgesehen davon, dass der Kläger in der mündlichen Verhandlung auf ausdrückliche Nachfrage klargestellt hat, dass er nicht wisse, ob ein Haftbefehl gegen ihn existiere, wäre dieses Vorbringen auch unplausibel. Denn der Kläger hatte nach seinem Vorbringen zuvor alle wichtigen Fragen den Vorfall betreffend entweder mit seinem Vater oder aber mit seinem Chef besprochen, der auch die Ausreise für ihn organisiert habe. Dass in diesen Gesprächen ein so relevantes Detail wie eine drohende Verhaftung bzw. eine Strafanzeige nicht Thema gewesen sein sollte und er diese Information allein von seinem damals noch sehr jungen Bruder bekommen haben soll, ist lebensfremd. Außerdem soll die Anzeige (nur) für den Fall angedroht worden sein, dass man das zunächst verschwundene Mädchen nicht fände; der Kläger hat jedoch berichtet, dass der Vater und der Bruder samt dem Mädchen vor dem Hotel in Boirob fortgefahren seien.

Der Kläger kann sich ferner nicht darauf berufen, dass ihm wegen einer Verfolgung durch die Familie des Mädchens i. S. v. § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 AsylG in seinem Herkunftsland ein ernsthafter Schaden durch Folter oder unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Bestrafung droht. Zwar kann eine drohende Tötung im Rahmen einer sogenannten Blutrache in der Rechtsprechung als eine Form der geächteten Misshandlung im Sinne von § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 AsylG angesehen werden (vgl. VG Meiningen, Urteil vom 9. Januar 2020 – 8 K 20991/17 – juris Rn. 37 ff). Die Kammer hält es aber nicht für hinreichend wahrscheinlich, dass der Kläger auch nach dem Auftauchen des Mädchens Ziel eines Racheakts der Familie war oder noch immer sein sollte. Nach seinen Einlassungen in der mündlichen Verhandlung will er nicht erinnern, ob der sexuelle Kontakte mit dem Mädchen hatte; jedenfalls seien diese aber nicht so gewesen, dass sie eine Schwangerschaft hätten auslösen können. Außerdem hat er seit dem Tag des Entdecktwerdens durch die Familie keinerlei Kontakt mehr zu dem Mädchen gesucht. Nach dem Eindruck der Kammer ist daher viel eher zu vermuten, dass – nachdem die Beziehung ohne körperliche Konsequenzen geblieben ist – die Affäre in Vergessenheit geraten ist und die Familie des Mädchens selbst bei einer Rückkehr des Klägers kein Interesse daran haben wird, die Sache wieder aufzuwühlen.

Selbst wenn man aber unterstellen würde, dass dem Kläger bei einer Rückkehr in sein Heimatdorf ein ernsthafter Schaden drohen würde, müsste er sich jedenfalls nach § 4 Abs. 3 Satz 1 i.V.m. § 3e AsylG auf die bestehende und zumutbare Möglichkeit der Inanspruchnahme internen Schutzes verweisen lassen.

Nach diesen Vorschriften wird dem Ausländer der subsidiäre Schutz nicht zuerkannt, wenn in einem Teil seines Herkunftslands keine tatsächliche Gefahr eines ernsthaften Schadens besteht oder er Zugang zu Schutz vor einem ernsthaften Schaden hat und sicher und legal in diesen Landesteil reisen kann, dort aufgenommen wird und vernünftigerweise erwartet werden kann, dass er sich dort niederlässt. Zwar fallen nach den der Kammer vorliegenden Erkenntnissen in Bangladesch Neuankömmlinge in Städten wegen fehlender familiärer Bindungen und aufgrund der engen Nachbarschaftsverhältnisse auf, was der Anonymität auch in Städten gewisse Grenzen setzt (AA, Lagebericht Bangladesch, Stand: Mai 2020, S. 16). Allerdings existiert kein staatliches Meldewesen, so dass aufgrund des Bevölkerungsreichtums und der nur schwach ausgeprägten staatlichen Strukturen