Gericht | OLG Brandenburg 4. Zivilsenat | Entscheidungsdatum | 14.07.2021 | |
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Aktenzeichen | 4 U 201/19 | ECLI | ECLI:DE:OLGBB:2021:0714.4U201.19.00 | |
Dokumententyp | Urteil | Verfahrensgang | - | |
Normen |
Auf die Berufung der Klägerin wird das Urteil der 6. Zivilkammer des Landgerichts Cottbus vom 04.10.2019 – Az. 6 O 65/16 – teilweise abgeändert und wie folgt neu gefasst:
Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 3.623,54 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz aus 4.284 € ab dem 01.06.2016 bis zum 10.12.2020 und aus 3.623,54 € seit dem 11.12.2020 zu zahlen.
Die Beklagte wird verurteilt, an den minderjährigen Sohn der Klägerin, Herrn K… S…, …straße 17, … W…, 250,00 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 18.07.2019 zu zahlen.
Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin die vorgerichtliche Geschäftsgebühr in Höhe von 492,54 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 01.06.2016 zu zahlen.
Im Übrigen wird die Klage abgewiesen. Die weitergehende Berufung wird zurückgewiesen.
Die Kosten des Rechtsstreits in der ersten Instanz haben die Klägerin zu 25 % und die Beklagte zu 75 % zu tragen.
Die Kosten des Berufungsverfahrens werden gegeneinander aufgehoben.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
I.
Die Klägerin macht gegen die Beklagte aus eigenem sowie abgetretenem Recht Schadensersatz- sowie Ausgleichsansprüche nach der Fluggastrechteverordnung (VO (EG) 261/2004) – letztere sind allein Gegenstand des Berufungsverfahrens - in Zusammenhang mit für Mai 2015 gebuchten Flügen geltend.
Die Klägerin buchte am 22.01.2015 für sich und weitere 5 Mitreisende bei der beklagten Fluggesellschaft Flüge nach Rom. Der Hinflug mit der Flugnummer (1...) sollte am 10.05.2015 um XX:XX Uhr von Berlin-Schönefeld nach Rom-Fiumicino, der Rückflug mit der Flugnummer (2...) am 16.05.2021 um XX:XX Uhr von Rom-Fiumicino starten.
Am Morgen des 07.05.2015 brach im Terminal 3 des Flughafens Rom-Fiumicino ein Brand aus, der erst im Lauf des Nachmittags gelöscht werden konnte. Die italienische Luftsicherheitsbehörde und der Flughafenbetreiber für Rom-Fiumicino gaben mit Gültigkeit vom 08.05.2015 22.00 Uhr bis 11.05.2015 XX:XX Uhr eine Notam-Meldung (Abk. f. Notice to Airmen) heraus:
„Aerodrome Capacity reduced to 60 per cent […]. Each aircraft operator shall cancel 40 per cent of fpl.“ (B1, Bl. 59 f.)
Die Klägerin und die Mitreisenden begaben sich zum Abflug am 10.05.2015 zum Flughafen Berlin-Schönefeld. Dort wurde ihnen mitgeteilt, dass der Flug (1...) gestrichen worden sei; ein anderer von der Beklagten durchgeführter Flug mit der Nummer (3...) von Berlin-Schönefeld nach Rom-Fiumicino fand dagegen am 10.05.2015 statt.
Die Klägerin buchte daraufhin am 10.05.2015 bei anderen Fluggesellschaften Hinflüge nach Rom für den 11.05.2015 sowie Rückflüge aus Rom für den 16.05.2015, nachdem sie sowohl von einer Mitarbeiterin des Flughafens Berlin-Tegel die Auskunft erhalten hatte, auch der Rückflug (2...) finde nicht statt, als auch durch Aufrufen des Online-Check-In der Beklagten hatte feststellen müssen, dass der Rückflug (2...) am 16.05.2015 dort mit „Flug wurde gestrichen“ gekennzeichnet war. Tatsächlich führte die Beklagte den Rückflug (2...) am 16.05.2015 durch.
Die Klägerin hat aus eigenem und aus abgetretenem Recht der Mitreisenden Schadensersatz für Ersatzflüge, Taxifahrt, sowie Hotel- und Mietwagenkosten in Höhe von insgesamt 3.034 € gefordert. Darüber hinaus macht sie Ausgleichszahlungen nach Art. 7 lit. b) i.V.m. Art. 5 Abs. 1 lit. c) VO (EG) 261/2004 in Höhe von jeweils 250 € pro Strecke und Person, mithin von insgesamt 3.000 €, geltend. Im Hinblick auf ihren minderjährigen Sohn K… S…l hat sie beantragt, die ihm zustehende Ausgleichszahlung von insgesamt 500 € unmittelbar an ihn zu zahlen.
Die Klägerin hat bestritten, dass die Beklagte gerade den (Hin)flug (1...) habe annullieren müssen. Jedenfalls hätte sie zumutbare Maßnahmen treffen können, eine Annullierung zu verhindern bzw. die Nichtbeförderung der auf diesen Flug gebuchten Fluggäste zu vermeiden, zumal die Beklagte über dauerhafte und immer wiederkehrende Einschränkungen des Flugbetriebes am Flughafen Rom-Fiumicino längst Bescheid gewusst habe und die Notwendigkeit der Flugreduktion für sie deshalb keineswegs unvorhersehbar gewesen sei. Die Beklagte hätte insbesondere die Klägerin und ihre Mitreisenden auf den durchgeführten Flug (3...) oder auf Flüge anderer Fluggesellschaften, die – unstreitig - am 10.05.2015 stattgefunden hätten, umbuchen oder den Flug (3...) mit einem größeren als dem ursprünglich vorgesehenen Fluggerät durchführen können. Die Klägerin hat behauptet, die Beklagte habe ihr und ihren Mitreisenden keine anderweitige Beförderung angeboten. Sie hat die Auffassung vertreten, hinsichtlich des Rückfluges liege eine Beförderungsverweigerung im Sinne der VO (EG) 261/2004 vor.
