Gericht | LArbG Berlin-Brandenburg 7. Berufungskammer | Entscheidungsdatum | 01.06.2021 | |
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Aktenzeichen | 7 SaGa 275/21 | ECLI | ECLI:DE:LAGBEBB:2021:0601.7SAGA275.21.00 | |
Dokumententyp | Urteil | Verfahrensgang | - | |
Normen | § 1004 BGB, § 85 ArbGG |
Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Berlin vom 5. Februar 2021 – 6 Ga 982/21 – wird auf ihre Kosten zurückgewiesen.
1. Eines Tatbestandes bedurfte es nicht, da gegen diese Entscheidung schon aufgrund gesetzlicher Regelungen (§ 72 Abs. 4 ArbGG) ein Rechtsmittel unzweifelhaft nicht zulässig ist (§ 313a Abs. 1 ZPO, § 69 Abs. 4 ArbGG).
2. Die zulässige, form- und fristgerecht eingereichte Berufung der Klägerin hat in der Sache keinen Erfolg. Das Arbeitsgericht hat zu Recht den Antrag der Klägerin auf Erlass einer einstweiligen Verfügung zur Untersagung von Streikhandlungen zurückgewiesen. Der für den Erlass einer solchen einstweiligen Verfügung erforderliche Verfügungsanspruch würde voraussetzen, dass die Klägerin einem rechtswidrigen Streik ausgesetzt wäre. Einen solchen Verfügungsanspruch hat die Klägerin nicht dargelegt und glaubhaft gemacht.
2.1 Der Erlass einer einstweiligen Verfügung kommt, wie sich mittelbar aus § 62 Abs. 2 ArbGG ergibt, auch im Bereich des Arbeitskampfs in Betracht (st. Rspr. vgl. z.B. LAG Berlin-Brandenburg vom 15. Juni 2016 – 23 SaGa 968/16 – juris; LAG Berlin-Brandenburg vom 24. Juni 2015 – 26 SaGa 1059/15 – juris Rz. 70).
Voraussetzung einer einstweiligen Verfügung ist ein Verfügungsanspruch und ein Verfügungsgrund. Dabei ist ein strenger Maßstab anzulegen. Denn jegliche gerichtliche Maßnahme verschiebt die Kampfparität zwischen den streikenden Gewerkschaften und den bestreikten Arbeitgebern zu Gunsten der einen oder zu Ungunsten der anderen Partei. Voraussetzung für den Erlass einer einstweiligen Verfügung ist, dass die Rechtswidrigkeit der Arbeitskampfmaßnahme bzw. des Arbeitskampfs im Einzelnen dargelegt und glaubhaft gemacht wird. Ist die Rechtswidrigkeit offensichtlich, wird regelmäßig angenommen, dass eine einstweilige Verfügung erlassen werden kann (vgl. z.B. LAG Hamm 2. Juli 2017 – 12 Ta 373/17 – juris). Dies schließt es nicht aus, dass auch im Fall ungeklärter Rechtsfragen eine einstweilige Verfügung erlassen werden kann, da das Gericht im einstweiligen Verfügungsverfahren nicht schwierige Rechtsfragen etwa ungeprüft lassen kann.
2.2 Im vorliegenden Verfahren hat die Klägerin nicht dargetan und glaubhaft gemacht, dass der von der Verfügungsbeklagte organisierte Streik gegen sie rechtswidrig ist, weil die Beklagte für den Abschluss des Tarifvertrages nicht zuständig wäre.
2.2.1 Ein Streik, mit dem ein Tarifvertrag bei einem Arbeitgeber durchgesetzt werden soll, für den eine Gewerkschaft nicht zuständig ist, ist rechtswidrig. Denn der angestrebte Tarifvertrag ist im Fall einer fehlenden Zuständigkeit unwirksam. An der Erstreikung eines unwirksamen Tarifvertrages hat die Gewerkschaft kein durch Art. 9 GG geschütztes Interesse.
