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Entscheidung 26 Ta (Kost) 6181/21


Metadaten

Gericht LArbG Berlin-Brandenburg 26. Kammer Entscheidungsdatum 10.09.2021
Aktenzeichen 26 Ta (Kost) 6181/21 ECLI ECLI:DE:LAGBEBB:2021:0910.26TA.KOST6181.21.00
Dokumententyp Beschluss Verfahrensgang -
Normen § 39 GKG, § 45 GKG

Leitsatz

1. Bei dem Begriff des Gegenstands in § 45 Abs. 1 Satz 3 GKG handelt es sich um einen selbständigen kostenrechtlichen Begriff, der eine wirtschaftliche Betrachtung erfordert.
Eine Zusammenrechnung hat dort zu erfolgen, wo eine wirtschaftliche Werthäufung entsteht und nicht ein wirtschaftlich identisches Interesse betroffen ist.
Wirtschaftliche Identität liegt vor, wenn die in ein Eventualverhältnis gestellten Ansprüche nicht in der Weise nebeneinander bestehen können, dass - die vom Kläger gesetzte Bedingung fortgedacht - allen stattgegeben werden könnte, sondern dass die Verurteilung gemäß dem einen Antrag notwendigerweise die Abweisung des anderen Antrags nach sich zöge (vgl. LAG Berlin-Brandenburg 14. Dezember 2018 – 17 Ta (Kost) 6105/18 und 26 Ta (Kost) 6136/18; BGH 12. September 2013 – I ZR 61/11, Rn. 6).
2. Der Kündigungsschutzantrag und der (Hilfs-)Antrag auf Zahlung eines Nachteilsausgleichs können nicht nebeneinander bestehen; wird der Fortbestand des Arbeitsverhältnisses festgestellt, besteht kein Anspruch auf Nachteilsausgleich. Es besteht kostenrechtlich ein wirtschaftlich identisches Interesse.
3. Daran halten die Kostenkammern des Landesarbeitsgericht fest.
Soweit die Beschwerde die Entscheidung des BAG vom 25. März 2021 (2 AZR 508/19, Rn. 23) für ihre Rechtsauffassung nutzbar machen möchte, steht dem bereits die Begründung des Bundesarbeitsgerichts entgegen.
Daraus ergibt sich erkennbar, dass das Bundesarbeitsgericht andere als die im Kostenrecht maßgebenden Gesichtspunkte zugrunde gelegt hat. Solche waren für die Entscheidung auch nicht relevant.

Tenor

Die Beschwerde der Prozessbevollmächtigten des Klägers gegen den Beschluss des Arbeitsgerichts Berlin vom 19. Mai 2021 – 42 Ca 2450/18 – wird zurückgewiesen.

Gründe

I.

Die Parteien haben erst- und zweitinstanzlich mit einem Hauptantrag über die Wirksamkeit einer Kündigung gestritten. Daneben hat die klagende Partei erstinstanzlich einen allgemeinen Feststellungsantrag angekündigt. Mit einem weiteren Hauptantrag hat sie Auskunft darüber begehrt, welchem Betriebsteil sie zugeordnet gewesen und auf wen dieser Betriebsteil übergegangen sei. Außerdem hat die klagende Partei Hilfsanträge gestellt, auf Zahlung eines Nachteilsausgleichs und auf Abgabe eines Angebots auf Abschluss eines Fortsetzungsvertrages. Darüber hinaus hat sie erstinstanzlich einen Antrag auf Weiterbeschäftigung gestellt. Die klagende Partei hat das Klageziel insoweit mit folgendem Antrag verfolgt:

„Für den Fall, dass der Beklagte im Gütetermin nicht zu Protokoll erklärt, dass er die Klagepartei im Falle des Obsiegens in der 1. Instanz bis zur Rechtskraft vertragsgerecht weiter beschäftigt und der Gütetermin erfolglos bleibt, wird folgender Antrag gestellt:

3.    Der Beklagte wird verurteilt, die Klagepartei bis zum rechtskräftigen Abschluss des Kündigungsschutzverfahrens zu unveränderten Arbeitsbedingungen als Flugbegleiter auf den Mustern der A 320 Familie/A330 mit der Zusatzfunktion Cabin Crew Member B (CCM B) im Flugbetrieb der Insolvenzschuldnerin weiter zu beschäftigen.“

In der Verhandlung vor dem Arbeitsgericht (Bl. 446 d.A.) hat der Klägervertreter in diesem Fall – anders als in anderen, in denen auch schon einmal ausdrücklich das Gegenteil erklärt worden ist - angegeben, dass es sich dabei um einen unbedingten Antrag handeln solle.

