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Familienleistungsausgleich Oktober 2016 bis Januar 2019 für das Kind Julian


Metadaten

Gericht FG Berlin-Brandenburg 4. Senat Entscheidungsdatum 26.04.2021
Aktenzeichen 4 K 4253/19 ECLI ECLI:DE:FGBEBB:2021:0426.4K4253.19.00
Dokumententyp Urteil Verfahrensgang -
Normen

Tenor

Klage wird abgewiesen.

Die Kosten des Verfahrens werden dem Kläger auferlegt.

Tatbestand

Die Beteiligten streiten über die Rechtzeitigkeit der Klageerhebung sowie darum, ob der Beklagte die Kindergeldgewährung für den Sohn des Klägers für Oktober 2016 bis Januar 2019 zu Recht aufgehoben hat und das überzahlte Kindergeld i.H.v. 5.396 € vom Kläger zurückfordern durfte.

Der Kläger – der von Beruf Polizeibeamter (Polizeioberkommissar) ist – erhielt im Streitzeitraum von Oktober 2016 bis Januar 2019 für seinen am 17.01.1994 geborenen Sohn B… Kindergeld in gesetzlicher Höhe. Im Streitzeitraum war B… im Studiengang Betriebswirtschaft und Wirtschaftspsychologie an der Europäischen Fernhochschule C… (kurz EURO-FH) als Studierender immatrikuliert. Mit Wirkung zum 04.01.2019 wurde B… ohne Abschluss vorzeitig exmatrikuliert. Die Familienkasse (fortan Beklagter) hob die Kindergeldgewährung mit Bescheid vom 24.01.2019 ab dem 01.02.2019 auf. Zugleich forderte der Beklagte den Kläger auf, für den zurückliegenden Zeitraum Leistungsnachweise des Sohnes vorzulegen, um die Ernsthaftigkeit des Fernstudiums feststellen zu können. Hierauf ging dem Beklagten am 07.03.2019 eine Bescheinigung der EURO-FH vom 28.02.2019 über die Benotung einer Hausarbeit zu. Weitere Unterlagen legte der Kläger nicht vor. Der Beklagte sah die Voraussetzungen für ein ernsthaft betriebenes Fernstudium nicht für erfüllt an und hob die Kindergeldfestsetzungen für Oktober 2016 bis Januar 2019 mit Bescheid vom 15.04.2019 gleichfalls auf und forderte das zu viel ausgezahlte Kindergeld vom Kläger nach § 37 Abs. 2 der Abgabenordnung zurück. Der dagegen eingelegte Einspruch blieb erfolglos und wurde vom Beklagten mit Einspruchsentscheidung vom 22.08.2019 als unbegründet zurückgewiesen. In der Rechtsbehelfsbelehrung (Bl. 17 Heftung, Bl. 4 Gerichtsakte) wies der Beklagte darauf hin, dass gegen die Entscheidung Klage beim Finanzgericht Berlin-Brandenburg schriftlich oder als elektronisches Dokument einzureichen oder zu Protokoll des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle zu erklären sei. Die Frist für die Einlegung der Klage betrage einen Monat. Ferner wurde darauf hingewiesen, dass die Voraussetzung zur elektronischen Einreichung der Klage in § 52 a der Finanzgerichtsordnung (FGO) geregelt sei und Näheres über die Internetseite des Finanzgerichts in Erfahrung zu bringen sei.

Ausweislich der in der Kindergeldheftung des Beklagten abgelegten Postzustellungsurkunde wurde die Sendung mit der Einspruchsentscheidung am Montag, dem 26.08.2019 in den zur Privatwohnung des Klägers gehörenden Briefkasten eingelegt. In der Sache führte der Beklagte in der Einspruchsentscheidung aus, die Voraussetzungen für die Aufhebung der Kindergeldfestsetzung und die Rückforderung des überzahlten Kindergeldes seien gegeben. Der Kläger habe nicht nachweisen können, dass B… im Streitzeitraum seinem Fernstudium ernsthaft und nachhaltig nachgegangen war. Die für die Kindergeldbewilligung erforderlichen tatbestandlichen Voraussetzungen nach § 32 Abs. 4 Nr. 2 Buchst. a) des Einkommensteuergesetzes (EStG) könnten nicht angenommen werden.