Die Tarifzuständigkeit einer Vereinigung richtet sich nach dem in ihrer Satzung autonom festgelegten Organisationsbereich. Dies ist Ausdruck der in Art. 9 Abs. 1, Abs. 3 GG verfassungsrechtlich garantierten Vereins- und Koalitionsfreiheit. Dementsprechend kann etwa eine Arbeitnehmervereinigung ihren Organisationsbereich betriebs- oder unternehmensbezogen, branchen- oder berufsbezogen, regional- oder personenbezogen festlegen. Ebenso gut kann sie eine Kombination mehrerer Kriterien wählen. Zulässig ist es auch, die Tarifzuständigkeit für die Arbeitnehmer von konkret bezeichneten Unternehmen zu beanspruchen (BAG 11. Juni 2013 – 1 ABR 32/12 – BAGE 145, 211 ff. Rz. 29).
Der in der Satzung festgelegte Organisationsbereich muss hinreichend bestimmt sein. Die den Tarifvertragsparteien nach § 1 Abs. 1, § 4 Abs. 1 TVG zukommende Normsetzungsbefugnis verlangt nach einer ausreichenden Transparenz der Zuständigkeitsgrenzen. Diese müssen für die handelnden Organe der Vereinigung selbst, für den sozialen Gegenspieler und für Dritte zuverlässig zu ermitteln seien, weil sie die Grenze wirksamen Handelns der Vereinigung bilden (BAG 17. April 2012 – 1 ABR 5/11 – Rnr. 54).
Für die Bestimmung des Organisationsbereichs einer Tarifvertragspartei ist deren Satzung ggf. auszulegen. Maßgeblich ist der objektivierte Wille des Satzungsgebers. Wegen der normähnlichen Wirkung der Satzung körperschaftlich strukturierter Vereinigungen gelten die Grundsätze der Gesetzesauslegung. Danach sind maßgeblich zunächst der Wortlaut und der durch ihn vermittelte Wortsinn, ferner der Gesamtzusammenhang, der Sinn und Zweck und die Entstehungsgeschichte der Satzung. Umstände außerhalb der Satzung, die sich in ihr nicht niederschlagen, sind nicht berücksichtigungsfähig. Das gebietet die Rechtssicherheit (BAG 10. Februar 2009 – 1 ABR 36/08 – Rnr. 27, 38 BAGE 129, 322). Unerheblich sind auch der tatsächliche Abschluss von Tarifverträgen oder die Praxis der Aufnahme von Mitgliedern als solche. Durch ein bloßes Tätigwerden außerhalb des satzungsgemäßen Organisationsbereichs kann dieser nicht erweitert und eine nach der Satzung fehlende Tarifzuständigkeit nicht begründet werden. Im Zweifelsfall gebührt derjenigen Auslegung der Vorzug, die zu einem gesetzeskonformen und praktikablen Satzungsverständnis führt (vgl. BAG vom 11. Juni 2013 – 1 ABR 32/12 – mwN.).
2.2.2 Bei Anwendung dieser Grundsätze auf den vorliegenden Fall, erweist sich die Entscheidung des Arbeitsgerichts als richtig. Das Arbeitsgericht hat mit ausführlicher und zutreffender Begründung die satzungsmäßige Zuständigkeit der beklagten Gewerkschaft bejaht. Auf die Ausführungen des Arbeitsgerichtes wird Bezug genommen (§ 69 ArbGG).
Das Vorbringen der Verfügungsklägerin im Berufungsverfahren ist nicht geeignet, eine andere Entscheidung herbeizuführen.
2.2.1 Das Arbeitsgericht hat zu Recht die satzungsmäßige Zuständigkeit nach 1.2.4 der Satzung bejaht.
Danach ist die beklagte Gewerkschaft zuständig auch für den sonstigen privaten Dienstleistungsbereich, der in der Satzung weitergehend aufgelistet wird und auch Arbeitgeber der Wohnungswirtschaft umfasst, nämlich die Wohnungsverwaltungen, Wohnungsgesellschaften und – genossenschaften, Heimstättengesellschaften, Haus- und Grundstücksmakler. Zwar ist die Klägerin kein Unternehmen der Wohnungsverwaltung bzw. keine Wohnungsgesellschaft. Sie ist indes ein „selbständiger, jedoch wirtschaftlich- organisatorisch zugeordneter Dienstleistungsbetrieb einer Wohnungsgesellschaft im Sinne des Einleitungssatzes von 1.2.4.
