Gericht | OLG Brandenburg 1. Strafsenat | Entscheidungsdatum | 13.09.2021 | |
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Aktenzeichen | 1 AR 26/21 (S) | ECLI | ECLI:DE:OLGBB:2021:0913.1AR26.21S.00 | |
Dokumententyp | Beschluss | Verfahrensgang | - | |
Normen |
Die Auslieferung des Verfolgten an die Republik Polen zum Zweck der Vollstreckung der durch rechtskräftiges Urteil des Bezirksgerichts Łódź vom 11. Januar 2018 (Az.: XVIII K 96/13) erkannten Freiheitsstrafe von einem Jahr und zwei Monaten ist zulässig.
Die Entschließung der Generalstaatsanwaltschaft des Landes Brandenburg, die Auslieferung des Verfolgten an die Republik Polen zum Zweck der vorgenannten Vollstreckung der Freiheitsstrafe von einem Jahr und zwei Monaten aus dem Urteil des Bezirksgerichts Łódź vom 11. Januar 2018 (Az.: XVIII K 96/13) zu bewilligen, wird nach vollinhaltlicher Prüfung gerichtlich bestätigt.
Die Auslieferungshaft dauert fort.
I.
Die polnischen Justizbehörden ersuchen unter Bezugnahme auf den Europäischen Haftbefehl des Bezirksgerichts Łódź vom 21. Mai 2021 (Az.: IV Kop 21/21), dem das rechtskräftige Urteil desselben Gerichts vom 11. Januar 2018 (Az.: XVIII K 96/13) zugrunde liegt, um Auslieferung des Verfolgten zur Strafvollstreckung.
Ausweislich des Europäischen Haftbefehls trieb der Verfolgte im Zeitraum vom 23. Oktober 2004 bis 17. Januar 2005 in der Untersuchungsanstalt Łódź in kurzen Abständen vorsätzlich unerlaubt mit insgesamt mindestens 160 Gramm Amphetamin Handel und wurde deshalb zu einer Freiheitsstrafe von einem Jahr und zwei Monaten verurteilt, die noch vollständig zu verbüßen ist.
Nach den Angaben in dem Europäischen Haftbefehl war der Verfolgte von 2014 bis 2016 in den Verhandlungsterminen des auch gegen andere Personen gerichteten Umfangsverfahrens, das zu seiner Verurteilung führte, zunächst persönlich anwesend. Auf seinen eigenen Antrag hin wurde er im Verlauf des Verfahrens von seiner persönlichen Teilnahme entbunden und von einer Pflichtverteidigerin vertreten; das Urteil wurde in seiner Abwesenheit verkündet. Die von seiner Pflichtverteidigerin eingelegte Berufung blieb ohne Erfolg.
Vollstreckungsverjährung tritt nach den Angaben in dem Europäischen Haftbefehl am 29. April 2034 ein.
Der Verfolgte befindet sich seit August 2018 in Haft in der Justizvollzugsanstalt … – er verbüßt eine Freiheitsstrafe von zwei Jahren und elf Monaten für die Staatsanwaltschaft Frankfurt (Oder) (Az.: 227 Js 19333/18 V) und eine solche von einem Jahr und zehn Monaten für die Staatsanwaltschaft Münster (Az.: 81 Js 2577/17 V). Das Haftende ist auf den 07. September 2022 notiert.
Auf Anfrage der Generalstaatsanwaltschaft des Landes Brandenburg teilte die Staatsanwaltschaft Frankfurt (Oder) unter dem 24. August 2021 mit, gemäß § 456 a StPO mit Blick auf die Auslieferungshaft von der weiteren Vollstreckung mit der Maßgabe abzusehen, dass das Absehen erst mit dem Zeitpunkt der Übergabe des Verfolgten an die mit der Abschiebung betraute Behörde – Erreichen des Zielflughafens oder Zielbahnhofs – wirksam werde. Für den Fall der Rückkehr des Verfolgten in den Geltungsbereich des deutschen Strafgesetzbuchs werde die Nachholung der Vollstreckung angeordnet und hierzu ein Vollstreckungshaftbefehl erlassen werden.
