Gericht | VG Cottbus 8. Kammer | Entscheidungsdatum | 09.09.2021 | |
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Aktenzeichen | VG 8 L 264/21 | ECLI | ECLI:DE:VGCOTTB:2021:0909.8L264.21.00 | |
Dokumententyp | Beschluss | Verfahrensgang | - | |
Normen | § 1 Abs 2 KitaG, § 1 Abs 3 S 2 KitaG, § 1 Abs 4 S 2 KitaG, § 123 Abs 1 S 2 VwGO, § 24 Abs 2 S 1 SGB 8 |
Der Antrag wird abgelehnt.
Der Antragsteller trägt die Kosten des Verfahrens, für das Gerichtskosten nicht erhoben werden.
Der sinngemäße Antrag des Antragstellers,
den Antragsgegner einstweilen zu verpflichten, ihm bis zu einer Entscheidung im Hauptsacheverfahren ab dem 01. September 2021, hilfsweise ab dem 01. November 2021, hilfsweise ab dem 01. Dezember 2021 einen bedarfsgerechten Betreuungsplatz in einer Kindertageseinrichtung mit einer Betreuungszeit von 10 Stunden täglich nachzuweisen,
hat keinen Erfolg.
Gemäß § 123 Abs. 1 Satz 2 der Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) kann das Gericht eine einstweilige Anordnung zur Regelung eines vorläufigen Zustandes in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis erlassen, wenn diese Regelung, vor allem bei dauernden Rechtsverhältnissen, um wesentliche Nachteile abzuwenden oder drohende Gewalt zu verhindern oder aus anderen Gründen nötig erscheint. Der von einem Antragsteller geltend gemachte Anspruch (Anordnungsanspruch) und die Notwendigkeit einer vorläufigen Regelung, also eine besondere Eilbedürftigkeit (Anordnungsgrund) sind von ihm glaubhaft zu machen, § 123 Abs. 3 VwGO i. V. m. § 920 Abs. 2 der Zivilprozessordnung. Erstrebt ein Antragsteller – wie hier – eine der Funktion des vorläufigen Rechtsschutzes grundsätzlich widersprechende teilweise oder gänzliche Vorwegnahme der Entscheidung der Hauptsache, kommt eine einstweilige Anordnung dabei nur ausnahmsweise in Betracht, wenn nämlich das Begehren in der Hauptsache schon auf Grund der im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes anzustellenden summarischen Prüfung des Sachverhaltes mit größter Wahrscheinlichkeit Erfolg haben wird und dem Antragsteller ohne die Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes schlechthin unzumutbare, nicht anders abwendbare Nachteile entstünden (vgl. Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 28. Juni 2010 – 4 S 98.09 -, juris Rn. 17 ff.; Oberverwaltungsgericht des Landes Sachsen-Anhalt, Beschluss vom 25. Juli 2012 – 1 M 65/12 -, juris Rn. 3).
Hier hat der Antragsteller jedenfalls das Bestehen eines Anordnungsanspruchs nicht glaubhaft gemacht.
