Gericht | LArbG Berlin-Brandenburg 26. Beschwerdekammer | Entscheidungsdatum | 24.06.2021 | |
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Aktenzeichen | 26 TaBV 785/21 | ECLI | ECLI:DE:LAGBEBB:2021:0624.26TABV785.21.00 | |
Dokumententyp | Beschluss | Verfahrensgang | - | |
Normen | § 100 ArbGG, § 87 BetrVG, § 87 Abs 1 Nr 5 BetrVG |
1. Das Mitbestimmungsrecht nach § 87 Abs. 1 Nr. 5 BetrVG besteht in jedem Einzelfall (vgl. Fitting § 87 BetrVG Rn. 206; HaKo-BetrVG/Kothe § 87 Rn. 65; NK-ArbR/Schwarze § 87 BetrVG Rn. 143; DKW/Klebe § 87 Rn. 149; HWGNRH/Worzalla § 87 Rn. 333; ErfK/Kania § 87 Rn. 46; Stege/Weinspach/Schiefer § 87 Rn. 103 mwN).
2. Die Gewährung des Urlaubs hat regelmäßig auch dann, wenn es um die Bewilligung für ein konkretes Belegschaftsmitglied geht, Auswirkungen nicht nur bezogen auf den konkreten Einzelfall, sondern auch auf sonstige Belegschaftsmitglieder (vgl. BAG 28. Mai 2002 – 1 ABR 37/01, Rn. 50, 53).
3. Soweit es gerade auch um eine Mitbeurteilung durch den Betriebsrat im Einzelfall gehen kann, widerspricht das der Notwendigkeit der Beteiligung des Betriebsrats nicht (HaKo-BetrVG/Kothe § 87 Rn. 65 mwN; Richardi § 87 Rn. 464 ff.).
Die Beschwerde der Arbeitgeberin gegen den Beschluss des Arbeitsgerichts Berlin vom 11. Mai 2021 – 6 BV 4890/21 - wird zurückgewiesen.
I.
Die Beteiligten streiten über die Einsetzung einer Einigungsstelle zur Klärung der zeitlichen Lage des Urlaubs eines Betriebsratsmitglieds vor dem Hintergrund der Ablehnung einer Urlaubsbewilligung.
Die Arbeitgeberin ist auf verschiedenen Gebieten der Kinder- und Jugendhilfe sowie der Fortbildung von Fachkräften tätig. Bei ihr sind ca. 1.300 Personen beschäftigt. Die Arbeitgeberin betreibt ua die A-Schule in Berlin-Kreuzberg. Dort ist das Belegschaftsmitglied B als Erzieher im sozialpädagogischen Bereich beschäftigt. Die Arbeitgeberin hat Urlaubsanträge dieses Mitarbeiters mit der Begründung abgelehnt, dass Urlaub von 30 Tagen außerhalb der Ferien nicht gewährt werden könne. Der Urlaub müsse während der Schulferien bzw. zwischen Weihnachten und Neujahr genommen werden. Herr B stellte daraufhin einen weiteren Antrag, der dann ua mit der Begründung abgelehnt wurde, es sei ungünstig, den überwiegenden Teil des Urlaubs in die zweite Jahreshälfte zu verlegen, da am Ende des Schuljahres eine Klassenabgabe bevorstehe. Verständigungsbemühungen seitens des Herrn B blieben ergebnislos. Auch eine über den Betriebsrat an die Arbeitgeberin gerichtete Beschwerde blieb ohne Erfolg. Sie habe wirksam trägerweite Schließzeiten zwischen Weihnachten und Sylvester angeordnet, so die Arbeitgeberin. Eine Einigung kam zwischen den Betriebsparteien nicht zustande.
Der Betriebsrat hat die Ansicht vertreten, ihm stehe ein Mitbestimmungsrecht auch in Bezug auf die zeitliche Lage des Urlaubs einzelner Belegschaftsmitglieder zu. Jedenfalls habe sich die Arbeitgeberin auch selbst darauf bezogen, dass sie einem anderen Mitarbeiter bereits Urlaub im fraglichen Zeitraum bewilligt habe. Es gehe also auch um konkurrierende Urlaubsansprüche unter den Belegschaftsmitgliedern.
Der Betriebsrat hat beantragt,
1. den Richter am Arbeitsgericht C zum Vorsitzenden einer Einigungsstelle bei der Antragsgegnerin über die zeitliche Lage des Urlaubs des Betriebsratsmitglieds und Mitarbeiters der Arbeitgeberin Herrn B zu bestellen,
2. die Zahl der von jeder Seite zu benennenden Beisitzer auf zwei interne und einen externen Beisitzer festzusetzen.
