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Entscheidung 21 BVL 5001/21


Metadaten

Gericht LArbG Berlin-Brandenburg 21. Kammer Entscheidungsdatum 24.06.2021
Aktenzeichen 21 BVL 5001/21 ECLI ECLI:DE:LAGBEBB:2021:0624.21BVL5001.21.00
Dokumententyp Beschluss Verfahrensgang -
Normen § 2a Abs 1 Nr 4 ArbGG, Art 9 Abs 3 GG

Leitsatz

1. Die Tariffähigkeit einer Gewerkschaft ist bezogen auf die Organisation als Ganzes und nicht beschränkt auf einzelne Organisationsbereiche zu prüfen. Die Prüfung erfolgt im Verfahren nach § 97 ArbGG.
2. Die Vereinigte Dienstleistungsgewerkschaft (ver.di) ist tariffähig.

Tenor

I. Die Anträge des Beteiligten zu 1) werden zurückgewiesen.

II. Die Rechtsbeschwerde wird zugelassen.

Gründe

I. Das Verfahren betrifft die Frage, ob die am Verfahren zu 2) beteiligte Vereinte Dienstleistungsgewerkschaft (ver.di) in der Pflegebranche außerhalb von Krankenhäusern nicht tariffähig ist, oder ob sie - wie der Antragsteller und am Verfahren zu 1) beteiligte Arbeitgeberverband Pflege e.V. (AGVP) hilfsweise geltend macht - insgesamt tarifunfähig ist.

Ver.di ist hat ihren Sitz in Berlin und ist mit zwischen 1,8 und 2,0 Millionen Mitgliedern eine der größten deutschen Einzelgewerkschaften. Nach § 5 Absatz 1 ihrer Satzung in der zuletzt durch den 5. Ordentlichen Bundeskongress vom 22. bis 28. September 2019 geänderten Fassung, bekennt sich ver.di zu den Grundsätzen des demokratischen und sozialen Rechtsstaats und ist unabhängig von Arbeitgeber*innen, staatlichen Organen, Parteien und Religionsgemeinschaften. § 5 Absatz 2 der Satzung sieht vor, dass ver.di die wirtschaftlichen und ökologischen, die sozialen, beruflichen und kulturellen Interessen ihrer Mitglieder fördert. Nach § 5 Absatz 3 Buchstabe e der Satzung dient zur Erreichung unter anderem dieses Ziels der Abschluss und die Durchsetzung von Tarifverträgen und anderen Vereinbarungen, die Verteidigung des Streikrechts, der Ausbau der Streikfreiheit und der Kampf gegen die Aussperrung. Nach § 5 Absatz 4 Satz 1 der Satzung ist ver.di bereit, alle gewerkschaftlichen Mittel einzusetzen, um diese Grundsätze und Ziele zu verwirklichen.

Hinsichtlich des Organisationsbereichs von ver.di verweist § 4 der Satzung auf den Anhang 1 als Bestandteil der Satzung. Der Anhang hat auszugsweise folgenden Inhalt:

Organisationsbereich

1. Der Organisationsbereich von ver.di umfasst:

…       

1.1 Postdienste, Postbank und Telekommunikation

…       

1.2 Handel, Banken, Versicherungen

…       

1.3 Medien, Druck und Papier, Publizistik und Kunst

…       

1.4 Öffentliche Dienste, Transport und Verkehr

Dienstleistungen für die Allgemeinheit in öffentlich-rechtlicher oder privatrechtlicher Form, insbesondere öffentliche Dienste, der Transport und Verkehr, die Ver- und Entsorgungswirtschaft einschließlich der leitungsgebundenen Energieversorgung, der Gesundheits- und Sozialdienste, Einrichtungen der Infrastrukturen und der Forschung und Entwicklung, Umweltschutzdienste sowie bestimmte private Dienstleistungen.

Hierzu gehören insbesondere:

…       

- Verwaltungen, Betriebe und Einrichtungen des öffentlichen und privaten Gesundheitswesens einschließlich der hygienischen Institute

…       

- Verwaltungen, Betriebe und Einrichtungen der karitativen und kirchlichen Einrichtungen

…       

1.5 ver.di und ihre Einrichtungen

…“    

Wegen des weiteren Inhalts der Satzung einschließlich des Anhangs 1 wird auf deren Ablichtung (Blatt 27 ff. (fortfolgende) der Akten) verwiesen. Der Organisationsbereich von ver.di entspricht grundsätzlich dem Zuständigkeitsbereich der früheren Deutschen Postgewerkschaft (DPG), der Gewerkschaft Handel, Banken und Versicherungen (HBV), der Industriegewerkschaft Medien (IG Medien) sowie der Gewerkschaft Öffentliche Dienste, Transport und Verkehr (ÖTV), die sich als „Quellgewerkschaften“ zusammen mit der früheren Deutschen Angestelltengewerkschaft (DAG) 2001 zu ver.di zusammengeschlossen haben.

Im AGVP haben sich private Pflegeunternehmen zusammengeschlossen. Von 1.218.039 Arbeitnehmer*innen der Pflegebranche beschäftigen die im AGVP organisierten Arbeitgeber*innen etwa 75.000. Die Satzung des AGVP (Blatt 18 ff. der Akten) lautet auszugsweise wie folgt:

„…    

§ 2     

Zweck des Vereins

(1)     

Zweck des Vereins ist die Wahrung und Förderung der tarif-, sozial- und wirtschaftspolitischen Interessen seiner Mitglieder. Der Verband ist die Arbeitgeberorganisation der Pflegeeinrichtungen in Deutschland für Verhandlungen und Vereinbarungen mit den Organisationen der Arbeitnehmer gemäß den Bestimmungen des Tarifvertragsgesetzes und insbesondere für den Abschluss von Tarifverträgen …

(2)     

Dieser Zweck wird insbesondere verwirklicht durch:

…       

d) den Abschluss von Tarifverträgen und die Beratung in tarifpolitischen Angelegenheiten …

(3)     

Der Verband verfolgt keine wirtschaftlichen Zwecke; ein auf Gewinn ausgerichteter Geschäftsbetrieb ist ausgeschlossen. Der Verband ist parteipolitisch und weltanschaulich neutral. Er erkennt die geltende Rechtsordnung, insbesondere das geltende Tarif-, Schlichtungs- und Arbeitskampfrecht, an.

…“    

Ver.di hat mit einer Reihe von Träger*innen von Pflegeeinrichtungen Tarifverträge abgeschlossen, unter anderem mit der S. Gruppe, einem privaten Träger für Einrichtungen der Altenpflege, Kinderkrankenpflege, Behindertenhilfe und Kita, mit der P. W. Hamburg GmbH, der V Bautzen Altenpflegeheim/ Seniorenzentrum und der Tarifgemeinschaft Pflege Bremen. Hinzu kommen den Pflegebereich betreffende Tarifverträge zum Beispiel mit der Arbeiterwohlfahrt (AWO), dem Deutschen Roten Kreuz (DRK) und sonstigen Wohlfahrtsverbänden. Zudem hat ver.di einen Tarifvertrag mit der Diakonie Niedersachsen abgeschlossen, der auch Pflegeeinrichtungen umfasst.

Außerdem hat ver.di am 1. Februar 2021 mit der Bundesvereinigung der Arbeitgeber in der Pflegebranche (BVAP) einen Tarifvertrag über Mindestarbeitsbedingungen in der Pflegebranche (TV-Altenpflege Deutschland) abgeschlossen, der ausweislich seiner Präambel auf eine Verbindlichkeit auch für nicht Tarifgebundene hin angelegt ist (Blatt 107 ff. der Akten). Der BVAP, der zwecks Abschlusses eines solchen Tarifvertrages gegründet worden war, hat in der Branche wegen der geringen Anzahl der bei seinen Mitgliedern beschäftigten Arbeitnehmer*innen nur minderes Gewicht. Die Allgemeinverbindlicherklärung des Tarifvertrages nach § 7a AEntG (Arbeitnehmerentsendegesetz) scheiterte, weil die Arbeitgeberseite der Arbeitsrechtlichen Kommission der Caritas die dafür erforderliche Zustimmung nach § 7a Absatz 1a Satz 4 AEntG verhinderte.