Gemäß § 24 Abs. 2 Satz 1 des Achten Buches des Sozialgesetzbuches (SGB VIII) i. V. m. § 1 Abs. 2 Satz 2 des Kindertagesstättengesetzes (KitaG) haben Kinder bis zum vollendeten ersten Lebensjahr – unter diesen Personenkreis fällt der am 1. Dezember 2020 geborene Antragsteller – einen Rechtsanspruch auf Erziehung, Bildung, Betreuung und Versorgung in Kindertagesstätten, wenn ihre familiäre Situation, insbesondere die Erwerbstätigkeit, die häusliche Abwesenheit wegen Erwerbssuche, die Aus- und Fortbildung der Eltern oder ein besonderer Erziehungsbedarf eine Tagesbetreuung erforderlich macht. Gemäß § 1 Abs. 4 Satz 2 KitaG können für Kinder bis zum vollendeten dritten Lebensjahr auch andere Angebote, namentlich Kindertagespflege, Spielkreise und integrierte Ganztagsangebote bedarfserfüllend sein. Die Regelung des § 1 KitaG geht insoweit über die bundesgesetzliche Regelung hinaus, welche nur einen objektiv-rechtlichen Förderungsanspruch beinhaltet (Wiesner in: SGB VIII, 5. Auflage 2015, § 24 Nr. 7; Grube in: Hauck/Noftz, SGB VIII, Stand September 2019, § 24 Rn. 11 ff.; vgl. Bundestags-Drucksache 16/9299 vom 27. Mai 2008, S. 15). Die Ausgestaltung als Rechtsanspruch für diese Altersgruppe bei Vorliegen der Voraussetzungen führt ebenso wie der Rechtsanspruch für Kinder ab Vollendung des ersten Lebensjahres aus § 1 Abs. 2 Satz 1 KitaG zu der Pflicht des zuständigen Leistungserbringers, dem jeweiligen Kind einen in räumlicher und zeitlicher Hinsicht bedarfsgerechten Betreuungsplatz in einer Kindertageseinrichtung oder einer Kindertagespflege nachzuweisen, so dass diesbezüglich ein einklagbarer Leistungsanspruch besteht, der nicht unter Kapazitätsvorbehalt gestellt ist (vgl. Bundesverwaltungsgericht, Urteil vom 26. Oktober 2017, 5 C 19/16 -, juris Rn 27 f.,35 ff.; Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 28. August 2017 – 6 S 30.17 -, juris Rn.12).
Nach dem Erkenntnisstand des vorliegenden Eilverfahrens ist ein unter diesen Voraussetzungen bestehender Betreuungsanspruch des Antragstellers hier zwar gegeben, aber bereits erfüllt. Denn der Antragsteller hat, wie seine Eltern der Antragsgegnerin mit E-Mail vom 16. August 2021 mitgeteilt haben, seit dem 1. September 2021 bereits einen von diesen selbst gefundenen Betreuungsplatz in der Kindertagespflegestelle P... in Z... mit einem Betreuungsumfang von bis zu neun Stunden täglich. Zuvor hatte ihm die Antragsgegnerin mit Schreiben vom 11. August 2021 einen vergleichbaren Betreuungsplatz in einer Kindertagespflegestelle in S... angeboten; beide liegen auch unter Berücksichtigung der von seinen Eltern zur Wahrnehmung ihrer Berufstätigkeit zu bewältigenden Wege in zumutbarer Entfernung zur Wohnung des Antragstellers (vgl. hierzu ausführlich Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 14. November 2017 – OVG 6 S 43.17 -, juris Rn. 4 und Beschluss vom 12. Dezember 2018 – OVG 6 S 55.18 -, juris Rn. 6).
Der Antragsteller hat nicht hinreichend glaubhaft gemacht, dass er einen darüber hinaus gehenden Betreuungsbedarf von bis zu 10 Stunden täglich hat, der nur durch den Nachweis eines Betreuungsplatzes in einer Kindertagesstätte zu erfüllen wäre.
Gemäß § 1 Abs. 3 Satz 1 KitaG ist der Anspruch für Kinder im Alter bis zur Einschulung mit einer Mindestbetreuungszeit von sechs Stunden erfüllt. Längere Betreuungszeiten sind gemäß Satz 2 der Regelung zu gewähren, wenn wiederum die familiäre Situation des Kindes, insbesondere die Erwerbstätigkeit, die häusliche Abwesenheit wegen Erwerbssuche, die Aus- und Fortbildung der Eltern oder ein besonderer Erziehungsbedarf dies erforderlich macht. Gemessen hieran ist hier nicht ersichtlich, dass die von dem Antragsteller bereits in Anspruch genommene Betreuungszeit von neun Stunden täglich nicht genügt, seiner familiären Situation hinreichend Rechnung zu tragen.
