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Entscheidung 11 U 249/20


Metadaten

Gericht OLG Brandenburg 11. Zivilsenat Entscheidungsdatum 12.05.2021
Aktenzeichen 11 U 249/20 ECLI ECLI:DE:OLGBB:2021:0512.11U249.20.00
Dokumententyp Beschluss Verfahrensgang -
Normen

Tenor

I. Beide Parteien werden darauf hingewiesen, dass der Senat beabsichtigt, die Berufung der Klägerin gegen das am 23.10.2020 verkündete Urteil der Einzelrichterin der 2. Zivilkammer des Landgerichts Potsdam - 8 O 186/20 - aus den nachfolgend dargestellten Gründen gem. § 522 Abs. 2 S. 1 ZPO durch einstimmig gefassten Beschluss als unbegründet zurückzuweisen.

II. Für die Klägerin besteht Gelegenheit, sich zu der beabsichtigten Zurückweisung ihres Rechtsmittels binnen drei Wochen ab der Zustellung dieses Beschlusses zu äußern. Ihr bleibt anheimgestellt, die Berufung - aus Gründen der Kostenersparnis gemäß GKG-KV Nr. 1222 - vor dem Ablauf dieser Frist zurückzunehmen.

Gründe

I.

Die Parteien streiten über Zahlungsansprüche, die Gegenstand eines von der Klägerin gegen die Beklagte - unter einer in der …straße … in …. (X) angegebenen Adresse - im Jahr 2017 erwirkten Vollstreckungsbescheids des Amtsgerichts Berlin-Wedding in Höhe von 72.000 € nebst Zinsen und Kosten sind. Die Klägerin hat aus dem Vollstreckungsbescheid die Zwangsvollstreckung gegen die Beteiligten der im Passivrubrum genannten Mitglieder der Erbengesellschaft nach B… P…, der bis zu seinem Tod geschäftsführender Gesellschafter der Beklagten war, betrieben. Am 14.07.2020 hat die Beklagte, vertreten durch die im Passivrubrum genannte Erbengemeinschaft Widerspruch gegen den dem Vollstreckungsbescheid zugrundeliegenden Mahnbescheid und Einspruch gegen den Vollstreckungsbescheid eingelegt. Daraufhin hat das Mahngericht den Rechtsstreit an das im Mahnbescheidsantrag bezeichnete Landgericht Potsdam als Streitgericht abgegeben. Die Parteien streiten im Wesentlichen darüber, ob der Einspruch zulässig ist und die Beklagte durch die Erbengemeinschaft nach B… P… vertreten werden kann.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird gem. § 540 Abs. 1 Nr. 1 ZPO auf den Tatbestand des angefochtenen Urteils verwiesen.

Das Landgericht hat den Vollstreckungsbescheid des Amtsgerichts Wedding – Zentrales Mahngericht – vom 17.11.2017, Aktenzeichen 17-0970485-0-9, mit einem der Beklagten am 27.10.2020 zugestellten Urteil aufgehoben und die Klage abgewiesen.