Der AGVP hat mit Schreiben vom 16. Oktober 2015, 10. November 2015 und 20. Januar 2016 (Blatt 196 ff. der Akten) ver.di seine Bereitschaft mitgeteilt, sich über einen Ausbildungstarifvertrag auszutauschen und zu verhandeln. Dazu kam es jedoch nicht. Am 14. Januar 2020 forderte ver.di den AGVP auf, in Tarifverhandlungen einzutreten (Blatt 200 der Akten). Unter dem 18. August 2020 erklärte der AGVP seine Bereitschaft, sich im Laufe des Herbstes über Tarifverträge auszutauschen (Blatt 201 der Akten). Auch dazu kam es nicht.

Als weiterer Arbeitgeberverband in der Pflegebranche besteht noch der bpa Arbeitgeberverband e.V (bpa).

Mit der am 2. Februar 2021 beim Landesarbeitsgericht eingegangenen, ver.di am 12. Februar 2021 zugestellten Antragsschrift macht der AGVP geltend, ver.di sei in der Pflegebranche nicht tariffähig, soweit die Pflege nicht in Krankenhäusern erbracht werde. Er bringt vor, ver.di müsse als eine der größten deutschen Einzelgewerkschaften im Verfahren nicht vorgestellt werden. Es fehle ver.di an der Tariffähigkeit für Pflegebetriebe im Sinne von § 10 AEntG, weil sie in der Pflegebranche keine Durchsetzungskraft für sich in Anspruch nehmen könne. Es sei nicht bekannt, dass ver.di in der Pflegebranche einen Tarifvertrag nicht durch politische Gestaltung, sondern durch gewerkschaftlichen Druck durchgesetzt habe. Eine Tarifbindung auch außerhalb der ohnehin nicht tarifwilligen Arbeitgeber*innen des Dritten Weges, also der kirchlichen Einrichtungen, sei die Ausnahme. Die Mitgliederzahl von ver.di in der Pflegebranche sei nicht bekannt. Jedoch sei bemerkenswert, dass ver.di, obwohl keine andere Gewerkschaft mit einer ernsthaften Organisationsstruktur eine entsprechende Organisationszuständigkeit für sich in Anspruch nehme, zwar ein de-facto-Monopol für den Abschluss von Tarifverträgen in der Pflegebranche habe, bislang aber keine nennenswerte Tarifbindung in der Branche erreicht habe. Dies unterscheide sich von der Lage in den Krankenhäusern.

Wegen der heterogenen Zuständigkeit von ver.di sei für die Prüfung der Tariffähigkeit auf die einzelnen Branchen abzustellen. Das müsse jedenfalls für die Pflegebranche gelten. Bei der Pflegebranche handele es sich auch nicht um einen kleinen Teilbereich oder eine Nische des Wirtschaftslebens. Im Jahr 2020 hätten allein in der Altenpflege 605.000 sozialversicherungspflichtige Arbeitsverhältnisse bestanden. Die Branche sei zudem in § 10 AEntG gesetzlich definiert. Es sei nicht ausreichend, dass die soziale Mächtigkeit in irgendeinem Bereich bestehe, um auch für die anderen Bereiche indiziert zu sein. Vielmehr müsse sie so ausgeprägt sein, dass indiziell anzunehmen sei, eine ausreichende Mächtigkeit bestehe auch in dem Bereich, in dem ein Tarifvertrag abgeschlossen werden solle. Dabei käme es nicht auf die Gesundheitsbranche insgesamt an, weil ein solcher Begriff selbstständige Märkte der Gesundheitswirtschaft mit umfasse, die mit der Pflegebranche nichts zu tun hätten. Vielmehr sei die Tariffähigkeit an den relevanten Marktverhältnissen insgesamt auszurichten. Der Grundsatz der einheitlichen und unteilbaren Tariffähigkeit könne zu Wertungswidersprüchen und Dysfunktionalitäten führen, so wenn Spitzenorganisationen nur ein Minus der Tariffähigkeiten beanspruchten, die ihre Teilorganisationen hätten. Es komme auch nicht auf die Durchsetzungsfähigkeit gegenüber einem oder einer einzelnen konkreten Gegner*in an.

Mit ver.di am 8. Juni 2021 zugestellten weiteren Schriftsatz vom 7. Juni 2021 begehrt der AGVP hilfsweise die Feststellung, ver.di sei insgesamt nicht tariffähig. Soweit eine soziale Mächtigkeit in der Pflegebranche nicht bestehe, weil dort keine grundlegende Organisationsstruktur und Mitgliederzahl vorhanden sei, komme auch eine mangelnde Tariffähigkeit insgesamt in Betracht. Jedenfalls sei eine dahingehende Feststellung erforderlich, wenn ver.di davon absehe, zu seiner Mitgliederstruktur bezogen auf die einzelnen satzungsmäßigen Organisationsbereiche vorzutragen und damit ihren prozessualen Mitwirkungspflichten nachzukommen. Ver.di könne sich nicht auf ihrer vermeintlichen öffentlichen Reputation ausruhen. Es stehe auch nicht fest, welcher Anteil der Mitglieder von ver.di im Arbeitsleben stehe.

Der AGVP beantragt sinngemäß,

1. festzustellen, dass ver.di nicht tariffähig ist, soweit es um Betriebe und selbstständige Betriebsabteilungen geht, die überwiegend ambulante, teilstationäre oder stationäre Pflegeleistungen oder ambulante Krankenpflegeleistungen für Pflegebedürftige erbringen (Pflegebetriebe), soweit diese Leistungen nicht in Krankenhäusern erbracht werden.

2. hilfsweise, für den Fall des Unterliegens mit dem Antrag zu 1., festzustellen, dass ver.di nicht tariffähig ist.

Ver.di und der zu 4) beteiligte Deutsche Gewerkschaftsbund (DGB) beantragen,

die Anträge zurückzuweisen.

Ver.di und der DGB halten die Anträge für unzulässig, da der AGVP nicht am Tarifgeschehen teilnehme. Jedenfalls habe er mit ver.di keinen Tarifvertrag abgeschlossen. Er habe keinen Vortrag zur eigenen Tariffähigkeit geleistet. Ver.di wirft dem AGVP zudem vor, Tarifpolitik vor dem Landesarbeitsgericht zu betreiben.

Der DGB hält den Antrag zu 1. darüber hinaus für unzulässig, da nach § 2a Absatz 1 Nr. 4 in Verbindung mit § 97 ArbGG (Arbeitsgerichtsgesetz) nur die Tarifunfähigkeit einer Arbeitnehmervereinigung festgestellt werden könne. Davon sei die Feststellung einer teilweisen Tarifunfähigkeit nicht erfasst. Jedenfalls richte sie sich nach den in der Satzung festgelegten Bereichen, nicht nach einer davon abweichenden Beschreibung einer Branche, hier der Pflegebranche.

Der DGB hält den Antrag zu 1. aus diesen Gründen jedenfalls für unbegründet. Auch ver.di ist der Auffassung, die Tariffähigkeit einer Arbeitnehmervereinigung sei nicht teilbar. Ihre eigene Tarifzuständigkeit sei auch nicht heterogen, sondern folge den hergebrachten Organisationsbereichen ihrer „Quellgewerkschaften“ DPG, HBV, IG Medien und ÖTV. Daher komme auch aus diesen Gründen eine teilweise Tariffähigkeit nicht in Betracht.

