Gericht | SG Neuruppin 26. Kammer | Entscheidungsdatum | 25.08.2021 | |
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Aktenzeichen | S 26 AS 531/20 WA | ECLI | ||
Dokumententyp | Urteil | Verfahrensgang | - | |
Normen |
Der Beklagte wird verurteilt, dem Kläger aus den mit dem Bewilligungsbescheid vom 11. August 2014 in der Fassung des Änderungsbescheids vom 26. August 2014 verlautbarten bewilligenden Verfügungen für den Zeitraum vom 01. November 2014 bis zum 31. Januar 2015 noch einen weiteren Betrag in Höhe von 351,90 Euro zu zahlen.
Der Beklagte trägt die notwendigen außergerichtlichen Kosten des Klägers in voller Höhe.
Die Berufung wird zugelassen.
Die Beteiligten streiten im Wesentlichen darum, ob dem Kläger gegen den Beklagten ein Zahlungsanspruch aus zuvor dem Kläger nach den Bestimmungen des Zweiten Buches Sozialgesetzbuch – Grundsicherung für Arbeitsuchende – (SGB II) erteilten bewilligenden Verfügungen zusteht.
Auf seinen entsprechenden Fortzahlungsantrag gewährte der Beklagte dem Kläger mit sozialverwaltungsbehördlichen Leistungsverfügungen vom 11. August 2014 in der Fassung seiner Änderungsverfügungen vom 26. August 2014 für den Zeitraum vom 01. September 2014 bis zum 28. Februar 2015 passive Grundsicherungsleistungen für Arbeitsuchende nach den Bestimmungen des SGB II.
Mit Verfügung vom 08. Oktober 2014 verhängte der Beklagte gegenüber dem Kläger für den Zeitraum vom 01. November 2014 bis zum 31. Januar 2015 eine Sanktion und stellte die Minderung um jeweils monatlich 117,30 Euro wegen eines Pflichtenverstoßes fest.
Nach Aktenlage änderte der Beklagte mit sozialverwaltungsbehördlicher Verfügung vom 29. Januar 2015 seine bisherigen bewilligenden Verfügungen für den Zeitraum vom 01. Januar 2015 bis zum 28. Februar 2015 erneut ab, wobei er die von ihm verhängte Sanktion für den Zeitraum vom 01. Januar 2015 bis zum 31. Januar 2015 leistungsrechtlich umsetzte.
Mit Schriftsatz vom 27. November 2018 hat der Kläger bei dem Sozialgericht Neuruppin Klage erhoben, mit der er die Auszahlung von monatlich 117,30 Euro für den Zeitraum vom 01. November 2014 bis zum 31. Januar 2015 aus den bewilligenden Verfügungen begehrt. Die Nichtauszahlung der begehrten Leistungen habe ihren Grund im Sanktionsbescheid vom 08. Oktober 2014. Es fehle an der Aufhebung der vorherigen Bewilligung der Leistungen durch Verwaltungsakt. Der Sanktionsbescheid habe lediglich die Minderung des Leistungsanspruches festgestellt und nicht die Bindungswirkung der bewilligenden Verfügungen durchbrochen. Er verweise diesbezüglich auf mehrere Urteile der 13. Kammer sowie auf ein Urteil der 18. Kammer des Sozialgerichts Neuruppin sowie auf eine Entscheidung des 18. Senats des Landessozialgerichts Berlin-Brandenburg. Sein Zahlungsanspruch sei auch nicht verwirkt und nicht verjährt. Schließlich habe er von einer Änderungsverfügung vom 29. Januar 2015 keine Kenntnis.
Der Kläger beantragt,
den Beklagten zu verurteilen, dem Kläger aus den mit dem Bewilligungsbescheid vom 11. August 2014 in der Gestalt des Änderungsbescheides vom 26. August 2014 verlautbarten bewilligenden Verfügungen für den Zeitraum vom 01. November 2014 bis zum 31. Januar 2015 weitere Leistungen in Höhe eines Betrages von insgesamt 351,90 Euro zu gewähren.
Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen und die Berufung zuzulassen.
Zur Begründung führt er ua aus: In der Sanktionsverfügung sei zugleich auch eine Änderungsverfügung bezüglich der Leistungsbewilligung zu sehen, weshalb es auf den Zugang der weiteren Änderungsverfügung vom 29. Januar 2015 auch nicht ankomme. Er verweise auf Entscheidungen der 24. Kammer und der 30. Kammer des Sozialgerichts Neuruppin sowie auf eine Entscheidung des 20. Senats des Landessozialgerichts Berlin-Brandenburg.
