Gericht | VG Cottbus 8. Kammer | Entscheidungsdatum | 03.09.2021 | |
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Aktenzeichen | VG 8 L 229/21 | ECLI | ECLI:DE:VGCOTTB:2021:0903.8L229.21.00 | |
Dokumententyp | Beschluss | Verfahrensgang | - | |
Normen | § 24 Abs 2 SGB 8, § 5 SGB 8, § 78b SGB 8 |
Das Verfahren wird eingestellt.
Die Kosten des Verfahrens, für das Gerichtskosten nicht erhoben werden (§ 188 Satz 2 VwGO), tragen die Antragstellerin und die Antragsgegnerin zu 1. je zur Hälfte mit Ausnahme der außergerichtlichen Kosten des Antragsgegners zu 2., die die Antragstellerin trägt.
Der Gegenstandswert der anwaltlichen Tätigkeit wird auf 20.000,00 Euro festgesetzt.
Das Verfahren ist in entsprechender Anwendung der §§ 92 Abs. 3 Satz 1, 161 Abs. 2 Satz 1 der Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) einzustellen.
Soweit die Antragstellerin ihren Antrag zu 3. und die gegen den Antragsgegner zu 2. gerichteten Hilfsanträge mit Schriftsatz vom 3. Juli 2021 zurückgenommen hat, hat sie gemäß § 155 Abs. 2 VwGO die Kosten zu tragen.
Soweit die Antragstellerin und die Antragsgegnerin den Rechtsstreit in der Hauptsache für erledigt erklärt haben, ist über die Kosten des Verfahrens nach billigem Ermessen unter Berücksichtigung des bisherigen Sach- und Streitstandes zu entscheiden (§ 161 Abs. 2 der VwGO).
Unter den gegebenen Umständen entspricht es billigem Ermessen, die diesbezüglichen Kosten der Antragsgegnerin zu 1. aufzuerlegen, wobei die Kammer die Anträge zu 1. und 2. der Antragstellerin insoweit als auf dasselbe Ziel gerichtet bewertet. Insofern spricht Überwiegendes dafür, dass das mit diesen Anträgen letztlich verfolgte Begehren, ein gegen die Aufnahme der Antragstellerin in die in privater Trägerschaft betriebene Kindertagesstätte „V...“ gerichtetes Vorgehen der Antragsgegnerin zu 1. zu unterbinden, erfolgreich gewesen wäre.
Die am 24. September 2019 geborene Antragstellerin hat gemäß § 24 Abs. 2 des Achten Buches des Sozialgesetzbuches (SGB VIII) i. V. m. § 1 Abs. 2 des Kindertagesstättengesetzes (KitaG) einen Rechtsanspruch auf Erziehung, Bildung, Betreuung und Versorgung in einer ihrem individuellen Bedarf entsprechenden Kindertagesbetreuungseinrichtung. Dieser Anspruch hatte sich hier unter Berücksichtigung des Wunsch- und Wahlrechtes gemäß § 5 SGB VIII auf eine Betreuung in der Kindertagesstätte „V...“ in K... verdichtet, nachdem in der Einrichtung ein freier Platz vorhanden war und der Bürgermeister der Wohnortgemeinde der Antragstellerin Z... mit Schreiben vom 15. Juni 2021 gegenüber der Antragsgegnerin zu 1. eine diesbezügliche Kostenübernahmeerklärung gemäß § 16 Abs. 5 Satz 1 KitaG abgegeben und einen Anspruch auf einen Betreuungsumfang von 45 Wochenstunden festgestellt hat.
Diesem Anspruch kann die Antragsgegnerin zu 1. nicht erfolgreich entgegenhalten, dass die strukturell begrenzten Kapazitäten freier Betreuungsplätze Kindern vorzuhalten seien, die ihren Wohnsitz in ihrem Stadtgebiet haben. Eine derart begründete Einschränkung des Wahlrechtes bei der Inanspruchnahme von Tageseinrichtungen lässt sich weder dem Wortlaut des § 5 SGB VIII noch Sinn und Zweck der Regelung noch dem brandenburgischen Landesrecht entnehmen. Das Wahlrecht ist vielmehr nicht räumlich – etwa auf den Bereich des örtlich zuständigen Jugendhilfeträgers – begrenzt; für die Kinder- und Jugendhilfe gilt nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichtes kein „Territorialitätsprinzip“ (vgl. Bundesverwaltungsgericht, Urteil vom 14. November 2002 – 5 C 57/01 –, juris Rn. 14; Hessischer Verwaltungsgerichtshof, Beschluss vom 10. Januar 2017 – 10 B 2923/16 –, juris Rn. 9; Wiesner in Wiesner, SGB VIII, 5. Aufl. 2015, § 5 Rn. 10). Der Träger der öffentlichen Jugendhilfe hat daher grundsätzlich auch keine rechtliche Handhabe, öffentlich-rechtliche oder freie und private Träger von Kindertageseinrichtungen zur Aufnahme eines bestimmten Kindes zu verpflichten oder eine Aufnahme zu untersagen.
