Gericht | OLG Brandenburg 1. Zivilsenat | Entscheidungsdatum | 28.06.2021 | |
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Aktenzeichen | 1 U 64/20 | ECLI | ECLI:DE:OLGBB:2021:0628.1U64.20.00 | |
Dokumententyp | Urteil | Verfahrensgang | - | |
Normen |
Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil der 32. Zivilkammer des Landgerichts Neuruppin vom 30. Juli 2020 – 32 O 64/20 – teilweise abgeändert und wie folgt neu gefasst.
Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 11.336,36 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz aus 14.671,48 € für die Zeit ab 6.4.2020 bis 29.7.2020, aus 13.412,38 € für die Zeit ab 30.7.2020 bis 16.5.2021 und aus 11.336,36 € für die Zeit ab 17.5.2021 zu zahlen, Zug um Zug gegen Übergabe und Übereignung des Fahrzeugs VW Passat B7 1.6 TDI Variant mit der Fahrzeugidentifizierungsnummer … nebst zwei Fahrzeugschlüsseln, Kraftfahrzeugschein und Kraftfahrzeugbrief.
Die Beklagte wird verurteilt, den Kläger von vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten seiner Prozessbevollmächtigten in Höhe von 1.100,51 € freizustellen.
Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
Die weitergehende Berufung wird zurückgewiesen.
Die Kosten des Rechtsstreits in beiden Instanzen tragen der Kläger zu 25 % und die Beklagte zu 75 %.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Die Vollstreckung kann durch Sicherheitsleistung in Höhe von 120 % des jeweils zu vollstreckenden Betrags abgewendet werden, wenn nicht die die vollstreckende Partei vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
Die Revision wird zugelassen.
I.
Der Kläger nimmt die Beklagte auf Schadensersatz vor dem Hintergrund des sogenannten VW-Abgasskandals in Anspruch.
Der Kläger erwarb am 7.1.2015 ein Fahrzeug des Typs VW Passat zum Preis von 23.400 €. Das Fahrzeug wies zu diesem Zeitpunkt eine Laufleistung von 7.630 km auf. Es war mit einem von der Beklagten hergestellten Dieselmotor der Baureihe EA-189 ausgerüstet. Dessen Steuerungssoftware verfügte über zwei Betriebsmodi zur Abgasrückführung. Beim Durchfahren des für die amtliche Bestimmung der Fahrzeugemissionen maßgeblichen Neuen Europäischen Fahrzyklus wurde automatisch ein Modus mit einer höheren Abgasrückführung aktiviert, wodurch die gesetzlichen Grenzwerte für Stickoxidemissionen eingehalten wurden; im normalen Fahrbetrieb wurde ein anderer Betriebsmodus aktiviert, der bei einer geringeren Abgasrückführung zu einem höheren Stickoxidausstoß führte.
Mit anwaltlichem Schreiben vom 20.12.2019 forderte der Kläger die Beklagte zur Erstattung des Kaufpreises Zug um Zug gegen die Übereignung und Herausgabe des Fahrzeugs auf und setzte dafür eine Frist von einer Woche.
Am 17.5.2021 hatte das Fahrzeug eine Laufleistung von 132.530 km.
Der Kläger hat vorgetragen, dass für sein Fahrzeug eine Gesamtlaufleistung von mindestens 300.000 km zu erwarten sei.
