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Pflegestufe - Pflegegrad - Antrag - Übergangsregelung zum 1.1.2017


Metadaten

Gericht LSG Berlin-Brandenburg 30. Senat Entscheidungsdatum 12.08.2021
Aktenzeichen L 30 P 71/18 ECLI ECLI:DE:LSGBEBB:2021:0812.L30P71.18.00
Dokumententyp Urteil Verfahrensgang -
Normen § 140 SGB 11

Tenor

Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts Potsdam vom 30. Oktober 2018 geändert und die Klage vollumfänglich abgewiesen.

Kosten sind für das gesamte Verfahren nicht zu erstatten.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

Der Kläger begehrt von der Beklagten die Gewährung von regelmäßig wiederkehrenden Pflegeleistungen.

Der 1952 geborene Kläger ist bei der Beklagten pflegeversichert. Er wohnt gemeinsam mit seiner Ehefrau, die ihn pflegt, in einem Einfamilienhaus.

Der Kläger stellte am 16. November 2015 bei der Beklagten einen Antrag auf Leistungen aus der gesetzlichen Pflegeversicherung. Die Beklagte beauftragte den Medizinischen Dienst der Krankenversicherung Berlin-Brandenburg (MDK) mit der Erstellung eines auf einer ambulanten Untersuchung des Klägers bei ihm zu Hause beruhenden Gutachtens. In dem Gutachten vom 8. Dezember 2015 ermittelte die Pflegefachkraft Z einen Grundpflegebedarf von 22 Minuten pro Tag (18 Minuten bei der Körperpflege und 4 Minuten im Bereich der Mobilität) sowie im hauswirtschaftlichen Bereich von 45 Minuten pro Tag. Daraufhin lehnte die Beklagte mit Bescheid vom 10. Dezember 2015 Leistungen aus der Pflegeversicherung ab. Gegen diesen Bescheid erhob der Kläger am 17. Dezember 2015 Widerspruch. Zur Begründung trug er vor, dass seit Januar 2014 bei ihm eine Demenz festgestellt worden sei und seine Frau ihn in der Woche zwei- bis dreimal zu Therapien nach J oder T fahren müsse. Psychisch Kranke erhielten auch ohne Pflegestufe Leistungen der Pflegeversicherung. Die Beklagte beauftragte daraufhin erneut den MDK mit der Erstellung eines Gutachtens auch zu der Frage, ob eine erhebliche Einschränkung der Alltagskompetenz bei dem Kläger vorliege. In dem Gutachten vom 23. März 2016, welches die Pflegefachkraft E nach Aktenlage erstellte, kam diese zu dem Ergebnis, dass der Kläger lediglich einen Hilfebedarf von 22 Minuten pro Tag im Bereich der Grundpflege, 45 Minuten pro Tag im hauswirtschaftlichen Bereich sowie keine erhebliche Einschränkung der Alltagskompetenz habe. Mit Bescheid vom 4. Mai 2016 lehnte die Beklagte die Gewährung zusätzlicher Betreuungs- und Entlastungsleistungen ab. Gegen diesen Bescheid legte der Kläger am 20. Mai 2016 Widerspruch ein. Die beiden Widersprüche wies der Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 29. Juni 2016 als unbegründet zurück. Die Voraussetzungen zur Gewährung von Leistungen aus der Pflegeversicherung entsprechend einer Pflegestufe lägen nicht vor, weil der Kläger nicht einen täglichen Grundpflegebedarf von mindestens 45 Minuten habe und in der Alltagskompetenz nicht erheblich eingeschränkt sei.

Der Kläger hat sein Begehren mit der am 7. Juli 2016 zum Sozialgericht Potsdam (SG) erhobenen Klage weiterverfolgt. Der Kläger hat zur Begründung seiner Klage ausgeführt, er sei nicht mehr in der Lage ein selbstständiges Leben zu führen und sei auf fremde Hilfe in einem Pflegeumfang von mindestens 45 Minuten täglich angewiesen. Er habe bereits zum Zeitpunkt der Antragstellung regelmäßig mehrmals die Woche zur Physiotherapie und Wassergymnastik nach Dahme von seiner Frau gefahren werden müssen, so dass diese Zeiten auch im Bereich der Mobilität zu berücksichtigen seien.