Am Donnerstag, dem 28.11.2019 ging beim Finanzgericht als Telefax ein Klageschriftsatz mit Datum vom selben Tag ein, mit dem der Kläger sich gegen die Entscheidung des Beklagten wandte. Gleichzeitig beantragte er die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand. Der Klageschrift vom 28.11.2019 war in der Anlage u.a. ein handschriftlich unterzeichnetes Schreiben mit Datum vom 26.09.2019 beigefügt, mit dem der Kläger gegen die Einspruchsentscheidung Klage einreichte. Zur Begründung seines Wiedereinsetzungsantrages führte der seinerzeit noch nicht fachkundig vertretene Kläger aus, dass er dem Finanzgericht am 26.09.2019 eine einfache (also nicht mit einer elektronischen Signatur versehene) E-Mail an die in dessen Internetseite genannte DE-Mail-Adresse übermittelt habe. In der Anlage seiner E-Mail habe er dem Gericht neben der Klageschrift vom 26.09.2019 weitere Unterlagen übermittelt. Er habe angenommen, die Klage sei von ihm in zulässiger Weise, insbesondere unter Wahrung von Form und Frist, erhoben worden. Nachdem er geraume Zeit nichts von seiner Klage gehört habe, habe er sich zur Klärung der Angelegenheit am 25.11.2019 telefonisch an das Gericht gewandt, wo ihm mitgeteilt worden sei, dass ein Eingang seiner E-Mail nebst Anlagen nicht habe festgestellt werden können. Auf den aktenkundigen Gesprächsvermerk der Eingangsgeschäftsstelle wird Bezug genommen.

Der Kläger hält seine Klage nicht für verfristet. Die Rechtsbehelfsbelehrung in der Einspruchsentscheidung sei fehlerhaft, weil der Rechtsuchende über die Anforderungen an eine Klageeinlegung per Email nur unvollständig belehrt werde. Für einen juristischen Laien, wie ihn, sei nicht ohne weiteres erkennbar, dass die in der Rechtsbehelfsbelehrung verwendeten Begriffe „Schriftform“ oder „elektronisches Dokument“ bedeuteten, dass eine Übersendung der Klageschrift per E-Mail nicht ausreiche und zu einer unwirksamen Klageerhebung führe. An keiner Stelle der Rechtsbehelfsbelehrung werde eine „elektronische Signatur“ oder deren Voraussetzung erläutert. Die unzureichenden Erläuterungen seien deshalb geeignet, den rechtsunkundigen Rechtschutzsuchenden über die gesetzlich zugelassene Möglichkeit einer Klageerhebung in elektronischer Form in die Irre zu führen, wodurch das Gebot auf effektiven Rechtsschutz in einer mit Art. 19 Abs. 4 des Grundgesetzes (GG) unvereinbaren Weise verletzt werde. In materiell-rechtlicher Hinsicht hält der Kläger daran fest, dass sein Sohn bis zu seiner Exmatrikulation im Januar 2019 sein Fernstudium in einer mit dem Tatbestand des § 32 Abs. 2 Nr. 2 Buchst. a) EStG zu vereinbarenden Weise ernsthaft betrieben habe, sodass für eine Aufhebung der Kindergeldfestsetzung sowie eine Rückforderung der strittigen Leistung kein Raum sei.

Der Kläger beantragt,

den Bescheid über die Aufhebung des Kindergeldes vom 15.04.2019 inForm der Einspruchsentscheidung vom 22.08.2019 aufzuheben.

