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Erhaltungsverordnung; Milieuschutz; Aufzug (Anbau eines Fassadengleiters); Erforderlichkeit einer Baugenehmigung; (keine) Verfahrensfreiheit; (keine) Genehmigungsfreistellung; Ausschluss einer isolierten erhaltungsrechtlichen Genehmigung; (kein Eintritt einer) Fiktion; (ins Leere gehende) Rücknahme; (keine) Beschwer


Metadaten

Gericht OVG Berlin-Brandenburg 2. Senat Entscheidungsdatum 19.08.2021
Aktenzeichen 2 S 7/21 ECLI ECLI:DE:OVGBEBB:2021:0819.2S7.21.00
Dokumententyp Beschluss Verfahrensgang -
Normen § 173 Abs 1 BauGB, § 22 Abs 5 S 2 BauGB, § 22 Abs 5 S 3 BauGB, § 22 Abs 5 S 4 BauGB, § 22 Abs 5 S 5 BauGB, § 39 BauO BE, § 59 BauO BE, § 61 Abs 1 Nr 2 BauO BE, § 62 BauO BE

Tenor

Die Beschwerde der Antragstellerin gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts Berlin vom 1. März 2021 wird zurückgewiesen.

Die Kosten der Beschwerde trägt die Antragstellerin.

Der Wert des Beschwerdegegenstandes wird auf 5 000 Euro festgesetzt.

Gründe

Die Beschwerde hat keinen Erfolg. Der angegriffene Beschluss, mit dem das Verwaltungsgericht den Antrag der Antragstellerin auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes gegen die Rücknahme einer fingierten erhaltungsrechtlichen Genehmigung abgelehnt hat, ist im Ergebnis richtig (vgl. § 144 Abs. 4 VwGO). Dabei kann offenbleiben, ob die Antragstellerin die Feststellung des Verwaltungsgerichts, sie könne die Erteilung der begehrten erhaltungsrechtlichen Genehmigung für den geplanten Anbau eines Außenaufzugs nicht beanspruchen, mit ihrem Beschwerdevorbringen hinreichend in Frage stellt. Der erstinstanzliche Beschluss ist in jedem Fall im Ergebnis richtig, da der Eilantrag der Antragstellerin mangels Beschwer unzulässig ist.

Bereits die Annahme, es habe eine fingierte erhaltungsrechtliche Genehmigung vorgelegen, die zurückgenommen werden konnte, trifft nicht zu. Eine Genehmigungsfiktion kann nur in einem isolierten erhaltungsrechtlichen Verfahren nach § 173 Abs. 1 Satz 1 Halbsatz 2 i. V. m. § 22 Abs. 5 Satz 2 bis 5 BauGB eintreten, nicht jedoch wenn für das Vorhaben eine baurechtliche Genehmigung erforderlich ist, weil § 173 Abs. 1 Satz 2 BauGB nicht auf § 22 Abs. 5 BauGB verweist (vgl. auch die Begründung des Gesetzentwurfs zum Europarechtsanpassungsgesetz Erneuerbare Energien – EAG EE, BT-Drs. 17/3629 S. 59 [60]; OVG Lüneburg, Beschluss vom 10. September 2015 – 1 LA 90/15 –, juris Rn. 20). Die fachgesetzliche Konzentrationswirkung der Baugenehmigung schließt die isolierte erhaltungsrechtliche Genehmigungsbefugnis der Gemeinde nach § 173 Abs. 1 Satz 1 BauGB aus.

Für den Anbau des von der Antragstellerin geplanten Außenaufzugs ist gemäß § 59 Abs. 1 BauO Bln eine Baugenehmigung erforderlich. Nach dieser Vorschrift bedarf die Errichtung, Änderung und Nutzungsänderung von Anlagen der Baugenehmigung, soweit – wie hier – in den §§ 60 bis 62, 76 und 77 BauO Bln nichts anderes bestimmt ist.