Das SG hat Befundberichte der behandelnden Ärzte und Epikrisen von stationären Krankenhausaufenthalten des Klägers eingeholt. Es hat das schriftliche Sachverständigengutachten der Pflegesachverständigen S vom 21. Mai 2017 eingeholt. Die Sachverständige hat aufgrund einer am 24. April 2017 durchgeführten ambulanten Untersuchung beim Kläger zu Hause eine Pflegebedürftigkeit in einem zeitlichen Umfang von 51 Minuten täglich im Bereich der Grundpflege (Körperpflege: 15 Minuten, Ernährung: 1 Minute, Mobilität: 35 Minuten) und 45 Minuten täglich im Bereich der Hauswirtschaft festgestellt. Die Alltagskompetenz des Klägers sei auch im Zeitpunkt der Begutachtung nicht erheblich eingeschränkt gewesen. Der Umfang der festgestellten Pflegebedürftigkeit würde erst ab dem 24. April 2017, dem Zeitpunkt der Untersuchung durch die Sachverständige, vorliegen. Zu einem vorhergehenden Zeitpunkt habe sich unter Berücksichtigung der Befundberichte und Epikrisen sowie der bereits eingeholten MDK-Gutachten ein Grundpflegebedarf von mehr als 45 Minuten pro Tag nicht evaluieren lassen.

Mit – dem Kläger zur Kenntnis gegebenem – Schreiben vom 20. Juni 2017 hat die Beklagte im Hinblick auf das Ergebnis der Begutachtung u.a. ausgeführt, der Kläger könne überlegen, ob er einen Antrag nach Maßgabe des seit dem 1. Januar 2017 geltenden neuen Pflegeversicherungsrechts stellen wolle.

Die Sachverständige hat unter dem 10. Juli 2017 ergänzend Stellung genommen.

Unterdessen hat der Kläger im gerichtlichen Verfahren mit – der Beklagten zur Kenntnis gegebenem - Anwaltsschreiben vom 23. Juni 2017 geltend gemacht, ein geeignetes Bett und einen Rollator von der Beklagten gestellt zu bekommen, ferner ein Hörgerät zu benötigen.

Nachdem der Kläger mit Schreiben vom 6. Dezember 2017 unter Berufung auf das gerichtlich eingeholte Sachverständigengutachten einen Antrag auf Kostenübernahme für einen elektrisch höhenverstellbaren Lattenrost sowie einen Rollator gestellt hatte, was die Beklagte auch als erneuten Antrag auf Pflegeleistungen nach der ab dem 1. Januar 2017 gestellten Rechtslage ansah, gewährte sie dem Kläger nach Einholung eines weiteren Gutachtens des MDK (Ausdruck vom 2. Januar 2018) mit Bescheid vom 18. Januar 2018 ab dem 6. Dezember 2017 folgende Leistungen aus der Pflegeversicherung nach dem Pflegegrad 2: Pflegegeld in Höhe von monatlich 316,00 € und Entlastungsleistungen bis zu einem monatlichen Gesamtbetrag von 125,00 €.