Zwar steht allein der Umstand, dass die Mutter des Antragstellers ausweislich der von ihr übersandten Arbeitgeberbescheinigung vom 12. Juli 2021 für den Zeitraum vom 16. September 2021 bis zum 31. Dezember 2022 eine Teilzeittätigkeit im Umfang von wöchentlich 30 Stunden genehmigt bekommen hat, dem noch nicht entgegen. Der Antragsteller hat vielmehr zumindest plausibel dargelegt, dass diese Regelung nur im Hinblick auf die noch ungeklärte Frage seiner Betreuung getroffen worden ist und dass seine Mutter beabsichtigt, wieder in Vollzeit zu arbeiten, sobald seine hinreichende Betreuung gesichert ist. Selbst wenn dieser Vortrag hinreichend glaubhaft gemacht und dementsprechend von einer Vollzeitbeschäftigung beider Elternteile auszugehen wäre, ist nach dem Erkenntnisstand des vorliegenden Eilverfahrens aber dennoch nicht ersichtlich, dass der Antragsteller einen Anspruch auf einen Betreuungsplatz im Umfang von täglich 10 Stunden hat.
Soweit der Antragsteller der Auffassung ist, ein entsprechender Anspruch ergäbe sich bereits aus dem Umstand, dass für seine Eltern neben der täglichen Arbeitszeit von 8 Stunden noch jeweils Fahrtzeiten von ca. 60 Minuten zwischen der Gemeinde S... und ihren Arbeitsstätten in P... und B... zu berücksichtigen seien, vermag dies allein den geltend gemachten Anspruch nicht hinreichend zu stützen. Zu Recht hat die Antragsgegnerin vielmehr darauf hingewiesen, dass angesichts der konkreten beruflichen Beschäftigung der Eltern davon auszugehen ist, dass diese ihre jeweiligen Arbeits- und Betreuungszeiten durch eine zeitversetzte Aufteilung zumutbar so gestalten können, dass eine über den Umfang von neun Stunden hinausgehende Betreuung des Antragstellers in einer Kindertageseinrichtung nicht erforderlich ist. So ergibt sich namentlich aus der Arbeitgeberbescheinigung der Mutter ausdrücklich, dass ihr Arbeitszeitrahmen den Zeitraum von 6:30 Uhr bis 22:00 Uhr umfasst und sie berechtigt ist, Beginn und Ende der individuellen täglichen Arbeitszeit und die Verteilung der wöchentlichen Arbeitszeit auf die einzelnen Arbeitstage unter Berücksichtigung der Bedürfnisse ihrer Arbeitgeberin eigenverantwortlich abweichend zu bestimmen. Auch für den im M... beschäftigten Vater des Antragstellers ist davon auszugehen, dass dieser in Gleitzeit arbeitet, die eine ähnlich flexible Ausgestaltung der Anfangs- und Endzeiten seiner Arbeitstage gestattet.
Dem diesbezüglichen Vorbringen der Antragsgegnerin ist der Antragsteller nicht substantiiert entgegengetreten. Namentlich hat er keinerlei Umstände dargelegt, aus denen sich nachvollziehbar ergeben würde, dass solch eine flexible Gestaltung der Arbeitszeiten seinen Eltern nicht möglich oder zumutbar wäre. Sein bloßer Vortrag, dies sei nicht Aufgabe seiner Eltern, vermag dagegen schon im Ansatz nicht zu überzeugen (vgl. § 1626 BGB). Gleiches gilt für seinen Hinweis auf das ehrenamtliche Engagement seiner Eltern in der Kommunalpolitik.
Im Hinblick darauf, dass der Antragsteller einen über die Zeit von 9 Stunden täglich hinausgehenden Betreuungsanspruch nicht glaubhaft gemacht hat, bleibt auch sein hilfsweises Begehren ohne Erfolg. Ob insoweit zudem überhaupt einen Anordnungsgrund vorläge, kann angesichts dessen dahin gestellt bleiben.
Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 154 Abs. 1, 188 Satz 2 VwGO.