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Entscheidung 2 K 642/18.A


Metadaten

Gericht VG Frankfurt (Oder) 2. Kammer Entscheidungsdatum 04.05.2021
Aktenzeichen 2 K 642/18.A ECLI ECLI:DE:VGFRANK:2021:0504.2K642.18.A.00
Dokumententyp Urteil Verfahrensgang -
Normen

Tenor

Die Beklagte wird unter Aufhebung des Bescheides des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge vom 27. Februar 2018 verpflichtet, den Kläger als Asylberechtigten anzuerkennen und ihm den Flüchtlingsstatus zuzuerkennen.

Die Beklagte trägt die Kosten des gerichtskostenfreien Verfahrens.

Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Die Beklagte darf eine Vollstreckung des Klägers gegen Sicherheitsleistung oder Hinterlegung i.H.v. 110 % des vollstreckbaren Betrages abwenden, falls der Kläger nicht zuvor Sicherheit i.H.v. 110 % des zu vollstreckenden Betrages leistet.

Tatbestand

Der 1975 in Lahore/Pakistan geborene Kläger erhielt ein erstes Mal im April 2012 ein Schengen-Visum der Deutschen Botschaft Islamabad; am 29. Mai 2015 wurde ihm ebenfalls durch die Deutsche Botschaft Islamabad ein Schengen-Visum, gültig für drei Jahre, in seinen pakistanischen Reisepass erteilt. Am 13. Februar 2018 meldete sich der Kläger in Berlin unter Vorlage seines Reisepasses als Asylsuchender und am 19. Februar 2018 stellte er bei der Außenstelle Eisenhüttenstadt des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge (Bundesamt) einen unbeschränkten Asylantrag, nachdem er am 9. Februar 2018 von Pakistan aus- und nach Deutschland eingereist sei.

Zur Begründung seines Asylantrags gab der Kläger am 22. Februar 2018 gegenüber dem Bundesamt im Wesentlichen an, seine Visa im Zusammenhang mit seiner Tätigkeit bei der KFW-Bank für Geschäftsreisen beantragt und genehmigt bekommen zu haben. Er sei 2012, 2015, 2016 und zuletzt 2017 in Deutschland gewesen; die ersten drei Mal für jeweils 10 Tage geschäftlich und das letzte Mal als Tourist für einen Monat. Bis Juni 2017 habe er für die KFW-Bank gearbeitet, dann bis zur Ausreise nicht mehr. Er sei für seine christliche Organisation „Shine Kids Ministry“ tätig gewesen, die er 2011 gegründet habe. Hierbei sei es darum gegangen, Kinder in Religion zu unterrichten, Bibeln zu verteilen und in den Kirchen Bibelunterricht für Kinder zu erteilen. Innerhalb seiner christlichen Organisation sei er als Priester ausgebildet worden und habe er an verschiedenen Orten in Pakistan Bibelarbeit gemacht. Nach einer Bibelarbeit in Dikhan am 13. Dezember 2015 sei er von Islamisten misshandelt und dazu aufgefordert worden, nie mehr in die Gegend zurückzukehren. Im August 2016 habe er einen Drohbrief an seine frühere Anschrift in Rawalpindi erhalten, wonach er mit dem Missionieren aufhören solle. Er habe seine Bibelarbeit aber fortgesetzt und dann einen weiteren Drohbrief nach Peshawar übersandt bekommen, wonach dies die letzte Warnung sei. Danach habe er zunächst nicht gewusst, was er weiter machen solle, und seine Tätigkeit bei der KFW-Bank aufgegeben. Im Juni 2017 sei er dann für einen Monat nach Europa gefahren. Die Ehefrau und seine beiden Kinder habe er derweil nach Lahore zu seiner Mutter gebracht. Nach seiner Rückkehr nach Pakistan habe er die Gemeindearbeit fortgesetzt und z. B. im November 2017 in Murree an einem Treffen teilgenommen und im Dezember 2017 in Khyber-Paktunkwah Bibeln verteilt. Danach habe er am 10. Januar 2018 eine schriftliche Fatwa erhalten. Daraufhin sei er mit seiner Frau und den Kindern nach Islamabad in ein Mietshaus verzogen. Auf dem Heimweg von einer Bibelarbeit in Islamabad sei er am 7. Februar 2018 von zwei Motorradfahrern angegriffen worden, die weggerannt seien, als ein weiteres Auto hinzugekommen sei, und dabei gerufen hätten, dass sie ihn töten wollten. Dies habe er am Folgetag bei der Polizei angezeigt. Seine Ehefrau und die Kinder habe er zu einem Freund gebracht und er selbst sei am darauffolgenden Tag, dem 9. Februar 2018, ausgereist. Inzwischen lebten seine Frau und die Kinder wieder im letzten Mietshaus in Islamabad. Die drei Drohschreiben seien alle nach Rawalpindi an die letzte Anschrift adressiert gewesen, bis er am 10. Januar 2018 nach Islamabad verzogen sei. Er habe auch nicht zu seinen Angehörigen, der Mutter und seinen Schwestern, nach Lahore gehen können, da er für seine Familienangehörigen keine Probleme habe bereiten wollen. In Pakistan gebe es für Christen keine sicheren Orte; erst nach Erhalt der Fatwa habe er mit seiner religiösen Tätigkeit aufgehört. Nunmehr sei es ihm zu viel geworden. Wegen seiner christlichen Tätigkeit, die er in Pakistan fortsetzen würde, sei er überall in Pakistan in Gefahr. Zwar habe er unter Angst seiner Tätigkeit nachgehen und sonntags zum Beten gehen können; auch habe er mit christlichen Kindern in den Kirchen arbeiten und in den Slums auch muslimische Kinder ansprechen können. Seit Erhalt der Fatwa habe er aber Angst, getötet zu werden.