Das SG hat die Beklagte mit Urteil vom 30. Oktober 2018 verurteilt, dem Kläger Leistungen nach dem Pflegegrad 2 ab dem 24. April 2017 zu gewähren, und im Übrigen die Klage abgewiesen. Es hat zur Begründung ausgeführt: Die Ablehnungsbescheide der Beklagten vom 10. Dezember 2015 und vom 4. Mai 2016 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 29. Juni 2016 seien insoweit rechtswidrig, als dem Kläger Leistungen der Pflegeversicherung entsprechend dem Pflegegrad 2 ab dem 24. April 2017 nicht gewährt worden seien. Für den Zeitpunkt ab Antragstellung im November 2015 bis zum 23. April 2017 habe der Kläger keinen Anspruch auf Gewährung von Leistungen zur Pflege entsprechend der Pflegestufe I oder dem Pflegegrad 2. Streitgegenständlich sei hier die Gewährung von Leistungen aus der Pflegeversicherung für den Zeitraum 16. November 2015 bis zum 5. Dezember 2017, dem Zeitpunkt, ab dem der Kläger Leistungen der Pflegeversicherung entsprechend dem Pflegegrad 2 von der Beklagten erhalte. Der Klagegegenstand sei nicht durch die Einführung des Zweiten Pflegestärkungsgesetzes vom 21. Dezember 2015 mit Wirkung zum 1. Januar 2017 auf den Zeitraum bis zum 31. Dezember 2016 begrenzt worden. Der Streitgegenstand ändere sich nämlich nicht dadurch, dass sich die den erhobenen Anspruch regelnden Bestimmungen des materiellen Rechts änderten. Für die Beurteilung des Vorliegens der Voraussetzungen für die Gewährung von Leistungen aus der Pflegeversicherung sei hier gemäß § 140 Abs. 1 S. 1 Elftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB XI) auf das zum Zeitpunkt der Antragstellung geltende Recht abzustellen. Ausweislich der Gesetzesbegründung solle diese Regelung auch im nachfolgenden Verwaltungs- als auch im sozialgerichtlichen Verfahren gelten, so dass es im hiesigen Verfahren darauf ankomme, ob beim Kläger die Voraussetzungen für eine Pflegestufe bzw. die Voraussetzungen für zusätzliche Betreuungs- und Entlastungsleistungen nach dem bis zum 31. Dezember 2016 geltenden Recht (a.F.) vorlägen. Unter Beachtung dieser Vorgaben ergebe sich im Falle des Klägers, dass ab dem 24. April 2017 die Voraussetzungen der Pflegestufe I vorlägen. Zu dieser Beurteilung komme die Kammer unter Berücksichtigung des gerichtlich eingeholten Sachverständigengutachtens der Sachverständigen S, der Befundberichte als auch der im Verwaltungsverfahren eingeholten MDK-Gutachten. Zutreffend führe die Sachverständige in ihrem Gutachten aus, die Voraussetzungen für einen Leistungsanspruch wegen eingeschränkter Alltagskompetenz auf zusätzliche Betreuungs- und Entlastungsleistungen seien nicht erfüllt. Die Pflegestufe I nach der bis zum 31. Dezember 2016 gültigen Fassung des SGB XI liege erst ab April 2017 vor. Für die Zeit ab dem 1. Januar 2017 habe § 140 Abs. 2 SGB XI die Überleitung der Pflegestufen in Pflegegrade vorgesehen. Allerdings sei dafür gemäß § 140 Abs. 2 S. 1 Nr. 2 SGB XI erforderlich, dass bei dem Versicherten spätestens am 31. Dezember 2016 alle Voraussetzungen für einen Anspruch auf eine regelmäßige wiederkehrende Leistung vorgelegen hätten. Dies sei hier aber nicht der Fall. Zum 31. Dezember 2016 hätten weder der Pflegebedarf einer Pflegestufe noch ein gesonderter leistungsberechtigender Betreuungs- und Beaufsichtigungsbedarf festgestellt werden können. Der lediglich ab dem 24. April 2017 vorliegende Pflegebedarf entsprechend der Pflegestufe I nach der bis zum 31. Dezember 2016 geltenden Rechtslage könne aber nicht unbeachtlich bleiben, auch wenn der Gesetzgeber eine Regelung für die Überleitung einer nach dem 1. Januar 2017 erstmals vorliegenden Pflegestufe nach dem bis zum 31. Dezember 2016 geltenden Recht nicht vorgesehen habe. Da er in § 140 Abs. 1 S. 1 SGB XI ausdrücklich bestimmt habe, dass für die Feststellung des Vorliegens von Pflegebedürftigkeit jeweils die im Zeitpunkt der Antragstellung geltende Rechtslage maßgeblich sei, habe auch das Gericht nur die Pflegebedürftigkeit beim Kläger in der bis zum 31. Dezember 2016 geltenden Fassung des SGB XI feststellen können. Diese Auffassung der Kammer werde durch die Gesetzesbegründung gestützt. Aufgrund der eindeutigen Anordnung, dass für die Bestimmung der Pflegebedürftigkeit das Recht der Antragstellung maßgeblich sei, der Gesetzgeber aber auch nicht gewollt habe, dass trotz laufender Verfahren Versicherte zum 1. Januar 2017 sofort neue Anträge stellen müssten, um nicht schutzlos bei einer sich im Verfahren herausstellenden, erst nach dem 1. Januar 2017 eintretenden Pflegebedürftigkeit zu stehen, habe eine Überleitung analog § 140 Abs. 2 S. 1 SGB XI auch für eine erst nach dem 1. Januar 2017 vorliegende Pflegestufe und damit beim Eintritt der Voraussetzungen für einen Anspruch auf eine regelmäßig wiederkehrende Leistung der Pflegeversicherung zu erfolgen. Aus der Gesetzesbegründung lasse sich nicht entnehmen, dass der Gesetzgeber bewusst hier einen Teil der Versicherten trotz laufenden Verfahrens die Pflicht habe auferlegen wollen, zum 1. Januar 2017 einen neuen Antrag stellen zu müssen, damit sie einer später eintretenden und im Laufe des noch andauernden Verfahrens festgestellten Pflegebedürftigkeit bis zu einer erneuten Antragstellung nicht verlustig gingen. Vielmehr gehe die Kammer davon aus, dass hier der Gesetzesgeber diese besondere Konstellation unabsichtlich nicht geregelt habe, so dass hier eine Regelungslücke vorliege. Der Gesetzgeber habe eine erneute Begutachtung, d.h. einen Mehraufwand für alle Beteiligten, sowie eine Schlechterstellung eines Versicherten durch diese Übergangsregelung verhindern wollen. Hätte der Gesetzgeber grundsätzlich die Anwendung des neuen Rechtes ab dem 1. Januar 2017 bei Streitigkeiten über das Vorliegen von Pflegebedürftigkeit eines Versicherten gewollt, so hätte er nicht ausdrücklich in der Gesetzesbegründung noch einmal zum Ausdruck gebracht, dass diese Regelung zur Anwendung des Rechtes bei Antragsstellung auch im gerichtlichen Verfahren gelten solle. Es hätte der Regelung des § 140 Abs. 1 S. 1 SGB XI so nicht bedurft, da dann ein Anspruch des Versicherten nach dem jeweils für ihn günstigen Recht zu erfolgen hätte. Aus Sicht der Kammer verbiete es sich aber auch grundsätzlich, in allen anhängigen Verfahren ab dem 1. Januar 2017 die Pflegebedürftigkeit - soweit sie nicht bis zum 31. Dezember 2016 habe festgestellt werden können - nach neuem Recht zu beurteilen. Hiergegen spreche der eindeutige Wortlaut des § 140 Abs. 1 S. 1 SGB XI. Die Überleitung nach den Regelungen des § 140 Abs. 2 S. 2 SGB XI sei auch für nach dem 1. Januar 2017 festgestellte Pflegestufen nach dem alten Recht sachdienlich. Dementsprechend könne nur eine Überleitung nach § 140 Abs. 2 S. 2 SGB XI analog erfolgen.