Mit Beschluss vom 07. Oktober 2019 hat die Kammer auf den übereinstimmenden Antrag der Beteiligten das Ruhen des Verfahrens angeordnet und auf den Antrag des Klägers vom 28. Mai 2020 – bei dem Sozialgericht Neuruppin eingegangen am 03. Juni 2020 – unter dem jetzigen gerichtlichen Aktenzeichen wieder aufgenommen.
Zur Ergänzung des Sachverhaltes wird auf den Inhalt der Prozessakte sowie auf die den Kläger betreffenden Verwaltungsakten des Beklagten verwiesen, die vorgelegen haben und Gegenstand der mündlichen Verhandlung, der geheimen Beratung und der Entscheidungsfindung waren.
Die Klage hat Erfolg.
1. Streitgegenstand sind Ansprüche des Klägers auf Auszahlung seiner Leistungsansprüche aus bewilligenden Verfügungen des Beklagten, die dieser mit seinem Bescheid vom 11. August 2014 in der Gestalt des Änderungsbescheides vom 26. August 2014 ua für den Zeitraum vom 01. November 2014 bis zum 31. Januar 2015 verlautbart hatte.
2. Die allein auf die Zahlung eines Geldbetrages gerichtete Klage ist als (echte) Leistungsklage zulässig. Gemäß § 54 Abs 5 SGG kann die Verurteilung zu einer Leistung, auf die ein Rechtsanspruch besteht, auch dann begehrt werden, wenn ein Verwaltungsakt nicht zu ergehen hatte. Ein solcher Fall liegt hier vor, denn der Beklagte hat durch bindende Verwaltungsakte im Sinne des § 31 S 1 des Zehnten Buches Sozialgesetzbuch – Sozialverwaltungsverfahren und Sozialdatenschutz – (SGB X) einen Zahlungsanspruch des Klägers begründet, den er in Höhe des noch geltend gemachten Betrages in Höhe von monatlich weiteren 117,30 Euro für den Zeitraum vom 01. November 2014 bis zum 31. Januar 2015 nicht durch eine Auszahlung an den Kläger erfüllt hat. In einem solchen Fall bedarf es keines weiteren Verwaltungsaktes; die Leistung kann unmittelbar durch Klage geltend gemacht werden (vgl Bundessozialgericht, Urteil vom 12. Oktober 2017 – B 4 AS 34/16 R, RdNr 11 unter Hinweis auf Bieresborn in Roos/Wahrendorf, SGG, § 54, RdNr 186 sowie Söhngen in Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGG, § 54, RdNr 71).
Mit der allgemeinen Leistungsklage kann ein Kläger effektiven Rechtsschutz (Art 19 Abs 4 des Grundgesetzes <GG>) erlangen, wenn sich eine Behörde weigert, eine durch Verwaltungsakt zuerkannte Leistung zu erbringen. Ihm bleibt dann nur die Leistungsklage, um einen Vollstreckungstitel zu erhalten (vgl § 199 Abs 1 Nr 1 SGG); eine Vollstreckung aus Verwaltungsakten gegen die öffentliche Hand ist nicht vorgesehen (vgl Landessozialgericht Berlin-Brandenburg, Urteil vom 19. Mai 2020 – L 18 AS 1667/19, nicht veröffentlicht, Seite 3f des Urteilsabdrucks, ua unter Hinweis auf Bundessozialgericht, Urteil vom 26. Februar 2019 – B 1 KR 20/18 R, RdNr 9 mwN).
3. Die zulässige echte Leistungsklage im Sinne des § 54 Abs 5 SGG ist auch begründet. Der Kläger hat gegen den Beklagten einen Anspruch auf Zahlung eines Betrages in Höhe von 351,90 Euro, dh in Höhe der mit den sozialverwaltungsbehördlichen Leistungsverfügungen vom 11. August 2014 in der Fassung der sozialverwaltungsbehördlichen Änderungsverfügungen vom 26. August 2014 bewilligten Beträge für den Zeitraum vom 01. November 2014 bis zum 31. Januar 2015, den der Beklagte bislang nicht vollständig erfüllt hat.