Der Kläger hat – zuletzt – beantragt,
1. die Beklagte zu verurteilen, an ihn 15.123,84 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz ab 6.4.2020 und in Höhe von 4 % aus 23.400 € für die Zeit ab 7.1.2015 bis 6.4.2020 zu zahlen, Zug um Zug gegen Übereignung und Herausgabe des Fahrzeugs VW Passat B7 1.6 TDI Variant mit der Fahrzeugidentifizierungsnummer … nebst zwei Fahrzeugschlüsseln, Kraftfahrzeugschein und Kraftfahrzeugbrief
hilfsweise,
festzustellen, dass die Beklagte verpflichtet ist, ihm Schadensersatz zu zahlen für Schäden, die aus dem Einbau einer unzulässigen Abschalteinrichtung im Sinne von Art 5 Abs. 2 EG-VO 715/2007 durch die Beklagte in das Fahrzeug VW Passat B7 1.6 TDI Variant mit der Fahrzeugidentifizierungsnummer … resultieren;
2. festzustellen, dass sich die Beklagte mit der Annahme der in vorgenannten Klageanträgen genannten Zug-um-Zug-Leistung im Annahmeverzug befindet
3. festzustellen, dass der im Antrag zu 1. bezeichnete Anspruch aus einer vorsätzlichen unerlaubten Handlung der Beklagten herrührt;
4. die Beklagte zu verurteilen, ihn von vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten in Höhe von 1.899, 24 € freizustellen.
Die Beklagte hat beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie hat die Einrede der Verjährung erhoben und dazu behauptet, der Kläger habe bereits 2015 Kenntnis von der in ihrem Fahrzeug verbauten Umschaltlogik sowie aller anspruchsbegründenden Tatsachen erlangt.
Der Kläger hat die Klageschrift vom 28.12.2019 am 29.12.2019 beim Landgericht eingereicht. Mit Schriftsätzen vom 13.1.2020 und 27.1.2020 hat er um die Übersendung einer Kostenrechnung über den Gerichtskostenvorschuss gebeten. Unter dem 29.1.2020 ist er zur Einzahlung des Gerichtskostenvorschusses aufgefordert worden, den er am 17.2.2020 entrichtet hat. Sodann ist am 24.1.2020 ein Termin zur Güte- und mündlichen Verhandlung bestimmt worden. Die Klage ist am 6.4.2020 zugestellt worden.
Wegen der weiteren Einzelheiten der erstinstanzlichen Sach- und Streitstands wird auf den Tatbestand des angefochtenen Urteils verwiesen.
Das Landgericht hat durch Urteil vom 30.7.2020 die Klage abgewiesen. Zur Begründung hat es ausgeführt, dass der Klageantrag zu 3. bereits unzulässig sei, da ein Antrag diesen Inhalts gemeinhin dazu diene, einem Schuldner in einem Privatinsolvenzverfahren die Restschuldbefreiung zu versagen, was bei juristischen Personen als Möglichkeit entfalle. Im Übrigen sei die Klage zwar zulässig, aber unbegründet, da Schadensersatzansprüche des Klägers gegen die Beklagte aus § 826 BGB verjährt seien. Der Lauf der Verjährung habe gemäß § 199 Abs. 1 BGB mit dem Ablauf des Jahres 2015 begonnen, da vor dem Hintergrund der Ad-hoc-Mitteilung der Beklagten vom 22.9.2015 und der Medienberichterstattung ab September 2015 eine Kenntnis, jedenfalls aber eine grob fahrlässige Unkenntnis, des Klägers im Sinne des § 199 Abs. 1 Nr. 2 BGB gegeben sei.
Das Urteil ist dem Kläger am 28.9.2020 zugestellt worden. Der Kläger hat am 5.10.2020 Berufung eingelegt und diese nach Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist bis 30.12.2020 am 15.12.2020 begründet.
