Gericht | OVG Berlin-Brandenburg 6. Senat | Entscheidungsdatum | 26.08.2021 | |
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Aktenzeichen | OVG 6 S 22/21 | ECLI | ECLI:DE:OVGBEBB:2021:0826.OVG6S22.21.00 | |
Dokumententyp | Beschluss | Verfahrensgang | - | |
Normen | § 60 Abs 1 VwGO |
1. Ein nicht anwaltlich vertretener Prozessbeteiligter hat einen Anspruch auf Wiedereinsetzung in eine versäumte Rechtsmittelfrist, wenn er innerhalb der noch laufenden Frist alles ihm Zumutbare getan hat, um sich durch einen Rechtsanwalt vertreten zu lassen. Hierzu muss er glaubhaft machen, sich ernsthaft bemüht zu haben, einen vertretungsbereiten Rechtsanwalt zu finden. Dazu gehört, dass er eine angemessene Zahl postulationsfähiger Prozessvertreter vergeblich um Übernahme des Mandats ersucht hat (Anschluss an BVerwG, Beschluss vom 28. März 2017 - 2 B 4.17 -).
2. Für die Frage, ob ein ernsthaftes Bemühen im vorgenannten Sinne anzunehmen ist, ist zu berücksichtigen, dass die Anwaltssuche über die Recherche- und Kontaktierungsmöglichkeiten des Internets mittlerweile erheblich erleichtert ist.
Der Wiedereinsetzungsantrag vom 11. August 2021 wird abgelehnt.
Der Antragsteller trägt die Kosten des Verfahrens.
Der erkennende Senat hat die Beschwerde des Antragstellers gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts Potsdam vom 13. Juli 2021, mit dem er die vorläufige Erteilung einer waffenrechtlichen Erlaubnis begehrt, mit Beschluss vom 5. August 2021 als unzulässig verworfen, weil der Antragsteller nicht gemäß § 67 Abs. 4 VwGO durch einen Bevollmächtigten vertreten war. Mit seinem Wiedereinsetzungsantrag macht der Antragsteller geltend, es sei ihm binnen der zweiwöchigen Beschwerdefrist des § 147 Satz 1 VwGO nicht möglich gewesen, einen vertretungsbereiten Rechtsanwalt für das Beschwerdeverfahren zu finden.
Der Antrag bleibt ohne Erfolg. Die gesetzlichen Voraussetzungen für eine Wiedereinsetzung liegen nicht vor. Nach § 60 Abs. 1 VwGO ist auf Antrag Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren, wenn jemand ohne Verschulden verhindert war, eine gesetzliche Frist einzuhalten.
Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts, der sich der Senat anschließt, hat ein nicht anwaltlich vertretener Prozessbeteiligter einen Anspruch auf Wiedereinsetzung in eine versäumte Rechtsmittelfrist, wenn er innerhalb der noch laufenden Frist alles ihm Zumutbare getan hat, um sich durch einen Anwalt vertreten zu lassen. Hierzu muss er glaubhaft machen, sich ernsthaft bemüht zu haben, einen vertretungsbereiten Rechtsanwalt zu finden. Dazu gehört, dass er eine angemessene Zahl postulationsfähiger Prozessvertreter vergeblich um Übernahme des Mandats ersucht hat (BVerwG, Beschluss vom 28. März 2017 - 2 B 4.17 -, NVwZ 2017, S. 1550 f., Rn. 9 bei juris m.w.N.).
Für die Frage, ob ein ernsthaftes Bemühen im vorgenannten Sinne anzunehmen ist, ist zu berücksichtigen, dass die Anwaltssuche über die Recherche- und Kontaktierungsmöglichkeiten des Internets mittlerweile erheblich erleichtert ist. Die Suchbegriffe „Rechtsanwalt, Potsdam, Waffenrecht“ ergeben unter dem link Anwalt.de allein in Potsdam 13 verschiedene Anwaltskanzleien, die sich auf Expertise in Fragen des Waffengesetzes berufen. Mit den Suchbegriffen „Rechtsanwalt, Berlin, Waffenrecht“ erhält man bei Google über denselben link 289 Nennungen.