Die Beklagte hat die Auffassung vertreten, der Hinflug am 10.05.2015 habe infolge außergewöhnlicher und unvermeidbarer Umstände im Sinne von Art. 5 Abs. 3 VO (EG) 261/2004 annulliert werden müssen. Sie hat behauptet, sie hätte keine zumutbaren Maßnahmen treffen können, um die Annullierung zu verhindern. Um die Kriterien aus der Notam zu erfüllen, habe einer der beiden für den 10.05.2015 vorgesehenen Flüge annulliert werden müssen. Die Auswahl zwischen diesen Flügen habe sie danach getroffen, dass für den Flug (1...) eine geringere Anzahl zu befördernder Passagiere gebucht gewesen sei als für den Flug (3...). Eine Umleitung des Flugs (1...) zu einem anderen Flughafen wäre als Zuwiderhandlung gegen die Notam-Meldung mit hohen Geldbußen belegt gewesen und hätte daher keine Alternative dargestellt. In Bezug auf den Rückflug liege weder eine Annullierung, noch eine Beförderungsverweigerung im Sinne der VO (EG) 261/2004. Die Klägerin habe unmittelbar einen Ersatzflug gebucht, ohne der Beklagten die Möglichkeit zu geben, ihr eine anderweitige Beförderung anzubieten. Sie hat behauptet, sie biete jedem Fluggast, der von einer Annullierung betroffen sei, die Möglichkeit an, auf ihrer Homepage einen Ersatzflug zu buchen. Diese Mitteilung verschicke die Beklagte stets per SMS und/oder E-Mail gleichzeitig mit der Information über die eingetretene Annullierung. Jedenfalls – so hat die Beklagte gemeint - müsse sich die Klägerin etwaige Schadensersatzansprüche nach Art. 12 VO (EG) 261/2004 auf eine mögliche Ausgleichszahlung anrechnen lassen.
Das Landgericht hat Beweis erhoben durch Vernehmung von vier Zeugen und die Beklagte sodann mit Urteil vom 04.10.2019 verurteilt, an die Klägerin 3.034,00 € nebst Zinsen und vorgerichtlichen Rechtsanwaltsgebühren zu zahlen. Im Übrigen hat es die Klage abgewiesen. Das Landgericht hat die Schadensersatzansprüche auf Erstattung der von der Klägerin geltend gemachten, infolge der Nichtbeförderung durch die Beklagte entstandenen materiellen Aufwendungen aus § 280 Abs. 1 BGB i.V.m. Art. 8 Abs. 1 lit b) VO (EG) 261/2004 als begründet erachtet. In diesem Zusammenhang hat es insbesondere ausgeführt, nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme stehe zur Überzeugung des Gerichts fest, dass am 10.05.2015 (auch) der für den 16.05.2015 vorgesehene Flug (2...) von der Beklagten gestrichen worden sei und die Klägerin die Beklagte daraufhin am 10.05.2015 vergeblich telefonisch zu einer Ersatzbeförderung aufgefordert habe. Ansprüche auf Ausgleichzahlung nach Art. 7 Abs. 1 lit. b) i.V.m. Art. 5 Abs. 1 lit. c) VO (EG) 261/2004 stünden der Klägerin dagegen nicht zu. In Bezug auf den Hinflug sei der Anspruch gemäß Art. 5 Abs. 3 VO (EG) 261/2004 ausgeschlossen, da aufgrund des Feuers und der darauf beruhenden Notam ein Vorkommnis vorliege, welches auf außergewöhnliche Umstände zurückgehe, die sich auch dann nicht hätten vermeiden lassen, wenn alle zumutbaren Maßnahmen getroffen worden wären. Die Beklagte habe insbesondere bewiesen, dass sie bei der Annullierung des Fluges ohne Ermessensfehler die „richtige“ Wahl zwischen den beiden an diesem Tag stattfindenden Flügen getroffen habe. Es sei ihr auch nicht vorzuwerfen, dass der streitgegenständliche Flug nicht auf den anderen in der Nähe liegenden Flughafen umgeleitet worden sei. Zum einen sei schon nicht ersichtlich, dass diese Möglichkeit bestanden hätte. Zum anderen würde dies zu einer Umgehung der Annullierungsanordnung führen. Bezüglich des Fluges am 16.05.2015 fehle es bereits an einer Annullierung, da der Flug tatsächlich stattgefunden habe. Es liege auch keine Nichtbeförderung im Sinne des Art. 4 VO (EG) 261/2004 vor.
Gegen dieses Urteil wendet sich die Klägerin mit ihrer Berufung, mit der sie die Ansprüche auf Ausgleichszahlung in vollem Umfang weiter verfolgt. Sie macht geltend, entgegen der Auffassung des Landgerichts könne die Beklagte sich hinsichtlich des Hinfluges nicht erfolgreich auf einen außergewöhnlichen Umstand berufen. Die Notam sei der Beklagten bereits zwei Tage vor dem geplanten Abflug des Fluges (1...) bekannt gewesen. Angesichts des Umstandes, dass die Beklagte über dauerhafte und immer wiederkehrende Einschränkungen des Flugbetriebs aus Flughafen Rom (FCO) längst Bescheid gewusst habe, sei die Notwendigkeit der Flugreduktion für sie keineswegs unvorhersehbar gewesen; sie hätte sich – u.U. in Abstimmung mit dem Flughafenbetreiber - auf die reduzierten Kapazitäten einstellen und vorbeugend wirksame Maßnahmen ergreifen müssen. Überdies habe die Beklagte nicht hinreichend vorgetragen, dass sich die Annullierung auch dann nicht hätte vermeiden lassen, wenn alle zumutbaren Maßnahmen ergriffen worden wären. Hierzu hätte auch die Prüfung gehört, ob der Hinflug zur Vermeidung einer Annullierung abweichend zum Flughafen Rom Ciampino hätte durchgeführt werden können. Die Klägerin hält auch daran fest, dass in Bezug auf den Rückflug eine Beförderungsverweigerung im Sinne der VO (EG) 261/2004 vorliege. Eine Anrechnung der Ausgleichzahlungen sei nicht vorzunehmen; dies gelte jedenfalls für auf die entstandenen Kosten der eigenständig organisierten Ersatzbeförderung.