Der Kläger beantragt,
das Urteil des Landgerichts Neuruppin vom 30.7.2020 abzuändern und
1. die Beklagte zu verurteilen, an ihn 15.123,84 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz ab 6.4.2020 zu zahlen, Zug um Zug gegen Übereignung und Herausgabe des Fahrzeugs VW Passat B7 1.6 TDI Variant mit der Fahrzeugidentifizierungsnummer … nebst zwei Fahrzeugschlüsseln, Kraftfahrzeugschein und Kraftfahrzeugbrief
hilfsweise,
festzustellen, dass die Beklagte verpflichtet ist, ihm Schadensersatz zu zahlen für Schäden, die aus dem Einbau einer unzulässigen Abschalteinrichtung im Sinne von Art 5 Abs. 2 EG-VO 715/2007 durch die Beklagte in das Fahrzeug VW Passat B7 1.6 TDI Variant mit der Fahrzeugidentifizierungsnummer … resultieren;
2. festzustellen, dass sich die Beklagte mit der Annahme der in vorgenannten Klageanträgen genannten Zug-um-Zug-Leistung im Annahmeverzug befindet
3. festzustellen, dass der im Antrag zu 1. bezeichnete Anspruch aus einer vorsätzlichen unerlaubten Handlung der Beklagten herrührt;
4. die Beklagte zu verurteilen, ihn von vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten in Höhe von 1.899, 24 € freizustellen.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die zwischen den Parteien gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen sowie den Akteninhalt im Übrigen Bezug genommen.
II.
Die zulässige Berufung des Klägers ist teilweise begründet.
1.
Der Kläger hat einen Anspruch gegen die Beklagte aus § 826 BGB auf die Zahlung von 11.336,36 €, Zug um Zug gegen die Herausgabe und Übereignung des streitgegenständlichen Fahrzeugs.
Die Beklagte haftet dem Kläger wegen vorsätzlicher sittenwidriger Schädigung aus §§ 826, 31 BGB analog. Zur Begründung wird auf die grundsätzliche Entscheidung des Bundesgerichtshofs vom 25.5.2020 (VI ZR 252/19, zitiert nach juris), der sich der Senat (Urteil vom 8.6.2020, 1 U 52/19; Urteil vom 17.2.2020, 1 U 24/19; Urteil vom 17.2.2020, 1 U 12/19) in ständiger Rechtsprechung anschließt, verwiesen.
Die Haftung der Beklagten führt dazu, dass sie im Wege der Naturalrestitution nach § 249 BGB die Rückgängigmachung der Folgen des vom Kläger geschlossenen Vertrags über den Fahrzeugerwerb schuldet, wobei im Wege der Vorteilsausgleichung die Erstattung Zug um Zug gegen die Herausgabe der vom Kläger erlangten Vorteile zu erfolgen hat (vgl. BGH a. a. O.; Senat a. a. O.). Insoweit besteht ein Anspruch des Klägers auf Ersatz des von ihm entrichteten Kaufpreises in Höhe von 23.400 €.
Diesem Schadensersatzanspruch steht als Vorteil zunächst der Besitz und das Eigentum an dem von ihm erworbenen Kraftfahrzeug nebst Fahrzeugschlüsseln und -papieren gegenüber mit der Folge, dass das Fahrzeug nebst Schlüsseln und Papieren an die Beklagte herauszugeben und zu übereignen ist (vgl. BGH a. a. O.; Senat a. a. O.).
Darüber hinaus hat der Kläger – ebenfalls im Wege des Vorteilsausgleichs – eine Entschädigung für die von ihm gezogenen Nutzungen zu entrichten, die sich nach dem anteiligen Verhältnis des von ihm entrichteten Preises des Fahrzeugerwerbs zur erwartbaren Gesamtlaufleistung des Fahrzeugs einerseits und den tatsächlich gefahrenen Kilometern andererseits richtet (BGH a. a. O.; Urteil vom 30.7.2020, VI ZR 397/19, zitiert nach juris; Senat a. a. O.). Die tatsächliche Laufleistung des Fahrzeugs zum Zeitpunkt des Schlusses der mündlichen Verhandlung am 17.5.2021 steht mit 132.530 km zwischen den Parteien außer Streit; von dieser Laufleistung waren beim Erwerb des Fahrzeugs durch den Kläger bereits 7.630 km erreicht, weshalb dem Kläger lediglich (132.530 km – 7.630 km =) 124.900 km anzurechnen sind. Zur erwartbaren Gesamtlaufleistung des Fahrzeugs geht der Senat im Wege der Schätzung nach § 287 ZPO von erreichbaren 250.000 km aus (vgl. BGH BeckRS 2015, 1267; Senat a. a. O.; OLG München, Urteile vom 15.1.2020, 20 U 3247/18 und 20 U 3219/18, jeweils zitiert nach juris; OLG Karlsruhe, Urteil vom 19.11.2019, 17 U 146/19, zitiert nach juris), wovon auf die Zeit der Nutzung des Fahrzeugs durch den Kläger (250.000 km – 7.630 km =) 242.270 km entfallen. Damit beläuft sich die vom Kläger zu entrichtende Nutzungsentschädigung auf (23.400 € : 242.270 km × 124.900 km =) 12.063,65 € und ist in dieser Höhe im Wege der Saldierung vom Kaufpreis für das Fahrzeug abzuziehen.