Der Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Der Beklagte hält die Klage bereits für unzulässig. Auch die Voraussetzungen für die Gewährung einer Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nach § 56 Abs. 1 FGO sieht er nicht für gegeben an. Die Frist für die Erhebung der Klage sei zum Zeitpunkt des Eingangs des Klageschriftsatzes am 28.11.2019 bereits verstrichen gewesen. Der Wiedereinsetzungsantrag vom 28.11.2019 sei bereits unzulässig, weil der Kläger weder dargelegt noch glaubhaft gemacht habe, wann das Hindernis für die Einhaltung der Klagefrist weggefallen sei. Der unzureichende Wiedereinsetzungsvortrag lasse deshalb keine Prüfung zu, ob der Wiedereinsetzungsantrag rechtzeitig innerhalb der Zweiwochenfrist des § 56 Abs. 2 Satz 1 1. Halbsatz FGO gestellt worden sei. Dessen ungeachtet sei der Wiedereinsetzungsantrag auch unbegründet. Den Kläger treffe hinsichtlich der Versäumung der Klagefrist ein Verschulden, weil er in fahrlässiger Weise über die Voraussetzungen einer elektronischen Klageerhebung geirrt habe. Nach Maßgabe des § 52 Abs. 4 Nr. 1 FGO sei die Einreichung elektronischer Dokumente über den Versand eines DE-Mail-Kontos möglich. Nach § 1 Abs. 1 Satz 2 des DE-Mail-Gesetzes vom 28.04.2011 (Bundesgesetzblatt [BGBl] I 2011, Seite 666), das zuletzt durch Art. 14 des Gesetzes vom 20.11.2019 (BGBl I 2019, Seite 1626) geändert worden sei, sei ein DE-Mail-Konto ein Bereich in einem DE-Mail-Dienst, der einem Nutzer so zugeordnet ist, dass er nur von ihm genutzt werden könne. Aus dem Wortlaut des § 4 Abs. 1 Satz 1 des DE-Mail-Gesetzes folge, dass man selbst Inhaber einer eigenen E-Mail-Adresse sein müsse („Zugang zu seinem DE-Mail-Konto“). Mangelnde Rechtskenntnisse könnten eine Fristversäumnis nicht entschuldigen (Bundesverwaltungsgericht [BVerwG] in Neue Zeitschrift für Verwaltungsrecht – Rechtsprechungsreport – [NVwZ RR], 1989 Seite 591; Oberverwaltungsgericht [OVG] in NVwZ RR 2008, 356). Ein eindeutiger Hinweis auf der Internetseite des Finanzgerichts dahingehend, dass man selbst Inhaber einer eigenen DE-Mail-Adresse sein müsse, sei deshalb nicht veranlasst. Den Kläger treffe somit ein Verschulden hinsichtlich der Fristversäumnis. Davon abgesehen sei die Klage – so der Beklagte – jedenfalls unbegründet. Rechtsgrundlage für den mit der Anfechtungsklage angefochtenen Aufhebungsbescheid sei § 70 Abs. 2 EStG. Danach sei die Kindergeldfestsetzung in dem Zeitpunkt der Veränderung der Verhältnisse aufzuheben, soweit in den Verhältnissen, die für den Anspruch von Bedeutung sind, Änderungen eintreten. Dies sei im Streitfall mit Wirkung ab Oktober 2016 der Fall, weil nicht festgestellt werden könne, dass der Sohn des Klägers sein Fernstudium ernsthaft und nachhaltig betrieben habe. Die hierin begründeten Zweifel seien nach den Regeln der objektiven Beweislast zum Nachteil des Klägers zu würdigen, den insoweit die objektive Feststellungslast treffe. Grundsätzlich sei bei Studenten zwar die Vorlage einer Semesterbescheinigung aussagekräftig. Bei Ausbildungsgängen hingegen, die keine regelmäßige Präsenz an der Ausbildungsstelle erfordern, wie dies bei einem Fernstudium der Fall sei, müsse die Ernsthaftigkeit der Ausbildung durch Vorlage von Leistungsnachweisen, die Aufschlüsse des Lernenden geben, nachgewiesen werden. Im Streitfall sei unklar, inwiefern der Sohn des Klägers im angebotenen Präsenzunterricht bei Online-Vorlesungen teilgenommen habe. Vielmehr habe die Ausbildung als freie Selbstbildung stattgefunden. Nachweise dazu, dass ein festgelegter Lernstoff existierte und dieser zu bestimmten Zeiten hätte erarbeitet werden müssen, habe der Kläger weder vorgetragen noch unter Beweis gestellt.

Nach Anhörung der Beteiligten ist mit Beschluss vom 18.01.2021 gemäß § 6 Abs. 1 FGO die Entscheidung des Rechtsstreits dem Einzelrichter übertragen worden.

Der Einzelrichter hat über die Ernsthaftigkeit der Fernstudiums Beweis erhoben und den Sohn des Klägers als Zeugen vernommen. Wegen des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf das Verhandlungsprotokoll vom 26.04.2021 Bezug genommen.