Zur Begründung hat es ausgeführt, dass der Einspruch der Beklagten zulässig sei, weil die in § 339 Abs. 1 ZPO vorgesehene Einspruchsfrist nicht in Gang gesetzt worden sei, denn die Beklagte habe unter der auf dem von der Klägerin im Mahnbescheidsantrag angegebenen Zustelladresse in (X) weder Geschäftsräume betrieben, noch habe deren Geschäftsführer B… P… dort zum Zeitpunkt der Zustellung einen Wohnsitz begründet gehabt. Die im Hinblick auf die Einhaltung der Einspruchsfrist beweisbelastete Beklagte habe die Beweiskraft der Postzustellungsurkunde für den Vollstreckungsbescheid vom 27.11.2020 entkräftet, zumal sich bei einer Ersatzzustellung die Beweiskraft der PZU nicht darauf beziehe, dass der Zustellungsadressat unter der Zustellungsanschrift tatsächlich wohne oder seinen Geschäftssitz begründet habe. Die Beklagte habe insoweit hinreichend substanziierte Tatsachen vorgetragen, die dem entgegenstehen und sich insoweit auf die eidesstaatliche Versicherung der Tochter (S… K…) des vormaligen Gesellschafters der Beklagten B… P… vom 13.07.2020 bezogen. Zudem spreche gegen eine wirksame Zustellung, dass das Grundstück in (X) im Eigentum der Klägerin stehe und deren Geschäftsführer, der mit dem Mitgesellschafter der Beklagten B… P… über viele Jahre auch anderweitig geschäftlich verbunden war, gewusst habe, dass dieser nicht dort, sondern in der …allee … in (Y) gewohnt habe. Insoweit habe es mehrere Schreiben des Geschäftsführers der Klägerin kurz vor der in Rede stehenden Zustellung des Vollstreckungsbescheides an die genannte Adresse des B… P… in der …allee adressiert. Der Lauf der Einspruchsfrist sei auch nicht durch eine nachträgliche Heilung der Zustellung nach § 189 ZPO in Gang gesetzt worden, da eine nachträgliche Zustellung nicht erfolgt sei. Der Vollstreckungsbescheid sei im Ergebnis gem. §§ 700 Abs. 1, 343 Abs. 1 S. 2 ZPO aufzuheben gewesen. Die Klage sei zwar zunächst zulässig, denn die Beklagte sei als Außengesellschaft im Zivilprozess partei- und prozessfähig. Im Ergebnis sei die mit dem Mahnbescheidsantrag geltend gemachte Forderung aber unbegründet. Zur Sachberechtigung der Forderung habe die Klägerin trotz Bestreitens der Beklagten weder einen substanziierten Vortrag noch geeignete Beweisangebote unterbreitet.

Dagegen wendet sich die Klägerin mit ihrer am 17.11.2020 eingelegten und am 27.01.2021 (innerhalb bis zum 28.01.2021 nachgelassener Frist) begründeten Berufung, mit der sie ihr Begehren aus dem Vollstreckungsbescheid weiterverfolgt.

Sie meint, das Landgericht habe ihren umfassenden Vortrag im Schriftsatz vom 17.08.2020 nicht zur Kenntnis genommen. Es habe ihren Sachvortrag zudem inhaltlich nicht vollständig erfasst und sich hiermit nicht hinreichend auseinandergesetzt. Die vom Erstgericht angeführten rechtlichen Erwägungen trügen die Entscheidung nicht. Insoweit werde ein Verstoß gegen das Verfahrensrecht sowie gegen die Anwendung materiellen Rechts gerügt. Dies wird im Einzelnen unter Wiederholung und Ergänzung des erstinstanzlichen Vortrags näher ausgeführt.

Die Klägerin beantragt,

unter Abänderung des Urteils des Landgerichts Potsdam vom 23.10.2020 (Aktenzeichen 8 O 186/20) - abzuändern und die Beklagte antragsgemäß zu verurteilen, hilfsweise das Urteil aufzuheben und den Rechtsstreit zur erneuten Verhandlung zurückzuverweisen und die Kosten des Verfahrens der im Passivrubrum genannten Erbengemeinschaft nach B… P… aufzuerlegen.

Der Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie meint, es sei schon schwer auszumachen, inwiefern die Klägerin das Urteil überhaupt angreife, denn die Berufungsbegründung sei aufgrund der augenscheinlich zusammenkopierten Textpassagen teilweise kryptisch. Im Kern habe das Landgericht zutreffend erkannt, dass die Klägerin den Vollstreckungsbescheid gegen die Beklagte an ihren eigenen Geschäftssitz und nicht an einem von ihr betriebenen Geschäftslokal habe zustellen lassen. Mangels einer wirksamen Zustellung an sie habe eine Einspruchsfrist nicht in Gang gesetzt werden können. Darüber hinaus versuche die Klägerin, neuen streitigen Vortrag nachzuschieben, den ihr erstinstanzlicher Prozessbevollmächtigter versäumt habe. Sie verteidigt im Übrigen das erstinstanzliche Urteil unter Wiederholung und Vertiefung ihres erstinstanzlichen Vortrags.

II.