Die Arbeitgeberin hat beantragt, die Anträge zurückzuweisen. Sie hat die Ansicht vertreten, das in Anspruch genommene Mitbestimmungsrecht bestehe offenkundig nicht. Der Betriebsrat habe nicht in jedem Einzelfall mitzubestimmen. Es handele sich nicht um einen generellen, kollektiven Tatbestand. Zwar müsse nicht die gesamte Belegschaft oder eine durch besondere Merkmale abgrenzbare Gruppe betroffen sein. Es müsse aber immer um mehrere und damit um mindestens zwei Belegschaftsmitglieder gehen. Der einzelne Arbeitnehmer sei hinreichend durch § 7 Abs. 1 BUrlG geschützt. Der Weg über die Einigungsstelle stelle eine Umgehung des § 12a ArbGG dar. Es sei ihr auch nicht klar, von welchem Mitarbeiter die Rede sei, wenn dargelegt werde, es solle bereits einem anderen Mitarbeiter Urlaub gewährt worden sein. Zudem komme dem Betriebsrat insoweit nur ein Mitbeurteilungsrecht zu.
Das Arbeitsgericht hat eine Einigungsstelle unter dem Vorsitz des Richters am Arbeitsgericht C eingesetzt und das damit begründet, selbst wenn die zeitliche Lage des Mitarbeiters B nicht mit der eines anderen Mitarbeiters kollidiere, sei der Mitbestimmungstatbestand des § 87 Abs. 1 Nr. 5 BetrVG gegeben. Das Mitbestimmungsrecht bestehe selbst dann, wenn kein Konflikt mit den Urlaubsansprüchen anderer Belegschaftsmitglieder bestehe und allein die zeitliche Lage des Urlaubs zwischen dem Arbeitgeber und dem Arbeitnehmer streitig sei.
Die Arbeitgeberin hat gegen den ihr am 19. Mai 2021 zugestellten Beschluss mit einem bei dem Landesarbeitsgericht am 2. Juni 2021 eingegangenen Schriftsatz Beschwerde eingelegt. Zur Begründung der Beschwerde wiederholt sie im Wesentlichen ihren erstinstanzlichen Vortrag. Außerdem könne der Betriebsrat nach § 85 Abs. 2 Satz 3 BetrVG nicht die Einigungsstelle anrufen, wenn Gegenstand der Beschwerde ein Rechtsanspruch sei. Um einen solchen Anspruch gehe es hier aber gerade. Es bestehe allenfalls ein Mitbeurteilungsrecht.
Die Arbeitgeberin beantragt,
den Beschluss des Arbeitsgerichts Berlin vom 11. Mai 2021 – 6 BV 4890/21 – abzuändern und die Anträge des Betriebsrats zurückzuweisen.
Der Betriebsrat beantragt, die Beschwerde zurückzuweisen. Von offensichtlicher Unzuständigkeit könne schon deshalb keine Rede sein, weil es der überwiegenden Ansicht in der Literatur entspreche, dass ein Mitbestimmungsrecht in dieser Konstellation gegeben sei, und zwar auch dann, wenn es keinen Konflikt mit den Urlaubswünschen anderer Belegschaftsmitglieder gebe. Auf § 85 Abs. 2 BetrVG habe er sich zu keinem Zeitpunkt bezogen.
Wegen der Einzelheiten wird Bezug genommen auf die Schriftsätze der Beteiligten vom 2. Juni 2021 und vom 15. Juni 2021.
II.
Die zulässige Beschwerde ist unbegründet.