Etwas Anderes ergibt sich vorliegend auch nicht aus der von der Antragsgegnerin zu 1. mit dem Träger der Kindertagesstätte „V...“ geschlossenen Vertrag zum Kita-Betrieb und zur Finanzierung des Kinderbetreuungsangebotes. Zwar eröffnen die in § 78b SGB VIII vorgesehenen Vereinbarungen dem Träger der öffentlichen Jugendhilfe die hier durch öffentlich-rechtlichen Vertrag gemäß § 12 Abs. 1 KitaG auf die Antragsgegnerin zu 1. übertragene Möglichkeit, auf die Gestaltung der Leistungsinhalte und die Höhe der Entgelte durch freie Träger Einfluss zu nehmen (vgl. Hessischer Verwaltungsgerichtshof, Beschluss vom 10. Januar 2017 – 10 B 2923/16 –, juris Rn. 12; Verwaltungsgericht Hannover, Beschluss vom 23. September 2019 – 3 B 3832/19 -, juris Rn. 14; Wiesner in Wiesner, SGB VIII, 5. Aufl. 2015, § 5 Rn. 9). Die hier getroffene Vereinbarung enthält jedoch weder das Verbot, Kinder aufzunehmen, die ihren Wohnsitz nicht im Stadtgebiet haben, noch ein Zustimmungserfordernis für den Fall, dass ein Betreuungsplatz an ein solches Kind vergeben werden soll. Vielmehr bestimmt § 5 Abs. 2 des Vertrages lediglich, dass die Aufnahme bevorzugt (Hervorhebung durch das Gericht) von Kindern mit gewöhnlichen Aufenthalt in K... erfolgt.
Ohnehin würde eine Regelung, die die Aufnahme eines „ortsfremden“ Kindes generell verbietet oder von der Zustimmung der Gemeinde abhängig macht, einer rechtlichen Überprüfung aller Voraussicht nach nicht standhalten. Denn hierdurch würde das gesetzgeberische Ziel sowohl des Bundes- als auch des Landesgesetzgebers, im Hinblick auf eine Verbesserung der Vereinbarkeit von Familie und Beruf eine stärkere Flexibilisierung bei der Wahl der Kindertageseinrichtung hinsichtlich der Örtlichkeit auch außerhalb der Wohngemeinde zu erreichen, geradezu unterlaufen und Kinder und ihre Eltern entgegen dieser Intention und damit ohne gesetzliche Grundlage für die Inanspruchnahme von Plätzen in einer Kindertagesstätte grundsätzlich auf ihre Heimatgemeinde "festgelegt" werden (vgl. auch Hessischer Verwaltungsgerichtshof, Beschluss vom 10. Januar 2017 – 10 B 2923/16 –, juris Rn. 14). Das durchaus nachvollziehbare Anliegen der Antragsgegnerin zu 1., sämtliche „einheimische“ Kinder mit bedarfsgerechten Betreuungsplätzen zu versorgen, kann nicht dazu führen, dass es freien Trägern abweichend von der geltenden Rechtslage pauschal untersagt wäre, auch „ortsfremde“ Kinder aufzunehmen.
Die Gegenstandswertfestsetzung entspricht dem gesetzlichen Auffangstreitwert (§§ 52 Abs. 2, 53 Abs. 2 des Gerichtskostengesetzes i.V.m. §§ 33 Abs. 1, 23 Abs. 1 des Rechtsanwaltsvergütungsgesetzes), wobei einerseits – wie oben bereits dargelegt – die Anträge zu 1. und 2. als auf dasselbe Begehren gerichtet gewertet werden, andererseits auch die gegen den Antragsgegner zu 2. gerichteten Hilfsanträge zu berücksichtigen waren und im Hinblick auf die vorliegend von der Antragstellerin angestrebte Vorwegnahme der Hauptsache von einer Halbierung des sich danach ergebenden Betrages abzusehen war.