Der Senat ist einstimmig davon überzeugt, dass die (im Übrigen zulässige) Berufung der Klägerin offensichtlich keine Aussicht auf Erfolg hat, es der vorliegenden Rechtssache an grundsätzlicher - über den Streitfall hinausgehender - Bedeutung fehlt, weder zur Fortbildung des Rechts noch zur Sicherung einer einheitlichen Judikatur eine Entscheidung durch das Berufungsgericht im Urteilswege erforderlich ist und auch eine mündliche Verhandlung nicht geboten erscheint (§ 522 Abs. 2 S. 1 ZPO).

A. Das Landgericht hat den Einspruch der Beklagten vom 14.07.2020 gegen den Vollstreckungsbescheid des Amtsgerichts Wedding – Zentrales Mahngericht – vom 17.11.2017, Aktenzeichen 17-0970485-0-9 zu Recht für statthaft und auch im Übrigen für zulässig erachtet.

1. Der Vollstreckungsbescheid steht gem. § 700 Abs. 1 ZPO einem für vorläufig vollstreckbar erklärten Versäumnisurteil gleich. Diese Vorschrift verweist mithin für die Einspruchsfrist auf § 339 ZPO. Die Einspruchsfrist beträgt gem. § 339 Abs. 1 ZPO zwei Wochen; sie ist eine Notfrist und beginnt mit der Zustellung des Versäumnisurteils. Maßgeblich ist die Zustellung an die Partei, gegen die der Vollstreckungsbescheid erlassen wurde (BeckOK ZPO/Toussaint, 40. Ed. 01.03.2021, § 339 Rn. 2). Allerdings setzt nur eine wirksame Zustellung nach den §§ 167 ff. ZPO die Einspruchsfrist in Gang (BGH, Beschl. v. 16.06.1993 - VIII ZB 39/92, NJW-RR 1993, 1083).

2. Die Zustellung des Vollstreckungsbescheids am 27.11.2017 war – worauf das Landgericht zutreffend abgestellt hat - unwirksam. Die Zustellung ist die Bekanntgabe eines Dokuments an eine Person in der in den §§ 166 ff. ZPO bestimmten Form.

a) Die Zustellung an eine BGB-Gesellschaft hat an den geschäftsführenden Gesellschafter zu erfolgen (BeckOK ZPO/Dörndorfer, a.a.O., § 170 Rn. 4). Dies war hier unstreitig der mittlerweile verstorbene B… P…, der auch im Mahnbescheidsantrag von der Klägerin als geschäftsführender Gesellschafter der Beklagten angegeben war. Eine persönliche Zustellung durch Übergabe im Sinne von § 177 ZPO an den (damaligen) Geschäftsführer der Beklagten ist unstreitig nicht erfolgt. Die anderslautenden Ausführungen auf S. 13 der Berufungsbegründung (GA II, 283) sind für den Senat nicht nachvollziehbar.

b) Eine Zustellung ist im Streitfall auch nicht im Wege der Ersatzzustellung unter Anschrift in der …straße in (X) nach § 178 ZPO bewirkt worden.

aa) Die Zustellung erfolgte am 27.11.2017 unstreitig nicht in der Wohnung des damaligen Geschäftsführers der Beklagten. Die Ersatzzustellung nach § 178 Abs. 1 Nr. 1 ZPO setzt voraus, dass der Adressat der zuzustellenden Sendung die Wohnung, in der der Zustellungsversuch unternommen wird, tatsächlich innehat, das heißt dort lebt und insbesondere auch schläft (vgl. BGH, Urt. v. 14.09.2004 - XI ZR 248/03, NJW-RR 2005, 415). Eine Wohnung hatte der damalige Geschäftsführer der Beklagten B… P… unter der Adresse in der …straße nicht. Einen dahingehenden Vortrag enthält auch die Berufungsbegründung der Klägerin nicht.

bb) Zutreffend hat das Landgericht zudem erkannt, dass auch Ersatzzustellung nach § 178 Abs. 1 Nr. 2 ZPO unter der Adresse in der …straße … in (X) die Zustellungswirkungen nicht auslösen konnte.