1) Im Verfahren nach § 100 ArbGG ist die gerichtliche Zuständigkeitsprüfung der Einigungsstelle weitgehend eingeschränkt. Der Antrag auf Errichtung einer Einigungsstelle nach § 76 Abs. 2 Satz 2 und 3 BetrVG kann nach § 100 Abs. 1 Satz 2 ArbGG nur zurückgewiesen werden, wenn diese offensichtlich unzuständig ist. Offensichtliche Unzuständigkeit liegt vor, wenn bei fachkundiger Beurteilung durch das Gericht sofort erkennbar ist, dass das in Anspruch genommene Mitbestimmungsrecht unter keinem denkbaren rechtlichen Gesichtspunkt in Frage kommt. Dies erklärt sich aus den Besonderheiten des Bestellungsverfahrens, das darauf gerichtet ist, den Betriebspartnern, die keine ständige Einigungsstelle eingerichtet haben, im Bedarfsfalle beim Auftreten von Meinungsverschiedenheiten möglichst rasch eine formal funktionsfähige Einigungsstelle zur Verfügung zu stellen. Diese Zielsetzung erfordert ein unkompliziertes Bestellungsverfahren ohne zeitraubende Prüfung schwieriger Rechtsfragen (vgl. BAG 24. November 1981 - 1 ABR 42/79, zu B 1 der Gründe). Dem entspricht das vereinfachte gerichtliche Verfahren ohne Hinzuziehung der ehrenamtlichen Richterinnen und Richter unter Ausschluss der Rechtsbeschwerde. Der eingeschränkte Prüfungsmaßstab korrespondiert damit, dass die Einigungsstelle die Vorfrage ihrer Zuständigkeit selbst prüft und sich, wenn sie diese nicht für gegeben hält, für unzuständig erklären kann (vgl. BAG 30. Januar 1990 - 1 ABR 2/89, zu B I 5 der Gründe, mwN). Die Entscheidung des Arbeitsgerichts bindet die Einigungsstelle insoweit nicht. Sie kann ungeachtet ihrer Errichtung im Bestellungsverfahren ihre Zuständigkeit verneinen und damit eine Regelung ablehnen. Die Sachverhaltsaufklärung ist auf Tatsachen zur „offensichtlichen Unzuständigkeit“ der Einigungsstelle beschränkt, da die endgültige Klärung der Zuständigkeit der Einigungsstelle einem gesonderten Beschlussverfahren vor der vollbesetzten Kammer vorbehalten ist (vgl. BVerfG 24. September 1986 – 1 BvR 1481/83).
2) Die Einigungsstelle ist nicht offensichtlich unzuständig.
a) Nach ganz überwiegender Auffassung in der Literatur besteht das Mitbestimmungsrecht nach § 87 Abs. 1 Nr. 5 BetrVG in jedem Einzelfall (vgl. Fitting § 87 BetrVG Rn. 206; HaKo-BetrVG/Kothe § 87 Rn. 65; NK-ArbR/Schwarze § 87 BetrVG Rn. 143; DKW/Klebe § 87 Rn. 149; HWGNRH/Worzalla § 87 Rn. 333; ErfK/Kania § 87 Rn. 46; Stege/Weinspach/Schiefer § 87 Rn. 103 mwN). Nach Sinn und Zweck des § 87 Abs. 1 Nr. 5 BetrVG soll der Betriebsrat mitbestimmen bei der Harmonisierung der auf den Erhalt von Freizeit gerichteten Urlaubswünsche der einzelnen Arbeitnehmer untereinander und beim Ausgleich dieser Wünsche mit den betrieblichen Interessen an der Kontinuität des Betriebsablaufs. Grund für die Mitbestimmung des Betriebsrats ist das Bedürfnis nach einer kollektiven Regelung (vgl. BAG 10. Dezember 2002 – 1 ABR 27/01, Rn. 41). Die Gewährung des Urlaubs hat regelmäßig auch dann, wenn es um die Bewilligung für ein konkretes Belegschaftsmitglied geht, Auswirkungen nicht nur bezogen auf den konkreten Einzelfall, sondern auch auf sonstige Belegschaftsmitglieder (vgl. BAG 28. Mai 2002 – 1 ABR 37/01, Rn. 50, 53). Hier kommt hinzu, dass tatsächlich ein kollektiver Bezug auch dadurch besteht, dass es der Arbeitgeberin darum geht, Urlaubswünschen generell nicht außerhalb der Ferienzeiten nachkommen zu wollen.
Soweit es gerade auch um eine Mitbeurteilung durch den Betriebsrat im Einzelfall gehen kann, widerspricht das der Notwendigkeit der Beteiligung des Betriebsrats entgegen der Ansicht der Arbeitgeberin gerade nicht (HaKo-BetrVG/Kothe § 87 Rn. 65 mwN; Richardi § 87 Rn. 464 ff.). § 85 Abs. 2 Satz 3 BetrVG steht dem schon deshalb nicht entgegen, weil es sich hier nicht um ein Verfahren nach dieser Norm, sondern nach § 87 Abs. 2 BetrVG handelt. Kein Mitbestimmungsrecht besteht allerdings bei der Frage, in welchem Umfang dem einzelnen Belegschaftsmitglied Urlaub zusteht. Einen Anspruch auf Urlaub setzt das Mitbestimmungsrecht voraus. Darum geht es hier aber nicht.
III.
Die Entscheidung ergeht nach § 2 Abs. 2 GKG gerichtskostenfrei.
IV.
Gegen die Entscheidung ist ein Rechtsmittel nicht vorgesehen, § 100 Abs. 2 GKG.