Demgemäß berechnet sich der von der Beklagten an den Kläger zu leistende Zahlbetrag auf (23.400 € - 12.063,65 € =) 11.336,36 €.
Dem Anspruch steht nicht gemäß § 214 Abs. 1 BGB die von der Beklagten erhobene Einrede der Verjährung entgegen. Der Anspruch aus § 826 ZPO unterliegt der regelmäßigen Verjährung von drei Jahren nach §§ 195, 199 BGB (BGH, Urteil vom 17.12.2020, VI ZR 739/20, zitiert nach juris; Palandt/Ellenberger, BGB, 80. Aufl., § 195, Rn. 4). Die Verjährungsfrist beginnt mit dem Ablauf des Jahres, in dem der Anspruch entstanden ist und der Gläubiger von den anspruchsbegründenden Umständen und der Person des Schuldners Kenntnis erlangt oder ohne grobe Fahrlässigkeit erlangen müsste, § 199 Abs. 1 BGB. Eine hinreichende Kenntnis der anspruchsbegründenden Umstände liegt vor, wenn dem Geschädigten die Erhebung einer Schadensersatzklage, sei es auch nur in Form der Feststellungsklage, Erfolg versprechend, wenn auch nicht risikolos, möglich ist (BGH a. a. O.). Dafür ist weder erforderlich, dass der Geschädigte alle Einzelumstände kennt, die für die Beurteilung möglicherweise Bedeutung haben, noch muss er bereits hinreichend sichere Beweismittel in der Hand haben, um einen Rechtsstreit im Wesentlichen risikolos führen zu können (BGH a. a. O.). Auch kommt es grundsätzlich nicht auf eine zutreffende rechtliche Würdigung an (BGH a. a. O.; Urteil vom 8.5.2014, I ZR 217/12, zitiert nach juris). Die erforderliche Kenntnis ist indes nicht schon dann gegeben, wenn der Geschädigte lediglich von Anknüpfungstatsachen weiß sie liegt erst dann vor, wenn die dem Geschädigten bekannten Anknüpfungstatsachen ausreichen, um den Schluss auf ein schuldhaftes Fehlverhalten des Anspruchsgegners naheliegend und eine Klageerhebung zumutbar erscheinen zu lassen (BGH, Urteil vom 17.12.2020, VI ZR 739/20, zitiert nach juris), was der Fall ist, wenn dem Geschädigten der Abgasskandal in Allgemeinen und die konkrete Betroffenheit seines Fahrzeugs zur Kenntnis gelangt sind (BGH a. a. O.). Die Darlegungs- und Beweislast für den Beginn und den Ablauf der Verjährung und damit für die Kenntnis oder grob fahrlässige Unkenntnis des Geschädigten trägt der Schuldner (BGH, Versäumnisurteil vom 17.6.2016, V ZR 34/15, zitiert nach juris; Palandt/Ellenberger, a. a. O., § 199, Rn. 12).