Der DGB vertritt zum Antrag zu 2. die Auffassung, eine fehlende Tariffähigkeit in einem kleinen Organisationsbereich führe nicht zu einer Tarifunfähigkeit insgesamt. Andernfalls wäre entgegen der in Artikel 9 Absatz 3 GG (Grundgesetz) garantierten Koalitionsfreiheit dort eine gewerkschaftliche Vertretung erschwert, weil sich eine Gewerkschaft scheuen würde, diese Bereiche in ihre Satzung aufzunehmen, aus Angst, im angestammten Bereich ihre Tariffähigkeit zu verlieren.

Wegen des weiteren Vorbringens der Beteiligten wird auf die Schriftsätze des AGVP vom 2. Februar 2021 (Blatt 10 ff. der Akten), 1. März 2021 (Blatt 105 ff. der Akten), 7. Juni 2021 (Blatt 223 ff. der Akten) und 21. Juni 2021 (Blatt 245 f. (folgende) der Akten), die Schriftsätze von ver.di vom 2. März 2021 (Blatt 71 ff. der Akten), vom 9. April 2021 (Blatt 174 ff. der Akten), vom 13. April 2021 (Blatt 192 ff. der Akten) und 17. Juni 2021 (Blatt 243 f. der Akten) sowie die Schriftsätze des DGB vom 14. April 2021 (Blatt 208 ff. der Akten) und vom 23. Juni 2021 (Blatt 249 f. der Akten) verwiesen.

Zum Anhörungstermin sind neben dem AGVP als Beteiligten zu 1), ver.di als Beteiligte zu 2) und dem DGB als Beilegten zu 4), die Bundesvereinigung der deutschen Arbeitgeberverbände e.V. (BDA) als Beteiligter zu 3) und das Bundesministerium für Arbeit und Soziales (BMAS) als Beteiligter zu 5) geladen worden. In der Ladung ist darauf hingewiesen worden, dass der Pflicht zur Anhörung genügt ist, wenn eine oder ein Beteiligte*r unentschuldigt ausbleibt. Die Beteiligten zu 3) und 5) sind nicht erschienen und haben sich auch schriftlich nicht geäußert.

II. Die Anträge haben keinen Erfolg.

1. Zu beteiligen waren ausschließlich die Beteiligten zu 1) bis 5). Sie sind ordnungsgemäß angehört worden.

a) Der AGVP problematisiert im Verfahren die Tariffähigkeit von ver.di als Vereinigung und stellt diese zur gerichtlichen Entscheidung. Das Verfahren richtet sich deshalb nach § 2a Absatz 1 Nr. 4 in Verbindung mit § 97 ArbGG. Wer außer dem AGVP als Antragsteller und notwendigem Beteiligten (BAG (Bundesarbeitsgericht) 5. Oktober 2010 - 1 ABR 88/09 - Rn. (Randnummer) 19) zu beteiligen ist, legt § 97 Absatz 2a Satz 1 in Verbindung mit § 83 Absatz 3 ArbGG fest. Hiernach bestimmt sich der Kreis der anzuhörenden Personen und Stellen wie in den anderen in § 2a Absatz 1 ArbGG aufgeführten Verfahren nach materiellem Recht. Die Beteiligtenstellung setzt somit voraus, dass die anzuhörenden Personen und Stellen von dem Verfahren nach § 97 Absatz 1 ArbGG in einer durch die Rechtsordnung geschützten Rechtsposition unmittelbar betroffen werden. Dabei ist prinzipiell die Beteiligung der jeweiligen Spitzenorganisationen ausreichend. Erstreckt sich die Zuständigkeit der Vereinigung, deren Tariffähigkeit umstritten ist, auf das Gebiet mehrerer Bundesländer, ist an dem Verfahren auch die oberste Arbeitsbehörde des Bundes beteiligt. Eine nur mittelbare Betroffenheit von Personen und Stellen oder ein rechtlich nicht geschütztes Interesse, in das Verfahren einbezogen zu werden, reichen nicht aus (BAG 26. Juni 2018
- 1 ABR 37/16 - Rn. 19 mwN (mit weiteren Nachweisen)).

Danach sind zu beteiligen der AGVP als Antragsteller, ver.di als Arbeitnehmervereinigung, über deren Tariffähigkeit bestritten wird, das BMAS vor dem Hintergrund, dass die Zuständigkeit von ver.di nicht auf ein Bundesland beschränkt ist, sowie der DGB als Spitzenorganisation auf Arbeitnehmerseite (§ 1 Absatz 1 und § 2 Absatz 1 Buchstabe a der Satzung des DGB, Blatt 124 ff. der Akten) und der BDA als Spitzenorganisationen auf Arbeitgeberseite (§ 1 Absatz 1 der Satzung der BDA, Blatt 116 ff. der Akten). Nicht zu beteiligen sind der BVAP und der bpa sowie sonstige Arbeitgeberverbände. Ihre Interessen sind ebenso wie die tarifschließender Arbeitgeber*innen durch die Beteiligung des BDA ausreichend geschützt (BAG 11. Juni 2013 - 1 ABR 33/12 - Rn. 14). BVAP, bpa, sonstige Arbeitgeberverbände oder einzelne Arbeitgeber*innen haben im Verfahren auch keinen Antrag gestellt, weshalb ihre Beteiligung auch unter diesem Gesichtspunkt nicht in Betracht kommt (dazu BAG 26. Juni 2018 - 1 ABR 37/16 - Rn. 21 mwN).

b) Alle Beteiligten sind ordnungsgemäß angehört worden. Dass sich die BDA und das BMAS nicht an dem Verfahren beteiligt haben, ist unschädlich. Sie sind zum Anhörungstermin unter Hinweis darauf, dass der Pflicht zur Anhörung auch genügt ist, wenn sie unentschuldigt ausbleiben, geladen worden (§ 97 Absatz 2a Satz 1 in Verbindung mit § 83 Absatz 4 Satz 2 ArbGG).

2. Der Hauptantrag auf Feststellung der teilweisen Tarifunfähigkeit von ver.di (Antrag zu 1.) ist zulässig, aber unbegründet.

a) Gegen die Zulässigkeit des Antrages bestehen keine durchgreifenden Bedenken.

aa) Der AGVP ist antragsberechtigt.

(1) Wer als Organisation einen Antrag nach § 97 ArbGG stellt, muss selbst tariffähig sein (vergleiche BAG 26. Juni 2018 - 1 ABR 37/16 - Rn. 29 mwN). Das ist beim AGVP der Fall.

(a) Eine Koalition muss, um tariffähig zu sein, sich als satzungsgemäße Aufgabe die Wahrnehmung der Interessen ihrer Mitglieder in deren Eigenschaft als Arbeitnehmer*in oder Arbeitgeber*in gesetzt haben und willens sein, Tarifverträge zu schließen. Sie muss frei gebildet, gegnerfrei, unabhängig und auf überbetrieblicher Grundlage organisiert sein sowie das geltende Tarifrecht als verbindlich anerkennen (vergleiche BAG 26. Juni 2018 - 1 ABR 37/16 - Rn. 53 f. mwN). Eine tariffähige Arbeitnehmervereinigung muss darüber hinaus sozial mächtig und von ihrem organisatorischen Aufbau her in der Lage sein, die ihr gestellten Aufgaben einer Tarifvertragspartei zu erfüllen (BAG 26. Juni 2018 - 1 ABR 37/16 - Rn. 56). Bei einer Arbeitgebervereinigung ist dies nicht erforderlich, weil nach § 2 Absatz 1 TVG (Tarifvertragsgesetz) schon der oder die einzelne Arbeitgeber*in tariffähig ist (grundlegend BAG 20. November 1990 - 1 ABR 62/89 -, NZA (Neue Zeitschrift für Arbeitsrecht) 1991, 428).

(b) Danach ist der AGVP tariffähig.

Nach der Satzung des AGVP ist sichergestellt, dass er die Interessen seiner Mitglieder in ihrer Eigenschaft als Arbeitgeber*innen vertritt und frei gebildet, gegnerfrei und auf überbetrieblicher Grundlage organisiert ist sowie das geltende Tarifrecht für sich anerkennt.

