Gericht | OLG Brandenburg 4. Zivilsenat | Entscheidungsdatum | 14.07.2021 | |
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Aktenzeichen | 4 U 157/20 | ECLI | ECLI:DE:OLGBB:2021:0714.4U157.20.00 | |
Dokumententyp | Urteil | Verfahrensgang | - | |
Normen |
1. Auf die Berufung der Klägerin wird das Urteil des Landgerichts Cottbus vom 19. Juni 2020, Az.: 2 O 581/19, unter Zurückweisung der Berufung im Übrigen, teilweise abgeändert und insgesamt wie folgt neu gefasst:
Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin einen Betrag in Höhe von 1.904,09 Euro nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 31. Dezember 2019 zu zahlen. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
Soweit die Klägerin die Berufung zurückgenommen hat, ist sie des Rechtsmittels der Berufung verlustig.
2. Von den Kosten des Rechtsstreits tragen die Klägerin 69% und die Beklagte 31%.
3. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Der jeweilige Vollstreckungsschuldner kann die Vollstreckung durch den jeweiligen Vollstreckungsgläubiger durch Zahlung eines Betrages in Höhe von 110% des gegen ihn aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht der jeweilige Vollstreckungsgläubiger vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110% des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.
4. Die Revision wird zugelassen.
5. Der Streitwert wird für den Berufungsrechtszug auf die Wertstufe bis 7.000,00 Euro festgesetzt.
I.
Die Klägerin nimmt die Beklagte als Herstellerin des Fahrzeuges VW Sharan 2,0 TDI auf Schadensersatz in Anspruch. Das Fahrzeug ist mit einem Motor EA 189 des Herstellers VW ausgestattet.
Die Klägerin (handelnd unter der Firma … …) kaufte am 31. Januar 2012 von der Autozentrum … …einen damals ein Jahr alten VW Sharan zu einem Preis von 28.395,01 Euro (brutto) / 23.861,35 Euro (netto) mit einem Kilometerstand von 4.439 km.
Der von der Beklagten hergestellte Motor des Fahrzeugs verfügte über eine Motorsteuerungssoftware, die erkennt, wenn das Fahrzeug auf dem Prüfstand den neuen europäischen Fahrzyklus (NEFZ) durchführt, und sodann einen besonderen Modus aktiviert (sogenannte Umschaltlogik). In diesem Modus wird die Rückführung von Abgasen im Vergleich zu dem normalen Betriebsmodus verändert, wodurch die nach der Euro-5-Norm vorgegebenen Stickoxid-Werte während des Durchfahrens des NEFZ eingehalten werden. Im normalen Fahrbetrieb wird dieser Modus deaktiviert, wodurch es zu einem höheren Schadstoffausstoß kommt. Durch den Einsatz dieser Motorsteuerungssoftware wurde die EG-Typengenehmigung für das streitgegenständliche Fahrzeug erlangt.
Der Dieselmotor wurde serienmäßig in diversen Fahrzeugmodellen der Beklagten sowie derer Konzernunternehmen verbaut. Das Kraftfahrtbundesamt verpflichtete die Beklagte mit Bescheid vom 15. Oktober 2015 dazu, bei allen betroffenen Fahrzeugen mit dem Motor der Baureihe EA189 die aus Sicht des Bundesamtes unzulässige Abschaltvorrichtung zu entfernen. Die Beklagte entwickelte ein Update für die Motorsteuerungssoftware, wonach das Fahrzeug nur noch über einen einheitlichen Betriebsmodus verfügt.
Im Jahre 2017 ließ die Klägerin das Software-Update ausführen. Am 1. Juni 2018 veräußerte sie das Fahrzeug mit einer Laufleistung von inzwischen 239.255 km zu einem Preis von 3.000,00 Euro weiter.
Mit Klageschrift vom 31. Dezember 2019, welche am 14. Februar 2020 zugestellt worden ist, hat die Klägerin die Zahlung des Bruttokaufpreises abzüglich des Verkaufserlöses aus dem Weiterverkauf sowie eines (maximal 19.295,01 Euro betragenden) Nutzungsersatzes nebst vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten begehrt.
Die Klägerin hat behauptet, dass ihr die individuelle Betroffenheit des Fahrzeugs bis in das Jahr 2017 hinein nicht klar gewesen sei. Sie habe weder 2015 noch 2016 einen Grund zur Annahme gehabt, dass ihr Fahrzeug betroffen sei. Erst durch ein Schreiben des Kraftfahrtbundesamtes im Jahre 2017 sei ihr dies bewusst geworden. Selbst wenn von einer Kenntnis der anspruchsbegründenden Umstände bereits 2015 auszugehen wäre, sei dem Fahrzeug mit dem Software-Update eine neue unzulässige Abschaltvorrichtung in Form eines Thermofensters implementiert worden, wodurch die Verjährungsfrist erneut in Gang gesetzt worden sei.
Die Beklagte hat die Einrede der Verjährung erhoben und u. a. behauptet, dass die Klägerin bereits 2015 Kenntnis von der Betroffenheit des Fahrzeugs vom sog. Diesel-Skandal gehabt habe.
Das Landgericht hat die Klage (nach persönlicher Anhörung der Klägerin) mit Urteil vom 19. Juni 2020, auf das wegen der Antragstellung und der tatsächlichen Feststellungen (§ 540 Abs. 1 ZPO) Bezug genommen wird, abgewiesen und zur Begründung ausgeführt, dass die allein in Betracht kommenden deliktischen Ansprüche verjährt seien. Die dreijährige Verjährungsfrist habe mit Ablauf des Jahres 2015 zu laufen begonnen, da die Klägerin ohne grobe Fahrlässigkeit noch im Jahr 2015 hätte Kenntnis erlangen müssen.
Hiergegen richtet sich die Berufung der Klägerin. Die Ansprüche seien nicht verjährt.
Die Klägerin beantragt zuletzt,
die Berufungsbeklagte unter Abänderung des am 19. Juni 2020 verkündeten Urteils des Landgerichts Cottbus, Aktenzeichen 2 O 581/19, zu verurteilen, an die Berufungsklägerin 20.861,35 Euro nebst Zinsen in Höhe von 9 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit 31. Dezember 2019 gegen Zahlung einer Nutzungsentschädigung, deren Höhe in das Ermessen des Gerichts gestellt wird, jedoch nicht mehr als 16.214,29 Euro beträgt, zu zahlen;
die Berufungsbeklagte unter Abänderung des am 19. Juni 2020 verkündeten Urteils des Landgerichts Cottbus, Aktenzeichen 2 O 581/19, zu verurteilen, an die Berufungsklägerin vorgerichtliche Rechtsanwaltskosten in Höhe von 987,70 Euro nebst Zinsen in Höhe von 9 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit 7. Januar 2020 zu zahlen.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Die Beklagte verteidigt das angegriffene Urteil unter Bezugnahme auf ihr erstinstanzliches Vorbringen.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes im Berufungsrechtszug wird auf die von den Parteien eingereichten Schriftsätze nebst Anlagen ergänzend verwiesen.
II.
Die Berufung ist statthaft und auch im Übrigen zulässig, insbesondere gemäß §§ 517 ff. ZPO form- und fristgerecht eingelegt und begründet worden. Der Klägerin stand es nach § 264 Nr. 2 ZPO frei, die Hauptforderung - wie im Schriftsatz vom 28. April 2021 geschehen - zu reduzieren, wobei der Senat die Reduzierung des Klageantrages sachgerecht so versteht, dass die Berufung hinsichtlich des überschießenden Betrages als zurückgenommen gelten soll (vgl. Ball, in: Musielak/Voit, ZPO, 18. Aufl. 2021, § 516 Rn. 26).
In der Sache hat die Berufung - soweit sie noch zur Entscheidung ansteht - teilweise Erfolg.
1. Die Beklagte ist der Klägerin zum Schadensersatz in Höhe des (Netto-)Kaufpreises für das streitgegenständliche Fahrzeug abzüglich einer Nutzungsentschädigung und des Weiterverkaufserlöses im tenorierten Umfang verpflichtet.