Nach diesen Grundsätzen lässt sich eine den Beginn der Verjährung auslösende Kenntnis des Klägers für das Jahr 2015 nicht feststellen. Es ist nicht dargetan, dass der Kläger etwa noch 2015 eine Benachrichtigung der Beklagten über die konkrete Betroffenheit seines Fahrzeugs erhalten habe; der Kläger selbst hat dazu in der mündlichen Verhandlung geäußert, dass eine solche Benachrichtigung erst 2016 erfolgt sei, ohne dass die Beklagte dem entgegengetreten ist. Die Behauptung der Beklagten, dass der Kläger bereits 2015 verjährungsrelevante Kenntnisse erlangt habe, ist durch die persönliche Anhörung des Klägers durch den Senat in der mündlichen Verhandlung nicht bestätigt worden. Der Kläger hat dazu angegeben, dass er infolge der Geburt seines Sohnes im Wege des vorgezogenen Kaiserschnitts am 17.9.2015, an die sich ein vierwöchiger Aufenthalt des Sohnes auf der Intensivstation angeschlossen habe, keinerlei Medienberichterstattung wahrgenommen habe. Damit sind die Angaben des Klägers bereits nicht ergiebig im Sinne der – gegenteiligen – Behauptung der Beklagten, sodass aus ihnen ein Beweis für deren Richtigkeit nicht hergeleitet werden kann. Von der Durchführung einer förmlichen Parteivernehmung hat der Senat absehen können, nachdem die Beklagte ihren diesbezüglichen erstinstanzlichen Beweisantritt in der mündlichen Verhandlung nicht aufrechterhalten hat.
Ebenso kann das Vorliegen einer grob fahrlässigen Unkenntnis des Klägers im Sinne der vorstehend dargestellten Grundsätze nicht angenommen werden. Das Merkmal der groben Fahrlässigkeit setzt einen objektiv schwerwiegenden und subjektiv nicht entschuldbaren Verstoß gegen die Anforderungen der im Verkehr erforderlichen Sorgfalt voraus und liegt nur vor, wenn dem Geschädigten die Kenntnis fehlt, weil er ganz naheliegende Überlegungen nicht anstellt und nicht beachtet hat, was im gegebenen Fall jedem hätte einleuchten müssen; insoweit muss dem Geschädigten ein schwerer Obliegenheitsverstoß in der eigenen Angelegenheit der Anspruchsverfolgung, mithin ein besonders schweres Verschulden gegen sich selbst, vorgeworfen werden können (BGH, Urteil vom 10.11.2009, VI ZR 247/08, zitiert nach juris). Dabei besteht keine generelle Obliegenheit des Geschädigten, im Interesse des Schädigers an einem möglichst frühzeitigen Beginn der Verjährung eine Initiative zur Klärung des Schadenshergangs oder der Person des Schädigers zu entfalten (BGH a. a. O.). Ein Unterlassen von Nachforschungen ist gleichwohl als grob fahrlässig einzustufen, wenn besondere Umstände hinzutreten, die das Unterlassen aus der Sicht eines verständigen und auf seine Interessen bedachten Geschädigten als unverständlich erscheinen lassen; dafür müssen dem Geschädigten konkrete Anhaltspunkte für das Bestehen eines Anspruchs ersichtlich sein und sich ihm der Verdacht einer möglichen Schädigung aufdrängen (BGH a. a. O.).