aaa) Die Übergabe des zuzustellenden Schriftstücks nach dieser Vorschrift muss in den Geschäftsräumen der Gesellschaft erfolgen. Der Begriff Geschäftsraum ist dabei nach dem Sinn und Zweck von § 178 ZPO zu bestimmen (MüKoZPO/Häublein/Müller, 6. Aufl. 2020, ZPO § 178 Rn. 23). Maßgeblich ist dabei vor allem, dass der Adressat dort grundsätzlich erreichbar ist und der Geschäftsraum zum Zeitpunkt der Zustellung durch ihn zumindest zeitweilig besetzt ist (Schultzky in: Zöller, ZPO, 33. Aufl. 2020, § 178 Rn. 15a). Geschäftsraum im Sinne der genannten Vorschrift sind daher in der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs, der sich der Senat anschließt, diejenigen Räumlichkeiten, in denen der Gewerbetreibende zur Zeit der Zustellung regelmäßig seinen Erwerbsgeschäften nachgeht (vgl. BGH, Urt. v. 19.03.1998 - VII ZR 172/97, NJW 1998, 1958; BeckOK ZPO/Dörndorfer, a.a.O., § 178 Rn. 12). Hierzu zählen etwa die Räume, in denen die gewerblichen, freiberuflichen oder amtlichen Geschäfte regelmäßig ausgeübt werden, wie etwa Büro, Kanzlei, Sprech- und Wartezimmer, Laden, Gastraum, Werkstatt, etc. (vgl. BeckOK ZPO/Dörndorfer, a.a.O., § 178 Rn. 12). Eine bloße Produktionsstätte (Fabrik), ein Warenlager oder eine Auslieferungsstelle sind – da nicht für den Publikumsverkehr zugänglich – keine solchen Räume (vgl. MüKoZPO/Häublein/Müller, a.a.O. § 178 Rn. 23; Schultzky, in: Zöller, a.a.O., § 178 Rn. 15a m.w.N.). Wer die fehlerhafte Ersatzzustellung wegen des Fehlens einer ihrer Voraussetzungen behauptet, hat den Fehler im Hinblick auf die Beweiskraft (§ 418 ZPO) und die indizielle Beweiswirkung der Zustellungsurkunde schlüssig darzulegen und ggf. zu beweisen (Schultzky in: Zöller, a.a.O., § 178 ZPO, Rn. 29).

bbb) Gemessen daran konnte unter der im Mahnbescheidsantrag genannten Anschrift eine wirksame Zustellung an die Beklagte nicht geltend gemacht werden. Dies hat die Beklagte, was das Landgericht zutreffend festgestellt hat, schlüssig dargetan und dem ist die Klägerin erstinstanzlich nicht in prozessual erheblicher Weise im Sinne von § 138 Abs. 3 ZPO entgegengetreten.

i) Die Substantiierungslast des Bestreitenden hängt nach dieser Vorschrift grundsätzlich davon ab, wie substantiiert der darlegungspflichtige Gegner vorgetragen hat: Ob und inwieweit die nicht darlegungsbelastete Partei ihren Sachvortrag substanziieren muss, lässt sich nur aus dem Wechselspiel von Vortrag und Gegenvortrag bestimmen (BeckOK ZPO/von Selle, 39. Ed. 01.12.2020, § 138 Rn. 18). Dabei obliegt es nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs, der sich der Senat anschließt, zunächst der darlegungsbelasteten Partei, ihr Vorbringen zu konkretisieren und zu detaillieren (statt vieler BGH, Urt. v. 03.02.1999 - VIII ZR 14/98, NJW 1999, 1404 f.). Je detaillierter ihr Vorbringen ist, desto höher sind die Substantiierungsanforderungen gem. § 138 Abs. 2 und 3 ZPO (BeckOK ZPO/von Selle, a.a.O.). Die erklärungsbelastete Partei hat daher – soll ihr Vortrag beachtlich sein – auf die Behauptungen ihres Prozessgegners grundsätzlich „substanziiert“, d.h. mit näheren positiven Angaben, zu erwidern. Ein substanziiertes Vorbringen kann grundsätzlich nicht pauschal bestritten werden (BGH, Urt. v. 21.07.2020 – II ZR 175/19, NZG 2020, 1149, Rn. 15).