Nachdem die Beklagte am 10.12.2020 an die Klägerin einen Betrag von 660,40 € überwiesen hat, haben die Parteien den Rechtsstreit in Höhe dieses Betrages übereinstimmend für erledigt erklärt.
Die Klägerin beantragt zuletzt,
unter Abänderung des am 04.10.2019 verkündeten Urteils des Landgerichts Cottbus, Az. 6 O 65/16,
1. die Beklagte zu verurteilen, an die Klägerin 4.873,54 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu zahlen,
2. die Beklagte zu verurteilen, an den minderjährigen Sohn der Klägerin, Herrn K… S…, …straße 17, … W…, 500,00 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu zahlen,
3. die Beklagte zu verurteilen, an die Klägerin die vorgerichtliche Geschäftsgebühr i.H.v. 571,44 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu zahlen.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie verteidigt das Urteil des Landgerichts und trägt ergänzend vor, ein Ausweichen auf einen anderen Flughafen stelle keine zumutbare Maßnahme dar, die eine Annullierung des Fluges verhindert hätte; nach der Rechtsprechung des EuGH handele es sich dabei vielmehr um eine Annullierung des Fluges verbunden mit einer Ersatzbeförderung. Hinzu komme, dass der Flughafen Rom-Ciampino ein extrem kleiner Flughafen sei, der ausschließlich von den Fluggesellschaften Ryanair und Wizz Air bedient werde. Die Beklagte weise im Falle einer Annullierung jeden Fluggast – gemeinsam mit der Annullierungsmitteilung – auf seine Rechte nach Art. 8 VO (EG) 261/2004 hin. Dem Fluggast werde ermöglicht, sich selbst eine Ersatzbeförderung bei der Beklagten oder einen Flug bei einem Drittanbieter zu buchen. Eine Anrechnung zusätzlicher Reisekosten auf den etwaigen Ausgleichsanspruch sei deshalb möglich und auch geboten.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachvortrages wird auf die zwischen den Parteien gewechselten Schriftsätze Bezug genommen.
II.
Die Berufung ist zulässig; sie ist insbesondere fristgerecht eingelegt und begründet worden; sie hat teilweise auch in der Sache Erfolg.
1. Der Klägerin steht aus eigenem sowie gemäß § 398 BGB aus abgetretenem Recht wegen des für den 16.05.2015 gebuchten (Rück-)Fluges (2...) vom Flughafen Rom-Fiumicino nach Berlin Schönefeld gegen die Beklagte über den erstinstanzlich zuerkannten – im Berufungsverfahren nicht mehr streitgegenständlichen – Schadensersatzanspruch hinaus gemäß Art. 7 Abs. 1 lit. a) i.V.m. Art. 4 Abs. 3 VO (EG) 261/2004 ein weiterer Anspruch auf Ausgleichszahlungen in Höhe von 1.250,00 € zu. Auf derselben Grundlage ist ein – zulässigerweise im Wege der Prozessstandschaft geltend gemachter - Ausgleichsanspruch des minderjährigen Sohnes der Klägerin, K… S…, in Höhe von 250,00 € begründet.
a) Der Anwendungsbereich der VO (EG) 261/2004, die gemäß Art. 288 Abs. 2 AEUV unmittelbar anzuwenden ist, ist – dies wird von den Parteien auch nicht in Abrede gestellt - gemäß Art. 3 Abs. 1 VO (EG) 261/2004 schon deshalb eröffnet, weil die Klägerin und ihre Mitreisenden den für den 16.05.2015 gebuchten Flug auf dem Flughafen Rom-Fiumicino und damit auf einem Flughafen im Gebiet eines Mitgliedsstaates der EU antreten wollten.
b) Ein Ausgleichsanspruch im Sinne des Art. 7 Abs. 1 lit. a) VO (EG) 261/2004 ist für die Klägerin und ihre Mitreisenden in Bezug auf den für den 16.05.2015 bei der Beklagten gebuchten (Rück-)Flug (2...) – wie das Landgericht zutreffend erkannt hat – zwar nicht gemäß Art. 5 Abs. 1 lit. c) VO (EG) 261/2004 begründet.
Diese Regelung betrifft die Annullierung eines Fluges, wobei eine Annullierung nach der Rechtsprechung des EuGH vorliegt, wenn die Planung des ursprünglichen Fluges aufgegeben wird. Dagegen sind Art. 2 lit. l sowie Art. 5 VO (EG) 261/2004 dahin auszulegen, dass ein Flug nicht als annulliert angesehen werden kann, wenn er entsprechend der ursprünglichen Planung des Luftfahrtunternehmens durchgeführt wird (EuGH, Urteil vom 19.11.2009 – C-402/07 und C-432/07 – Ziffer 39, juris). Insbesondere kann auf der Grundlage einer bloßen Anzeige einer Annullierung – etwa auf der Anzeigetafel des Flughafens oder entsprechender Angaben des Personals eines Luftfahrtunternehmens - grundsätzlich nicht auf das Vorliegen einer Annullierung eines Flugs geschlossen werden, da diese Umstände in keinem Zusammenhang mit den objektiven Merkmalen des Fluges als solchem stehen (EuGH, a.a.O., Ziffer 37). Der Flug (2...) ist jedoch – dies ist jedenfalls im Berufungsverfahren zwischen den Parteien unstreitig – von der Beklagten am 16.05.2015 entsprechend der ursprünglichen Planung durchgeführt worden.
c) Entgegen der Auffassung des Landgerichts sind Ausgleichsansprüche der Klägerin und ihrer Mitreisenden jedoch gemäß Art. 7 Abs. 1 lit. a) i.V.m. Art. 4 Abs. 3 VO (EG) 261/2004 wegen Verweigerung der Beförderungbegründet.