Nach diesen Maßstäben kann dem Kläger nicht vorgeworfen werden, dass er nicht bereits 2015 Erkundigungen über die konkrete Betroffenheit seines Fahrzeugs angestellt hat. Wenn auch der Abgasskandal bereits ab Herbst 2015, beginnend mit Pressemitteilungen der Beklagten im September und Oktober 2015, in der Medienberichterstattung omnipräsent war und die Möglichkeit bestand, die Betroffenheit von Fahrzeugen im Wege einer Internetabfrage durch die Eingabe der Fahrzeugidentifikationsnummer auf einer Website festzustellen, kann dem Kläger im Lichte der von ihm im Rahmen seiner persönlichen Anhörung durch den Senat dargestellten Umstände ein besonderes grobes Verschulden gegen sich selbst nicht zur Last gelegt werden. Die bloße Möglichkeit, sich über allgemein zugängliche Quellen Informationen zu beschaffen, reicht dafür nicht aus (4. Zivilsenat, Urteil vom 24.6.2020, 4 U 147/19, zitiert nach juris; 12. Zivilsenat, Urteil vom 14.1.2021, 12 U 104/20, zitiert nach juris; 3. Zivilsenat, Urteil vom 17.3.2020, 3 U 85/19, zitiert nach juris 2. Zivilsenat, Urteil vom 13.4.2021, 2 U 108/20, zitiert nach juris; OLG Karlsruhe, BeckRS 2020, 17311 OLG Oldenburg, BeckRS 2020, 17311 OLG Stuttgart, Urteil vom 30.4.2020, 7 U 470/19, zitiert nach juris). Soweit in Teilen der Rechtsprechung (OLG Koblenz, BeckRS 2020, 17311OLG Stuttgart, Urteil vom 7.4.2020, 10 U 455/19, zitiert nach juris OLG Köln, Beschluss vom 4.3.2020, 26 U 73/19, zitiert nach juris; OLG München, Beschlüsse vom 5.2.2020, 3 U 7392/19, vom 2.6.2020, 3 U 7229/19, und vom 20.7.2020, 3 U 3018/20, jeweils zitiert nach juris) im Blick auf die eingehende Medienberichterstattung zum Abgasskandal etwas anderes vertreten wird, kann dem nicht gefolgt werden. Denn die Beklagte hat, wie sie in der Klageerwiderung vorgetragen hat, in ihrer Presseerklärung vom 15.10.2015 auch mitgeteilt, dass im Januar 2016 ein Rückruf zur Überarbeitung der betroffenen Fahrzeuge starten solle. Im Lichte dieser Ankündigung ist es aus der maßgeblichen Sicht eines verständigen und bedacht handelnden Geschädigten in der damaligen Lage verständlich gewesen, wenn er sich zunächst auf diese Ankündigung verlassen und auf die konkrete Information durch die Beklagte vertraut und gewartet hat, die im vorliegenden Fall, wenn auch erst 2016, auch tatsächlich erfolgt ist (vgl. 12. Zivilsenat a. a. O.; 2. Zivilsenat a. a. O.).
Die damit nicht vor dem Ablauf des 31.12.2016 beginnende Verjährung ist rechtzeitig durch die Erhebung der Klage nach § 204 Abs. 1 Nr. 1 BGB gehemmt worden. Denn die Zustellung der Klageschrift am 6.4.2020 wirkt gemäß § 167 ZPO auf den Zeitpunkt ihrer Einreichung am 29.12.2019 zurück, da sie „demnächst“ im Sinne dieser Vorschrift erfolgt ist.