Das Bundesamt lehnte den Asylantrag des Klägers mit am 5. März 2018 aufgegebenem Bescheid vom 27. Februar 2018 ab, forderte den Kläger unter Androhung der Abschiebung nach Pakistan zur Ausreise innerhalb 30 Tagen nach Abschluss des Asylverfahrens auf und verfügte ein auf 30 Monate befristetes Einreise- und Aufenthaltsverbot. Zur Begründung heißt es im Wesentlichen, dass Christen in Pakistan keiner Gruppenverfolgung unterlägen, da die einschlägige Verfolgungsdichte nicht erreicht werde. Im Übrigen habe der Kläger internen Schutz z. B. bei seinen Familienangehörigen in Lahore oder in anderen Großstädten, wie z. B. in Karachi, finden können.

Mit seiner am 8. März 2018 erhobenen Klage verfolgt der Kläger sein Asylbegehren vollumfänglich weiter. Dazu legt er einen Verfolgungsbericht und mehrere Bescheinigungen vor, die ihm von christlichen Personen bzw. seiner Ehefrau aus Pakistan zugegangen seien, und Bescheinigungen von Angehörigen baptistischer Kirchengemeinden in Deutschland. Er habe sich in Pakistan in der Kinder- und Jugendmission betätigt, seit dem 1. August 2012 auch bei der Shine Society. Er sei Gründer und Direktor der Shine Kids Ministry seit 2011; seit 2013 habe er deren Aktivitäten auch in Lahore, Peshawar, Rawalpindi, Sialkot und Islamabad unterstützt. Inzwischen hätten die Mitarbeiter seiner Shine Kids Ministry ihre Aktivitäten eingestellt. Wegen seines missionarischen Einsatzes zwischen 2015 und 2018 sei er vorverfolgt aus Pakistan ausgereist; auch in Deutschland praktiziere er die Missionierung. Internen Schutz könne er in Pakistan nicht erlangen. Bei der von ihm vorgelegten Fatwa handele es sich um ein offizielles Dokument. Am 19. Januar 2018 habe er sein Flugticket gekauft und unmittelbar nach dem letzten von ihm geschilderten Vorfall sei er dann ausgereist.

Der Kläger beantragt,

die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge vom 27. Februar 2018 zu verpflichten, ihn als Asylberechtigten anzuerkennen und ihm internationalen Schutz zuzuerkennen,

hilfsweise die Beklagte unter entsprechender Aufhebung des genannten Bescheides zu verpflichten festzustellen, dass die Voraussetzungen eines nationalen Abschiebungsverbots vorliegen, weiter hilfsweise, das Einreise- und Aufenthaltsverbot aufzuheben.