Das Arbeitsgericht hat die Klage hinsichtlich sämtlicher Anträge abgewiesen. Es hat den „Wert des Streitgegenstandes“ in dem Urteil auf 30.820 Euro festgesetzt. Das durchschnittliche Bruttoeinkommen der klagenden Partei betrug 2.982 Euro. Die klagende Partei hat das Urteil, soweit es den Weiterbeschäftigungsantrag betrifft, mit der Berufung nicht angegriffen.

Das Bundesarbeitsgericht hat die Nichtzulassungsbeschwerde der klagenden Partei als unzulässig verworfen und die Revision zurückgewiesen.

Das Arbeitsgericht hat den Gesamtgebührenstreitwert mit Beschluss vom 19. Mai 2021 auf 22.365 Euro festgesetzt. Dabei hat es den Weiterbeschäftigungsantrag mit einem Bruttoeinkommen berücksichtigt, den Auskunftsantrag mit ½ Bruttoeinkommen und den Nachteilsausgleichsantrag mit 17.892 Euro. Den Wert für den Kündigungsschutzantrag hat es nicht hinzugerechnet.

Die Prozessbevollmächtigten der klagenden Partei vertreten im Rahmen der Streitwertbeschwerde, dass eine Änderung der Entscheidung über den Streitwert nicht mehr zulässig sei, da die Frist des § 63 Abs. 3 Satz 2 GKG verstrichen sei. Es sei insoweit nicht relevant, ob die Entscheidung durch gesonderten Beschluss oder im Rahmen des erstinstanzlichen Urteils getroffen worden sei. Das Urteil des BAG sei auch länger als sechs Monate rechtskräftig.

Die Prozessbevollmächtigten der klagenden Partei begehren im Rahmen der Streitwertbeschwerde hilfsweise die Zusammenrechnung der Beträge für den Kündigungsschutzantrag und den Nachteilsausgleichsantrag. Wirtschaftliche Identität bestehe immer dann, wenn die Ansprüche gleichartig seien. Zwischen dem Bestandsschutzantrag und dem Nachteilsausgleich bestehe aber keine Gleichartigkeit, sondern ein Entweder-Oder-Verhältnis. Deshalb sei der Nachteilsausgleichsantrag auch als Hilfsantrag gestellt worden.

Das Arbeitsgericht hat der Beschwerde mit Beschluss vom 31. August 2021 nicht abgeholfen.

II.

Die zulässige Beschwerde ist unbegründet. Das Arbeitsgericht hat den Gebührenstreitwert zutreffend berechnet. Das Arbeitsgericht hat die Beträge für den Kündigungsschutzantrag und den Nachteilsausgleichsantrag zutreffend nicht zusammengerechnet, sondern bei der Bildung des Gesamtstreitwerts den höheren Betrag in Ansatz gebracht.

1) Entgegen der Ansicht der Klägervertreter steht § 63 Abs. 3 Satz 2 GKG einer Entscheidung über den Streitwert nicht entgegen. Die Vorschrift betrifft die Begrenzung der Möglichkeit der Abänderung von Entscheidungen, die den Gebührenstreitwert betreffen. Eine solche war hier aber bisher nicht ergangen. Der im erstinstanzlichen Urteil angegebene Wert der Beschwer ist für die Berechnung der Gebühren unmaßgeblich (zu der Angabe von Beträgen im Rahmen der Kostengrundentscheidung ausführlich: LAG Berlin-Brandenburg 19. August 2021 – 26 Ta (Kost) 6138/21, zu II 1 der Gründe).

2) Die Werte für den Kündigungsschutzantrag und den Nachteilsausgleichsantrag (Hilfsantrag) sind nicht zusammenzurechnen. Dem steht es insbesondere auch nicht entgegen, wenn das Bundearbeitsgericht in Bezug auf den prozessualen Streitgegenstandsbegriff von wirtschaftlicher Identität ausgeht. Der prozessuale Streitgegenstandsbegriff ist mit dem des Begriffs „desselben Gegenstands“ im Kostenrecht nicht identisch.