Diese Voraussetzung ist erfüllt, wenn die der Partei zuzurechnende Verzögerung der Zustellung einen hinnehmbaren Rahmen von bis zu 14 Tagen nicht übersteigt (BGH, Versäumnisurteil vom 25.9.2015, V ZR 203/14, zitiert nach juris; Urteil vom 10.2.2011, VII ZR 185/07, zitiert nach juris; Zöller/Greger, ZPO, 33. Aufl., § 167, Rn. 11). So liegt der Fall hier. Denn der Kläger hat im Anschluss an die Einreichung der Klage zunächst die Anforderung des Gerichtskostenvorschusses abwarten dürfen (vgl. BGH, Urteil vom 3.9.2015, III ZR 66/14, zitiert nach juris; Zöller/Greger, a. a. O., § 167, Rn. 15) und hätte erst drei Wochen nach dem Ablauf der zu wahrenden Frist, mithin bis 22.1.2020, eine diesbezügliche Nachfrage halten müssen (vgl. BGH, Versäumnisurteil vom 25.9.2015, V ZR 203/14, zitiert nach juris; Zöller/Greger a. a. O.). Dem hat der Kläger durch die schriftsätzliche Nachfrage vom 13.1.2020 genügt. Im Anschluss daran ist ihm, da anderenfalls die Erhebung einer Nachfrage sinnfrei wäre, ein angemessener Zeitraum des Abwartens einer Reaktion des Gerichts zuzubilligen, den der Senat mit – weiteren – zwei Wochen bemisst. Ob der Kläger im Anschluss daran mit der erneuten schriftsätzlichen Nachfrage vom 27.1.2020 hinreichend tätig geworden ist oder ob er nun von sich aus den Gerichtskostenvorschuss hätte einzahlen müssen, bedarf keiner Entscheidung, da bereits unter dem 29.1.2020 der Gerichtskostenvorschuss angefordert worden ist und bis dahin ein dem Kläger zuzurechnender Verzögerungszeitraum von nicht mehr als zwei Tagen angefallen sein kann. Im Anschluss an die Anforderung des Gerichtskostenvorschusses ist der zahlungspflichtigen Partei ein angemessener Erledigungszeitraum von jedenfalls einer Woche zuzubilligen, der sich, wenn – wie hier geschehen – die Gerichtskostenvorschussrechnung an den anwaltlichen Prozessbevollmächtigten versandt worden ist, angemessen und im allgemeinen um drei Werktage verlängert (BGH, Urteil vom 29.9.2017, V ZR 103/16, zitiert nach juris; Zöller/Greger a. a. O.). Dabei kann der zahlungspflichtigen Partei eine Einzahlung an einem Wochenend- oder Feiertag nicht abverlangt werden (BGH, Urteil vom 3.9.2015, III ZR 66/14, zitiert nach juris) Demgemäß hätte der Kläger auf die Gerichtskostenrechnung vom 29.1.2020 eine Zahlung jedenfalls nicht vor Montag, dem 10.2.2020, erbringen müssen. Von da an bis zur tatsächlichen Entrichtung des Gerichtskostenvorschusses am 17.2.2020 ist, auch unter Mitberücksichtigung von zwei vorherigen Verzögerungstagen, der noch unschädliche Verzögerungszeitraum von 14 Tagen nicht erreicht. Der weitere Verfahrensablauf bis zur Zustellung der Klage ist gerichtsinternen Gegebenheiten geschuldet dem Kläger daher nicht anzulasten.
2.
Die Zinsansprüche des Klägers bestehen gemäß §§ 288 Abs. 1, 291 BGB. Dabei ist zu berücksichtigen, dass die Laufleistung des streitgegenständlichen Fahrzeugs sich während des Rechtsstreits kontinuierlich erhöht und mithin der zu verzinsende Betrag bei Eintritt der Rechtshängigkeit den dem Kläger nunmehr zustehenden Zahlbetrag überstiegen hat (vgl. BGH, Urteil vom 30.7.2020, VI ZR 397/19, zitiert nach juris). Aus den für das Datum der Klageschrift am 28.12.2019 und für den Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung beim Landgericht am 30.7.2020 vorgetragenen Laufleistungen von 98.000 km und 111.036 km ergeben sich nach Maßgabe der vorstehend dargestellten Grundsätze zur Bemessung der Nutzungsentschädigung Saldierungsbeträge in Höhe von 8.728,52 € und 9.987,62 €, die zu Ansprüchen des Klägers in Höhe von 14.671,48 € und 13.412,38 € für diese Zeitpunkte führen.
3.