Die Grundlage des der Klägerin zustehenden Anspruchs ist § 826 BGB in Verbindung mit dem entsprechend anzuwendenden § 31 BGB. Nach § 826 BGB ist, wer in einer gegen die guten Sitten verstoßenden Weise einem anderen vorsätzlich Schaden zufügt, dem anderen zum Ersatz des Schadens verpflichtet. In analoger Anwendung von § 31 BGB haftet eine juristische Person für einen Schaden, den ein Mitglied ihres Vorstandes bzw. ein anderer verfassungsmäßig berufener Vertreter durch eine in Ausführung der ihm zustehenden Verrichtungen begangene, zum Schadensersatz verpflichtende Handlung einem Dritten zufügt.
a) Diese Voraussetzungen liegen jeweils vor. Die Beklagte hat der Klägerin in einer gegen die guten Sitten verstoßenden Weise vorsätzlich einen Schaden zugefügt.
aa) Die Beklagte handelte sittenwidrig.
Sittenwidrig ist nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ein Verhalten, das nach seinem Gesamtcharakter, der durch umfassende Würdigung von Inhalt, Beweggrund und Zweck zu ermitteln ist, gegen das Anstandsgefühl aller billig und gerecht Denkenden verstößt. Dafür genügt es im Allgemeinen nicht, dass der Handelnde vertragliche Pflichten oder das Gesetz verletzt oder bei einem anderen einen Vermögensschaden hervorruft. Vielmehr muss eine besondere Verwerflichkeit seines Verhaltens hinzutreten, die sich aus dem verfolgten Ziel, den eingesetzten Mitteln, der zutage tretenden Gesinnung oder den eingetretenen Folgen ergeben kann. Schon zur Feststellung der Sittenwidrigkeit kann es daher auf Kenntnisse, Absichten und Beweggründe des Handelnden ankommen, die die Bewertung seines Verhaltens als verwerflich rechtfertigen. Die Verwerflichkeit kann sich auch aus einer bewussten Täuschung ergeben (vgl. nur BGH, Urteil vom 28. Juni 2016 – VI ZR 536/15, NJW 2017, 250, Rn. 16; OLG Karlsruhe, Urteil vom 19. November 2019 – 17 U 146/19, juris Rn. 31 je m. w. N.), etwa bei auf systematische Täuschung angelegten Geschäftsmodellen (BGH, Versäumnisurteil vom 14. Juli 2015 – VI ZR 463/14, MDR 2015, 1363) oder bei der eigennützigen und bewusst arglistigen Täuschung des Geschäftspartners (BGH, Urteil vom 22. Juni 1992 – II ZR 178/90, NJW 1992, 3167) oder eines Dritten (vgl. BGH, Urteil vom 24. September 1991 – VI ZR 293/90, NJW 1991, 3282).
Nach diesen allgemeinen Maßstäben sind die Entscheidungen der Beklagten bzw. der für sie verantwortlich Handelnden, die Motoren der Baureihe EA189 mit der hier in Rede stehenden Software und ihrer „Umschaltlogik“ auszustatten, diese Motoren in von der Beklagten und von Unternehmen ihres Konzerns hergestellte Fahrzeuge einzubauen bzw. einbauen zu lassen, für diese Fahrzeuge so eine Typgenehmigung zu erschleichen, und schließlich diese Fahrzeuge, zu denen auch das streitgegenständliche gehört, in den Verkehr zu bringen, als sittenwidrig zu erachten (vgl. zum Folgenden etwa BGH, Urteil vom 25. Mai 2020 - VI ZR 252/19, juris; OLG München, Urteil vom 15. Januar 2020 - 20 U 3219/18 - ; OLG Karlsruhe, Urteil vom 6. November 2019 - 13 U 37/19; Schleswig-Holsteinisches Oberlandesgericht, Urteil vom 22. November 2019 - 17 U 44/19; Brandenburgisches Oberlandesgericht, Urteile vom 11. Februar 2020 - 1 U 12/19 -, vom 4. März 2020 - 4 U 58/19 - und - 4 U 65/19 - und vom 3. Juni 2020 - 4 U 139/19). Das streitgegenständliche Fahrzeug verfügt unstreitig über einen Motor der Baureihe EA 189.
(1) Das Vorgehen der Beklagten stellt sich in seiner Gesamtheit als auf systematische Täuschung der mit der Kraftfahrzeugzulassung befassten Behörden und aller potentiellen Erwerber der Kraftfahrzeuge angelegt dar.
Die von der Beklagten selbst verharmlosend als "Umschaltlogik" bezeichnete Software diente offenkundig einzig dem Zweck und wurde auch allein zu diesem Zweck entwickelt, gegenüber den Behörden die Einhaltung der geltenden Stickoxidgrenzwerte vorzuspiegeln, die im Realbetrieb nicht zu erreichen waren, und damit die behördlichen Erlaubnisse zu erlangen, um die Pkws überhaupt in Verkehr bringen zu dürfen. Die Testverfahren, die neu hergestellte Fahrzeuge durchlaufen müssen, sind standardisierte Prüfzyklen. Stattet ein Pkw-Hersteller seine Fahrzeuge mit einer Motorsteuerungssoftware aus, die zwei Betriebsmodi kennt und nur im erkannten Prüfstand die Motorsteuerung dergestalt regelt, dass mittels Abgasrückführung die Abgase zusätzlich gereinigt werden, während im normalen Straßenverkehr keine oder nur eine deutlich geringere Abgasrückführung stattfindet, will er damit im Zulassungsverfahren für das Fahrzeug die Einhaltung der gesetzlichen Grenzwerte vorgaukeln, die tatsächlich nicht eingehalten werden. Dieses Ziel wird besonders deutlich aus der Heimlichkeit des Vorgehens. Die Beklagte hatte die „Umschaltlogik“ der Software weder den Behörden offengelegt noch sonst offen kommuniziert. Im Gegenteil sicherte die technische Gestaltung, dass die Wirkungsweise der Software auch bei einer Untersuchung des Fahrzeugs nicht zu erkennen war und dem entsprechend lange unerkannt blieb. Denn auf dem Prüfstand zeigte das Fahrzeug mit dem entsprechend ausgestatteten Motor keine Auffälligkeiten, sondern vielmehr die gewünschten Abgaswerte. Die Einzelheiten der Software wurden daher erst im Rahmen der näheren Untersuchung der erheblichen Differenzen zwischen den Abgaswerten auf dem Prüfstand und im realen Fahrbetrieb durch Mitarbeiter der Beklagten gegenüber den US-Behörden eingeräumt. Auch dann aber sprach die Beklagte nur von erkannten „Unregelmäßigkeiten“ der Software, ohne offen zuzugeben, dass sie bewusst eine gesetzlich unzulässige Abschalteinrichtung eingebaut hat.
Zugleich täuschte die Beklagte alle potentiellen Erwerber der mit den entsprechenden Motoren ausgestatteten Fahrzeuge. Die mit ihrem Inverkehrbringen verbundene implizite Behauptung, dass das Fahrzeug entsprechend seinem objektiven Verwendungszweck uneingeschränkt und dauerhaft im Straßenverkehr eingesetzt werden darf, traf nicht zu. Das setzt, wenn auch die Einzelheiten des Zulassungsverfahrens nicht allgemein bekannt sind, jedenfalls die behördliche Genehmigung eines Fahrzeugtyps voraus, bei der auch die Abgaswerte kontrolliert werden, sowie die Übereinstimmung des einzelnen Fahrzeugs mit diesem Typ. Wo dies nicht der Fall ist, kann die zuständige Behörde geeignete Maßnahmen ergreifen, zu denen das Abstellen des Mangels ebenso gehören kann wie die letztliche Betriebsuntersagung. Entsprechend geht die Erwartungshaltung des Verkehrs dahin, dass die zum Verkauf gelangten Fahrzeuge nicht nur formell, sondern auch materiell den für sie geltenden zulassungsrechtlichen Vorgaben entsprechen. Die systematische Manipulation des Zulassungsverfahrens diente damit auch dem Ziel, das Vertrauen der potentiellen Käufer in den ordnungsgemäßen Ablauf des öffentlich-rechtlichen Genehmigungsverfahrens und damit auch in die Objektivität der staatlichen Behörde auszunutzen.