Die Staatsanwaltschaft Münster teilte auf Anfrage der Generalstaatsanwaltschaft des Landes Brandenburg am 10. August 2021 mit, es bestehe grundsätzlich Bereitschaft, gemäß § 456 a StPO zu verfahren.
Bei seiner richterlichen Anhörung vor dem Amtsgericht Brandenburg a. d. H. am 21. Juli 2021, die in Anwesenheit des ihm bestellten Beistands und eines Dolmetschers für die polnische Sprache erfolgte, erklärte sich der Verfolgte nach Belehrung mit seiner Auslieferung im vereinfachten Verfahren nicht einverstanden und verzichtete nicht auf den Grundsatz der Spezialität. Gegen seine Auslieferung wandte er ein, sein Recht auf Verteidigung im seiner Verurteilung zugrunde liegenden Verfahren nicht wahrgenommen haben zu können. Ihm gehöre in Deutschland eine Wohnung, in der seine Tochter lebe.
In seiner neuerlichen richterlichen Anhörung vor dem Amtsgericht Brandenburg a. d. H. wurde dem Verfolgten folgende Entschließung der Generalstaatsanwaltschaft des Landes Brandenburg zur Kenntnis gegeben:
„Hinsichtlich der begehrten Auslieferung des Verfolgten nach Polen auf der Grundlage des Europäischen Haftbefehls des Bezirksgerichts Lodz vom 21. Mai 2021 zum Zwecke der Strafvollstreckung – Verurteilung zu einem Jahr und zwei Monaten Freiheitsstrafe wegen Betäubungsmitteldelikten durch Urteil desselben Gerichts vom 11. Januar 2018 – beabsichtigt der Generalstaatsanwalt des Landes Brandenburg, Bewilligungshindernisse nach § 83 b IRG nicht geltend zu machen. Denn die in § 83 b Abs. 1 Nrn. 1 bis 3 IRG im Einzelnen aufgeführten Bewilligungshindernisse, die einer Auslieferung entgegenstehen würden, liegen beim Verfolgten nicht vor. Das Bewilligungshindernis nach § 83 b Abs. 1 Nr. 4 IRG dürfte unionsrechtswidrig sein, liegt aber jedenfalls ebenfalls nicht vor. Auch ein Hindernis nach § 83 b Abs. 2 Nr. 2 IRG kommt nicht zur Anwendung. Denn der Verfolgte hat keinen gewöhnlichen Aufenthalt in Deutschland. Nach alledem liegen aus Sicht der Bewilligungsbehörde keine Gründe vor, die einer Übergabe des Verfolgten an die polnischen Behörden zum Zwecke der Strafvollstreckung entgegenstehen.“
Der Verfolgte machte geltend, seine in … lebende Tochter sei körperlich behindert, er wolle sie nicht allein lassen. Sie betreibe im selben Haus, in dem sie in der ihm gehörenden Wohnung lebe, einen Kiosk, in dem er arbeiten wolle.
Die Generalstaatsanwaltschaft beantragt, eingegangen bei dem Brandenburgischen Oberlandesgericht am 07. September 2021, die Auslieferung des Verfolgten zur Strafvollstreckung der oben näher bezeichneten Verurteilung für zulässig zu erklären und der beabsichtigten Bewilligung der Auslieferung des Verfolgten zuzustimmen.
Der Verfolgte hatte über seinen Beistand Gelegenheit zur Stellungnahme.
II.
Der Senat entscheidet entsprechend den Anträgen der Generalstaatsanwaltschaft des Landes Brandenburg, die gesetzlichen Voraussetzungen für die erstrebten Anordnungen liegen vor.