insbesondere für Opfer lokaler, politisch motivierter Verfolgung das Ausweichen in andere Landesteile eine plausible Alternative sein kann (BFA, Länderinformationsblatt Bangladesch, 18. November 2020, S. 38). Die geschilderte Situation des Klägers ist nach Einschätzung der Kammer mit einem auf lokaler Ebene politisch Verfolgten vergleichbar, so dass sie zu der Überzeugung gelangt, dass der Kläger jedenfalls in einer der großen Städte, wie Dhaka (ca. 2 Mio. Einwohner), Chittagong (ca. 5 Mio. Einwohner), Khulma (ca. 1 Mio. Einwohner) oder Rajhahi (ca. 1 Mio. Einwohner) Ausweichmöglichkeiten vorfinden wird. Er würde allein der Verfolgung einer lokal, also im Heimatdorf des Klägers zwar durchaus mächtigen Familie unterliegen; Anhaltspunkte dafür, dass die Familie auch über landesweite Einflussmöglichkeiten verfügt, sind aber weder vorgetragen noch sonst erkennbar. Die Inanspruchnahme internen Schutzes ist dem Kläger nach Überzeugung der Kammer auch möglich und zumutbar; insbesondere kann es ihm gelingen, auf der Basis der wirtschaftlichen und sozialen Verhältnisse in Bangladesch unter Berücksichtigung seiner persönlichen Umstände eine ausreichende Lebensgrundlage zu finden, sodass zumindest sein Existenzminimum gewährleistet ist (vgl. z. B. BVerwG, Urteil vom 31. Januar 2013 – 10 C 19.08 – juris Rn. 16).
Nach den der Kammer vorliegenden Erkenntnissen gilt dies, obwohl aktuell die COVID-Krise Bangladesch sehr hart trifft. Seit März 2020 wurde ein umfassender Lockdown verhängt, der allerdings schon im Mai 2020 aufgehoben wurde, weil er wirtschaftlich nicht mehr vertretbar war; etwa 36 Mio. Menschen verloren in diesem Zusammenhang ihre Arbeit, 25 Mio rutschten zurück in die absolute Armut. Gleichwohl hat sich die Grundversorgung mit Nahrungsmitteln in den vergangenen Jahren wesentlich verbessert. Bangladeschs Wirtschaft ist seit 2005 jährlich um rund sechs Prozent gewachsen, trotz politischer Instabilität, schlechter Infrastruktur, Korruption, unzureichender Stromversorgung und langsamer Umsetzung der Wirtschaftsreformen. Die Verarbeitung von Produkten der Landwirtschaft und die Textilindustrie sind die wichtigsten Zweige des industriellen Sektors, auf den 2017 geschätzt 29,3 Prozent des BIP gefallen sind. Wegen der stark ausgeprägten Arbeitsmigration existieren zahlreiche Organisationen, die sich der Bedürfnisse der Wanderarbeiter vor Ausreise und nach Rückkehr annehmen und die auch für zurückgeführte Personen aktiv werden (AA, Lagebericht Bangladesch, Stand: Mai 2020, S. 20). Bei regionaler Lebensmittelknappheit werden von der Regierung Bezugsscheine für staatliche Nothilferationen ausgegeben. Sonstige staatliche Hilfen für bedürftige Personen gibt es nicht, aufgrund des Fehlens eines staatlichen Sozialversicherungssystems muss allgemein auf Hilfe innerhalb von Familienstrukturen zurückgegriffen werden. Preissteigerungen bei Lebensmitteln von bis zu 70% betreffen nach alledem besonders den armen Teil der Bevölkerung. Allerdings verfügt Bangladesch über ein hervorragendes Netz an sogenannten Mikrokreditinstituten, die Millionen Bangladeschis effektiv bei ihrem Weg aus der Armut unterstützen (vgl. BFA, Länderinformationsblatt Bangladesch, S. 41 f.).
Vor diesem Hintergrund und unter Berücksichtigung der persönlichen Situation des Klägers ist die Kammer davon überzeugt, dass dieser trotz der schwierigen Verhältnisse in Bangladesch die Möglichkeit haben wird, sich dort eine Existenzgrundlage aufzubauen und so jedenfalls seine elementaren Grundbedürfnisse zu befriedigen.