a)  In demselben Verfahren und in demselben Rechtszug werden die Werte mehrerer Streitgegenstände zusammengerechnet, soweit nichts Anderes bestimmt ist, § 39 Abs. 1 GKG. Die Werte von Haupt- und Hilfsanträgen sind zusammenzurechnen, soweit auch über den Hilfsantrag eine Entscheidung ergeht, § 45 Abs. 1 Satz 2 GKG, oder der Rechtsstreit auch insoweit durch Vergleich erledigt wird, § 45 Abs. 4 GKG. Dies gilt dann nicht, wenn die Anträge denselben Gegenstand betreffen; dann ist nur der höhere Wert maßgebend, § 45 Abs. 1 Satz 3 GKG. Unter dem Begriff „Gegenstand“ in § 45 Abs. 1 Satz 3 GKG ist nicht der Streitgegenstand iSd § 253 Abs. 2 Nr. 2 ZPO zu verstehen. Der „Gegenstand“ iSd § 45 Abs. 1 Satz 3 GKG ist nicht mit dem Streitgegenstand in § 253 Abs. 2 Nr. 2 ZPO identisch. Ob unterschiedliche (prozessuale) Streitgegenstände vorliegen, ist danach für die Frage des Additionsverbots nach § 45 Abs. 1 S. 3 GKG unerheblich. Bei dem Begriff des Gegenstands in § 45 Abs. 1 Satz 3 GKG handelt es sich um einen selbständigen kostenrechtlichen Begriff, der eine wirtschaftliche Betrachtung erfordert. Eine Zusammenrechnung hat dort zu erfolgen, wo eine wirtschaftliche Werthäufung entsteht und nicht ein wirtschaftlich identisches Interesse betroffen ist. Wirtschaftliche Identität liegt vor, wenn die in ein Eventualverhältnis gestellten Ansprüche nicht in der Weise nebeneinander bestehen können, dass die vom Kläger gesetzte Bedingung fortgedacht allen stattgegeben werden könnte, sondern dass die Verurteilung gemäß dem einen Antrag notwendigerweise die Abweisung des anderen Antrags nach sich zöge (vgl. BGH 12. September 2013 – I ZR 61/11, Rn. 6; LAG Berlin-Brandenburg 14. Dezember 2018 – 26 Ta (Kost) 6136/18) und 17 Ta (Kost) 6105/18).

b)  Im Rahmen des Streits über die Frage, ob zwischen einer Kündigungsschutzklage und einem hilfsweise geltend gemachten Anspruch auf Zahlung eines Nachteilsausgleichs eine wirtschaftliche Identität im kostenrechtlichen Sinn besteht und die Werte deshalb zusammenzurechnen sind oder nicht, haben sich die Kostenkammern des Landesarbeitsgerichts der Auffassung angeschlossen, nach der insoweit Fälle wirtschaftlicher Identität vorliegen (vgl ua LAG Berlin-Brandenburg 7. Februar 2019 - 17 Ta (Kost) 6117/18, 8. Februar 2019 – 26 Ta (Kost) 6118/18). Zwar handelt es sich bei dem Anspruch auf Nachteilsausgleich nicht um eine Abfindung iSd § 42 Abs. 3 Satz 1 GKG; eine Wertaddition ist nach dieser Vorschrift daher nicht ausgeschlossen. Der Kündigungsschutzantrag und der Antrag auf Zahlung des Nachteilsausgleichs können jedoch nicht nebeneinander bestehen; wird der Fortbestand des Arbeitsverhältnisses festgestellt, besteht kein Anspruch auf Nachteilsausgleich. Beide Anträge betreffen in wirtschaftlicher Hinsicht auch denselben Gegenstand. Mit der Kündigungsschutzklage soll der Fortbestand des Arbeitsverhältnisses mit den daraus folgenden Vergütungsansprüchen erreicht werden; der Nachteilsausgleich dient (auch) dem Zweck, wirtschaftliche Nachteile – wie den Verlust von Vergütungsansprüchen –, die Arbeitnehmer infolge ihrer Entlassung auf Grund einer Betriebsänderung erleiden, auszugleichen.  Die Vorschrift sanktioniert ein betriebsverfassungswidriges Verhalten nur in den Fällen, in denen die von der unternehmerischen Maßnahme betroffenen Arbeitnehmer ihren Arbeitsplatz verlieren oder sonstige wirtschaftliche Nachteile erleiden. Die Arbeitnehmer sollen eine gewisse Entschädigung dafür erhalten, dass eine im Gesetz vorgesehene Beteiligung unterblieben und damit eine Chance nicht genutzt worden ist, einen Interessenausgleich zu finden, der Entlassungen vermeidet oder wirtschaftliche Nachteile abmildert (vgl. BAG 20. November 2001 – 1 AZR 97/01, Rn. 20). Dass der Arbeitgeber diese Kompensation nur schuldet, weil er die Kündigung unter Verstoß gegen seine betriebsverfassungsrechtlichen Pflichten ausgesprochen hat, ist dabei ohne Belang. Denn es kommt für die Frage einer wirtschaftlichen Identität nicht darauf an, auf welche Anspruchsgrundlagen die jeweiligen Anträge gestützt werden und welche Zielrichtung diese gesetzlichen Vorschriften haben. Kostenrechtlich ist allein entscheidend, ob ein Anspruch wirtschaftlich an die Stelle eines anderen tritt. Diese Voraussetzung ist hinsichtlich des hilfsweise geltend gemachten Nachteilsausgleichsanspruchs gegeben (vgl. LAG Berlin-Brandenburg 12. Dezember 2019 – 26 Ta (Kost) 6092/19, Rn. 34). Der auf Zahlung eines Nachteilsausgleichs klagende Arbeitnehmer will seinen vormaligen Arbeitgeber nicht zu einem ordnungsgemäßen betriebsverfassungsrechtlichen Verhalten in der Zukunft anhalten, sondern er will – sofern sich die Kündigung nach einer Betriebsänderung als rechtswirksam erweist – einen wirtschaftlichen Ausgleich für den Verlust des Arbeitsplatzes erhalten. Dies allein ist für die Wertfestsetzung maßgebend (vgl. auch LAG Berlin-Brandenburg 29. Juli 2021 - 17 Ta (Kost) 6125/21, zu II 2 der Gründe).