(2) Ausmaß und Tragweite der Täuschung sind erheblich. Die Beklagte hat die Abschaltsoftware serienmäßig in wenigstens 11 Millionen Pkws einbauen lassen, um die Einhaltung sowohl der in der EU geltenden Grenzwerte als auch der strengeren Abgasnormen in den USA zu umgehen. Mit dem massenhaften Vertrieb der Motoren der Baureihe EA189 hat die Beklagte eine deutliche Beeinträchtigung der Umwelt über die zugelassenen Emissionen hinaus in Kauf genommen. Zudem droht den Käufern erheblicher Schaden in Form der Stilllegung des erworbenen Fahrzeugs, das gerade nicht über eine dauerhaft ungefährdete Betriebserlaubnis verfügte, weil die Umschaltlogik der Motorsteuerungssoftware als unzulässige Abschalteinrichtung im Sinn des Art. 5 Abs. 1 und 2 VO (EG) 715/2007 zu qualifizieren ist (vgl. BGH, Urteil vom 25. Mai 2020 - VI ZR 252/19 - Rn. 19 ff.; OLG Karlsruhe, Urteil vom 19. November 2019 – 17 U 146/19, WM 2020, 325 Rn. 36, unter Hinweis auf BGH, Beschluss vom 8. Januar 2019 – VIII ZR 225/17, NJW 2019, 1133 Rn. 19; OLG München, Urteil vom 15. Januar 2020 – 20 U 3219/18, Rn. 27 ff.).
(3) Anerkennenswerte Beweggründe für das Inverkehrbringen der mit einer unzulässigen Abschalteinrichtung versehenen Motorsteuerung bringt die Beklagte nicht vor. In Betracht kommt vorliegend allein eine angestrebte Kostensenkung und Gewinnmaximierung durch hohe Absatzzahlen. Diese Ziele sind zwar (selbstverständlich) erlaubt und auch nicht per se sittenwidrig. Das an sich erlaubte Ziel der Erhöhung des Gewinns wird auch im Verhältnis zu dem Käufer eines der betroffenen Fahrzeuge aber dann verwerflich, wenn es auf der Grundlage einer strategischen Unternehmensentscheidung durch arglistige Täuschung der zuständigen Typgenehmigungs- und Marktüberwachungsbehörde - des KBA (§ 2 Abs. 1 EG-FGV) - erreicht werden soll, und dies mit einer Gesinnung verbunden ist, die sich sowohl im Hinblick auf die für den einzelnen Käufer möglicherweise eintretenden Folgen und Schäden als auch im Hinblick auf die insoweit geltenden Rechtsvorschriften, insbesondere zum Schutz der Gesundheit der Bevölkerung und der Umwelt, gleichgültig zeigt. Ein solches Vorgehen verstößt derart gegen die Mindestanforderungen im Rechts- und Geschäftsverkehr auf dem hier betroffenen Markt für Kraftfahrzeuge, dass ein Ausgleich der bei den einzelnen Käufern verursachten Vermögensschäden geboten erscheint (vgl. BGH, Urteil vom 25. Mai 2020 - VI ZR 252/19, juris Rn. 23 ff.)
(4) In der Gesamtwürdigung ergibt sich die Sittenwidrigkeit des Handelns aus dem nach Ausmaß und Vorgehen besonders verwerflichen Charakter der Täuschung von Behörden und Kunden, unter Ausnutzung des Vertrauens der Käufer in die Ordnungsgemäßheit des behördlichen Zulassungsverfahrens, und unter Inkaufnahme nicht nur der Schädigung der Käufer, sondern auch der Umwelt allein im eigensüchtigen Profitinteresse.
bb) Die genannten sittenwidrigen Entscheidungen sind der Beklagten in entsprechender Anwendung des § 31 BGB zuzurechnen, auch wenn seitens der grundsätzlich darlegungsbelasteten Klägerin nicht im Einzelnen vorgetragen wurde, welche Mitarbeiter der Beklagten grundsätzlich für die Entwicklung und den Einsatz der Software und konkret bezogen auf den in dem streitgegenständlichen Fahrzeug verbauten Motor verantwortlich waren. Sie hat aber zumindest behauptet, dass wenigstens ein verfassungsmäßig berufener Vertreter der Beklagten Kenntnis von der Manipulation hatte bzw. dass die weitreichende Manipulation der Motorsteuerungssoftware mit Genehmigung des Vorstands der Beklagten erfolgte.
(1) Nach § 31 BGB ist der Verein für den Schaden verantwortlich, den der Vorstand, ein Mitglied des Vorstands oder ein anderer verfassungsmäßig berufener Vertreter durch eine in Ausführung der ihm zustehenden Verrichtungen begangene, zum Schadensersatz verpflichtende Handlung einem Dritten zufügt. Dies gilt nach einhelliger Meinung in gleicher Weise für alle juristischen Personen deutschen Rechts (Einzelheiten bei Westermann, in: Erman, BGB, 15. Auflage 2017, § 31 BGB Rdnr. 2) und damit auch für eine Aktiengesellschaft wie die Beklagte (vgl. nur BGH, Urteil vom 9. Mai 2005 – II ZR 287/02, NJW 2005, 2450/2451). Zudem ist der Begriff des „verfassungsmäßig berufenen Vertreters" nach ständiger höchstrichterlicher Rechtsprechung über den Wortlaut der Vorschrift hinaus weit auszulegen. „Verfassungsmäßig berufene Vertreter" sind danach auch Personen, denen durch die allgemeine Betriebsregelung und Handhabung bedeutsame, wesensmäßige Funktionen der juristischen Person zur selbständigen, eigenverantwortlichen Erfüllung zugewiesen sind, so dass sie die juristische Person im Rechtsverkehr repräsentieren. Da es der juristischen Person nicht freisteht, selbst darüber zu entscheiden, für wen sie ohne Entlastungsmöglichkeit haften will, kommt es nicht entscheidend auf die Frage an, ob die Stellung des „Vertreters“ in der Satzung der Körperschaft vorgesehen ist oder ob er über eine entsprechende rechtsgeschäftliche Vertretungsmacht verfügt (OLG München, Urteil vom 15. Januar 2020 – 20 U 3219/18, juris, Rn. 50 f.; OLG Karlsruhe, Beschluss vom 5. März 2019 – 13 U 142/18, juris Rn. 48). Die Vorschrift des § 31 BGB ist vielmehr weit auszulegen (BGH, Urteil vom 28. Juni 2016 – VI ZR 536/15, NJW 2017, 250, Rn. 13). Dies begründet letztlich eine umfassende Repräsentantenhaftung der juristischen Person für diejenigen, die für sie verantwortlich handeln (vgl. Leuschner, in: Münchener Kommentar zum BGB, 8. Auflage 2018, § 31 BGB Rn. 14 f; zur Kasuistik ausführlich Offenloch, in: Beck-Online Großkommentar mit Stand 15. Dezember 2019, § 31 BGB Rn. 71 ff).
(2) Nach diesen Grundsätzen ist auch im vorliegenden Fall davon auszugehen, dass wenigstens ein verfassungsmäßig berufener Vertreter der Beklagten im genannten Sinne die als sittenwidrig benannten Entscheidungen traf. Aufgrund der unstreitigen äußeren Umstände besteht hier eine tatsächliche Vermutung für die Kenntnis eines mindestens mit Repräsentantenfunktion betrauten Vertreters der Beklagten, welche die Beklagte zu entkräften hat (vgl. BGH, Urteil vom 26. Januar 2021 - VI ZR 405/19, juris Rn. 18; OLG Karlsruhe, Beschluss vom 5. März 2019 – 13 U 142/18, ZIP 2019, 863, Rn. 54 bei juris). Denn unstreitig haben Mitarbeiter der Beklagten die streitgegenständliche Software in Kenntnis von deren Funktionsweise in die Motorsteuerung sämtlicher Motoren der genannten Baureihe integriert, obgleich die Funktionsweise für jeden offensichtlich dem Zweck des Verbots der Abschalteinrichtung gemäß Art. 5 Abs. 2 Satz 1 VO (EG) 715/2007 widersprach. Angesichts der Tragweite dieser Entscheidung, die eine ganze - flächendeckend konzernweit in vielen Millionen Fahrzeugen einzusetzende - Diesel-Motorengeneration betraf, erscheint es mehr als fernliegend, dass die Entscheidung für eine Steuerungssoftware mit der beschriebenen Wirkungsweise ohne Einbindung der Leitungsebene der Beklagten im erwähnten Sinne – mindestens derjenigen nach außen als verantwortlich auftretenden Personen unterhalb der eigentlichen Vorstandsebene – erfolgt und lediglich einem Verhaltensexzess untergeordneter Konstrukteure zuzuschreiben sein könnte. Es handelt sich der Sache nach um eine Strategieentscheidung mit außergewöhnlichen Risiken für den gesamten Konzern und auch massiven persönlichen Haftungsrisiken für die entscheidenden Personen, der bei den untergeordneten Konstrukteuren kein in Anbetracht der arbeits- und strafrechtlichen Risiken annähernd adäquater wirtschaftlicher Vorteil gegenübersteht.