Mit der geplanten Außenaufzugsanlage wird das bestehende Wohngebäude geändert. Das Vorhaben greift erheblich in die Bausubstanz des Gebäudes ein und verändert dessen Aussehen maßgeblich. Denn ausweislich der Planung sollen auf der Rückseite des Vorderhauses vier neue Wanddurchbrüche für den Zugang vom Treppenhaus zum Aufzug und fünf Wanddurchbrüche für die zu versetzenden Fenster geschaffen werden. Außerdem soll der Aufzugschacht an der Rückwand des Vorderhauses verankert werden. Durch die Umhausung des Aufzugs ändert sich die Gebäudekubatur, so dass die planungsrechtlich zulässige Bautiefe überschritten wird und Abstandsflächen betroffen sind (vgl. den Antrag der Antragstellerin vom 9. Mai 2019).

Für den vorliegenden Fall ist in den §§ 60 bis 62, 76 und 77 BauO Bln nichts anderes bestimmt. Insbesondere ist das Bauvorhaben nicht verfahrens- oder genehmigungsfrei.

Zwar sind Anlagen der technischen Gebäudeausrüstung, zu denen Aufzüge zählen (vgl. § 39 BauO Bln), mit Ausnahme freistehender Abgasanlagen mit einer Höhe von mehr als 10 Metern nach § 61 Abs. 1 Nr. 2 BauO Bln verfahrensfrei. Die Regelung gilt jedoch nicht für die gesamte Aufzugsanlage, sondern nur für den Aufzug an sich (vgl. zum Begriff § 2 Satz 1 Nr. 1 12. ProdSV). Dieser ist als verfahrensfrei eingestuft, weil er nach produktsicherheitstechnischen Vorschriften geprüft wird. Hiervon zu trennen sind der Aufzugschacht und die Zugänge zum Aufzug als gebäudetechnische Teile der Aufzugsanlage. Diese sind bei konzeptionellen Gebäudeeingriffen – wie hier – baugenehmigungspflichtig (vgl. die Begründung des Gesetzes zur Vereinfachung des Berliner Baurechts – BauVG Bln, Abgeordnetenhaus von Berlin, Drucksache 15/3926, S. 108; Meyer in: Wilke/Dageförde/Knuth/Meyer/Broy-Bülow, Bauordnung für Berlin, 6. Aufl. 2008, § 39 Rn. 2 und 6; vgl. auch VG Frankfurt, Urteil vom 21. Dezember 2020 – 8 K 507/20.F –, juris Rn. 21; Storz in: Busse/Kraus, Bayerische Bauordnung, Stand: März 2021, Art. 37 BayBO Rn. 53; Spennes/Otto/Schulz in: Spannowsky/Manssen, BeckOK Bauordnungsrecht Bayern, Stand: Nov. 2019, Art. 37 BayBO Rn. 11; Große-Suchsdorf/Kaellander, Niedersächsische Bauordnung, Stand: 10. Aufl. 2020, § 38 NBauO Rn. 8; Otto, Brandenburgische Bauordnung 2016 – Kommentar, 4. Aufl. 2016, § 39 Rn. 981).

Das Bauvorhaben ist auch nicht nach § 62 BauO Bln genehmigungsfrei gestellt. Die mit dem geplanten Vorhaben einhergehende Änderung des vom Anwendungsbereich des § 62 Abs. 1 Satz 1 BauO Bln erfassten Wohngebäudes bedürfte nur dann keiner Baugenehmigung, wenn die Voraussetzungen des § 62 Abs. 2 BauO Bln vorlägen. Dies ist nicht der Fall. Denn nach § 62 Abs. 2 BauO Bln ist ein Bauvorhaben nur dann genehmigungsfrei gestellt, wenn 1. es a) im Geltungsbereich eines Bebauungsplans im Sinne des § 30 Abs. 1 oder 2 BauGB liegt und den Festsetzungen des Bebauungsplans nicht widerspricht oder die erforderlichen Befreiungen und Ausnahmen nach § 31 BauGB erteilt worden sind oder b) in einem planungsrechtlichen Bescheid gemäß § 75 Abs. 2 BauO Bln abschließend als insgesamt planungsrechtlich zulässig festgestellt worden ist, 2. die Erschließung im Sinne des Baugesetzbuchs gesichert ist und 3. die Bauaufsichtsbehörde nicht innerhalb der Frist nach § 62 Abs. 3 Satz 2 BauO Bln erklärt, dass das vereinfachte Baugenehmigungsverfahren durchgeführt werden soll, oder eine vorläufige Untersagung nach § 15 Abs. 1 Satz 2 BauGB ausspricht.