Die Beklagte hat gegen das ihr am 21. November 2018 zugestellte Urteil am 27. November 2018 Berufung eingelegt. Sie hält das Urteil für unzutreffend, soweit der Klage stattgegeben worden ist. Die Überleitungsregelung setze voraus, dass bereits zum 31. Dezember 2016 eine Pflegestufe bzw. eine eingeschränkte Alltagskompetenz festgestellt worden seien, was vorliegend nicht der Fall sei.

Die Beklagte beantragt (sachdienlich gefasst),

das Urteil des Sozialgerichts Potsdam vom 30. Oktober 2018 zu ändern und die Klage vollumfänglich abzuweisen.

Der Kläger beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Der Kläger hält das angefochtene Urteil für zutreffend.

Die vormalige Berichterstatterin hat dem Kläger unter dem 1. Februar 2019 einen rechtlichen Hinweis erteilt.

Die Beteiligten haben im Erörterungstermin vom 9. Juli 2019 einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung zugestimmt.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und Vorbringens der Beteiligten wird auf die Gerichtsakten und beigezogenen Verwaltungsakten verwiesen und inhaltlich Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

Der Senat kann in Ausübung des insofern eröffneten richterlichen Ermessens im schriftlichen Verfahren ohne Durchführung einer mündlichen Verhandlung entscheiden, nachdem die Beteiligten hierzu ihr Einverständnis erklärt haben, vgl. § 153 Abs. 1 in Verbindung mit § 124 Abs. 2 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG).

Die zulässige Berufung der Beklagten, deren alleiniger Gegenstand die vom SG zugesprochene Gewährung von Leistungen der Pflegeversicherung ab dem 24. April 2017 ist, ist begründet. Insoweit hat das SG der Klage mit Urteil vom 30. März 2018 zu Unrecht stattgegeben. Die Rechtsansicht des SG, dass im vorliegenden Verfahren über Leistungsansprüche ab dem 1. Januar 2017 zu befinden sei, trifft nicht zu.

Soweit der Kläger Leistungen für die Zeit ab dem 24. April 2017 geltend macht, hat die Klage mithin richtigerweise keinen Erfolg. Es kann dahinstehen, ob insofern überhaupt eine zulässige Klage vorliegt, wogegen jedenfalls spricht, dass die Sozialgerichte nicht befugt sind, sich an die Stelle einer Verwaltungsbehörde zu setzen und als erste staatliche Stelle an Stelle des Organs der vollziehenden Gewalt verwaltungsaktersetzende Regelungen zu treffend (so Bundessozialgericht <BSG>, Beschluss vom 16. März 2006 – B 4 RA 24/05 B -, zitiert nach juris Leitsatz und Rn. 15 zur fehlenden Kompetenz der Sozialgerichte über einen Anspruch auf Erwerbsminderungsrente nach neuem Recht zu urteilen, nachdem zunächst nur ein Antrag auf Erwerbsunfähigkeitsrente nach altem Recht gestellt worden war; a.A. BSG, Urteil vom 17. Februar 2005 – B 13 RJ 31/04 R -, zitiert nach juris Rn. 27 ff.; BSG, Urteil vom 5. Oktober 2005 – B 5 RJ 6/05 R -, zitiert nach juris Rn. 14 ff.).