a) Regelungsgegenstand der bestandskräftigen und damit die Beteiligten und auch das Gericht bindenden (vgl § 77 SGG) Sanktionsverfügung vom 08. Oktober 2014 ist allein die Feststellung eines Sanktionstatbestandes und der sich daraus ergebenden Minderung des Anspruches auf passive Grundsicherungsleistungen für Arbeitsuchende nach den Bestimmungen des SGB II, nicht aber die Höhe der individuellen Leistungsansprüche für den genannten Zeitraum, die dem Kläger bereits mit den sozialverwaltungsbehördlichen Leistungsverfügungen vom 11. August 2014 in der Fassung der sozialverwaltungsbehördlichen Änderungsverfügungen vom 26. August 2014 zuerkannt worden waren. Der Sanktionsbescheid vom 08. Oktober 2014 verlautbart weder im Verfügungssatz noch unter Heranziehung der Gründe eine Korrektur der die Beteiligten und das Gericht bindenden Leistungsverfügungen nach den Regelungen der §§ 45 ff SGB X für den streitgegenständlichen Zeitraum, zumal es hierfür zumindest erforderlich wäre, dass der Beklagte die bewilligenden Verfügungen, die er zu Ungunsten des Klägers aufheben möchte, auch konkret bezeichnet. Es darf nicht dem Adressaten überlassen bleiben, Gegenstand, Inhalt, Zeitpunkt und Umfang der Aufhebung zu bestimmen, weil der in begünstigende Rechtspositionen eingreifende Leistungsträger verpflichtet ist, diese Entscheidung selbst zu treffen und dem Adressaten bekannt zu geben (so Bundessozialgericht, Urteil vom 29. November 2012 – B 14 AS 6/12 R, RdNr 25 ua unter Hinweis auf Bundessozialgericht, Urteil vom 30. März 2004 – B 4 RA 36/02 R, RdNr 19 und – B 4 RA 46/02 R, RdNr 29).
Mit den Formulierungen in dem Bescheid vom 08. Oktober 2014 ist letztlich allein die in § 31a SGB II vorgesehene Minderung des Anspruches auf Gewährung des Regelbedarfes aufgegriffen worden. In der Sache beinhaltet dies nur die Feststellungen, dass eine Pflichtverletzung nach § 31 Abs S 1 Nr 3 SGB II und dieses eine Beschränkung des Leistungsanspruches des Klägers für eine bestimmte Zeit nach sich zieht.
Nicht bestimmt ist hierdurch indes die Höhe der von dem Kläger in dem betroffenen Zeitraum konkret zu beanspruchenden passiven Grundsicherungsleistungen für Arbeitsuchende nach den Bestimmungen des SGB II. Ändernde Wirkungen hinsichtlich des sozialverwaltungsbehördlichen Leistungsverfügungen vom 11. August 2014 in der Fassung der sozialverwaltungsbehördlichen Änderungsverfügungen vom 26. August 2014 entfaltet die Sanktionsverfügung vom 08. Oktober 2014 damit nicht (vgl Landessozialgericht Berlin-Brandenburg, Urteil vom 19. Mai 2020 – L 18 AS 1667/19, nicht veröffentlicht, Seite 4 des Urteilsabdrucks, unter Hinweis auf Bundessozialgericht, Urteil vom 29. April 2015 – B 14 AS 19/14 R, RdNr 14ff mwN). Solche Wirkungen kamen entsprechenden Verfügungen schon zur alten Rechtslage nicht zu (vgl Landessozialgericht Berlin-Brandenburg, Urteil vom 19. Mai 2020 – L 18 AS 1667/19, nicht veröffentlicht, Seite 4 des Urteilsabdrucks, unter Hinweis auf Bundessozialgericht, Urteil vom 17. Dezember 2009 – B 4 AS 30/09 R, RdNr 14).