Die erste Voraussetzung ist nicht gegeben, weil das Bauvorhaben den Festsetzungen des Berliner Baunutzungsplans in der Fassung vom 28. Dezember 1960 widerspricht, in dessen Geltungsbereich das Vorhabengrundstück liegt. Mit dem geplanten Aufzug wird die nach dem Baunutzungsplan zulässige Bautiefe – von hier 13 Metern – überschritten (vgl. § 173 Abs. 3 Satz 1 BauGB i. V. m. § 8 Nr. 1 Buchst. a) der Bauordnung für Berlin i. d. F. v. 21. November 1958), wovon die Antragstellerin ausweislich ihres Antrags ebenfalls ausgeht. Es ist weder vorgetragen noch sonst ersichtlich, dass die erforderlichen Befreiungen und Ausnahmen erteilt worden sind oder ein zugunsten der Antragstellerin wirkender planungsrechtlicher Bescheid ergangen ist.

Angesichts dessen kommt es nicht darauf an, ob – wie die Antragstellerin meint – das „sogenannte Freistellungsverfahren“ von vornherein nicht unter den Begriff „baurechtliche Genehmigung“ in § 173 Abs. 1 Satz 2 BauGB fällt, weil sich dieser nur auf diejenigen landesrechtlichen Verfahren nach dem Bauordnungsrecht bezieht, die in eine förmliche Genehmigung münden, oder ob § 173 Abs. 1 Satz 2 BauGB im Freistellungsverfahren erst zurücktritt, wenn die Bauaufsichtsbehörde von ihrer Befugnis nach § 62 Abs. 2 Nr. 3 BauO Berlin keinen Gebrauch gemacht hat. Denn eine Genehmigungsfreistellung nach § 62 BauO Berlin ist vorliegend schon deshalb nicht gegeben, weil die Voraussetzungen des § 62 Abs. 2 Nr. 1 BauO Berlin nicht vorliegen.

Dies hat zur Folge, dass eine Genehmigungsfiktion nach § 173 Abs. 1 Satz 1 Halbsatz 2 i. V. m. § 22 Abs. 5 Satz 2 bis 5 BauGB nie eingetreten ist und der Rücknahmebescheid des Antragsgegners mangels aufhebbaren Verwaltungsakts ins Leere geht. Die Antragstellerin ist hierdurch jedoch nicht beschwert. Weder ist ihr eine Rechtsposition entzogen worden, noch hat nach außen der Anschein bestanden, sie sei Inhaberin einer Genehmigungsfiktion gewesen (vgl. im Gegensatz dazu den Fall des § 173 Abs. 1 Satz 1 Halbsatz 2 i. V. m. § 22 Abs. 5 Satz 5 BauGB), noch geht von dem angegriffenen Rücknahmebescheid ein für sie nachteiliger Rechtsschein aus.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO. Anlass, die Kosten des Verfahrens abweichend hiervon ausnahmsweise gemäß § 155 Abs. 4 VwGO dem Antragsgegner aufzuerlegen, besteht nicht. Hiernach können Kosten, unter Umständen auch die gesamten Prozesskosten, die durch Verschulden eines Beteiligten entstanden sind, diesem auferlegt werden. Die Voraussetzungen dieser Vorschrift liegen nicht vor. Allein die Tatsache, dass der Antragsgegner zum Eintritt der Genehmigungsfiktion eine unzutreffende Rechtsauffassung vertrat und in der Folge einen ins Leere gehenden Rücknahmebescheid erließ, stellt kein Verschulden im Sinne von § 155 Abs. 4 VwGO dar. Dies gilt umso mehr, als die Antragstellerin die Rechtsauffassung des Antragsgegners insoweit teilte und sich nicht deswegen, sondern wegen der abweichenden Einschätzung des Antragsgegners zur materiellen Rechtmäßigkeit der (fingierten) erhaltungsrechtlichen Genehmigung veranlasst sah, gerichtlichen Eilrechtsschutz zu suchen.

Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 47 Abs. 1, § 53 Abs. 2 Nr. 2, § 52 Abs. 1 GKG.

Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO, § 68 Abs. 1 Satz 5 i. V. m. § 66 Abs. 3 Satz 3 GKG).