Der 1998 geborene Kläger hat fünf Jahre die Schule besucht und bereits vor seiner Ausreise im Alter von 16 Jahren mit seiner beruflichen Tätigkeit in einem Gemüseladen als Hauptverdiener zum Lebensunterhalt seiner Familie beigetragen. Auch während seiner Flucht ist es ihm gelungen, im Irak durch eine Tätigkeit in einem Fitnessstudio seinen Lebensunterhalt und seine Weiterreise zu finanzieren. Gesundheitliche Einschränkungen sind nicht vorgetragen und auch nicht erkennbar, so dass keine Anhaltspunkte dafür vorliegen, weshalb es dem Kläger nicht möglich sein sollte, in anderen Landesteilen Bangladeschs als seiner Heimatregion Fuß zu fassen und auch hier seinen Lebensunterhalt zu bestreiten. Dass er sich in einer ihm unbekannten Umgebung behaupten kann, hat er durch seine alleinunternommene Reise nach Europa bewiesen. Erforderlich und ausreichend ist zudem, dass der Kläger durch eigene, notfalls auch wenig attraktive und seiner Vorbildung nicht entsprechende Arbeit, die grundsätzlich zumutbar ist, oder durch Zuwendungen von dritter Seite jedenfalls nach Überwindung von Anfangsschwierigkeiten das zu seinem notwendigen Lebensunterhalt Erforderliche erlangen kann. Zu den danach zumutbaren Arbeiten gehören auch Tätigkeiten, für die es keine Nachfrage auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt gibt, die nicht den überkommenen Berufsbildern entsprechen, etwa weil sie keinerlei besondere Fähigkeiten erfordern, und die nur zeitweise, etwa zur Deckung eines kurzfristigen Bedarfs, beispielsweise in der Landwirtschaft oder im Bausektor, ausgeübt werden können (vgl. VG Frankfurt [Oder], Urteil vom 24. September 2020 - VG 4 K 1471/16.A juris). Dass es ihm gelingen kann, seinen Lebensunterhalt zu verdienen, hat er bereits vor und auch nach seiner Ausreise gezeigt. Sollte er doch auf Schwierigkeiten stoßen, könnte er gegebenenfalls auf die Unterstützung etwaiger Hilfsorganisationen nach Einschätzung der Kammer aber jedenfalls auf die seines ehemaligen Chefs, mit dem er nach wie vor in Kontakt steht, zurückgreifen.
An der Möglichkeit des internen Schutzes des Klägers in Bangladesch ändert auch die weltweite COVID-19-Pandemie nichts. Der junge und gesunde Kläger hat nicht substantiiert vorgebracht, dass und inwieweit ihm persönlich aufgrund der Pandemie zum jetzigen Zeitpunkt eine konkrete Gefahr mit beachtlicher bzw. hoher Wahrscheinlichkeit drohen könnte.
Der Kläger kann sich auch nicht auf ein zielstaatsbezogenes Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 5 oder Abs. 7 Satz 1 AufenthG berufen. Solche Abschiebungsverbote liegen nicht vor.
Nach § 60 Abs. 5 AufenthG darf ein Ausländer nicht abgeschoben werden, soweit sich aus der EMRK ergibt, dass die Abschiebung unzulässig ist. Die Abschiebung eines Ausländers ist nach der Rechtsprechung des EGMR insbesondere dann mit Art. 3 EMRK unvereinbar, wenn stichhaltige Gründe für die Annahme bestehen, dass der Betroffene im Fall seiner Abschiebung der ernsthaften Gefahr („real risk“) der Todesstrafe, der Folter oder der unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung oder Bestrafung ausgesetzt wäre (vgl. hierzu EGMR, Entscheidung vom 23. März 2016, F.G. gegen Schweden, Nr. 43611/11, Rn. 110 m. w. N. und vom 28. Juni 2011, Sufi und Elmi gegen Vereinigtes Königreich, Nr. 8319/07 u.a., Rn. 212). Derartiges liegt, wie bereits vorstehend ausgeführt, aufgrund der vom Kläger individuell vorgebrachten Gründe und der Sicherheitslage in der Herkunftsregion des Klägers nicht vor. Auch die – wie dargestellt – ungünstigen humanitären und wirtschaftlichen Bedingungen in Bangladesch begründen für sich genommen kein Abschiebungsverbot. Wie bereits ausgeführt, wird der Kläger nach Überzeugung der Kammer im Fall seiner Rückkehr nach Bangladesch in der Lage sein, zumindest das Existenzminimum sicherzustellen. Ein Abschiebungsverbot auf der Grundlage des § 60 Abs. 5 AufenthG kommt daher nicht in Betracht.