Dem Gericht hat bei seiner Entscheidungsfindung neben einem Band (Bd.) Streitakten zum vorliegenden Klageverfahren eine Heftung mit Kindergeldvorgängen des Beklagten „A… (…)“ vorgelegen, auf deren Inhalt ergänzend Bezug genommen wird.

Entscheidungsgründe

Die Klage ist verspätet und damit unzulässig.

Die Klage ist wegen Versäumung der Klagefrist verspätet. Die Einhaltung der Klagefrist ist eine in jeder Lage des Verfahrens von Amts wegen zu beachtende besondere Sachentscheidungsvoraussetzung (Teller in Gräber, FGO, 9. Aufl. 2019, § 47 Rz. 1 m.w.N.).

Nach § 47 FGO beträgt die Frist für die Erhebung der Anfechtungsklage einen Monat, sie beginnt mit der Bekanntgabe der Entscheidung über den außergerichtlichen Rechtsbehelf. Ausweislich der Eintragungen in der aktenkundigen Postzustellungsurkunde ist die Einspruchsentscheidung vom 22.08.2019 dem Kläger am 26.08.2019 (Montag) gemäß § 122 Abs. 5 Satz 1 AO i. V. m. §§ 3 Abs. 1 Verwaltungsgesetz (VwZG) i.V.m. § 180 Zivilprozessordnung (ZPO) im Wege der Ersatzzustellung bekanntgegeben worden. Damit begann die einmonatige Klagefrist am Dienstag, d. 27.08.2019 zu laufen und endete am 26.09.2019 (Donnerstag). Die Klageschrift ging jedoch erst am 28.11.2019 und damit nach Ablauf der Klagefrist ein. Vor Fristablauf am 26.09.2019 ist eine E-Mail beim Finanzgericht nicht eingegangen.

Allerdings beginnt die einmonatige Klagefrist nach § 55 Abs. 1 FGO nur zu laufen, wenn der Beteiligte über den Rechtsbehelf, die Behörde, oder das Gericht, bei denen der Rechtsbehelf anzubringen ist, den Sitz und die einzuhaltende Frist schriftlich oder elektronisch belehrt worden ist. Ist die Belehrung unterblieben oder unrichtig erteilt, so ist die Einlegung des Rechtsbehelfs grundsätzlich innerhalb eines Jahres seit Bekanntgabe der Einspruchsentscheidung zulässig.

Unrichtig ist die Rechtsbehelfsbelehrung, wenn sie in einer der gemäß § 55 Abs. 1 FGO wesentlichen Aussagen unzutreffend bzw. derart unvollständig oder missverständlich gefasst ist, dass hierdurch bei objektiver Betrachtung die Möglichkeit zur Fristwahrung gefährdet erscheint (vgl. zum Ganzen zutreffend Bundesfinanzhof [BFH], Urteil vom 28.04.2020 VI R 41/17, Bundessteuerblatt [BStBl] II 2020, 531; Stapperfend in Gräber a.a.O., § 55 Rz. 23 mit vielfachen Verweisen auf BFH-Rechtsprechung). Ob dies der Fall ist, bestimmt sich danach, wie der Erklärungsempfänger die Rechtsbehelfsbelehrung oder ergänzenden Angaben nach Treu und Glauben und unter Berücksichtigung der ihm bekannten Umstände verstehen musste, wobei Unklarheiten oder Mehrdeutigkeiten zu Lasten der Behörde gehen (BFH-Beschluss vom 01.06.2011 IV B 33/10, Sammlung der amtlich nicht veröffentlichten Entscheidungen [BFH/NV] 2011, 1888; vom 26.05.2010 VIII B 228/09, BFH/NV 2010, 2080; vom 05.02.2021 VIII B 70/20, juris m.w.N.).