ii) Gemessen daran hat die Beklagte erstinstanzlich substanziiert vorgetragen, dass und weshalb ihr vormaliger Geschäftsführer zum hier maßgeblichen Zeitpunkt der in Rede stehenden Zustellung des Vollstreckungsbescheids im November 2017 kein Geschäftslokal der Beklagten in (X) betrieben hat. Sie hat hierzu bereits in ihrer Antragsschrift vom 14.07.2020 (im Folgenden unwidersprochen) vorgetragen hat, dass der geschäftsführende Gesellschafter der Beklagten zum Zustellungszeitpunkt im November 2017 aufgrund erheblicher schwerer lebensbedrohlicher Erkrankungen nach mehreren Herzstillständen und intensivmedizinischer Behandlung in den Jahren 2015 und 2016 seine Wohnung in der …allee in (Y) praktisch nicht mehr und wenn überhaupt, dann nur noch in Gegenwart einer Vertrauensperson verlassen habe, damit im Notfall eine Sauerstoffversorgung mit einem Atemgerät hätte sichergestellt werden können. Dieser Umstand wird durch die von der Beklagten vorgelegten eidesstattlichen Versicherungen des verstorbenen B… P… vom 28.10.2019 (AG 10, GA I, 53), wonach die Klägerin (unbestritten) die ihm bekannte Korrespondenz ausschließlich über seine Wohnadresse in der …allee gerichtet hat und die eidesstattliche Versicherung seiner Tochter S… K… vom 13.07.2020 (Anlage AG 2; GAI, 24) bestätigt, die dessen Gesundheitszustand im fraglichen Zeitraum im Einzelnen beschrieben hat. Dieser Versicherung kann auch nicht mit Blick auf die Ausführungen auf Seite 10 der Berufungsbegründung (GA II, 280) eine Bedeutung abgesprochen werden. Ein hinreichender Bezug zum hiesigen Verfahren ist vorhanden, auch wenn die nämliche(n) eidesstaatliche(n) Versicherung(en) ggf. auch in anderen Gerichtsverfahren, die zwischen den Parteien geführt werden, verwendet worden sein sollte.

iii) Die Klägerin ist dem substanziierten Vortrag der Beklagten jedenfalls nicht in prozessual erheblicher Weise entgegengetreten.

Soweit die Klägerin in dem Erwiderungsschriftsatz vom 17.08.2020 erstinstanzlich behauptet hat, der verstorbene B… P… habe in der …straße … in (X) die Räume als Lagerflächen benutzt, um dort alte Gegenstände zu nutzen und die Briefkästen (wann?) als Postadresse genutzt, führt dies nicht zur Annahme eines Geschäftslokals im Sinne der zuvor genannten Anforderungen im November 2017.

Etwas anderes ergibt sich auch nicht aus den pauschalen Ausführungen des Geschäftsführers der Klägerin aus einer eidesstattlichen Versicherung v. 25.07.2020 (GA I, 117), deren Kontext im Übrigen hier nicht weiter bekannt und von der Klägerin erstinstanzlich auch nicht vorgetragen worden ist. Danach soll sich zwar in (X) eine zustellungsfähige Adresse und auch ein Büro der Beklagten befunden haben. Dass zum hier maßgeblichen Zustellungszeitpunkt für den Vollstreckungsbescheid im November 2017 ein Geschäftslokal der Beklagten in (X) betrieben worden sein soll, ergibt sich jedoch weder aus dem Klägervortrag noch aus der beigefügten Anlage und ist angesichts der zur Akte gereichten Lichtbilder (GA I 163 ff.), die im Verhandlungstermin vor dem Landgericht am 11.09.2020 erörtert worden waren, auch nicht plausibel. Die Klägerin hat vielmehr keinerlei konkrete Anhaltspunkte dafür dargetan, dass in im November 2017 der Geschäftsführer der Beklagten – trotz den Auswirkungen seiner schweren Erkrankung – regelmäßig im Sinne der vorgenannten Anforderungen die Räumlichkeiten in (X) auch aufgesucht habe, um dort die Geschäfte der Beklagten zu betreiben. Im Gegenteil, für die Richtigkeit der Annahme der Beklagten spricht insbesondere der auch vom Landgericht herangezogene Umstand, dass der (verstorbene) Geschäftsführer der Beklagten von dem Geschäftsführer der Klägerin in diversen Geschäftsangelegenheiten vor und nach dem hier in Rede stehenden Zustellungszeitraum unter der Adresse seines Wohnortes in der …allee in (Y) kontaktiert worden war. Es gibt auch auf der Grundlage des Berufungsvortrags der Klägerin keinerlei Anhaltspunkte dafür, dass in der …straße … in (X) ein regelmäßiger Geschäftsverkehr der Beklagten mit der Klägerin oder ihrem Geschäftsführer betrieben worden wäre. Auch insoweit bleibt die Berufungsbegründung gleichermaßen unkonkret. Die Klägerin legt weder einen Briefkopf noch sonstige Korrespondenz der Beklagten vor, die die Anschrift in der …straße … in (X) als Geschäftsadresse ausweisen oder die verdeutlichen würden, dass die Beklagte von dort aus einen regulären Geschäftsbetrieb geführt hat. Auch legt sie nicht dar, dass die Beklagte auf die an sie gerichteten Schreiben an die ….straße in irgendeiner Art geantwortet habe.