Diese Sichtweise wird noch verstärkt durch den Umstand, dass die Software unstreitig durch einen Zulieferer programmiert und geliefert wurde. Insoweit ist in einem ordnungsgemäß geführten Unternehmen zu erwarten, dass die Anforderungen an die Software mit der Bestellung in Form einer Leistungsbeschreibung niedergelegt sind. Weil es sich bei der Motorsteuerung um ein Kernstück des Motors handelt, widerspricht es jeder Lebenswahrscheinlichkeit, dass insoweit die Führungsebene des Unternehmens nicht eingebunden wurde. Wer die Zustimmung zur Entwicklung und zum Einsatz einer Software in der Motorsteuerung für Millionen von Neufahrzeugen erteilt, muss eine wichtige Funktion in einem Unternehmen haben und mit erheblichen Kompetenzen ausgestattet sein. Soweit es sich dabei nicht um einen Vorstand handelt, spricht im Hinblick auf das Gewicht der Entscheidung zumindest eine starke tatsächliche Vermutung dafür, dass es sich um einen Repräsentanten im Sinn der höchstrichterlichen Rechtsprechung handelt, weil er Entscheidungen trifft, die üblicherweise der Unternehmensführung vorbehalten sind.
Diesen tatsächlichen Anhaltspunkten für eine Kenntnis des Vorstands oder eines Repräsentanten der Beklagten ist die Beklagte nicht hinreichend entgegengetreten. Sie hat sich vielmehr (nur) darauf zurückgezogen, der Vortrag der Klägerin sei nicht hinreichend konkret, und keines ihrer Vorstandsmitglieder im aktienrechtlichen Sinne habe im Zeitpunkt des Kaufvertragsschlusses Kenntnis von der Entwicklung oder Verwendung der streitgegenständlichen Software in Fahrzeugen mit einer EG-Typgenehmigung gehabt. Das genügt nicht den Anforderungen des § 138 ZPO.
Zwar reicht gemäß § 138 Abs. 2 ZPO gegenüber einer Tatsachenbehauptung des darlegungspflichtigen Klägers in der Regel das einfache Bestreiten des Beklagten. Doch kann es der nicht darlegungsbelasteten Partei obliegen, ihren Sachvortrag darüber hinaus zu substanziieren. Dabei hängen die Anforderungen an die Substantiierungslast des Bestreitenden zunächst davon ab, wie substantiiert der darlegungspflichtige Gegner - hier die Klägerin - vorgetragen hat. In der Regel genügt gegenüber einer Tatsachenbehauptung des darlegungspflichtigen Klägers das einfache Bestreiten des Beklagten. Ob und inwieweit die nicht darlegungsbelastete Partei ihren Sachvortrag substantiieren muss, lässt sich nur aus dem Wechselspiel von Vortrag und Gegenvortrag bestimmen, wobei die Ergänzung und Aufgliederung des Sachvortrags bei hinreichendem Gegenvortrag immer zunächst Sache der darlegungs- und beweispflichtigen Partei ist.
Nach diesen Maßstäben hätte es der Beklagten oblegen, dem durch die erwähnte tatsächliche Vermutung gestützten Klägervortrag konkreter entgegenzutreten, als sie dies getan hat (vgl. BGH, Urteil vom 26. Januar 2021 - VI ZR 405/19, juris Rn. 18 f.). Die in Rede stehenden Tatsachen sind als Interna der Beklagten der Wahrnehmung der Klägerin entzogen, derweil sie Gegenstand der eigenen Wahrnehmung der Beklagten waren. Sie hätte also konkreter angeben können und müssen, wer die in Rede stehenden Entscheidungen tatsächlich getroffen hat. Dass ihr dies nach Jahren angeblicher Aufklärung nicht möglich sei, ist nicht substanziiert genug dargetan. Dass weder die Entscheidungsprozesse über die Strategie zur Einhaltung der Emissionsgrenzwerte noch die Beauftragung der Entwicklung der Manipulationssoftware aufzuklären sein sollten, erscheint schwer nachvollziehbar. Über die bloße Behauptung hinaus, durch die bisherigen internen Ermittlungen keine Hinweise auf eine Kenntnis des Vorstands erlangt zu haben, fehlt jeder Vortrag, was die Ermittlungen ergeben haben und woran eine weitere Aufklärung scheitert (vgl. OLG Karlsruhe, Beschluss vom 5. März 2019 – 13 U 142/18, ZIP 2019, 863, juris Rn. 82; OLG München, Urteil vom 15. Januar 2020 – 20 U 3219/18, juris Rn. 57).
cc) Die Beklagte hat bei der Klägerin kausal einen Schaden verursacht.
Der für eine Haftung aus § 826 BGB erforderliche Vermögensschaden ist in dem Abschluss des Kaufvertrages über das streitgegenständliche, bemakelte Fahrzeug zu sehen (vgl. BGH, Urteil vom 25. Mai 2020 - VI ZR 252/19, juris Rn. 44 ff; zum Folgenden auch m.w.N. OLG München, Urteil vom 15. Januar 2020 - 20 U 3219/18, juris Rn. 31 ff.).
(1) § 826 BGB stellt hinsichtlich des Schadens begrifflich nicht auf die Verletzung bestimmter Rechte und Rechtsgüter ab, weshalb der nach dieser Norm ersatzfähige Schaden weit verstanden wird. Schaden ist danach nicht nur jede nachteilige Einwirkung auf die Vermögenslage, sondern darüber hinaus jede Beeinträchtigung eines rechtlich anerkannten Interesses und jede Belastung mit einer ungewollten Verpflichtung. Es kommt daher nicht darauf an, ob das Fahrzeug im Zeitpunkt des Erwerbs angesichts der unzulässigen Abschalteinrichtung einen geringeren Marktwert hatte. Der Schaden des in die Irre geführten Käufers liegt in der Belastung mit einer ungewollten Verbindlichkeit, nicht erst in dadurch verursachten wirtschaftlichen Nachteilen. Entscheidend ist mithin allein, dass der Geschädigte durch ein haftungsbegründendes Verhalten zum Abschluss eines Vertrages gebracht worden ist, den er sonst nicht geschlossen hätte und dass die Leistung für seine Zwecke nicht voll brauchbar war.
(2) Diese Voraussetzungen waren im maßgeblichen Zeitpunkt des Kaufvertragsabschlusses – der hier 31. Januar 2012 erfolgte – gegeben. Wegen der Verwendung einer unzulässigen Abschalteinrichtung drohte die Entziehung der EG-Typengenehmigung bzw. die Anordnung von Nebenbestimmungen mit der Folge, dass das Fahrzeug – im Fall der Nebenbestimmung: bis zur Nachrüstung – keinem genehmigten Typ mehr entsprach. Der Hauptzweck eines - wie hier - für den eigenen Gebrauch erworbenen Fahrzeugs, dieses im öffentlichen Straßenverkehr zu nutzen, war damit bereits vor einer tatsächlichen Stilllegung unmittelbar gefährdet. Denn wenn die EG-Typgenehmigung entzogen wird, droht die Stilllegung des Fahrzeugs; werden Nebenbestimmungen angeordnet, ist die fortdauernde Nutzbarkeit von einer Nachrüstung des Fahrzeugs durch den Hersteller abhängig. Das streitgegenständliche Fahrzeug war mithin für die Zwecke der Klägerin nicht voll brauchbar, der Abschluss des Kaufvertrags begründete damit nach allgemeiner Lebenserfahrung für die Klägerin eine so nicht gewollte Verbindlichkeit. Ist der Schaden gemäß § 249 Abs. 1 BGB damit bereits mit dem Abschluss des Kaufvertrages eingetreten, kommt es - auch unter dem Gesichtspunkt von Treu und Glauben (§ 242 BGB) - auf die nachträglichen Maßnahmen der Beklagten zur Schadenswiedergutmachung in Form des so genannten Software-Updates nicht an (ebenso BGH, Urteil vom 25. Mai 2020 - VI ZR 252/19, juris Rn. 58).