Im Streitfall ist die Rechtsbehelfsbelehrung auch bei Berücksichtigung des Gebots effektiven Rechtsschutzes (Art. 19 Abs. 4 GG) nicht unrichtig. Ungeachtet dessen, dass der Hinweis auf die Möglichkeit der elektronischen Übermittlung von Rechtsbehelfen nicht erforderlich ist (BFH X R 2/12, BStBl I 2014, 236; VIII R 51/12, Sammlung der amtlich nicht veröffentlichten Entscheidungen des BFH [BFH/NV] 2014, 1012, IV R 18/13, BFH/NV 2015, 1349, VII B 158/16, BFH/NV 2017, 603; Stapperfend in Gräber a.a.O., § 55 Rz. 17; siehe aber BFH-Urteil vom 28.04.2020 VI R 41/17, BStBl I 2020, 531 zum Erfordernis, die Möglichkeit der Einspruchseinlegung per einfacher E-Mail in die Rechtsbehelfsbelehrung eines Steuerbescheides aufzunehmen), weist die Rechtsbehelfsbelehrung an mehreren Stellen unmissverständlich auf die Möglichkeit einer elektronischen Klageerhebung hin. Weitere Erläuterungen zu den Modalitäten einer elektronischen Klageerhebung waren nicht vonnöten und hätten im Gegenteil zu einer Überfrachtung der Rechtsbehelfsbelehrung führen können. Vielmehr genügte der Hinweis in der Rechtsbehelfsbelehrung auf die Vorschrift zur elektronischen Übermittlung von Dokumenten gemäß § 52 a FGO, um den Rechtsuchenden in die Lage zu versetzen, sich bei der Wahl dieser Übermittlungsform nähere Informationen zu verschaffen.

Auch liegen die Voraussetzungen einer Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nach § 56 Abs. 1 FGO nicht vor.

Gemäß § 56 Abs. 1 FGO ist, wenn jemand ohne Verschulden verhindert war, eine gesetzliche Frist einzuhalten, ihm auf Antrag Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren. Der Antrag ist gemäß § 56 Abs. 2 Satz 1 FGO binnen zwei Wochen nach Wegfall des Hindernisses zu stellen. Eine Wiedereinsetzung setzt in formeller Hinsicht voraus, dass innerhalb der genannten Frist die versäumte Rechtshandlung nachgeholt und diejenigen Tatsachen vorgetragen und im Verfahren über den Antrag glaubhaft gemacht werden, aus denen sich die schuldlose Verhinderung ergeben soll. Die Tatsachen, die eine Wiedereinsetzung rechtfertigen können, sind innerhalb dieser Frist vollständig, substantiiert und in sich schlüssig darzulegen (ständige höchstrichterliche Rechtsprechung, z. B. Bundesfinanzhof [BFH], Beschlüsse vom 03.09.2019 IX R 17/18, Sammlung der nichtveröffentlichen Entscheidung des BFH [BFH/NV] 2020, 27, Rz. 14; vom 25.06.2003 XI B 186/02, BFH/NV 2003, 1589 m.w.N.).

Hiernach schließt jedes schuldhafte Handeln – also auch einfache Fahrlässigkeit – die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand aus (BFH-Beschluss vom 03.09.2019 a.a.O.). Schuldhaft ist eine Frist versäumt, wenn der Steuerpflichtige sie vorsätzlich oder fahrlässig versäumt hat. Grundsätzlich kann auch ein Rechtsirrtum über Verfahrensfragen bei einem rechtsunkundigen Steuerpflichtigen unverschuldet sein und eine Wiedereinsetzung rechtfertigen. Voraussetzung ist allerdings, dass der Steuerpflichtige gegebenenfalls Zweifel, die bei ihm aufgekommen sind oder hätten aufkommen müssen, rechtzeitig klärt (vgl. BFH-Urteil vom 20.02.2001, IX R 48/98, BFH/NV 2001, 1010; BFH-Beschluss vom 23. Juli 1992 VIII R 73/91, BFH/NV 1993, 40; ferner Gräber/Stapperfend § 56 FGO Rz. 20 "Rechtsirrtum über Verfahrensfragen").

Des Weiteren darf der Steuerpflichtige grundsätzlich Rechtsmittelfristen bis zum letzten Tag der Frist ausschöpfen, ohne sich insoweit rechtfertigen zu müssen. Allerdings trifft ihn in diesem Fall eine erhöhte Sorgfaltspflicht; insbesondere muss er im Falle eines kurz bevorstehenden Fristablaufs alle erforderlichen und zumutbaren Vorkehrungen treffen, damit seine Klage noch rechtzeitig bei Gericht eingeht (vgl. BFH-Urteil vom 07.05.1995 - VIII R 60/95, BFH/NV 1997, 34; s. auch Söhn, in: Hübschmann/Hepp/Spitaler, § 110 AO Rz. 214, mit weiteren Nachweisen).