Hiervon ausgehend erscheint die Klage bereits unzulässig, soweit Leistungen ab dem 1. Januar 2017 geltend gemacht werden, weil die Bescheide, mit denen die Beklagte Leistungen mangels Vorliegens einer Pflegestufe und einer eingeschränkten Alltagskompetenz ablehnte, sich mithin auf die Zeit bis zum 31. Dezember 2016 beschränkten, so dass sich der Verfahrensgegenstand eben von vornherein nicht auch auf die Zeit ab dem 1. Januar 2017 erstrecken konnte, sondern die Beklagte hierüber – entweder aufgrund des bereits am 16. November 2015 oder eines später gestellten Antrags – eine gesonderte Entscheidung hätte herbeiführen müssen, damit das Gericht dies hätte überprüfen können. Mit dem Inkrafttreten des neuen Pflegeversicherungsrechts zum 1. Januar 2017 fand ein Systemwechsel statt, es wurde ein neuer Begriff der Pflegebedürftigkeit eingeführt. Das Zweite Gesetz zur Stärkung der pflegerischen Versorgung zur Änderung weiterer Vorschriften (Zweites Pflegestärkungsgesetz – PSG II) vom 21. Dezember 2015 – BGBl. I S. 2424 - trat, soweit der Hilfebedarf nicht mehr nach Pflegestufen, sondern nach Pflegegraden zu bemessen ist, erst am 1. Januar 2017 in Kraft, vgl. Art. 2 Nr. 7 i.V.m. Art. 8 Abs. 2 PSG II. Der hierdurch neu geschaffene Begriff der Pflegebedürftigkeit orientiert sich erklärtermaßen nicht mehr vornehmlich an körperlichen Defiziten. Vielmehr ersetzen fünf für alle Pflegebedürftigen einheitlich geltende Pflegegrade das bisherige System der drei Pflegestufen und der zusätzlichen Feststellung von erheblich eingeschränkter Alltagskompetenz (insbesondere Demenz). Die bisherigen Leistungen für Menschen mit erheblich eingeschränkter Alltagskompetenz (§§ 45a ff. SGB XI a.F.) werden in das reguläre Leistungsrecht integriert. Alle Pflegebedürftigen erhalten damit einen einheitlichen Zugang. Anträge auf Pflegeleistungen nach altem Recht wirken infolge dieses Systemwechsels nur bis zum 31. Dezember 2016 fort, aber nicht darüber hinaus. Während § 37 SGB XI a.F. Pflegebedürftigkeit nach der Pflegestufe I, II oder III zur Tatbestandsvoraussetzung hat, verlangt § 37 SGB XI in der ab dem 1. Januar 2017 geltenden Fassung, dass der Anspruchsinhaber pflegebedürftig nach dem Pflegegrad 2, 3, 4 oder 5 ist. Damit ist ein Antrag auf Pflegegeld bis zum 31. Dezember 2016 in der Sache auf ein Aliud, nämlich die Feststellung einer Pflegestufe nach altem Recht und nicht auf die Feststellung eines Pflegegrades nach neuem Recht gerichtet. Die Systemänderung hat zur Folge, dass ein nach altem Recht gestellter und beschiedener Antrag mit dem Außerkrafttreten dieses Rechts verbraucht ist und nicht dazu dienen kann, die Umstände nach neuem Recht im gerichtlichen Verfahren ohne vorherigen Antrag und ohne Durchführung eines Verwaltungsverfahrens unter Anlegung der Maßstäbe des neuen Rechts erneut zu beurteilen (so ausdrücklich Hessisches Landessozialgericht <LSG>, Urteil vom 24. Juni 2020 – L 6 P 18/19 -, zitiert nach juris Rn. 80 f.: a.A: LSG Mecklenburg-Vorpommern, Urteil vom 30. März 2021 – L 6 P 8/17 -, zitiert nach juris Rn. 34 ff.; Revisionen beim BSG unter B 3 P 6/20 R bzw. B 3 P 1/21 R anhängig).

Jedenfalls hat der Kläger für den Zeitraum ab dem 1. Januar 2017 keinen Anspruch auf Gewährung von Pflegeleistungen, und zwar weder nach dem bis zum 31. Dezember 2016 noch nach dem seit dem 1. Januar 2017 geltenden Recht. Nach § 140 Abs. 1 S. 1 SGB XI findet die Feststellung des Vorliegens von Pflegebedürftigkeit auf der Grundlage des zum Zeitpunkt der Antragstellung geltenden Rechts statt. Dieser Grundsatz umfasst das gesamte Verfahren von der Antragstellung über die Begutachtung bis zum Erlass des Leistungsbescheids und gilt auch für nachfolgende Widerspruchs- und sozialgerichtliche Verfahren. Für den Zeitpunkt der Antragstellung kommt es auf den Eingang des Antrags bei der Pflegekasse an (Bundestagsdrucksache 18/5926, S. 140).