(3) Der Schaden wurde auch durch das Handeln der Beklagten verursacht. Nach dem Vortrag der Klägerin hätte diese das Fahrzeug nicht gekauft, wenn sie von der (typengenehmigungswidrigen) Manipulation gewusst hätte. Es entspricht der allgemeinen Lebenserfahrung, dass Kraftfahrzeugkäufer vom Kauf eines Fahrzeugs Abstand nehmen würden, bei dem – ihnen bekannt – behördliche Maßnahmen bis hin zur Stilllegung drohen; dies im vorliegenden Fall anders zu sehen, besteht keine Veranlassung. Denn Zweck des Autokaufs ist grundsätzlich – abgesehen von hier nicht einschlägigen Sonderkonstellationen – der Erwerb zur Fortbewegung im öffentlichen Straßenverkehr. Unerheblich ist, dass die Klägerin das Fahrzeug nicht direkt von der Beklagten selbst erworben hat, sondern vielmehr von einer Händlerin. Die Beklagte hat den Kausalverlauf bereits durch das Inverkehrbringen des Motors in Gang gesetzt. Es war auch vorliegend zu erwarten, dass – wie allgemein – der Fahrzeughändler lediglich das ihm durch die Herstellerin des Fahrzeugs vermittelte Wissen weitergibt und der Käufer daher insoweit auf die Herstellerangaben sowie auf die Seriosität auch des Motoren-Herstellers vertraut (so auch Schleswig-Holsteinisches Oberlandesgericht, Urteil vom 22. November 2019 – 17 U 44/19 –, Rdnr. 58 bei juris).
dd) Die Schadenszufügung erfolgte vorsätzlich und in Kenntnis der die Sittenwidrigkeit begründenden Umstände.
Der von § 826 BGB vorausgesetzte Schädigungsvorsatz bezieht sich darauf, dass durch die Handlung einem anderen Schaden zugefügt wird. Er enthält ein Wissens- und Wollenselement. Es genügt daher nicht, wenn die relevanten Tatumstände lediglich objektiv erkennbar waren und der Handelnde sie hätte kennen können oder kennen müssen oder sie sich ihm sogar hätten aufdrängen müssen; in einer solchen Situation ist lediglich ein Fahrlässigkeitsvorwurf gerechtfertigt. Andererseits setzt § 826 BGB keine Schädigungsabsicht im Sinne eines Beweggrundes oder Zieles voraus. Vielmehr genügt für den Vorsatz im Rahmen des § 826 BGB nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ein Eventualvorsatz. Dabei braucht der Täter nicht im Einzelnen zu wissen, welche oder wie viele Personen durch sein Verhalten geschädigt werden; vielmehr reicht aus, dass er die Richtung, in der sich sein Verhalten zum Schaden irgendwelcher anderer auswirken könnte, und die Art des möglicherweise eintretenden Schadens vorausgesehen und mindestens billigend in Kauf genommen hat. Wie stets bei inneren Tatsachen kann sich aus der Art und Weise des sittenwidrigen Handelns die Schlussfolgerung ergeben, dass mit Schädigungsvorsatz gehandelt worden ist; von vorsätzlichem Handeln ist auszugehen, wenn der Schädiger so leichtfertig gehandelt hat, dass er eine Schädigung des anderen Teils in Kauf genommen haben muss. Für den eigens festzustellenden subjektiven Tatbestand der Sittenwidrigkeit genügt hingegen die Kenntnis der tatsächlichen Umstände, die das Sittenwidrigkeitsurteil begründen (vgl. BGH, Urteil vom 25. Mai 2020 - VI ZR 252/19, juris Rn. 62; OLG Karlsruhe, Urteil vom 19. November 2019 – 17 U 146/19, WM 2020, 325, juris Rn. 50; OLG München, Urteil vom 15. Januar 2020 – 20 U 3219/18, juris Rn. 48 unter Hinweis auf BGH, Urteil vom 28. Juni 2016 – VI ZR 536/15, NJW 2017, 250, Rn. 25, sowie auf BGH, Urteil vom 13. September 2004, II ZR 276/02, NJW 2004, 3706; BGH, Urteil vom 11. September 2012 – VI ZR 92/11, WM 2012, 2195 Rn. 31).
Nach diesen Maßstäben ist vorliegend anzunehmen, dass Repräsentanten der Beklagten, deren Verhalten sie sich wie erläutert entsprechend § 31 BGB zurechnen lassen muss, die erwähnten Entscheidungen in Kenntnis ihrer möglichen Folgen trafen, jahrelang umsetzten und folglich die Schädigung der Käufer von Fahrzeugen, in deren Motor die manipulative Software zum Einsatz kam, zumindest billigend in Kauf nahmen – und dies in Kenntnis derjenigen oben angeführten Umstände, die die Sittenwidrigkeit dieser Entscheidung begründen. Denn das Handeln zielte in seiner Gesamtheit gerade darauf, dass ahnungslose Käufer die mit den Motoren und ihrer Software ausgestatteten Fahrzeuge der Beklagten oder ihrer konzernangehörigen Gesellschaften und damit ein Produkt erwarben, das sie bei ausreichender Kenntnis der wahren Umstände nicht erworben hätten.
b) Dem Anspruch steht auch nicht gemäß § 214 Abs. 1 BGB die von der Beklagten erhobene Verjährungseinrede entgegen. Die Verjährung des Anspruchs aus § 826 ZPO richtet sich nach §§ 195, 199 BGB.
aa) Die Verjährungsfrist beträgt drei Jahre und beginnt mit dem Schluss des Jahres, in dem der Anspruch entstanden ist und der Gläubiger von den anspruchsbegründenden Umständen und der Person des Schuldners Kenntnis erlangt oder ohne grobe Fahrlässigkeit erlangen müsste. Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs liegt die nach § 199 Abs. 1 Nr. 2 BGB erforderliche Kenntnis von den anspruchsbegründenden Umständen im Allgemeinen vor, wenn dem Geschädigten die Erhebung einer Schadensersatzklage, sei es auch nur in Form der Feststellungsklage, Erfolg versprechend, wenn auch nicht risikolos, möglich ist (BGH, Versäumnisurteil vom 17. Juni 2016 - V ZR 34/15, NJW 2017, 248 Rn. 10). Es ist weder erforderlich, dass der Gläubiger alle Einzelumstände kennt, die für die Beurteilung möglicherweise Bedeutung haben, noch muss er bereits hinreichend sichere Beweismittel in der Hand haben, um einen Rechtsstreit im Wesentlichen risikolos führen zu können. Auf eine zutreffende rechtliche Würdigung kommt es dabei grundsätzlich nicht an (BGH, Urteil vom 8. Mai 2014 - I ZR 217/12, juris Rn. 38). Die Kenntnis ist aber nicht schon dann gegeben, wenn der Geschädigte lediglich von Anknüpfungstatsachen weiß. Für eine Kenntnis der den Anspruch begründenden Umstände muss vielmehr hinzukommen, dass der Geschädigte aus den Anknüpfungstatsachen den Schluss auf eine Pflichtverletzung durch eine bestimmte Person zieht oder infolge grober Fahrlässigkeit nicht gezogen hat. Die Darlegungs- und Beweislast für Beginn und Ablauf der Verjährung und damit für die Kenntnis oder grob fahrlässige Unkenntnis des Gläubigers gemäß § 199 Abs. 1 Nr. 2 BGB trägt der Schuldner. Soweit es um Umstände aus der Sphäre des Gläubigers geht, hat er an der Sachaufklärung mitzuwirken und erforderlichenfalls darzulegen, was er zur Ermittlung der Voraussetzungen seiner Ansprüche und der Person des Schuldners getan hat (BGH, Versäumnisurteil vom 17. Juni 2016 - V ZR 34/15, NJW 2017, 248 Rn. 10 ff.).
Der Schadensersatzanspruch ist demnach zwar schon mit Abschluss des Kaufvertrages im Jahr 2012 entstanden, es lässt sich jedoch nicht feststellen, dass die Klägerin vor Ablauf des Jahres 2015 Kenntnis davon erlangt hat, dass ihr Fahrzeug überhaupt von der als Dieselskandal bekannt gewordenen Problematik betroffen war. Zwar war der sog. Dieselskandal ab Herbst 2015, beginnend mit den Pressemitteilungen der Beklagten vom 22. September 2015 und vom 16. Oktober 2015, in der Medienberichterstattung omnipräsent. Die Klägerin hat aber im Rahmen ihrer persönlichen Anhörung durch den Senat plausibel dargelegt, dass sie nicht davon ausgegangen sei, dass ihr Fahrzeug betroffen sei, weil sie ein Fahrzeug erworben hatte, welches AdBlue nutzt und von der Klägerin daher für unweltfreundlich gehalten wurde. Sie hat nachvollziehbar ausgeführt, dass sie (auch im Gespräch mit ihrem Lebensgefährten) angenommen habe, aufgrund dieser - nach ihrem Verständnis neuen Technologie - von der Abgasproblematik nicht betroffen zu sein. Erst durch ein Schreiben des KBA, welches sie frühestens Oktober 2016 erhalten habe, habe sie schließlich Kenntnis davon erlangt, dass auch ihr Fahrzeug betroffen sei.