Die Beklagte beantragt unter Bezugnahme auf den angegriffenen Bundesamtsbescheid,

die Klage abzuweisen,

da die vom Kläger vorgelegten Drohschreiben auch aus Gefälligkeit erstellt worden sein können. Jedenfalls habe es keine schwerwiegenden Übergriffe gegen den Kläger gegeben, obwohl er trotz seiner Missionstätigkeit greifbar gewesen wäre. Der Vorfall vom 7. Februar 2018 erscheine als vorgeschoben, da der Angriff auf den Kläger abgebrochen worden sei, obwohl der Kläger selbst vorgetragen habe, dass die Polizei in entsprechenden Situationen nicht helfe.

Die vormals zuständige Kammer hat den Rechtsstreit bereits mit Beschluss vom 28. März 2018 auf den Berichterstatter als Einzelrichter zur Entscheidung übertragen. Wegen aller weiteren Einzelheiten wird auf den Inhalt der Gerichtsakte, namentlich der klägerseits vorgelegten Unterlagen und des Sitzungsprotokolls, sowie des Bundesamtsvorgangs, namentlich des dortigen Anhörungsprotokolls sowie des Bescheides, Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

Das Gericht verhandelt und entscheidet in Ansehung der entsprechenden Belehrung in der Ladungsverfügung auch in Abwesenheit von Vertretern der Beklagten (§ 102 Abs. 2 VwGO).

Die Klage ist zulässig, insbesondere als Verpflichtungsklage statthaft sowie fristgerecht innerhalb zwei Wochen (§§ 74 Abs. 1 1. Hs., 38 Abs. 1 AsylG) erhoben worden; sie hat in der Sache mit dem Hauptantrag Erfolg. Der angegriffene Bundesamtsbescheid erweist sich in Ansehung aller im Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung erkennbaren Umstände (vgl. § 77 Abs. 1 Satz 1 AsylG) als rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten, da der Kläger seine Asylanerkennung (Art. 16a Abs. 1 GG) sowie die Zuerkennung des Flüchtlingsstatus´ (§ 3 Abs. 1 AsylG) beanspruchen kann (§ 113 Abs. 5 Satz 1 VwGO), weshalb sämtliche Regelungen des angegriffenen Bescheides aufzuheben sind.

Im Gegensatz zum Bundesamt hat sich das Gericht von der Glaubwürdigkeit des Klägers mit seinem Asylvorbringen überzeugen lassen. Danach steht es zur richterlichen Überzeugung fest, dass der Kläger in seinem Herkunftsland staatlicher Gleichgültigkeit in Bezug auf von dritter Seite drohenden Lebensgefahren ausgesetzt ist, die an das nach außen gelebte christliche Bekenntnis des Klägers anknüpfen. Hiermit sind die Voraussetzungen sowohl des nationalen Asylanspruchs (Art. 16a Abs. 1 GG) erfüllt als auch jene des Flüchtlingsschutzversprechens (§ 3 Abs. 1 AsylG). Im Einzelnen:

Der Kläger macht an seine Religion - damit an einen einschlägigen Verfolgungsgrund nach §§ 3 Abs. 1 Nr. 1, 3b Abs. 1 Nr. 2 AsylG - anknüpfende Verfolgungsgefahren geltend, indem er durch muslimische Eiferer wegen seiner christlichen Missionierungstätigkeit insbesondere im Bereich der Kinderarbeit zuletzt durch eine Fatwa mit dem Tod bedroht werde. Dieser Verfolgungsgrund stellt zugleich einen Asylgrund dar.

Dabei geht das Gericht nicht schon von einer Verfolgungsgefahr wegen des christlichen Bekenntnisses des Klägers als solchen aus; eine sog. Gruppenverfolgung „der Christen“ in Pakistan nimmt das Gericht nicht an. Unter Berücksichtigung des Umstandes, dass es ungefähr 2,8 Millionen Christen in Pakistan gibt (Lagebericht des AA vom 29. September 2020, S.13 f.), stellen sich alle in der Vergangenheit berichteten Übergriffe gegen Angehörige dieser Religion als vereinzelt und jedenfalls nicht als quantitativ herausgehoben dar (vgl. auch VG Karlsruhe, Urteil vom 30. Mai 2018 - A 5 5640/16 - juris, m. w. N.). Gegenteiliges zu Verfolgungsdichte und -qualität ist den Erkenntnisunterlagen nicht zu entnehmen und hat der Kläger zudem nicht glaubhaft gemacht. Allein der Umstand, dass sich alle von ihm konkret angeführten Familienmitglieder, Freunde, Gemeindemitglieder einschließlich christlicher Funktionsträger nach wie vor in Pakistan aufhalten und von keinen ausweglosen Situationen dieser Christen die Rede ist, lässt den Schluss zu, dass es Christen durchaus ohne asylerhebliche Beeinträchtigung möglich - und zumutbar - ist, in Pakistan zu leben, sie wohl auch je nach den konkreten Umständen internen Schutz (§ 3e AsylG) dort finden können.