Der – auch in der Berufung lediglich – hilfsweise gestellte Antrag des Klägers auf Feststellung der Schadensersatzpflicht der Beklagten bedarf keiner Betrachtung, da der mit dem Hauptantrag geltend gemachte Schadensersatzanspruch dem Kläger dem Grunde nach uneingeschränkt zusteht und damit der in der Klageschrift vom 28.12.2019 bezeichnete Hilfsfall nicht gegeben ist.
4.
Für die Feststellung eines Annahmeverzugs der Beklagten nach §§ 293, 295 Satz 1 BGB ist kein Raum, da sowohl im vorgerichtlichen Schreiben vom 20.12.2019 (Anlage K28 zur Klageschrift) als auch im Rechtsstreit für den Kläger von einer erwartbaren Gesamtlaufleistung des streitgegenständlichen Fahrzeugs von 300.000 km ausgegangen worden ist, womit jeweils ein höherer als dem Kläger zustehender Betrag verlangt worden ist und folglich kein zur Begründung eines Annahmeverzugs der Beklagten geeignetes Angebot vorliegt (vgl. BGH, Urteil vom 25.5.2020, VI ZR 252/19, zitiert nach juris).
5.
Für den Antrag auf Feststellung einer vorsätzlichen unerlaubten Handlung der Beklagten ist dem Landgericht darin beizutreten, dass es bereits an der Zulässigkeit der Klage fehlt. Ein diesbezügliches Feststellungsinteresse nach § 256 ZPO kann nicht aus der privilegierten Behandlung solcher Ansprüche – insbesondere – nach §§ 393 BGB, § 850f Abs. 2 ZPO, 302 Nr. § 302 Nr. 1 InsO hergeleitet werden (so aber: OLG Koblenz, BeckRS 2019, 31781). Der Verweis auf 302 Nr. § 302 Nr. 1 InsO geht fehl, da eine Restschuldbefreiung nach § 286 InsO nur natürlichen Personen gewährt werden kann. Ebenso gilt § 850f Abs. 2 ZPO nicht für juristische Personen, da diese kein Arbeitseinkommen haben können (OLG Dresden, Beschluss vom 26.10.2007, 8 W 1224/07, zitiert nach juris). Im Hinblick auf § 393 BGB kann dem Vortrag der Parteien nichts zum Vorliegen oder auch nur der konkreten Möglichkeit des Bestehens einer Aufrechnungslage entnommen werden, weshalb insoweit eine für das Vorliegen eines Feststellungsinteresses erforderliche gegenwärtige Gefahr einer Unsicherheit (Zöller/Greger, a. a. O., § 256, Rn. 7, m. N.) nicht erkannt werden kann.
6.
Der Kläger hat einen Anspruch gegen die Beklagte aus §§ 826, 249 Abs. 1 BGB auf die Freistellung von ihm entstandenen vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten nach einer 1,3-Geschäftsgebühr nach Nr. 2300 VV-RVG (vgl. BGH a. a. O.). Dafür kommt es nicht darauf an, ob die vorgerichtliche Tätigkeit der Prozessbevollmächtigten des Klägers zu einem Verzug der Beklagten geführt hat (vgl. BGH a. a. O.). Nach Maßgabe des in der Klageschrift zugrunde gelegten Gegenstandswerts in Höhe von 16.167,19 € stellt sich die Geschäftsgebühr nach Nr. 2300 VV-RVG auf 904,80 € und führt nach Addition der Post- und Telekommunikationspauschale nach Nr. 7002 VV-RVG und der Mehrwertsteuer nach Nr. 7008 VV-RVG zu einer Summe in Höhe von 1.100,51 €.
7.
Die Entscheidung über die Kosten des Rechtsstreits beruht auf §§ 91, 92 Abs. 1, 97 Abs. 1 ZPO.
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit ergeht gemäß §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO.
Die Zulassung der Revision erfolgt im Hinblick auf die dargestellte Uneinheitlichkeit der Rechtsprechung zur Frage des Vorliegens einer groben Fahrlässigkeit im Sinne des § 199 Abs. 1 Nr. 2 BGB.