Eine andere Bewertung folgt entgegen der Auffassung der Beklagten auch nicht aus der Entscheidung des Bundesgerichtshofs vom 17. Dezember 2020 - VI ZR 739/20, in welcher der BGH - was die Beklagte letztlich selbst sieht - nicht allein auf die Kenntnis der Dieselproblematik abstellt, sondern auch auf die Kenntnis von der Betroffenheit des eigenen Fahrzeugs, an der es - wie vorstehend festgestellt - hier gerade fehlt.
Vor Erhalt dieses Anschreibens ist auch keine grob fahrlässige Unkenntnis der Klägerin festzustellen. Grobe Fahrlässigkeit setzt einen objektiv schwerwiegenden und subjektiv nicht entschuldbaren Verstoß gegen die Anforderungen der im Verkehr erforderlichen Sorgfalt voraus. Grob fahrlässige Unkenntnis im Sinne des § 199 Abs. 1 Nr. 2 BGB liegt nur vor, wenn dem Gläubiger die Kenntnis deshalb fehlt, weil er ganz naheliegende Überlegungen nicht angestellt und das nicht beachtet hat, was im gegebenen Fall jedem hätte einleuchten müssen. Dem Gläubiger muss persönlich ein schwerer Obliegenheitsverstoß in seiner eigenen Angelegenheit der Anspruchsverfolgung, mithin ein besonders schwerwiegendes Verschulden gegen sich selbst vorgeworfen werden können (BGH, Urteil vom 10. November 2009 - VI ZR 247/08, juris Rn. 13). Für den Gläubiger besteht keine generelle Obliegenheit, im Interesse des Schädigers an einem möglichst frühzeitigen Beginn der Verjährungsfrist Initiative zur Klärung von Schadenshergang oder Person des Schädigers zu entfalten (BGH, Urteil vom 10. November 2009 - VI ZR 247/08, juris Rn. 15). Für die Frage, unter welchen Voraussetzungen der Gläubiger zur Vermeidung der groben Fahrlässigkeit zu einer aktiven Ermittlung gehalten ist, kommt es vielmehr auf die Umstände des Einzelfalls an. Das Unterlassen von Nachforschungen ist ebenso nur dann als grob fahrlässig einzustufen, wenn weitere Umstände hinzutreten, die das Unterlassen aus der Sicht eines verständigen und auf seine Interessen bedachten Geschädigten als unverständlich erscheinen lassen. Für den Gläubiger müssen konkrete Anhaltspunkte für das Bestehen eines Anspruchs ersichtlich sein und sich ihm der Verdacht einer möglichen Schädigung aufdrängen (BGH, Urteil vom 10. November 2009 - VI ZR 247/08, juris Rn. 16).
Nach diesen Maßstäben kann der Klägerin nicht vorgeworfen werden, sich nicht bereits im Jahr 2015 erkundigt zu haben, ob ihr Fahrzeug von dem sog. Dieselskandal betroffen ist. Zwar hatte die Beklagte im Herbst 2015 darüber informiert, dass sie eine Website eingerichtet habe, auf der jeder durch Eingabe seiner Fahrzeugidentifikationsnummer feststellen konnte, ob das eigene Fahrzeug mit der streitgegenständlichen Software zur Abgasmanipulation ausgestattet war. Auch wenn dies Gegenstand der Medienberichterstattung war, kann der Klägerin angesichts der - wie oben ausgeführt - plausiblen Erläuterung, nicht von einer Betroffenheit ihres Fahrzeugs ausgegangen zu sein, nicht zur Last gelegt werden, dass sie die Möglichkeit einer Prüfung nicht genutzt hat. Die bloße Möglichkeit, sich über allgemein zugängliche Quellen weitere Informationen zu beschaffen, genügt nicht, um der Klägerin den Vorwurf der grob fahrlässigen Unkenntnis zu machen. Soweit die Auffassung vertreten wird, es sei geradezu unverständlich, die naheliegende und unschwer zugängliche Informationsquelle der Internetabfrage nicht in Anspruch genommen zu haben, auch ohne von den Behörden oder der Herstellerin des Motors individuell und unmittelbar durch direktes Anschreiben darauf aufmerksam gemacht worden zu sein, und damit eine grobe Fahrlässigkeit bejaht wird (OLG Stuttgart, Urteil vom 7. April 2020 – 10 U 455/19, juris Rn. 51 und 52; OLG München, Hinweisbeschluss vom 5. Februar 2020 - 3 U 7392/19, juris Rn. 4; OLG Köln, Beschluss vom 4. März 2020 - 26 U 73/19, juris Rn. 10 ff.), werden die Anforderungen überspannt (so im Ergebnis auch OLG Oldenburg, Urteil vom 21. Februar 2020 - 6 U 286/19, juris Rn. 77).
bb) Die Verjährung begann demnach erst mit Schluss des Jahres 2016 zu laufen, so dass bei Eingang der Klage bei Gericht am 31. Dezember 2019 die dreijährige Verjährungsfrist noch nicht abgelaufen war. Soweit der Senat noch im Termin am 7. April 2021 ausgeführt hat, dass sich der Eingang der Klage aus der Akte erst für den 7. Januar 2020 feststellen ließe, hat er bereits mit Beschluss vom 4. Mai 2021 darauf hingewiesen, dass sich zwar ein nur einseitiger Faxausdruck einer Klageschrift in der Akte befinde, der als Eingangsdatum den 7. Januar 2020 ausweise, sich aber bei nochmaliger Überprüfung der Akte ergeben habe, dass den Anlagen zum Original der Klageschrift ein tatsächlich den 31. Dezember 2019 ausweisender Transfervermerk einer per beA übermittelten Klageschrift nachfolge.
cc) Mit dem rechtzeitigen Eingang der Klageschrift bei Gericht ist die Verjährung gem. § 204 Abs. 1 Nr. 1 BGB gehemmt worden, nachdem die Klageschrift iSd § 167 ZPO „demnächst“ zugestellt worden ist.
Ob eine Zustellung „demnächst“ iSv § 167 ZPO erfolgt ist, beurteilt sich nach dem Sinn und Zweck dieser Regelung. Danach soll die Partei bei der Zustellung von Amts wegen vor Nachteilen durch Zustellungsverzögerungen innerhalb des gerichtlichen Geschäftsbetriebs bewahrt werden. Dagegen sind der Partei die Verzögerungen zuzurechnen, die sie oder ihr Prozessbevollmächtigter (§ 85 Abs. 2 ZPO) bei gewissenhafter Prozessführung hätte vermeiden können. Eine Zustellung „demnächst“ nach Eingang des Antrags oder der Erklärung bedeutet daher eine Zustellung innerhalb einer nach den Umständen angemessenen, selbst längeren Frist, wenn die Partei oder ihr Prozessbevollmächtigter unter Berücksichtigung der Gesamtsituation alles Zumutbare für die alsbaldige Zustellung getan hat (vgl. BGH, Urteil vom 3. September 2015 – III ZR 66/14, NJW 2015, 3101 Rn. 15 m. zahlr. w. Nachw.).