Wie das Arbeitsgericht bereits ausgeführt hat, ist die Klägerin wirtschaftlich-organisatorisch der L zugeordnet. Diese hält 51% der Anteile an der Verfügungsklägerin. Zudem besteht zwischen beiden Gesellschaften ein Gewinnabführungsvertrag. Damit kommen die wirtschaftlichen Ergebnisse der L GmbH zugute. Die organisatorische Zuordnung findet in der Identität der Prokuristen ihren Ausdruck. Die von der Verfügungsklägerin für die L erbrachten Leistungen werden dieser wirtschaftlich zugeordnet. Die Verfügungsklägerin führt zudem Reparaturen in den Bestandswohnungen der L I durch, tritt selbst aber nicht weiter auf dem Immobilienmarkt auf.
2.2.2 Die Verfügungsklägerin ist auch ein Dienstleistungsunternehmen im Sinne der Satzung. Dies ergibt eine Auslegung der Satzung nach den oben ausgeführten Grundsätzen.
Bereits der Wortlaut der Satzung „wirtschaftlich-organisatorisch zugeordneter Dienstleistungsbetrieb“ spricht für diese Auslegung. Ein Dienstleistungsbetrieb ist ein Betrieb, der Dienstleistungen für Dritte anbietet. Bei Dienstleistungsverträgen nach § 611 BGB verpflichtet sich ein Teil zur Leistung der versprochenen „Dienste“, wobei nach Abs. 2 Gegenstand eines Dienstleistungsvertrag Dienste jeder Art sein können.
Solche Dienste werden von der Verfügungsklägerin gegenüber der L erbracht. Denn die Beklagte führt in deren Namen Reparaturen und Instandhaltungsarbeiten in den Wohnungen der Mieter durch. Sie übernimmt damit eine Dienstleistung für die L auch wenn es sich dabei um Handwerkerleistungen handelt. Das ist die Grundlage der Geschäftsbeziehungen zwischen der Klägerin und der L GmbH. Dass es dabei jeweils wie bei einem Handwerksbetrieb zu einzelnen Vertragsabschlüssen in Bezug auf den konkreten Reparaturauftrag mit entsprechender Rechnungsstellung gekommen wäre, behauptet die Verfügungsklägerin nicht.
Entgegen der Auffassung der Verfügungsklägerin steht dieser Auslegung nicht die Beispielsaufzählungen entgegen. Wie schon durch die Einführung „z.B.“ deutlich gemacht, enthält diese Aufzählung keine abschließende Regelung. Die dort genannten Beispiele sind typische Dienstleistungen, die weitere Dienstleistungen nicht ausschließen. Auch vom Inhalt der Tätigkeit der aufgeführten Bereiche ist die Tätigkeit der Verfügungsklägerin nicht ausgeschlossen. So erbringt auch ein EDV-Dienstleister nicht nur kaufmännische, sondern auch technische Leistungen.
Sinn und Zweck der Satzungsregelung sprechen für diese Auslegung. Wie die vorangegangenen Passagen auch, sollen mit dem Verweis auf die sonstigen Betriebe Untergliederungen von Wohnungsunternehmen in die Zuständigkeit fallen, jedenfalls dann, wenn der dort beschriebene organisatorisch-wirtschaftliche Zusammenhang besteht. Die Tarifgeschichte spricht dafür. Die handwerklichen Leistungen in Wohnungsunternehmen waren durch Tarifverträge der beklagten Gewerkschaft mit tarifiert.
2.2.3 Dahinstehen kann, ob auch eine andere Gewerkschaft für den Abschluss von Tarifverträgen bei der Klägerin zuständig ist. Denn jedenfalls hindert dies nicht den Versuch der Beklagten Tarifverträge bei der Klägerin abzuschließen, solange zwischen den Gewerkschaften keine anderweitige Absprache getroffen ist. Das Schlichtungsverfahren beim DGB entfaltet keine die Zuständigkeit ausschließende Wirkung gegenüber den betroffenen Arbeitgebern.
3. Aus diesen Gründen erweist sich der angestrebte Tarifvertrag – jedenfalls nach den im Verfügungsverfahren vorgetragenen Tatsachen – als nicht rechtswidrig. Die Berufung war zurückzuweisen, mit der Folge, dass die Verfügungsklägerin die Kosten ihres erfolglosen Rechtsmittels zu tragen hat.