Hieran hat sich auch weiterhin nichts geändert. Soweit die Vorschrift des § 31b Abs 1S 1 SGB II regelt, dass sich der Auszahlungsanspruch mit Beginn des Kalendermonates mindert, der auf das Wirksamwerden des Verwaltungsaktes folgt, der die Pflichtverletzung und den Umfang der Minderung der Leistung feststellt, berührt dies die Geltung bereits erlassener Bewilligungsverfügungen ebenfalls nicht unmittelbar. Wie nach alter Rechtslage ist damit vielmehr nur zum Ausdruck gebracht, ab welchem Zeitpunkt und um welchen Minderungsbetrag der Anspruch auf Leistungen unter anderem bei Pflichtverletzungen abgesenkt ist. Nicht bestimmt ist hierdurch aber, dass es zu ihrer Umsetzung abweichend von der Regelung des § 48 Abs 1 S 2 SGB X einer förmlichen Änderung bereits ergangener bestandskräftiger Bewilligungsverfügungen nicht bedarf (vgl Landessozialgericht Berlin-Brandenburg, Urteil vom 19. Mai 2020 – L 18 AS 1667/19, nicht veröffentlicht, Seite 4f des Urteilsabdrucks, unter Hinweis auf Bundessozialgericht, Urteil vom 29. April 2015 – B 14 AS 19/14 R, RdNr 15) und sich der Leistungsanspruch unmittelbar kraft Gesetzes mindert. Mindert sich kraft Gesetzes der „Auszahlungsanspruch“ einer zuerkannten Leistung zu einem bestimmten Zeitpunkt, so bedeutet das mithin nicht, dass die zugrunde liegende Bewilligung selbst abweichend von § 48 Abs 1 S 2 SGB X ohne ausdrückliche (Teil-) Aufhebung partiell ihre Regelungswirkung verlieren könnte. Eine Teilaufhebungsentscheidung im vorgenannten Sinne ist hier aber gerade nicht ergangen.
b) Abweichendes folgt – entgegen der Auffassung des Beklagten – im Übrigen auch nicht aus dem von dem Beklagten näher bezeichneten Änderungsverfügung vom 29. Januar 2015, mit dem der Beklagte seine Sanktionsverfügung zumindest für den Monat Januar 2015 auch leistungsrechtlich umgesetzt haben will. Denn der Kläger behauptet unwiderlegbar, dass ihm diese Änderungsverfügung nicht zugegangen sei.
c) Fehlt es deshalb an einer formellen Umsetzung der von dem Beklagten für den Zeitraum vom 01. November 2014 bis zum 31. Januar 2015 festgestellten Beschränkung bzw Minderung des Anspruches auf Gewährung von passiven Grundsicherungsleistungen für Arbeitsuchende nach den Bestimmungen des SGB II, bleibt es insoweit bei der bestandskräftigen Bewilligung (auch) der Regelbedarfe in Höhe von jeweils monatlich weiteren 117,30 Euro.
d) Auch eine Verwirkung des Zahlungsanspruches ist nicht eingetreten. Die Verwirkung ist ein Fall der unzulässigen Rechtsausübung wegen widersprüchlichen Verhaltens (vgl hierzu auch Sozialgericht Neuruppin, Gerichtsbescheid vom 12. Mai 2021 – S 21 AS 2126/16, nicht veröffentlicht, Seite 6 des Urteilsabdruckes, unter Hinweis auf Bundessozialgericht, Urteil 08. Oktober 2014 – B 3 KR 7/14 R, RdNr 44). Der Verzicht des Klägers auf Rechtsbehelfe gegen die Sanktionsverfügung begründet nach Auffassung der Kammer auch noch kein Vertrauen des Beklagten dahin, dass der Kläger damit auch auf sein Recht auf rechtmäßiges sozialverwaltungsbehördliches Handeln und damit auch auf Auszahlung der bestandskräftig bewilligten Leistungen verzichten würde (vgl hierzu auch Sozialgericht Neuruppin, Gerichtsbescheid vom 12. Mai 2021 – S 21 AS 2126/16, nicht veröffentlicht, Seite 6 des Urteilsabdruckes,), weshalb der Kläger von dem Beklagten auch die Auszahlung – wie tenoriert – verlangen kann.
4. a) Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 Abs 1 S 1 SGG. Es entsprach dabei der Billigkeit, dass der Beklagte dem Kläger die notwendigen außergerichtlichen Kosten des Rechtsstreites, für das keine Gerichtskosten erhoben werden (vgl § 183 S 1 SGG), zu erstatten hat, weil der Kläger mit seinem Begehren vollumfänglich obsiegte.
b) Die Aufwendungen des Beklagten sind schon von Gesetzes wegen nicht erstattungsfähig (vgl § 193 Abs 4 SGG iVm § 184 Abs 1 SGG).
5. Die Kammer hat die Berufung angesichts der divergierenden Entscheidungen des Landessozialgerichts Berlin-Brandenburg (Urteil vom 19. Mai 2020 – L 18 AS 1667/19 einerseits und Urteil vom 04. März 2021 – L 20 AS 129/19 andererseits) zu der auch hier streitentscheidenden Frage zugelassen (vgl § 144 Abs 2 Nr 2 SGG).