Grundsätzlich führt jedes mitursächliche (schuldhafte) Verhalten des Steuerpflichtigen zur Versagung der Wiedereinsetzung in den vorigen Stand, und zwar auch dann, wenn weitere, vom Steuerpflichtigen nicht zu verantwortende Umstände hinzutreten. Die Ursächlichkeit seines Verschuldens wird insbesondere nicht dadurch aufgehoben, dass Dritte (Privatpersonen, Behörden oder das Gericht) die von dem Steuerpflichtigen schuldhaft verursachte Fristversäumnis hätten verhindern können (vgl. BFH-Beschluss vom 11.08.2005 - VIII B 291/04, BFH/NV 2006, 80; BFH-Beschluss vom 17.11.1987 - VIII R 346/83, BStBl. II 1988, 287, 289). Zwar obliegen dem Gericht gewisse Fürsorgepflichten gegenüber dem Steuerpflichtigen. Das Gericht muss beispielsweise fehlgeleitete Schriftsätze an das zuständige Gericht weiterleiten. Doch gilt dies nur im Rahmen des üblichen Geschäftsgangs. Weder ist das Gericht verpflichtet, eingegangene Schriftsätze einer sofortigen Prüfung hinsichtlich ihrer formalen Ordnungsgemäßheit zu unterziehen, noch muss es den Steuerpflichtigen gegebenenfalls vorab per Fax, Telefon oder auf ähnliche Art und Weise auf etwaige Mängel seiner Schriftsätze hinweisen (s. BFH-Beschlüsse vom 27.10.2004 - XI B 130/02, BFH/NV 2005, 563, m.w.N.; vom 11.08.2005 - VIII B 291/04, BFH/NV 2006, 80; vgl. auch BVerfG-Beschluss vom 17.01.2006 - 1 BvR 2338/05, NJW 2006, 1579).

Für die Fristversäumnis war im Streitfall der Irrtum des Klägers ursächlich, er habe den bestimmenden Klageschriftsatz am 26.09.2019 an die auf der Homepage des Finanzgerichts genannte DE-Mail-Adresse safe-sp1-1318930877192-001057579@egvp.de-mail.de (mailto:safe-spl-1318930877192-001057579@egvp.de-mail.de) noch rechtzeitig vor Ablauf der Klagfrist wirksam per E-Mail übermittelt. Das Gericht kann offenlassen, ob der drei Tage später am 28.11.2019 mitgeteilte Wiedereinsetzungsvortrag in sich schlüssig und nachvollziehbar war. Denn der Kläger hat jedenfalls nicht glaubhaft gemacht, dass ihn kein Verschulden an der Versäumung der Klagefrist trifft. Der Irrtum des Klägers, dass eine Klageerhebung als E-Mail ohne Verwendung einer elektronischen Signatur bzw. ohne Einhaltung des sicheren Übermittlungsweges wirksam erhoben werden konnte, war vermeidbar und ist ihm als fahrlässiges Verhalten anzulasten.

Abweichend von § 64 FGO, der normiert, dass Klagen schriftlich oder zur Niederschrift durch den Urkundsbeamten der Geschäftsstelle eingereicht werden können, ermöglicht § 52 a FGO auch eine Klageerhebung auf elektronischem Wege.