Der in Art. 2 lit. j und Art. 4 Abs. 3 VO (EG) 261/2004 gewählte Begriff „Weigerung, Fluggäste zu befördern“ (engl. „refusal to carry passengers on a flight“; franz. „refus de transporter des passagers sur un vol“) bedeutet, dass das Begehren des Fluggastes, an dem Flug teilzunehmen, zurückgewiesen wird (BGH, Urteil vom 16.04.2013 – X ZR 83/12 – Rn. 11, juris). Soweit der Wortlaut des Art. 2 lit. j VO (EG) 261/2004 auf eine Weigerung der Beförderung von Fluggästen abstellt, „obwohl sie sich unter den in Art. 3 Abs. 2 genannten Bedingungen am Flugsteig eingefunden haben“, ist dies nicht dahin zu verstehen, dass ein Anspruch wegen Nichtbeförderung stets voraussetzt, dass sich der Fluggast rechtzeitig zur Abfertigung für den gebuchten Flug eingefunden hat. Vielmehr ergibt sich aus dem Sinn und Zweck des Ausgleichsanspruchs wegen Nichtbeförderung und der Systematik der VO (EG) 261/2004, dass es weder auf das Erscheinen zur Abfertigung noch auf das Erscheinen am Ausgang ankommt, wenn das Luftverkehrsunternehmen bereits zuvor unzweideutig zum Ausdruck gebracht hat, dem Fluggast die Beförderung auf dem gebuchten Flug zu verweigern (BGH, Urteil vom 17.03.2015 – X ZR 34/14 – Rn. 10 ff., juris).
Eine solche vorzeitige Weigerung der Beklagten, die Klägerin und ihre Mitreisenden mit dem für den 16.05.2015 gebuchten Flug zu befördern, hat die Beklagte dadurch zum Ausdruck gebracht, dass am 10.05.2015 in dem Online-Check-In der Beklagten – unstreitig – angezeigt wurde „Flug wurde gestrichen“. Diese Angabe konnten die Klägerin und ihre Mitreisenden eindeutig nur dahin verstehen, dass ihr für die Rückreise am 16.05.2015 durch den bereits erfolgreich durchgeführten Online-Check-In dokumentiertes Beförderungsbegehren mit dem Flug (2...) von der Beklagten zurückgewiesen wurde. Insbesondere handelte es sich dabei – anders als etwa bei der entsprechenden Mitteilung der Mitarbeiterin des Flughafens Berlin-Tegel – um eine eigene Verlautbarung der Beklagten; sie war auch konkret an die Klägerin (und ihre Mitreisenden) gerichtet, da die Klägerin sich nur mit ihren individuellen Buchungsdaten in den Online-Check-In einwählen konnte. Der Einordnung als Nichtbeförderung im Sinne des Art. 4 VO (EG) 261/2004 steht auch nicht entgegen, dass die Klägerin und ihre Mitreisenden die Verlautbarung der Beklagten dahin verstehen mussten, dass (auch) der gebuchte (Rück-)Flug (2...) annulliert sei. Aus Sicht des Fluggastes stellt sich eine fehlerhafte vorzeitige Verlautbarung einer Annullierung nicht anders dar als eine vorzeitige Verweigerung der Beförderung in Form einer gegen den Willen des Fluggastes erfolgten Umbuchung wegen einer Überbuchung (zu einer solchen Umbuchung vgl. nur: BGH, Urteil vom 17.03.2015 – X ZR 34/14).
d) Liegen danach die Voraussetzungen für die geltend gemachten Ausgleichszahlungen der Klägerin und ihrer Mitreisenden gemäß Art. 7 Abs. 1 lit. a) i.V.m. Art. 4 Abs. 3 VO (EG) 261/2004 – nach gemäß Art. 7 Abs. 1 lit. a VO (EG) 261/2004 jeweils in Höhe von 250 € - in Bezug auf den (Rück-)Flug (2...) vor, so sind diese Ansprüche, soweit sie - mit Ausnahme der zugunsten des Sohnes der Klägerin geltend gemachten 250,- € - der Klägerin aus eigenem oder abgetretenem Recht zustehen, durch die Zahlung der Beklagten vom 10.12.2020 in Höhe von 660,46 € gemäß § 362 BGB durch Erfüllung erloschen, belaufen sich mithin insgesamt noch auf 589,54 €.
Auf diese Forderung muss sich die Klägerin den ihr durch die insoweit rechtskräftige Entscheidung des Landgerichts zuerkannten Schadensersatzanspruch nicht gemäß Art. 12 Abs. 1 Satz 2 VO (EG) 261/2004 anrechnen lassen.