1. Die Auslieferung des Verfolgten an die polnischen Justizbehörden zum Zweck der Strafvollstreckung ist nach dem durch das EuHbG vom 20. Juli 2006 umgesetzten Rahmenbeschluss des Rates vom 13. Juni 2002 über den Europäischen Haftbefehl und die Übergabeverfahren zwischen den Mitgliedsstaaten sowie nach den maßgeblichen Bestimmungen des 8. Teils des IRG nicht unzulässig; Gründe, die einer Auslieferung entgegenstehen könnten, sind nicht ersichtlich.
Die Auslieferungsfähigkeit ist nach §§ 3, 81 Nr. 2 IRG gegeben. Die dem Verfolgten vorgeworfenen, durch Art. 43 Abs. 2 und 4 des polnischen Drogenbekämpfungsgesetzes mit Strafe bedrohten Taten sind auch nach deutschem Recht strafbar (§ 3 Abs. 1 IRG). Das unerlaubte Handeltreiben mit Betäubungsmitteln ist gemäß § 29 a Abs. 1 Nr. 2 BtMG mit Strafe bedroht. Zudem ist eine der Deliktsgruppen des Art. 2 Abs. 2 RB-EuHB betroffen, sodass es der Prüfung der beiderseitigen Strafbarkeit nicht bedarf.
Der Verfolgte war zwar bei der Urteilsverkündung nicht anwesend. Gleichwohl ist seine Auslieferung zulässig, denn es greift der Ausnahmetatbestand des Art. 4 a Abs. 1 lit. c Rb-EuHB. Nach dieser Vorschrift hindert die Urteilsverkündung in Abwesenheit des Verfolgten dessen Auslieferung nicht, wenn aus dem Europäischen Haftbefehl hervorgeht, dass die Person im Einklang mit den weiteren verfahrensrechtlichen Vorschriften des einzelstaatlichen Rechts des Ausstellungsmitgliedsstaates in Kenntnis der anberaumten Verhandlung ein Mandat an einen Rechtsbeistand, der entweder von der betroffenen Person oder vom Staat bestellt wurde, erteilt hat, sie bei der Verhandlung zu verteidigen, und bei der Verhandlung von diesem Rechtsbeistand tatsächlich verteidigt worden ist. So verhält es sich hier. Der Verfolgte blieb der gegen ihn gerichteten Hauptverhandlung auf eigenen Antrag hin fern. Ihm wurde eine Pflichtverteidigerin beigeordnet, die bei der Urteilsverkündung anwesend war und Berufung gegen dieses Urteil einlegte. Dass der Verfolgte in seinen Verteidigungsrechten unzulässig beschränkt worden wäre, ist nicht ersichtlich. Wegen der weiteren Begründung nimmt der Senat zur Vermeidung von Wiederholungen Bezug auf seine Ausführungen im Auslieferungshaftbefehl vom 02. August 2021.
Das Maß der zu vollstreckenden Freiheitsstrafe übersteigt das in § 81 Nr. 2 IRG genannte Mindestmaß von vier Monaten. Vollstreckungsverjährung tritt in Polen erst am 29. April 2034 ein.
Der übermittelte Europäische Haftbefehl enthält die nach § 83 a Abs. 1 Nrn. 1 bis 6 IRG erforderlichen Angaben. Er gibt die Identität des Verfolgten an, enthält Bezeichnung und Anschrift der ausstellenden Justizbehörde, nennt die Art und die rechtliche Bewertung der Straftat einschließlich der gesetzlichen Bestimmungen sowie die verhängte Strafe und beschreibt die Umstände, unter denen die Tat begangen worden sein soll, mit Angabe der Tatzeit, des Tatortes und der Tatmodalitäten des Verfolgten ausreichend. Eine inhaltliche Überprüfung des dem Europäischen Haftbefehl zugrunde liegenden Urteils findet im Rahmen des Auslieferungsverfahrens nicht statt.