Da der Kläger den Antrag auf Pflegeleistungen bereits im November 2015 stellte, bemisst sich der im vorliegenden Verfahren gegenständliche Leistungsanspruch allein nach der bis zum 31. Dezember 2016 geltenden Rechtslage (vgl. LSG Sachsen-Anhalt, Urteil vom 22. November 2017 – L 1 P 8/15 –, zitiert nach juris Rn. 35), d.h. nach den §§ 14 ff. SGB XI in der vom 11. Januar 1995 bis zum 31. Dezember 2016 geltenden und hier anzuwendenden Fassung des Gesetzes zur sozialen Absicherung des Risikos der Pflegebedürftigkeit (Pflege-Versicherungsgesetz – PflegeVG vom 26. Mai 1994, BGBl. I Seite 1014 – im Folgenden a.F.). Das PSG II trat erst am 1. Januar 2017 in Kraft. Gleichsam sind auch gegebenenfalls nach dem 31. Dezember 2016 eingetretene Veränderungen im Gesundheitszustand für die Beurteilung eines vor dem 1. Januar 2017 gestellten Leistungsantrags im vorliegenden Verfahren nicht von Bedeutung (vgl. LSG Sachsen-Anhalt, a.a.O.). Daraus folgt im Übrigen, dass Entscheidungen, die die ab dem 1. Januar 2017 geltende Rechtslage betreffen, nicht Gegenstand des vorliegenden Rechtsstreits sind, der sich mit der bis zum 31. Dezember 2016 geltenden Rechtslage zu befassen hat. Daher handelt es sich beim Bescheid vom 18. Januar 2018, mit welchem dem Kläger Pflegeleistungen nach dem Pflegegrad 2 gewährt wurden, um einen Folgebescheid, der nicht nach § 96 SGG Gegenstand des laufenden Verfahrens geworden ist, weil er einen anderen Streitgegenstand, nämlich Leistungen nach der ab 1. Januar 2017 geltenden Rechtslage betrifft (vgl. Klein in Schlegel/Voelzke, juris PK-SGG, 1. Aufl. 2017, § 96 SGG Rn. 36; a.A. LSG Mecklenburg-Vorpommern, a.a.O. Rn. 38).

Hiervon ausgehend liegen die Voraussetzungen des vorliegend geltend gemachten Anspruchs aus § 140 Abs. 2 S. 1 Nr. 1 und 2 SGB XI insgesamt nicht vor. Es war beim Kläger bereits nicht das Vorliegen einer Pflegestufe im Sinne der §§ 14 und 15 SGB XI in der am 31. Dezember 2016 geltenden Fassung oder einer erheblich eingeschränkten Alltagskompetenz nach § 45a SGB XI in der am 31. Dezember 2016 geltenden Fassung festgestellt worden (Nr. 1) noch lagen bei ihm spätestens am 31. Dezember 2016 alle Voraussetzungen für einen Anspruch auf eine regelmäßig wiederkehrende Leistung der Pflegeversicherung vor (Nr. 2). Die u.a. eben auch hierauf gerichtete Klage ist in Ermangelung einer hiergegen gerichteten Berufung des Klägers rechtskräftig abgewiesen und die Ablehnung der Beklagten eben hierdurch bestandskräftig geworden.

Soweit § 140 Abs. 1 SGB XI nun bestimmt, dass der Zeitpunkt der Antragstellung für den Rechtszustand bei der Entscheidung über einen Leistungsantrag maßgebend ist und danach für Anträge, die bis zum 31. Dezember 2016 bei der Pflegeversicherung eingegangen sind, der bis zu diesem Zeitpunkt geltende Rechtszustand auch dann anzuwenden ist, wenn die Verwaltungsentscheidung erst später ergangen ist (Udsching in: Udsching/Schütze, SGB XI, 5. Aufl. 2018, § 140 SGB XI Rn. 3), führt dies im Übrigen nicht dazu, dass auch bei einem Eintritt der Pflegebedürftigkeit erst nach dem 1. Januar 2017 das vor dem 31. Dezember 2016 maßgebliche Recht weiterhin Anwendung findet, denn § 140 Abs. 2 S. 1 SGB XI knüpft die Rechtsgeltung daran an, dass Leistungen bis zum 31. Dezember 2016 hätten beansprucht werden können, und bewertet nur den Umstand, dass ggf. darüber noch keine Entscheidung vorliegt, als unerheblich (Meßling in Schlegel/Voelzke, juris PK-SGB XI, 2. Aufl. § 140 SGB XI <Stand 25. Januar 2021> Rn. 17.2).