Durch die Rechtsprechung des EuGH und des BGH ist allerdings inzwischen geklärt, dass Art. 12 Abs. 1 S. 2 VO (EG) 261/2004 eine (wechselseitige) Anrechnung eines nach nationalem Recht bestehenden Schadensersatzanspruchs des Fluggastes und einer nach der VO (EG) 261/2004 gewährten Ausgleichszahlung erlaubt, aber nicht dazu verpflichtet und keine Bedingungen für die Anrechnung vorgibt (EuGH, Urteil vom 29.07.2019 – C-354/18 – Rn. 47, juris). Nach deutschem Recht richtet sich eine solche Anrechnung nach Grundsätzen der Vorteilsausgleichung. Danach sind dem Geschädigten in gewissem Umfang diejenigen Vorteile zuzurechnen, die ihm in adäquatem Zusammenhang mit dem Schadensereignis zugeflossen sind. Es soll ein gerechter Interessenausgleich geschaffen werden, indem der Geschädigte einerseits nicht besser gestellt wird, als er ohne das schädigende Ereignis stünde, ihm aber andererseits auch nur solche Vorteile angerechnet werden, deren Anrechnung mit dem Zweck des Ersatzanspruchs übereinstimmt, also dem Geschädigten zumutbar ist und den Schädiger nicht unangemessen entlastet (BGH, Urteil vom 30.09.2014 – X ZR 126/13 – Rn. 13 ff., juris; Urteil vom 06.08.2019 – X ZR 128/18 – Rn. 10 juris; Urteil vom 31.03.2020 – X ZR 169/18 – Rn. 9, juris).
Nach diesen Grundsätzen ist etwa ein Minderungs- oder Schadensersatzanspruch aus § 651d BGB oder § 651f BGB a.F. auf Rückzahlung eines Teils des Reisepreises gegen einen Reiseveranstalter auf den Ausgleichsanspruch nach Art. 7 VO (EG) 261/2004 anzurechnen (BGH, Urteil vom 30.09.2014 – X ZR 126/13 – Rn. 15, juris); ein derartiger oder ein vergleichbarer Anspruch der Klägerin gegen die Beklagte aus dem Beförderungsvertrag auf Rückerstattung der Vergütung für die bei der Beklagten gebuchten Flüge, steht hier jedoch nicht in Rede. In Bezug auf die Anrechnung des erstinstanzlich zuerkannten Schadensersatzanspruchs auf die Ausgleichsansprüche für den (Rück)Flug (2...) bedarf es auch keiner Entscheidung, ob die Ansprüche wegen der der Klägerin entstandenen zusätzlichen Kosten für die Taxifahrt (am 10.05.2015) vom Flughafen Berlin-Schönefeld zum Flughafen Berlin-Tegel oder die (für den 10.05.2015) nutzlos aufgewandten Hotel- oder Mietwagenkosten in Rom auf eine Ausgleichszahlung anzurechnen wären, weil mit dieser nicht nur ein immaterieller Schäden in Form von Unannehmlichkeiten, sondern auch materielle Schäden des von einem ausgleichpflichtigen Tatbestand betroffenen Fluggastes pauschaliert werden (zum Zweck der Ausgleichszahlung vgl. nur: BGH, Urteil vom 06.08.2019 – X ZR 128/18 – Rn. 11); eine solche Anrechnung käme allenfalls auf der Klägerin zustehende Ausgleichzahlungen wegen der Annullierung des (Hin-)Fluges (1...) in Betracht. Mit dem Anspruch auf Ausgleichzahlungen für den (Rück-)Flug (2...) stehen die der Klägerin durch das erstinstanzliche Urteil zuerkannten Schadensersatzansprüche nur insoweit in einem adäquat kausalen Zusammenhang, wie es um die Kosten von 893,54 € für die von der Klägerin für den 16.05.2015 bei einem anderen Luftfahrtunternehmen gebuchte Ersatzbeförderung geht. Diesen Schadensersatzanspruch muss sich die Klägerin jedoch auf die Ausgleichzahlungen nicht als Vorteil anrechnen lassen. Eine solche Anrechnung liefe dem Zweck der Ausgleichszahlungen nach der VO (EG) 261/2004 jedenfalls dann zuwider, wenn das Luftfahrtunternehmen über den Eintritt eines ausgleichspflichtigen Tatbestandes einer Annullierung im Sinne des Art. 5 VO (EG) 261/2004 oder einer Beförderungsverweigerung im Sinne des Art. 4 VO (EG) 261/2004 hinaus auch seine Pflichten aus Art. 8 VO (EG) 261/2004 verletzt hat, indem es dem Fluggast keine Unterstützungsleistungen, insbesondere keine anderweitigen Beförderungsmöglichkeiten (Art. 8 Abs. 1 lit b) und c) VO (EG) 261/2004), angeboten hat; ungeklärt ist lediglich die Frage der Anrechnung eines auf Erstattung von zusätzlichen Reisekosten gerichteten Schadensersatzanspruches auf einen Ausgleichsanspruch aus § 7 VO (EG) 261/2004 lediglich für den Fall, dass das Luftfahrtunternehmen seinen Verpflichtungen aus Art. 8 Abs. 1 und Art. 9 Abs. 1 VO (EG) 261/2004 nachgekommen ist (BGH, Urteil vom 30.09.2014 – X ZR 126/13 – Rn. 18, juris; BGH, Urteil vom 31.03.2020 – X ZR 169/18 – Rn. 18, juris). Im vorliegenden Fall hat die Beklagte ihre Pflichten aus Art. 8 VO (EG) jedoch nicht erfüllt; sie hat der Klägerin und ihren Mitreisenden in Bezug auf den Flug (2...) kein Angebot zu einer anderweitigen Beförderung zur Wahl gestellt. Insoweit fehlt es bereits an einem hinreichenden Vortrag der darlegungs- und beweispflichtigen Beklagten. Diese hat vielmehr lediglich pauschal behauptet, sie weise im Falle einer Annullierung jeden Fluggast – gemeinsam mit der per E-Mail oder SMS erfolgenden Annullierungsmitteilung – auf seine Rechte nach Art. 8 VO (EG) 261/2004 hin; dem Fluggast werde ermöglicht, sich selbst eine Ersatzbeförderung bei der Beklagten oder einen Flug bei einem Drittanbieter zu buchen. Dieses Vorbringen reicht in Bezug auf den (Rück-)Flug (2...) bereits deshalb nicht aus, weil die Beklagte diesen Flug tatsächlich gar nicht annulliert, sondern dessen Streichung lediglich (fehlerhaft) am 10.05.2015 in ihrem Online-Check-In verlautbart hatte; dass die Beklagte wegen dieses Fluges an die Klägerin eine Annullierungsmitteilung versandt haben sollte, ist deshalb fernliegend und zudem von der Klägerin bestritten worden. Im Übrigen hat das Landgericht mit gemäß § 529 Abs. 1 Nr. 1 ZPO für den Senat bindender Wirkung – konkrete Anhaltspunkte für Zweifel an der Richtigkeit der getroffenen Feststellungen sind nicht ersichtlich und werden von der Beklagten auch nicht geltend gemacht – festgestellt, dass die Beklagte der Klägerin trotz telefonischer Nachfrage ein Angebot für eine Ersatzbeförderung gerade nicht gemacht hat.