Entgegen der Ansicht von ver.di ist der AGVP auch tarifwillig, selbst wenn er bislang keinen einzigen Tarifvertrag abgeschlossen haben sollte. Nach § 2 Absatz 1 Satz 2 der Satzung des AGVP ist sein Zweck unter anderem die Verhandlung über Tarifverträge und dieser Zweck wird durch deren Abschluss verwirklicht. Das reicht zur Anerkennung der Tarifwilligkeit aus. Würde man - wie ver.di meint - darüber hinaus eine tatsächliche Teilnahme am Tarifgeschehen verlangen, würde man eine Koalition zu bestimmten tarifpolitischen Entscheidungen zwingen. Bestimmte tarifpolitische Entscheidungen sind aber nicht Voraussetzung für die Tariffähigkeit. Es ist für die Tarifwilligkeit daher ausreichend, wenn sich ein Arbeitgeberverband nach seiner Satzung grundsätzlich zum Abschluss von Tarifverträgen bekennt und damit auch gewerkschaftlichen Arbeitskämpfen aussetzt.

Auf die soziale Mächtigkeit des AGVP kommt es nicht an.

bb) Der AGVP ist auch eine räumlich und sachlich zuständige Vereinigung von Arbeitgeber*innen im Sinne von § 97 Absatz 1 ArbGG und deshalb auch unter diesem Gesichtspunkt berechtigt, das Verfahren einzuleiten.

Nach § 97 Absatz 1 ArbGG kann das Verfahren über die Tariffähigkeit einer Vereinigung unter anderem auf Antrag einer räumlich und sachlich zuständigen Vereinigung von Arbeitgeber*innen eingeleitet werden. Erforderlich ist, dass sich der räumliche und sachliche Zuständigkeitsbereich der antragstellenden Vereinigung zumindest teilweise mit den Zuständigkeitsbereichen der Vereinigung deckt, deren Tariffähigkeit bestritten wird (vergleiche BAG 26. Juni 2018 - 1 ABR 37/16 - Rn. 26 mwN). Diese Voraussetzung ist erfüllt. Der AGVP organisiert nach § 2 Absatz 1 seiner Satzung bundesweit Pflegeeinrichtungen. Ver.di organisiert nach dem Anhang 1 Nr. 1.4 Satz 1 ihrer Satzung unter anderem „Gesundheits- und Sozialdienste“, wozu ohne weiteres auch Pflegedienstleistungen zählen. Dass Pflegeeinrichtungen in der nur beispielhaften Einzelaufzählung („insbesondere“) in Satz 2 der Vorschrift nicht ausdrücklich aufgeführt sind, ist unerheblich. Es bedarf auch keiner Entscheidung, ob Pflegeeinrichtungen zu den „Einrichtungen des öffentlichen und privaten Gesundheitswesens“ im Sinne der Aufzählung im Anhang 1 Nr. 1.4 Satz 2 der Satzung gehören.

cc) Der AGVP ist entgegen der Ansicht des DGB auch berechtigt, die teilweise Tarifunfähigkeit von ver.di im Verfahren nach § 2a Absatz 1 Nr. 4 in Verbindung mit § 97 ArbGG geltend zu machen und einen entsprechenden Feststellungsantrag anzubringen. Dabei kommt es nicht darauf an, ob es eine teilweise Tarifunfähigkeit gibt und wie sie gegebenenfalls abzugrenzen wäre.

Ziel der gesetzlichen Regelung ist es, hinsichtlich der Eigenschaft der Tariffähigkeit einer Vereinigung ein objektiviertes Verfahren, in dem die jeweils beteiligten Personen und Stellen anzuhören sind (§ 97 Absatz 2a Satz 1 in Verbindung mit § 83 Absatz 3 ArbGG), einheitlich mit Wirkung gegenüber allen zu schaffen (vergleiche nur BAG 22. März 2017- 1 AZB 55/16 - Rn. 16). Das dient auch dem durch Artikel 9 Absatz 3 GG geschützten Interesse der Vereinigung, deren Tariffähigkeit angezweifelt wird. Sie erhält nämlich die Möglichkeit, in dem Verfahren an der für alle verbindlichen allgemeinen Klärung ihrer Tariffähigkeit mitzuwirken. Durch die Aussetzungspflicht in § 97 Absatz 5 Satz 1 ArbGG wird zudem verhindert, dass diese Frage in einer unbegrenzten Zahl von Einzelrechtsstreiten zwischen Arbeitsvertragsparteien aufgeworfen wird, ohne dass die betroffene Vereinigung die Sicherheit hätte, ihre Position einbringen zu können (vergleiche BAG 28. Januar 2008 - 3 AZB 30/07 - Rn. 18).

Danach ist auch die Frage einer teilweisen Tarifzuständigkeit und gegebenenfalls ihre Abgrenzung im Verfahren nach § 2a Absatz 1 Nr. 4 in Verbindung mit § 97 ArbGG zu klären. Denn die Tätigkeit einer Vereinigung und die Wirkung der von ihr abgeschlossenen Tarifverträge ist grundsätzlich in gleicher Weise gefährdet, wenn der Vereinigung nur für einen Teil ihrer Tätigkeit die Tariffähigkeit abgesprochen wird. Auch dies kann erhebliche Auswirkungen haben. Das zeigt gerade das vorliegende Verfahren, in dem ver.di für eine nicht unbedeutende Branche das Recht abgesprochen wird, Tarifverträge für ihre dort tätigen Mitglieder abzuschließen und diese dadurch vor unangemessenen Arbeitsbedingungen zu schützen. Auch diesbezüglich besteht ein erhebliches Interesse an einer einheitlichen Klärung in einem objektivierten Verfahren gegenüber allen. Nur so kann rechtssicher verhindert werden, dass sich Mitglieder von ver.di und andere Arbeitnehmer*innen in Einzelrechtsstreiten dem Einwand einer teilweisen Tarifunfähigkeit von ver.di ausgesetzt sehen.

Der Begriff „Entscheidung über die Tariffähigkeit“ in § 2a Absatz 1 Nr. 4 ArbGG ist daher als „Entscheidung über Fragen der Tariffähigkeit“ zu verstehen. Ob eine teilweise Tarifunfähigkeit existiert oder nicht und wie sie gegebenenfalls abzugrenzen ist, ist somit eine materiellrechtliche Frage, die gerade im Verfahren nach § 2a Absatz 1 Nr. 4 in Verbindung mit § 97 ArbGG zu klären ist.

dd) Die sonstigen Verfahrensvoraussetzungen liegen ebenfalls vor.

(1) Der Antrag ist hinreichend bestimmt im Sinne des auch im arbeitsgerichtlichen Beschlussverfahrens anwendbaren § 253 Absatz 2 Nr. 2 ZPO (Zivilprozessordnung). Er ist hinreichend genau auf den Zeitraum zwischen der Zustellung der Antragsschrift an ver.di am 12. Februar 2021 bis zum Anhörungstermin am 24. Juni 2021 bezogen. Auf diesen Zeitraum kommt es für die Entscheidung an (vergleiche BAG 26. Juni 2018 - 1 ABR 37/16 - Rn. 16 mwN). Der Bereich, für den der AGVP ver.di die Tariffähigkeit absprechen will, ist durch die Bezugnahme auf § 10 AEntG ebenfalls hinreichend konkret beschrieben.

(2) Das Rechtsschutzinteresse für den Antrag ergibt sich schon daraus, dass § 97 Absatz 1 ArbGG dem AGVP das Recht einräumt, das Verfahren einzuleiten. Ein besonderes Feststellungsinteresse im Sinne von § 256 Absatz 1 ZPO ist nicht erforderlich (BAG 26. Juni 2018 - 1 ABR 37/16 - Rn. 32 f. mwN).