Allerdings liegen in der Person des Klägers in Ansehung seines hervorgetretenen christlichen Engagements individuelle Umstände vor, die ihn aus der Allgemeinheit der Christen in Pakistan in asylrechtlich relevanter Weise herausheben. Das Gericht ist überzeugt, dass der Kläger in Pakistan als Christ einer Einzelfallverfolgung unterliegt.

Dass der Kläger die von ihm vorgetragenen Aktivitäten ausgeführt hat, steht angesichts der im Internet mühelos verfügbaren Informationen zu den benannten Organisationen ebenso fest wie mit Blick auf die glaubhaften Leumundsbekundungen, die der Kläger vorgelegt hat. Worauf die bundesamtsseits geäußerten Zweifel beruhen, lässt sich nicht nachvollziehen, da sich auch die einschlägigen christlichen Aktivitäten der Leumundsgeber ohne größeren Aufwand nachspüren lassen. Insgesamt hat der Kläger eine den asylrechtlichen Mitwirkungs- und Darlegungsobliegenheiten entsprechende Fluchtgeschichte in sich stimmig und in Einklang mit den Verhältnissen in Pakistan, wie sie sich aus den ins Verfahren eingeführten Erkenntnismitteln erschließen, geschildert, wonach er als missionierender Leiter einer auf Kinder zugeschnittenen christlichen Organisation, die ihrerseits in einem Verbund christlicher Gemeinden aktiv war, in den Blick radikal-muslimischer Eiferer geraten war und deshalb mit einer Fatwa überzogen wurde. Es entspricht allgemeinkundigen Erkenntnissen zur Lage in Pakistan aus einer Vielzahl von Berichten in den öffentlichen Medien, dass sich derlei sunnitisch begründeter Religionsterrorismus insbesondere gegen solche Menschen richtet, die - wie der Kläger - Muslime in den besonders benachteiligten Regionen Pakistans, namentlich in Slums, mit abweichenden religiösen Vorstellungen missionieren. Zweifel, dass der Kläger die von ihm beschriebenen Aktivitäten z.B. in Khyber-Paktunkwah und in Slums ausgeübt hat, hegt das Gericht nicht. Überhaupt hat das Gericht während der informatorischen Befragung des Klägers in der mündlichen Verhandlung den Eindruck von einem Menschen gewonnen, für den die christliche Missionsarbeit ein seine Identität mitbestimmendes Bedürfnis ist, so dass die nach der Rechtsprechung gebotenen religionsspezifischen Voraussetzungen erfüllt sind. Danach kommt es darauf an, ob für den Kläger die Befolgung einer i.S.v. § 3a Abs. 1 Nr. 1 AsylG, Art. 9 Abs. 1 Buchstabe a der Richtlinie 2011/95/EU als verfolgungsträchtig bestimmten Glaubenspraxis ein zentrales Element für seine religiöse Identität und in diesem Sinne für ihn unverzichtbar und darum tatsächlich eine relevante Gefahrenlage gegeben ist. Zwar hat der Kläger inzwischen die Arbeit seiner Organisation eingestellt; dies geschah freilich erst unter dem Druck der Fatwa und widerspricht nicht seinem inneren Bedürfnis, die religiös motivierte Tätigkeit fortsetzen zu wollen.

Die drohenden Gefahren ordnet der Kläger ausdrücklich zwar nur nichtstaatlichen Verfolgern zu, namentlich den Verfassern der von ihm vorgelegten schriftlichen Fatwa; freilich trägt der Kläger zugleich vor, dass er keinen staatlichen Schutz vor den Tötungsdrohungen erlangen könne. Das Gericht hält dafür, dass die dem Kläger drohenden Gefahren sowohl in den nationalen Asylanspruch rechtfertigender Weise dem pakistanischen Staat als auch nichtstaatlichen Akteuren zuzurechnen sind, vor denen der Staat nicht schützt.