e) Kann die Klägerin danach über den erstinstanzlich zuerkannten Schadensersatzanspruch in Höhe von 3.034 € hinaus wegen der Ausgleichsansprüche Zahlung weiterer 589,54 € verlangen, so stehen ihr auf diesen Betrag auch weitere Rechtshängigkeitszinsen gemäß § 281 BGB seit dem 01.06.2016 zu. Dasselbe gilt für den Zeitraum vom 01.06.2016 bis zum 10.12.2020 auf den von der Beklagten gezahlten Betrag von 660,46 €. Auf den zugunsten ihres Sohnes geltend gemachten Ausgleichsanspruch von 250,- € kann die Klägerin dagegen Rechtshängigkeitszinsen erst ab dem 18.07.2019, dem Zeitpunkt der Zustellung der geänderten Klage, beanspruchen.
Der Anspruch auf vorgerichtliche Rechtsanwaltskosten ist aus §§ 280 Abs. 1 S. 2, 286 BGB in Höhe von insgesamt 492,54 € aus einem Gegenstandswert von bis 5.000 € begründet.
2. Soweit die Klage auf Ausgleichszahlungen wegen der Annullierung des (Hin-)Fluges (1...) gerichtet ist, bleibt sie dagegen auch unter Berücksichtigung des Vortrages der Parteien im Berufungsverfahren ohne Erfolg.
Ansprüche auf Ausgleichszahlungen aus Art. 7 i.V.m. Art. 5 Abs. 1 lit. c VO (EG) 261/2004 sind für die Klägerin und ihre Mitreisenden nicht begründet.
a) Zwar wurde der Flug (1...) annulliert. Eine Annullierung ist nach der Begriffsbestimmung in Art. 2 lit. l) VO die Nichtdurchführung eines geplanten Fluges, für den zumindest ein Platz reserviert war. Diese Voraussetzungen sind erfüllt. Der Flug (1...) von Berlin-Schönefeld nach Rom-Fiumicino am 10.05.2020, den die Klägerin für sich und ihre Mitreisenden bei der Beklagten gebucht und für den diese im Wege des Online-Check-in bereits Bordkarten hatten, ist nicht durchgeführt worden. Auch sind die Ausnahmetatbestände nach Art. 5 Abs. c) lit i)-iii) VO nicht erfüllt, die einen Anspruch auf Ausgleichszahlungen bei rechtzeitiger Benachrichtigung der Passagiere ausschließen. Denn die Beklagte hat die Klägerin und ihre Mitreisenden weder rechtzeitig benachrichtigt (lit. i-ii) noch ihnen ein Angebot zur anderweitigen Beförderung (lit. iii) unterbreitet.
b) Das Landgericht ist jedoch zu Recht zu dem Ergebnis gelangt, dass die Beklagte gemäß Art. 5 Abs. 3 VO (EG) 261/2004 zu Ausgleichszahlungen nicht verpflichtet ist, weil die Annullierung auf außergewöhnliche Umstände zurückgeht, die sich auch dann nicht hätten vermeiden lassen, wenn alle zumutbaren Maßnahmen ergriffen worden wären.
aa) Bei dem Flughafenbrand auf dem Terminal 3 des Flughafens Rom-Fiumicino am 07.05.2015 und der der Notam vom 08.05.2015 zugrunde liegenden Anordnung – eine Notam verlautbart nach deutscher Rechtslage Verhaltensempfehlungen an Luftfahrer, mit denen über eine hoheitliche luftaufsichtsrechtliche Verfügung nach § 29 Abs. 1 S. 2 LuftVG informiert wird (Schladebach, Staatshaftung für Flugverbote, NVwZ 2010, 1468) - handelt es sich um außergewöhnliche Umstände im Sinne von Art. 5 Abs. 3 VO. Außergewöhnlich sind solche Umstände, die außerhalb dessen liegen, was üblicherweise mit dem Ablauf der Personenbeförderung im Luftverkehr verbunden ist. Es sollen Ereignisse erfasst werden, die nicht Teil der normalen Ausübung der Tätigkeit des betroffenen Luftverkehrsunternehmens sind und aufgrund ihrer Natur oder Ursache von diesem tatsächlich nicht zu beherrschen sind (st. Rspr. EuGH und BGH: BGH, Urteil vom 15.01.2019 – X ZR 15/18 –, Rn. 11, juris; BGH, Urteil vom 12.06.2014 – X ZR 121/13 –, Rn. 11, juris; EuGH, Urteil vom 22.12.2008 – C-549/07 –, juris, Rn. 23; EuGH, Urteil vom 19.11.2009 – C-402/07 und C-432/07 –, Rn. 70, juris). Umgekehrt liegt dann kein außergewöhnliches Ereignis vor, wenn Umstände betroffen sind, die ein typisches Risiko bei der normalen Ausübung der Tätigkeit eines Luftfahrtunternehmens betreffen (technischer Defekt: BGH, Urteil vom 21.08.2012 – X ZR 138/11 – Rn. 16 juris; vgl. auch mwN BeckOK Fluggastrechte-VO/Schmid, 16. Ed. 1.10.2020 Rn. 107e, Fluggastrechte-VO Art. 5 Rn. 107a-107f).