(3) Der Antrag ist auch nicht rechtsmissbräuchlich. Dass die das Verfahren einleitende Organisation einen Antrag gegen eine Vereinigung mit gegenläufigen Interessen stellt und sich dabei möglicherweise von ihren tarifpolitischen Zielen leiten lässt, ist im Verfahren nach § 97 ArbGG angelegt.

ee) Das angerufene Gericht ist als das für Berlin, den Sitz von ver.di, zuständige Landesarbeitsgericht für die Entscheidung über den Antrag nach § 97 Absatz 2 ArbGG örtlich und sachlich zuständig.

b) Der Antrag ist unbegründet. Er richtet sich auf die Feststellung, dass ver.di in der Pflegebranche mit Ausnahme der Krankenhäuser deshalb nicht tariffähig ist, weil ihr gerade für diese Branche die Durchsetzungskraft und damit die soziale Mächtigkeit als eine Voraussetzung der Tariffähigkeit fehlt. Der Antrag kann daher nur Erfolg haben, wenn die Tariffähigkeit einer Arbeitnehmervereinigung bezogen auf eine bestimmte von mehreren von ihr organisierten Branchen generell oder - wie der AGVP meint - zumindest bei einer Arbeitnehmervereinigung mit einem so heterogenen Organisationsbereich wie ihn ver.di hat, fehlen kann. Dies ist jedoch nicht der Fall. Es gilt vielmehr der Grundsatz der Einheit und Unteilbarkeit der Tariffähigkeit einer Arbeitnehmervereinigung.

aa) Für die Feststellung der Tariffähigkeit gelten folgende Grundsätze:

(1) Weder der Begriff der Tariffähigkeit noch die Anforderungen, die hierfür zu stellen sind, sind gesetzlich geregelt. § 2 Absatz 1 TVG bestimmt den Begriff der tariffähigen Arbeitnehmerkoalition (Gewerkschaft) nicht, sondern setzt ihn voraus. Die Regelung in A III 2 des Staatsvertrags über die Schaffung einer Währungs-, Wirtschafts- und Sozialunion zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Deutschen Demokratischen Republik vom 18. Mai 1990 und dem Gemeinsamen Protokoll über Leitsätze, die nahezu wortgleich den von der Rechtsprechung entwickelten Anforderungen entspricht, stellt ebenfalls keine gesetzliche Normierung der an die Tariffähigkeit einer Arbeitnehmervereinigung zu stellenden Voraussetzungen dar. Sie hat zwar durch das Zustimmungsgesetz des Bundestags vom 25. Juni 1990 (BGBl. (Bundesgesetzblatt) II S. (Seite) 518) Aufnahme in den Willen des Gesetzgebers gefunden. Materielles Gesetz ist sie dadurch aber nicht geworden. Es ist daher Aufgabe der Gerichte für Arbeitssachen, im Rahmen der an sie herangetragenen Streitigkeit den unbestimmten Rechtsbegriff durch Auslegung im Lichte des Artikel 9 Absatz 3 GG auszufüllen (vergleiche zur Tariffähigkeit als „ein von der Rechtsprechung entwickeltes tarifvertragliches Instrument“ BVerfG 11. Juli 2017 - 1 BvR 1571/15 ua. (und andere) - Rn. 164) und dabei die im Zustimmungsgesetz vom 25. Juni 1990 zum Ausdruck gekommene Willensbekundung der Gesetzgebungsorgane der Bundesrepublik Deutschland zu beachten (BAG 28. März 2006 - 1 ABR 58/04 - Rn. 36; zum Ganzen auch BAG 26. Juni 2018 - 1 ABR 37/16 - Rn. 51).

(2) Eine Voraussetzung für die Tariffähigkeit einer Arbeitnehmervereinigung ist dabei - wie bereits oben ausgeführt -, dass sie sozial mächtig und von ihrem organisatorischen Aufbau her in der Lage ist, die ihr gestellten Aufgaben einer Tarifvertragspartei zu erfüllen (BAG 26. Juni 2018 - 1 ABR 37/16 - Rn. 56 mwN).

(a) Tariffähig ist nur diejenige Vereinigung, die ein Mindestmaß an Verhandlungsgewicht und also eine gewisse Durchsetzungskraft gegenüber dem sozialen Gegenspieler aufweist. Davon geht auch das Bundesverfassungsgericht aus (BVerfG 11. Juli 2017 - 1 BvR 1571/15 ua. - Rn. 164). Der einer Arbeitnehmerkoalition obliegenden Mitwirkung am Zustandekommen eines angemessenen, sozial befriedenden Interessenausgleichs kann diese nur sachgerecht nachkommen, wenn sie auf die Arbeitgeberseite zumindest so viel Druck ausüben kann, dass diese sich veranlasst sieht, sich auf Verhandlungen über tarifvertraglich regelbare Arbeitsbedingungen einzulassen (BAG 26. Juni 2018 - 1 ABR 37/16 - Rn. 57 mwN).

(b) Von ihrem organisatorischen Aufbau her muss eine Gewerkschaft in der Lage sein, die ihr gestellten Aufgaben in ihrem selbst gewählten Zuständigkeitsbereich zu erfüllen. Maßgebend sind insoweit die Umstände des Einzelfalls (BAG 26. Juni 2018 - 1 ABR 37/16 - Rn. 58 mwN).

(c) Die Anforderungen an die Tariffähigkeit einer Arbeitnehmerkoalition sichern die Funktionsfähigkeit der Tarifautonomie und sind gemessen an diesem Regelungsziel verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden (ausführlich BAG 5. Oktober 2010
- 1 ABR 88/09 - Rn. 33 bis 37; BAG 28. März 2006 - 1 ABR 58/04 - Rn. 37 - 54). Das gilt insbesondere für das Erfordernis der Durchsetzungs- und Leistungsfähigkeit. Funktionsfähig ist die Tarifautonomie nur, solange zwischen den Tarifvertragsparteien ein ungefähres Kräftegleichgewicht - Parität - besteht. Die Vermutung der Richtigkeit des zwischen den Tarifvertragsparteien Ausgehandelten greift nur unter diesen Voraussetzungen (BVerfG 11. Juli 2017 - 1 BvR 1571/15 ua. - Rn. 146 mwN). Parität zwischen den Tarifvertragsparteien als Funktionsbedingung für die Tarifautonomie setzt Durchsetzungskraft gegenüber dem sozialen Gegenspieler voraus (vergleiche auch BVerfG 24. Februar 1999 - 1 BvR 123/93 - unter B II 2 b bb der Gründe, NZA 1999, 713; zum Ganzen auch BAG 26. Juni 2018 - 1 ABR 37/16 - Rn. 62).

(3) Abzustellen ist dabei darauf, ob die Arbeitnehmervereinigung Durchsetzungskraft und organisatorische Leistungsfähigkeit in einem zumindest nicht unbedeutenden Teil des beanspruchten Zuständigkeitsbereichs besitzt. Es gibt keine partielle, auf bestimmte Regionen, Berufskreise oder Branchen beschränkte Tariffähigkeit. Die Tariffähigkeit einer Arbeitnehmervereinigung für den beanspruchten Zuständigkeitsbereich ist einheitlich und unteilbar. Danach kann einer Arbeitnehmervereinigung einerseits insgesamt die Tariffähigkeit nicht versagt werden, wenn die Durchsetzungskraft oder die organisatorische Leistungsfähigkeit in irgendeinem Teilbereich fehlt, während sie andererseits nicht festgestellt werden kann, wenn die Vereinigung nur in irgendeinem Teilbereich ihrer Tarifzuständigkeit über eine Durchsetzungskraft verfügt (vergleiche BAG 26. Juni 2018 - 1 ABR 37/16 - Rn. 59 mwN).

