Gericht | OLG Brandenburg 4. Senat für Familiensachen | Entscheidungsdatum | 27.07.2021 | |
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Aktenzeichen | 13 UF 80/21 | ECLI | ECLI:DE:OLGBB:2021:0727.13UF80.21.00 | |
Dokumententyp | Beschluss | Verfahrensgang | - | |
Normen |
1. Auf die sofortige Beschwerde der Antragstellerin wird der Beschluss des Amtsgerichts Strausberg vom 19.05.2021 - 31 F 57/21 - im Umfang der Verweisung des Verfahrens an das Verwaltungsgericht Frankfurt (Oder) aufgehoben.
2. Im Übrigen wird die Beschwerde unter Einstellung des Verfahrens zurückgewiesen.
3. Gerichtskosten für das Beschwerdeverfahren werden nicht erhoben, außergerichtliche Kosten werden nicht erstattet.
4. Der Verfahrenswert für das Beschwerdeverfahren wird auf 2.000,- € festgesetzt.
I.
Mit Anwaltsschriftsatz vom 15.04.2021 (Bl. 1) hat die Antragstellerin die Einleitung eines Verfahrens gemäß § 1666 BGB gegenüber dem Land Brandenburg, vertreten durch das staatliche Schulamt … im Wege der einstweiligen Anordnung beantragt wegen einer ihrer Auffassung nach durch die in der Gesamtschule (X), … angeordnete Pflicht zum Tragen einer Mund-Nasen-Bedeckung, Durchführung von Schnelltests und Einhaltung von Abstandsregelungen verursachte Gefährdung des Wohls ihres diese Schule besuchenden Sohns, des betroffenen Kindes.
Mit der angefochtenen Entscheidung (Bl. 10) hat das Amtsgericht die Unzulässigkeit des Rechtswegs zu den ordentlichen Gerichten festgestellt und das Verfahren an das Verwaltungsgericht Frankfurt (Oder) verwiesen. Für die Erteilung etwaiger Auflagen im Hinblick auf schulinterne Anordnungen zu Hygienemaßnahmen sei das Verwaltungsgericht zuständig. Das Schulamt sei nicht „Dritter“ im Sinne des § 1666 Abs. 4 BGB.
Mit ihrer Beschwerde (Bl. 16) beanstandet die Antragstellerin die Rechtswegverweisung und beantragt die Durchführung eines Verfahrens gemäß § 1666 BGB, da den Familiengerichten umfassende Befugnisse zum Kinderschutz zustünden, ohne dass sich dies auf Privatpersonen als „Dritte“ im Sinne des § 1666 BGB beschränke, zumal die hier betroffene Schule eine Privatschule sei.
II.
1. Die gemäß §§ 17 a Abs. 4 Satz 3 GVG gegenüber der erstinstanzlich ausgesprochenen Rechtswegverweisung gemäß § 567 ff. ZPO auch bei FamFG-Verfahren statthafte (OLG Karlsruhe, Beschl. v. 28.04.2021, 20 WF 70/21, zitiert nach juris; OLG Nürnberg, Beschlüsse v. 28.04.2021, 9 WF 343/21, und 27.04.2021, 9 WF 342/21, zitiert nach juris; Zöller-Lückemann, ZPO, 33. Aufl. 2020, § 17 a GVG Rn. 15) und in zulässiger Weise erhobene sofortige Beschwerde der Antragstellerin ist im Umfang des Ausspruchs begründet.