Auch eine analoge Anwendung des § 140 Abs. 2 SGB XI (so das SG Darmstadt, Urteil vom 8. März 2019 – S 31 P 103/16 -, zitiert nach juris) scheidet aus. Insoweit steht der eindeutige Wortlaut der Übergangsvorschrift entgegen, der auf das Vorliegen der anspruchsbegründenden Voraussetzungen bis zum 31. Dezember 2016 abstellt (vgl. Hessisches LSG, Urteil vom 24. Juni 2020 – L 6 P 18/19 -, zitiert nach juris Rn. 59, zustimmend: Roth in Hauck/Noftz, SGB XI § 140 SGB XI <Stand 03/21> Rn. 8b; a.A. LSG Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 12. Dezember 2019 – L 5 P 2/19 -, zitiert nach juris Rn. 33, Revision beim BSG anhängig B 3 P 2/20 R).

Nach alldem ist der vom Kläger im November 2015 gestellte Antrag auf Leistungen nach der Pflegeversicherung kein Antrag auf Gewährung von Pflegeleistungen nach dem ab dem 1. Januar 2017 geltenden Recht. Der dem klägerischen Begehren zugrundeliegende Lebenssachverhalt ist ein Antrag nach altem Recht, der nur bei Vorliegen der Tatbestandsvoraussetzungen der Überleitungsbestimmung des § 140 SGB XI zum Klageziel eines Pflegegeldes nach einem Pflegegrad nach neuem Recht hätte führen können. Mit dem Inkrafttreten des neuen Pflegeversicherungsrechts zum 1. Januar 2017 fand ein Systemwechsel statt; es wurde ein neuer Begriff der Pflegebedürftigkeit eingeführt. Der Kläger stellte einen Antrag auf Leistungen nach dem neuen Recht erst am 6. Dezember 2017. Leistungen der Pflegeversicherung werden nach § 33 Abs. 1 Satz 1 SGB XI auf Antrag erbracht, so dass eine Leistungsgewährung nicht vor dem 6. Dezember 2017 in Betracht kommt, denn der unter Geltung alten Rechts gestellte Antrag wirkt nicht fort, und der Kläger kann auch nicht im Wege des sozialrechtlichen Herstellungsanspruches so gestellt werden, als ob er schon zu einem früheren Zeitpunkt einen Antrag gestellt hätte.

Es kann nach alldem dahinstehen, ob ein sozialrechtlicher Herstellungsanspruch seinem Inhalt nach dem prozessualen Begehren des Klägers im vorliegenden Verfahren überhaupt zum Erfolg verhelfen könnte, wogegen allein schon die obige Annahme sprechen mag, dass eine auf Leistungen ab dem 24. April 2017 gerichtete Klage bereits unzulässig sei. Jedenfalls liegen die Voraussetzungen eines sozialrechtlichen Herstellungsanspruchs bereits dem Grunde nach nicht vor. Es kann zwar die Verletzung von Pflichten, die dem Sozialleistungsträger gegenüber den Leistungsberechtigten aus dem Sozialrechtsverhältnis obliegen, für Leistungsberechtigte einen sozialrechtlichen Herstellungsanspruch begründen. Rechtsgrundlage für die Beratungspflicht in Form einer Hinweispflicht sind die §§ 14, 15 SGB I. Eine umfassende Beratungspflicht des Sozialversicherungsträgers bzw. des Sozialleistungsträgers besteht zunächst regelmäßig bei einem entsprechenden Beratungs- und Auskunftsbegehren des Leistungsberechtigten (vgl. BSG vom 17. August 2000 - B 13 RJ 87/98 R -, juris Rn. 38; Urteil vom 14. November 2002 - B 13 RJ 39/01 R -, zitiert nach juris Rn. 43). Ausnahmsweise besteht nach ständiger Rechtsprechung des BSG auch dann eine Hinweis- und Beratungspflicht des Leistungsträgers, wenn anlässlich einer konkreten Sachbearbeitung in einem Sozialrechtsverhältnis dem jeweiligen Mitarbeiter eine naheliegende Gestaltungsmöglichkeit ersichtlich ist, die ein verständiger Versicherter/Leistungsberechtigter wahrnehmen würde, wenn sie ihm bekannt wäre (vgl. etwa BSG, Urteil vom 24. April 2015 – B 4 AS 22/14 R -, zitiert nach juris Rn. 27 m.w.N.). Dabei ist die Frage, ob eine Gestaltungsmöglichkeit klar zu Tage liegt, allein nach objektiven Merkmalen zu beurteilen (vgl. BSG, Urteil vom 2. April 2014 – B 4 AS 29/13 R -, zitiert nach juris Rn. 29. m.w.N.; Hessisches LSG, Urteil vom 24. Juni 2020 – L 6 P 18/19 -, zitiert nach juris Rn. 70).