Die rechtfertigt sich daraus, dass die Mächtigkeit einer Arbeitnehmervereinigung in einem zumindest nicht unbedeutenden Teil des von ihr beanspruchten Zuständigkeitsbereichs im Normalfall erwarten lässt, dass sich die Arbeitnehmerkoalition auch in den Bereichen, in denen es ihr an Durchsetzungskraft fehlt, beim Abschluss von Tarifverträgen nicht den Forderungen der Arbeitgeberseite unterwirft (BAG 28. März 2006 - 1 ABR 58/04 - Rn. 57). Auf diesen Normalfall ist typisierend abzustellen. Das gilt entgegen der Ansicht des AGVP auch dann, wenn die Durchsetzungsstärke einer Arbeitnehmervereinigung in einem völlig anderen Bereich gegeben ist, als in der Branche, für die eine Tarifunfähigkeit geltend gemacht wird. Denn auch dies macht sie stark genug, in der fraglichen Branche sich nicht einfach den Arbeitgeberforderungen zu unterwerfen, worauf es allein ankommt (vergleiche BAG 28. Oktober 2006 - 1 ABR 58/04 - Rn. 39). Dass möglicherweise als „Einstieg“ in die gewerkschaftliche Tätigkeit in einem solchen Bereich - etwa um auch dort einen hohen Organisationsgrad zu erreichen - andere Tarifverträge abgeschlossen werden, als in Bereichen, in denen die Vereinigung durchsetzungsstark ist, vermag daran nichts zu ändern. Dies wäre Tarifpolitik beziehungsweise gewerkschaftliche Strategie, aber keine Unterwerfung unter die Arbeitgeberseite.

Demgegenüber begegnet das Konzept einer partiellen Tariffähigkeit/Tarifunfähigkeit (vergleiche insbesondere Rieble, FS (Festschrift) Wiedemann S. 519, 526 ff.; Dütz, DB (Der Betrieb) 1996, 2385, 2389, 2390; Bayreuther, BB (Betriebsberater) 2005, 2633, 2637 f.) aus Gründen der Rechtssicherheit durchgreifenden Bedenken (vergleiche beispielhaft Doerlich, Die Tariffähigkeit der Gewerkschaft S. 243 bis 323; Oetker in Schleef/Oetker, Tarifpolitik im Wandel - Eine tarifpolitische und tarifrechtliche Studie am Beispiel des Tarifkonflikts bei der JENOPTIK AG; Benecke, SAE (Sammlung Arbeitsrechtlicher Entscheidungen) 1998, 60, 65 f.). Es entstünde eine die Funktionsfähigkeit der Tarifautonomie ernsthaft gefährdende Unsicherheit. Denn bei jedem Tarifvertrag würde sich die Frage stellen, ob die ihn abschließende Arbeitnehmervereinigung im jeweiligen Bereich Durchsetzungskraft und damit (partielle) Tariffähigkeit besitzt (BAG 28. März 2006 - 1 ABR 58/04 - Rn. 38).

Ebenfalls nicht tragfähig wäre es, die Tariffähigkeit insgesamt zu versagen, wenn die Durchsetzungskraft oder organisatorische Leistungsfähigkeit in irgendeinem Teilbereich fehlt. Zwar ist die Organisationsstärke grundsätzlich im Verhältnis zu dem von der Arbeitnehmerkoalition selbst gewählten räumlichen und fachlichen Organisationsbereich zu bewerten; in diesem muss sie sich gegenüber der Arbeitgeberseite durchsetzen können. Auch liegt es in der Entscheidungsmacht und der Verantwortung einer Arbeitnehmervereinigung, in ihrer Satzung die Tarifzuständigkeit nicht für Bereiche zu beanspruchen, in denen sie nicht durchsetzungsfähig ist. Gleichwohl wäre eine derartige Anforderung an die Tariffähigkeit mit Artikel 9 Absatz 3 GG nicht vereinbar. Sie würde nicht nur dazu führen, dass eine anerkannte Gewerkschaft ihre Tariffähigkeit insgesamt verlieren könnte, wenn sie in einem Teilbereich keine Durchsetzungskraft mehr besitzt. Vielmehr würde diese Konsequenz auch eintreten, wenn eine Gewerkschaft ihren bisherigen Zuständigkeitsbereich durch Satzungsänderung auf Bereiche erstreckt, in denen sie
- noch - nicht überall über die erforderliche Durchsetzungskraft verfügt. Dies widerspräche dem durch Artikel 9 Absatz 3 GG gewährleisteten Recht, den Zuständigkeitsbereich eigenverantwortlich festzulegen (zum Ganzen BAG 28. März 2006 - 1 ABR 58/04 - Rn. 59 mwN). Letztlich entstünde für die Entwicklung des Tarifgeschehens und damit für die Funktionsfähigkeit der Tarifautonomie ein nicht hinnehmbares Hemmnis.

Umgekehrt kann aber die Durchsetzungskraft in irgendeinem Teilbereich nicht stets die Tariffähigkeit für den Gesamtbereich begründen. Auch damit wären ganz erhebliche Gefahren für das Funktionieren der Tarifautonomie verbunden. Von einer Arbeitnehmervereinigung, die nur in einem kleinen, unbedeutenden Teil eines räumlich und fachlich sehr weiten Zuständigkeitsbereichs durchsetzungsfähig ist, kann nicht erwartet werden, dass sie flächendeckend in der Lage ist, tarifliche Regelungen auszuhandeln, die den Interessen beider Seiten gerecht werden (BAG 28. März 2006
- 1 ABR 58/04 - Rn. 60). Vielmehr bestünde die Gefahr, dass sich eine solche Arbeitnehmervereinigung weitgehend den Forderungen der Arbeitgeberseite unterwirft.

Der Grundsatz der einheitlichen und unteilbaren Tariffähigkeit ist somit entgegen der Ansicht des AGVP nicht dysfunktional, sondern entspricht dem Konzept einer funktionierenden und flexiblen Tarifautonomie.

Die vom AGVP aufgeworfene Problematik der Übertragung von Teilen der Tarifzuständigkeit auf Spitzenorganisationen (dazu BAG 14. Dezember 2010
- 1 ABR 19/10 - Rn. 80 ff.) ändert nichts an diesem Ergebnis. Geht man - wie das Bundesarbeitsgericht - davon aus, es könne einer Spitzenorganisation nur die gesamte Tarifzuständigkeit übertragen werden (BAG 14. Dezember 2010 - 1 ABR 19/10 - Rn. 76), ist dies lediglich die konsequente Fortsetzung des Grundsatzes der Einheitlichkeit der Tariffähigkeit. Teilt man diese Ansicht nicht, stellen sich zwar möglicherweise Fragen, nach welchen Kriterien die Tariffähigkeit der Spitzenorganisation zu beurteilen ist, die Kriterien für die Beurteilung der Tariffähigkeit von Einzelorganisationen blieben aber unberührt.

bb) Danach ist der auf die Feststellung der Tarifunfähigkeit von ver.di in der Pflegebranche gestellte Antrag unbegründet.

3. Der zur Entscheidung angefallene Hilfsantrag auf Feststellung der Tarifunfähigkeit von ver.di insgesamt (Antrag zu 2.) ist ebenfalls zulässig, aber nicht begründet.

a) Der Antrag ist zulässig.

aa) Hinsichtlich der Antragsberechtigung des AGVP, seines Rechtsschutzinteresses, der Frage eines möglichen Rechtsmissbrauchs und der Zuständigkeit des angerufenen Gerichts gelten dieselben Überlegungen wie für den Hauptantrag. Insoweit wird auf die dortigen Ausführungen verwiesen. Der Antrag ist auch hinreichend bestimmt auf die Umstände während des entscheidungserheblichen Zeitraums zwischen der Zustellung des Hilfsantrages bei ver.di am 8. Juni 2021 und dem Anhörungstermin am 24. Juni 2021 bezogen.