Dass es sich bei einem Brand in einem Abfertigungsterminal eines Flughafens um ein außergewöhnliches, für ein Luftverkehrsunternehmen nicht beherrschbares Ereignis handelt, bedarf keiner eingehenden Begründung. Etwas anderes gilt auch nicht deshalb, weil ausweislich der Notam-Meldung nicht unmittelbar der bereits gelöschte Brand, sondern die brandbedingte Schließung des Terminals 3 in Verbindung mit dem deshalb stark angestiegenen Passagieraufkommens an den anderen Terminals und insbesondere der Überlastung der Sicherheitskontrollen („due to passenger congestion at security check“) dazu geführt haben, dass die Fluggesellschaften angewiesen wurden, 40 % ihrer Flüge nach und von Rom-Fiumicino zu streichen. Auch diese Folgen des Brandes, insbesondere die der Notam zugrunde liegende behördliche Anordnung und deren Geltung vom 08.05.2015, XX:XX Uhr bis zum 11.05.2015, XX:XX Uhr, lagen, selbst wenn man berücksichtigt, dass sich der Brand bereits am 07.05.2015 ereignet hatte und der streitgegenständliche Flug erst am 10.05.2015 stattfinden sollte, außerhalb dessen, was die Beklagte beeinflussen konnte.
bb) Die Annullierung des Fluges (1...) hätte sich auch nicht durch zumutbare Maßnahmen der Beklagten vermeiden lassen.
Auch wenn der Wortlaut des Art. 5 Abs. 3 VO (EG) 261/2004 („die Annullierung auf außergewöhnliche Umstände zurückgeht, die sich auch dann nicht hätten vermeiden lassen“) ein anderes Verständnis nahelegen mag, ist diese Regelung dahin auszulegen, dass es nicht auf die Vermeidbarkeit der außergewöhnlichen Umstände, sondern auf die Vermeidbarkeit der Folgen des Eintritts der außergewöhnlichen Umstände, d.h. Vermeidbarkeit der Annullierung, ankommt (st. Rspr. BGH: Urteil vom 14.10.2010 – Xa ZR 15/10, BeckRS 2010, 28523 Rn. 26; BGH, Urteil vom 24.09.2013 – X ZR 160/12 –, Rn. 21, juris, so auch Generalanwalt beim EuGH Schlussantrag v. 12.04.2018 – C-195/17, BeckRS 2018, 5062 Rn. 70). Für dieses Verständnis spricht bereits der Erwägungsgrund 15 der VO, der ausdrücklich vorsieht, dass alle „zumutbaren Maßnahmen ergriffen [werden müssen], um die […] Annullierungen zu verhindern.“ Zudem stellt Erwägungsgrund 2 der VO darauf ab, dass auch die „Annullierung von Flügen […] für die Fluggäste ein Ärgernis [sind] und […] ihnen große Unannehmlichkeiten bereiten“. Daraus folgt, dass nicht bereits das Vorliegen der – von der Beklagten nicht beeinflussbaren – Umstände in Form des Brandes und dessen der Notam zugrunde liegende Folge der Schließung des Terminals 3 und der Überlastung der anderen Terminals des Flughafens Rom-Fiumicino ausreicht, um einen Ausschluss der Verpflichtung der Beklagten zu Ausgleichzahlungen zu begründen. Das Luftfahrtunternehmen – hier die Beklagte - muss vielmehr darlegen und ggf. beweisen, dass sich die Annullierung jedenfalls nicht durch der Situation angepasste zumutbare Maßnahmen hätte vermeiden lassen, also solche, die zu dem Zeitpunkt, zu dem die außergewöhnlichen Umstände auftreten, für das betroffene Luftfahrtunternehmen insbesondere in persönlicher, technischer und wirtschaftlicher Hinsicht tragbar sind (BGH, Urteil vom 24.09.2013 – X ZR 160/12 –, Rn. 20, juris). Dabei hat das Luftfahrtunternehmen nach "vernünftigem Ermessen" eine Prognose zu treffen und auf dieser Grundlage zu entscheiden (BGH, Urteil vom 25.03.2010 – Xa ZR 96/09 –, Rn. 19, juris).
(1) Wie anders als durch die Befolgung der der Notam zugrunde liegenden Anordnung durch Streichung von im Zeitraum vom 08.05.2015 bis zum 11.05.2015 geplanten Flügen zum Flughafen Rom-Fiumicino die Beklagte hätte reagieren können, ist jedoch nicht ersichtlich; entgegen der Auffassung der Klägerin fehlt es insoweit auch nicht an hinreichendem Vortrag der Beklagten. Dem kann die Klägerin auch nicht mit Erfolg entgegenhalten, „dass die Beklagte über dauerhafte und immer wiederkehrende Einschränkungen des Flugbetriebes am Flughafen Rom-Fiumicino längst Bescheid gewusst habe und die Notwendigkeit der Flugreduktion für sie keineswegs unvorhersehbar gewesen wäre“. Selbst wenn dieser – ohnehin wenig konkrete – Vortrag der Klägerin zuträfe, ist nicht ersichtlich, welche Maßnahmen, insbesondere welche Absprachen mit dem Flughafenbetreiber, die Beklagte hätte treffen können, die bewirkt hätten, dass sie von der brandbedingten Schließung des Terminals 3 und der Anordnung der Notam nicht betroffen worden wäre und ihre Flüge nach Rom-Fiumicino gleichwohl sämtlich hätte durchführen können.