Der Kläger hat auch keinen Anspruch auf die Feststellung eines Abschiebungsverbots im Sinne von § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG. Nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG soll von der Abschiebung eines Ausländers in einen anderen Staat abgesehen werden, wenn dort für diesen Ausländer eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit besteht. Allgemeine Gefahren, die nicht nur dem Ausländer persönlich, sondern zugleich der gesamten Bevölkerung oder einer Bevölkerungsgruppe drohen, sind gemäß § 60 Abs. 7 Satz 6 AufenthG jedoch bei Anordnungen zur vorübergehenden Aussetzung von Abschiebungen nach § 60a Abs. 1 Satz 1 AufenthG zu berücksichtigen und begründen demnach grundsätzlich kein Abschiebungsverbot gemäß § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG. Etwas anderes gilt nur im Falle einer extremen allgemeinen Gefahrenlage, die jeden einzelnen Ausländer im Falle seiner Abschiebung gleichsam sehenden Auges dem sicheren Tod oder schwersten Verletzungen ausliefern würde (vgl. BVerwG, Urteil vom 17. Oktober 1995 – 9 C 9.95 – BVerwGE 99, 324; Urteil vom 19. November 1996 – 1 C 6.95 – BVerwGE 102, 249; Urteil vom 8. Dezember 1998 – 9 C 4.98 – BVerwGE 108,77; Urteil vom 12. Juli 2001 – 1 C 2.01 – BVerwGE 114, 379; Urteil vom 8. September 2011 – 10 C 14.10 – juris Rn. 22 f.; Urteil vom 29. Juni 2010 – 10 C 10.09 – juris Rn. 14 f.)
Bei Anlegung dieser Maßstäbe ist für die Kammer nicht erkennbar, dass dem Kläger bei einer Rückkehr nach Bangladesch aufgrund der dort herrschenden (allgemeinen) Bedingungen eine ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG begründende extreme Gefahr drohen würde. Auch wenn die wirtschaftliche sowie die soziale Lage in Bangladesch – jedenfalls im Vergleich mit europäischen Staaten – insgesamt schwierig ist, wird – wie bereits ausgeführt – der Kläger nach Überzeugung der Kammer im Fall seiner Rückkehr nach Bangladesch in der Lage sein, – auch unter Berücksichtigung der Covid-19-Pandemie – zumindest das Existenzminimum sicherzustellen. Es gibt aus der Sicht der Kammer auch keine hinreichenden Anhaltspunkte dafür, dass die Gefahr für den Kläger, sich in Bangladesch mit SARS-CoV-2 zu infizieren, nach Art, Ausmaß und Intensität von einem solchen Gewicht ist, dass sich daraus bei objektiver Betrachtung die begründete Furcht ableiten lässt, er werde in erheblicher Weise ein Opfer einer extremen allgemeinen Gefahrenlage.

Eine solche extreme, konkrete Gefahrenlage vermag die Kammer für den jungen gesunden Kläger im Hinblick auf die Verbreitung des „Coronavirus" nicht zu erkennen, da er ohne erkennbare Vorerkrankungen nicht zu der Personengruppe mit einem höheren Risiko für einen schweren, möglicherweise lebensbedrohlichen Verlauf der COVID-19-Erkrankung (vgl. Robert Koch-Institut, Informationen und Hilfestellungen für Personen mit einem höheren Risiko für einen schweren COVID-19-Verlauf;
https://www.rki.de/DE/Content/InfAZ/N/Neuartiges Coronavirus/Risikogruppen.html, Stand: 26. August 2020) gehört. Angesichts einer aktuellen Siebentageinzidenz von 8,8 (vgl. corona-in-zahlen-weltweit, abgerufen am 11. Juni 2021) erscheint die Pandemiegefahr in Bangladesch als beherrschbar.

Die Abschiebungsandrohung begegnet keinen rechtlichen Bedenken.

Die Klage hat allerdings mit der Anfechtung des Einreise- und Aufenthaltsverbots in Ziffer 6 des Bescheides Erfolg. Die Regelung erweist sich nunmehr als rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO.