bb) Offen bleiben kann, ob in der Anbringung des Hilfsantrages eine Antragsänderung (§ 83 Absatz 3 ArbGG) in Form einer Antragserweiterung liegt oder nur eine Antragsänderung im Sinne des § 264 ZPO, der auch im arbeitsgerichtlichen Beschlussverfahren entsprechend anwendbar ist (BAG 4. Dezember 2013
- 7 ABR 7/12 - Rn. 26). Denn jedenfalls wäre die Antragsänderung sachdienlich (§ 97 Absatz 2a Satz 1 in Verbindung mit § 81 Absatz 3 Satz 1 ArbGG). Der Hilfsantrag ist mit dem Hauptantrag rechtlich eng verbunden. Für seine Beurteilung sind auch wesentliche Teile des Sachvortrags - wie zum Beispiel die Satzung von ver.di - verwertbar. Zudem kann der AGVP seine Rechtsansicht, wenn man ver.di die Tariffähigkeit nicht beschränkt auf die Pflegebranche abspräche, müsse dies zur Tarifunfähigkeit insgesamt führen, nur durch die Anbringung des Hilfsantrages wirksam verfolgen. Die Behandlung des Hilfsantrages entbindet auch von der Einleitung eines weiteren Verfahrens und dient damit der Verfahrensökonomie.

b) Der Antrag ist jedoch nicht begründet.

aa) Entgegen der Ansicht des AGVP hat eine etwaige fehlende Durchsetzungskraft von ver.di im Bereich der Pflegebranche für sich genommen nicht zur Folge, dass ver.di insgesamt tarifunfähig ist. Denn wie bereits oben ausgeführt, kann einer Arbeitnehmervereinigung die Tariffähigkeit nicht deshalb versagt werden, weil ihr die Durchsetzungskraft in irgendeinem Teilbereich fehlt. Wie sich aus Anlage 1 der Satzung von ver.di ergibt, handelt es sich bei der Pflegebranche auch nicht um das Kernstück des Organisationsbereichs von ver.di.

Damit ist unter diesem Gesichtspunkt auch unerheblich, dass ver.di keinen Sachvortrag zu ihrer Durchsetzungskraft in der Pflegebranche geleistet hat. Es gibt auch keinen Anlass, insoweit den Sachverhalt von Amts wegen zu erforschen (§ 97 Absatz 2a Satz 1 in Verbindung mit § 83 Absatz 1 ArbGG).

bb) Stellt man auf die Organisation von ver.di insgesamt ab, ist ver.di tariffähig.

(1) Eine Arbeitnehmervereinigung muss - wie oben ausgeführt - bestimmte Mindestvoraussetzungen erfüllen, um tariffähig zu sein. Die Koalition muss sich als satzungsgemäße Aufgabe die Wahrnehmung der Interessen ihrer Mitglieder in deren Eigenschaft als Arbeitnehmer*innen gesetzt haben und willens sein, Tarifverträge zu schließen. Sie muss frei gebildet, gegnerfrei, unabhängig und auf überbetrieblicher Grundlage organisiert sein und das geltende Tarifrecht als verbindlich anerkennen. Darüber hinaus muss sie über Durchsetzungskraft gegenüber dem sozialen Gegenspieler und über eine leistungsfähige Organisation verfügen (BAG 26. Juni 2018 - 1 ABR 37/16 - Rn. 52 ff. mwN).

(2) Nach der Satzung von ver.di bestehen keine Zweifel dagegen, dass es sich bei ver.di um einen Zusammenschluss zur Wahrnehmung der Interessen ihrer Mitglieder in deren Eigenschaft als Arbeitnehmer*innen handelt, der auch willens ist, Tarifverträge zu schließen. Ebenso wenig bestehen Zweifel, dass ver.di frei gebildet, unabhängig und auf überbetrieblicher Grundlage organisiert ist sowie - als Teil der Grundsätze des demokratischen und sozialen Rechtsstaats (§ 5 Absatz 1 der Satzung) - das geltende Tarifrecht als verbindlich anerkennt.

(3) Ver.di ist auch gegnerfrei, gleichwohl sie nach 1.5 des Anhangs 1 zu ihrer Satzung auch die bei ihr selbst und in ihren Einrichtungen beschäftigten Arbeitnehmer*innen organisiert und diesen als Arbeitgeber*in gegenübertritt.

(a) Das Erfordernis der Gegnerunabhängigkeit ist nicht im formalen, sondern im materiellen Sinn zu verstehen. Es soll sicherstellen, dass die Vereinigung durch ihre koalitionsmäßige Betätigung zu einer sinnvollen Ordnung des Arbeitslebens beitragen kann. Die erforderliche Gegnerunabhängigkeit fehlt, wenn die Abhängigkeit vom sozialen Gegenspieler in der Struktur der Arbeitnehmervereinigung angelegt und verstetigt und die eigenständige Interessenwahrnehmung der Tarifvertragspartei durch personelle Verflechtungen, auf organisatorischem Weg oder durch wesentliche finanzielle Zuwendungen ernsthaft gefährdet ist (BAG 26. Juni 2018 - 1 ABR 37/16 - Rn. 55 mwN).

(b) Danach fehlt ver.di die Gegnerfreiheit nicht. Denn die Organisation der bei ihr selbst und ihren Einrichtungen beschäftigten Arbeitnehmer*innen prägt die Struktur von ver.di nicht in einem Maße, die die Interessenwahrnehmung der bei ver.di insgesamt organisierten Beschäftigten ernsthaft gefährdet.

(4) Zur Überzeugung der Kammer steht auch fest, dass ver.di über die notwendige Durchsetzungskraft gegenüber dem sozialen Gegenspieler und über eine leistungsfähige Organisation verfügt.

(a) Die Organisationsstärke ist im Verhältnis zu dem von der Arbeitnehmerkoalition selbst gewählten räumlichen und fachlichen Organisationsbereich zu bewerten. In diesem muss sie sich gegenüber der Arbeitgeberseite durchsetzen können. Weil die Tariffähigkeit einheitlich und unteilbar ist, ist es insoweit ausreichend, aber auch erforderlich, dass die Durchsetzungsfähigkeit einen für den gegenwärtig beanspruchten Organisationsbereich relevanten Teil betrifft. Nur die Mächtigkeit einer Arbeitnehmervereinigung in einem zumindest nicht unbedeutenden Teil des von ihr beanspruchten Zuständigkeitsbereichs lässt im Normalfall erwarten, dass sich die Arbeitnehmerkoalition auch in den Bereichen, in denen es ihr an Durchsetzungskraft fehlt, beim Abschluss von Tarifverträgen nicht den Forderungen der Arbeitgeberseite unterwirft (vergleiche dazu und zum Folgenden BAG 26. Juni 2018 - 1 ABR 37/16 - Rn. 60, 79, 80, 81, 90, 92 mwN).

Die hinreichende Durchsetzungskraft und Leistungsfähigkeit einer Arbeitnehmervereinigung wird regelmäßig durch die Zahl ihrer Mitglieder vermittelt. Diese bestimmt die finanzielle Ausstattung der Arbeitnehmerkoalition und vor allem ihre Fähigkeit, hinreichenden Druck auf den sozialen Gegenspieler aufzubauen, um Verhandlungen über den Abschluss eines Tarifvertrags gegebenenfalls zu erzwingen. Bei einer nur kleinen Zahl von Mitgliedern kann sich die Möglichkeit einer Arbeitnehmervereinigung, empfindlichen Druck auf den sozialen Gegenspieler auszuüben, daraus ergeben, dass es sich bei den organisierten Arbeitnehmer*innen um solche in Schlüsselstellungen handelt, die von der Arbeitgeberseite im Falle eines Arbeitskampfs kurzfristig überhaupt nicht oder nur schwer ersetzt werden können.