Vor diesem Hintergrund hat der Antragsteller keine ernsthaften Bemühungen bei der Suche eines vertretungsbereiten Rechtsanwalts glaubhaft gemacht. Er hat dargelegt, sich während der zweiwöchigen Beschwerdefrist an insgesamt drei Rechtsanwaltskanzleien gewandt zu haben. Schon diese Anzahl erscheint zu gering. Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs muss ein Betroffener substanziiert dartun, dass er sich zumindest an mehr als vier (beim Bundesgerichtshof zugelassene) Rechtsanwälte gewandt hat, bei denen er erfolglos wegen einer Übernahme des Mandats angefragt hat (BGH, Beschlüsse vom 16. Februar 2004 - IV ZR 290/03 -, NJW-RR 2004, S. 864; vom 25. Januar 2007 - IX ZB 186/06 -, FamRZ 2007, S. 635; vom 27. November 2014 - III ZR 211/14 -, MDR 2015, S. 540, Rn. 3 und vom 7. Juni 2016 - XI ZR 439/15 - NZS 2016, S. 759).
Hinzu kommt, dass die Bemühungen des Antragstellers nicht auf Anwaltskanzleien abzielten, die einen Tätigkeitsschwerpunkt im Waffenrecht oder zumindest allgemein im Verwaltungsrecht aufweisen. Alle von ihm angefragten Kanzleien sind nahezu ausschließlich im Bereich des Zivilrechts tätig. Bei Rechtsanwalt S... aus B... werden als Tätigkeitsschwerpunkte Arzthaftungsrecht, Verkehrsrecht, Erbrecht, Versicherungsrecht, Bankrecht und Kapitalmarktrecht genannt. Die Anwaltskanzlei B... aus B... führt auf ihrer Webseite Arbeitsrecht, Architekten- und Ingenieurrecht, privates Baurecht, öffentliches Baurecht, Grundstücksrecht sowie Miet- und Pachtrecht auf. Die in E... ansässige Anwaltskanzlei v... nennt auf ihrer Webseite Arbeitsrecht, Architekten- und Arztrecht, Bankrecht, privates und öffentliches Baurecht, Erbrecht, Familienrecht, Gesellschaftsrecht, gewerbliches Miet- und Pachtrecht, Grundstücksrecht, Haftungsrecht, Handelsvertreterrecht, Immobilienrecht, Inkasso/Mahnverfahren, Kaufrecht, Leasingrecht, Makler- und Bauträgerrecht, Marken- und Patentrecht, IT-Beratung/Recht der Neuen Medien, Presserecht, Strafverteidigung, Verkehrsrecht, Wettbewerbsrecht und Wohnungseigentumsrecht. Dem Antragsteller darf Kenntnis dieses Umstands unterstellt werden, da es sich nach seinem Bekunden um Anwaltskanzleien handelt, die ihm von früheren Verfahren bekannt waren.
Schließlich kommt hinzu, dass der Antragsteller zwei der genannten Kanzleien erst am Freitag, den 30. Juli 2021 und damit praktisch unmittelbar vor dem Tag des Fristablaufs am Montag, den 2. August 2021 kontaktiert hat. Der Antragsteller darf die Beschwerdefrist vollständig ausnutzen und auch einen Rechtsanwalt erst unmittelbar vor deren Ablauf mit der Wahrnehmung des Mandats beauftragen. Will er aber darlegen, er habe sich bemüht, einen vertretungsbereiten Anwalt zu finden, muss er sich mangelnde Ernsthaftigkeit dieses Bemühens entgegenhalten lassen, wenn er sich erst kurz vor Ablauf der Rechtsmittelfrist an Anwaltskanzleien wendet, bei denen die Erwartung, sie übernähmen ein waffenrechtliches Mandat, jedenfalls nicht nahe liegt.
Soweit der Antragsteller auf eine überdurchschnittliche Belastung durch seine Arbeitssituation von 60 bis 70 Stunden pro Woche bzw. seit März 2020 sogar von 70 bis 80 Wochenstunden sowie familiäre Belastungen durch die gesundheitliche Situation seiner Tochter verweist, rechtfertigt dies vor dem dargelegten Hintergrund keine abweichende Einschätzung, zumal heutzutage Recherche und Kontaktierung eines Rechtsanwalts mit dem erforderlichen spezifischen Tätigkeitsschwerpunkt, bei dem also mit einer Übernahme des Mandats gerechnet werden kann, regelmäßig weder zeitlich noch organisatorisch einen größeren Aufwand verursacht und überdies ohne weiteres auch außerhalb der eigenen (Büro-) Räumlichkeiten von unterwegs erfolgen kann.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).