Eine Prüfung der Zulässigkeit des beschrittenen Rechtswegs und eine etwaige Verweisung des Verfahrens an das zuständige Gericht des zulässigen Rechtswegs gemäß § 17 a Abs. 2 Satz 1 GVG kommt bei antragsunabhängigen Amtsverfahren der freiwilligen Gerichtsbarkeit nicht in Betracht. Antragsunabhängige Amtsverfahren gemäß § 24 FamFG, zu denen Kinderschutzverfahren gemäß §§ 1666, 1666 a BGB zählen (OLG Karlsruhe, a. a. O.; OLG Nürnberg, a. a. O.; Ahn-Roth in Prütting/Helms, FamFG, 5. Aufl. 2020 Vorbemerkungen zu §§ 23, 24, Rn. 3; Sternal in Keidel, FamFG, 20. Aufl. 2020, § 23 Rn. 5, § 24 Rn. 3; Palandt/Götz, BGB, 80. Aufl. 2021, Einf. § 1626 Rn. 4), können nicht auf einen anderen Rechtsweg verwiesen werden (OVG Lüneburg, Beschl. v. 18.05.2021, 13 AR 259/21, zitiert nach juris; OLG Frankfurt, Beschl. v. 05.05.2021, 4 UF 90/21, zitiert nach juris; Mayer in Kissel/Mayer, GVG, 10. Aufl. 2021 § 17 Rn. 62). Voraussetzung für eine Rechtswegverweisung gemäß § 17 a Abs. 2 Satz 1 GVG ist, dass es sich um Streitsachen handelt, über die im Antragsverfahren zu entscheiden ist; denn in Verfahren, die von Amts wegen einzuleiten sind, fehlt es bereits im Ausgangspunkt an der Beschreitung eines Rechtswegs, so dass für die Anwendung der Vorschrift in diesen Fällen von vornherein kein Raum ist (Bundestagsdrucksache 16/6308, Begründung des Regierungsentwurfs des FGG-Reformgesetzes, Teil B, S. 318, zu § 17 a GVG).
Das mit einer Anregung gemäß § 24 FamFG konfrontierte Gericht hat nach pflichtgemäßem Ermessen Vorermittlungen durchzuführen, aufgrund derer es bei Bestehen zureichender tatsächlicher Anhaltspunkte für die Erforderlichkeit amtswegigen Handelns - die sich aus dem materiellen Recht, in Kinderschutzfällen mithin aus §§ 1666, 1666 a BGB ergeben - ein Verfahren einzuleiten und Ermittlungen (§ 26 FamFG) durchzuführen hat (OLG München, Beschl. v. 01.06.2021, 2 WF 528/21 e, zitiert nach juris; Ahn-Roth, a. a. O., § 24 Rn. 4a;Sternal a. a. O. § 24 Rn. 3; Ulrici in Münchener Kommentar zum FamFG, 3. Aufl. 2018, § 24 Rn. 5ff.; Burschel in BeckOK FamFG, Hahne/Schlögel/Schlünder, 39. Ed. Stand 01.07.2021 § 24 Rn. 9f.). Andernfalls sind die Vorermittlungen - ohne dass es einer Gerichtsentscheidung bedarf - zu beenden, § 24 Abs. 2 FamFG (OLG Karlsruhe, a. a. O.; Ulrici, a. a. O. Rn. 13; Sternal a. a. O. Rn. 9).
So liegt der Fall hier. Da das Amtsgericht, wie es mit Verfügung vom 22.04.2021 (Bl. 5) der Antragstellerin mitgeteilt hat, ein amtswegiges Einschreiten gemäß § 1666 BGB ohne vorherige Durchführung von Ermittlungen abgelehnt hat, ist die angefochtene Verweisung der Sache auf den Verwaltungsrechtsweg gemäß § 17 a Abs. 2 GVG nicht zulässig und deshalb auf die Beschwerde der Antragstellerin aufzuheben.
2. Die mit der Beschwerde - sinngemäß - beantragte Einleitung eines Verfahrens gemäß § 1666 BGB kommt nicht in Betracht. Die Beschwerde ist zwar gemäß §§ 58 ff. FamFG statthaft, da die Antragstellerin als gesetzliche Vertreterin ihres Sohns, indem sie die Gefährdung seines Wohls vorträgt, eine materiell-rechtliche Rechtsposition gemäß § 1666 BGB beansprucht. In derartigen Fällen kann - ausnahmsweise - die Ablehnung der gerichtlichen Aufnahme von amtswegigen Ermittlungen mit der Beschwerde angegriffen werden (OLG Frankfurt, a. a. O.; Ahn-Roth, a. a. O. § 24 Rn. 12; Sternal a. a. O. Rn. 9).