Nach § 52 a Abs. 3 Var. 1 FGO muss das elektronische Dokument entweder mit einer qualifizierten elektronischen Signatur versehen sein, die die Authentizität des Ausstellers erkennen lässt und sicherstellt, dass der Inhalt des Dokuments nicht verändert worden ist. Abweichend davon lässt § 52 a Abs. 3 Var. 2 und Abs. 4 FGO eine einfache Signatur genügen, wenn das elektronische Dokument auf einem sicheren Übertragungsweg eingereicht wird. Als sicherer Übertragungsweg nennt § 52a Abs. 4 FGO (u.a.) den hier einzig erörterungswürdigen Postfach- und Versanddienst eines DE-Mail-Kontos. Diese dürfen nach den maßgeblichen Bestimmungen des DE-Mail-Gesetzes nur von akkreditierten Dienstanbietern betrieben werden (§ 1 Abs. 2 Nr. 2 i. V. m. §§ 17 ff. DE-Mail-Gesetzes vom 28.04.2011, BGBl I 666, zuletzt geändert durch Gesetz vom 18.07.2017, BGBl I 2017, 2745). Für einen sicheren, vertraulichen und nachweisbaren Geschäftsverkehr für jedermann im Internet ist ferner zu gewährleisten, dass die Möglichkeit der Nutzung nur für befugte Personen besteht (Stapperfend a.a.O., Rz. 21), die sich aus Gründen der Verhinderung von Missbrauch nach Registrierung und Identifizierung ihrer Person vom DE-Mail-Anbieter ein (kostenpflichtiges) DE-Mail-Konto zur Verfügung haben stellen lassen (§ 3 f. DE-Mail-Gesetz).

Die vom Kläger bezweckte Übermittlung seiner Klage im Wege einer einfachen E-Mail vermochte deshalb eine wirksame Klageerhebung nicht zu ermöglichen. Auch der als Anhang zur E-Mail vom 26.09.2019 übermittelte und vom Kläger unterschriebene Klageschriftsatz ändert hieran nichts. Ist für den Rechtsverkehr per E-Mail die die Schriftform ersetzende qualifizierte elektronische Signatur vorgeschrieben, so reicht es bei deren Fehlen nicht aus, dass sich aus der E-Mail oder begleitenden Umständen die Urheberschaft und der Wille, das Schreiben in den Verkehr zu bringen, hinreichend sicher ergeben (siehe BFH-Urteil vom 26.07.2011 VII R 30/10, BStBl II 2011, 925). Über die Modalitäten einer elektronisch wirksamen Klageerhebung hätte der Kläger sich näher informieren sollen, hierzu bestand Grund, weil die Frist nur wenige Stunden nach Übermittlung der fraglichen E-Mail ablief. Der Kläger hat aber die Hinweise in der Rechtsbehelfsbelehrung nicht beachtet und damit eine wesentliche Informationsquelle außer Acht gelassen. Der Hinweis ist – wie oben ausgeführt – unmissverständlich und hätte bei Beachtung auch für einen Laien zu der Erkenntnis geführt, dass eine einfache E-Mail für die Erhebung einer wirksamen Klage nicht ausreicht. Es war dem Kläger durchaus zumutbar, sich allgemein zugänglicher Informationsquellen zu bedienen, um sich über die Modalitäten einer elektronischen Klageerhebung zu informieren. Insbesondere wenn es wie hier um eine „Klageerhebung in letzter Minute“ geht, besteht eine gesteigerte Pflicht zur Beachtung und Einhaltung der Formalien. Hieran fehlt es.

Im Streitfall bestand auch keine besondere Hinweispflicht des Gerichts nach § 52 a Abs. 6 FGO. Mit der Vorschrift des § 52 a Abs. 6 FGO wird zwar die allgemeine Hinweispflicht des Gerichts nach § 76 Abs. 2 FGO erweitert und das Gericht verpflichtet, den Absender unverzüglich darauf hinzuweisen, dass ein elektronisches Dokument für die Bearbeitung nicht geeignet ist. Die Pflicht kann hier schon deshalb nicht greifen, weil dem Gericht die fragliche E-Mail nicht zugegangen ist. Davon abgesehen ist § 52 a Abs. 6 FGO auch deswegen nicht einschlägig, weil der Mangel nicht auf der Übermittlung eines nicht lesbaren Dateiformats, für die Abs. 6 eine erweiterte Hinweispflicht des Gerichts statuiert, beruht. Auch für die Annahme einer allgemeinen Hinweispflicht besteht kein Raum. Auch insoweit ist beachtenswert, dass selbst bei einem Eingang der E-Mail nach Dienstschluss kurz vor Ablauf der Klagefrist keine Möglichkeit für das Gericht bestanden hätte, den Kläger noch rechtzeitig über die Unwirksamkeit seiner Klageerhebung zu informieren.

Nach alldem kam es nicht mehr darauf an, ob die Voraussetzungen für die Gewährung von Kindergeld in materiell-rechtlicher Hinsicht vorlagen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 FGO.