Es handelt sich bei den Ausstellern der Fatwa zweifelsohne um Verfolgungsakteure i.S.v. § 3c Nr. 3 AsylG, nämlich nichtstaatliche Verfolger, und es steht zur Überzeugung des Gerichts fest, dass der pakistanische Staat erwiesenermaßen nicht in der Lage - und letztlich im Sinne einer auf ihn selbst zurückfallenden Verantwortlichkeit auch nicht willens - ist, i.S.d. § 3d AsylG Schutz vor der drohenden Verfolgung zu bieten. Denn es ist ebenfalls allgemeinkundig bekannt, dass der pakistanische Staat aus sehr unterschiedlichen, in der Regel dem eigenen Machterhalt der Regierungs- oder Militärelite auf der jeweiligen staatlichen Ebene geschuldeten Gründen keine effektiven Maßnahmen gegen die unterschiedlichsten religiös verbrämten und bei Lichte besehen geradezu terroristischen Eiferer unternimmt, sondern ausweislich der im weltweiten Vergleich schärfsten Blasphemiegesetze (vgl. Auswärtiges Amt, Lagebericht vom 29. September 2020, S. 12) eigene Interessen mittels religionsbezogener Regelungen verfolgt und dabei die Verhängung von Todesstrafen aus religionsbezogenen Gründen erlaubt sowie hinnimmt (hierzu vgl. Entschließung des Europäischen Parlaments vom 29. April 2021 zu den Blasphemiegesetzen in Pakistan - 2021/2647 [RSP] -). Staatliche Verfolgungsmaßnahmen wegen der Verhängung einer Fatwa sind nicht bekannt. Wenngleich derlei blaspemiebegründete Todesstrafen in aller Regel in den höheren Instanzen aufgehoben bzw. umgewandelt werden, geht mit der staatlichen Gesetzgebung und dem hingenommenen Eiferertum in der ohnehin von Gewalt und Intoleranz geprägten pakistanischen Gesellschaft ein flüchtlingsschutzrechtlich relevantes Gefahrenpotenzial einher, das für sich nach außen erkennbar betätigende Gläubige anderer Konfessionen oder gar Religionen Verfolgungsgefahren nach sich zieht (vgl. Urteil der Kammer vom 18. Februar 2021 - VG 2 K 950/18.A - juris in Bezug auf Ahmadis). Der Kläger war und ist aber als Missionar nach außen deutlich wahrnehmbar.

Mit der Todesdrohung und auch den übrigen gewalttätigen Übergriffen gegen den Kläger liegen ferner zweifelsohne erhebliche, schwerwiegende Verletzungen seiner Religionsfreiheit i.S.v. § 3a AsylG vor, wobei die Verknüpfung der Gefahr mit dem religiösen Agieren des Klägers außer Frage steht.

Da der Kläger nach alledem vorverfolgt aus Pakistan ausgereist ist, kann ohne Weiteres davon ausgegangen werden, dass ihm die beschriebenen Gefahren dort mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit („real risk“) weiter drohen, weil sich an den dortigen Verhältnissen seither nichts geändert hat. Nach den Regelungen in Art. 4 Abs. 4 der Richtlinie 2011/95/EU werden vorverfolgte Personen durch eine Beweiserleichterung in Form einer tatsächlichen Vermutung privilegiert, indem in der Vergangenheit liegenden Umständen Beweiskraft für ihre Wiederholung in der Zukunft beigemessen wird. Dadurch wird der Vorverfolgte oder Geschädigte von der Notwendigkeit entlastet, stichhaltige Gründe dafür darzulegen, dass sich die verfolgungsbegründenden oder schadenstiftenden Umstände bei Rückkehr in sein Herkunftsland erneut realisieren werden.

Bei alledem kann der Kläger nicht auf interne Schutzmöglichkeiten (§ 3e AsylG) verwiesen werden, weil er - anders als seine Familienangehörigen - wegen seiner Missionstätigkeit und als Verantwortlicher seiner Organisation aus der Natur der Sache überall dort, wo er in Pakistan religiös bekennend wirkt, in den Fokus relevanter Eiferer geraten wird. Angesichts der Fatwa unterliegt er zumindest an seinen früheren Wirkungsorten unmittelbar der Todesgefahr.

Die Kostenfolge beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO; § 83b AsylG.