Entgegen der von der Berufung insoweit vertretenen Rechtsauffassung (vgl. S. 11 der Begründung) ist es in diesem Zusammenhang auch nicht ohne Relevanz, ob der verstorbene Geschäftsführer der Beklagten einen Schlüssel zu den fraglichen Räumlichkeiten in (X) gehabt hat, denn ohne einen entsprechenden Schlüssel ist die Abwicklung eines ordnungsgemäßen Geschäftsbetriebs von diesem Ort durch den geschäftsführenden GbR-Gesellschafter offensichtlich nicht möglich.

3. Die Unwirksamkeit der Zustellung konnte durch die im Passivrubrum genannte Erbengemeinschaft nach dem verstorbenen vormaligen geschäftsführenden Gesellschafter der … GbR B… P… mit Einspruchsschrift vom 14.07.2020 prozessual wirksam geltend machen. Der Einspruch war statthaft und auch im Übrigen form- und fristgerecht eingelegt und begründet worden.

a) Wie bereits dargelegt, ist derjenige einspruchsberechtigt, der Adressat des Vollstreckungsbescheides ist. Dies war hier die Beklagte, an die der hier in Rede stehende Vollstreckungsbescheid des Amtsgerichts Wedding vom 17.11.2017 gerichtet ist.

aa) Bereits auf der Grundlage des Tatsachenvortrags der Klägerin aus der Berufungsbegründung war die im Passivrubrum genannte Erbengemeinschaft nach B… P… zur Notgeschäftsführung für die Beklagte berechtigt. Nach den dahingehenden Darstellungen der Klägerin war die GbR zum Zeitpunkt des Ablebens ihres geschäftsführenden Gesellschafters B… P… ungekündigt, weil ein Widerruf der erklärten Kündigung rechtzeitig erfolgt sei. Unter dieser Annahme war zum Zeitpunkt der Einspruchseinlegung im Juli 2020 der geschäftsführende Gesellschafter der Beklagten B… P… jedoch bereits unstreitig verstorben, so dass im Falle der ungekündigten GbR die Nachfolgeregelung der Notgeschäftsführung im Todesfall des geschäftsführenden Gesellschafters gem. § 727 BGB zur Anwendung kommt. Die Beklagte gilt durch den Tod ihres Gesellschafters B… P… gem. § 727 Abs. 1 BGB als aufgelöst. Eine anderweitige vertragliche Regelung hat die Klägerin, die insoweit nach der Vermutungsregel des § 727 Abs. 1 BGB darlegungs- und beweisbelastet ist, weder erstinstanzlich noch in der Berufungsbegründung hinreichend substanziiert dargetan noch unter Beweis gestellt. Die Erben haben nach § 727 BGB die Pflicht, die dem Erblasser gesellschaftsvertraglich übertragenen Geschäfte (i.S.d. § 710) fortzuführen, wenn mit dem Aufschub der Geschäftsführung der Gesellschaft ein Schaden droht (Notgeschäftsführung; vgl. hierzu BeckOK BGB/Schöne, 57. Ed. 01.11.2020, § 727 Rn. 9; MüKoBGB/Schäfer, 8. Aufl. 2020 Rn. 16, BGB § 727 Rn. 16). Im Rahmen dieses Fürsorgebedürfnisses sind die Erben befugt und zugleich verpflichtet, die dem Erblasser übertragene Geschäftsführung – und über § 714 BGB die Vertretung der GbR – auszuüben (MüKoBGB/Schäfer, a.a.O.). Der Inhalt der Notgeschäftsführung richtet sich dann nach § 713 BGB. Hinterlässt der Erblasser mehrere Erben (Erbengemeinschaft), steht die Verwaltung des Nachlasses den Erben grundsätzlich gem. § 2038 Abs. 1 S. 1 BGB gemeinschaftlich zu (vgl. BeckOGK/von Proff zu Irnich, BGB, Stand 01.02.2021, § 727 Rn. 119). Im Streitfall sind die im Passivrubrum genannten Personen unstreitig die Erben des B… P….