(2) Die Beklagte hat auch ihr Auswahlermessen bei der Entscheidung, welchen der beiden für den 10.05.2015 von Berlin Schönefeld nach Rom-Fiumicino geplanten Flüge (1...) und (3...) sie in Erfüllung der der Notam vom 08.05.2015 zugrunde liegenden Anordnung annullierte ermessensfehlerfrei zu Lasten des von der Klägerin gebuchten Fluges (1...) ausgeübt. Dass die Beklagte bei dieser Entscheidung denjenigen Flug ausgewählt hat, für den ihr weniger Buchungen vorlagen, ist nicht zu beanstanden. Bei dem Flug (1...) handelte es sich, wie das Landgericht auch insoweit mit gemäß § 529 Abs. 1 Nr. 1 ZPO bindender Wirkung – Einwände dagegen hat die Klägerin im Berufungsverfahren nicht erhoben - festgestellt hat, um denjenigen Flug, auf den weniger Fluggäste gebucht waren.
(3) Soweit die Klägerin die Auffassung vertreten hat, die Beklagte hätte sie und ihre Mitreisenden auf den – u.U. unter Einsatz eines größeren Flugzeuges durchzuführenden - Flug (3...) oder auf einen Flug eines anderen Luftfahrtunternehmens umbuchen müssen, handelt es sich – wie bereits das Landgericht zutreffend ausgeführt hat – nicht um Maßnahmen im Sinne des § 5 Abs. 3 VO (EG) 261/2004. Dies ergibt sich bereits aus der Systematik der Regelungen in § 5 VO (EG) 261/2004. Während § 5 Abs. 3 VO (EG) 261/2004 Maßnahmen betrifft, durch die die Annullierung eines Fluges hätte vermieden werden können, handelt es sich bei einer Umbuchung gemäß Art. 5 Abs. 1 lit. c) ii und iii VO (EG) 261/2004 um eine zusätzliche Möglichkeit, eine Ausgleichzahlung abzuwenden, obwohl eine Annullierung erfolgt ist (BGH Urteil vom 12.06.2014 – X ZR 121/13 –, Rn. 36 - 37, juris).
(4) Jedenfalls im Ergebnis zutreffend hat das Landgericht auch eine Umleitung des Fluges (1...) auf den Flughafen Rom-Ciampino nicht als zumutbare Maßnahme zur Vermeidung der Annullierung erachtet. Dies lässt sich allerdings nicht darauf stützen, dass sich – was die Beklagte erstinstanzlich ohnehin lediglich pauschal behauptet und im Berufungsverfahren nach Hinweis des Senats auch nicht weiter erläutert hat – eine derartige Umleitung als strafbewehrte Umgehung der der Notam zugrunde liegenden Anordnung dargestellt hätte. Auch bei einer Umleitung hätte es sich jedoch nicht um eine Maßnahme gehandelt, mit der die Annullierung des Fluges (1...) vermieden worden wäre, da der zu einem anderen Endziel umgeleitete Flug ein anderer als der ursprünglichen geplanten Flug im Sinne der VO (EG) 261/2004 gewesen wäre. Nach der Rechtsprechung des EuGH ist der Begriff „Flug” im Sinne der Verordnung Nr. 261/2004 als Beförderungsvorgang im Luftverkehr auszulegen, der von einem Luftfahrtunternehmen durchgeführt wird, das die entsprechende Flugroute festlegt (EuGH, Urteil vom 19.11.2009 – C-420/07, C-432/07 – Ziff. 30, juris; EuGH, Urteil vom 10.07.2008 – C-173/07 – Ziff. 40, juris); eine Beförderung auf einer in Bezug auf das Endziel geänderten Flugroute ist danach, jedenfalls wenn das Luftfahrtunternehmen die Route vor Reiseantritt ändert, ein anderer als der ursprünglich geplante Flug. Bei einer Umleitung des Fluges (1...) zum Flughafen Rom-Ciampino hätte es sich mithin – wie die Beklagte zu Recht geltend macht – um eine Annullierung des ursprünglich geplanten Fluges in Kombination mit einer anderweitigen Beförderung und damit nicht um eine Maßnahme gehandelt, mit der die Annullierung hätte vermieden werden können. Selbst wenn man dies anders sehen wollte (so wohl: OGH Wien, Urteil vom 03.07.2013 – 7 Ob 65/13d, BeckRS 2013, 82007, beck-online; Landesgericht Korneuburg, Urteil vom 21.04.2020 – 22 R 22/20, BeckRS 2020, 22919, beck-online), wäre eine Umleitung des Fluges (1...) zum Flughafen Rom-Ciampino für die Beklagte jedenfalls nicht zumutbar gewesen. Die Beklagte hat – klägerseits unwidersprochen – vorgetragen, dass sie auf dem Flughafen Ciampino, bei dem es sich um einen nur von zwei anderen Konkurrenzunternehmen angeflogenen Flughafen mit geringen Kapazitäten handele, weder über eine Crew noch über Bodenpersonal verfügt habe. Unter diesen Umständen wäre der Aufwand, den die Beklagte für eine Umleitung von 40 % ihrer im Zeitraum vom 08.05.2015, XX:XX Uhr bis zum 11.05.2015, XX:XX Uhr mit Endziel Rom-Fiumicino geplanten - von Berlin-Schönefeld aus mithin maximal drei – Flüge hätte betreiben müssen, sowohl organisatorisch als auch wirtschaftlich unverhältnismäßig und damit unzumutbar gewesen.
Die Nebenentscheidungen beruhen auf §§ 91a Abs. 1, 92 Abs. 1, 97 Abs. 1, 708 Nr. 10, 713 ZPO.
Die Zulassung der Revision ist nicht veranlasst, da die Sache weder grundsätzliche Bedeutung aufweist, noch die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung erfordert.
Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird gemäß §§ 47, 48 GKG i.V.m. § 3 ZPO auf 3.000 € festgesetzt.