An einer derartigen Gestaltungsmöglichkeit, über die die Beklagte hätte beraten müssen, fehlte es zunächst; späterhin kam die Beklagte ihren Hinweispflichten nach.

Zu den Hinweispflichten der Pflegekassen in der vorliegenden Konstellation (vor dem 31. Dezember 2016 anhängig gewordene Klageverfahren über Anträge nach altem Recht) hat das Hessische LSG in dem genannten Urteil (zitiert nach juris Rn. 72 ff.) ausgeführt:

„Der Senat sieht keine allgemeine umfassende Verpflichtung der Beklagten während eines laufenden gerichtlichen Verfahrens nach altem Recht, die Klägerin zu informieren, dass Personen, die – wie die Klägerin – bis zum 31. Dezember 2016 nicht pflegebedürftig nach altem Recht waren, ab 1. Januar 2017 einen neuen Antrag stellen müssten, wenn sie Ansprüche nach neuem Recht geltend machen wollten. … Auch nach Klageerhebung am 24. November 2016 bestand für die Beklagte zunächst kein Anlass, die Klägerin auf die Möglichkeit der Antragstellung nach dem ab 1. Januar 2017 geltenden neuen Recht hinzuweisen. Wäre die Entscheidung der Beklagten rechtswidrig gewesen und hätte der Klägerin also die Pflegestufe I schon vor Erlass der letzten Behördenentscheidung am 20. Oktober 2016 oder jedenfalls vor dem 31. Dezember 2016 zugestanden, so hätte § 140 SGB XI zur Überleitung der Pflegestufe in einen Pflegegrad nach neuem Recht geführt. Tatsächlich hat sich die Entscheidung der Beklagten aber als richtig erwiesen, weil die Vorgutachten retrospektiv durch den Sachverständigen Dr. F. bestätigt wurden... Für die Beklagte war auch bei Klageerhebung in keiner Weise ersichtlich, dass zum Inkrafttreten des neuen Rechts am 1. Januar 2017 bei der Klägerin ein Pflegegrad nach neuem Recht anzuerkennen wäre.“

Hieran gemessen ergibt sich Folgendes: Vorliegend richtet sich die Klage gegen die Bescheide vom 10. Dezember 2015 und 4. Mai 2016 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 29. Juni 2016. Während der Verwaltungsverfahren, die zu den angegriffenen Behördenentscheidungen führten, bestand kein Anlass für die Beklagte, auf eine erneute Antragstellung hinzuweisen. Etwas anderes ergibt sich auch nicht daraus, dass der Kläger seit dem 7. Juli 2016 einen Rechtsstreit gegen die Beklagte führte. Der Rechtsstreit betraf allein einen nach altem Recht gestellten und zu beurteilenden Antrag. Hier änderte sich die Sachlage auch mit dem Ergebnis der Begutachtung durch die gerichtlich bestellte Sachverständige zunächst nicht, denn diese kennzeichnete die Situation für die Zeit vor ihrer Begutachtung nicht grundlegend anders als die im Verwaltungsverfahren eingeholten Gutachten. Soweit die Sachverständige indes ab dem Zeitpunkt der Begutachtung wegen veränderter Umstände einen leistungsberechtigenden Pflegebedarf festgestellt hat, hat die Beklagte dies unverzüglich nach Erhalt des Gutachtens zum Anlass genommen, den Kläger mit Schriftsatz vom 20. Juni 2017 auf die Möglichkeit eines Neuantrages hinzuweisen. Denn nun lag die Vermutung nah, dass auch ein Pflegegrad nach neuem Recht gegeben sein könnte. Sie ist damit ihrer aus §§ 14, 15 SGB I folgenden Hinweispflicht zeitnah nachgekommen. Soweit der Kläger nicht sogleich, sondern jedenfalls erst im Dezember 2017 einen Antrag stellte, ist dies der Beklagten nicht anzulasten. Dahinstehen kann und hier nicht zu entscheiden ist, ob bereits im Schreiben des Klägervertreters vom 23. Juni 2017 ein Leistungsantrag nach neuem Recht zu erkennen ist.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG und folgt dem Ausgang des Verfahrens in der Sache selbst.

Gründe für die Zulassung der Revision nach § 160 Abs. 2 SGG liegen nicht vor.