bb) Nichts anderes würde im Ergebnis gelten, wenn der Geschäftsführer der Klägerin als Mitgesellschafter der Beklagten die GbR der Beklagten gem. § 723 BGB wirksam zuvor gekündigt haben würde, denn die Beklagte war zum Zeitpunkt der Einspruchseinlegung im Juli 2020 als solche unstreitig noch nicht im Sinne von § 730 Abs. 1 BGB abgewickelt. Mit Wirksamwerden der Kündigung wandelt sich die Gesellschaft unter Wahrung ihrer rechtlichen Identität ipso iure in eine Abwicklungsgesellschaft um. Der Zweck der Gesellschaft ist nunmehr auf die Abwicklung gerichtet (BeckOGK/Lübke, 1.4.2021, BGB § 723 Rn. 46). Auch die Kündigung einer zweigliedrigen Gesellschaft führt zu ihrer Auflösung und zur Umwandlung in eine Abwicklungsgesellschaft. Die Ausführungen der Klägerin auf S. 16 der Berufungsbegründung zu einer vermeintlichen Ein-Mann-GbR sind für den Senat nicht verständlich. Will der andere Gesellschafter das Unternehmen fortführen, so setzt dies eine – hier nicht vorliegende - Vereinbarung der Gesellschafter voraus (vgl. BeckOGK/Lübke, 01.04.2021, BGB § 723 Rn. 47). Die Abwicklung der Gesellschaft würde zu einer Geschäftsführungsberechtigung der Erben des B… P… führen, die sich dann nach den in § 744 Abs. 2 BGB aufgestellten Grundsätzen richten würde. § 744 Abs. 2 BGB berechtigt den Teilhaber einer Gemeinschaft, die zur Erhaltung des gemeinschaftlichen Gegenstands notwendigen Maßregeln ohne Zustimmung der anderen Teilnehmer zu treffen. Die analoge Anwendung des § 744 Abs. 2 BGB auf die Geschäftsführung für die Gesellschaft durch einen Gesellschafter einer Gesellschaft bürgerlichen Rechts ist in der Rechtsprechung des BGH anerkannt (vgl. BGH, Urt. v. 26.06.2018 – II ZR 205/16, NJW 2018, 3014 Rn. 24 m.w.N.). Das Notgeschäftsführungsrecht analog § 744 Abs. 2 BGB erfasst nach der vorgenannten Rechtsprechung des BGH, der sich der Senat anschließt, bei einer Gesellschaft bürgerlichen Rechts über den Wortlaut hinaus nicht nur Maßnahmen zur Erhaltung eines bestimmten Gegenstandes des Gesamthandvermögens, sondern greift auch dann ein, wenn – wie hier - der Gesellschaft selbst eine akute Gefahr droht und zu ihrer Abwendung rasches Handeln erforderlich ist (vgl. BGH, a.a.O., m.w.N.). Das Notgeschäftsführungsrecht verleiht insoweit eine gesetzliche Prozessführungsbefugnis (BGH, a.a.O.).