Lässt der Organisationsgrad zur Überzeugung des Gerichts nicht auf eine hinreichende Durchsetzungskraft schließen, kann diese ausnahmsweise auch durch eine langjährige Teilnahme der Arbeitnehmervereinigung am Tarifgeschehen indiziert sein. Die eigene aktive und dauerhafte Beteiligung am Prozess der tariflichen Regelung von Arbeitsbedingungen ist ein gewichtiger Beleg dafür, dass die Koalition von der Arbeitgeberseite wahr- und ernstgenommen wird. Die Durchsetzungskraft und die organisatorische Leistungsfähigkeit können daher ausnahmsweise bei einer langjährig am Tarifgeschehen teilnehmenden Arbeitnehmervereinigung indiziert sein, wenn diese bereits in nennenswertem Umfang Tarifverträge innerhalb ihrer satzungsmäßigen Zuständigkeit abgeschlossen hat. Gemeinsam mit einer anderen Arbeitnehmervereinigung geschlossene Tarifverträge haben - nach dem Verständnis der Kammer grundsätzlich - keine solche Indizwirkung. Eine Indizwirkung für die soziale Mächtigkeit einer Arbeitnehmervereinigung allein und ausschließlich aufgrund der Anzahl der von ihr in der Vergangenheit geschlossenen Tarifverträge - ohne jegliche Berücksichtigung von Mitgliederzahlen - scheidet jedoch aus.

Beansprucht eine langjährig in einem bestimmten Bereich am Tarifgeschehen beteiligte Arbeitnehmervereinigung nunmehr Zuständigkeiten in einem erheblich geänderten personellen, räumlichen und/oder fachlichen Zuständigkeitsbereich, der seinerseits für die Beurteilung ihrer Durchsetzungskraft und organisatorischen Leistungsfähigkeit von Bedeutung ist, ist die Zahl der im vormaligen anderen Zuständigkeitsbereich geschlossenen Tarifverträge nicht maßgebend. Der durch die Anzahl geschlossener Tarifverträge belegten Wahrnehmung der Koalition durch den sozialen Gegenspieler kommt dann auch im Hinblick auf eine im neuen Bereich ganz wesentlich anders zusammengesetzte Arbeitgeberseite von vornherein kein ausschlaggebendes Gewicht zu. Dann ist vielmehr maßgeblich darauf abzustellen, wie sich die im Organisationsgrad ausdrückende Mächtigkeit der Vereinigung in einem zumindest nicht unbedeutenden Teil des beanspruchten Organisationsbereiches darstellt.

Da die Versagung der Tariffähigkeit einen erheblichen Eingriff in die Koalitionsfreiheit darstellt, ist eine grundrechtsfreundliche, eher großzügige Betrachtung geboten.

(b) Nach dem Vorbringen der Beteiligten und aufgrund allgemeinkundiger Tatsachen (§ 292 ZPO) steht zur Überzeugung der Kammer fest, dass ver.di in diesem Sinne durchsetzungsfähig ist (im Ergebnis ebenso BAG 26. Juni 2018 - 1 ABR 37/16 - Rn. 29).

(aa) Wie der AGVP zurecht bereits in der Antragsschrift ausgeführt hat, bedarf ver.di im Grunde keiner Vorstellung, da sie als aktive Gewerkschaft allgemein bekannt ist. Angesichts der unbestrittenen Anzahl von 1,8 bis 2,0 Millionen Mitgliedern ist die Kammer auch davon überzeugt, dass der unterbliebene Vortrag von ver.di zum Organisationsgrad in ihrem Organisationsbereich kein Hinweis auf einen unzulänglichen Organisationsgrad ist. Dabei ist zu berücksichtigen, dass ein solcher Vortrag eine genaue Beurteilung der Kampfkraft der Arbeitnehmervereinigung in einzelnen Branchen erlaubt und daher nur verlangt werden kann, wenn dies für die Entscheidung in einem gerichtlichen Verfahren und für die Wahrung der Grundrechte anderer unbedingt notwendig ist (vergleiche dazu in anderem Zusammenhang BAG 23. Februar 2021 - 3 AZR 15/20 - Rn. 86).

(bb) Unabhängig davon ist allgemeinkundig, dass ver.di in weiten und nicht nur unbedeutenden Teilen des in Anhang 1 ihrer Satzung aufgeführten Organisationsbereichs in Nachfolge ihrer Quellgewerkschaften DPG, HBV, IG Medien und ÖTV langjährig Tarifverträge abschließt. Das betrifft im Bereich Postdienste, Postbank und Telekommunikation (Anhang 1 Nr. 1.1 der Satzung) die Postnachfolgeunternehmen, im Bereich Handel, Banken und Versicherungen (Anhang 1 Nr. 1.2 der Satzung) sowohl den Einzel- als auch den Großhandel und das Versicherungsgewerbe, im Bereich Medien, Druck und Papier, Publizistik und Kunst (Anhang 1 Nr. 1.3 der Satzung) die Druckindustrie, im Bereich Öffentliche Dienste, Transport und Verkehr (Anhang 1 Nr. 1.4 der Satzung) weite Teile des öffentlichen Dienstes - so neben Bund, Ländern und Gemeinden auch Krankenkassen sowie Krankenhäuser - ferner im Transportwesen Flughäfen sowie das Bodenpersonal von Fluggesellschaften und im Sozialbereich viele Träger von sozialen Diensten.

Die Kammer ist überzeugt, dass diese Tarifverträge nicht auf einer Unterwerfung unter die Forderungen der Gegenseite beruhen. Andeutungen in dieser Richtung macht weder der AGVP, noch sind solche öffentlich bekannt geworden. Der Abschluss kann sich deshalb nur durch eine jeweils ausreichende Organisationsstärke - sei es durch eine ausreichende Anzahl aktiver Beschäftigter oder die Besetzung von Schlüsselpositionen mit Mitgliedern - erklären, ohne dass es insoweit jeweils auf genaue Zahlen ankäme.

Die Kammer verkennt nicht, dass ver.di im Öffentlichen Dienst mit den Gewerkschaften des Deutschen Beamtenbundes und anderen DGB-Gewerkschaften zusammen Tarifverträge abschließt. Dabei handelt es sich aber nicht um bloße Anerkennungstarifverträge, also nicht um ein Profitieren allein von der Durchsetzungskraft anderer. Vielmehr nimmt ver.di allgemeinkundig insoweit eine Schlüsselposition ein, wie sich durch eine Reihe von allgemein bekannten Arbeitskämpfen zeigt. Es gibt deshalb im Fall von ver.di keinen Grund, diese Tarifverträge bei der Beurteilung der Durchsetzungsfähigkeit nicht einzubeziehen.

Da ver.di in einem tradierten Organisationsbereich tätig ist, den sie nach Fusion der Quellgewerkschaften nicht nennenswert erweitert hat, bestehen auch keine aus einer Erweiterung des Organisationsbereiches folgenden Gründe, die die Bedeutung von Tarifabschlüssen bei der Beurteilung der Durchsetzungsstärke und dem Rückschluss auf die Mitgliederzahl einschränken könnte.

(cc) Unerheblich ist nach dem Gesagten, welcher Anteil der Mitglieder von ver.di in einem aktiven Arbeitsverhältnis steht. Im Übrigen hat die Kammer ohnehin Zweifel, ob diese Mitglieder, jedenfalls solange sie als Betriebsrentner*innen unter tarifliche Versorgungsordnungen fallen, bei der Beurteilung der Durchsetzungsstärke unbeachtet bleiben können. Zwar können Betriebsrentner*innen nicht für bessere Betriebsrenten streiken. Sie haben als Mitglieder der Gewerkschaft jedoch einen Anspruch darauf, bei Entscheidungen über Tarifverträge, die sie betreffen, mitzuwirken, und dadurch die Möglichkeit, verschlechternde Ablösungen durch Tarifvertrag zu verhindern (dazu BAG 17. Juni 2008 - 3 AZR 409/06 - Rn. 31 ff.).

III. Die Kammer hat die Rechtsbeschwerde wegen grundsätzlicher Bedeutung zugelassen (§ 97 Absatz 2a Satz 1 in Verbindung mit § 92 Absatz 1 Satz 1 und 2 sowie § 72 Absatz 2 Nr. 1 ArbGG).

IV. Das Verfahren ist nach § 2 Absatz 2 Gerichtskostengesetz gerichtskostenfrei.