Die Beschwerde hat in der Sache jedoch keinen Erfolg. Die Antragstellerin trägt keine tatsächlichen Anhaltspunkte für das Erfordernis amtswegigen Einschreitens des Familiengerichts gemäß §§ 1666, 1666 a BGB vor, und derartige Anhaltspunkte sind auch bei Berücksichtigung des hier in Rede stehenden Schulbesuchs des betroffenen Kindes in der von einem privaten Träger geführten, staatlich anerkannten Ersatzschule „Gesamtschule mit gymnasialer Oberstufe (X)“ (https://....de) durch die dort bestehende Pflicht zur Befolgung infektionsschutzrechtlicher Maßnahmen nicht ersichtlich. Vorliegend fehlt es bereits an der erforderlichen substantiierten und individualisierten Darlegung, inwiefern das körperliche oder seelische Wohl des betroffenen Kindes durch die Masken-, Abstands- und Schnelltestpflicht während des Schulbesuchs konkret, akut und nachhaltig gefährdet oder gar geschädigt werden könnte.
Weiter ermächtigt § 1666 Abs. 4 BGB das Familiengericht zur Abwehr einer Gefährdung des Wohls in Angelegenheiten der Personensorge eines betroffenen Kindes zwar auch, Maßnahmen gegenüber „Dritten“ anzuordnen. Dazu zählen Personen, die nicht Inhaber der Personensorge des betroffenen Kindes sind, und durch deren individuelles Verhalten das Wohl des Kindes gefährdet wird (OLG Frankfurt, a. a. O.; OLG Nürnberg, a. a. O.; Lugani in Münchener Kommentar zum BGB, 8. Aufl. 2020 § 1666 Rn. 214). Hierunter fallen jedoch nicht Hoheitsträger staatlicher Einrichtungen und Einrichtungen, die - wie Schulen in freier Trägerschaft - der staatlichen Aufsicht unterliegen (§§ 120 ff. Brandenburgisches Schulgesetz v. 02.08.2002, GVBl. I/02, S. 78, zul. geändert durch G. v. 23.07.2021, GVBl. I/21) und nach § 22 SARS-CoV-2-UmgV (GVBl. II/21 vom 15.06.2021, zuletzt geändert durch Verordnung vom 09.07.2021) zur Durchsetzung der Hygienemaßnahmen gleichermaßen verpflichtet sind wie staatliche Schulen. § 1666 Abs. 4 BGB statuiert keine Anordnungskompetenz des Familiengerichts gegenüber Hoheitsträgern. Anordnungen zur Aufhebung infektionsschutzrechtlicher Maßnahmen fallen nicht in den Kreis der nach § 1666 BGB eröffneten Maßnahmen (OVG Lüneburg, a. a. O.; OLG Frankfurt, a. a. O.; OLG Nürnberg, a. a. O.).
Da somit kinderschutzrechtliche Maßnahmen gegenüber der Schulleitung und dem Lehrkörper der Schule des betroffenen Kindes sowohl mangels Vorliegens von Anhaltspunkten für eine Gefährdung des Wohls des Kindes bei Befolgung der Infektionsschutzmaßnahmen als auch mangels Weisungsbefugnis des Familiengerichts gegenüber der Schulbehörde nicht in Betracht kommen, ist das Verfahren einzustellen.
3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 20 Abs. 1 Satz 2 FamGKG. Die Festsetzung des Gebührenwerts des Beschwerdeverfahrens beruht auf §§ 55 Abs. 2, 41, 45 Abs 1 Nr. 1 FamGKG.
Anlass, die Rechtsbeschwerde zuzulassen, besteht nicht (§ 70 Abs. 2 FamFG).