cc) Im Übrigen ist die Argumentation der Klägerin und auch ihr Vorgehen im Rahmen der Zwangsvollstreckung gegen die Erben des B… P… aus dem in Rede stehenden Vollstreckungsbescheid widersprüchlich: Würde man der Argumentation der Klägerin folgen, wonach der GbR-Anteil des früheren Mitgesellschafters B… P… dem verbleibenden Geschäftsführer der Klägerin angewachsen worden sei, würde allein dieser als Rechtsnachfolger der Beklagten der Klägerin für die behaupteten Gesellschaftsverbindlichkeiten der vormaligen … GbR haften. Eine entsprechende Einstandsverpflichtung hat der Geschäftsführer der Klägerin offenbar jedoch zu keinem Zeitpunkt zum Ausdruck gebracht.

b) Die Einspruchseinlegung gehörte – entgegen der von der Berufung vertretenen Auffassung – zu den gebotenen Maßnahmen der Notgeschäftsführung. Angesichts der in § 339 ZPO vorgesehenen Einspruchsfrist war ein zeitnahes Handeln der Erben des verstorbenen Mitgesellschafters erforderlich, um Schaden von der Beklagten, nämlich die formelle Rechtskraft des hier in Rede stehenden Vollstreckungsbescheides, abzuwenden.

c) Der Einspruch ist auch fristgerecht erfolgt. Nach den insoweit gem. § 529 Abs. 1 S. 1 ZPO zugrundezulegenden Feststellungen des Landgerichts ist der Vollstreckungsbescheid der Beklagten auch zu keinem späteren Zeitpunkt zugestellt worden, so dass eine Heilung nach § 189 ZPO nicht eingetreten und eine etwaige Frist auch nicht in Gang gesetzt worden ist. § 189 ZPO setzt voraus, dass ein Dokument dem Zustellungsadressaten tatsächlich zugegangen ist. Das ist der Fall, wenn der Adressat das zuzustellende Dokument in die Hand bekommt (BGH, Urt. v. 12.99.2019 – IX ZR 262/18, NZG 2020, 70, Rn. 31). Nach den mit der Berufung nicht angegriffenen Feststellungen des Landgerichts ist es nicht zu einer nachträglichen Zustellung des Vollstreckungsbescheides an die Beklagte gekommen.

B. Durch den zulässigen Einspruch ist der Rechtsstreit gem. §§ 700 Abs. 1, 342 ZPO in die Situation vor Eintritt der Säumnis versetzt worden.

1. Auf dieser Grundlage hatte das Landgericht die Zulässigkeit und Begründetheit der Klage bzw. der im Mahnverfahren geltend gemachten klägerischen Ansprüche zu prüfen. Eine Entscheidung über den Wiedereinsetzungsantrag der Beklagten bedurfte es – entgegen der von der Berufung vertretenen Rechtsauffassung – nicht, denn die Beklagte hatte schon keine Notfrist versäumt, infolge derer eine Wiedereinsetzung nach den § 233 ff. ZPO hätte erfolgen können. Die Ausführungen der Klägerin zu einem „unzulässigen Teilurteil“ (ab S. 7 der Berufungsbegründung) sind in diesem Zusammenhang für den Senat nicht nachvollziehbar.

2. In der Sache hat das Landgericht zutreffend ausgeführt, dass die Klage unbegründet ist und der Klägerin keinerlei vertragliche Zahlungsansprüche zustehen. Zwar hatte die Klägerin erstinstanzlich behauptet, dass ihr die Beklagte die Zahlung der mit dem Mahnbescheid geltend gemachten Beträge aus einem Dienstleistungsvertrag schulde. Dem ist die Beklagte jedoch substanziiert entgegengetreten und hat sowohl ein Vertragsverhältnis als auch eine etwaige Leistungserbringung durch die Klägerin bestritten. Die Klägerin hat dann – trotz eines gerichtlichen Hinweises in der mündlichen Verhandlung vom 11.09.2020 und einer hierfür eingeräumten Frist bis zum 02.10.2020 (GA I, 162 R) den Anspruch inhaltlich nicht weiter begründet. Auch in der Berufungsbegründung findet sich hierzu nichts weiter von Substanz, so dass es insoweit bei den landgerichtlichen Ausführungen verbleibt.