Die seitens des Verfolgten gegen seine Auslieferung vorgebrachten Einwände greifen nicht durch. Der Verfolgte lebt selbst nicht in Deutschland. Dass er über Immobilieneigentum im Gebiet der Bundesrepublik Deutschland verfügt, das von seiner Tochter bewohnt wird, führt nicht zu seiner Verwurzelung hier. Vertiefte soziale Bindungen in Deutschland sind nicht ersichtlich und auch nicht vorgetragen worden. Ein schutzwürdiges Interesse an einer Strafvollstreckung in Deutschland folgt auch nicht daraus, dass der Verfolgte seine körperlich behinderte Tochter in … unterstützen und in deren Kiosk arbeiten möchte. Dass er politischer Verfolgung ausgesetzt sei, seiner Verurteilung eine solche zugrunde lag oder der Strafvollzug in Polen etwa mit einer rechtsstaatswidrigen Behandlung seiner Person überschattet würde, ist nicht vorgetragen oder sonst ersichtlich.
2. Hinsichtlich der avisierten Bewilligung der Auslieferung durch die Generalstaatsanwaltschaft des Landes Brandenburg ist eine vollinhaltliche Überprüfung und Bestätigung durch den Senat veranlasst. Denn der Europäische Gerichtshof hat mit Urteil vom 24. November 2020 (Az.: C-510/19) entschieden, dass die Staatsanwaltschaften in der Bundesrepublik Deutschland, die gemäß §§ 146, 147 GVG nicht weisungsfrei sind, keine „vollstreckende Justizbehörde“ im Sinne von Art. 6 Abs. 2 des Rahmenbeschlusses 2002/584/JI seien. Es bedarf deshalb einer europarechtskonformen Auslegung von § 79 Abs. 2 IRG dahin, dass auch zur beabsichtigten Bewilligung der Auslieferung durch die Generalstaatsanwaltschaft eine Entscheidung des Senats erforderlich ist.
In der Sache führt die vollinhaltliche Überprüfung der von der Generalstaatsanwaltschaft des Landes Brandenburg über die Auslieferung des Verfolgten getroffenen Entschließung, keine Bewilligungshindernisse geltend zu machen, zu deren Bestätigung. Denn die in § 83 b Abs. 1 Nrn. 1 bis 4 IRG im Einzelnen aufgeführten Bewilligungshindernisse, die einer Auslieferung entgegenstehen würden, liegen bei dem Verfolgten nicht vor. Insbesondere ist die dem Verfolgten von den polnischen Behörden zur Last gelegte Tat in Polen begangen worden und hat ausschließlich Auslandsbezug. Auch sind Gründe für die Ablehnung der Bewilligung nach § 83 b Abs. 2 Nr. 2 IRG nicht ersichtlich.
Nach Abwägung aller für und gegen den Verfolgten sprechenden Umstände liegen keine Gründe vor, die dessen Übergabe an die polnischen Behörden zum Zweck der Strafvollstreckung entgegenstehen. Hierzu kann zur Vermeidung von Wiederholungen auf die zu Ziffer 1) genannten Gründe verwiesen werden. Insgesamt bestehen keine Bedenken gegen die Bewilligung der Auslieferung zum Zweck der Strafvollstreckung auf der Grundlage des Europäischen Haftbefehls vom 21. Mai 2021. Der Vorbehalt der Spezialität ist zu beachten.
3. Die Fortdauer der Auslieferungshaft ist anzuordnen. Der Haftgrund der Fluchtgefahr besteht aus den im Haftbefehl des Senats vom 02. August 2021 genannten Gründen fort. Weniger einschneidende Maßnahmen bieten nicht die nach § 25 Abs. 1 IRG erforderliche Gewähr, dass der Zweck der Auslieferungshaft auch durch sie erreicht werden könnte. Angesichts der Höhe der zu vollstreckenden Strafe ist die Fortdauer der Auslieferungshaft erforderlich und angemessen. Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit steht dem bei der gegebenen Sachlage nicht entgegen.