Nach § 11 Abs. 1 S. 1 AufenthG ist gegen einen Ausländer, der ausgewiesen, zurückgeschoben oder abgeschoben worden ist, ein Einreise- und Aufenthaltsverbot zu erlassen. Das Verbot ist bei seinem Erlass von Amts wegen zu befristen, die Länge steht im Ermessen der Beklagten (§ 11 Abs. 2 S. 3 und Abs. 3 S. 1 AufenthG). Gemäß § 114 Satz 1 VwGO ist diese Ermessensentscheidung gerichtlich nur eingeschränkt überprüfbar; als beachtliche Ermessensfehler kommen nur eine Ermessensüberschreitung oder ein Ermessensfehlgebrauch in Betracht, was auch den Fall miteinschließt, dass die Behörde das ihr eingeräumte Ermessen nicht erkannt hat (OVG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 6. Juli 2020 – OVG 3 B 2/20 – juris Rn. 32).
Vorliegend hat die Beklagte von ihrem Ermessen nicht ausreichend Gebrauch gemacht. Notwendig bei dieser Einzelfallentscheidung ist eine Abwägung zwischen dem öffentlichen Interesse, den Ausländer eine gewisse Zeit vom Bundesgebiet fernzuhalten, und dem privaten Interesse des Ausländers an einer baldigen Wiedereinreise und einem erneuten Aufenthalt in Deutschland (vgl. Bayerischer VGH, Beschluss vom 6. April 2017 – 11 ZB 17.30317 – juris Rn. 12). In die Ermessensentscheidung einzubeziehen sind insbesondere auch Integrationsleistungen des Ausländers, wie z.B. eine im Inland begonnene oder abgeschlossene Ausbildung und – schon im Hinblick darauf notwendigerweise vorhandene – gute Sprachkenntnisse, soweit der Ausländer die Sprachkenntnisse während des Aufenthalts in Deutschland erlangt hat; solchen Integrationsleistungen kommt maßgebliche Bedeutung für die Frage zu, wie stark die Bindungen des Ausländers an das Bundesgebiet sind. Dabei sind nicht ausschließlich solche Aspekte zu berücksichtigen, die eine baldige Wiedereinreise erforderlich machen. Für die Tragweite des Freiheitseingriffs können auch Integrationsleistungen relevant sein, die unterhalb dieser Schwelle liegen (vgl. OVG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 6. Juli 2020 – OVG 3 B 2/20 – juris Rn. 37 und 41; VG Potsdam, Urteil vom 31. März 2021, - VG 13 K 1078/17.A - juris Rn. 40).
Die Beklagte ist mit der hier streitigen Ermessensentscheidung ihrer ständigen Verwaltungspraxis zu § 11 Abs. 3 Satz 1 AufenthG gefolgt, wonach in Fällen, in denen keine individuellen Gründe für Bindungen an Deutschland vorgebracht werden oder ersichtlich sind, generell aus Gründen der Gleichbehandlung ein auf 30 Monaten befristetes Einreise- und Aufenthaltsverbot festgesetzt und damit das in § 11 Abs. 3 Satz 2 AufenthG festgelegte Höchstmaß von fünf Jahren zur Hälfte ausgeschöpft wird. Damit wird sie den individuellen Umständen des Klägers nicht gerecht, weil diesersich aktuell in einer Ausbildung zum Restaurantfachmann in Neuruppin befindet, zuvor einen Schulabschluss der 10. Klasse absolviert hat und nach dem von der Kammer in der mündlichen Verhandlung gewonnen Eindruck über sichere Deutschkenntnisse verfügt.
Die Beklagte ist gehalten, diese persönlichen Umstände in eine Abwägung einzustellen. Eine derartige Differenzierung ist mit Blick auf den Grund- und Menschenrechtsschutz der Betroffenen aus Art. 7 GRCh, Art. 8 Abs. 1 EMRK und Art. 2 Abs. 1 GG einerseits und das Gleichbehandlungsgebot des Art. 3 Abs. 1 GG andererseits zwingend geboten (vgl. OVG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 6. Juli 2020 – OVG 3 B 2/20 – juris Rn. 49, VG Potsdam, Urteil vom 31. März 2021, - VG 13 K 1078/17.A -, juris Rn. 41) und blieb vorliegend aus.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 155 Abs. 1 Satz 3 VwGO; danach sind die Kosten dem Kläger ganz aufzuerlegen, da der Bescheid weit überwiegend rechtmäßig ist. Gerichtskosten werden gem. § 83b AsylG nicht erhoben.