So liegt der Fall hier. Zunächst durfte die Klägerin den Zugang der Gerichtskostenrechnung abwarten (vgl. BGH, Urteil vom 12. Januar 2016 – II ZR 280/14, juris Rn. 12, wonach hierfür bis zu drei Wochen gewartet werden kann). Selbst wenn man unterstellen würde, dass die Gerichtskostenrechnung vom 15. Januar 2020 die Prozessbevollmächtigten noch am selben Tage erreicht hätte, hätten diese sie zunächst prüfen und an die Klägerin (oder bei entsprechendem Auftrag an deren Rechtsschutzversicherung) weiterleiten müssen. Der dafür erforderliche Zeitraum ist im Allgemeinen mit drei Werktagen zu veranschlagen unter Ausklammerung des Eingangstages und von Wochenendtagen (BGH, Urteil vom 10. Dezember 2019 – II ZR 281/18, juris Rn. 10; BGH, Urteil vom 29. September 2017 – V ZR 103/16, juris Rn. 14). Sodann stand der Klägerin eine ausreichende, in der Regel eine Woche betragende, Frist zur Bereitstellung und Einzahlung des Gerichtskostenvorschuss zu (vgl. BGH, Urteil vom 29. September 2017 – V ZR 103/16, juris Rn. 9; BGH, Urteil vom 10. Dezember 2019 – II ZR 281/18, juris Rn. 11 unter ausdrücklicher Aufgabe einer zuvor angenommenen Einzahlungsfrist von nur 3 Tagen). Damit war bei Buchung des Kostenvorschusses am 29. Januar 2020 noch nicht einmal der der Klägerin ohnehin zur Prüfung und Einzahlung des Kostenvorschusses zuzubilligende Zeitraum überschritten und damit auch keine der Klägerin zuzurechnende Verzögerung entstanden. Darauf, ob die Kostenrechnung den Prozessbevollmächtigten der Klägerin tatsächlich erst am 20. Januar 2020 zugegangen ist, wie diese mit Schriftsatz vom 25. Juni 2021 mitgeteilt haben, kommt es danach nicht mehr ann.
c) Der von der Beklagten der Klägerin zu ersetzende Schaden umfasst vorliegend den für das streitgegenständliche Fahrzeug aufgewandten (Netto-)Kaufpreis abzüglich des Verkaufserlöses und einer Nutzungsentschädigung.
Der Schadensersatzanspruch aus § 826 BGB ist gemäß § 249 BGB auf Ersatz des negativen Interesses gerichtet. Der Geschädigte kann verlangen, so gestellt zu werden, wie er ohne Eintritt des schädigenden Ereignisses stünde. Besteht der Schaden in dem Abschluss eines ungewollten Vertrages, kann dem durch Rückabwicklung des ungewollten Vertrages auch gegenüber einem Dritten (OLG München, Urteil vom 20. August 1999 – 14 U 860/98, DAR 1999, 506) Rechnung getragen werden.
Hiervon ausgehend, hat die Klägerin einen Anspruch auf Erstattung des an die Verkäuferin im 2012 gezahlten (Netto-)Kaufpreises abzüglich einer Nutzungsentschädigung und des aufgrund der Weiterveräußerung des Fahrzeugs erzielten Verkaufserlöses.
aa) Als Kaufpreis ist hier der von der Klägerin im Jahre 2012 gezahlte Nettokaufpreis in Höhe von 23.861,35 Euro in Ansatz zu bringen, da die Klägerin - was sie im Rahmen ihrer mündlichen Anhörung vor dem Senat eingeräumt hat - vorsteuerabzugsberechtigt ist (vgl. OLG Stuttgart, Urteil vom 19. Februar 2020 – 4 U 149/19, juris Rn. 76; OLG Oldenburg, Urteil vom 14. Januar 2021 – 1 U 160/20, juris Rn. 68).
bb) Sie muss sich aber im Wege der Vorteilsausgleichung auch die tatsächlich gezogenen Nutzungen anrechnen lassen (ebenso bereits Senat, Urteile vom 4. März 2020 - 4 U 58/19 sowie 4 U 65/19 und vom 3. Juni 2020 - 4 U 139/19).
(1) In der höchstrichterlichen Rechtsprechung ist geklärt, dass nach den Grundsätzen der Vorteilsausgleichung dem Geschädigten neben dem Ersatzanspruch nicht die Vorteile verbleiben dürfen, die ihm durch das schädigende Ereignis zugeflossen sind. Gleichartige Gegenansprüche sind automatisch zu saldieren; sind der Ersatzanspruch und der Vorteil nicht gleichartig, muss der Schädiger den Schadensersatz nur Zug um Zug gegen Herausgabe des Vorteils leisten. Der Anspruch des Geschädigten ist von vornherein nur mit der Einschränkung begründet, dass er die erlangten Vorteile herausgeben muss (siehe nur BGH, Urteil vom 23. Juni 2015 – XI ZR 536/14, NJW 2015, 3160, Rn. 23 f).
Die Grundsätze der Vorteilsausgleichung gelten - wie der BGH etwa in seinem Urteil vom 25. Mai 2020 - VI ZR 252/19 bestätigt hat - auch für einen Anspruch aus vorsätzlicher Schädigung gemäß § 826 BGB. Eine Vorteilsausgleichung kommt zwar nur in Betracht, wenn sie den Geschädigten nicht unzumutbar belastet und den Schädiger nicht unbillig entlastet (ständige Rechtsprechung des BGH, siehe nur Beschluss vom 1. Juni 2010 – VI ZR 346/08, juris Rn. 17, Urteil vom 24. März 1959 – VI ZR 90/58, NJW 1959, 1078), die Mitteilung des Kilometerstandes und die Herausgabe der nach tatsächlich gefahrenen Kilometern, Gesamtlaufzeit des Fahrzeugs und Kaufpreis ermittelten Nutzungen sind einem Kläger aber nicht unzumutbar und die Beklagte als Schädiger wird durch den Abzug der nach der üblichen Formel errechneten Nutzungsvorteile auch nicht unbillig begünstigt.
(2) Der anzurechnende Nutzungsvorteil ist gemäß § 287 ZPO anhand des linearen Wertschwundes, also des anteiligen Verhältnisses des Preises des Fahrzeugerwerbes zur erwartbaren Gesamtlaufleistung des Fahrzeuges einerseits und den gefahrenen Kilometern andererseits, zu schätzen (vgl. BGH, Urteil vom 25. Mai 2020 - VI ZR 252/19, juris Rn. 80; OLG München, Urteil vom 15. Januar 2020 – 20 U 3219/18; OLG Karlsruhe, Urteil vom 19. November 2019 – 17 U 146/19, WM 2020, 325). Der Senat schätzt die für das streitgegenständliche Fahrzeug zugrunde zu legende Gesamtlaufleistung auf 300.000 km. Unter Berücksichtigung des nach Verkauf des Fahrzeugs unstreitigen Kilometerstandes bei Verkauf von 239.255 km errechnet sich die von der Klägerin zu entrichtende Nutzungsentschädigung nach der Formel:
Nettokaufpreis : Restlaufzeit im Erwerbszeitpunkt x (nach Erwerb) gefahrene Kilometer
auf 18.957,26 Euro (23.861,35 Euro : (300.000 km - 4.439 km) x (239.255 km - 4.439 km). Zieht man diesen Betrag vom Nettokaufpreis ab, verbleibt zunächst ein Betrag von 4.904,09 Euro.
Es besteht kein Grund, den so errechneten Nutzungsvorteil im Hinblick auf die unzulässige Abschalteinrichtung herabzusetzen; die fortdauernde Nutzbarkeit des Pkw war allein aus Rechtsgründen nicht sichergestellt, auf den tatsächlichen Gebrauch hatte dies aber keinerlei Auswirkungen. Jedenfalls hat die Klägerin hierzu nichts vorgetragen.
(3) Von diesem Betrag ist sodann der Verkaufserlös von 3.000,00 Euro in Abzug zu bringen, womit ein Restbetrag von 1.904,09 Euro verbleibt.
Die Weiterveräußerung des Fahrzeugs lässt den Schaden nicht entfallen (so auch OLG Stuttgart, Urteil vom 29. September 2020 – 12 U 449/20, juris Rn. 33; OLG Frankfurt, Urteil vom 18. Dezember 2020 – 13 U 326/19, juris Rn. 23, OLG Koblenz, Urteil vom 26. Januar 2021 – 3 U 1283/20, juris Rn. 25; OLG Nürnberg, Urteil vom 28. April 2021 – 12 U 3275/19, juris Rn. 45 ff.; OLG Karlsruhe, Urteil vom 4. Mai 2021 – 17 U 31/20, juris Rn. 82; OLG Brandenburg, Urteil vom 8. März 2021 – 1 U 56/20, juris Rn. 31; a. A. Schleswig-Holsteinisches Oberlandesgericht, Urteil vom 22. November 2019 - 17 U 70/19, juris Rn. 28 f. und OLG Celle, Urteil vom 19. Februar 2020 - 7 U 424/18, BeckRS 2020, 6243 Rn. 9 ff.). Wie die Beklagte selbst unter Hinweis auf die Entscheidung des Bundesgerichtshofs vom 25. Mai 2020 ausführt, soll der Schadensersatzanspruch vorliegend das wirtschaftliche Selbstbestimmungsrecht des Käufers wiederherstellen (vgl. BGH, Urteil vom 25. Mai 2020 – VI ZR 252/19, juris Rn. 47 und 58). Demgemäß ist der Anspruch darauf gerichtet, die Klägerin so zu stellen, als ob sie den Vertrag nicht abgeschlossen hätte (vgl. BGH, Urteil vom 25. Mai 2020 – VI ZR 252/19, juris Rn. 55). Die damit geschuldete Befreiung von dem ungewollten Kaufvertrag wird aber durch den Weiterverkauf gerade nicht vollständig kompensiert, weil sich die Klägerin hierdurch lediglich zum Teil der Folgen des ungewollten Vertragsschlusses in Gestalt von Eigentum und Besitz entledigt (vgl. OLG Karlsruhe, Urteil vom 4. Mai 2021 – 17 U 31/20, juris Rn. 82; OLG Koblenz, Urteil vom 26. Januar 2021 – 3 U 1283/20, juris Rn. 25; OLG Nürnberg, Urteil vom 28. April 2021 – 12 U 3275/19, juris Rn. 49). An der Belastung mit dem ungewollten Kaufvertrag ändert der Weiterverkauf aber grundsätzlich nichts.