c) Soweit die Beschwerde die Entscheidung des BAG vom 25. März 2021 (2 AZR 508/19, Rn. 23) für ihre Rechtsauffassung nutzbar machen möchte, steht dem bereits die Begründung des Bundesarbeitsgerichts entgegen. Daraus ergibt sich deutlich, dass das Bundesarbeitsgericht andere als die im Kostenrecht maßgebenden Gesichtspunkte zugrunde gelegt hat. Der Umstand, dass die Abweisung einer Kündigungsschutzklage nicht hinreichende Bedingung für einen Nachteilsausgleichsanspruch ist, ist – jedenfalls kostenrechtlich - ebenso unrelevant wie der Umstand, dass ein Nachteilsausgleichsanspruch auch dann in Betracht kommt, wenn das Arbeitsverhältnis durch einen Aufhebungsvertrag beendet oder die Kündigung nicht angegriffen worden ist. Maßgeblich ist kostenrechtlich die konkrete prozessuale Konstellation. In dieser setzt eine positive Entscheidung über den Antrag auf Nachteilsausgleich zwingend voraus, dass der Kündigungsschutzantrag erfolglos bleibt. Infolgedessen ist der Anspruch auf Nachteilsausgleich notwendig von der Frage des Bestands des Arbeitsverhältnisses abhängig, sodass von demselben kostenrechtlichen Gegenstand auszugehen ist (vgl. LAG Baden-Württemberg 14. Mai 2012 – 5 Ta 52/12; Hessisches LAG 22. April 2021 – 12 Ta 84/21, Rn. 14). Die Entscheidung des BAG vom 25. März 2021 betrifft die Frage, ob in einem Revisionsverfahren hinsichtlich des Nachteilsausgleichs ein zuvor abgewiesener Kündigungsschutzantrag zum Gegenstand einer Anschlussrevision gemacht werden kann; ob derselbe Gegenstand im Sinne des Kostenrechts zwischen einer Bestandsstreitigkeit und dem Antrag auf Zahlung eines Nachteilsausgleichs besteht, hatte das Bundesarbeitsgericht nicht zu entscheiden. Es ist deshalb für die hier in Rede stehende Problematik ohne Aussagekraft, dass nach Auffassung des Bundesarbeitsgerichts die Anschlussrevision unzulässig ist, weil ein unmittelbarer rechtlicher oder wirtschaftlicher Zusammenhang zwischen den Ansprüchen fehle (vgl. auch LAG Berlin-Brandenburg 29. Juli 2021 - 17 Ta (Kost) 6125/21, zu II 2 der Gründe).

III.

Eine Kostenentscheidung ist nicht veranlasst, § 68 Abs. 3 Satz 2 GKG. Das Verfahren ist gebührenfrei, § 68 Abs. 3 Satz 1 GKG.

IV.

Die Entscheidung ist unanfechtbar.