Der Senat teilt auch nicht die Ansicht der Beklagten, wonach der Anspruch durch die Weiterveräußerung untergegangen sei. Anders als in den von der Beklagten zitierten Entscheidungen des Bundesgerichtshofs vom 2. Oktober 1981 – V ZR 147/80 – und vom 5. März 1993 – V ZR 87/91, denen Sachverhalte zugrunde lagen, bei denen die Herstellung in Natur nach § 249 Abs. 1 BGB aufgrund eines zwischenzeitlichen Verkaufs des betroffenen Rechtsguts unmöglich geworden war, wird die hier in Rede stehende Herstellung der Integrität des wirtschaftlichen Selbstbestimmungsrechts der Klägerin durch den Weiterverkauf des Fahrzeugs nämlich gerade nicht beeinträchtigt (vgl. auch OLG Frankfurt, Urteil vom 18. Dezember 2020 – 13 U 326/19, juris Rn. 24; OLG Nürnberg, Urteil vom 28. April 2021 – 12 U 3275/19, juris Rn. 49).
Die Klägerin muss sich vielmehr nach den oben bereits skizzierten Grundsätzen der Vorteilsausgleichung lediglich den Verkaufserlös auf den Ersatzanspruch - wie geschehen - anrechnen lassen (vgl. OLG Frankfurt, Urteil vom 18. Dezember 2020 – 13 U 326/19, juris Rn. 23; OLG Koblenz, Urteil vom 26. Januar 2021 – 3 U 1283/20, juris Rn. 26 m. w. Nachw.).
2. Der Zinsanspruch folgt aus §§ 288, 291 BGB, allerdings nur in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz, weil es sich bei dem hier geltend gemachten Anspruch nicht um eine Entgeltforderung im Sinne des § 288 Abs. 2 BGB handelt (vgl. OLG Oldenburg, Urteil vom 14. Januar 2021 – 1 U 160/20, juris Rn. 82; Lorenz, in: BeckOK BGB, 58. Edition mit Stand 1. Mai 2021, § 286 Rn. 41).
3. Ein Anspruch auf vorgerichtliche Rechtsanwaltskosten besteht indes nicht. Die Klägerin hat einen solchen Anspruch schon nicht schlüssig dargelegt.
Ob eine vorprozessuale anwaltliche Zahlungsaufforderung eine Geschäftsgebühr nach Nr. 2300 VV RVG auslöst oder als der Vorbereitung der Klage dienende Tätigkeit nach § 19 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 RVG zum Rechtszug gehört und daher mit der Verfahrensgebühr nach Nr. 3100 VV RVG abgegolten ist, ist eine Frage der Art und des Umfangs des im Einzelfall erteilten Mandats. Erteilt der Mandant den unbedingten Auftrag, im gerichtlichen Verfahren tätig zu werden (vgl. Vorbemerkung 3 Abs. 1 Satz 1 VV RVG), lösen bereits Vorbereitungshandlungen die Gebühren für das gerichtliche Verfahren aus, und zwar auch dann, wenn der Anwalt zunächst nur außergerichtlich tätig wird. Für das Entstehen der Geschäftsgebühr nach Nr. 2300 VV RVG ist dann kein Raum mehr. Anders liegt es, wenn sich der Auftrag nur auf die außergerichtliche Tätigkeit des Anwalts beschränkt oder der Prozessauftrag jedenfalls unter der aufschiebenden Bedingung erteilt wird, dass zunächst vorzunehmende außergerichtliche Einigungsversuche erfolglos bleiben (vgl. Insgesamt hierzu OLG Karlsruhe, Urteil vom 8. Juni 2021 – 17 U 1162/19, juris Rn. 112). Ein lediglich (aufschiebend) bedingt für den Fall des Scheiterns des vorgerichtlichen Mandats erteilter Prozessauftrag steht der Gebühr aus Nr. 2300 VV RVG nicht entgegen (vgl. BGH, Urteil vom 15. August 2019 – III ZR 205/17, juris Rn. 43).
Die Klägerin hat, wozu sie mit Blick auf § 139 Abs. 2 Satz 1 ZPO auch ohne gesonderten gerichtlichen Hinweis gehalten gewesen wäre, zu Zeitpunkt und Umfang der konkreten Beauftragung nicht vorgetragen, während nach den zeitlichen Abläufen im Übrigen sogar einiges dafür spricht, dass von Anfang an ein unbedingter Auftrag erteilt worden ist, die Ansprüche im Klageverfahren geltend zu machen. Dass die Klägerin lediglich einen bedingt für den Fall des Scheiterns des vorgerichtlichen Mandats erteilten Prozessauftrag erteilt hat, liegt schon deshalb fern, weil die Klägervertreter dann ohne entsprechendes Mandat am 31. Dezember 2019 Klage eingereicht hätten. Zu diesem Zeitpunkt lief nämlich die von ihnen selbst zur außergerichtlichen Regulierung bis zum 6. Januar 2020 gesetzte Frist noch. In Anbetracht des engen zeitlichen Zusammenhangs zwischen dem außergerichtlichen Schreiben und der Einreichung der Klage von nur einem Tag spricht auch nichts dafür, dass erst nach Erteilung des außergerichtlichen Mandats der Klageauftrag erteilt worden wäre.
Damit kommt es nicht mehr entscheidend darauf an, ob die - etwaige - Beauftragung ihrer späteren Prozessbevollmächtigten mit einer außergerichtlichen Geltendmachung der Ansprüche im vorliegenden Einzelfall zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung erforderlich war. Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs hat der Schädiger allerdings nicht schlechthin alle durch das Schadensereignis adäquat verursachten Rechtsanwaltskosten zu ersetzen, sondern nur solche, die aus Sicht des Geschädigten zur Wahrnehmung seiner Rechte erforderlich und zweckmäßig waren (vgl. BGH, Urteil vom 29. Oktober 2019 – VI ZR 45/19, juris Rn. 21 m. zahlr. Nachw.). Hieran bestehen vorliegend deshalb erhebliche Zweifel, weil die Klägerin nicht mehr ernsthaft hat davon ausgehen können, dass ihre außergerichtlichen Bemühungen erfolgreich sein könnten, wenn nahezu zeitgleich mit dem vorgerichtlichen Aufforderungsschreiben und noch innerhalb der laufenden Frist ohnehin zur Verjährungshemmung Klage erhoben wird.
4. Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 92 Abs. 1, 516 Abs. 3 ZPO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus §§ 708 Nr. 10, 713 ZPO.
5. Die Zulassung der Revision ist zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung (§ 543 Abs. 2 Nr. 2 ZPO) zuzulassen, weil bezüglich der Frage, ob die Weiterveräußerung des Fahrzeugs den Schaden entfallen lässt, eine divergierende obergerichtliche Rechtsprechung vorliegt (vgl. die insoweit von der Auffassung des Senats abweichenden Entscheidungen des Schleswig-Holsteinischen Oberlandesgerichts vom 22. November 2019 - 17 U 70/19, juris Rn. 28 f. und des OLG Celle vom 19. Februar 2020 - 7 U 424/18, BeckRS 2020, 6243 Rn. 9 ff.).
6. Die Streitwertfestsetzung folgt aus § 3 ZPO i. V. m. §§ 47, 48 GKG.